Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 77. Psalm.

Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 77. Psalm.

1. Ein Psalm Assaphs für Jedutun, vorzusingen. 2. Ich schreie mit meiner Stimme zu GOtt, zu GOtt schreie ich, und er erhört mich. 3. In der Zeit meiner Not suche ich den HErrn, meine Hand ist des Nachts ausgereckt, und lässt nicht ab; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen. 4. Wenn ich betrübt bin, so denke ich an GOtt; wenn mein Herz in Ängsten ist, so rede ich, Sela. 5. Meine Augen hältst du, dass sie wachen; ich bin so ohnmächtig, dass ich nicht reden kann. 6. Ich denke der alten Zeit, der vorigen Jahre. 7. Ich denke des Nachts an mein Saitenspiel, und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen. 8. Wird denn der HErr ewig verstoßen, und keine Gnade mehr erzeigen? 9. Ists denn ganz und gar aus mit seiner Güte? Und hat die Verheißung ein Ende? 10. Hat denn GOtt vergessen gnädig zu sein, und seine Barmherzigkeit vor Zorn verschlossen? Sela. 11. Aber doch sprach ich: Ich muss das leiden; die rechte Hand des Höchsten kann Alles ändern. 12. Darum gedenke ich an die Taten des HErrn, ja ich gedenke an deine vorige Wunder, 13. Und rede von allen deinen Werken, und sage von deinem Tun. 14. GOtt, dein Weg ist heilig. Wo ist so ein mächtiger GOtt, als du, GOtt, bist? 15. Du bist der GOtt, der Wunder tut; du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern. 16. Du hast dein Volk erlöst gewaltig, die Kinder Jakobs und Josephs. Sela. 17. Die Wasser sahen dich, GOtt, die Wasser sahen dich, und ängsteten sich, und die Tiefen tobten. 18. Die dicken Wolken gossen Wasser, die Wolken donnerten, und die Strahlen fuhren daher. 19. Es donnerte im Himmel, deine Blitze leuchteten auf dem Erdboden; das Erdreich regte sich, und bebte davon. 20. Dein Weg war im Meer, und dein Pfad in großen Wassern, und man spürte doch deinen Fuß nicht. 21. Du führtest dein Volk, wie eine Herde Schafe, durch Mose und Aaron.

Der 77. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Ein Psalm Assaphs, vor Jedutun vorzusingen. Assaph beschreibt in diesem Psalm eine scharfe Versuchung, in die er gekommen, da er das Angesicht des HErrn nicht so gnädig finden konnte, als sonst. Da stellt er dann Andern seine darüber gehabten Übungen zur Lehre vor, damit sie durch Geduld und Trost seiner Schrift, auch für sich Hoffnung schöpfen, wenn Gleiches über sie käme, und lernten: wie beim gläubigen Gebrauch der gemeinsten Mittel die Kraft GOttes unter unserer Schwachheit zum Zweck komme. Zu diesem Ende fasste er nun 2) wie in einem Eingang Alles summarisch zusammen, unter was für Not und Ernst er sich zu GOtt gedrungen habe, V. 24. Da scheint es zwar, als wenn die Erhörung nicht so lange ausgeblieben wäre, aber dabei ist zu merken, dass ein solcher Psalm erst nach überstandener Not ist gemacht worden; daher Assaph den Notstand und die gnädige Erhörung und Hilfe GOttes bat so nahe zusammen nehmen können. Was aber dazwischen hineingekommen ist, das beschreibt er im Psalm weiter kläglich genug. So gibt es oft auch in unseren Kirchenliedern Stellen, wo z. E. die Sündennot, Gewissens-Angst und der Trost GOttes und die Freudigkeit dar: aus nahe in wenigen Versen zusammen genommen werden. Aber da muss man nicht meinen, dass es auch in der Erfahrung gerade so hurtig auf einander gehe, als hurtig es sich nach einander hersagen lässt, sondern es kann oft einen ziemlichen Weg geben, bis man von einem Vers in den andern überschreiten kann. Inzwischen hat es doch seinen Grund und guten Nutzen, dass Angst und die Genesung aus derselben so nahe zusammen kommt. Denn es findet sich doch beim guten Ausgang, dass einem doch GOtt mitten in der Angst nahe gewesen ist, und dem, der in der Not steckt, macht dies ein gutes Herz, dass der Schritt in die das Herz erquickende Gnade GOttes nicht ferne sei.; 3) Sodann aber bekennt er, wie ihn die Hilfe eine Weile ferne gedäucht habe, und wie er darüber in die Enge gekommen sei, V. 5-10. Ein redlicher Bürger in Stuttgart sagte auf seinem Totenbette: es sei ihm einmal zu einer Zeit der Demütigung nichts übrig gewesen, als dem HErrn zu sagen: HErr JEsu, Du weißt doch, wie ich Dich ehemals geliebt, gesucht, genossen, gelobt habe, das heißt: ich denke der alten Zeit, ich denke der Saitenspiele, mein Geist muss forschen, warum es denn jetzt meinem Bedenken nach so gar ein Anderes mit mir geworden ist? 4) Doch fährt er nun fort, und zeigt, wie er nach und nach aus der Angst und Not genesen sei, und womit er seine Seele gesetzt und gestillt habe, V. 11-16. Da kommt einer auf die rechte Spur, wenn einer anfängt unter dem Leiden sich für schuldig zu erkennen, und sich selbst zu verschmähen, und es für seinen angemessenen Teil annimmt, wenn es einer aufgibt, den Trost und Frieden aus seinem eigenen Herzen herauszugraben, hingegen merken lernt, wie Alles aus den Worten und Werken GOttes, unter Betrachten, Beten, Singen, Danken, in unser Herz einfließen muss. Unter solchen heilsamen Übungen kann man sich eines Teils der Trägheit, und andern Teils der finsteren Geschäftigkeit erwehren, seiner selbst auf eine heilsame Weise vergessen, und im Element der allgemeinen Gnade GOttes verschnaufen. Daher auch der Psalm 5) zuletzt mit einer tröstlichen Betrachtung der Werke GOttes an Seinem Volk beschlossen wird, V. 17-21. Das ist in allen Wegen GOttes die zierliche Herrlichkeit, dass Er offenbaren und verbergen, so mit einander verbinden, und also den Glauben zumal stärken und üben kann. Wo Er ist am besten mit, da will Er‘s nicht entdecken.

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autoren/r/rieger_k/rieger-psalmen-psalm_77.txt · Zuletzt geändert: von aj
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