Luthardt, Christoph Ernst - Die Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes.

Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag über Tit. 2,11-14.

Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Amen.

O du fröhliche, o du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ward geboren!
Freue, freue dich, Christenheit!

So heißt es heute aller Orten, in dem HErrn Jesu Christo Geliebte! Und auch wo die Trauer in den Herzen oder Häusern wohnt, da wird doch heute die Freude Herr und breitet ihren lichten Glanz auch über das dunkle Leid aus, Ist es auch eine wehmüthige, eine schmerzliche Freude: es ist doch Freude. Freue, freue dich Christenheit! Man braucht es den Kindern heute nicht erst zu sagen: sie sind ohne das voll Freude und Jubel. Mögen der Gaben viel sein oder wenig - Weihnachtsgaben haben einen Zauber und Schimmer wie keine anderen. Auch den Aeltern braucht man nicht erst zuzurufen , daß es Freudenzeit sei: es entzündet sich die Freude ihrer Herzen an den Augen der Kinder, aus denen der Glanz der Weihnachtslichter widerleuchtet. Und von den Aeltern und Kindern geht die Freude aus auf die Andern und zieht sie alle mit in ihren Kreis. Wer kann ihr widerstehen?

Aber es ist doch ein armseliges Ding um diese Freude, eine eitle und vergängliche Sache, wenn sie nicht weiter reicht und tiefer gründet. Menschliche Freude, wenn sie nicht Ewigkeit in sich trägt, macht das Herz zuletzt mehr traurig als fröhlich. Ewigkeit aber trägt nur die Freude in sich, die der Ewigkeit entstammt. Es hat sich aber heute der Himmel aufgethan und der Ewige selbst ist in die Zeit getreten. Ewigkeitsabgründe sind verborgen im Kinde Jesu. Das ist die freudenreiche, fröhliche Mähr, die heute aller Welt verkündigt wird, deren Botschaft vom Himmel hoch zu uns auf Erden gekommen und von der Flur Bethlehems her zu uns auch in unser Land getragen worden ist und von den Lippen der Verkündiger in Aller Herzen hinein; denn Jesus das Kind ist der Kinder und Alten ewige Freude und Jubel der Herzen. Das ist der Tag, den der HErr gemacht hat; lastet uns freuen und fröhlich darin sein. Lobt Gott ihr Christen allzugleich in seinem höchsten Thron, der heut aufschließt sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn! Nun sind alle Gaben der Menschen himmlisch geweiht, denn sie sind Bilder und Zeichen geworden der himmlischen Gaben, die Gott der Vater uns bescheert hat, und der lichte Glanz der heiligen Weihnacht, an dem wir uns ergötzen, malet uns das Licht der göttlichen Liebe und Treue, das mitten in der Nacht der Sünde und des Jammers auf Erden angebrochen vom Himmel her und uns zu Lichtes Kindern gemacht hat. Es ist aufgegangen die Morgenröthe des neuen Tages, es ist gekommen der Heiland der Völker, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis seines Volkes Israel - es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. O laßt uns freuen und fröhlich darinnen sein, und mit den Engeln um die Wette jubilieren, und mit den Hirten uns fröhlich verwundern und dieß Wort ausbreiten, und unseren Herzen und allen Geliebten zurufen, singen und sagen:

O du fröhliche, o du selige,
Gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ward geboren:
Freue, freue dich, Christenheit!

Tit. 2,11-14.
Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtiget uns, daß wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen, und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi, der sich selbst für uns gegeben hat. auf daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit, und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigenthum, das fleißig wäre zu guten Werken.

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen - so ruft der Apostel uns zu. Das ist ein rechter, fröhlicher Weihnachtsruf. Dieß Wort wollen wir denn im Herzen bewegen und betrachten:

Die Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes,

  1. als die Freude unsers Glaubens,
  2. als das Leben unsrer Liebe,
  3. als den Grund unsrer Hoffnung.

1.

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen- das ist die Freude unseres Glaubens.

Denn so lautet die himmlische Engelbotschaft an uns Menschenkinder auf Erden: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HErr in der Stadt Davids.

