Monod, Adolphe - Der Apostel Paulus - Seine Bekehrung.

Monod, Adolphe - Der Apostel Paulus - Seine Bekehrung.

Dritte Rede.

Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden wider die Jünger des HERRN und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe gen Damaskus an die Schulen, auf daß, so er etliche dieses Weges fände, Männer und Weiber, er sie gebunden führte gen Jerusalem. Und da er auf dem Wege war und nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: HERR, wer bist du? Der HERR sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken. Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du, daß ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen und waren erstarrt; denn sie hörten die Stimme, und sahen niemand. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen auftat, sah er niemand. Sie nahmen ihn bei der Hand und führten ihn gen Damaskus; und er war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht. Es war aber ein Jünger zu Damaskus mit Namen Ananias; zu dem sprach der HERR im Gesicht: Ananias! Und er sprach: Hier bin ich, HERR. Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Gasse, die da heißt „die gerade“, und frage im Hause des Judas nach einem namens Saul von Tarsus; denn siehe, er betet, und hat gesehen im Gesicht einen Mann mit Namen Ananias zu ihm hineinkommen und die Hand auf ihn legen, daß er wieder sehend werde. Ananias aber antwortete: HERR, ich habe von vielen gehört von diesem Manne, wieviel Übles er deinen Heiligen getan hat zu Jerusalem; und er hat allhier Macht von den Hohenpriestern, zu binden alle, die deinen Namen anrufen. Der HERR sprach zu ihm: Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug, daß er meinen Namen trage vor den Heiden und vor den Königen und vor den Kindern von Israel. Ich will ihm zeigen wieviel er leiden muß um meines Namens willen. Und Ananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der HERR hat mich gesandt (der dir erschienen ist auf dem Wege, da du her kamst), daß du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. Und alsobald fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er ward wieder sehend und stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus aber war eine Zeitlang bei den Jüngern zu Damaskus. Und alsbald predigte er Christus in den Schulen, daß derselbe Gottes Sohn sei. Sie entsetzten sich aber alle, die es hörten, und sprachen: Ist das nicht, der zu Jerusalem verstörte alle, die diesen Namen anrufen, und darumm hergekommen, daß er sie gebunden führe zu den Hohenpriestern? Saulus aber ward immer kräftiger und trieb die Juden in die Enge, die zu Damaskus wohnten, und bewährte es, daß dieser ist der Christus.
Apost, 9,1-22,

Wie der Baum, so der Keim. Einem so hervorragenden Christenthum, wie dasjenige, welches wir beim Apostel Paulus kennen gelernt haben, muß eine Bekehrung vorausgegangen sein, die alle gewöhnlichen Verhältnisse übertrifft. Und in der That: Die Bekehrung Sauls von Tarsus ist auch nächst den Thaten Christi und des Heiligen Geistes das größte Ereigniß des Urchristenthums.

Ich will mich jedoch weniger bei der Größe der Begebenheit, als bei ihren eigenthümlichen Merkmalen aufhalten; denn wenn Paulus unsern Blicken vorgeführt wird, so geschieht es nicht, damit wir ihn rühmen und preisen, sondern um durch ihn belehrt zu werden. An einer Musterbekehrung will ich diejenige Bekehrung verstehen lernen, deren ein Jeder von uns bedürftig ist, um seinerseits sich an dem Werke zu betheiligen, zu welchem Gott in unsern Tagen Sein Volk beruft; diese Musterbekehrung aber finde ich in Saulus von Tarsus. Bei diesem wahrhaft außerordentlichen Menschen ist Alles, Natur und Gnade, so stark ausgeprägt, daß die Praxis beinahe den Werth einer Theorie besitzt; unter allen Zügen der Ähnlichkeit, die er mit seinem Meister hat, ist wohl keiner überraschender als dieser. Man ist versucht zu behaupten, daß er im natürlichen Zustande mehr Mensch und im Zustande der Gnade mehr Christ ist als irgend ein anderer Christ. Wie man an einem Raphael die Malerei und an einem Dante die Poesie studirt, weil sich aus der Höhe, zu welcher sich solche Geister emporgeschwungen, die Malerei im Maler und die Dichtkunst im Dichter zu verkörpern scheint, so erforscht man das Evangelium fast ebenso sicher in der Person des Apostels Paulus als in den Blättern der Schrift: erkennt in diesem Apostel das Apostelamt, in diesem Heiligen die Heiligkeit, in diesem Gläubigen den Glauben und ebenso auch in diesem Bekehrten die Bekehrung.

Suchen wir daher in der Bekehrung Sauli die Merkmale jeder wahren Bekehrung zu erfassen: was sie ist, wohin sie führt und woher sie kommt, ihr Wesen, ihr Ziel und ihren Ursprung. Wir gehen auf diese Weise in den Gedanken des Apostels selbst ein; denn er spricht: „Darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, auf daß an mir vornehmlich Jesus Christus erzeigete alle Geduld zum Exempel denen, die an Ihn glauben sollten zum ewigen Leben“.

Was ist die Bekehrung? Diese Frage beantwortet die Bekehrung Sauls durch Thatsachen. - Nirgends - und hierin erkennt man das Wort Gottes - sagt unser Text: Saul bekehrte sich; aber er zeigt ihn uns, wie er ganz neue Werke thut, und überläßt uns die Schlußfolgerung auf seine gänzliche Herzensumwandlung. Ein Blick auf das, was er vor und was er nach seiner Bekehrung war, genügt, um diese Aenderung zu erkennen. Nach derselben ist Paulus ein Apostel oder vielmehr der Apostel Christi, der vielmehr gearbeitet hat, denn sie alle, und uns in seiner Person das vollendetste Vorbild christlichen Glaubens und Lebens hinterlassen hat; vor seiner Bekehrung ist Saulus ein Gotteslästerer (wie er selbst sagt, sonst würde mir die Ehrfurcht diesen Ausdruck nicht erlauben), ein Verfolger, ein Unterdrücker, welchen die Gnade Gottes nur mit der Unwissenheit, in der ihn sein Unglaube erhielt, zu entschuldigen vermag. Wie begreiflich erscheint uns da das Erstaunen seiner Zuhörer in Damaskus, die, indem sie ihn Christum als Sohn Gottes bekennen hörten, sich entsetzten und sprachen: „Ist das nicht, der zu Jerusalem verstörte alle, die diesen Namen anrufen, und darum hergekommen ist, daß er sie gebunden führe zu den Hohenpriestern?“

