Bunyan, John - Pilgerreise - Die Pilgerin - Siebentes Kapitel.

Bunyan, John - Pilgerreise - Die Pilgerin - Siebentes Kapitel.

Die Pilger setzen die Reise unter des Führers Geleite fort.

Nun sah ich, daß sie auf die Anhöhe gingen, die ein wenig vom Wege entfernt aufgeworfen war, um den Pilgern eine Aussicht zu verschaffen: es war die nämliche Stelle, von der aus Christ zuerst seinen Bruder Getreu erblickte. 1) Hier setzten sie sich nieder und ruhten aus, aßen und tranken und waren guter Dinge, daß sie von dem so gefährlichen Feinde waren erlöst worden. Als sie so da saßen, fragte Christin den Führer, ob er keinen Schaden im Kampfe davon getragen?

Nein, sagte Muthherz, keinen als nur ein wenig an meinem Fleische, aber das kann mir so wenig schaden, daß es mir vielmehr zum Zeichen meiner Liebe zu meinem Herrn und zu euch gereicht, und durch seine Gnade wird es dazu dienen, daß mein Lohn am Ende um so größer wird.

Christin. Aber, lieber Herr, fürchtetest du dich denn gar nicht, als du Den mit der Keule kommen sahest?

Muthh. Es ist ja meine Pflicht, daß ich an meiner eigenen Kraft verzage, damit ich mein ganzes Vertrauen auf Den setze, der mächtiger ist, denn Alle.

Christin. Allein, was dachtest du, als er dich mit dem ersten Schlage zu Boden warf?

Muthh. Was ich dachte? Daß es meinem Herrn ebenso widerfahren, und daß Er zuletzt dennoch überwunden habe. 2)

Matth. Du magst gedacht haben, was du willst, ich denke, daß Gott sich uns wunderbar gnädig erwiesen, nicht nur, daß Er uns aus jenem Thal herausgebracht, sondern auch, daß Er uns aus der Hand des Feindes errettet hat. Ich kann daher auch an meinem Theil nicht einsehen, warum wir jemals unser Vertrauen auf den Herrn wegwerfen sollten, nachdem Er uns jetzt und an einem solchen Orte solches Zeugniß seiner Liebe gegeben hat.

Sie standen nun auf und gingen weiter. Ein wenig vor ihnen stand aber eine Eiche; als sie zu derselben kamen, fanden sie darunter einen alten Pilger, der fast eingeschlafen war. Daß es ein Pilger war, konnten sie an seinen Kleidern, an seinem Stabe und an seinem Gürtel sehen. Muthherz weckte ihn auf, und als der Alte seine Augen öffnete, rief er: Was gibt's? Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?

Muthh. Komm, mein Freund! nicht so hitzig, hier ist Niemand, als gute Freunde. Allein der alte Mann richtete sich empor und war auf seiner Hut, bis er wußte, wer sie wären.

Da sagte der Führer: Mein Name ist Muthherz, ich bin der Führer dieser Pilger, die nach der himmlischen Stadt ziehen.

Hierauf sagte Redlich (dies war der Name des Alten): Ich bitte um Verzeihung, ich fürchtete, daß ihr zu der Bande gehört hättet, welche vor einiger Zeit Kleinglauben all sein Geld geraubt; aber nun, da ich mich besser umsehe, bemerke ich wohl, daß ihr redliche Leute seid.

Mutth. Nun, was hättest du thun wollen oder können, um dir zu helfen, wenn wir wirklich von jener Bande gewesen wären?

Redl. Was? Nun ich hätte mich gewehrt, so lange ein Athem in mir gewesen wäre, und dann, deß bin ich gewiß, ihr hättet mir nie etwas anhaben können, denn ein Christ kann niemals überwunden werden, wenn er sich nicht selber Preis gibt.

Muthh. Recht gesagt, Väterchen! Daran erkenne ich, daß du ein Mann von der rechten Art bist, denn du hast die Wahrheit geredet.

Redl. Und ich erkenne ebenfalls daraus, daß du weißt, was es mit der rechten Pilgrimschaft auf sich hat; denn alle Andern meinen, daß wir am ehesten von Allen überwunden werden konnten.

Muthh. Nun, da wir uns hier so glücklich zusammengefunden, so laß mich doch deinen Namen wissen und den Ort, von dannen du gekommen bist.