Er ist geboren, sagt der Engel, es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes, sagt der Apostel. O selig wir, daß wir der Zeit der Erfüllung und nicht mehr des Hoffens angehören! Was der alten Väter Schaar höchster Wunsch und Sehnen war, und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit. Wie viel besser sind doch wir daran, wie viel gesegneter als alle die Patriarchen, Frommen und Propheten des A. Bundes. Es hat zwar Gott mit Abraham und Mose und so manchen Andern selber geredet Angesicht gegen Angesicht. So etwas widerfährt uns nicht. Und doch ist unser Loos viel lieblicher gefallen. Denn was ist doch das Alles gegen die herrliche Geschichte, deren Kinder wir sind: Er ist gekommen-! Das war eine lange, bange Nacht, schon in Israel, wie viel mehr außerhalb seiner Glänzen. Sünde und Jammer und kein Trost - und keine Gewißheit; Sehnsucht, Ahnung, schwache Versuche zu Gott zu kommen - aber kein Friede. Hüter ist die Nacht schier hin?- Gott sei Dank durch alle Welt, der sein Wort beständig hält und der Sünder Trost und Rath zu uns hergesendet hat. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes. Nun wandeln wir in ihrem Licht! Erschienen, wie das Licht des Morgens fröhlich begrüßt wird nach einer schweren, angstvoll durchwachten, schmerzensreichen Nacht. Erschienen, wie dem einsamen Wanderer hinter den finstern Wolken das freundliche Licht der Sterne erscheint. Sie ist erschienen im Glanz der über Bethlehem aufging, und im Wunderstern, der den Heiden in der Ferne Botschaft brachte. So erscheint das Licht auch der einzelnen Seele, wenn ihre Sünden über sie gekommen sind wie sich die Nacht über der Erde lagert, wenn sie den Zorn Gottes wider sich aufsteigen sieht wie eine drohende Wetterwolke, die mit Verderben schwanger geht, wenn ihr um Trost bange ist, und sie über sich schaut und unter sich die Erde anblickt und nirgend findet, der ihr rathe und helfe, und nicht weiß wo aus noch ein - und wenn nun die fröhliche Botschaft ihr ans Ohr und ins Herz dringt und es hell in ihr wird vom Glanz, der über ihr aufgeht. Er ist ihr Stern in dunkler Nacht - Jesus Christus.

Was ist das doch eine wundersame Geschichte, deren Gedächtniß wir heute feiern: Gott ist geoffenbaret im Fleisch; das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. O seliges Evangelium! Das wäre in keines Menschen Herz gekommen, wenn es Gott nicht selber geoffenbaret hätte. Denn wer dürfte es wagen zu denken: eine Menschwerdung Gottes? Niemand, auch in Israel nicht, wußte von diesem wunderbarem Geheimniß etwas, bevor es geschah; denn allen Menschen mußte es unmöglich dünken, bis es wirklich geschah. Aber nun es geschehen, preist unser Glaube Gottes unglaubliche Leutseligkeit und ruht aus voll Frieden in diesem Gedanken - o nein, in dieser Thatsache: Gott ward Mensch. Nicht mehr der Ferne ist er uns, dessen Allmacht wir scheuvoll verehren, vielmehr so nahe gekommen, wie er nur nahe kommen konnte, um uns so zu gewinnen. Gott und Mensch in Einem-sind das nicht die größten Gegensätze, größer als Himmel und Erde, die man sich denken kann? Sie sind vereinigt in Jesu. „Allmacht muß zur Ohnmacht werden, endlich die Unendlichkeit; unter Mühsal und Beschwerden tritt der Ew'ge in die Zeit:“ das hat die Kirche allezeit mit anbetender Bewunderung dieses gottseligen Geheimnisses besungen. „Des ew'gen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippe findt; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ew'ge Gut; den aller Weltkreis nie beschloß, der liegt in Marien Schooß; er ist ein Kindlein. worden klein, der alle Ding erhält allein.“

