Bacon, Francis - Von hoher Stellung.

Bacon, Francis - Von hoher Stellung.

Hochstehende Personen sind dreifache Diener Diener des Herrschers oder Staats, Diener ihres Rufs, und Diener ihres Amtes, so dass sie weder über ihre Person, noch über ihre Handlungen, noch über ihre Zeit frei verfügen können. Es ist eine seltsame Begierde, nach Macht zu streben und seine Freiheit einzubüßen, oder nach Macht über Andere zu streben, und die Herrschaft über sich selbst zu verlieren. Das Emporsteigen zu hohen Stellungen ist mühselig, und durch Mühe schafft man sich größere Mühe; auch ist es zuweilen unwürdig, aber durch Unwürden gelangt man zu Würden. Der Stand ist schlüpfrig und die Umkehr entweder ein Sturz oder mindestens eine Verfinsterung, welche schmerzlich ist. „Cum non sis qui fueris, non esse cur velis vivere1).“ Nein, zurücktreten kann man nicht wann man will, noch will man immer, wann es vernünftig wäre, sondern man findet die Zurückgezogenheit unerträglich, selbst im Alter und in Krankheiten, welche des Schattens bedürfen: wie greise Bürgersleute, die noch immer vor ihren Haustüren sitzen wollen, obgleich sie dadurch ihr Alter dem Spott preisgeben. Fürwahr, hohe Personen sollten weislich die Anschauungen Anderer borgen, um sich für glücklich zu halten; denn wenn sie nach ihren eigenen Gefühlen urteilten, könnten sie es nicht finden; falls sie dagegen bei sich selbst so denken, wie es Andere von ihnen tun, und falls Andere gern sein möchten was sie sind, dann sind sie glücklich, gleichsam wie durch Widerhall, wenn sie innerlich vielleicht das Gegenteil finden: denn sie sind die Ersten, die ihre eigenen Beschwerden entdecken, wiewohl sie die Letzten sein mögen, die ihre eigenen Fehler erkennen. Vom Glück sehr begünstigte Menschen sind in der Tat sich selbst fremd, und während sie sich in den Wirren der Geschäfte befinden, haben sie keine Zeit übrig, der Gesundheit weder ihres Leibes noch ihres Geistes zu pflegen. „Illi mors gravis incubat, qui notus nimis omnibus, ignotus moritur sibi“2). In hoher Stellung besitzt man die Macht, Gutes wie Böses zu tun, wovon das Letztere ein Fluch ist, denn in Anbetracht des Bösen, so ist die vornehmste Eigenschaft die, es nicht wollen, die nächste, es nicht können. Allein die Macht, Gutes zu schaffen, ist das wahre und rechtmäßige Ziel alles Strebens, denn gute Absichten, wenngleich Gott sie wohlgefällig ansieht, sind dennoch für den Menschen wenig besser als gute Träume, sie müssten denn zur Tat gemacht werden, und Dies kann nicht ohne Macht und Stellung geschehen, welche einen günstigen und weitumfassenden Boden dafür abgeben. Verdienst und gute Werke sind der Endzweck aller menschlichen Triebe, und das Bewusstsein dessen die Herstellung der menschlichen Ruhe: denn wer ein Teilnehmer an Gottes Werken sein kann, wird auch ein Teilhaber an Gottes Ruhe sein. „Et conversus Deus, ut aspiceret opera, quae fecerunt manus suae, vidit quod omnia bona nimis“3); und darauf folgte der Sabbat.

