Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Die Toten sollen unsere Lehrer sein.

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Die Toten sollen unsere Lehrer sein.

Predigt an dem Gedächtnisfeste der Verstorbenen.

Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn,; darum, wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn! Amen.

Geliebte Gemeinde! Es ist die höchste und heiligste Aufgabe der Religion, das sie alle unsere Gedanken, Empfindungen, Handlungen und Lebensverhältnisse durchdringe, läutere, veredle, heilige. Sie soll uns nicht bloß äußerlich anhaften, sie soll uns durchdringen; wir sollen nicht bloß den Namen von ihr tragen, unser ganzes Wesen soll Zeugnis von ihr und von ihrer Wirksamkeit in unserem Innern geben. Sie soll diese Zeit verbinden mit der Ewigkeit, sie soll unser irdisches Leben verklären zu einem himmlischen Leben. Die Macht der Verwandtschaft, welche wir leiblich mit dieser Erde haben, soll sie entkräften, damit unsere geistige Verwandtschaft mit Gott uns immer mehr zum Bewusstsein komme, uns immer mächtiger zu Gott empor ziehe. Das will vor Allem das Evangelium von Jesu Christo in uns wirken: aus Weltkindern will es uns zu Kindern Gottes umwandeln, und diesen Zweck soll die von dem Herrn in seiner Kirche verordnete Predigt des Evangeliums fördern. So oft wir daher hier zusammenkommen, Geliebte, muss es unser Bemühen sein, dem Gegenstande, welchen wir zu unserer Betrachtung ins Auge fassen, eine solche Seite abzugewinnen, dass auch sie jenem Zwecke diene; wir müssen den rechten christlichen Gesichtspunkt zu gewinnen suchen, der sich hoch über den gewöhnlichen irdischen und menschlichen erhebt. - Unser menschliches Ahnen soll dadurch seine Fortbildung empfangen zum christlichen Glauben; unser menschliches Schwanken soll sich entscheiden zum christlichen Wollen; unser menschliches Fürchten soll sich umgestalten zum christlichen Hoffen; unsere menschliche Zuneigung zur christlichen Liebe, und Alles, was in unserer sündigen Natur dem entgegensteht, soll weichen vor dem Worte Jesu Christi, der sich uns zum Eigentum erkauft hat, damit wir, bleibend an seiner Rede, durchdrungen werden von seinem Geiste und einst mit ihm des Vaters Herrlichkeit schauen mögen. - Soll aber unser ganzes Wesen durch die Religion Jesu geläutert und verklärt werden, so ist auch unser Schmerz gewiss nicht davon ausgeschlossen, und es wird vorzugsweise die Aufgabe des heutigen Festtages sein müssen, der christlichen Verklärung unseres Schmerzes und unserer Trauer nachzudenken. Der Erinnerung an die Verstorbenen ist er ja geweiht, ach! und wir haben Alle unter ihnen Solche, die wir herzlich liebten, in denen wir unser Glück und unsere Freude fanden, so lange sie auf Erden lebten, deren Tod uns in die bitterste Trauer versenkte, ja unser Herz brechen zu wollen schien. Und dieser Schmerz war uns ja so natürlich, war ein solches Bedürfnis unseren Herzen, ein so gerechter Zoll der Liebe und Dankbarkeit gegen die, welche uns auf Erden beglückten, dass er unmöglich gegen das Gebot unserer Religion verstoßen kann. Schlug ja doch in der Brust Jesu das gefühl- und liebevollste Herz; weinte er ja doch selbst mit Lazarus Schwestern um den Gestorbenen, sehen wir ihn seine Mutter, seine Jünger seinen Tod beweinen, sollte denn uns das Gleiche versagt sein? O nein! Die verstehen das Christentum schlecht, welche meinen, es solle den Menschen mit völliger Gleichgültigkeit gegen jede Wendung des Geschickes ausrüsten, und sein Herz dem Schmerze verschließen. Nein, auch ihn will es nur verklären. Es will uns keinen widernatürlichen Zwang auflegen, aber auch unser Schmerz soll das christliche Gepräge tragen. Dies muss sich daher auch in der Art und Weise zu erkennen geben, mit welcher ihr, teure Mitchristen, heute eurer, euch schon entrissenen Lieben gedenkt. Gleich weit von kalter Lieblosigkeit der Erinnerung als von leidenschaftlicher Heftigkeit in der Trauer sei euer Schmerz sich eben so sehr seiner Berechtigung bewusst, als er auch mit Ergebung vor dem sich beuge, dessen allmächtige Hand Wunden schlagen, aber auch heilen kann, und vor dem es uns stets geziemt demütig auszurufen: Er ist der Herr! er tue, was ihm wohlgefällt! Nein, wir sind nicht zusammen gekommen, um durch das Andenken an die Verstorbenen unseren Schmerz von Neuem absichtlich aufzustacheln, und wie es der höchsten Trauer eigentümlich ist, uns mit einer gewissen Genugtuung in derselben zu versenken. Es kann eben so wenig unsere Absicht sein, durch kalte Trostgründe sein Recht abzusprechen, und so die zufrieden zu stellen, denen mit der Liebe auch die Trauer um die Geschiedenen fehlt. Wir müssen etwas Höheres und Besseres suchen; wir müssen danach streben, dass das Andenken an die Verstorbenen uns in dein Trachten nach der christlichen Vollkommenheit fördere! Die Vergangenheit ist die natürliche Lehrmeisterin der Gegenwart. Die Erfahrungen, welche sie uns gewährte, sollen uns Antrieb und Warnung geben, damit wir weise werden. Stand aber irgend etwas uns so nahe, als die Menschen, mit denen wir zusammen lebten, welche durch Bande des Blutes, des Herzens, oder durch die des Berufes und der gemeinsamen Tätigkeit mit uns verbunden waren? Steht ihr Bild nicht noch immer lebhaft uns vor Augen? Ist das Beispiel, dass sie uns geben nicht entweder uns zur Nacheiferung anregend oder uns warnend? Sind die Erfolge, die sie erreichten, oder die Erfahrungen, welche sie selbst, oder wir an ihnen machten, nicht vorzugsweise geeignet, uns als Wegweiser zu dienen für unser ferneres Leben? Darauf lasst uns unsere Aufmerksamkeit hinlenken, meine Geliebten, dann wird die Erinnerung an die Verstorbenen uns förderlich werden für unser eigenes Trachten nach dem ewigen Leben. Die Toten sollen unsere Lehrer sein! Wie und worin? Das wollen wir heute näher erwägen.