Aber was soll uns dies Wunder? was bedeutet es uns? Denn nicht zum Staunen noch zum Forschen bloß ist es gegeben, sondern zum Trost der Seelen. Größer als die Allmacht ist die Liebe und größer als das Wunder die Gnade. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes in Christo Jesu. Heilsam heißt sie, weil sie das Heil bringt den Heillosen, den armen, verlorenen Sündern, die heilsame Gnade Gottes. Gottes Majestät preisen die Engel und verkündigen die Himmel und ahnt von weitem der Mensch. Aber sie tröstet nicht und gibt nicht Friede. Vielmehr ist sie dem erschrocknen Sünder wie ein schrecklich Feuer göttlichen Eifers, das ihn zu verzehren droht. Was hülfe es, wenn wir mit Engelzungen und Engelworten von seiner Majestät reden könnten und kenneten seine Liebe nicht? Jene Erkenntniß wäre uns mehr Tod als Leben. Wir aber flüchten von ihr an sein Herz, von seiner Macht zu seiner Liebe, von seiner Herrlichkeit zu seiner Gnade gegen uns arme Sünder. Sie sei meine Zuflucht in allen Nöthen, mein Fels darauf ich baue, meine Burg darein ich mich berge, das Horn meines Heils und mein Trost!

Gott recht erkennen heißt sein Herz erkennen, ihn selig betrachten heißt seine gnädige Liebe betrachten. Alle andere Gotteserkenntniß ist eitel und unnütz. Gottes Herz aber ist offenbar worden im Sohn der Liebe, Jesus Christ, denn er ist selber das Vaterherz, und Gottes Liebe und Gnade ist persönlich erschienen im Sohn der Maria. An seinen Augen wollen wir hangen und zu seinen Füßen knieen. Wunderbar ist die herrliche Offenbarung auf dem Felde Bethlehems, aber größer und schöner ist, was die arme Krippe birgt und über allen Engelglanz geht das Lächeln dieses Kindesmundes.

Groß und wunderbar ist's, wenn der HErr die empörten Wellen sich legen heißt und den Geistern der Lust und der Tiefe gebietet; aber lieber doch will ich lauschen den süßen Worten seines Mundes, mit denen er uns zu sich ruft: Kommet her zu mir, ihr Mühseligen und Geladenen, ich will euch erquicken; lieber doch will ich mit der Sünderin knieen zu seinen Füßen und mit meinen Thränen sie benetzen und seine Hand fühlen auf meinem Haupte und das selige Wort ihn über mich sprechen hören: Gehe hin, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. „O preiset Alle Gottes Barmherzigkeit; lob' ihn mit Schalle, wertheste Christenheit. Laß dich freundlich zu ihm laden, freue dich Israel seiner Gnaden!“ Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes in Christo Jesu.

Allen Menschen. Denn Gottes Herz ist weit und groß und Jesu Arme breiten sich aus gegen Alle - auch gegen dich und mich. So lasset uns zu ihm eilen und ihn umfangen, der mit liebreichen Worten uns zu sich ruft! Wahrlich wir wüßten es nicht und dürften es nicht denken, daß Gott uns gnädig sein wolle und zu seinen lieben Kindern machen und zu Hausgenossen seines himmlischen Heiligthums, ,hätte er's uns nicht selbst gesagt und oft und viel versichert durch jenen Mund, in dem kein Betrug erfunden ward. So ist uns Furcht in Freude gewandelt. Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen - auch mir und dir.

Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen. Freue dich, freue dich, Christenheit! - Und eine Liebe, die mächtiger ist als der Tod und stärker als die Hölle. Denn mit Tod und Hölle hat gerungen, um uns ihnen zu entreißen, der sich selbst für uns gegeben hat, auf daß er uns erlösete von aller Ungerechtigkeit und reinigte ihm selbst ein Volk zum Eigenthum.

Das ist die Gnade, die uns heute erschienen, das die Liebe, die wir heute preisen, die Liebe eines ganzen Lebens von der Geburt bis zum Tod, von der Krippe bis zum Kreuz. O daß unser Herz ihrer voll sein möge und unser Mund überströmen von ihrem Preis! Sie sei die Speise meiner Wallfahrt und das Lied meiner Pilgrimschaft. Zwar leb ich jetzt noch hienieden auf Erden und mein Herr und Heiland droben im Himmel. Aber was ich lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der unser Aller Bruder worden ist, auf daß in ihm erscheine die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Sie ist unsers Glaubens Freude.

2.

Und das Leben unsrer Liebe.