Denkt euch, ihr wäret mit der Apostelgeschichte unbekannt, und nun sagte man euch: Es gab einen Menschen, Namens Saulus, welcher die Lehre Christi bis an den Tod verfolgte und Männer und Weiber band und ins Gefängniß überantwortete, der oft von Synagoge zu Synagoge ging, sie zum Gotteslästern zwang und sie peinigte, der wuthentbrannt sie verfolgte bis in fremde Städte, und von Jerusalem nach Damaskus eilte, um die daselbst waren, gebunden zu führen gen Jerusalem, daß sie gestraft würden. Und nun sagte man euch weiter: Es gab einen Menschen, Namens Paulus, der mit größerem Eifer als irgend ein Anderer sich dem Dienste Christi widmete; welcher, wie sein Meister, nur für das Heil der Kirche lebte und starb, die grausamsten Verfolgungen der Juden und Heiden nicht achtete und selbst sein Leben nicht für zu theuer hielt, bis er das thätigste und hingebendste Wirken, das die Erde jemals gesehen, durch den Märtyrertod krönte. Würdet ihr glauben, daß diese beiden Menschen eine und dieselbe Person sind? Wohlan, versuch es, Saulus und Paulus mit einander zu verschmelzen: die Schwierigkeit, auf welche ihr dabei stoßt, gibt euch einen Maßstab für die Beurtheilung einer christlichen Bekehrung und für den großen Unterschied, der zwischen ihr und Allem, was sie nicht ist, besteht.

Die Bekehrung ist nicht allein eine Aenderung des Lebenswandels. Wir sehen nicht, daß in dem Leben Sauls etwas zu tadeln gewesen sei. Er beruft sich in dieser Beziehung kühn auf das Zeugniß seines ganzen Volkes, das ihn von Jugend auf gekannt. Wir können ihn uns nicht anders denken als wohlanständig in seinen Sitten, rechtlich in Geschäften, pünktlich in frommen Opfern, großmüthig in Werken der Barmherzigkeit, kurz, als einen geachteten und achtungswerthen Mann. Bei alledem war Saulus noch Saulus, und Paulus hatte noch nicht begonnen. - Die Bekehrung ist nicht blos eine, wenn auch innerliche Unterwerfung unter das Sittengesetz. Ohne Zweifel war Saul im höchsten und vollsten Sinne des Worts ein sittlicher Mensch, welcher bis zur Entsagung und Selbstverleugnung den eignen Willen der Pflicht unterordnete. Er gibt sich in dem Brief an die Philipper das Zeugniß, er sei nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen unsträflich, und diese Gesetzesgerechtigkeit war für einen gewissenhaften und gläubigen Juden keine Kleinigkeit, es war, wie Petrus sagt, ein schweres Joch, „welches weder wir, noch unsere Väter haben tragen können“. Aber bei alledem war Saulus noch Saulus und Paulus hatte noch nicht begonnen. - Die Bekehrung ist ferner nicht blos eine, wenn auch aufrichtige Annahme gewisser religiöser Grundsätze. Saul war ein gläubiger Israelit, ein eifriger Jude, ein strenger Pharisäer, der strengsten einer, dem Gesetz unterthan, ein Diener des wahren Gottes, der den Messias erwartete, ebenso gewissenhaft in der Beobachtung, als in der Vertheidigung aller mosaischen Vorschriften. Aber bei alledem war Saulus noch Saulus und Paulus hatte noch nicht begonnen, - Die Bekehrung ist endlich auch nicht nur eine stufenweise Entwicklung, eine fortschreitende Veredlung der guten Anlagen, die wir in Saul kennen gelernt haben. Hätten sich diese auch ein Jahrhundert lang entwickelt und vervollkommnet, sie hätten doch nur hervorbringen können, was sie im Keim enthielten; immer wäre Saulus Saulus geblieben und Paulus hätte nie begonnen.

Die Bekehrung ist der Ausgangspunkt eines neuen, dem früheren in seiner ganzen Richtung entgegengesetzten Lebens - dies deutet schon das Wort selbst an, welches eine Umkehr und eine Veränderung des Weges ausdrückt. Saulus wird durch sie nicht besser, sondern er wird ein anderer Mensch; er ist seinen Grundsätzen nicht treuer geworden als ehedem, sondern seine Grundsätze selbst sind andere geworden; was er für schlecht hielt, hält er nun für gut; was er Licht nannte, nennt er jetzt Finsterniß; er macht die persönliche Erfahrung von dem, was er später so kräftig in den Worten ausdrückt: „Ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden“ (2 Kor. 5, l7). Es ist ein neuer, ihm vorher ganz unbekannter Keim in das Innerste seines Wesens gelegt worden: Dieser Keim aber ist der Glaube an Jesum Christum, den Sohn Gottes. Was er früher im Gesetz suchte, das sucht er von nun an nur in der Gnade; was er von seiner eigenen Gerechtigkeit erwartete, das erwartet er nur noch von der Gerechtigkeit Gottes in Christo. Uebrigens hat er sich selbst nach der Natur gezeichnet in jenen so wahren als feurigen Worten: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Ja ich achte noch Alles für Schaden der überschwänglichen Erkenntniß Christi Jesu, meines Herrn, gegenüber, um welches willen ich Alles dargegeben habe und achte es für Unrath, auf daß ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, daß ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird“ (Phil. 3. 7-9).

