Frommel, Max - Am zweiten Weihnachtstage.

Frommel, Max - Am zweiten Weihnachtstage.

Das ewige Licht geht da herein,
Gibt der Welt ein'n neuen Schein,
Es leuchtet mitten in der Nacht
Und uns zu Lichtes Kindern macht.
Halleluja.

Licht - das ist unsere Weihnachtsfreude in dem Herrn. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und die da wohnen im Schatten des Todes, über denen scheint es helle.“ Licht das predigen die brennenden Christbäume in den Häusern, das predigt draußen in der Natur die Sonnenwende, auf welche das Weihnachtsfest so tiefsinnig gelegt ist; Licht das predigt die Krippe in Bethlehem und der Strahlenglanz der Engel auf seinen Fluren, das singen unsere Weihnachtslieder:

Dies ist die Nacht, da mir erschienen
Des großen Gottes Freundlichkeit.
Das Kind, dem alle Engel dienen,
Bringt Licht in meine Dunkelheit,
Und dieses Welt- und Himmelslicht
Weicht hunderttausend Sonnen nicht.

Das Licht ist erschienen in Jesu Christo, der da sagen durfte: „Ich bin das Licht der Welt.“ Die Morgenröte ging vor ihm her, von der die Propheten rufen: „Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt.“ Sonnenstrahlen umgeben ihn, wo er dahinwandelt, dass wir mit dem Psalm rufen: „Licht ist das Kleid, das du anhast,“ und mit dem Apostel bekennen: „In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen; Er ist das wahrhaftige Licht, das in die Welt gekommen ist und alle Menschen erleuchtet.“ Wie Gott im Anfang in das Chaos der Weltschöpfung hineinrief: Es werde Licht, so rief Er in der Fülle der Zeiten in das Chaos der Weltgeschichte hinein den Erlösungsruf zum andern Male: „Es werde Licht“ und es ward Licht in Jesu Christo, dem Sohne Gottes und des Menschen Sohn.

Von diesem Lichte flammt und leuchtet das Weihnachtsfest, von diesem Lichte strahlt die Ostersonne, von diesem Lichte brennen die feurigen Zungen an Pfingsten. So lodert auf allen Bergen der Schrift, auf allen Höhen unserer Feste das Licht Gottes. In dem hellen Schein dieses seligen, fröhlichen, gnadenbringenden Lichtes wollen wir heute feiern und die Großtat unserer Erlösung in dem goldenen Rahmen eines ergreifenden alttestamentlichen Vorbildes betrachten, wie es geschrieben steht:

1. Mose 28,10-17.
Aber Jakob zog aus von Beer Seba und reiste gen Haran und kam an einen Ort, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein des Orts und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an demselbigen Orte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, Abrahams deines Vaters Gott und Isaaks Gott; das Land, da du auf liegst, will ich dir und deinem Samen geben. Und dein Same soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen den Abend, Morgen, Mitternacht und Mittag; und durch dich und deinen Samen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht lassen, bis dass ich tue alles, was ich dir geredet habe. Da nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Gewiss ist der Herr an diesem Ort, und ich wusste es nicht. Und fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte. Hier ist nichts anders denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.

Der Patriarch Jakob ist auf der Flucht. Hinter ihm liegt seine Sünde, welche ihn aus dem Vaterhause getrieben hatte, vor ihm liegt sein Weg dunkel und sorgenvoll. Er ist allein in der weiten schweigenden Einsamkeit, fern von Vater und Mutter, von aller menschlichen Hilfe verlassen. Da ergreift ihn Bangen, der Abend sinkt, die tiefen Schatten fallen daher, es wird Nacht um ihn in der furchterregenden Wüste. Müde von der Wanderung hat er auf die Erde sich gebettet und einen Stein zum Kissen sich erwählt. Da steigt ein Traum, ein hellglänzendes Bild vor seiner Seele auf: er sieht eine Leiter zwischen Himmel und Erde und erfährt so im Gesicht, dass der Herr mit ihm ist. „Gott mit uns, Gott mit mir, Immanuel - das ist der ganze Inhalt seines Gesichts, darum nennt er den Ort Bethel, zu deutsch: Gottes Haus, und salbt den Stein zum Altar und betet Den an, der ihm so nahe getreten. Wohlan, was Jakob im Gesicht geschaut, das ist in Christo erfüllt, und was er gesehen zu Bethel, das ist erfüllt in Bethlehem. Denn

Jesus Christus ist unsere Himmelsleiter geworden.

