Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Zweite Nacht.

Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Zweite Nacht.

Die zwei Leben.

Während die Sonne am Himmel, fern von uns, diese Gegenden dem nächtlichen Dunkel überlässt, komm' du, o ewige Sonne, und bringe dein Licht in diese Seele. Lass in ihr Glänzen das heilbringende Licht der Weisheit, von welchem wir Wärme und Leben empfangen. Fern von mir verscheuche die Finsternisse der Unwissenheit und des Irrtums. Enthülle mir deine erhabenen, heiligen Wahrheiten, die als treue Leuchte meine Schritte leiten, um in deinen Schoß mich hinzuführen.

Mein Schiff segelt Afrika zu; jeden Augenblick bringen mich die Winde näher an jene Küste. Aber, Aurelius, dieses Land ist nicht das selige Gestade, welches du suchst; Afrika ist nicht das Ziel deiner Reise. Und was sind wir wohl anders hienieden, als irrende Geister? Du bist, o höchstes Gut, das Ziel unseres Wollens. Jede Stunde ist ein Wind, eine Welle, die mich meinem Ziele näher bringt, wenn ich nur zu ihm mein Fahrzeug lenke, und die mich von ihm entfernt, wenn mein Herz eine andere Richtung nimmt. Wo ich auch immer hinsteuern mag, wenn ich mich von dir entferne, so lande ich an der berüchtigten Küste von Tauris, wo man ohne Schonung die Fremdlinge einer falschen und grausamen Gottheit opfert. Ich gehe nur sicherem Tode entgegen.

Lasst uns befreien unseren Geist von den Täuschungen der Sinne, entfernen von ihm diese unermessliche Menge von sichtbaren Dingen, die ihn in ewiger Zerstreuung hinhalten, dass er sich stets ein Fremdling bleibt. Was ist der Mensch? Ein Wesen, geschaffen zu erkennen, zu lieben das ewige unendliche Wesen, seinen Schöpfer. Das ganze weite Weltall, alle sichtbaren Geschöpfe, die so vielfach seine Gedanken und sein Herz beschäftigen, sind für ihn nur fremdartige Dinge. Und so lange er auf Erden lebt, ist es nicht die Erde, die ihn beschäftigen, die seine Sorge und sein Gedanke sein soll.

Denkt euch ein Kind, geboren fern von dem Vaterlande seines hohen Geschlechtes, wo es große Schätze besitzt und einen Thron erben soll. Sobald es sein Alter gestattet, tritt es die Reise zur Heimat an; aber kaum hat es sie einige Tage durch liebliche Fluren fortgesetzt, da vergisst es, gefesselt von dem reizenden Anblicke des Landes, die Sehnsucht nach dem väterlichen Reiche und die Liebe zur Heimat, baut sich eine Hütte und lässt sich da nieder. Mensch, du bist das unverständige Kind. Brich auf aus der niedrigen Hütte, welche dich auf dem Wege aufhält. Diese fruchtbeladenen Bäume, die du siehst, diese reichen Wasserquellen dienen dir zur Erquickung auf dem Wege; aber sie sind nicht die Schätze deines Vaterlandes. Dorthin richte deinen Lauf. Wenn du dich hier verweilst, so wird der nahe Winter die Quellen mit schweren Eismassen bedecken, die Felder entblößen und du wirst, fern von dem glücklichen Lande, wo du herrschen solltest, preisgegeben dem Mangel, in schauerlicher Wüste umkommen.

Wir treten in die Welt, und die Schönheit der uns umgebenden Dinge bringt in Vergessenheit die unendliche Schöne und das selige Los, das unser dort oben harrt. Gleichwohl sind diese Schönheiten, und was es immer Gutes hienieden gibt, nur eine Erquickung, die uns das höchste Wesen auf dem Wege darbietet, damit wir rüstig und schnell ihm entgegeneilen.