Das ist Sauls Bekehrung; wir haben sie erkannt an ihren sichtbaren Früchten und erforscht in ihrem verborgenen Keime. Saul ist von dem Tage, der Stunde, dem Augenblicke an bekehrt, wo er sich als schlecht, unwürdig, verloren und aller Gerechtigkeit vor Gott auf immer ermangelnd erkennt, wo er in allen seinen Hoffnungen auf das ewige Leben Christi Namen an die Stelle des eigenen setzt und sich ohne Rückhalt vor dem Kreuze niederwirft als ein armer Sünder, der keine andere Zuflucht auf Erden hat als das Blut des Lammes Gottes. Aber von dem Tage, der Stunde, dem Augenblicke seiner Bekehrung an geht dieser Saulus ganz ein in den Geist, die Gedanken und das Werk des Heilandes, der ihn erkauft hat. Er deckt sich nicht blos mit Seinem Namen, sondern er bekleidet sich mit Seiner Gerechtigkeit und wird Eins mit Ihm in seinem ganzen Wesen, Wie er nur durch Christum lebt, so lebt er auch nur für Christum, welcher nun Keim und Frucht, Anfang und Ende, das Alpha und Omega seines neuen Lebens geworden ist.

Jede wahre Bekehrung nun beginnt wie die des Saulus und endigt auch wie diese. Sie beginnt damit, daß Christus vor Gottes Augen im Herzen lebt und regiert; sie schließt damit, daß Christus in den Werken, vor den Augen der Menschen lebt und regiert und sie durch den Gegensatz des alten und des neuen Lebens nöthigt zu sagen, wie man von Paulus zu Damaskus sagte: Ist das nicht der, den wir früher ganz anders kannten? So sehr ist der Bekehrte umgewandelt, so sehr hat man Mühe, ihn wieder zu erkennen. Ist dieser jetzt so pflichtgetreue und so nachgiebige Mensch nicht eben jener, dessen Empfindlichkeit durch den leisesten Vorwurf gereizt, dessen Eigenwille durch den geringsten Widerspruch aufgeregt wurde? Ist dieser, der jetzt so sanft, so ehrfurchtsvoll und ernst erscheint, nicht derselbe, welcher früher bei dem geringsten Anlaß aufbrauste, es mit Gott und Menschen aufnehmen wollte und mit weltlichem Leichtsinn den heiligen Namen Gottes in die gewöhnlichsten, gemeinsten und unwürdigsten Angelegenheiten mischte? Ist dieser freigebige Mensch, der die Gelegenheit, Gutes zu thun sucht und in seinem Vermögen nur ein von Gott seiner Treue anvertrautes Gut sieht, nicht derselbe, von dem man sonst nur mit Mühe einen mäßigen Beitrag für die Sache des Herrn oder zur Unterstützung der Armen erlangen konnte? Ist dieser Mensch, der jetzt ein Leben des Gebets, der Entsagung, der geheiligten Thätigkeit und der hochherzigen Hingebung führt, nicht derselbe, der ehedem in den Lustbarkeiten der Welt, in ihren Festen, Eitelkeiten und Lüsten sein Vergnügen fand?

Lebt so, daß man von euch dasselbe sagen kann: dann ist eure Bekehrung eine wirkliche Bekehrung; dann nehmt ihr euren Platz in der Wirksamkeit des Volkes Gottes ein, - aber auch nur dann! O ihr, die ihr euch schmeichelt, dem Herrn anzugehören, und ihm, wie ich hoffe, auch wirklich angehört, ruhet und rastet nicht, bis ihr vor Aller Augen von eurer Bekehrung durch das Leben eines neuen Menschen, welches in ruhmvollem Gegensatz zu eurem alten Menschen steht, Zeugniß abgelegt habt! Aber von den nichtssagenden Bekehrungen, die kaum gewisse Verstandesbegriffe und Lebensgewohnheiten berühren und in dem angeblich Bekehrten seine Interessen, seine Verschwendungs- und Zerstreuungssucht, seinen Geiz, seine Habsucht, seine Begierden, vielleicht alle seine früheren Laster bestehen lassen, von denen redet mir nicht angesichts der Bekehrung eines Saulus von Tarsus.

Sehen wir nun ferner, wohin diese Bekehrung führt; ich meine, welchen Einfluß sie auf die Welt ausübt. Daran werdet ihr den Werth eurer eignen Bekehrung in den Augen der Menschen schätzen lernen, wenn sie die Merkmale trägt, die wir bei der Bekehrung des Saulus wahrgenommen haben.

Der durch die Bekehrung des Saulus hervorgebrachte Eindruck war ebenso tief als weitgreifend, und zwar zunächst bei den Juden von Damaskus. „Sie entsetzten sich Alle, die es hörten. Saulus aber ward je mehr kräftig und trieb die Juden in die Enge, die zu Damaskus wohnten, indem er bewährte, daß dieser ist der Christ.“ Gleich darauf gewahrt man dieselbe gewaltige Wirkung in allen christlichen Gemeinden Judäa's, welche diese Nachricht mit Staunen und zugleich mit Trost erfüllte und sie antrieb, „Gott zu preisen über ihn“. Später bemerkt man denselben Einfluß in der ganzen Welt bei Allen, zu denen das Christenthum dringt, sie sehen darin eine sichtbare, handgreifliche Bestätigung der Macht und Wahrheit des Evangeliums. Paulus selbst kannte den Segen seiner Bekehrung für die Welt so gut, daß er vorzugsweise aus ihr die Beweisgründe für das von ihm verkündigte Evangelium schöpfte. Unter den fünf Reden, die uns in der Apostelgeschichte von ihm aufbewahrt sind, behandeln zwei seine Bekehrung, nicht zu gedenken der wiederholten Anspielungen auf dieselbe, die in seinen Briefen vorkommen. Bei dem jüdischen Volke, bei Agrippa, bei den Gemeinden, bei Allen rechnet er auf den Eindruck, welchen ein so sichtbares Einschreiten Gottes für die Lehre Christi auf jedes aufrichtige Gemüth ausüben muß.