  1. Durch ihn kommt Gott zu uns herab,
  2. Durch ihn steigen wir zu Gott hinauf.

Jesu, schöne Weihnachtssonne,
Bestrahle mich mit deiner Gunst,
Dein Licht sei meine Weihnachtswonne
Und lehre mich die Weihnachtskunst,
Wie ich im Lichte wandeln soll
Und sei des Weihnachtsglanzes voll.

I.

Jakob sieht im Traum eine Leiter, welche auf der Erde stand und deren Spitze bis in den Himmel reichte, und die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Er sieht es gibt eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, eine geheimnisvolle Brücke zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt, ein Herüber und Hinüber, ein Herab und Hinauf, es gibt eine Straße, auf welcher der Himmel herniedersteigt und auf welcher die Engel Gottes immer unterwegs sind mit Einem Wort: es gibt eine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen.

Dieser höchste und tiefste Liebesgedanke Gottes steht hier in einem so lieblichen, einfachen und doch so unbeschreiblich schönen Bilde vor unsern Augen, dass wir unwillkürlich staunen müssen über die Schönheit der heiligen Schrift, wie sie uns die tiefsten Gottesgedanken und die höchsten Rätsel unsers Lebens in einem Bilde löst, welches auch das Kind ahnend in seinem Busen tragen und an seinem Teile verstehen kann. Dieser Grundgedanke, dass im Ratschluss der Ewigkeiten Gott es abgesehen hat auf eine Gemeinschaft zwischen Ihm und den Menschen, auf eine Verbindung Himmels und der Erde, bildet geradezu den Alles beherrschenden Mittelpunkt und Alles umfassenden Inhalt der Schrift. In Zeichen und Sinnbildern, in Weissagung und Verheißung durchzieht er das Alte Testament: Noah sieht, nachdem die Wasser des Gerichts sich verlaufen, den Regenbogen strahlen über der neu hervorgehenden Erde auch eine Brücke zwischen Himmel und Erde und auch ein Zeichen und Bürgschaft der Gnadengemeinschaft Gottes mit den Menschen; Jakob sieht die Himmelsleiter, Salomo baut den Tempel, die Wohnung Gottes bei den Menschen, auch ein Zeichen und Unterpfand der Gnadengegenwart Gottes unter seinem Volk. Bei allem Bewusstsein von Sünde und Schuld wusste Israel von diesen Friedensgedanken Gottes, und neben dem Strafwort des Propheten: „Eure Sünden scheiden euch und euren Gott,“ geht durch das ganze Alte Testament der Seufzer aller Heiligen: „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab!“

Aber nun komm mit nach Bethlehem: „Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war, und was sie prophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit.“ über der Krippe wölbt sich der ewige Regenbogen, von welchem es heißt: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ Zu Bethlehem steht unsere Himmelsleiter in Wahrheit: ihre Spitze reicht in den Himmel, denn Christus ist wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren; und ihr Fuß steht auf der Erde, denn er ist wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren; und draußen auf Bethlehems Fluren steigen. die Engel Gottes auf und nieder und singen von dem Einzig Einen, in welchem der Himmel auf die Erde gekommen ist. Ja, Christus selbst bezeichnet sich als diese Himmelsleiter, welche der Patriarch im Traume geschaut, wenn er (Joh. 1,51) sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn.“ Denn Er ist in Person die Brücke zwischen Himmel und Erde, Er ist in Person als der Gottmensch die wesenhafte Gemeinschaft Gottes mit der Menschheit. Hier ist die wahre Hütte des Stifts und der Tempel Gottes in der Menschheit, denn „in Ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig.“