In der Vollstreckung deines Amtes halte dir die besten Muster vor, denn Nachahmung ist eine Welt von Lehren; nach einiger Zeit aber halte dir dich selber als Muster vor, und prüfe dich strenge, ob du nicht zuerst am besten gehandelt hattest. Vernachlässige auch nicht die Beispiele Derer, die sich in derselben Stellung schlecht betragen haben, nicht damit du ihr Andenken verunglimpfst, sondern um dir selbst zu zeigen, was du zu meiden hast. Bessere dich also ohne Verhöhnung und Schmähung früherer Zeiten und Menschen; doch mache es dir auch zur Aufgabe, mit guten Beispielen sowohl voranzugehen als ihnen zu folgen. Führe jede Sache auf ihren Ursprung zurück, und beobachte, worin und wodurch sie ausgeartet ist, zugleich aber ziehe beide Zeiten zu Rate was von der alten Zeit am besten und was von der jüngsten Zeit am passendsten ist. Suche deinen Wandel ordentlich zu machen, damit man im Voraus wisse, was man zu erwarten habe; sei aber auch nicht allzu hartnäckig und unbedingt, und sprich dich deutlich aus, wenn du je von deiner Regel abweichst. Wahre das Recht deiner Stellung, aber rege keine Gespräche über die Berechtigung dazu an, sondern nimm dir dein Recht stillschweigend und „de facto“4), anstatt es mit Ansprüchen und Forderungen auszuschreien. Wahre ebenfalls die Rechte untergeordneter Stellungen, und halte es für ehrenvoller, im Vornehmsten zu leiten, als dich in Alles zu mischen. Ergreife und veranlasse gern Hilfe und Ratschläge zur Ausübung deines Amtes, und verjage nicht Diejenigen, welche dir vorlauter Weise Belehrung bringen, sondern nimm diese mit Wohlwollen von ihnen an. Die Untugenden von Machthabern sind hauptsächlich diese vier: Verzug, Bestechlichkeit, Barschheit und Nachgiebigkeit. Bezüglich des Verzuges, so gewähre leichten Zutritt; halte verabredete Zeiten inne; beendige vorliegende Arbeiten, und flicht nichts Unnötiges in deine Geschäfte ein. Hinsichtlich der Bestechungen, so binde nicht nur deine und deiner Untergebenen Hände vor ihrer Annahme, sondern binde die Hände von Bittstellern vor ihren Anerbietungen; denn tatsächliche Rechtschaffenheit tut das Eine, aber vorgebliche Rechtschaffenheit und solche, die ihre Verachtung vor Bestechung öffentlich kundgibt, tut das Andere; vermeide daher nicht nur das Vergehen, sondern auch den Argwohn. Wer auch immer als wankelmütig befunden wird, und offenbar ohne offenbare Ursache umschlägt, erregt den Verdacht der Bestechlichkeit: so oft du daher deine Meinung oder dein Verfahren änderst, gestehe es offen, und erkläre es, indem du die Gründe angibst, die dich zum Wechsel bewogen haben; suche aber nicht, es zu verheimlichen. Ein vertrauter Diener oder Günstling, der sonst keine augenscheinliche Veranlassung zur Achtung gibt, wird in der Regel nur für eine Hinterpforte zu verborgener Bestechung gehalten. Betreffs der Barschheit, so ist sie die unnötige Erzeugerin von Missvergnügen: Strenge gebiert Furcht, aber Barschheit gebiert Hass. Selbst der Vorwurf von Mächtigen sollte bescheiden und nicht schmähend sein. Was indessen die Nachgiebigkeit angeht, so ist sie schlimmer als Bestechlichkeit; denn Bestechungen finden nur dann und wann statt, allein wenn sich Jemand durch Zudringlichkeit oder eitle Schmeicheleien lenken lässt, so ist er ihnen allezeit unterworfen; und deshalb sagt Salomon: „ Personen ansehen ist nicht gut, denn er täte übel, auch wohl um ein Stück Brot“5). Es ist sehr wahr, was vor Zeiten gesagt ward: „Ein Amt zeigt den Mann, und Einige zeigt es zu ihrem Vorteil, Andere zum Nachteil“6). „Omnium consensu capax imperii, nisi imperasset“7), sagt Tacitus von Galba; von Vespasian aber sagt er: „Solus imperantium, Vespasianus mutatus in melius“8); obgleich Eins von der Befähigung, das Andere von Sitten und Neigungen gemeint war. Es ist das untrügliche Zeichen eines trefflichen und edlen Sinnes, wenn er durch Ehren verbessert wird, denn Ehre ist oder sollte doch der Wohnsitz der Tugend sein; und wie in der Natur alle Dinge mit Ungestüm nach ihrem Platz, aber mit Ruhe an ihrem Platz sich bewegen, so ist auch die Tugend ungestüm im Ehrgeiz, und ruhig und gesetzt in der Macht. Alles Emporklimmen nach hohen Ämtern geht auf einer Wendeltreppe vor sich, und wo es Zerwürfnisse gibt, ist es gut, seinen Anhalt zu sichern, so lange man im Steigen ist, und sich im Gleichgewicht zu erhalten, sobald man einen Standpunkt gewonnen hat. Behandle das Andenken deines Vorgängers mit Billigkeit und Schonung; denn falls du es nicht tust, so wird es zur Schuld, die sicherlich bezahlt wird, wenn du dereinst abgetreten bist. Hast du Amtsgenossen, so achte sie; und rufe sie lieber herbei, wann sie nicht darauf warten, als dass du sie ausschließt, wo sie Ursache haben zu erwarten, dass du sie rufst. Lass deine Stellung nicht zu sehr fühlen, noch erinnere zu sehr daran, wenn du mit Bittstellern in Unterhaltung begriffen bist oder ihnen außeramtliche Antworten erteilst; sondern bewirke lieber, dass man sage: „Wenn er im Amt ist, so ist er ein anderer Mensch.“

1)
Cicero, Epist. Farso, VII, 3: „Da du nicht mehr der bist, der du warst, so gibt es keinen Grund, weshalb du wünschen solltest zu leben.“
2)
Seneka, Thyestes, II, 101: „Auf dem lastet der Tod schwer, welcher, Allen wohlbekannt, aber von sich selbst unerkannt, stirbt.“
3)
1. Buch Mosis, I, 31: „Und Gott wandte sich, um die Werke zu schauen, die seine Hände geschaffen hatten, und er sah, dass alle sehr gut waren.“
4)
Als selbstverständlich
5)
Sprüche Salomos, XXVIII, 21.
6)
Es ist unentschieden, von wem dieser Ausspruch herstammt. Einige schreiben ihn dem Solon, Andere dem Bias, wieder Andere dem Pittakus aus Mitylene zu.
7)
Tacitus, Historien, I, 50: „Durch die Einstimmigkeit Aller war er zur Regierung fähig, wenn er nicht regiert hätte.“
8)
Ebendaselbst: „Von allen Herrschern war Vespasian der einzige, der sich zum Bessern änderte.“
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