(Gesang. Gebet.)

Sprüche Salomo 10,7.
Das Andenken der Gerechten bleibt in Segen; aber der Gottlosen Name wird verwesen.

Das Gedächtnis der Gerechten bleibt in Segen; ihnen folgt die Anerkennung für die Tugend, welche sie übten, die Liebe und der Dank für den Segen, den sie auf Erden verbreiteten. Ob auch ihr sterblicher Leib verwese, ihr Name bleibt in Ehren; sie leben auch hier fort durch die Werke der Frömmigkeit und der Menschenliebe, welcher sie sich einst befleißigten. Anders ist es mit dem Gottlosen. Man gedenkt seiner bald nicht mehr, sein Name verwest mit seinem Leibe. Und das ist für ihn noch der günstigste Fall; denn lebt er fort durch die Größe der Übeltaten, deren Erinnerung er erweckt, so ist jede neue Nennung desselben ein neues Gericht. Wir sind aber weit entfernt irgend solches Gericht heute hier üben zu wollen; das stellen wir dem anheim, der da spricht: Ich will vergelten. Wir wollen aber von den Guten wie von den Bösen lernen. Das lebendiger als sonst erneuerte Andenken an die, welche einst mit uns lebten und bereits heimgegangen sind, soll uns zur Ermunterung und zur Warnung dienen, und so kann das Gedächtnis der Ungerechten wie der Gerechten von gleichem Segen für uns sein, indem uns das Eine eben so stark von dem Bösen abhält, wie das Andere uns zu dem Guten antreibt. Darum sollen die Toden unsere Lehrer sein! d. h. ihre Tugenden sollen uns zu gleichen Tugenden ermuntern, ihre Fehler uns vor gleichen Fehlern warnen, ihr Tod uns an unseren Tod erinnern und ihre Hoffnung auch unsere Hoffnung stärken. Das lasst uns jetzt näher erwägen: Die Toten sollen unsere Lehrer sein, und zwar:

1) Ihre Tugenden sollen uns zu gleichen Tugenden ermuntern.

