Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Elfte Betrachtung

Du, dessen Herz voll Liebe
Sich bis zum Tod und Grab,
Aus mitleidsvollem Triebe,
Zu unsrer Rettung gab! -
So, unter welchen Plagen
Schloss, Jesu, sich dein Lauf! -
Mit Zittern und mit Zagen
Stiegst du zum Ölberg auf!

Text: Joh. 18, V. 1,
Da Jesus solches geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron, da war ein Garten, darein ging Jesus und seine Jünger.

Nach den Reden, an deren Hauptinhalt wir uns erst bei der Betrachtung des Hingangs Jesu erinnerten, berichtet Johannes, sei der Herr mit seinen Jüngern in den Garten gegangen, ohne diesen Garten zu nennen und uns zu sagen, was hier vorfiel. Die übrigen Evangelisten aber erzählen, es sei der Garten Gethsemane am Fuße des Ölbergs gewesen. Jesus habe schon beim Hingehen nach demselben gesagt: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod - und sich von seinen Jüngern dann entfernend, sei er auf seine Knie niedergefallen und habe gebetet, dass Gott den Kelch der Leiden vorübergehen lassen möge, wenn es möglich wäre, jedoch hinzufügend: Vater nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Hierauf sei er zurückgekehrt und habe seine Jünger, die er schlafend gefunden, ermahnt, zu wachen und zu beten, sein eignes Gebet aber wiederholt. Die Angst seiner Seele sei indessen so gestiegen, dass sein Schweiß wie Blutstropfen zur Erde fiel, bis ein Engel ihn stärkte; seine Jünger aber habe er, trotz seiner Ermahnung, bei einem dreimaligen Zurückkehren, immer wieder schlafend gefunden, bis er sich ihnen zuletzt mit der Äußerung genähert, sie sollten jetzt aufstehen, die Stunde sei gekommen, wo des Menschensohn verraten werden würde.

In vielfacher Beziehung erscheint die Betrachtung dieses Aufenthaltes Jesu im Garten Gethsemane lehrreich, und wir wollen ihm deshalb jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit widmen.

Der Aufenthalt Jesu mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane.

Wir betrachten dabei zuerst: - die Bangigkeit, welche Jesum befiel; dann - das Mittel, dass er erwählte, sich davon zu befreien; endlich - bei dem allen, das Verhalten seiner Jünger.

I.

Meine Seele ist betrübt bis in den Tod, sprach Jesus, als er am Vorabend seines Leidens mit seinen Jüngern in dem Garten Gethsemane eintrat. Wie konnte, fragen wir unwillkürlich, der Gottes- und Menschen-Sohn, der Heilige und Erhabene, Angst in seiner Seele fühlen? - Steht das nicht im Widerspruch mit der Behauptung, die wir erst in der letzten Betrachtung aussprachen: Jesu Hingang sei durch seine Ruhe und Gelassenheit ausgezeichnet gewesen?

Allerdings ist nicht zu leugnen, dass, wenn auch dieser Widerspruch nur als scheinbar sich darstellen ließe und sich somit von selbst auflöste, für den Grad unserer Einsicht, bei genauer Betrachtung des Lebens Jesu, noch manche andere Widersprüche sich zeigen. Eben so gut, als wir fragen: Wie konnte der Sohn Gottes Angst in seiner Seele fühlen? können wir auch fragen, wie konnte der, welcher reich war an allen Gütern des Himmels und der Erde, einen Mangel fühlen? - Wie konnte der, vor dem sich beugen sollten, aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden sind, am Kreuz sterben? - Solche Fragen werden uns in tausendfache Widersprüche verwickeln, auf die es keine Antwort gibt, die wir folglich nicht zu lösen im Stande sind. Diese Widersprüche sollen aber auch nicht gelöst werden. Groß ist das Geheimnis, Christus ist Mensch geworden.

Als ein Geheimnis, unerforschlich für unsern Verstand, wird die Erscheinung Jesu allenthalben in der heiligen Schrift bezeichnet. Unser Erlöser von der Strafe der Sünde konnte kein anderer sein, als der eingeborne Sohn vom Vater; unser Freund und Bruder konnte kein anderer sein, als des Menschen Sohn. Menschliche und göttliche Natur musste sich deshalb in ihm vereinigen; aber aus dieser Vereinigung, die wir außerdem nirgends finden, müssen, für das gewöhnliche Maß unsrer Einsichten, Widersprüche hervorgehen, die wir nicht zu lösen vermögen. Wollen wir ihm deshalb seine Gottheit absprechen? Dann werden wir, genau betrachtet, nicht einmal eine dürftige Menschlichkeit übrig behalten. Wollen wir seine Menschlichkeit von ihm wegwünschen? Dann werden wir das Urbild unseres Wesens, unser Vorbild, unsern Bruder und Freund in ihm verlieren. Hier wandeln wir im Glauben, dort im Schauen. Das Sausen des Windes hörst du wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt. Das Überirdische will anders betrachtet, anders beurteilt sein, als das Irdische. Wohl dem, dem der Herr Frieden gebracht, der ihn als seinen Erlöser im Glauben anbetet, als seinem Meister nachfolgt, und statt müßigen Fragen sein Nachdenken zu weihen, aus dem Born des Lebens trinkt.

Aber was uns der Evangelist in der Stelle, die wir unserer Betrachtung zu Grunde legten, von dem Herrn berichtet, ist in der Tat nur ein scheinbarer Widerspruch. Diese Angst, die sich der Seele Jesu bemächtigte, war nicht Todes-Angst, nicht eine durch die Furcht des Todes erzeugte Qual. Nein, den Tod fürchtete er nicht, mutig, ruhig und gelassen ging er ihm entgegen, das zeigt uns unter andern die an seine Jünger gerichtete Aufforderung, welche wir eben erst vernommen haben, nun aufzustehen, da die Stunde gekommen sei. Er hätte dem Tode ausweichen, auch jetzt noch entfliehen, mit einem Worte, seinen Zustand ändern können; das tat er nicht.

Nein, die Angst, die Jesum erfüllte, war anderer Art, sie war der Ausdruck des tiefsten Schmerzens über die Verworfenheit des menschlichen Geschlechts, das er zu retten kam; es war die Qual, die ihm die Sünden der Welt machten, die er zu tragen und zu tilgen kam, fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen; es war der Kummer, den ihm die Verblendung bereitete, die mit sehenden Augen das Licht der Wahrheit nicht erblickte, die, mit dem Gepräge der göttlichen Abstammung, das Heilige in Staub trat; es war der Schmerz über den schändlichen Verrat seines Jüngers, über die Schwachheit seines Freundes, über das Irrewerden seiner Erkorenen an ihm, über ihre Zerstreuung, gleich der Herde, der der Hirte fehlt das Gefühl der Sünde, Verblendung, Torheit, Schwachheit, das türmte sich wie Berge über ihn auf und drückte ihn nieder; diesen Schmerz, fühlte der Gottes Sohn, des Menschen Sohn sprach: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.

Es gibt auch in unserm Leben Augenblicke, wo es von allen Seiten auf uns einstürmt, wo, ohne dass wir selbst unmittelbar litten, das Elend, welches Torheit und Verblendung herbei führen, mit einem tausendfachen Schmerz unsere Seele verwundet, wo auch den Mutigsten und Edelsten, nicht sowohl um des Schmerzens willen, den sie erdulden müssen, als vielmehr um der Abscheulichkeit willen, die ihnen diesen Schmerz bereitet, das Herz brechen und sich Luft machen will im Ausbruch eines gerechten Schmerzens. Solchen Schmerz müssen wir ehren! Wenn wir Jesum davon erfüllt sehen, ergreift es das Tiefste unserer Seele mit Wehmut, und beschämt erkennen wir, dass auch wir zu denen gehören, über die er zu trauern hatte, dass dieselben Torheiten und Sünden, die den Kelch seines Leidens bis auf das Höchste füllten, uns noch ankleben.

Nur vorübergehend indessen war der Sturm in der Seele Jesu; er betet und findet Ruhe.

2.

Gebet ist das Mittel, das er anwendet, frei von Seelenangst zu werden. Er betet: Vater, ist möglich, so gehe dieser Kelch vor mir vorüber, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst; er betet mit tiefer Ergebung; er betet wiederholt mit heiligem Ernst! Ein Engel stärkt ihn! Er findet, was er sucht, Ruhe und Frieden.

Ein Gebet. um neue Stärke,
Zur Verrichtung, guter Werke,
Teilt die Wolken, dringt zum Herrn
Und der Herr erhört es gern.

Das ist eben der unaussprechliche Segen des Gebets, dass wir, wenn es ernst unserer Seele entstiegen ist, dadurch beruhigt, gestärkt, erhoben, beraten, erleuchtet uns fühlen. Nicht dass Gott jedes Mal das gibt, was wir bitten, nicht darin liegt die. Erhörung des Gebets, obwohl seine Macht und Güte uns auch daran nicht zweifeln heißt, dass er, wenn es gut ist, gerade das verleiht, was wir erflehen, so sehr es auch dem gewöhnlichen Gang der Dinge oder der Ansicht der Menschen zu widersprechen scheinen mag; sondern darin liegt sie besonders, dass wir jedes Mal, so oft wir beten, auch wenn er versagt, dennoch beraten und ermutigt uns fühlen, den Weg zu gehen, den er uns zu gehen angewiesen. Ihr habt es alle, die ihr ernst zu beten versteht, an euch selbst erfahren, welche Kraft dem Gebet inwohnt. Sei es, dass ihr in ratlosen Augenblicken um Erleuchtung, in schmerzvollen um Trost, in gefahrvollen um Hälfe gefleht habt. O gewiss, es wurde euch klar, was euch vorher dunkel war; ihr erkanntet, was ihr zu tun, was ihr zu lassen hattet; es lag euch nahe der Trost, den ihr vorher nicht finden konntet; ihr fühltet Stärke, wo euch vorher nur das Gefühl der Schwachheit niederdrückte. Ja, das ernstliche Gebet wird erhört. Jene Erleuchtung, jene hohe Kraft, die es uns gibt, sie sind Zeugen, dass unser Seufzer, dass unser Flehen aufsteigt zu Gott, dass er dem, der anklopft, auftut; dem, der bittet, gibt; den, der suchet, finden lässt.

Durch Gebet überwinden wir jede Bangigkeit in Leiden, wie sie Jesus besiegte, und auch uns kommt Stärkung von oben, wie sie ihm von oben kam.

Ja ich preise dich Herr, dass ich zu dir beten darf, dass du mir auf vergänglichem Boden die Fähigkeit verlieben, zu dir, Unvergänglicher, mich empor zu schwingen, dass ich den tausendfachen Segen des Flehens zu dir selbst erfahren, dass Freude und Trost, Licht und Kraft, auch mir in trüben, in bangen und in schwachen Stunden durch das Gebet zu dir wurden!

3.

Doch die Jünger versäumten in jenen schweren Stunden das Mittel anzuwenden, das nie seine Wirkung verfehlt, Mehrmals bat sie Jesus, zu wachen und zu beten, sie aber schliefen. Der Kummer lastete schon zu schwer auf ihren Herzen. Sie wachten nicht mit ihrem Freund, der des Trostes genießen wollte, seine Lieben wachend, teilnehmend an seinem Geschick zu wissen. Es war dies ein so menschliches, natürliches Verlangen. Wir haben in durchwachten Nächten, wo die Seele durch mannichfachen Kummer sich beunruhigt fühlte, und dieser Kummer eben dann doppelt beengend empfunden wurde, wenn alles um uns her ruhte und schlief, und nur wir wachten und vergebens nach Ruhe uns sehnten - schon selbst wohl erfahren, wie wohltuend es ist, in solchen Augenblicken, eine verwandte Seele bereit zu finden, mit uns zu wachen, Teil zu nehmen an unserm Geschick. Doch dem Herrn war diese Beruhigung versagt, seine Jünger schliefen. Lasst uns nicht schlafen, wenn wir mit Trauernden zu wachen hätten; würde uns die Erfüllung dieser Pflicht der Liebe schwer, so lasst uns dann eingedenk sein der Verheißung des Herrn, dass er, was wir einem der Geringsten tun, ansehen will, als hätten wir ihm es getan.

Jesu Jünger schliefen wohl auch geistig, darum zerstreuten sie sich in der Stunde der Gefahr und fielen zum Teil in der Stunde der Versuchung. Auch wir schlafen so oft in dem letzteren Sinn, wo wir wachen sollten; entfernen uns von Gott, wo wir an ihm festhalten sollten; gehen eine andere Bahn, als die, welche zum Leben führt; tun Böses, unterlassen das Gute, sind übermütig im Glück, im Unglück zaghaft; auch wir erfahren es so oft an uns, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach! - O stärke uns du, Ewigtreuer! Lass uns unwandelbar aufschauen zu dir! - Hilf uns ausdauern im Kampfe und über jeden Schmerz und jede Versuchung siegen, durch Gebet und Flehen zu dir! Amen.

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