Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 8. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 8. Betrachtung

So groß ist Christus! Paulus hat uns in das Reich der Schöpfung hineingeführt, und uns gezeigt, dass Christus das Haupt der ganzen Schöpfung ist. Nun führt uns der Apostel in das Reich der Gemeinde hinein, und siehe! auch dieser Schöpfung Haupt ist Er.

Christus, das Haupt der Gemeinde.
Kap. 1,18: Er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde, welcher ist der Anfang und der Erstgeborne von den Toten, auf dass er in allen Dingen den Vorgang habe.

Hier lernen wir: 1.) was Christus der Gemeinde ist, 2.) wodurch, und 3.) warum er das geworden ist.

1.

Er ist das Haupt des Leibes der Gemeinde. Was wird verstanden unter der Gemeinde? Es bedeutet das Wort nach der Grundsprache eine Versammlung Gerufener, Berufener, gleichsam einen Ausschutz aus der Menschheit. Das Evangelium ist wie eine Stimme Gottes ausgegangen in die Welt, und alle nun, die durch das Wort nicht nur gerufen sind, sondern die sich auch durch die Kraft dieses Wortes haben herausrufen und aussondern lassen aus der Welt, dass sie gläubig geworden sind, die werden die Gemeinde genannt. Wie steht nun die Gemeinde da? Nicht als eine Menge unverbundener Christen, sondern das Band einer göttlichen Ordnung und Harmonie verknüpft sie alle. Lassen wir uns nicht täuschen durch den äußeren Schein. Die Gemeinde oder Kirche, mit den Augen des Leibes angesehen, entbehrt der Ordnung und Zusammenstimmung. Da finden wir Trennung nach Ort und Zeit, finden Verschiedenheit nach Alter, Stand und Beruf, finden Parteien, die sich unter einander bekämpfen, finden die verschiedensten Bekenntnisse, Einrichtungen usw. Fast scheint es, als ob nichts so sehr in sich zertrennet, zerfallen, zerrüttet sein könne, als es die Kirche Christi auf Erden ist. Aber vor dem Auge des Glaubens verschwindet dieser Schein. Wir glauben an eine heilige, christliche Kirche, und glauben, dass alle Glieder dieser Kirche zu einem herrlichen Ganzen verbunden sind. Es ist mit der Kirche, wie es mit dem Sternenhimmel ist, vor dem wir stehen. Die verschiedensten Sterne erblicken wir dort, Sonnen, Wandelfterne, Kometen, und das natürliche Auge vermag in der Bewegung der Sterne keine Ordnung zu entdecken, sondern es scheint hier alles durch einander zu gehen. Aber hat die Sternkunde dir die Augen des Geistes geöffnet, so stehest du da Einheit, wo zuvor nur Trennung, und stehest da Harmonie, wo zuvor nur Disharmonie zu sehen war. So ist auch Ordnung und Harmonie in der Gemeinde des Herrn. Paulus bestätigt das in unserm Texte, indem er von einem Leibe der Gemeinde redet. Sind nicht, wie verschieden auch die Teile des Leibes sind, doch alle verbunden zu Einem Ganzen? und wirken nicht, wie mannichfaltig auch die Kräfte sind, doch alle Kräfte zu Einem Ziele hin? Bilden nicht alle Teile vereinigt eine wunderbare Harmonie, so dass man sagen muss, es gibt in der großen Menge der Kreaturen nichts Schöneres, nichts Herrlicheres als den menschlichen Leib? Eben darum nun nennt Paulus die Gemeinde einen Leib. Sie ist ein geistlicher Leib, in dem wir Christen als Glieder zu Einem Ganzen und zu Einem göttlichen Zwecke verbunden sind. Wehe den Christen, wenn sie es vergessen, dass sie Glieder an dem heiligen Leibe Christi sind! Nun sagt uns Paulus, in welchem Verhältnis Christus zu diesem geistlichen Leib steht. Er ist das Haupt des Leibes. Dies Wort weist zum Ersten auf die enge, unzertrennliche Verbindung Christi mit den Gläubigen hin. Nicht seine Lehre ist es, nicht sein Beispiel, wodurch wir mit Ihm in Verbindung stehen, sondern er selbst wird genannt, als der seiner Kirche und jedem Gliede seiner Kirche so nahe steht, wie das Haupt dem Leibe und jedem einzelnen Gliede desselben. Zum Andern weist das Wort auf die hohe Würde Christi hin. Ist nicht das Haupt nach seiner Stellung und nach seinen Verrichtungen des Leibes höchster und edelster Teil? So nun sind wir unter Christo verbunden als unserm Haupt, und je größer der Leib ist, der ja nicht nur über die ganze Erde, sondern bis in den Himmel hinein sich erstreckt, der alle Seelen umfasst, die erlöst sind bis jetzt und die noch werden erlöst werden, desto größer muss die Herrlichkeit und Würde dessen sein, unter dem sie alle verbunden sind. Zum Dritten zeigt das Wort die Regierung an und die Fürsorge, deren die Glieder der Gemeinde sich zu erfreuen haben. Ist nicht in dem Haupte gleichsam der Thron, worauf das verborgene Wort mit der dreifachen Krone der Macht, Weisheit und Liebe sitzt? Siehe, so waltet Christus über uns, und sein Geist regiert aller Christen Herzen und Wege bis in die verborgensten Örter der Welt. Endlich weist noch das Wort auf den Segen hin, der von Christo über die Gemeinde, wie vom Haupte Leben und Bewegung über alle Glieder des Leibes ausgeht. Was wir lesen Eph. 5,29: Der Herr nährt und pflegt die Gemeinde, das bestätigt die Erfahrung, wonach ja alles, was wir alle an Erkenntnis, Licht, Kraft, Frieden, Freude, Trost besitzen, ein lebendiges Wasser ist, das wir mit dem Eimer des Glaubens und des Gebetes aus dem Brunnen unsers lieben Herrn und Heilandes schöpfen.