Redl. Meinen Namen kann ich dir nicht sagen, die Stadt aber, aus der ich komme, heißt Stumpfheim, und liegt ungefähr vier Meilen jenseits der Stadt Verderben.

Muthh. Ach! daher bist du? Dann glaube ich, kann ich deinen Namen halb errathen. Du bist die alte Redlichkeit, nicht wahr?

Da erröthete der Alte und sprach: nicht Redlichkeit überhaupt, sondern Redlich heiße ich, und wohl möchte ich, daß mein Wesen mit meinem Namen in Einklang wäre. Aber, mein Freund, wie konntest du errathen, daß ich dieser Mann sei, blos, weil ich aus diesem Orte komme?

Muthh. Ich hatte schon früher bei meinem Herrn von dir gehört, denn Er weiß alle Dinge, die auf Erden vorfallen. Aber ich habe mich oft gewundert, daß Jemand aus deinem Orte kommen sollte, denn da ist's noch schlimmer, wie in der Stadt Verderben selbst.

Redl. Ja, wir liegen weiter von der Sonne entfernt, und sind daher noch kälter und unempfindlicher, aber wäre Einer auch mitten in einem Eisberge, so wird, wenn die Sonne der Gerechtigkeit über ihm aufgeht, doch sein erstarrtes Herz aufthauen, und so ist es mit mir der Fall gewesen.

Muthh. Ich glaube es, Vater Redlich, ja, ich glaube es, denn ich weiß, daß es sich also verhält. 3)

Hiernach grüßte der alte Redlich die Pilger alle mit dem heiligen Kuß der Liebe 4) und fragte sie um ihre Namen, und wie es ihnen bisheran auf ihrer Pilgrimschaft ergangen sei.

Christin. Ich glaube, meinen Namen wirst du bereits gehört haben, denn der liebe Christ war mein Mann und diese Vier hier sind seine Kinder.

Doch nun vermag ich nicht zu beschreiben, wie entzückt der alte Mann ward, als er hörte, wer sie seien; er hüpfte, er lächelte und sprach tausend Segenswünsche über sie aus, und fügte hinzu: Ja, ich habe Vieles von eurem Manne und Vater gehört und Vieles von seiner Reise und seinen Kämpfen, die er bei seinen Lebzeiten erduldet. Möge es zu eurem Troste gesagt sein: Der Name deines Mannes erschallt in allen Theilen der Welt; sein Glaube, sein Muth, seine Geduld und seine Treue gegen Jedermann haben seinen Namen herrlich gemacht. Hierauf wandte er sich zu den Knaben, und ließ sich von ihnen ihre Namen sagen. Und nun sprach er zu ihnen: Matthäus, werde du gleich dem Zöllner deines Namens, nicht in der Sünde, sondern im Glauben. 5) Samuel, werde du ähnlich dem Propheten, jenem Manne des Glaubens und des Gebetes. 6) Joseph, werde, wie dein Vorbild in Potiphars Hause, keusch und fliehend die Reize der Sünde. 7) Und du, Jakob, sei wie Jakobus, der Gerechte, der Bruder unseres Herrn. 8)

Darauf erzählten sie ihm auch von Barmherzig, wie sie ihre Heimath und Freundschaft verlassen, um mit Christin und ihren Söhnen zuziehen. Da sagte der redliche Greis zu ihr: Barmherzig, also ist dein Name — durch des Herrn Barmherzigkeit sollst du getragen und hindurchgeführt werden durch alle Mühseligkeiten deiner Pilgerfahrt, bis du dahin kommst, wo du schauen wirst den Brunn der Gnaden von Angesicht zu Angesicht.

Über alles dieses war Muthherz höchlich erfreut und lächelte in Einem fort seine Gefährten an.

Als sie mit einander daher zogen, fragte der Führer den Greis, ob er nicht einen gewissen Verzagt kenne, der sich auch aus seiner Gegend auf die Pilgrimschaft begeben habe.

Redl. Allerdings, sehr wohl. Es war ein Mann, der zwar den rechten Grund der Sache in sich trug, allein er war einer der ängstlichsten Pilger, die ich je in meinem Leben angetroffen habe. 9)

Muthh. Ich merke wohl, du kennst ihn, denn du hast ihn ganz richtig geschildert.