Hier bewundern wir der Blumen Schmelz und das glänzende Licht und fühlen uns bezaubert durch eine so reich geschmückte Gegend. Übel beratene Pilgrime! Aus diesen Blumen, aus diesem Lichte lernen wir, wie reizend jene Blumen sind und das Licht der ewigen Hügel, wohin unsere Reise geht. Licht und Schönheit hienieden sind nur da, uns anzulocken und dorthin zu geleiten, wo ewiger Frühling und ewiger Tag ist.

Die liebliche Harmonie entzückt uns auf Erden, ergötzt uns. Aber was sind wohl die süßen Töne, die unsere Wüste beleben, in Vergleich mit jenen, wovon die seligen Wohnsitze des Allerhöchsten ertönen, der da mit Pracht und Herrlichkeit unsere Seelen aufnimmt?

Bei dem bekannten Klange der Trompete entbrennt des Kriegers Mut, und er eilt in die Schlacht. Sie erinnert ihn an den Beifall des Vaterlandes, das ihn als Sieger begrüßt, an das Lob seiner Führer und an die Feier des Triumphes.

Der Herr des Weltalls lässt uns aus keinem anderen Grunde den Gesang der Vögel, die Harmonie ihrer Stimme und die Musikinstrumente hienieden vernehmen, als um uns anzufeuern im niedrigen Kampfe dieses Lebens fürs Vaterland. O Mensch! was sitzt du da sorglos und freust dich, und vergisst darüber das Ziel, wozu du berufen bist? Lauf, fliege, kämpfe unermüdet, den Gedanken stets dahin gerichtet, wohin deine Bestimmung geht. Was immer in diesem Leben mit süßem Wohllaut das Ohr der Sterblichen ergötzt, ist nur ein rauer Ton, nur ein verwirrter Schall der höheren Harmonie, die aus der Ferne her, aus den ewigen Wohnungen uns ertönt, wo der große König seine Auserwählten mit endloser Wonne erfreut. Mensch, warum bleibst du außerhalb der seligen Tore, ein müßiger Horcher? Sie stehen dir offen. Die große Freude, die jener mächtige Herr von außen erschallen lässt, ladet jeden, der sie hört, zur Teilnahme ein.

Strecke ich die Hand nach dem Baume und breche mir eine Frucht ab, die ich mit Lust genieße, und sehe dann noch so viele Früchte auf meinen Feldern um mich her, dann gewinne ich lieb die Freuden des Lebens, es behagt mir der Aufenthalt auf Erden und ich wünsche verlängert meine Pilgerfahrt. Ich Armer! Verlängert wünsche ich meine Verbannung und Armut. Nicht allein zu einem vorübergehenden Sinnengenuss hat mein Schöpfer die Baumfrüchte und die Trauben mit Honig gewürzt und sie wirklich mit Ambrosia bestreut. Das sind Geschenke, die seine Hand mir reicht, damit ich hienieden als Kind stets den Geher liebe und seinen Schritten folge. Das sind fühlbare Beweise, die Er mir gibt, um mich einzunehmen für die ewigen Freuden, zu denen Er mich hinführt. Mit diesen Tropfen von Süßigkeit, die Er über diese dürren Felsen herabträufeln lässt, will Er mich anziehen, dass ich an den Spuren derselben den Berg ersteige, wo sich die Quelle findet, die in Fülle sie ausströmt.

Und du, o aller Freundschaften süßeste, keusche und treue Liebe zweier tugendhafter Gatten, bist nun kein Band mehr, bestimmt, die Neigungen zweier Herzen auf Erden zu fesseln, sondern eine Begleiterin und Führerin zum Himmel. Ein Bild bist du der aufrichtigen und engen Liebesgemeinschaft, die uns dort mit dem höchsten Gute vereint. Du fesselst nicht bloß auf Erden zwei unsterbliche Geister, damit sie sich wechselseitig zur Hilfe dienen, sondern du reichst zwei Freunden eine gegenseitige Stütze, womit sie gemeinschaftlich ihrem Ziele zueilen.

