Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 7. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 7. Sonntag nach Trinitatis.

1542.

Mark. 8,1-9.
Zu der Zeit, da viel Volks da war, und hatten nichts zu essen, rief Jesus seine Jünger zu sich, und sprach zu ihnen: Mich jammert des Volks, denn sie haben nun drei Tage bei mir verharrt, und haben nichts zu essen; und wenn ich sie ungegessen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Wege verschmachten. Denn Etliche waren von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viel habt ihr Brote? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, dass sie sich auf die Erde lagerten. Und er nahm die sieben Brote, und dankte, und brach sie, und gab sie seinen Jüngern, dass sie dieselben vorlegten; und sie legten dem Volk vor. Und hatten ein wenig Fischlein; und er dankte, und hieß dieselben auch vortragen. Sie aßen aber und wurden satt; und hoben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. Und ihrer waren bei vier tausend, die da gegessen hatten; und er ließ sie von sich.

Unter den vielen herrlichen Wundern, die Christus auf Erden getan hat, darf man dasjenige nicht an die letzte Stelle setzen, welches im heutigen Evangelio erzählt wird. Als Christus nämlich in der Gebirgsgegend Galiläas viele Lahme, Blinde, Taube, Stumme und viele Andere geheilt hatte, und die Menschenmenge, vor Hunger schier verschmachtete, speiste er mehr als 4000 Menschen mit wenigen Broten und Fischlein, und zwar nicht nur kärglich, sondern in so großer Fülle, dass sieben volle Körbe an Brocken übrig blieben. Und dieses Wunder erschien so bedeutend, dass es sowohl Matthäus als Marcus aufs fleißigste beschrieben, und Christus hat dieses Wunder nicht nur getan, sondern wiederholt es auch nachher seinen um Speise bekümmerten Jüngern und schärft es ihnen ein, um ihren Unglauben zu heilen.

Gedenkt ihr nicht (sagt er) an jene sieben Brote, als 4000 Menschen da waren, und wie viel Körbe ihr aufhobt? So haben wir denn den Zweck dieses Wunders mit aller Sorgfalt zu betrachten, zumal es Christus nicht nur der Menge halber getan hat, welche damals in der Gebirgsgegend Galiläas bei ihm war, sondern er hat es der gesamten Kirche wegen getan.

Zuvörderst muss man die Frömmigkeit der Menge betrachten. Sie folgen Christo nach ins Gebirge, wo für sie weder Speise noch Trank bereit war, und werden von solchem Verlangen, das Evangelium zu hören, festgehalten, dass sie drei Tage daselbst verbleiben. Welche Verschiedenheit der Handlungsweise zwischen dieser Menge und der, welche in unseren Zeiten da ist! Wir nämlich könnten kaum drei Viertelstunden geduldig zum Anhören des Evangeliums Christi verwenden, während Jene drei Tage dazu verwandt haben; und wir hören doch kein anderes Evangelium als Jene gehört haben. Und es ist erstaunlich, dass wir, wenn unser Leib zu speisen ist, die Gelage ohne Überdruss auf viele Stunden auszudehnen pflegen; soll aber unsere Seele gespeist werden, was durch die Predigt des Evangeliums geschieht, da ist dann jede Zeit voll Überdruss, welche damit zugebracht wird. Das geschieht eben daher, weil wir die geringste Sorge tragen für unsere Seele und für unser himmlisches Heil. Allein wir müssen erkennen und bedenken, dass wir von Gott nicht geschaffen sind, um nur unseren Leib zu speisen, sondern damit wir das Ende unseres Glaubens davontragen, unserer Seelen Seligkeit, wie Petrus sagt, und diese Seligkeit wird uns dargeboten durch die Predigt und Auslegung des Evangeliums von Jesu Christo. Darum müssen wir die allergrößte Sorgfalt anwenden, das Evangelium Christi zu hören und zu lernen.

Da ferner die so große Menge Christo ins Gebirge nachgefolgt war, wie konnte es Christus ertragen, dass sie seinetwegen durch Hunger gefährdet ward? Christus sorgt für Alles, warum also hat er nicht insgeheim zwar, aber allmächtig bewirkt, dass diese Menge durchaus keinen Hunger spürte? Denn also ist Mose 40 Tage und 40 Nächte hindurch erhalten worden, so auch Elias, so auch Christus selber. Jetzt aber wehrt er nicht einmal drei Tage lang dieser Menge den Hunger ab; was sollen wir dazu sagen? Obwohl es aber neugierig ist, Gottes verborgene Ratschlüsse zu erkunden, so ist doch die Erforschung dessen, was uns Gottes Sohn deutlich machen will, und dessen Erkenntnis nützlich ist, keine Neugierde, sondern Frömmigkeit und Pflicht.