Redl. Ob ich ihn kenne! Ich habe ihn lange begleitet, ich ging ein gutes Ende mit ihm. Als er zuerst darüber nachdachte, was wohl nachher über uns kommen werde, war ich bei ihm.

Muthh. Ich war sein Führer von meines Herrn Hause bis zu den Thoren der himmlischen Stadt.

Redl. Nun, dann weißt du, was er für ein bedenklicher und ängstlicher Mensch war.

Muthh. Ja wohl; aber ich konnte mit ihm fertig werden, denn Leute meines Berufs werden oft mit der Führung von Menschen betraut, wie er Einer war.

Redl. Wohlan denn, so laß uns doch Etwas hören davon, wie er sich bei deiner Führung benommen hat.

Muthh. Er war immer besorgt, daß er das Ziel nicht erreichen möchte, an dem er auszukommen wünschte. Alles, was er von irgend Jemand über das, was ihm noch hinderlich sein könnte, sagen hörte, brachte ihn in Angst, und wenn es auch noch so unbedeutend war. Ich habe ihn länger als einen Monat am Sumpfe Verzagtheit jammern hören, und er getraute sich nicht hinüberzugehen, obwohl Manche von denen, die es thaten, ihm ihre Hand anboten. Umkehren wollte er jedoch auch nicht, denn ich müßte sterben, sagte er, wenn ich nicht in die himmlische Stadt käme. Und doch war er muthlos bei jeglicher Schwierigkeit und strauchelte über jeden Strohhalm, der ihm in den Weg gelegt ward. Indessen, nachdem er so lange Zeit hindurch an dem Sumpfe Verzagtheit gelegen, wagte er's, ich weiß nicht wie, an einem sonnigen Morgen, hinüberzusetzen. Als er aber hinüber war, wollte er es selber kaum glauben. Ich glaube, er hatte einen ähnlichen Sumpf der Verzagtheit im eigenen Herzen, einen Sumpf, den er allenthalben mit sich herumtrug, denn sonst hätte er nicht so sein können, wie er war. So kam er dann zur Pforte hinan, du weißt, welche ich meine — sie liegt am Eingang dieses Weges, und auch dort stand er eine gute Weile, ehe er anzuklopfen wagte. Als die Pforte sich öffnete, wollte er zurücktreten und machte Andern Platz, denn er sagte, er sei nicht würdig einzutreten. Obgleich er früher, als manche Andere an der Pforte angelangt war, gingen dennoch Viele vor ihm hinein. Da stand denn her arme Mann zitternd und bebend; ich bin überzeugt, wer es gesehen, würde ihn von Herzen bedauert haben. Umwenden wollte er jedoch auch diesmal nicht. Endlich nahm er den Klöpfel in die Hand, der an der Pforte hing, und that einen oder zwei leise Schläge damit. Darauf schloß ihm Einer auf, ging auf ihn zu und sprach: Du Zitternder, was begehrest du? Und somit fiel er auch schon zur Erde nieder. Da wunderte sich der, welcher mit ihm redete, ihn so schwach zu finden, und sprach zu ihm: Friede sei mit dir! auf! denn ich habe die Thüre vor dir aufgethan; komm herein, denn du bist gesegnet. Darauf stand er auf und trat hinein mit Zittern, und als er drinnen war, schämte er sich, sein Gesicht sehen zu lassen. Als er nun dort eine Zeitlang, nach der euch bekannten Weise, bewirthet worden war, hieß man ihn weiter ziehen, und sagte ihm auch den Weg, den er nehmen sollte. Und so ging er denn, bis er an unserem Hause anlangte, allein, wie dort an der Pforte, benahm er sich auch an meines Herrn, des Auslegers, Thüre. Er lag dort eine ganze Weile in der Kälte, ehe er sich getraute, anzusprechen; umkehren wollte er jedoch auch hier nicht. Ja, er hatte ein dringendes Empfehlungsschreiben an meinen Herrn in der Tasche, daß derselbe ihn aufnehmen und ihm die Erquickungen seines Hauses doch möge angedeihen lassen, namentlich hatte er meinen Herrn darin auch gebeten, daß er ihm — da er selber so ängstlich wäre — einen kräftigen und beherzten Führer mitgebe; aber All deß ungeachtet, war er zu bange, an der Thür anzurufen. So trieb sich nun der arme Mann dort auf und ab, bis er beinahe umgekommen wäre. Ja, er war so niedergeschlagen, daß, wiewohl er mehrere Andere anklopfen und hineingehen sah, er selbst es dennoch nicht zu thun wagte. Endlich sah ich einmal zum Fenster hinaus und ward einen Menschen gewahr, der vor der Thüre auf- und abging. Ich trat darauf hinaus und fragte/ wer er wäre. Aber, armer Mann! Die Thränen standen ihm in den Augen — und so bemerkte ich denn, was ihm fehlte. Deswegen ging ich in's Haus, erzählte dort, was ich gesehen, und zeigte die Sache unserm Herrn an. Dieser nun schickte mich wieder hinaus, ihn zu bewegen, daß er hereinkommen möge; allein ich muß gestehen, daß es mir schwer wurde, ihn dazu zu bringen. Indessen endlich gelang es mir doch, und da muß ich sagen, mein Herr benahm sich mit erstaunlicher Liebe gegen ihn. Es waren nur einige wenige gute Gerichte noch auf dem Tische, aber von einem jeden legte er ihm auf seinen Teller. Hiernach überreichte er meinem Herrn das Empfehlungsschreiben, und als dieser es gelesen, sagte er, sein Wunsch sollte erfüllt werden. Als er nun eine gute Weile dort gewesen, schien er sich ein Herz zu fassen und etwas mehr Trost gefunden zu haben. Denn mein Herr, müßt ihr wissen, hat besonders ein großes Erbarmen gegen bange Seelen;10) daher that er Alles, um ihm Muth einzuflößen. Nachdem er nun alle Merkwürdigkeiten des Ortes angesehen und bereit war, seine Reise nach der himmlischen Stadt fortzusetzen, gab ihm mein Herr, wie er es früher Christ und auch euch gethan, eine Flasche mit stärkendem Getränk und einige Erfrischungen auf den Weg mit. Nun zogen wir weiter, und ich ging vor ihm her; allein der Mann hatte nur wenig Worte und seufzte meist laut auf.