Und ihr lieblichen Hügel, mit Pflanzen bedeckt, und ihr tiefen Täler, von Eichen und Buchen beschattet, und ihr weiten Ebenen, bekleidet mit Blumen, ihr Zephyre, die ihr den glühenden Strahl des Sommers mäßigt, ihr Lüftchen, die ihr den rauen Nord mildert, ihr seid die Freude dieser Erde; aber diese Erde ist nur erst der wilde Pfad, der uns ins glückliche Land führt, wo wir wohnen sollen. Wenn alles Bittere hienieden uns zu erkennen gibt, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, so erinnert uns alles Süße lebhaft an jene Güter, nach denen wir in diesem Leben trachten sollen. Wenn unser Körper sich noch auf der Erde schleppt, soll der Geist schon im Himmel wohnen.

Was tust du denn nun, o Mensch? Wohin wendest du dich auf der Lebensbahn, die du durchläufst? Es bricht die Nacht heran, da keine Zeit mehr ist zu wirken. Weh, wenn deine Lebenssonne untergeht und dein Herz sich noch außerhalb des Vaterlandes befindet! Die Nacht, die dasselbe in schauerlicher Weise überrascht, hält es dort fest, ohne Hoffnung, je zu entkommen. Fern von dem wahren Guten, fern von dem seligen Lande, zu dem dein Heiland führt, wird auf ewig ein furchtbares Dunkel dich umhüllen. Du wirst allen wilden Tieren des Waldes zur Beute werden. Sorge, dass dein Herz bei Gott sei. Dann wird bei einbrechendem Abende ein nie gesehenes Sonnenlicht über dir aufgehen, und du wirst dort aufgenommen werden, wo keine Nacht, keine Finsternis mehr sein wird. Es ist dir erlaubt, dich zu nähren mit den niedrigen Speisen, die der Himmel dir nicht verbietet; aber nur im Vorübergehen, nur um dich zu stärken und die Reise gegen das Ziel hin fortzusetzen, nicht, dass du hier verweilen sollst, um dieselben zu genießen. Während der Körper irdische Nahrung genießt, soll der Geist mit der ihm eigenen der Erkenntnis und Liebe des höchsten Gutes genährt werden. Dazu sind Verstand und Herz geschaffen. Die Erkenntnis und Liebe des Schöpfers ist uns Speise der Unsterblichkeit, die uns unentbehrlich ist, so lange wir Menschen sind. Das ist, wenn gleich in verschiedener Art, das große Geschäft des Menschen sowohl in diesem sterblichen Leben, als jenseits des Grabes. Das Erdenleben ist nur eine von Gott uns gegönnte Frist, um mit Verdienst das zu tun, was am Ende unsere Glückseligkeit ausmachen soll. Aus dem Reiche der Finsternis versetzt ins Reich des Lichtes werden wir das höchste Gut vollkommen erkennen, weil wir es enthüllt sehen werden, und durch dieses Schauen wird die Liebe desselben für uns süße Notwendigkeit. Hienieden bleibt es uns verborgen. Wir kennen von ihm bloß so viel, als der Glaube und die Sinne uns offenbaren. Wir suchen es, lieben es unsichtbar, obgleich stets gegenwärtig, wir lieben es, obschon wir es nur noch erst in der Hoffnung besitzen. Dieses herrliche Licht stets in uns lebendig zu erhalten, dieses göttliche Feuer immer in uns zu nähren, ist unsere ganze Beschäftigung hienieden, eine mühevolle Beschäftigung, die uns aber endlich die Krone der Unsterblichkeit bringt.