Wer mit dieser Leuchte des Worts in den dunkeln Stall zu Bethlehem tritt, wer mit geistgeöffnetem Auge auf das Kind in der Krippe blickt, der sieht in dunkler Nacht da prangen die lichte strahlende Himmelsleiter, er sieht die Engel Gottes auf und niedersteigen, es schlagen Stimmen an sein Ohr: Prophetenstimmen und Apostelstimmen, Engelstimmen und Hirtenstimmen, und über die schlafenden Völker hin tönt ihr harmonischer Chorgesang: Der Himmel ist auf die Erde gekommen. Und wenn ich dann stehe und blicke von Bethlehems Krippe rückwärts und vorwärts, so ergreift mich's mit wunderbarer Gewalt: das erste Wort der Bibel lautet: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde,“ und auf dem letzten Blatt der Bibel schaut Johannes Jerusalem, die heilige Stadt Gottes, die Braut Christi, die Gemeinde der Erlösten, die gerettete Menschheit aus dem Himmel herabfahren auf die Erde zur Hochzeit des Lammes; er sieht, wie der neue Himmel und die neue Erde bilden werden die Hütte Gottes bei den Menschen, den ewigen Tempel. Anfang und Ziel aber ergeben den Gang der Entwicklung. So ergibt sich der ganze große wunderbare Liebesgedanke Gottes, dass der Himmel auf die Erde kommen sollte, damit die Erde in den Himmel aufgenommen würde; dass Gott zu den Menschen kommen und in Christo bei ihnen wohnen wollte, damit der Mensch zu Gott kommen, in Ihm ruhen, in Ihm ein- und ausgehen sollte. Diese Entgegenbewegung des Himmels zur Erde ist der tiefste Inhalt der Weltgeschichte im Großen, und die selige Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, vermittelt durch die Himmelsleiter Jesus Christus, den Gottmenschen, ist der höchste Liebesgedanke des Schöpfers und Vollenders der Welt.

Vom ersten Schöpfungstage und von der letzten Vollendungsstunde blicke ich nun in die Fülle der Zeiten, in die Mitte der Weltgeschichte. Ich blicke nach Bethlehem und sehe dort, wie der Himmel zur Erde sich neigt, weil Gott selbst Mensch wird. Ich sehe erfüllt das Wort des Propheten Haggai (2,7): „Ich will Himmel und Erde, das Meer und das Trockne bewegen, da soll denn kommen aller Heiden Trost, spricht der Herr Zebaoth.“ Nun lichtet sich Alles: nun steht der ganze Liebesratschluss erfüllt in Christo: „Gott ist offenbart im Fleisch.“ Nun verstehe ich das Alte Testament mit seinem Sehnen, das Neue Testament mit seinem Jubel, nun verstehe ich die Botschaft des Engels: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.“ Nun verstehe ich, warum an diesem Kinde Jesus, an diesem Manne Christus Alles wunderbar sein muss: weil in Ihm der Himmel auf die Erde gekommen, die Ewigkeit in der Zeit erschienen, weil in Ihm Gott Mensch geworden ist. Denn nur so ist Er unsere Himmelsleiter geworden. Halleluja.

Kommt und lasst uns gehen gen Bethlehem und knien an seiner Krippe und mit dem Patriarchen sprechen: „Wie heilig ist diese Stätte! Gewiss ist der Herr an diesem Orte, und Bethlehem wusste es nicht. Hier ist nichts anders denn Gottes Haus und die Pforte des Himmels.“ Diese Anbetung der Liebe Gottes an Bethlehems Krippe sollte unsere tiefste Weihnachtsfreude und unser eigentlicher Gottesdienst an diesem Feste sein. Das wäre meines Herzens Verlangen, dass ich euch werben und laden, euch bitten, als Botschafter an Christi Statt bitten möchte: „Kommt, lasst uns Anbetung bringen unserm Gott“; dass ich es euch vor Augen malen möchte: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass Er uns seinen eingebornen Sohn gab, damit wir sollen Gottes Kinder heißen“; dass ich als ein Prediger zu Zion meine Stimme aufheben könnte mit Macht und zu Jedem von euch, auf das Christkind in der Krippe weisend, sagen könnte mit bittender Gewalt: „Siehe, da ist euer Gott.“

II.