2.

Eine so hohe Stellung hat Christus zu der Gemeinde, er ist ihr Haupt. Wodurch ist er das geworden? Paulus nennt als das Mittel die Auferstehung „welcher ist der Anfang, der Erstgeborne von den Toten.“ Wie? wird nicht des Menschwerdens, nicht des Leidens, nicht des Sterbens Christi gedacht? Hat der Herr nicht durch sein Blut sich seine Gemeinde erworben? Warum redet denn Paulus so, als ob die Auferstehung alles in allem wäre? Wisst, ihr lieben Christen, dass, wenn Christus eine Gemeinde bekommen sollte, es nicht genug war, dass er starb und begraben ward. Das Samenkorn der Erlösung, das in der Erde lag, konnte erst Früchte tragen, nachdem es wieder emporgekommen war und sich verklärt hatte zur Auferstehungspflanze. Wer kennt nicht die große Bedeutung, welche die Auferstehung des Herrn für die Entstehung der Gemeinde oder Kirche hatte? Wie der Sonnenaufgang Leben in die Schöpfung bringt, so dass die Blumen ihren Kelch aufschließen, die Vögel ihr Lied anstimmen, und alles sich reget und bewegt, was einen Odem hat: so kam auch durch die Auferstehung Christi Leben in seine Jüngerschaft und durch diese wieder Leben in die Welt. Wie große Dinge geschahen nicht in Folge der Auferstehung! Die Jünger wurden de heiligen Geistes voll, fingen an zu predigen und gingen hin in alle Welt. Nun erst begann der heilige Geist sein großes Werk der Berufung, Sammlung, Erleuchtung, Heiligung. Kurz, die Kirche verdankt ihr Dasein und ihr Leben der Auferstehung unsers Herrn. Darum wird Christus als der Auferstandene der Anfang genannt, nämlich der Anfang des Lebens, das über die Gemeinde und durch die Gemeinde über die Welt gekommen ist. Wie er das A und der Anfang der irdischen Schöpfung ist, so ist er auch das A und der Anfang der geistlichen Schöpfung geworden als der Erstgeborne von den Toten. Zwar waren schon andere vor ihm von den Toten auferstanden, wie zur Zeit des alten, so zur Zeit des neuen Testaments. Lazarus stand von den Toten auf, der Jüngling zu Nain, die Tochter des Jairus wurden auferweckt. Aber hier ist ein doppelter Unterschied. Zum Ersten: sie kehrten in das irdische Leben zurück und mussten noch eins mal sterben: Christus aber, von den Toten erweckt, starb hinfort nicht, der Tod hatte keine Gewalt mehr über ihn. Zum Andern: sie sind auferstanden wie Sterne aufgehen, die keinen Tag machen, Christus aber ist durch seine Auferstehung der Begründer unsers Lebens geworden. Sein Leben war der erste Ring in der großen unendlichen Lebenskette, worin wir alle als Ringe eingeschlossen sind.