Eine unbekannte Schönheit macht auf uns keinen Eindruck, eine wenig bekannte nur einen schwachen. Je mehr der Verstand den Wert eines geliebten Gegenstandes erwägt, desto mehr fühlt sich das Herz von Liebe zu ihm hingezogen. Will der Mensch, geschaffen, um auch auf dieser Erde die höchste Schönheit nach Kräften zu lieben, diese seine Pflicht erfüllen, so muss er nach Möglichkeit sich bestreben, den Wert derselben einzusehen. So nimmt diese höchste Liebe nicht nur unser Herz, sondern auch unseren Verstand in Anspruch; das eine, wie das andere soll ihm dienen. Der Mensch lebt also nur dann, wenn er mit seinem Geiste in jenen unermesslichen Räumen wohnt und dort dem höheren Lichte folgt, das uns zur Führerin gegeben ist und mit immer wachsender Liebe seinen Spuren nachgeht. Die Sinne, die Außendinge dürfen uns nicht zerstreuen, sondern uns immer tiefer einführen in die unsichtbare Größe der Gottheit. Der Mensch muss aus dem Glauben leben. Die Unermesslichkeit des Himmels, die uns so sehr in Erstaunen setzt, stellt und sichtbar dar die unendliche Macht, die uns der Glaube unsichtbar ankündet. Der beständige Kreislauf zwischen Tag und Nacht, die Jahreszeiten, welche nach dem Winke des Allerhöchsten stets wechseln, stellen unserem Blicke sichtbar in ihren Wirkungen dar jene erhabene Weisheit, die der Glaube uns sehrt, aber verhüllt lässt. Die leuchtenden Sterne, die Sonne, welche angekündigt durch die rosige Morgenröte, den frohen Tag über den Horizont heraufführt, das Gold, die Perlen, die Edelsteine sind schwache und dennoch offenbare Züge der ewigen Schöne, wovon der Glaube zeugt, die aber auf immer in undurchdringliches Dunkel gehüllt bleibt. Der Gedanke, die Vernunft, ein Geist, fähig, so große Dinge zu schauen und sich so hoch zu erheben; die Augen, wodurch wir mit so vielen wunderbaren Geschöpfen bekannt werden, die Gesundheit, das Leben, die Luft, welche wir atmen, das Wasser, das für uns aus den Felsenadern quillt, die Erde, die uns mit ihren reichlichen Schätzen nährt, sind eben so viele offenbare Geschenke der unendlichen Güte, der wir dem Glauben gemäß unser Herz weihen sollen, ehe wir sie schauen von Angesicht zu Angesicht. So sind die niedrigen Dinge rings um uns her geordnet, um uns zum großen Schöpfer zu führen. Der Ochs kennt seinen Herrn, und das Hündlein beweist sich dankbar gegen den, der es nährt. Wenn der Mensch, mit Vernunft begabt, mitten unter so vielen Dingen, die ihm Gott verkündet, mitten unter so vielen Gaben, womit er ihn bereichert, ihn nicht erkennt und nicht liebt, so ist er unvernünftiger als das vernunftlose Vieh und ein Ungeheuer von Undankbarkeit.

Wer darf es wagen, sich der Liebe seines Schöpfers zu entziehen, als kenne er ihn nicht? Eben diese Entscheidung verdammt ihn. Seinen Gott nicht kennen, ist ein Verbrechen. Was sagt uns nicht der Glaube von ihm, der Lehrer erhabener Wahrheiten? Was sagen uns nicht von ihm so viele schönen Geschöpfe? Mensch, warum hörst du sie nicht, warum lernst du nicht von ihnen deinen Urheber kennen?