Und er hat Grund, darauf zu rechnen. Nächst der Auferstehung des Herrn und der Ausgießung des heiligen Geistes gibt es in der evangelischen Geschichte kein Zeugniß, welches der Bekehrung Sauls von Tarsus gleich käme. Man hat dies zu allen Zeiten gefühlt, und mancher denkende Geist, den kein Blatt der heiligen Schrift überwinden konnte, hat sich vor dieser Erzählung für besiegt erklärt. Ich begreife es leicht, und auch dem Ungläubigsten unter euch wird es so gehen, wenn sie sich nur die Mühe geben wollen, die Erzählung meines Textes ohne Vorurtheil zu erwägen.

Ein junger Jude, durch Geburt und Verwandtschaft in seinen religiösen Vorurtheilen bestärkt, der strengsten Richtung der strengen Sekte der Pharisäer angehörig, ein Schüler Gamaliels, aber eifriger als sein Lehrer, oder doch durch die neue Stellung, in die des Stephanus Kühnheit das Evangelium gebracht, weiter fortgerissen als dieser, glaubt Gott zu dienen, wenn er die Jünger Jesu bis zum Tode verfolgt. Er macht sein Probestück beim Märtyrertode des Stephanus, und der Anblick dieses ersten Blutes erregt nur um so mehr seine Wuth. Nachdem er sein Werk mit Drohen und Morden in Jerusalem und Judäa vollendet hat, spricht er den hohen Rath um die Gunst an, dasselbe in den auswärtigen Städten fortsetzen zu dürfen, - gerade wie der Apostel Paulus später seinen Ruhm darin fand, das Evangelium in Gegenden zu verpflanzen, wohin es noch nicht gedrungen war. Mit Briefen und amtlichen Vollmachten versehen, macht sich Saul auf den Weg nach dem volkreichen Damaskus, wo das Evangelium theils unter den zahlreichen Juden, theils unter den noch zahlreicheren übergetretenen Heiden, besonders unter den Frauen, viel Eingang gefunden hatte. Aber siehe, nahe vor der Stadt geht in seinen Ueberzeugungen und Plänen eine so wunderbare Veränderung vor, daß man ihn in Damaskus nach drei Tagen des Fastens das Amt des Verfolgers Saulus mit dem Amt des Apostels Paulus vertauschen sieht. Das ist die sittliche Thatsache, abgelöst von den übernatürlichen Umständen, die sie in der Erzählung des Lukas begleiten und bei denen ich mich jetzt nicht aufhalte. Wie läßt sich aber diese Thatsache erklären? - denn es gibt so wenig in der sittlichen, wie in der sinnlichen Welt eine Wirkung ohne Ursache.

Wenn das Evangelium wahr, wenn Jesus Christus der Sohn Gottes ist und Gott in die Ereignisse eingegriffen hat, dann ist Alles klar. Gott verschwendet seine Wunder nicht; aber man begreift ohne Mühe, daß Er sich hier derselben bedient hat, um dem Evangelium ein solches Zeugniß zu geben und ihm ein solches Werkzeug zuzuführen. Ist aber Gott nicht eingeschritten, ist Jesus Christus nicht Sein Sohn und ist das Evangelium nicht wahr, wie wollen wir dann die Umwandlung des Saulus erklären?

Man kann nicht daran denken, sie aus dem Eigennutz herzuleiten, aus dieser in jedem nicht wiedergebornen, leider nur zu oft selbst in dem wiedergebornen Menschen so mächtigen Triebfeder menschlicher Handlungen. Die Bekehrung Sauls stand mit allen seinen Interessen zu sehr in Widerspruch; anstatt einer glänzenden Laufbahn voll Ehre, Einfluß und Reichthum ward nun sein Name von seinem Volke verworfen, seine mächtigen Freunde verwandelten sich in Feinde, seine Familie erhob sich aller Wahrscheinlichkeit nach gegen ihn, seine Person wurde zur Zielscheibe der Verfolgung, sein Leben war beständig in Gefahr und früher oder später dem Märthyrertode aufbehalten. Dies Alles ist so klar, daß es überflüssig ist, dabei zu verweilen; in der Bekehrung Sauls ist Alles Uneigennützigkeit, Entsagung und Opfer.

Oder wollen wir die Umwandlung des Apostels auf dem Einfluß anderer Menschen herleiten, dem ja gerade die aufrichtigsten Gemüther am zugänglichsten sind? Konnte der weise und tugendhafte Ananias nicht den Augenblick großer innerer Verwirrung bei Saulus benutzt haben, um ihn von dem Irrthum seiner früheren Ansichten und von der Wahrheit des Evangeliums zu überzeugen? Wir wollen dies einmal annehmen, obgleich dann immer noch die Verwirrung, die der Begegnung Sauls mit Ananias vorherging, unerklärt bliebe; obgleich ferner menschlicher Einfluß zu einer so plötzlichen und gründlichen Umwandlung nicht ausreicht. Ich nehme also an, Ananias habe den Saulus zu überzeugen vermocht; dies wäre aber doch nur möglich gewesen, wenn er ihm gute Gründe angeben konnte, oder mit andern Worten, wenn das Evangelium Wahrheit ist. Im entgegengesetzten Falle läßt es sich gar nicht begreifen, daß ein so von Thatendrang, Leidenschaftlichkeit, Eigenwille und Eigenliebe beherrschter Mann, wie Saul, sich ohne haltbare Gründe ergeben habe, namentlich, da er vermöge seiner Energie mehr gewohnt war, Einfluß zu üben, als zu erleiden, und wenn er auch wirklich auf sich einwirken ließ, wie dies ja auch bei den thatkräftigsten Menschen geschehen kann, doch in diesem Fall dem bescheidenen Einfluß des Ananias einen in Vorurtheilen befangenen Geist und ein entschiedenes Herz entgegenstellte.