Lasst uns nun hören, weshalb Christus von jener Menge den Hunger nicht abgewehrt hat, sondern, bevor er sie speist, sie großen Hunger leiden lässt. Er schloss nämlich bei diesem Hunger nicht die Augen, weil er ihn nicht heimlich und allmächtig heilen konnte; denn er hat Mose und Elias 40 Tage und Nächte ohne alle leibliche Speise erhalten. Er schloss dabei auch nicht die Augen, weil er die Menge durch Hunger töten wollte, sondern er tat es bei so großem Hunger, um bei dieser Gelegenheit ein herrliches Wunder zu tun und durch solches Wunder die Wahrheit und Gewissheit der Lehre seines Evangeliums zu bekräftigen. Er hat dieses Wunder nicht getan, um anzuzeigen, dass die Menge der Menschen auf Erden immer äußerlich beim Hunger so wunderbar gespeist, und von sieben Broten sieben Körbe voll Brocken bei jedem Mahle gesammelt werden sollen, obschon er täglich viele Tausende von Menschen durch die größten Wunder (so Jemand darauf achten will) speist. Er hat es getan, um die Wahrheit seines Evangeliums zu bekräftigen, durch welches uns die Befreiung aus der allergrößten Gefahr verkündigt wird. Es gibt nämlich verschiedene Arten von Gefahren und Unfällen, welche den Menschen zuzustoßen pflegen. Die einen widerfahren den Menschen auf Erden vor dem Tode, als da sind Leibesschwachheit, Armut, Hunger. Andere widerfahren ihnen im Tode und nach dem Tode. Und die, welche vor dem Tode zustoßen, erscheinen zwar schwer, führen sie jedoch den Tod nicht herbei, so pflegen sie erträglich zu sein. Der Tod selbst aber und der Höllenschmerz sind bei Weitem die allerschwersten Gefahren und unerträglich. Christus ist also in diese Welt gekommen und hat sein Evangelium verkündigt, wodurch er uns die wahre Befreiung und Heil selbst im Tode verheißen hat, d. h. in der allerhöchsten Gefahr; und er hat den Namen erlangt, dass er unser Helfer sei in [allen] Nöten, nicht, als sollten wir in jenen leiblichen Nöten vor dem Tode nicht betroffen werden, sondern er lässt es zwar zu, dass wir von manchfaltigen Übeln heimgesucht werden, bis wir in den Tod selber stürzen, erhält uns aber im Tode, der die höchste Gefahr ist, zum ewigen Leben. Und weil wir mit den äußerlichen Augen die Befreiung Christi im Tode nicht sehen, deswegen hat er Wunder getan, und Menschen zuweilen auch in jenen äußerlichen, leiblichen Trübsalen vor dem Tode errettet. Aber ich bitte dich: wären jene Menschen nachher nicht im Tode errettet worden, was hätte es ihnen genügt, in Leibeskrankheit errettet zu werden?

Im heutigen Evangelio werden 4000 Menschen mit wenigen Broten gespeist und im Hunger errettet, was zwar ein großes Wunder war; doch was ist's, wären diese Menschen nicht nachher im Tode errettet worden? Zehn Aussätzige werden von Christo geheilt, einem Blinden das Gesicht wiederhergestellt; was hätten ihnen aber jene Wunder genügt, wären sie nicht durch Christum im Tode befreit worden? Im Johannes (Kap. 5,1-15) erlangt ein Mensch, der 38 Jahre von Krankheit gebunden war, durch Christum leibliche Gesundheit. Das war ihm zwar sehr lieb, dass er geheilt ward, aber es hätte ihm wenig genügt, wäre er nicht im Tode errettet worden. Obschon also Christus bisweilen Mühselige von ihren leiblichen Übeln vor dem Tode befreit hat, ist er doch nicht jener Befreiung wegen in diese Welt gekommen, sondern um die Gläubigen aus der höchsten Gefahr zu befreien, welche der Tod und die ewige Verdammnis ist.

Das müssen wir gewiss nicht nachlässig ansehen, sondern mit großem Fleiß betrachten, um in Allem, was uns widerfährt, Gottes Willen zu erkennen. Denn droht uns leibliche Trübsal vor dem Tode, und wir werden daraus durch Gottes Güte befreit: dann müssen wir denken, das sei noch nicht die wahrhaftige Befreiung, und Christus sei nicht ihretwegen zur Erde gekommen, sondern es sei nur eine Bestätigung des Evangeliums Christi von der Befreiung in der letzten Gefahr des Todes. Darum sagt Paulus 2. Kor. 1,10 [von dem Herrn]: „Welcher uns von solchem Tode erlöst hat und noch täglich erlöst, und hoffen auf ihn, er werde uns auch hinfort erlösen.“ D. h. Er hat uns aus der gegenwärtigen Trübsal befreit, um anzuzeigen, er werde uns in der größten befreien. Werden wir aber nicht befreit aus der gegenwärtigen Trübsal, dann müssen wir denken, dass in Christo Nichts gewisser sei, als die wahrhaftige Befreiung im Tode. Denn man muss sagen, was die drei babylonischen Knaben (Dan. 3,17.18) gesagt haben: „Siehe1), unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen und aus der gegenwärtigen Trübsal. Und will er es nicht, so wird er uns doch erretten selbst im Tode, dass wir nicht verderben.“ Denn wie ein Feldherr oder Hauptmann, ist er gewiss, dass er zuletzt den Sieg gewinnen werde, nicht von großem Schrecken erregt wird, ob er schon in den vorhergehenden Plänkeleien und Scharmützeln besiegt worden ist: so ist Christus selbst zuweilen Gefahren vor dem Tode entgangen, zuweilen hat er dieselben auf sich genommen. Ist er doch gefangen genommen und ans Kreuz geheftet worden, und hat dennoch zuletzt den Sieg davongetragen. So ist von Petrus, so von Paulus, so von allen Heiligen zu sagen.

Da hast du den einen vornehmlichen Zweck des heutigen Wunders. Ein anderer Zweck ist der, dass dieses Wunder dem Gebote: „Du sollst nicht stehlen“ gehorchen lehrt. Die Leute pflegen durch Betrügereien Schätze zu erwerben, aber das heutige Wunder lehrt, dass Gott für diejenigen Sorge trägt, die seinem Berufe nachgehen. Trachte also zuerst nach dem Reiche Gottes, d. h. befleißige dich der Gerechtigkeit und Gottseligkeit, und alles Übrige wird dir zum Lebensunterhalt zufallen. Amen.

1)
Nicht wörtlich von Brenz angeführt.
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