Groß ist Gottes Macht, mächtiger noch ist seine Liebe; siegreich ist er in seiner Hoheit, siegreicher in seiner Demuth. Daß sich Gottes Sohn aller Gewalt entäußert und ein armes Menschenkind zu uns auf Erden gekommen ist und sein ganzes Leben ein Leben rettender Liebe gewesen, das ist mächtiger als alles Gebot und Befehle. O wer es erwägte, was das heißt, was wir heute feiern-es müßte ihn überwinden auf ewig. Es ist etwas Zermalmendes in solcher Liebe, die vom Himmelsthron in tiefste irdische Demuth steigt, die in Angst und Schmerzen des Todes um unsere Seelen wirbt. Wie könnte ich Dein vergessen und von Dir lassen, du Menschensohn! Seine Liebe hat unser Herz gewonnen und löst uns von der Welt, um an ihn uns zu binden. Nun leben wir von seiner Liebe: denn wer von Herzen an ihn glaubt, der ist mit Aug und Ohr und Herz auf ewig gebunden an ihn. Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Es wüßten die Menschen nicht was Liebe heißt, wäre diese Liebe nicht offenbar geworden. Seit die Welt steht, sagen und singen sie viel von Liebe, und Liebe ist stets die größte Macht auf Erden gewesen; aber das ist Alles nichts, das ist Schatten und Traumbild gegen die Liebe, die wir erkannt haben in Christo. Da haben wir erst erkannt und da erst gelernt was lieben heißt, da wir Christum lieben lernten.

Liebe zu kennen, Liebe zu üben, das ist der Christen seliges Privilegium. Lieben heißt, sich selber geben und nur im Andern sich selber wollen. Das ist unsere Seligkeit, daß wir ihm angehören mit Leib und Seel, nichts denken, wollen oder thun, als nur in seiner Liebe ruhn. Nichts Seligeres auf Erden und unter Menschen als einem Andern ganz sich zu geben und nur in ihm sich selbst zu wollen. Welche Seligkeit erst, zu ruhn am Herzen dessen, der die rechte Liebe erst geoffenbart hat auf Erden und ein Feuer der Liebe in uns entzündet, das mit heiliger Flamme lodert. In solchem Feuer verzehrt sich, was irdisch und ungöttlich heißt, und solchem Drang der Liebe ist es natürlich und leicht, zu verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste. So sollte es sein. Warum ist es uns nicht leichter? Das ist unsre stete Klage und Schmerz, daß wir noch hängen und haften an dem, was irdisch heißt und eitel ist, und unser Herz, Sinn und Gedanken noch so gefangen nehmen lassen von der Welt der Vergänglichkeit, ja von der Macht der Sünde. O hätten wir ihn recht lieb, wie wir sollten-es wäre nicht möglich, wir wären freier, seliger in ihm. Und doch haben wir ihn lieb, den wir nicht sehen, und möchten von ganzem Herzen ihm angehören, der seines Herzens Blut für uns vergossen hat. O warum werden wir solcher Liebe so oft untreu? -

Nichts ist ein größerer Schmerz für den, der liebt, als den zu betrüben, den er liebt. Und hier ist Liebe über alle Liebe und Betrübniß über alle Betrübniß -weil Sünde wider den, der uns sich zum Eigenthum erworben hat. O lasset uns ihn lieben, der uns zuerst geliebt hat! Wir haben Sünde und Welt noch so lieb, weil wir ihn nicht genug lieb haben. Und wir haben ihn nicht genug lieb, weil unser Glaube an ihn nicht lebendig und mächtig genug und die Freude unseres Glaubens an die heilsame Gnade Gottes, die in ihm erschienen, nicht groß genug ist. Darum lasset uns stets von unserer schwachen Liebe zurückkehren zu seiner Liebe, und von der Traurigkeit über unsere Sünden uns wenden zur Betrachtung seiner Gnade, und uns von dieser züchtigen lassen, daß wir verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.