„Aber wer glaubt unserer Predigt und wem wird der Arm des Herrn offenbart?“ Wer unter euch will sich aufmachen und gen Bethlehem kommen? Wer zeucht seine Schuhe aus und will anbeten an heiliger Stätte und an der Pforte des Himmels? Nur wer erkannt und geglaubt, dass Christus für ihn vom Himmel herniedergestiegen, wer mit Jesaias singen kann: „Mir ist das Kind geboren,“ wer es inne geworden: dazu ist Jesus die Himmelsleiter geworden, damit ich durch Ihn in den Himmel komme. Ohne Ihn gibt's für mich keinen Weg in den Himmel, denn „Niemand kommt zum Vater denn durch Ihn.“

Meine Lieben, die Menschen haben wohl andere Wege versucht, sie haben aus eigner Vernunft und Kraft Sprosse um Sprosse herstellen wollen, um in den Himmel zu steigen, aber die Sprossen brachen entzwei und die Leiter stürzte. Die Heiden erzählen jene Sage von den Titanen, welche Stein auf Stein, Fels auf Fels, Berg auf Berg türmten, um den Himmel zu stürmen, aber ihr trotziges Tun endet mit dem Sturz in die Tiefe. Was die Sage von den Titanen dichtet, das kündet in der Urzeit die Geschichte des Babelturms, da die Menschen Ziegel auf Ziegel, Stockwerk auf Stockwerk setzten zum Turm, des Spitze in den Himmel reichen sollte aber ihr trotziges Tun endete mit der Verwirrung der Sprachen und mit der Zerstreuung in alle Lande. Und was der Babelturm begonnen, das haben die Weltreiche und ihre Weltherrscher neu aufgenommen, den himmelstürmenden Versuch, aus eigner Vernunft und Kraft den Himmel zu erobern und das Paradies auf Erden herzustellen aber ihr trotziges Tun endete mit dem Ruin und Untergang der alten Welt. Und seitdem haben es Tausende und Abertausende versucht, ohne Gott in diesem Leben auszukommen, oder sich einen Himmel auf Erden zu schaffen ohne Gott, die Einen, indem sie hoch hinaus wollen mit Macht und Pracht, die Andern, indem sie mit scheinbarer Genügsamkeit ihr kleines Gärtchen zum Paradiese und ihr Haus zu ihrem Heiligtum machen wollen. Aber ohne Gott, ohne den lebendigen dreieinigen Gott, ohne Gemeinschaft mit dem Vater durch den Sohn im heiligen Geist wird das Paradies zur Wüste und das Haus zum Götzentempel. Und solcher Turmbau und Paradiesbau endet mit der Wehklage über das verlorene Glück unter den Dornen und Disteln, unter den Gräbern und Träbern der Erde. - Meine Lieben, der himmelstürmende Titane er stammt her von jenem Samenkorn satanischer Lüge: „Ihr werdet sein wie Gott,“ und wird sich einst vollenden in dem Antichristen, der sich in den Tempel Gottes setzen und vorgeben wird, er sei Gott. Dieser Titane sitzt aber von Natur in jedem Menschen und heißt: Ich. So lange der Mensch, groß oder klein, sein eigner Regent, sein eigner Prophet, sein eigner Hoherpriester und Versöhner, mit Einem Wort: sein eigner Gott sein will, so lange geht er den Weg der Titanen. Aber dieser Weg führt nicht in den Himmel, sondern in die Hölle.