O es ist ein großes Glück, den Edlen und Frommen im Leben angehört zu haben, und nichts kann das Andenken an die uns entrissenen Lieben süßer machen, als wenn ihr Bild geschmückt mit Tugenden aller Art vor unserer Seele steht. - Wie viel Befriedigung gewährt es uns, wenn wir ihr vollbrachtes Tagewerk überschauen, um aus der guten Frucht, die sie im Leben gebracht haben, auf den Reichtum ihres Herzens zurückzuschließen, aus welchem sie die gute Saat gestreut haben zum Segen für uns, für Alle, die mit ihnen in Verbindung standen und für sich selbst! Daraus können wir auch Beruhigung schöpfen bei dem Gedanken an ihr jenseitiges Los, und wir dürfen uns der freudigen Hoffnung hingeben, dass der gerechte Gott, so sie hier getreu waren, dort mit der unverwelklichen Krone seiner Gnade und des ewigen Lebens sie geschmückt haben werde. - Sind sie, die Edlen und Frommen unseres Geschlechtes es nicht vorzüglich, welche heute euer Gedächtnis euch zurückruft? Treten nicht vor euer inneres Auge die freundlichen Gestalten der teuren Eltern, denen ihr euer Leben, eure Erziehung, eure ganze Ausrüstung für das Leben nächst Gott zumeist verdankt? Gedenkt ihr nicht mit Freude aller der Liebe die sie euch spendeten, der Sorgfalt, die sie auf euch verwandten, der Lehren, die sie euch an das Herz legten? Gedenkt ihr nicht, wie es euch als Kindern darum so schön erschien in eurem Vaterhause, weil Eintracht und Liebe dort herrschten, weil das irdische selbstsüchtige Treiben und die feindseligen Leidenschaften der Welt dort keinen Eingang gefunden hatten, weil Fleiß und sparsames Walten von dort die Not entfernt hielten, und wie die Gefahr, die Einem aus dem Bunde drohte, der Schmerz, der Einen traf, nur dazu diente, die Liebe und Sorgfalt der Anderen für ihn zu erhöhen? Gedenkt ihr nicht der Ehre und Achtung, die den Guten von allen Guten so gern gezollt wurde, der Bereitwilligkeit und Aufopferung, mit welcher sie sich der Förderung gemeinnütziger guter Zwecke hingaben, der Milde, mit welcher sie sich der Unglücklichen erbarmten, des Feuereifers, in welchem sie gegen das Böse entbrannten? - Gedenkt ihr nicht der treuen Lehrer und Freunde eurer Jugend und aller Anregung, die euer Herz und euer Geist durch sie erhielt? Nicht der früheren Gefährten eures Lebens der Genossen eurer Tätigkeit, deren Freundschaft und Treue euch euer Leben schön und eure Arbeit leicht und fruchtbar machte? O, lasst die Toten eure Lehrer sein! Mögen ihre Tugenden euch zu gleicher Tugend ermuntern; mögen sie euch davon überzeugen, dass nur Gottesfurcht, Frömmigkeit und Liebe die wahren Säulen unseres zeitlichen Glücks und unseres wahren Friedens sind. Möge ihr Vorbild euch dazu bewegen, dass auch in eurem häuslichen Kreise immer jene herzliche Eintracht und jene unwandelbare Pflichttreue herrsche, welche allein alle einzelnen Glieder desselben zu einem schönen Ganzen vereinigen kann; dass auch ihr mit allem Eifer dem Triebe der Selbstsucht und den bösen Leidenschaften den Eintritt in euer Herz und Haus wehrt, sondern euch und den Eurigen den anspruchslosen Sinn erhaltet, der allein die Fähigkeit gibt, auch unter den Prüfungen, auch in der Not des Lebens treu auszudauern, und, mit welchem gepaart, die Liebe Alles überwindet. - Soll denn allein die Sünde die Kraft haben, sich gleichsam durch die Ansteckung des bösen Beispieles fortzupflanzen, sollte nicht vielmehr der Tugend dies zustehen, und besonders unter uns, die wir zur Gemeinschaft des Evangeliums berufen und durch dasselbe stets hingewiesen sind auf das erhabenste Vorbild aller Tugend, auf Jesum Christum unseren Herrn? Die der Apostel ermahnt: Folget nicht nach den Bösen, sondern den Guten, von denen er verlangt, dass sie nicht trüge werden sollen, sondern Nachfolger derer, die durch Glauben und Geduld ererben die Verheißungen. O wahrlich, die Tugend ist nicht ausgestorben auf Erden, und wir haben sie nicht bloß bei denen zu suchen, die durch ihre reiche Begabung und durch die Gunst der Umstände als seltene Erscheinungen unter den Menschen dastehen; die von Gott erkoren- sind, in größeren Kreisen das Gute zu fördern und als Vorbilder zu dienen. Auch unter denen, die im Verborgenen- ihrem stillen Berufe lebten, deren Ruhm, kein Geschichtsbuch verkündet, finden wir so viel Liebe und Treue, dass es uns, wenn wir dafür nur Sinn haben, an Aufforderung nicht fehlt, solchem Wandel nachzufolgen. Möge denn das am heutigen Tage kräftig erneute Andenken die Liebe und die stillen Tugenden derer, die wir verloren, uns neu vor die Seele führen. Unser Schmerz über ihren Verlust wird dann gemildert und veredelt werden durch den Entschluss: Ihr sollt unsere Lehrer sein; eure Tugenden sollen uns zu gleicher Tugend ermuntern. Dann werden sie in uns fortleben, und während ihre Seele in Gottes Hand ist, folgen in uns ihre Werke ihnen nach!