Was vor ihm lebendig ward und nach ihm lebendig wird, alles ward und wird durch ihn lebendig. Gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig, wie er auch selber sagt: „Ich lebe und ihr sollt auch leben, ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Also nicht nur der Zeit nach ist er der Erste geworden, sondern auch dem Grunde nach. Der Auferstandene ist für die Kirche der allgemeine Lebens- und Auferstehungsgrund. Wir können nun singen und sagen:

Ich bin ein Glied an Deinem Leib,
Des tröst' ich mich von Herzen,
Von Dir ich ungeschieden bleib
In Todes Not und Schmerzen.
Denn wo Du bist, da komm' ich hin,
Dass ich stets bei Dir leb' und bin,
Drum fahr' ich hin mit Freuden.

3.

Lasst uns nun noch hören, warum Christus das Haupt des Leibes der Gemeinde geworden ist. „Auf dass Er in allen Dingen den Vorrang habe,“ spricht unser Text. Den Vorrang im Reiche der ersten, äußeren Schöpfung hat er als der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Aber der Vater wollte, dass er auch den Vorrang hätte im Reiche der zweiten, geistlichen Schöpfung, und den hat er als der Erstgeborene von den Toten. Wie in jenem Reiche, so sollte auch in diesem alles nicht nur durch ihn, sondern auch zu ihm sein. Es sollte, das war des Vaters Wille, eine Gemeinde, das ist, eine neue Welt entstehen, in der Christi Herrlichkeit offenbar würde, wie sie offenbar geworden ist in der unermesslichen äußeren Schöpfung. Millionen, ja Millionen durch ihn erlöster Seelen sollten ihre Knie vor ihm beugen und bekennen, dass er der Herr sei. Was der Vater wollte, das ist vollendet dadurch, dass Christus der Erstgeborene von den Toten geworden ist. Der erstgeborene Sohn in Israel hatte in alle Wege den Vorrang. Er heißt erste Kraft und erste Macht (1 Mos. 43.). So ist auch des Vaters Macht und Herrlichkeit in Christo dadurch offenbar geworden, dass er ihn auferweckt und ihn zum Erstling gemacht hat unter denen, die da schlafen. Der Erstgeborene in Israel war der Fürst seiner Brüder. So ist Christus durch seine Auferstehung der Fürst der Gemeinde geworden, und wir sollten ihm, dem Auferstandenen, als unserm Herrn gehorsam sein. Der Erstgeborene war der Erbe aller väterlichen Güter, aus dessen Händen die übrigen Kinder das Erbe empfingen. So hat Christus durch seine Auferstehung die Heiden zum Erbe, und der Welt Ende zum Eigentum bekommen, und was seine Erlösten haben und empfangen, das haben und empfangen sie aus seiner Hand. Nun, so habe und behalte denn Christus auch wirklich den Vorrang unter uns, in unserm Glauben, in unserer Liebe und in unserm Gehorsam. Zu Kolossä gab es Irrlehrer, die, aufgeblasen in ihrem fleischlichen Sinn, sich nicht halten wollten an das Haupt (Kol. 2,19.). Paulus führt uns die hohe Würde Christi vor, die er als Haupt der Schöpfung und als Haupt der Gemeinde hat. Damit warnt er uns, dass wir keinen Herrn über Christum sehen sollen. Stellen wir irgend ein Geschaffenes, es sei Moses oder selbst ein Engel im Himmel, über ihn; hängen wir unser Herz an die Welt und leisten der Sünde Gehorsam, so ist's, als sprächen wir: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche. Davor behüte uns Gott! Amen.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_8_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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