Wer aber es erkannt, dass menschliche Vernunft keinen Weg in den Himmel weiß, und menschliche Kraft keine Leiter in den Himmel zu Stande bringen kann, wer es in seinem Gewissen unter Schmerz und Angst empfunden, dass unsere Sünde die Scheidewand. zwischen Gott und uns bildet, dass er vor allen Dingen Vergebung seiner Sünde bedarf, wenn er der Gemeinschaft mit Gott froh werden soll: dem gehen die Augen auf und über, wenn er in Bethlehem erblickt, wie der Sohn Gottes den Himmel zerrissen, nicht in der Pracht des Gerichts, sondern in der Niedrigkeit der Liebe, in der Niedrigkeit des Stalles und der Krippe, in der Niedrigkeit des hilflosen Kindes, geboren von einem Weibe, in der Niedrigkeit eines Lammes, das der Welt Sünde trägt. Er sieht in Bethlehems Krippe die große Himmelsleiter aufgerichtet, die dann auf Golgathas schauriger Höhe gen Himmel ragt und zwischen Himmel und Erde Den zeigt, der der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist. Der beugt dann in Bethlehem und auf Golgatha seine Knie und betet an unter dem offenen Himmel und spricht mit Jakob: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anders denn Gottes Haus und die Pforte des Himmels.“ Ja, meine Lieben, Christus allein ist die Himmelsleiter, aber der Glaube allein, der aus der Tiefe der Buße Christum ergreift, steigt die Sprossen hinan und wirft sich an das Herz seines Vaters als verlorener und wiedergefundener Sohn. Dieser Glaube allein feiert selig Weihnachten, weil er singen kann:

Heut schleußt er wieder auf die Tür
Zum schönen Paradeis,
Der Cherub steht nicht mehr dafür,
Gott sei Lob, Ehr und Preis.

Aber wo liegt denn für uns Bethlehem und Bethel, dass wir dort unter dem offenen Himmel anbeten möchten? Wir fassen Christum nur in seinem Wort und Sakrament, darum steht unser Bethlehem und Golgatha, unser Bethel in seiner Kirche als der Stätte, wo Christus uns begegnet und wir Ihm begegnen, wo wir feiern nicht vor einem abwesenden Christus, sondern vor dem in seinem Wort und Sakrament wahrhaftig gegenwärtigen Christus. Wie es aber Gottes Ziel mit uns ist, dass der Himmel auf die Erde und die Erde in den Himmel komme, so ist es unsere Freude, Weihnachtsfreude, Osterfreude, Pfingstfreude, Freude in all unsern Gottesdiensten, dass hier, wenn wir in unserm Bethel, im Hause Gottes versammelt sind um sein Wort und Sakrament, der Himmel zu uns herabkommt; und wenn wir im Glauben singen und beten, so steigen wir zu Gott in den Himmel hinein, ruhen an seinem Vaterherzen und in seinem Vaterschoß, wandeln unter den Engeln und freuen uns mit unaussprechlicher Freude auf den Tag, wo wir schauen werden, was wir hier geglaubt. Sag' ich zu viel, dass hier in unsern Gottesdiensten die Himmelsleiter aufgerichtet steht und Himmel und Erde sich begegnen? Siehe, Alles, was Gott von oben herab an uns tut, ist Gnadenmittel: Er redet mit uns in seinem Wort, Er handelt mit uns in der Taufe, Er naht sich uns im heiligen Abendmahl. Alles, was wir von unten hinauftragen, ist Opfer, unser Beichten, unser Beten und Lobsingen, unsere inwendige Hingabe an Ihn das ist Opfer, wie es von der Erde zum Himmel flammt. Gnadenmittel und Opfer, Gottes Gabe von oben und unser Dienst von unten das ist das Wesen unserer schönen Gottesdienste. Im Gnadenmittel tut sich der Himmel über uns auf und kommt zu uns herab, im Opfer steigt unsere Seele durch Christum zum Vater empor. So sind unsere Gottesdienste in Wahrheit rechte Bethels, und wer so feiert, der sagt auf seinem Kirchstuhl: Wie heilig ist diese Stätte! hier ist nichts anders denn Gottes Haus und die Pforte des Himmels!“ Ja, in unsern Gottesdiensten ist die Erde zum Vorhof des Himmels geworden, zum Vorschmack der Ewigkeit, wo einst Himmel und Erde geeint sein werden in der Vollendung, wo Alles, was wir empfangen, Sakrament sein wird und alles was wir tun, Opfer sein wird. So trägt der Blick von Bethlehems Krippe bis hinaus ins ewige Sakrament und ins ewige Opfer.