Aber wer wäre so glücklich, dass er nur Guten und Edlen angehört, dass sein näherer Kreis nicht auch Solche enthalten hätte, deren Wandel durch Irrtum in Sünde verkehrt worden wäre? Und welcher Mensch, den wir gut nennen, ist es in dem Maße, dass er keinen Flecken an sich trüge, dass nicht eine böse Gewohnheit Macht hätte über ihn? Niemand ist gut, denn der einige Gott, spricht Jesus, und wenn er selbst diesen Namen nicht annehmen wollte, an dem doch unser Auge auch bei der schärfsten Prüfung nicht den kleinsten Flecken wahrnimmt, wer von uns könnte meinen, ihn beanspruchen zu können? Wir sind Alle vor Gott unnütze Knechte und wenn wir auch kämpfen mit der Sünde, an Niederlagen fehlt es uns nicht; wohl aber lassen wir es oft an dem rechten Ernst des Kampfes fehlen. - Wir würden daher uns nur selbst richten, wollten wir der Mängel der Verstorbenen gedenken, um sie zu rügen. Aber eben so wenig kann es uns frommen, sie ableugnen zu wollen, und nur dann sind wir weise, wenn wir auch sie zur Förderung unserer Sittlichkeit zu benutzen wissen. Das können wir; auch durch sie sollen die Toten unsere Lehrer sein, denn

2) ihre Fehler sollen uns vor gleichen Fehlern warnen.