Es gibt noch eine dritte Erklärung, auf die man sich mit etwas mehr Schein berufen zu können glaubt: die religiöse Ueberspannung. Ein so feuriger Mensch wie Saul konnte ohne reifliche Ueberlegung von einer Schwärmerei zur andern übergehen. Aber auch diese Vermuthung hält nicht vier Minuten lang Stich für den, welcher sich erinnert, was der Apostel Paulus gewesen ist. War er von Natur überspannt, so konnte diese Ueberspannung gerade im jüdisch-pharisäischen Geiste ihre Befriedigung finden, während er, so wie er Christi Jünger wird, dies Alles ablegt; anstatt sich einer neuen Schwärmerei hinzugeben, bricht er mit der alten. In der That, ein seltsamer Schwärmer, dieser Mann, welcher sogar bei den aufregenden Gelegenheiten „wahre und vernünftige Worte“ spricht, alle seine Maßregeln mit vollendeter Klugheit nimmt, sogar auf seine bürgerlichen und Gesellschaftlichen Rechte mit aller Festigkeit besteht, wenn sie der Sache des Evangeliums dienen, oder ihm ein nur unnützes Leiden ersparen können; ein Mann, der im Interesse seines Amtes sich stets bemüht, bis an die äußerste Gränze der Zugeständnisse zu gehen, welche die Klugheit anräth und das Gewissen erlaubt, „den Schwachen ein Schwacher, den Juden ein Jude wird, denen, die ohne Gesetz sind, wird als ohne Gesetz;“ ein Mann endlich, der dreißig Jahre lang sein Amt in demselben Geiste verwaltet, ohne jemals aus seinem vermeintlichen Traume zu erwachen, selbst nicht im Angesichte des Märtyrertodes, dem er, wie ehemals sein Herr und Meister, eben so sorgfältig ausweicht, als er ihn zu der von Gott bestimmten Stunde hinnimmt!

Nein, nur der Glaube kann dies Räthsel lösen; es sei denn, daß ihr, unfähig, die unbegreifliche Umwandlung Sauls anders zu erklären, in der Verzweiflung an eurer Sache, jene Bekehrung leugnet und die ganze Erzählung meines Textes als Fabel behandelt. Aber seht ihr nicht, daß ihr euch dann eine Schwierigkeit bereitet, die größer ist als alle andern, weil diese Bekehrung, mit der das apostolische Leben Pauli beginnt, uns allein sein ganzes Wirken begreiflich macht? Leugnet die Umwandlung Sauls von Tarsus, immerhin; aber dann sehet zu, wie ihr den Apostel Paulus und die ungeheure Bewegung, die er in der ganzen bekannten Welt verursachte, ohne Grund und Boden gleichsam in der Lust schwebend erhaltet; dies fortdauernde Wunder, dessen Zeuge die Menschheit, dessen Schauplatz Asien und Europa, dessen Ergebniß die erneute Geschichte und Civilisation ist, dessen Frucht ich selber bin, der ich zu euch rede, und ihr, die ihr mir zuhört, - wenn nicht durch den Glauben, den wir von unserm Apostel gelernt, so doch durch die zahllosen Wohlthaten, die wir ihm verdanken. Leugnet immerhin die Bekehrung Sauls; leugnet dann aber auch die Belehrung von halb Asien und ganz Europa; gebt Ephesus der Diana zurück, Athen der Minerva, Paphos der Venus, Rom allen Göttern seines Pantheons, die heidnische Welt ihrer Auflösung und ihrem Fall, Gallien seinen Druiden, seinen Menschenopfern, seiner Barbarei!

Dank sei dir, o mein Gott, daß du mir inmitten so vieler Lehren, an welche ihre Anhänger auf die Länge nur glauben können, wenn sie sich die Augen zuhalten, eine Lehre zu glauben und zu predigen gegeben hast, die ich immer zuverlässiger und wahrer finde, je gründlicher ich sie erforsche, und deren Dunkelheiten, weil sie nur Schatten sind, die unser beschränkter Geist in allen Dingen findet, das reiche und beruhigende Licht so vieler vereinigter Beweise nicht zu trüben vermögen!

Jeder von euch, ihr Christen, füge, gleich dem Paulus von Tarsus, diesen Beweisen den seinigen bei, ich meine nicht durch Worte, nicht einmal durch Werke, sondern einzig und allem durch die That eurer Bekehrung. Und sollte diese Beweisführung auch an Stärke und Klarheit der des Saulus nachstehen, so weiche sie wenigstens, was den Geist anlangt, nicht von ihr ab. Möge die in euch vorgegangene Umwandlung hinreichen, die Wahrheit des Evangeliums zu bezeugen und die Welt zu überführen, daß Jesus der Christ ist. Nöthigt die, welche auf euch blicken, von eurer Bekehrung dasselbe zu sagen, was wir eben von der Bekehrung des Saulus sagten, daß sie sich nur durch die Wahrheit des Evangeliums erklären lasse, indem es bei den vielen herrlichen Früchten, die sie hervorbringt, ebenso unmöglich ist, sie zu verkennen als sie durch irgend ein Interesse, irgend einen Einfluß, irgend eine schwärmerische Uebertreibung zu erklären. Nicht durch irgend ein Interesse, weil eure Uneigennützigkeit und Entsagung in allen Dingen zu sichtbar vorliegen; nicht durch irgend einen Einfluß, weil ihr euch in Bezug auf Menschen zu unabhängig und nur Gott unterwürfig zeigt; durch keine schwärmerische Übertreibung, weil ihr in eurem Thun zu viel Reife, zu viel Klugheit und Besonnenheit beweist. Betroffen von dem scheinbar so geringen Erfolge der Predigt des Evangeliums in unsern Tagen, fragen wir uns, welche Aenderungen geschehen müßten, um sie wirksamer zu machen. Die nothwendigste wäre die, die Predigt von uns auf euch zu übertragen. Wenn wir hier vor Gott versammelt sind, schweigt ihr und wir reden; wenn wir aber die Kirche verlassen, so tauschen wir die Rollen; dann ist’s an uns zu schweigen und an euch zu reden. Ach redet, redet durch die Kraft des heiligen Geistes in euch als ein lebendiges Evangelium, das kräftiger überzeugt und den Menschen näher steht als unser gepredigtes Evangelium; denn unsre Predigt ist nur die eines Augenblicks, die eurige aber die eines ganzen Lebens. Doch, wo sind die Christen, die in dieser Weise predigen? Wo sollen wir die suchen, welche ein unlösbares Räthsel wären, wenn das Evangelium nicht wahr ist? Es gibt allerdings einige, - Gott wolle Seinen Geist und Seine Gnade auf ihnen ruhen lassen! - aber wie selten sind sie! Wie viel leichter wäre es, solche zu finden, die unsre Predigt zu nichte machen, sie des Irrthums und der Ohnmacht zeihen, weil ihre Bekehrung, wenn überhaupt bei ihnen von einer Bekehrung die Rede sein kann, sich nur zu leicht aus menschlichen Gründen, ohne sonderlich viele Geheimnisse und ohne viele Gnadenerweisungen erklären läßt!

