Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - Im Erdulden des Unrechts
„Das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missetat willen Streiche leidet? Aber wenn ihr um Wohltat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott.“ (1 Petr. 2.19.20).
Es ist in Verbindung mit etwas sehr alltäglichem, dass Petrus diese gewichtigen Worte ausspricht, in Bezug auf Jesus, als unseren Stellvertreter und unser Vorbild. Er richtet sie an Knechte, welche zu jener Zeit meistens Sklaven waren. Er lehrt sie untertan zu sein mit aller Furcht, nicht nur den gütigen und gelinden Herren, sondern auch den wunderlichen. Denn, schreibt er weiter, wenn jemand etwas unrechtes tut und dafür gestraft wird, so ist dabei nichts außergewöhnliches, wenn er es geduldig erträgt. Aber wenn jemand um einer Wohltat willen leidet und es geduldig erträgt, das ist angenehm vor Gott; solches Erdulden des Unrechts ist Jesusmäßig. Indem Jesus als unser Stellvertreter unsere Sünden trug, erlitt Er Unrecht von Seiten der Menschen; seinem Vorbild nach, sollen auch wir bereit sein, Unrecht zu leiden.
Es gibt kaum etwas schwereres, als ein Unrecht von unseren Mitmenschen ertragen zu müssen. Dabei handelt es sich nicht bloß um einen Verlust oder einen Schmerz; die Ungerechtigkeit und die damit verbundene Demütigung wird schmerzlich fühlbar und das Rechtsbewusstsein möchte sich geltend machen. Es ist auch nicht ganz leicht, sofort in dem, was uns von Menschenhand geschieht, den Willen Gottes zu erkennen, welcher es erlaubt, dass wir also geprüft werden, um beweisen zu können, dass wir in der Tat Jesum zu unserem Vorbild genommen haben. Wir wollen dieses Vorbild genauer betrachten; von Jesu können wir lernen, was Ihm die Kraft gab, alles Unrecht geduldig zu ertragen.
Jesus war davon überzeugt, dass sein Leiden nach Gottes Willen sei. Er hatte aus der Schrift erkannt, dass der Knecht des HErrn leiden müsse. Mit diesem Gedanken hatte Er sich so vertraut gemacht, dass Er nicht überrascht wurde, als das Leiden an Ihn herantrat; Er hatte es erwartet. Er wusste, dass Er auf diesem Wege „vollkommen gemacht werden sollte“ (Hebr. 2,10). Sein erster Gedanke war nicht, wie Er dem Leiden entgehen, sondern wie Er Gott darin verherrlichen könne. Darum konnte Er die größte Ungerechtigkeit gelassen ertragen; Er sah Gottes Hand darin.
Mein Bruder, möchtest auch du Kraft bekommen, das Unrecht so zu ertragen, wie Jesus es ertrug? So gewöhne dich daran, in allem, was dir geschieht, Gottes Hand und Willen zu erkennen. Es hängt viel mehr hiervon ab, als du vielleicht denken magst. Ob dir nun großes Unrecht geschieht, oder ob dir im täglichen Leben eine kleine Beleidigung begegnet ist, so halte still und ehe du deine Gedanken auf die Person richtest, die dir wehe getan hat, so bedenke: „Gott hat es erlaubt, dass ich in diese Not komme, um mich zu prüfen, ob ich Ihn darin verherrlichen werde. Diese Prüfung, sei sie nun groß oder klein, ist von Gott zugelassen, ja, sie ist sein Wille für mich.“ Beuge dich unter diesen Willen Gottes; wenn dadurch deine Seele zur Ruhe gekommen sein wird, so wirst du auch lernen, wie du dich zu benehmen hast. Den Blick abgekehrt von den Menschen und zu Gott gerichtet, da ist es nicht so schwer, Unrecht zu leiden, als es zuerst scheinen möchte.
Jesus glaubte auch, dass Gott für seine Rechte und seine Ehre einstehen werde. Es ist uns ein inneres Rechtsgefühl angeboren, welches von Gott stammt. Aber ein Mensch, der nur auf das sichtbare gerichtet ist, verlangt, dass seine Ehre sogleich, hienieden schon, gerettet werde. Wer aber den Ewigkeitsblick hat, als sähe er das unsichtbare, der begnügt sich damit, dass sein Recht und sein guter Name der Hand Gottes übergeben und dort wohl aufgehoben sind. Dies war Jesu Sinn. Petrus schreibt: „Er stellte es dem heim, der da recht richtet.“ Es war eine zwischen dem Vater und dem Sohne ausgemachte Sache, dass der Sohn nur des Vaters Ehre suchen sollte, nicht seine eigene. Der Vater wollte für die Ehre des Sohnes besorgt sein. Wenn du dem Vorbild Jesu hierinnen folgst, mein Bruder, so wirst du bald zur Ruhe und zum Frieden kommen. übergib deine Rechte und deinen guten Namen der Bewahrung Gottes. Begegne jeder Beleidigung, welche Menschen dir zufügen, mit dem festen Vertrauen, dass Gott dich beschützen und für dich sorgen werde; stelle es dem anheim, der da recht richtet.