Ein allgemeines Gesetz in der ganzen Schöpfung lautet: Wie die Saat, so die Frucht. Wir können nicht Trauben lesen von den Dornen und Feigen von den Disteln, sondern was der Mensch säet, das wird er ernten. Nicht anders ist es in der sittlichen Welt; aus der Saat der Sünde kann nur das Verderben sprossen, und die Erfahrung liefert uns täglich tausendfache Beweise dafür. Nur der Gerechten Name bleibt in Segen, der Gottlosen Name aber verwest; nur die Gerechten und Gottesfürchtigen sind wie Bäume gepflanzt an Wasserbächen, die ihre Frucht bringen zu ihrer Zeit, und was sie beginnen, das gerät wohl. Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, welche der Wind verweht. - Freilich will es auf Erden oft scheinen als sei es anders, als sei die Ungerechtigkeit der kürzere Weg zum Lebensglücke. Freilich führen die krummen Wege der Erde oft auf Höhen, welche auf gradem Wege zu steil erscheinen, und Stellung, Vermögen und Einfluss halten oft lange die öffentliche Stimme nieder, welche die hinter dem Schimmer der Erde verborgene Sünde rügen würde. Das ändert sich aber mit dem Tode; da fällt jeglicher Schimmer ab, und wenn die Erinnerung uns ihr Bild zurückführt, so ist es ein treueres, wie es im Leben war: neben den Licht treten dann auch die Schattenseiten deutlich hervor. Wie oft hören wir da nicht Anerkennung und Lob aussprechen, dem der Nachsatz folgt: Wie schade, dass er dem Einen Fehler nicht entsagen konnte! Wie edel wäre er dann gewesen, wie glücklich hätte er dann die Seinen gemacht, wie viel besser wäre ihm dann seine irdische Aufgabe gelungen! Und warum konnte er ihm nicht entsagen? Weil er sich selbst überschätzte, weil er ihn im Vergleiche mit vermeintlichen oder wirklichen Vorzügen für eine unbedeutende Kleinigkeit hielt, weil das rechte Trachten nach der Heiligung, das keiner sündlichen Begierde das Herz offen lassen will, ihm fremd geblieben war. - O, lasst die Toten eure Lehrer sein, lasst ihre Fehler euch vor gleichen Fehlern warnen! Dasselbe falsche Spiel, wie einst bei ihnen, treibt die Sünde jetzt noch in euren Herzen. Sie sucht euch und der Welt die Schwächen und Fehler zu verbergen, welche gleichwohl euch hinderlich sind, selbst völlig glücklich zu werden, Andere, die euch nahe stehen völlig zu beglücken, und des Lebens höchstem Zwecke, der Heiligung näher zu kommen; sie setzt euch einst, wenn ihr hinübergegangen sein werdet, demselben Urteile der Nachwelt aus.

Doch, wie glücklich wären wir, wenn wir bloß kleine Fehler und Schwächen als Warnung unbeachtet sähen. Geschehen denn aber nicht offene große Sünden genug, beleidigt unser Auge und unser sittliches Gefühl nicht oft genug der Anblick des unverhüllten Lasters, sehen wir nicht fast immer sein schmähliches Ende, und dient dies wohl dem kommenden Geschlechte so zur Warnung wie es sein sollte und könnte? O, seht, wie das ungerecht zusammengescharrte und zusammengewucherte Gut doch hier zurückbleiben musste, wenn die starben, die es zu ihrem Götzen machten, - und was hatten sie des Gewinn? Seht wie die List und die trügerische Klugheit der Welt immer in ihrer eigenen Falle sich fängt, immer zuletzt an das Licht kommt, ob sie auch noch so fein gesponnen war - und ihr dient noch denselben Götzen, lasst euch noch betören von der falschen Klugheit der Welt, dass ihr nicht zurückschreckt vor dem ungerechten Gute, sondern immer noch eure Hand dafür offen haltet? - Wie Viele, von Genusssucht und Eitelkeit verblendet, trachteten nur dem Glanze, der Üppigkeit des Lebens nach, und als sie starben, ließen sie die Ihrigen in Kummer und Jammer zurück, und wie Viele dadurch ungewarnt, folgten ihnen nach, und ziehen den flüchtigen Schimmer dem Ruhme der Gewissenhaftigkeit vor? Wie Manche halten die Regung ihrer Sinnlichkeit nicht in strengem Zügel, öffnen dem Schmeichelworte des Verführers zu bereitwillig das Ohr, versinken in Schande, sterben in Reue und Jammer, und wie viele gleiche Opfer rennen dadurch ungewarnt immer noch dem gleichen Verderben in die Arme? Wie Viele verdanken solchen Ausschweifungen und dem scheußlichen Laster des Trunks einen siechen schmerzensreichen Körper und ein unseliges frühes Ende, ohne dass die ernste Mahnung, welche darin liegt, den Genossen ihrer wüsten Lust zum Herzen dringt? O, euch Alle, ihr Jünglinge und Jungfrauen, die ihr dem Angriffe der Versuchung am Meisten ausgesetzt seid, ihr Männer und Frauen, die euch der Hochmut, die Eitelkeit, die falsche Liebe und Lust der Welt reizen, euch möchte ich hinweisen auf die Opfer, welche der gleichen Sünde schon gefallen sind, - euch, ihr Knaben und Mädchen möchte ich die vor Augen führen, welche, weil sie ihre Jugendzeit vertändelten, ihres Lebens Zweck verfehlten, euch Alle möchte ich bitten und anflehen: Lasst die Toten eure Lehrer sein; lasst ihre Fehler euch vor gleichen Fehlern warnen, damit ihr einst am Abende eures Lebens mit dem schönen Bewusstsein eines redlich vollbrachten Tagewerks, eines erfolgreichen Trachtens nach dem ewigen Leben auf das nahe Grab hinschauen könnet, und euer schon hier dem Herrn geweihtes Herz ohne Bangen der Stunde der Erhebung zum himmlischen Vaterlande entgegensehen möge! Aber das wollen die meisten Menschen ja nicht! Der Hinblick auf Grab und Tod ist ihnen so unangenehm, dass sie ihm zu entgehen suchen, so lange sie nur können, und wenn ihr Mund auch zuweilen sprich!: Wir müssen ja Alle sterben, so hegen sie dabei im Stillen immer die Hoffnung, dass der Tod ihnen noch wer weiß wie fern. Damit nicht gleiche Täuschung uns betrüge, so lasst auch darin die Toten unsere Lehrer sein, und