O unendliche Schöne, mir bekannt und verhüllt, wenn es mir, solange ich als Pilger und Fremdling hienieden walle, nicht gegönnt ist, dein göttliches Bild zu schauen, so erkenne ich dich, insoweit es der Glaube lehrt, der mich mitten im Schatten sicher zu dir geleitet. Dich sehe ich, dich schau' ich in jedem Gegenstande; wohin ich meine Schritte lenke, führt mich alles zu dir. Dich sehe ich in der Höhe der Gebirge, in der Unermesslichkeit der Meere, in dem ganzen Weltgebäude. Dich sehe ich in so vielen schönen Gestalten deiner Geschöpfe, in den Eigenschaften der Kräuter und Früchte, in so verschiedenen Trieben der Tiere, in der Riesenkraft der Elemente. Deinen Hauch fühl ich im Wehen der Winde, seien sie sanft oder tobend. Ich sehe deine Rechte im Blitze, der von unsichtbarer Macht geschleudert, Felsen spaltet, Bäume zerschmettert und Häuser in Flammen setzt. Ich finde dein Gesetz in den Wolken, die bald reich an fruchtbarem Regen die Felder befeuchten, bald sie mit Schnee bedecken oder mit Hagel peitschen. Ich höre deine alles Ienkende Stimme im Kreislaufe der Planeten, in den Bewegungen der Gestirne, in den Erzeugnissen und Wirkungen der Natur.

Aber der Mensch, ach! nur gar zu oft steigt er mit seinem Geiste von seinem wahren Glauben ins Gebiet der Sinnenwelt herab, von dem Himmel lenkt er seine Sorgen und Neigungen auf die Erde, auf das Tierische hin. Er entfernt von sich den Gedanken an ein anderes Leben, beschränkt sich auf die kurzen Tage seiner Pilgerschaft, betrachtet sie als sein Vaterland und jetzt darein seine Glückseligkeit. Blind für die höheren Güter, für welche er geschaffen ist, vermag dieser Geist, von schweren Banden gefesselt, sich nicht mehr von der Erde zu erheben. Immer noch sieht man in ihm jenes edle Wesen, mit Vernunft begabt; aber diese Vernunft, gleich dem Adler ohne Flügel, schleppt sich auf dem Boden. Seine Weisheit ist irdisch.

Der Mensch ist ein fremdartiges Gemisch von zwei unähnlichen Wesen. Das eine ist edel, rein, unkörperlich; das andere unedel, schwerfällig, materiell. Das eine gleicht jenen höheren Geistern, die den König der Herrlichkeit im Himmel umgeben; das andere ist ein Teil jener schweren Masse, die wir mit Füßen treten. Das eine und das andere hat seine Nahrung, angemessen seiner Natur. Die Speise unserer Seele, des geistigen Menschen, ist diejenige, die er mit den inneren Lippen aus dem Born des Lebens saugt, Nektarquellen von Weisheit und Liebe. Mensch, willst du, dass der Engel in dir lebe? So versag' ihm nicht die Nahrung der himmlischen Gedanken und der göttlichen Gefühle. Gleichwie der Körper jeden Tag feine Speise fordert, und dadurch Leben und Stärke erhält, so muss dein Geist leben von jener Kraft, die er von oben zieht. Wenn ihm diese seine Nahrung mangelt, so nimmt er alsbald ab, wird schwach, schwindet hin und stirbt. Willst du, dass er kräftig und stark bleibe, so gewöhne ihn, die Luft des unsterblichen Lebens einzuatmen. Gewohnt an diese Größe und an diesen Umgang mit den höheren Dingen, ergreift ihn Ekel und Überdruss an allem, was die Erde auch Schönes ihm bieten mag.

Wie den Höfling die Hütte des Armen anekelt, der von schmutziger und niedriger Arbeit sich nährt, so blickt der Geist spähend umher, ob er sich nicht weit entfernen möge von allem, was ihn noch aufhalten könnte in dieser unreinen Wohnung, worin das Pöbelherz des irdischen Menschen seine Wohnung sucht.