Denn freilich ohne Züchtigung geht es nicht ab, nicht ohne daß wir uns strafen lassen inwendig vom Geist seiner heiligen Liebe. Nur unter solchen Schmerzen innerer Züchtigung wird das neue Leben des Glaubens und der Liebe geboren, nur aus solcher Züchtigung heraus wird es stets von Neuem. Allzeit übt Christi Geist in uns sein Strafamt. In solchen Schmerzen löst er uns los von dieser Welt der Vergänglichkeit und läßt uns leer und schaal und eitel empfinden, was den Andern Befriedigung scheint, worin sie Freude suchen und finden, und wirket in uns die neue heilige Gestalt des Lebens, die der Apostel beschreibt mit den Worten: züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.

Züchtig d. h. daß wir uns rein halten von aller Befleckung des Leibes und der Seele; denn in Christi heiliger Geburt und Menschheit ist der Quell der Reinigkeit eröffnet. Da heißt es nicht: in Sünden empfangen und geboren und die Lust und Liebe der Welt im Herzen tragen. Da ist alles rein und lauter und lieblich. Nun sollen wir nicht mehr meinen, daß die Sünde ein Recht habe zu herrschen in unserem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten. Denn in Christi heiliger Geburt und Menschheit ist der Sünde ihr Recht abgesprochen im Fleisch, daß wir in Kraft des Geistes seiner Heiligkeit nun auch heilig und rein Leib und Seel uns halten können; denn es ist nun unsere menschliche Natur eine heilige Stätte geworden, die Gottes Sohn geweiht hat und da sein heiliger Geist innen wohnt und sie zu Gottes heiligem Tempel gemacht hat. So lasset uns Scheu tragen gegen diese heilige Behausung Gottes im Geiste und züchtig leben in dieser Welt.

Und gerecht, d. i. daß wir uns so halten in allem unserem Thun, wie uns geziemt als Christen uns zu verhalten, die Gott sich zu eigen gemacht und versetzt hat in das Reich seines lieben Sohnes. Nicht rechts, nicht links blicken, sondern seine himmlische Berufung allein im Auge haben und so allzeit grade vor sich hingehen und richtig wandeln auf der Bahn, auf die uns Gott gestellt hat, und mit schlichtem, einfältigem Sinn jederzeit nur fragen nachher Aufgabe, die uns aus unserem Christenthume erwächst-das heißt „gerecht“ leben in dieser Welt.

Und gottselig d. i. mit Glaube und Liebe an Gott sich allzeit halten, ihm vertraun mit getrostem Muth, ihn vor Augen und im Herzen haben und sein Wort sich seines Fußes Leuchte, seine Gnade seines Herzens Trost sein lassen, so selig ruhen in ihm - das ist „gottselig“ leben in dieser Welt.

Rein von der Welt, gerecht unserm Beruf, selig in Gott -das ist des Christen Gestalt und Gang hienieden, den ihn die Liebe führt, die lebendig und geschäftig ist und fleißig zu allerlei gutem Werk, den ihn die heilige Liebe führt, die aus dem Glauben an Gottes heilsame Gnade erwächst, den sie ihn frei und ungezwungen führt und doch mit unwiderstehlicher Macht. O wann werden wir dahin kommen, daß wir solch Bild und Art auch völlig an uns tragen und frei werden von aller Befleckung des Fleisches und aller sündlichen Gemeinschaft der Welt, die uns immerdar seufzen macht. Getrost! wir gehen entgegen einer seligen Freiheit der Kinder Gottes, einer Welt da Gerechtigkeit wohnt, und einem neuen Morgen da wir erwachen werden nach seinem Bild. Die erste Ankunft Christi auf Erden ist das Unterpfand seiner Wiederkunft.

3.

Die Erscheinung der heilsamen Gnade Gottes ist der Grund unserer Hoffnung.

Erst in Christo kennt man, was Liebe heißt, erst in Christo auch, was Hoffnung. Es kann der Mensch nicht ohne Hoffnung leben, so wenig wie ohne Liebe. Von jeher haben sich der Menschen Gedanken von der Gegenwart in die Hoffnung der Zukunft geflüchtet; aber alle Hoffnung der Menschen außer Christo ist eitel, selbstgemachte und erdichtete. Sie bricht zusammen. Welche Hoffnung hält wahrhaft Stand wider den Tod? O ja, man malt sich das Jenseits aus mit bunten, lichten Farben. Aber wenn es nun Ernst damit werden soll und es nahe tritt im Tode, schrickt man mit scheuer Angst davor zurück und flüchtet sich ins Diesseits. Der Tod ist eine Wirklichkeit und wird nicht von Gedanken überwunden, sondern nur von einer andern Wirklichkeit, die mächtiger ist als er. Das Leben siegt über den Tod. Jesus ist die Auferstehung und das Leben; der ists, an den wir glauben, den wir lieben. In ihm haben auch wir das Leben im Tode.