Aber woher kommt diese entscheidende Bekehrung, und wie gelangt man zu ihr? Auch dies lernen wir von Saulus aus Tarsus.

Die Bekehrung kommt von Gott. Es ist nicht sowohl der Mensch, der sich zu Gott bekehrt, als Gott, der den Menschen zu sich bekehrt. Noch nie leuchtete die Gnade Gottes sichtbarer und herrlicher hervor als bei der Bekehrung Sauls, der fast wider seinen Willen bekehrt ward. Worin ist Saul Jesu Christo zuvorgekommen? Worin dagegen ist Jesus Christus dem Saul nicht zuvorgekommen? Wahrend Saul Jesum leugnet, haßt und verfolgt, erscheint ihm Jesus, hält ihn auf, wirft ihn danieder, gibt Sich ihm zu erkennen und ändert sein Herz. Eine That der Allmacht, wenn es je eine solche gab, begleitet von einer nicht minder gebietenden Stimme: „Dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug - es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken - ich bin dir erschienen, daß ich dich ordne zum Diener und Zeugen deß, das du gesehen hast, und das ich dir noch will erscheinen lassen, und will dich erretten von dem Volk und den Heiden, unter welche ich dich jetzt sende, aufzuthun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsterniß zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott.“ Ihr seht aus diesen Worten, daß Gott dieselbe Machtvollkommenheit, die Er Saul gegenüber bei seiner Wahl zum Zeugen bewiesen hat, auch bei denen ausüben wird, zu welchen Er ihn sendet, indem Er ihre Herzen seinem Zeugniß öffnet. Erst nachdem Paulus durch die Gnade, die er nicht gesucht hatte, überwunden ist, fängt er seinerseits an, sie zu suchen. „Siehe, er betet!“ - seine Erlösung vollendet sich in der Erhörung des Gebets, das ihm Gott ins Herz und auf die Lippen gelegt hat.

Wie deutlich zeigt sich hier dem Apostel und in ihm auch uns die ebenso mächtige als väterliche Hand Gottes, die unverdient, ungerufen, unerwartet und unerkannt kommt, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist! Wie weit bleiben die Lehrsätze von Gnade, Erwählung, Vorherwissen, Vorherbestimmung hinter der einfachen Thatsache zurück, die wir vor Augen haben! Hier haben wir allen Grund zu sagen, was Paulus später den Römern ohne Zweifel im Hinblick auf seine eigne Geschichte schrieb: „So liegt es nun nicht an Jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ (Röm. 9, 16). Wer wüßte dies besser als du, lieber Bruder Saul? An Jemandes Wollen? Du wolltest das Evangelium aufhalten, und siehe, nun schickst du dich an, es bis ans Ende der Welt auszubreiten! An Jemandes Laufen? Du liefest zur Verfolgung, und siehe, nun gehst du dem Märtyrerthum entgegen! Darum findet unser Apostel kaum Ausdrücke, die kräftig genug wären, um die freie Gnade Gottes, so wie er es gern möchte, zu preisen, und zwar sowohl in dem Werke, welches sie in ihm selber vollendet hat, als auch in dem, welches er in Andern vollendet zu sehen wünscht. „Da es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leibe hat ausgesondert und berufen durch Seine Gnade, daß Er Seinen Sohn offenbarte in mir,“ so schreibt er von sich selbst; und was Andre anlangt, wer hat je deutlicher, kühner, man möchte sagen, naturgemäßer die unbedingt freie Gnade Gottes geschildert! Welcher Leser hätte nicht einmal an diesem oder jenem Verse des achten und neunten Kapitels seines Römerbriefes Anstoß genommen! „Welche Er zuvor versehen hat, die hat Er auch verordnet; welche Er aber verordnet hat, die hat Er auch berufen; welche Er aber berufen hat, die hat Er auch gerecht gemacht; welche Er aber gerecht gemacht hat, die hat Er auch herrlich gemacht.“ Ja, die Bekehrung ist Gottes Werk. Sie ist ein fremder, durch eine andre Hand in unsre Seele gelegter Keim; sie ist eine neue Geburt, ein Auferstehen von den Todten, eine zweite Schöpfung, So wenig es in des Menschen Macht steht, sich im Mutterschoße das Leben zu geben, einen Todten aus dem Grabe zu erwecken, oder eine Welt mehr ins Dasein zu rufen, ebenso wenig vermag er sein eigenes Herz umzuwandeln. Wer ein neues Herz begehrt, muß es sich von dem Gott erbitten, von dem, durch den und zu dem alle Dinge sind. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Dürfen wir darum die Arme in den Schoß legen und ein Wunder erwarten? Hüten wir uns vor diesem Wahn! Sollte euch das, was ihr so eben bei Saul von Tarsus gesehen, zu dieser Meinung veranlassen, so werdet ihr bald eure Täuschung gewahren, wenn ihr diesen Paulus nur näher beobachtet. Ihr habt seine Bekehrung bis jetzt nur erst nach einer Seite hin betrachtet, nämlich in Bezug auf das göttliche, von außen wirkende Element in derselben; es gibt darin aber auch ein menschliches, ein persönliches Element; und wenn es wahr ist, daß das göttliche Element nirgends mehr zum Vorschein kommt als hier, so ist es ebenso wahr, daß auch das menschliche Element nirgends sichtbarer hervortritt.