Glücklicher Geist, der du so auf dieser niedrigen Erde, immer eingedenk deines hohen Adels, lebst, ich verehre, ich bewundere dich. Du strahlst schon von dem göttlichen Lichte, das dich einst umgeben soll. Du kannst nicht beständig, so lange du mit dem irdischen Körper verbunden bist, dort oben wohnen, da dich oft mühsame Pflicht und der Drang deines elenden Loses an die Erde fesseln; aber dadurch wirst du nicht irdisch. Du steigst nicht herab von jenen ewigen Hügeln, wie zuweilen die Engel herabsteigen, nicht aus eigener Lust und Begierde, sondern nur um die höheren Befehle zu vollziehen und schnell wieder dorthin zurückzukehren. Wenn du deinen Körper hütest, so bist du ein Engel, der hernieder steigt, um ein Tier zu hüten, dessen Obsorge ihm der Allmächtige anvertraut hat, und nicht, um sich selber zu weiden. Nie gestatte ihm etwas anderes, als was ihm erlaubt wird von Dem, der dir die Herrschaft über ihn anvertraut. Wenn du auf Erden ein Haus bauen willst, verteilst du die Arbeit; aber du bist ein Bewohner des Himmels, der hienieden kein Haus hat, der jede andere Wohnung verschmäht außer derjenigen, wo er mit der seligen Familie und dem ewigen Könige wohnt. Müde von der niedrigen Arbeit kehrt er jeden Tag, wie der Landmann vom Felde, oder aus dem Walde zurück, um im Himmel auszuruhen. Der Tod, den der blinde und irdische Mensch mit Schauder als das Ende seines Lebens und seiner Freude betrachtet, den siehst du mit heiterer Stirne herannahen. Du findest an ihm deinen Geburtstag, der dich zum höheren Lichte fördert, die glückliche Stunde, wo dein liebevoller Heiland dich, fern von den Gefahren des Todes, in dein wahres Leben einführt.

Sümpfe, ausgetrocknet durch vieljährige Arbeit und urbar gemacht. Seen, ausgegraben in trockenem Lande, Flüsse, durch Kunst geleitet, um Meere, die die Natur getrennt hat, miteinander zu verbinden, abgetragene und geebnete Berge sind löbliche Werke der menschlichen Kunst, nützlich oder notwendig, aber sie sind nicht das große Werk, wozu der Mensch auf Erden ist, sind nur ein Spiel in Vergleich mit dem, warum er hier ist. Festen, Königreiche und Städte sind Schutzwehren für den Menschen, aber der Mensch ist nicht geschaffen für sie, ist nicht hienieden, um stets darin zu verweilen. Zepter, Legionen, Diadem sind der Schmuck und die Attribute des irdischen Herrschers; aber dieses sterbliche Leben ist nur ein Gestade, an dem sich die Menschen, aus dem Nichts hervorgerufen, zusammenfinden, um sich einzuschiffen in ihre eigentliche Heimat.

Verscheuch', o gütiger Gott, die dunkle Nacht des Aberglaubens, die noch einen so großen Teil der Welt bedeckt. Du, o Schirmer und Vater des Menschengeschlechts, befreie von dem drückenden Irrtume die Erde, die noch unter dem Götzendienste seufzt. Berufe zu deinem Lichte die Könige, die von deinem großen Namen nichts wissen, und die den nicht kennen, welchen du zum Heile aller in die Welt gesandt hast. Ich sehe sie, sich selbst vergötternd, stolz auf ihr irdisches Glück, in der dunklen Nacht ihres Irrtumes einhergehen. Ich sehe sie, vertieft in düstere Gedanken, ihre Untertanen zählen, deine Kinder wie eine Herde betrachtend, und berechnen, wie viele Menschen sie in die tödlichen Bergwerke begraben, deren Erzeugnisse prachtvoll ihren irdischen Sterker schmücken; ich sehe sie, befallen von jenem Wahnsinne, den die Welt, deine Feindin, Ehre nennt, zählen, wie viele Tausende menschlicher Schlachtopfer sie unter den Waffen dem Ehrgeize, dem Götzen ihres Herzens, schlachten können. Sie erkennen im Menschen nicht deine Wonne, nicht deinen Liebling, sie sehen ihn gleichsam nur an als ein Tier, einzig geschaffen zum Dienste ihrer eitlen Größe, als bloße Werkzeuge ihrer unsinnigen Absichten, die die Natur als reiches Erbe ihnen zugeteilt. Großer König des Weltalls, durchbrich endlich die tiefe Nacht, die sich ihnen verbirgt, zeige dich ihnen und offenbare deine ewige Weisheit, das einzige Licht, dem der Mensch sicher und ohne Irrtum folgt.