Aber lasst mich fragen: Ist euch dies Haus ein Bethel, dahin ihr gerne kommt, um anzubeten inmitten der Gemeinde und der Gemeinschaft eures Gottes froh zu werden? Wenn es so wäre, so würde dies Haus jeden Sonntag so voll sein, wie es heute ist. Zwar kann mit Freuden bezeugt werden: es haben Viele Gottes Haus und Gottes Wort liebgewonnen, aber noch sind Andere zurück, denen die Glocken so manchen Sonntag vergeblich läuten. Wenn Johannes der Täufer dem König Herodes bezeugen musste: „Es ist nicht recht, dass du deines Bruders Weib hast,“ so muss solchen, welche Jahr aus und ein so selten zur Kirche kommen, im Namen Gottes bezeugt werden: Es ist nicht recht, dass du das Haus deines Gottes, wo Er dich erwartet, versäumst und seine Einladung verachtest. Wollten wir schweigen gegen diese Sünde, deren sich ein gut Teil unter uns schuldig macht, siehe, so würden die Steine dieses Gotteshauses schreien und die leeren Kirchstühle euch verklagen. Aber mehr: es ist Einer, der so wehmütig über euch klagt, der da gesagt hat: „Wie oft habe ich euch versammeln. wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.“

Des Werktags aber, am Morgen und am Abend, da mache dein Kämmerlein zu deinem Bethel. Jakob hatte es mitten in der Wüste gefunden und war so froh über Gottes Gnadennähe, dass er sprach: „Gewiss ist der Herr an diesem Orte, und ich wusste es nicht.“ Er war nicht allein in der schweigenden Einsamkeit, Gott war bei ihm und seine Engel, und ob ihm die Pforte des irdischen Vaterhauses verschlossen war, so sollte ihm die Pforte des Himmels doch allzeit offen stehen. So darfst auch du von deinem stillen Kämmerlein sagen: „Hie ist nichts anders denn Gottes Haus und die Pforte des Himmels“: die Engel Gottes tragen mein Gebet hinauf und tragen Gottes Erhörung, Heil und Hilfe von oben herab. Selbst im Leiden, im dunkeln Tal wirst du lernen mit Jakob sagen: „Gewiss ist der Herr an diesem Ort, und ich wusste es nicht“; denn Er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende.

Was Jakob im Traume geschaut, das hat ihm der Herr ausgelegt mit den Worten der Verheißung: „Siehe, ich bin mit dir und ich will dich nicht lassen, bis dass ich dir tue alles, was ich dir geredet habe.“ Und Jakob hat die Verheißung tief ins Herz geschlossen, und als er einst in der Nacht mit dem Herrn rang, da klang sie wie ein Echo aus tiefster Brust herauf: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Aber Bethlehem ist mehr denn Bethel, und in Christo ist uns mehr gegeben, als Jakob verheißen ward. Darum soll auch bei uns zusammenklingen, was bei Jakob so herrlich zusammenklang: Verheißung von oben: Ich will dich nicht lassen, bis ich dir tue alles, was ich dir geredet habe, und der Glaube von unten: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Wo solches geschieht, da ist Gemeinschaft zwischen Gott und der Seele; wo der Herr seine starke Hand in der Verheißung von oben herabstreckt, und der Glaube mit seiner Hand von unten hinauf einschlägt, da ist Vereinigung Himmels und der Erde, da wohnt der Himmel durch das Wort im Herzen, und das Herz wohnt durch den Glauben im Himmel. Da ist es helle geworden von oben und innen, da brennt der Christbaum im Herzen mit hellen Kerzen.

Der Herr aber schenke uns allen solche Christfeier in den Herzen, in den Häusern, in der Gemeinde. Amen.

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autoren/f/frommel_max/frommel_max_-_1._weihnachtstag.txt · Zuletzt geändert: von aj
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