Jesus glaubte ferner an die Macht der erduldenden Liebe. Wir geben alle zu, dass es keine größere Macht gibt, als die der Liebe. Durch sie überwindet Jesus die Feindschaft der Welt. Wird ein Sieg auf irgend einem andern Wege erreicht, so folgt darauf nur eine gezwungene Unterwerfung. Die Liebe allein gewinnt den wahren Sieg über den Feind, denn sie verwandelt ihn in einen Freund. Als Grundsatz stimmen wir alle mit dieser Wahrheit überein, aber vor der Anwendung desselben schrecken wir zurück. Jesus glaubte daran und handelte danach. Auch Er wollte sich rächen; aber seine Rache war diejenige der Liebe, welche seine Feinde als Freunde zu seinen Füßen niederwarf. Er glaubte, dass Er durch Stille und Unterwürfigkeit, durch Leiden und Erdulden des Unrechts, den Sieg erringen werde, weil die Liebe also triumphieren musste.
Diesen Sinn fordert Er auch von uns. Unsre sündliche Natur glaubt viel mehr, durch Gewalt und Recht erreichen zu können, als durch die himmlische Kraft der Liebe. Aber wer Jesu ähnlich werden möchte, der wird Ihm auch hierin folgen, dass er sucht, das Böse mit Gutem zu überwinden. Je mehr Unrecht er von einem andern zu ertragen hat, desto mehr fühlt er sich berufen, diesen zu lieben. Sogar wenn es um des allgemeinen Wohles willen, nötig würde, dass der Arm der Gerechtigkeit den Missetäter strafe, so ist es dem Jünger Jesu ein Anliegen, dass sich doch kein persönliches Gefühl dabei geltend mache; sofern es ihn angeht, vergibt und liebt er.
Ach, wie ganz anders würde es in der Christenheit, im Ganzen und in den einzelnen Gemeinden aussehen, wenn Jesu Vorbild zur Nichtschnur gemacht würde, wenn jeder, der da gescholten würde, nicht wieder schälte, jeder, der da litte, nicht drohte, sondern es dem anheim stellte, der da recht richtet. Meine lieben Mitchristen, dies verlangt der Vater buchstäblich von uns. Wir wollen die Worte Petri immer und immer wieder lesen, bis unsere Seelen von dem Gedanken erfüllt sind: „Wenn ihr um Wohltat willen leidet und erduldet, das ist Gnade (oder „angenehm“) bei Gott.1)
Für diejenigen Christen, welche ihrem Beruf als Erlöste, hauptsächlich in eigener Kraft nachzukommen suchen, ist eine solche Umgestaltung in das Bild Jesu eine Unmöglichkeit. Aber in dem Leben völliger Hingabe, wenn wir in dem Glauben, dass der HErr alles in uns wirken wolle, seinen Händen uns anvertraut haben, da erwacht die herrliche Erwartung, dass die tatsächliche Nachfolge Christi auch für uns erreichbar sei. Denn in enger Verbindung mit dem Befehl, zu leiden, wie Jesus, steht das Wort: „Christus hat für uns gelitten, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.“
Lieber Mitchrist, möchtest du nicht Jesu ähnlich werden, und wenn du irgend ein Unrecht zu erdulden hast, gerade so handeln, wie Er es an deiner Stelle getan haben würde? Ist es nicht eine herrliche Aussicht, dass wir in allen Stücken, also auch hierin, Ihm gleichförmig gemacht werden sollen? Für unsere Kraft ist dies zu hoch, in seiner Kraft ist es möglich. überlasse dich Ihm nur Tag für Tag, um in allen Lagen gerade das zu sein und zu tun, was Ihm wohlgefällig ist. Glaube, dass Er das Leben und die Kraft eines jeden sein will, der in seinen Fußstapfen zu wandeln sucht. Gib dich dazu her, mit dem leidenden, gekreuzigten Jesus eins zu werden, damit du verstehen mögest, was es heißt, der Sünde gestorben zu sein und der Gerechtigkeit zu leben. Dann wirst auch du die freudige Erfahrung davon machen, welche Kraft in dem Tode Jesu liegt, nicht allein um die Sünde zu versöhnen, sondern auch ihre Macht zu zerbrechen, - welche da ist die Kraft seiner Auferstehung, die es dir möglich macht, der Gerechtigkeit zu leben. Du wirst es ebenso selig finden, den Fußstapfen des leidenden Heilands nachzufolgen, als für deine Versöhnung und Erlösung, auf dieses Leiden völlig zu vertrauen. Jesus wird dir als Vorbild ebenso köstlich werden, als Er dir durch seine Stellvertretung geworden ist. Weil Er dein Leiden auf sich nahm, wirst du auch sein Leiden willig auf dich nehmen und das Erdulden des Unrechts wird ein wesentlicher Teil deiner Gemeinschaft mit seinem heiligen Leiden sein, ein herrliches Kennzeichen davon, dass du nach seinem allerheiligsten Bild umgestaltet wirst, eine selige Frucht des wahren Glaubenslebens.