Könige der Erde, euere Schmeichler nennen euch groß, und eure Schmeichler verderben euch. Sie verehren in euch Gebieter über irdische Reiche, Fürsten, denen der Tribut der Völker gebührt, euch huldigen die Nationen. Ihr Könige der Erde, alles dieses ist nur eitler Schein. Diese weiten Gefilde, mit goldener Saat bedeckt, diese steilen Felsen, die über die Wolken hinausragen, diese stolzen Flüsse und diese Meere eueres Reiches werden bald ein Ende nehmen. Verschwinden werden die Länder, die unter den Schritten euerer Kriegsheere jetzt zittern, man wird nicht mehr die Meere sehen, wo jetzt stolz euere Flotten segeln, wird nicht mehr das Land erkennen, wo ihr herrscht. Ist einmal die große Reise des Menschengeschlechtes zur Ewigkeit vollendet, so wird des Allmächtigen Hand die hinfällige Wohnung, die sie erbaut hatten, zerstören, und von nun an werden sie nur mehr die beständigen Wohnsitze schauen, die kein Auge gesehen hat. Ihr Könige der Erde, euere Größe wird von der blinden Welt nicht in ihrer ganzen Erhabenheit erkannt. Sie reicht nicht minder als die jedes anderen Menschen über das Grab hinaus. Und wenn ein Strahl des Himmlischen Lichtes euch auf Erden einen hehren Glanz verleiht und euch allen Menschen ehrwürdig macht, so ist es nicht die Herrlichkeit des Thrones, noch der Purpur und das Gold oder die Waffenmacht, sondern der heilige Charakter von Stellvertretern Gottes, der euch hier angeordnet hat zu Herrschern über die Menschen, sein Ebenbild, den Gegenstand seiner Liebe, die er höher schätzt, als die ganze sichtbare Schöpfung. Sie wallen von der Erde zum Himmel, zu ihrem Könige und Vater, der sie dort erwartet, um sie als seine Kinder auf den Thron zu erheben. Euch hat er aufgetragen, ihren Zug durch Belohnung und Strafe zu leiten, aber ihn zu leiten zu jenem hohen Ziele, wo er sie erwartet. Stellvertreter und Diener des Allbeherrschers, wer es immer wagt, euere Fürstensorgen auf den bloßen Glanz des irdischen Thrones zu beschränken, der ist ein Bösewicht, der euch gegen Gott empört, ein Betrüger, der euch in den ewigen Tod stürzt. Wer es wagt, sie bloß auf das irdische Wohl der Untertanen zu beschränken, der ist ein Verräter der Völker, die der Himmel euerem Zepter anvertraut hat. Der sieht an dem Menschen nur das Tier, der verkennt an ihm das unsterbliche Wesen, das Kind Gottes, das nur auf Erden ist, um zum Allerhöchsten hinzueilen, sich der Hoheit würdig zu machen, die im ewigen Reiche seiner harrt; der macht euch zu Viehtreibern und nicht mehr zu Menschenführern. Irdische Väter und Hirten der Menschenfamilie, deren Vater Gott ist, damit ich euch endlich mit euerem wahren Namen nenne, wenn ihr durch euere Herrschaft dem Willen und den liebevollen Absichten des Königs, durch den ihr regieret, dienet, so erscheint ihr mir nicht anders mehr, als Engel Gottes auf Erden. Ich sehe erhabene Throne für euch im himmlischen Reiche sich erheben. Dort sehe ich strahlende Kronen von unvergänglichem Edelgestein für euch bereitet. Dort werdet ihr leuchten gleich blitzenden Sternen am Firmament.

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