Als wir an die Stelle kamen, wo die drei Bösewichte aufgehängt waren, sagte er, er befürchte, daß er auch ein solches Ende nehmen werde. Nur dann schien er froh zu sein, als er das Kreuz und das Grab erblickte. Hier, muß ich gestehen, wünschte er ein wenig zu verweilen, um sie anzuschauen, und nachher schien er etwas heiterer zu sein. Als wir zu dem Hügel Beschwerde kamen, machte es ihm kein Bedenken, auch zeigte er keine Furcht vor den Löwen; denn ihr müßt wissen, daß seine Unruhe nicht von Dingen, wie diese, herrührte, sondern seine Furcht kam einzig und allein daher, weil er ungewiß war, ob er wohl endlich in Gnaden möge angenommen werden.

Ich brachte ihn in das Haus Prachtvoll, ehe er noch, wie ich glaube, sich entschlossen hatte, hineinzugehen. Drinnen machte ich ihn mit den Jungfrauen des Ortes bekannt, aber er war zu schüchtern, um sich viel in Gesellschaft zu begeben. Er sehnte sich sehr darnach allein zu sein, und dennoch hatte er Lust an erbaulichen Gesprächen, und oft stellte er sich hinter einen Vorhang, um zuzuhören. Ebenso war er ein Freund von alterthümlichen Sachen und dachte gern darüber nach in seinem Herzen. Späterhin sagte er mir, daß ihm der Aufenthalt in den beiden Häusern, aus denen er zuletzt gekommen —nämlich an der Pforte und beim Ausleger — lieb geworden, allein er habe es nicht wagen dürfen, um längeren Aufenthalt daselbst zu bitten.

Als wir nun den Hügel hinab in das Thal Demuth gingen, schritt er so vortrefflich drauf los, wie ich je Einen gesehen habe; denn er fragte nichts darnach, daß er so niedrig wäre, wenn er nur endlich selig würde. Ja, ich glaube, zwischen ihm und dem Thale war eine Art von innerer Zusammengehörigkeit, denn auf seiner ganzen Pilgerfahrt habe ich ihn nicht fröhlicher gesehen, als gerade in diesem Thale. Da legte er sich hin, umschlang den Boden und küßte die Blumen, die dort wachsen. 11) Jeden Morgen stand er schon bei Tagesanbruch auf und zog durch das Thal hin und her.

Als er aber an den Eingang des Thals der Todesschatten gelangt war, da glaubte ich, mein Mann wäre verloren; nicht als wenn er irgend Neigung gezeigt hätte, umzukehren, denn davor hatte er allewege einen Abscheu; aber es war drauf und dran, so wäre er vor Furcht gestorben. „O, die bösen Geister wollen mich haben! Die bösen Geister wollen mich haben!“ schrie er, und ich konnte ihm das nicht aus dem Sinne bringen. Hier machte er einen solchen Lärm und stieß solch ein Geschrei aus, daß, hätten sie ihn nur gehört, dies hinreichend gewesen wäre, ihnen Muth zu machen und über ihn herzufallen. Mein ich bemerkte es ganz genau, daß dieses Thal, als wir hindurchgingen, so ruhig und stille war, als ich es je früher und später gefunden habe. Ich vermuthe, unser Herr hatte die Feinde unter einen besondern Bann gethan und ihnen Befehl gegeben, sich nicht zu rühren, bis Verzagt hindurch wäre.

Es würde aber zu langweilig sein, euch Alles zu erzählen; deßwegen nur noch ein paar Vorfälle. Da er auf den Eitelkeitsmarkt gekommen war, kam es mir vor, als wenn er dort mit allen Leuten hätte streiten wollen. Ich war bange, daß man Uns Beiden den Kopf einschlagen würde, mit solchem Eifer trat er gegen ihre Thorheiten auf. Auch war er auf dem Zaubergrunde sehr wachsam. Als er aber an den Strom kam, über den keine Brücke geht, da befand er sich abermals in schwerer Angst. Nun, nun, sagte er, muß ich versinken auf ewig und werde nie das Antlitz Dessen schauen, um den ich einen so weiten Weg zurück gelegt habe.

Hier sah ich Etwas, was sehr merkwürdig war: das Wasser des Stromes war gerade zu, der Zeit niedriger, als ich es je in meinem Leben gesehen; und so kam er zuletzt hinüber, daß ihm das Wasser nicht weit über die Schuhe ging. Als er zur Pforte hinaufstieg, nahm ich Abschied von ihm und wünschte ihm, daß er droben eine gute Aufnahme finden möge. Und er sprach: ja, ich werd' es, ich werd' es! So schieden wir, und ich sah ihn nicht wieder.

Redl. Es ging ihm also wohl, wie's scheint.

Muthh. Ganz gewiß, ich zweifelte auch nie daran. Er war ein Mann, der zwar ein auserlesenes Gemüth hatte, nur war er immer sehr gedrückt, und dadurch machte er sich und Anderen das Leben so schwer. Er hatte vor vielen Anderen her eine zarte Scheu vor der Sünde, und fürchtete sich so sehr davor, Anderen Unrecht zu thun, daß er sich oft das versagte, was erlaubt ist, eben weil er Niemanden ein Ärgerniß oder Anstoß geben wollte. 12)

Redl. Aber, was mochte wohl der Grund davon sein, daß ein so frommer Mann sein ganzes Lebenlang in solcher Dunkelheit wandeln mußte?

Muthh. Es kann mehr wie ein Grund sein; ich will nur den einen nennen, weil es der allweise Gott so haben will, daß die Einen pfeiffen und die Andern weinen. 13) Und so war denn Verzagt Einer, welcher den Baß spielte. Er und seines Gleichen blasen die Posaune, deren Töne trauriger sind, als anderer musikalischer Instrumente; dennoch behaupten Einige, der Baß sei der Grundton aller Musik. Und was mich anlangt, so halte ich von einer Bekehrung nichts, welche nicht mit einer Traurigkeit des Herzens anfängt. 14) Die erste Saite, welche der Tonkünstler berührt, ist gewöhnlich eine Baßseite und damit setzt er alle anderen Töne in Bewegung. So schlägt auch der Herr zuerst diese Saite an, wenn er die Seele in die rechte Stimmung für sich bringen will. Allein darin lag bei unserem Verzagt der Fehler, daß er sein ganzes Leben hindurch keinen andern Ton, als diesen hervorbringen konnte.

(Ich wage es, in diesen Bildern zu reden, um besonders jüngern Lesern Etwas zu denken zu geben, und weil ferner auch in dem Buche der Offenbarung Johannis die Seligen mit Tonkünstlern verglichen werden, die auf Posaunen und Harfen spielen und vor dem Throne des Lammes ihre Lieder singen.)15)

Redl. Er war ein sehr eifriger Mann, wie man aus deiner Erzählung wohl abnehmen kann. Beschwerden, Löwen oder den Eitelkeitsmensch fürchtete er durchaus nicht. Nur Sünde, Tod und Hölle schreckten ihn, weil er einige Zweifel darüber hegte, ob er in der himmlischen Stadt werde Aufnahme finden.

Muthh. Ganz Recht; dies allein war es, Was ihn beunruhigte, jedoch kam es, wie du richtig bemerkt hast, aus Gemüths- und nicht aus Geistesschwäche her; dies kann man recht aus der Art und Weise sehen, in der er sein Pilgerleben geführt hat. Ich glaube, er wäre, wie man zu sagen pflegt, durch ein Feuer gelaufen, wenn es ihm im Wege gestanden; aber das, was ihn drückte, hat noch Keiner mit Leichtigkeit von sich abgeschüttelt.

Christin. Die Erzählung über Verzagt hat mir wohl gethan. Bisher glaubte ich, es wäre Niemandem so gewesen wie mir, allein nun sehe ich, daß zwischen diesem guten Manne und mir doch eine Ähnlichkeit vorhanden war. Nur in zwei Dingen sind wir verschieden. Seine Beängstigungen waren so groß, daß sie zum Ausbruch kamen; aber die meinigen hielt ich bei mir verschlossen, und überdem lagen die seinigen so hart auf ihm, daß er an den Häusern, die zu unserer gastlichen Aufnahme eingerichtet sind, nicht anzuklopfen wagte, dagegen trieben meine Beängstigungen mich nur an, um so lauter anzuklopfen.

Barmh. Wenn ich meinen Herzenszustand bekennen darf, so muß ich sagen, daß Etwas von dem, was sich bei ihm fand, auch in mir wohnte. Denn immerhin habe ich mehr Angst vor dem Feuersee und davor gehabt, daß ich des Paradieses, als daß ich irgend anderer Dinge verlustig gehen möge. O, wenn ich nur so glücklich bin, dort eine Stätte zu finden, dachte ich. Wenn ich die nur gewinne, habe ich genug, und wenn ich auch die ganze Welt darüber verliere.

Muthh. Die Furcht war eins von den Dingen, die mich auf den Gedanken brachten, daß ich weit entfernt sei von dem, was zu unserer Seligkeit gehört. Aber, wenn es also bei einem so frommen Manne, wie Verzagt, stand, warum sollte es dann nicht auch mit mir gut gehen?

Jakob. Ohne Furcht keine Gnade; wenn gleich die Gnade nicht allezeit du ist, wo sich die Furcht vor der Hölle findet, so ist doch sicherlich da keine Gnade, wo keine Furcht Gottes ist.

Muthh. Richtig geredet, Jakob, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen; denn die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang, und gewiß ist's, daß die, denen der Anfang fehlt, auch weder Mittel, noch Ende finden. Doch hier wollen wir unsere Unterredung über Verzagt beschließen und ihm nur noch dieses Lebewohl nachsenden:

Leb' wohl! Verzagt, du warest voll
Von Gottesfurcht und Scheu
Vor Allem, was man meiden soll,
Und was verletzt die Treu.
Bang warst du vor dem Feuersee;
O, möchten's Alle sein!
Denn, wer nicht fühlt dein ängstlich Weh,
Geht nicht zum Himmel ein.

Nun bemerkte ich, daß sie in ihren Gesprächen fortfuhren. Redlich fing jetzt von einem Andern an, mit Namen Eigenwillig. Er gab sich selber für einen Pilger aus, sagte Redlich; aber ich glaube überzeugt sein zu können, daß er niemals durch die Pforte gekommen ist, die am Eingange dieses Weges ist.

Muthh. Hast du wohl mit ihm darüber geredet?

Redl. Ja, mehrmals; aber er blieb stets, wie sein Name, Eigenwillig. Er achtete weder auf Menschen, noch Gründe, noch Beispiele; er folgte lediglich seinem eigenen Sinn und nichts Anderes konnte ihn zum Handeln bewegen. 16)

Muthh. Was für Grundsätze hatte er denn? Ich vermuthe, daß du es mir sagen kannst.

Redl. Er behauptete, man könne sowohl den Schwächen und Gebrechen der Pilger, als auch ihren Tugenden folgen, und wenn man Neides thäte, so würde man gewiß selig werden.

Muthh. Wie? wenn er noch gesagt hätte: es könne auch dem Besten widerfahren, daß er sich der Sünden der Pilger ebenso theilhaftig mache, als ihrer Tugenden, ohne daß man großen Tadel über ihn erheben könnte; denn in Wahrheit sind wir vor keiner Sünde völlig sicher, wenn wir nicht wachen und streiten. Allem, ich merke es wohl, hierum handelte es sich nicht bei ihm, sondern wenn ich dich recht verstehe, so war seine Meinung, daß es erlaubt sei, es so zu machen. 17)

Redl. Ja, ja! so nahm ich's, und hiernach dachte und lebte er auch.

Muthh. Aber, welche Gründe hatte er denn für diese Behauptung?

Redl. Ei, er sagte, er hätte die Schrift zur Gewähr.

Muthh. So bitte ich denn, lieber Redlich, sage uns doch etwas Näheres davon.

Redl. Gerne. Mit anderen Weibern zu thun haben, sagte er, wäre Etwas, was David, ein Kind Gottes, gethan, und deßhalb stehe es ihm ebenfalls zu. Mehrere Weiber zu haben, sei von Salomo geschehen, und darum dürfe er's auch. Sarah und die gottesfürchtigen Wehemütter in Ägypten hätten gelogen, wie auch Rahab, und daher wäre es ihm auch erlaubt. Die Jünger des Herrn, sprach er, gingen hin auf sein Geheiß und nahmen dem Eigenthümer seinen Esel weg, folglich kann ich's ebenso machen. Ferner sagte er: Jakob brachte die Erstgeburt an sich durch List und Verstellung, und somit dürfe er's auch so thun.

Muthh. Wichtige Gründe, in der That! Bist du denn gewiß, daß es ihm damit wirklich Ernst war?

Redl. Ich habe ihn oft diese Meinung verteidigen und Bibelstellen und andere Beweise dafür beibringen hören.

Muthh. Wahrlich, eine Meinung, die gar keine Berechtigung in der Welt hat!

Redl. Du mußt mich recht verstehen: nicht behauptete er, daß ein Jeder dies thun dürfe, sondern daß der, welcher die Tugenden derer besäße, die solche Dinge gethan, auch dasselbe begehen dürfe, was Jene begangen.

Muthh. Aber, was kann falscher sein, als solch ein Schluß? Denn das heißt mit anderen Worten: Weil fromme Menschen aus Schwachheit gesündigt, deßwegen haben nur die Befugniß, es mit Vorsatz und Überlegung zu thun; oder: weil ein Kind von einem starken Winde umgeworfen ward oder über einen Stein stolperte, und dadurch hinfiel und sich im Kothe beschmutzte, darum dürfen wir uns geflissentlich hineinlegen und wie ein Schwein darin herumwälzen. Wer sollte meinen, daß ein Mensch durch die Gewalt der Lüste so sehr verblendet werden könnte! Doch es muß erfüllet werden, was geschrieben stehet: sie stoßen sich an dem Wort, und glauben nicht daran, darauf sie gesetzt sind. 18) Wenn Jener wähnt, daß Einer die Tugenden der heiligen Männer besitzen könne, der ihre Fehler und Gebrechen an sich hat, so ist das hinwiederum eine Täuschung, die ebenso stark ist, wie die andere. Die Sündopfer des Volkes Gottes zu fressen,19) wie ein Hund den Koth aufleckt, ist kein Zeichen, daß man mit den Tugenden dieses Volkes begabt ist. Und ich kann nicht glauben, daß Einer, der solche Meinung hegt, zur selben Zeit Glaube und Liebe in sich trage. — Aber zweifelsohne, du wirst starke Einwendungen wider ihn erhoben haben; so sage mir doch, was konnte er denn wohl für sich anfuhren?

Redl. Ei nun, er sagte, wenn man so nach eigener Meinung handle, so scheine ihm das bei Weitem ehrlicher, als, wenn man das Gegentheil glaube, und doch dasselbe thue.

Muthh. Eine wahrhaft gottlose Antwort — denn den Lüsten den Zügel schießen lassen, obgleich es unserer Überzeugung zuwider ist, kann doch nur schlecht genannt werden; aber sündigen und ein Recht dazu beanspruchen, ist noch schlechter. Der Eine bringt die, welche es sehen, zum Fall, der Andere führt sie absichtlich in die Falle.

Redl. Es gibt Viele, welche die nämliche Ansicht haben, wie dieser Mann, es aber nicht aussprechen, und daher kommt's, daß das Pilgerleben heutiges Tages so wenig in Achtung steht.

Muthh. Du sagst die Wahrheit, und es ist sehr zu beklagen, daß es so steht; wer aber den König des Paradieses fürchtet, wird dem Allem entrinnen.

Christin. Es gibt sonderbare Ansichten unter den Menschen, Ich kenne Jemanden, welcher behauptet, es wäre Zeit genug, Buße zu thun, wenn es zum Tode ginge.

Muthh. Solche Menschen sind gerade nicht die wenigsten. Schwerlich würden sie's im gemeinen Leben gutheißen, wenn ein Mensch, der zwanzig Meilen in einer Woche zulaufen hätte, seine Reise bis auf die allerletzte Stunde der Woche verschöbe.

Redl. Du hast ganz Recht, und dennoch machen es die Meisten von denen, die Pilgrime sein wollen, gerade nicht anders. Ich bin, wie du siehst, ein alter Mann, und habe manchen Tag diese Straße bereist; daher habe ich mancherlei Dinge hier erfahren.

Ich habe Menschen gesehen, die beim Antritt ihrer Reise thaten, als wenn die ganze Welt ihnen weichen müßte, aber dennoch in wenigen Tagen starben, wie Jene in der Wüste, und haben das gelobte Land nie gesehen. Andere habe ich gesehen, die, als sie sich auf die Pilgrimschaft begaben, nichts zu versprechen schienen, und von denen man hätte glauben mögen, daß sie keinen Tag leben würden, die sich aber als treue Pilger bewährten. Wieder Andere habe ich gesehen, die hastig vorwärts liefen, aber nach kurzer Zeit eben so schnell wieder umkehrten. Noch Andere habe ich gesehen, die anfangs von dem Pilgerleben viel Rühmens gemacht, die aber bald nachher eben so heftig dawider redeten. Mehrere habe ich mit Bestimmtheit sagen hören, wenn sie sich auf die Reise zum Paradiese begaben: „Sicherlich, es gibt einen solchen Ort!„ die jedoch, wenn sie beinahe dort angelangt waren, wieder zurückkamen und behaupteten: „Nein, es gibt kein Paradies!“ Ich habe gehört, wie Manche sich rühmten, was sie Alles thun würden, wenn sie auf Widerstand stoßen sollten, die aber beim ersten falschen Lärm Glauben, Pilgerfahrt und Alles daran gaben.

Als sie so in ihren Gesprächen dahergingen, kam ihnen Einer entgegen gelaufen und rief: Ihr Männer und ihr vom schwächern Geschlecht, wenn ihr euer Leben lieb habt, so nehmt euch in Acht, denn die Räuber sind vor euch!

Muthherz sagte: Das sind wahrscheinlich die Drei, welche früher Kleinglauben hier überfielen. Wohlan, wir sind bereit, sie zu empfangen! Darauf zogen die Pilger weiter und sahen sich bei jeder Wendung um, ob sie nicht mit den Bösewichtern zusammenträfen. Allein mochte es nun sein, daß sie von Muthherz gehört, oder daß sie eine andere Beute aufgethan hatten, sie kamen nicht auf unsere Pilger zu.

1)
Theil 1. S. 70.
2)
2 Kor. 4, 10. 11. Röm. 8, 37.
3)
Luk. 1, 37.
4)
Röm. 16, 16. 1 Kor. 16, 20. u. a. w.
5)
Matth. 9,9. ; 10,3.
6)
Ps. 99,6.
7)
1 Mos. 39,19. ff.
8)
Apostlg. 12,2.
9)
Ps. 13,3.
10)
Ps. 34, 19. Jes. 66, 2.
11)
Klagl. Jerem. 3, 27—29
12)
Röm. 14, 21. 1 Kor. 8, 13.
13)
Matth. 11, 17.
14)
Kor. 7, 10. Matth. 5, 4.
15)
Offenb. Joh. 5,8. ; 14, 2. 3.
16)
Sprüch. 14,12.
17)
1 Joh. 1,8. 9.
18)
1 Petr. 2,8.
19)
Hos. 4,8.
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