Wie unumschränkt Gott auch in Saul wirkt, Er wirkt in ihm doch nur wie in einem freien, verantwortlichen Geschöpfe, das Seine Gnade anzunehmen, aber auch zurückzuweisen vermag. Kaiphas hört im Hohenrath, wie Christus über sich selbst noch feierlicher Zeugniß ablegt, als Er es dem Saul gegenüber bei Damaskus gethan hatte, und doch erwacht sein Gewissen nicht, und warum? Weil Kaiphas weniger ein fanatischer als heuchlerischer Priester ist, welcher nur seinem eignen Hochmuth und Ehrgeiz fröhnt, Jesum nur der Form wegen verhört und nur mit verstellter Entrüstung seine Kleider zerreißt. - Bileam ferner wird durch ein noch merkwürdigeres Wunder als die Erscheinung von Damaskus aufgehalten, und dennoch behält er, trotz der seinen Lippen unwillkürlich entrissenen Unterwerfung, dasselbe unwiedergeborene Herz wie zuvor, ehe er seine Thorheit durch eine mit menschlicher Stimme sprechende Eselin bestraft sah. Und warum? Weil Bileam ein Freund des Geldes war, dem es nach dem Lohne der Ungerechtigkeit gelüstete, der aus seiner Sehergabe ein Geschäft und eine Waare machte und sogar im Gebet sein Gewissen einzuschläfern suchte, um sich ungehindert seiner Geldgier hingeben zu können. Mit einem Worte, ihr findet weder bei dem Einen noch bei dem Andern jene Aufrichtigkeit des Herzens, ohne welche Gott, der Herr aller Dinge, zwar auch wirken könnte, ohne die er aber nach Seiner Heilsordnung nicht wirkt und niemals wirken wird. Jede Bekehrung ist ein Bund: die Gnade Gottes verlangt von dem Herzen, welches sie erneuern will, wenn nicht einen Zustand sehnlichen Verlangens danach, so doch eine Bereitwilligkeit sie aufzunehmen in einem leer und öde gebliebenen Raum. Zwischen der materiellen und geistigen Schöpfung bleibt immer der Unterschied, daß der Mensch an der letzteren irgend einen Antheil hat, mag man denselben nun Handlung oder Zustimmung nennen. Ein Kirchenvater sagt mit Recht: „Gott, welcher uns ohne uns geschaffen hat, will uns nicht ohne uns erlösen.“

Dies aufrichtige Herz aber, welches mit großen Irrthümern verbunden sein kann, besitzt Saul, der Verfolger, Unterdrücker und Gotteslästerer, der die Kleider der Mörder des Stephanus aufbewahrt und zur Ermordung desselben seine Hand bietet. Ihr erinnert euch Nathanaels und seiner Vorurtheile gegen Jesum Christum, die aber bei der ersten Begegnung mit ihm weichen, weil sie nur unbewußte Schwachheiten eines wahrhaften Israeliten waren, in welchem kein Falsch ist. Ein solcher Nathanael ist Saul, aber ein Nathanael in vergrößertem Maßstabe, bei dem Gott eine ungeheure Steigerung der Vorurtheile zuläßt, um zugleich der Wahrheit, welche dieselben überwinden sollte, eine außerordentliche Entwicklung zu verleihen. Der Anblick des sterbenden Stephanus würde Nathanael längst besiegt haben; aber Saul ergibt sich nicht, er ist nur um so wuthentbrannter gegen Den, welchen Stephanus so glaubensvoll anruft und in welchem er so friedvoll entschläft. Und doch, sollte nicht dieser Anblick in Saul's Herzen die erste Unruhe, den ersten heilsamen Zweifel erweckt haben? Sollte nicht diese Unruhe, dieser Zweifel, den er anfangs als eine lästige Versuchung zurückstößt, und der sich dann in Bitterkeit und Gewaltthat umwandelt, den Weg gebahnt haben für den Vorfall bei Damaskus? Saul, der Mörder des Stephanus, Saul der Jünger und Nachfolger des Stephanus - welche Tiefe, welches Erbarmen! Wie dem auch sei. Alles, was Paulus uns von sich selbst sagt. zeigt ihn uns vor seiner Bekehrung als hartnäckigen, aber überzeugten Juden, als eifrigen, aber auch aufrichtigen Pharisäer, der von seinen Voreltern her Gott dient mit reinem Gewissen. Ja, erkennt ihr nicht sogar in der Reise nach Damaskus trotz der beklagenswerthen und verbrecherischen Verirrung Sauls seinen blinden Eifer Gott zu dienen, wie der Herr selbst es bezeugt hat? Wer hat in dem Augenblicke, wo der Haß zum Gehorsam übergeht und Saulus Paulus wird, die eines Nathanaels würdigen Worte: „Was willst du, das ich thun soll?“ gesprochen? Wem gehören sie an? noch dem Saulus, oder schon dem Paulus? Sie gehören beiden an. Glaubt nicht, daß der Uebergang vom Saulus zum Paulus ein plötzlicher und unvermittelter gewesen: Etwas vom Paulus war im Saul. und im Paulus erinnert noch manches an Saul. Es gibt eine verborgene, geheimnißvolle Stelle im Menschen, „verhohlen vor den Augen aller Lebendigen, auch verborgen den Vögeln unter dem Himmel,“ wo die Gnade mit der Natur, das Werk Gottes mit dem Werke des Menschen, das neue Leben mit dem alten, Paulus der Apostel mit Saul von Tarsus zusammenhängt. Diese Stelle ist das Gefühl, welches uns sprechen läßt: „Was willst du. das ich thun soll?“ aber uns dies nur sprechen läßt je nach der Erleuchtung des Augenblicks, gestern zu dem Gotte Mosis, heute zu dem erst dunkel erkannten Gott Jesu Christi.