3) ihr Tod möge uns an unseren Tod erinnern.

Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss. Siehe meine Tage sind eine Hand breit bei dir, und mein Leben ist nichts vor dir. Wie gar nichts sind doch alle Menschen, die doch so sicher leben! So singt David im 39. Psalme und wie wenige Menschen empfinden im Ernste das Gleiche? Wenn der Frühling aufblüht und die Erde ihr Prachtgewand anzieht, da wissen wir es und sprechen es mit Bedauern aus, dass seine Zeit so kurz ist, und seine Blumen so bald verblühen. Ist denn aber unser Leben etwas Anderes als eine Blume des Feldes? Wenn der Wind darübergeht, so ist sie nimmer da und ihre Stätte kennt sie nicht mehr! Es täuscht die Menschen das frische rege Leben der jugendlichen Empfindung; es täuscht sie die männliche Kraft, die sie in sich fühlen; ja es täuscht sie sogar die Abnahme derselben, welche sie langsamer glauben als sie es ist, und daher betrachten sie einige Jahre immer noch als ihr sicheres Eigentum! Und darüber schieben sie die Vorbereitung auf das Sterben weiter und weiter hinaus, glauben immer noch Zeit genug zu haben, um des Lebens Lust noch weiter zu genießen, glauben die Zeit zur Buße unverloren - und darüber kommt dann plötzlich das Ende, und unvorbereitet zur großen Rechnungslegung gehen sie hinüber zum Gericht. Das ist die Folge der falschen Sicherheit, mit welcher sie auf die Dauer ihres Lebens bauen. Darum sorgen und schaffen sie nur für diese Zeit, können nimmer genug bekommen und enden, während ihre Zeit doch endet und ach! wie bald verfliegt! Darum gedenken sie der Bedürfnisse gar nicht, die am Tage des Gerichtes ihnen unentbehrlich sein werden, denn dieser Zeitpunkt liegt nach ihrer Meinung ja noch in himmelweiter Ferne! - O, lasst euch warnen, Geliebte, vor so trügerischer Sicherheit, lasst die Toten eure Lehrer sein, lasst ihren Tod euch an euren Tod erinnern. - Eilt hinaus auf den Friedhof! Seht dort das Grab des Säuglings, betaut von Muttertränen, bekränzt von Mutterhanden! Bist du denn sicherer als er es war? Bist du, weiter vorgerückt auf deiner Lebensbahn, nicht auch dem Grabe um so viel näher gekommen? Siehe dort das Grab des Großvaters, neben dem des Enkels, der Mutter neben dem der Jungfrau, des Mannes neben dem des Jünglings und lerne daraus: Es gibt keine Zeit des Lebens, in der wir sicher sind vor dem Tode; wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir, und damit wir sie finden, gilt es weise werden auf Erden, Schätze sammeln für den Himmel, Buße tun in Zeiten und mit ganzen, Herzen umfassen Jesum Christum, damit wir durch ihn zum Vater kommen; darum gilt es mit Ernst an den Tod zu denken, denn wen der Tod nicht weise macht, der hat nie mit Ernst an ihn gedacht! Scheut diesen Ernst nicht, Geliebte, möge er dahin wirken, euer Leben zu heiligen; lasst die Toten eure Lehrer sein und ihren Tod euch an euren Tod erinnern! - Aber fürchtet darum nicht, dass es nun mit jedem Glück, mit jeder Freude des Lebens vorbei sei, dass sich das Schreckbild des Todes Nun alle dem zur Seite stellen werde, was sonst euer Her; angenehm berühren konnte. Der Gedanke an den Tod wird verklärt durch die Hoffnung, die das Evangelium uns verbürgt; und auch darin endlich sollen wir von den Heimgegangenen lernen:

4) ihre Hoffnung soll auch unsere Hoffnung starken.

Denn sind sie, die euch teuer waren auf Erden und die der Herr gerufen, sind sie ohne Hoffnung verzweifelnd gestorben? Hat sich in allen denen, die im christlichen Glauben standen, nicht die Zuversicht auf Unsterblichkeit und ewiges Leben kund gegeben? Haben sie nicht sich und euch, die ihr um sie weintet, mit dem Wiedersehen in der besseren Welt getröstet? Hat die Hoffnung auf Gottes Gnade in Jesu Christo nicht ihre letzte Stunde verklärt? Die da sterben im Glauben, sie geben dadurch zu erkennen, dass sie ein Vaterland suchen, und ihre zuversichtliche Hoffnung es zu finden, hat sie nicht auch eure Hoffnung gestärkt? Der Glaube und die Hoffnung werden oftmals schwach, oft sind sie eitel, nur von der Täuschung der Welt unterhalten. Aber wenn in dem Augenblicke, wo die Welt und mit ihr die Täuschung schwindet, wenn in dem Augenblicke der ernsten Entscheidung der Glaube und die Hoffnung triumphierend aufleuchten, den Schmerz des Scheidens und des Todes verklären, das Dunkel von dem Grabe verscheuchen, und die Gewissheit des ewigen Lebens in Gott und bei Gott bezeugen, dann dürfen wir getrost ausrufen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle wo dein Sieg! Nein unsere Hoffnung ist kein Wahn! In der Feuerprobe der Todesstunde hat sie sich bewährt!

Ach es sterben auch Solche, die den Mut zu einer freudigen Hoffnung nicht fassen können, die Feinde des Kreuzes Christi, die der Wahrheit nicht gehorchten, gehorchten aber dem Ungerechten. Wenn ihr Anblick unser Herz erschüttert, so dürfen wir um so seliger die preisen, die im Glauben sterben, die nach der Verheißung des Evangeliums sich der Gnade Gottes getrösten können, die im Scheiden den Ruf des Herrn vernehmen: Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen: du bist mein! Das ist der Ruf, auf den uns Jesus hoffen lässt, wenn er spricht: Ich kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.

Darum getrost, meine Lieben, hat der Tod auch seine Schrecken, für den Christen hat er viel mehr Hoffnung, Hoffnung, die fest bewährt und verbürgt ist. Unsere Lieben stärkte sie im Scheiden; sie sollen unsere Lehrer sein, ihre Hoffnung soll auch unsere Hoffnung stärken. Und so wird sie es denn sein, die unser Andenken an sie und unseren Schmerz um sie verklärt. Vergessen können und wollen wir sie nimmer, denn das Band der Liebe, welches uns mit ihnen verbindet, trennt kein Tod! Eben so wenig können wir einer stillen Trauer entsagen, so oft wir ihrer gedenken. Empfangen wir nun durch dieses Andenken Ermunterung zum Guten, Warnung vor dem Bösen, Mahnung an den Tod und Hoffnung auf die Ewigkeit - dann bleibt ihr Andenken bei uns ein Segen, und fördert uns zum ewigen Heil. Die Toten sollen unsere Lehrer sein! Lasst uns von ihnen lernen: gottesfürchtig leben und gottselig sterben, und: Du, o Gott, bewahre sie in deiner Gnade und gib uns allen ein fröhliches Wiedersehen! Amen.

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autoren/k/krause_caesar_wilhelm_alexander/krause_totensonntag.txt · Zuletzt geändert: von aj
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