Der Christen Hoffnung aber reicht über den Tod hinaus. Sie bleibt nicht stehn beim Zustand nach dem Tode, über den man um so mehr gern fragt und dichtet, je weniger wir davon wissen können und sollen. Unserer Hoffnung Ziel ist Christi Wiederkunft. Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsres Heilandes Jesu Christi. Dahin sind der Christen Gedanken gerichtet. Denn die Liebe begehrt der Gemeinschaft mit dem Geliebten. Unsere Gemeinschaft mit Christus ist völlig erst dann, wenn Leib und Seele sich freuen werden in dem lebendigen Gott. Diese Freude wird wirklich werden, wenn er leibhaftig wiederkommt auf Erden, der nun verborgen bei Gott im Himmel lebt, und wenn er auch unseren nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe.

Welch eine Hoffnung, Geliebte! Wenn der Ruf einst durch die Welt gehen wird: Er kommt! Und von diesem Ruf wir erwachen werden in unsern Gräbern und das Haupt sich erheben wird vom Todesschlaf und die Augen sich öffnen werden und ihn schauen, wie er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters, ein großer Gott voll Licht und Majestät um ihn her, daß Himmel und Erde fliehen werden vor seinem Angesicht, alle heiligen Engel mit ihm, Dunkel zu seinen Füßen, verzehrendes Feuer vor ihm her, Licht sein Kleid und der Kranz der Sterne ihm zu Häupten: Wer wird bleiben vor der schrecklichen Herrlichkeit des großen Gottes? Aber wenn unser geblendetes Auge ihn dann erschaut, ihn selbst inmitten des Lichtglanzes, ihn, unserer Seele Heiland und unseres Herzens Liebe, wenn wir sehen werden die durchgrabenen Hände und die durchstochene Seite, wenn uns sein Auge treffen wird, das Liebe blickt, und wir den Mund schauen voll süßer Rede, wenn er seine Arme ausbreitet gegen uns und wir hören seinen Ruf: Kommet her Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken; kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! und Liebe und Verlangen uns Flügel geben werden, und wir zu ihm eilen und ihm entgegengerückt werden, dem der da kommt in den Wolken des Himmels, wenn wir mit Hosianna ihm entgegeneilen und mit Hallelujah uns die Engel alle begrüßen, wenn wir dann zu seinen Füßen niederfallen und sie ihm küssen werden und die Thränen der Freude und des Entzückens uns aus den Augen stürzen wo sind Worte in einer Menschensprache, auszusagen, wie uns dann sein wird! Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi.

O warum ist diese Hoffnung so bleich geworden in der Christenheit! Die erste Christenheit ging einher in der Hoffnung, das Haupt erhoben gen Himmel, von dort den HErrn zu erwarten. Aber seit sie feste Wohnstätte und Ruhe und Friede auf Erden gefunden und es ihr wohl geworden ist hienieden, hat sie zwar noch Hoffnung in dem Bekenntniß ihres Mundes, aber wie wenig in der Sehnsucht ihres Herzens! Und doch, wer liebt-wie sollte er nicht nach dem begehren, den er liebt. Dorthin schweifen allzeit seine Gedanken. Und unseres Herzens Gedanken sollten nicht himmelwärts stets sich heben dem entgegen, der da kommen soll? Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es höret der spreche: Komm! Und es spricht, der solches zeuget: Ja, ich komme bald. Amen. Wir warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi.

Ein Jeglicher aber, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich, gleichwie er auch rein ist. Solch heiliges Leben der Liebe aber quillt aus der Freude des Glaubens. Darum lasset uns heute triumphiren und rühmen: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Sie ist die Freude unseres Glaubens, das Leben unsrer Liebe, und der Grund unsrer Hoffnung! Amen.

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