HErr, mein Gott, ich habe dein teures Wort vernommen: Wenn jemand unrecht leidet und es erduldet, das ist Gnade bei Gott. Dies ist in der Tat ein dir wohlgefälliges Opfer, ein Wert das deine Gnade allein in uns zustande bringen kann, eine Frucht der Leiden deines geliebten Sohnes, eine Frucht des Beispiels, das Er uns gelassen hat, und die Kraft dazu fließt daraus, dass Er die Macht der Sünde in uns zerstört hat.
O mein Vater, lehre mich und alle deine Kinder auf nichts Geringeres unser Augenmerk zu richten, als auf die völlige Gleichförmigkeit auch mit diesem Zug des Bildes deines lieben Sohnes. HErr, mein Gott, ich will jetzt, ein für allemal, mein Recht und meinen guten Namen deiner Bewahrung anvertrauen, um mich nie wieder selbst darum zu bekümmern; du wirst meine Ehre wohl zu wahren wissen, meine einzige Sorge sei die Ehre und das Recht meines HErrn zur Geltung zu bringen!
Ganz besonders bitte ich dich, erfülle mich mit dem Glauben an die siegreiche Macht der duldenden Liebe. Gib es mir völlig zu verstehen, was das duldende Lamm Gottes uns lehrt, dass Geduld, Stille und Leiden mehr erreichen bei Gott und darum auch bei Menschen, als Macht und Recht. O mein Vater, ich muss, ich will wandeln in den Fußstapfen meines Herrn Jesu. Dein Heiliger Geist, und das Licht deiner Liebesgegenwart leite und stärke mich. Amen!
Anmerkung.
Was sorgst du, mein Kind? Höre auf zu klagen, und gedenke an mein Leiden und an das, was andere Heiligen erduldet haben. Sage ja nicht: „Ich kann das nicht von dem oder jenem ertragen; er hat mir sehr unrecht getan, und mich solcher Dinge beschuldigt, die mir ganz ferne liegen. Wenn ich dächte, dass ich es verdient hätte, so könnte ich es ertragen, aber so nicht.“ Solche Gedanken sind sehr töricht; anstatt die Geduld im Leiden zu erbitten und an den zu gedenken, der sie krönen wird, beschäftigst du dich nur mit dem dir angetanen Unrecht und mit der Person, die es dir zugefügt hat. Derjenige verdient nicht geduldig genannt zu werden, der nur willig ist das zu leiden, was er meint verdient zu haben, und das Leiden nur von dem anzunehmen, der ihm zusagt. Der wahrhaft Geduldige fragt nicht danach, wer ihm ein Leiden bereitet, ob es von einem über ihm Gestellten oder von seinesgleichen oder von einem ihm Untergebenen herrühre; ob ein guter und heiliger Mensch es verursache, oder ein widerwärtiger und unwürdiger. Nein, durch wen, wie sehr, und wie oft ihm auch Unrecht geschehen mag, er nimmt es allezeit aus der Hand Gottes an und achtet es für Gewinn. Denn es ist unmöglich, dass Gott irgend ein um seinetwillen erduldetes Leiden unbelohnt lasse.
HErr, deine Gnade mache mir das zur Möglichkeit, was von Natur unmöglich scheint. Verleihe es mir, dass durch deine Liebe das Unrecht leiden mir lieblich werde. Um deinetwillen zu leiden ist meiner Seele äußerst heilsam.2)