Nennt diese Auslegung nicht vermessen; ich habe sie von guter Hand, von dem Apostel Paulus selbst. „Ich danke Dem, der mich hat stark gemacht, Christo Jesu, unserm Herrn, daß Er mich treu geachtet hat, und gesetzet in das Amt; der ich zuvor war ein Lästerer, Verfolger und Schmäher; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren; denn ich habe es, unwissend gethan, im Unglauben“ (1 Tim. 1, 12 und 13): - ein sehr beachtenswerthes, tiefes und lehrreiches Wort. Nicht als ob der Unglaube Pauli an den Herrn und die Unwissenheit, worin er durch diesen Unglauben erhalten wird, ihm einen Anspruch auf die göttliche Barmherzigkeit gegeben hätte. Wer macht weniger Ansprüche als unser Apostel, und wo weniger als grade hier? Er kennt nur Ansprüche auf die Verdammniß, er, der vornehmste unter den Sündern, den Christus darum Barmherzigkeit widerfahren ließ, um vornehmlich an ihm alle Seine Geduld zu erweisen. Aber diese Unwissenheit machte ihn der Gnade zugänglich, während eine bewußte und freiwillige Widersetzlichkeit sein Herz unüberwindlich gegen sie verschlossen hätte. Er hat seine Bekehrung nicht durch seine Unwissenheit verdient; weil er aber unwissend ist, so gehört er nicht zu den Unbußfertigen und Verhärteten, für welche selbst die Gnade, nachdem sie alle Rettungsmittel erschöpft hat, keine Hoffnung mehr besitzt. Saul sucht, obgleich er noch Saul ist, Gott auf seine Weise, indem er in dem Dunkel des Gesetzes „umhertastet;“ ungefähr wie Ihn später Luther in seiner Zelle zu Erfurt durch seine Kasteiungen und Bußübungen suchen mußte. Darum legt Gott einem Luther die Bibel auf seinen Weg und läßt einem Paulus Jesum begegnen.

Verlangt ihr daher nach der Gnade Gottes, die Saul widerfuhr, so wartet nicht, um euch Gott zu ergeben, auf ein Wunder, - der Apostel hat nicht darauf gewartet, und hätte er darauf gewartet, so wäre es ihm nicht zu Theil geworden; - bringt, wie er, Gott ein Herz entgegen, das sehnsüchtig danach verlangt. Ihn zu erkennen und Ihm zu dienen. Dann wird sich Gott auch euch offenbaren, und wäret ihr auch ebenso blind wie Saulus; auch ihr werdet dann die Wahrheit des Wortes unsers Erlösers erfahren: „So Jemand will den Willen thun meines Vaters im Himmel, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede.“ Muß ich euch darauf aufmerksam machen, wie sehr dieser Grundsatz von dem abweicht, den die um Wahrheit und Heiligkeit gleich unbekümmerte Welt in den oberflächlichen Worten herumzutragen pflegt: „Es kommt weniger auf den Glauben als auf die Redlichkeit an?“ Die Redlichkeit, die Jesus meint, und von der Saul beseelt ist, sucht Gott und folgt Ihm nach, wenn sie Ihn gefunden hat; sie schließt schon einen Anfang des Glaubens in sich, kurz, sie ist eine wahrhaftige Redlichkeit. Bringt ein Herz mit, das Gott sucht, das bereit ist, Alles zu thun, um Ihn zu finden. Alles zu leiden, um Ihm zu gefallen, und baut dann auf Seine Gnade, daß sie Sein Werk in euch vollende und euch zu dem eurigen vorbereite. Habt ihr ein solches Herz? Wenn ihr es habt, so wird euch Alles wohl gelingen: habt ihr es nicht, so täuschet euch nicht: und wenn ihr auch hundert Jahre alt würdet, jeden Sonntag die besten Predigten hörtet, täglich die Heilige Schrift läset und von den gläubigsten Christen umgeben wäret, ihr würdet euch nie bekehren. Nichts, gar nichts auf der Welt ersetzt die Einfalt eines aufrichtigen Herzens, nichts, weder in der Natur, noch in den Ereignissen, noch in den Menschen, noch in Gott selbst. Gott, erlaubt mir den kühnen Ausdruck, Gott kann die, welche kein aufrichtiges Herz haben, so wenig bekehren, als Jesus Wunder thun kann für die, welche nicht an Ihn glauben. Er kann es nicht, weil Er es nicht will, und Er will es nicht, weil Er es vermöge Seiner Heiligkeit nicht wollen kann.

Im Anfange meiner Rede sagte ich: wie der Baum, so der Keim; am Schlusse sage ich: wie der Keim, so der Baum. Eine wahrhafte und gründliche Bekehrung, wie die des Saulus, die für das Evangelium Zeugniß ablegt, eine Frucht der Gnade in jedem aufrichtigen Herzen ist, eine solche Bekehrung ist die eigentliche Lebenskraft in dem heiligen Kriege, zu welchem ich euch anwerben möchte. Schafft mir solche Bekehrungen und ich will euch ein zum Dienste Gottes williges Volk schaffen! Ihr aber, die ihr bis dahin fern vom Erlöser und Seiner Gnade gelebt habt. Ihm aber gern angehören möchtet, „heute, so ihr Seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht!“ Vor allem ihr, meine Brüder und Schwestern, die ihr die Gnade erkannt und dem Heiland schon gedient habt, aber nicht die Kraft in euch fühlt, jene neue Laufbahn, zu der ich euch auffordere, zu vollenden; ihr Christen, in deren Christenthum nichts von einem Paulus, ihr Bekehrten, in deren Bekehrung nichts von einem Saulus ist, kehret um, kehret um zu der Stelle, von der ihr ausgingt, stärket euch an der Quelle des Lebens, und damit euer Christenthum acht und wahr sei, so lasset eure Bekehrung zu einer ächten und wahren werden!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/monod/monod-der_apostel_paulus/dritte_rede.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain