Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zehnte Betrachtung.

Möge ich einst zum Tode geh'n,
Wie mein Freund ist hingegangen;
fest im Glauben dann noch steh'n,
Still, bereit das zu empfangen,
Was aus treuen Vaterhänden
ewige Liebe mir wird senden.

Text: Joh. 18, V. 1. Da Jesus solches geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron, da war ein Garten, Darein ging Jesus und seine Jünger.

Die Worte: „da er solches geredet hatte“, beziehen sich auf die Abschiedsrede Jesu an seine Jünger und auf das Gebet für dieselben, welches der Evangelist Johannes uns vom 14ten bis zum 17ten Capitel mitgetheilt hat. Wer diese Reden aufmerksam gelesen, wurde wohl unwillkürlich zu den Ausruf gedrungen:

Welch ein Hingang!

Welche Ruhe der Seele, bei allem, was er von seinem zukünftigen Schicksale wußte; welcher heilige Eifer, trotz aller Verkennung, Gutes zu wirken bis in den letzten Augenblick; welche überwindende, ausdauernde Liebe, trotz alles Hasses!

Ja, möchten auch wir einst hingehen in den Tod, wie Jesus hinging und durch solche Ruhe, solchen heiligen Eifer, solche Liebe den Abend unseres Lebens verherrlicht fühlen.

Bei der Betrachtung dieses Hingangs Jesu wollen wir nun verweilen.

1.

Die Ruhe, welche Jesus bei dem bewies, was er von seinem zukünftigen Schicksale wußte, ist es zunächst, die seinen Hingang so erhaben macht. Schon oft hatte Jesus mit seinen Jüngern über das Ende seines Lebens gesprochen; er hatte sie an das erinnert, was schon in den Propheten von dem Ende des Menschensohnes gesagt ist. Nichts von allem, was er zu leiden hatte, war ihm unbekannt. Er wußte es und hatte es voraus gesagt, daß sein Jünger Judas ihn verrathen und seinen Feinden überantworten würde; er wußte, daß er von den Kriegsknechten allen Hohn und Spott, zahllose Peinigungen zu erdulden haben würde; er wußte, welchen Schmerz ihm Petrus bereiten würde, und wie seine Jünger, gleich den Schafen, die den Hirten verloren haben, sich zerstreuen würden; er wußte, daß er durch ein ungerechtes Gericht endlich zum Tode verurtheilt werden und am Stamme des Kreuzes sterben würde. Dies alles wußte er; dennoch blieb er ruhig und gelassen. Mit hohem Muthe kündigt er es seinen Jüngern schon bei ihrem Hinaufgehen nach Jerusalem an. Mit erhabener Ruhe redet er zu seinen Jüngern, wie Johannes und berichtet, und geht nach diesen bedeutungsvollen Reden gelassen in den Garten, wo ihn der Anfang seines Todes-Kampfes erwartete. Kein Ausdruck der Klage, des Schmerzes wird von ihm vernommen, nur Ergebung in Gottes heiligen Willen ist an ihm sichtbar.

Welch erhabnes Beispiel für uns! Wer sollte diese Ruhe nicht beneidenswerth finden? Uns fehlt sie so oft, schon bei kleinen Unfällen, oft schon bei Vereitlung geringfügiger Wünsche und Hoffnungen. Haben wir wirklich unvermeidlichen Übeln entgegen zu gehen, wie bestürmt uns da Furcht und Bangigkeit; wie sehr verlieren wir oft alle Fassung und selbst die Kraft, naheliegende Mittel zu benützen, um die Härte des Schlags einigermaßen zu mildern! Wie trostlos klagen Tausende, wenn das Unglück nun hereingebrochen ist! Wie vermehren sie selbst das Maß des Schmerzens durch das Unbegreifliche, was sie in der Fügung des Schicksals sehen, durch das Außerordentliche und Ungewöhnliche, was sie ihrem Jammer andichten! Wie zaghaft nahen sich die meisten ihrem Lebens-Ende. Wie ängstlich. suchen sie sich selbst, wie ängstlich suchen andere ihnen, auf Furcht sie. allzusehr zu beunruhigen, die Gefahr, in welcher ihr Leben schwebt, zu verbergen! Wie würde uns erst zu Muthe sein, wenn uns eine so trübe, schaudererregende Zukunft enthüllt würde, als sie Jesu enthüllt war?

Was gab, fragen wir, was gab unserm Erlöser diese Ruhe? - Es war seine Gemeinschaft mit Gott, seine Liebe zum Vater, seine Bereitwilligkeit, dem Willen seines himmlischen Vaters freudig jedes Opfer zu bringen; es war der unerschütterliche Glaube an die Liebe des Allbarmherzigen, die sich auch in der Trübsal kund thut.

Nimm auch mich auf in deine Schule, o Jesu, daß ich dein Jünger werde! Lehre mich festhalten an dir und den, der dich gesandt hat und stärke auch mich in dem Glauben, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden; daß die da weinen, hingehen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben; daß der Herr immer macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß wir sie können ertragen; daß niemand gekrönt werden könne, er kämpfe denn recht.

2.

Aus den letzten Reden Jesu wird und auch recht deutlich, welch ein heiliger Eifer, Gutes zu wirken, trotz aller Verkennung, unsern Erlöser bis zum letzten Augenblick erfüllte. Das ganze Leben Jesu war eine Reihe guter Thaten, ein Gang des Segens. In der erhabensten Absicht erschien er. Er kam, ein Licht der Welt, zu erleuchten alle, die in Finsternis wandelten; er kam, zu suchen das Verlorne und Sünder selig zu machen;, er kam, das Reich Gottes auf der Erde, in den Herzen der Menschen, zu begründen, damit der Wille des Vaters freudig vollbracht werden möge, wie die himmlischen Geister ihn vollbringen; er kam als der lang verheißne Erretter des Menschengeschlechtes, um das Volk, daß der Allmächtige seit Jahrtausenden seiner Offenbarungen gewürdigt und mit Liebe und Schonung getragen hatte, von dem Abgrunde des Verderbens zurückzuführen und durch dasselbe alle Völker der Erde zu beglücken. Selbst die letzten Stunden dieses Lebens suchte er seinen Jüngern wichtig und bedeutungsvoll zu machen. In diesen Stunden sollten sie ganz besonders für das Gute entflammt und mit hohen und unvertilgbaren Erinnerungen erfüllt werden. Wie unvergeßlich mußte ihnen das Beispiel der Demuth, das er ihnen durch die Fußwaschung gab, sein! Welch einen heiligenden Eindruck machte auf sie und Millionen nach ihnen die Feier des heiligen Abendmahls, das er an jenem Abend stiftete! Und die Ermahnungen zur Liebe, zum freudigen Überwinden der Welt, zum Festhalten im Glauben, zur innigen Gemeinschaft mit ihm, gleich der Verbindung der Rebe mit dem Weinstock, die wir in jenen Reben, derer wir schon gedachten, finden, welch einen tiefen, ergreifenden Eindruck mußten sie auf das Herz seiner Jünger machen! - Welch ein heiliger Eifer, Gutes zu wirken bis in den letzten Augenblick, offenbaret sich uns dadurch! - Und beachten wir, wer das sprach? Er sprach es, der Verkannte, der Angefeindete; er sprach es, von dem sie, da er des Volkes Elends sich erbarmte und Gutes stiftete, sagten: er habe den Teufel; er sprach es, der erklärte, in das Seine gekommen zu sein, und den die Seinen nicht annahmen; er sprach es, der heilige Verkünder ewig geltender Wahrheit, den sie einen Lügner, einen Hochverräther und Gotteslästerer nannten; er sprach es, den sie am Stamme des Kreuzes ihrer Wuth opferten; der nie ganz, selten nur einigermaßen verstandene, fast allenthalben mißverstandene, verkannte Jesus sprach diese Worte. Welch ein Beispiel für uns! Wie leicht ermüden wir im Guten, wenn unsere Anstrengungen nicht sogleich mit einem sichtbaren Erfolg gekrönt werden! - Wie leicht ermatten wir im Eifer, wenn die Sucht nach Ehre und Ruhm, welche sich in unsere edelsten Bestrebungen zu mischen pflegt, weniger befriediget wird, als wir erwartet hatten? Wie mißmuthig wird so manches schöne Werk unvollendet gelassen, wenn der Mensch Gründe zu haben glaubt, die Reinheit seiner Absicht für verkannt zu halten!

O lasset uns lernen von dem Beispiele Jesu! Lasset den heiligen Entschluß uns fassen, Gutes zu thun und nicht müde zu werden; die Selbstsucht zu unterdrücken, die nur nach Lohn geizt, die für jede Anstrengung, welche sie machen soll, einen Preis sehen will. Laßt uns die Hoffnung nicht aufgeben, daß eine Zeit kommt, wo der Same des Guten, den wir gestreut, aufgeht; vielleicht daß er hie und da still aufgenommen wurde, wo wir es nicht ahneten. Lasset uns wirken, weil es Tag ist, ehe die Nacht kommt, wo niemand wirken kann, wie der Herr that! Lasset uns Gutes thun, bis der Hauch des Lebens entflieht, ob wir auch verkannt seien; wird ja doch dort einst alles anerkannt und unendlich reich belohnt!

3.

Der Hingang Jesu zeigt uns endlich eine ausdauernde, überwindende Liebe bei allem Haß, den er erfuhr. Wer könnte diese Liebe recht aussprechen und mit Worten bezeichnen? Liebe war es ja, was ihn auf Erden wandeln hieß; Liebe bewog ihn, aller Herrlichkeit sich zu entäußern, so daß er nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Liebe trieb ihn, ein Licht den Verirrten, ein Trost der Bekümmerten, ein Helfer der Kranken und Unglücklichen zu sein. Liebe zu uns war es endlich, weshalb er selbst den Tod erduldete. An der Wahrhaftigkeit der Liebe wollte er erkennen, wer sein Jünger sei; Liebe gebot er allen, die sich ihm nahten und wie jede That und jedes Wort während seines Lebens das Gepräge der Liebe an sich trug; so verharrte, er in dieser Liebe bis in den Tod. Liebend tröstete er noch seine Jünger vor seinem Abschiede, liebend betete er für sie, liebend sorgte er für die Seinen noch am Kreuze, und ein Flehen der Liebe für seine Feinde waren seine letzten Worte! Und was ward ihm für alle diese Liebe? Ach nur wenig Gegenliebe, und von den meisten Haß, unaustilgbarer Haß, den nur sein Blut versöhnen konnte! Für alle Sanftmuth, Freundlichkeit und Milde, die er im Leben übte, hatte er alle Unfreundlichkeit, Härte, ja selbst Unbarmherzigkeit und Unmenschlichkeit zu erfahren und dennoch blieb er die Liebe bis zu dem Augenblicke, wo er sprach: Vater, in deine Hände befehl ich meinen Geist! - Welch ein Beispiel! daß es für uns nicht vergebens aufgestellt wäre; daß wir ernst in dem Spiegel seines Lebens unser Thun beschauten und ihm feierlich gelobten, hinwegzuthun, was mit dem guten Geiste, der sich aus demselben uns verkündet, im Widerspruch steht und dagegen mit erneuter Kraft unser Denken, Wollen und Thun ihm zu weihen!

Es fehlt so viel, daß wir ganz dein Eigenthum heißen könnten, o Jesu! - Schenke du uns Kraft, dir nachzufolgen; gib uns Ruhe im Leiden und Kampf! Laß uns Gutes wirken bis du uns zu dir rufst und den Abend unseres Lebens laß sanft sein, durch den Geist der Liebe und Milde, den du in uns schaffen wollest! Amen.

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