Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 13.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 13.

V. 1. Vor dem Fest. Absichtlich übergeht Johannes vieles, das, wie er wusste, schon von Matthäus und den anderen erzählt worden war. Er machte es sich zur Aufgabe, zu behandeln, was sie nicht brachten; so erzählt er denn auch die von ihnen ausgelassene Geschichte von der Fußwaschung. Die nähere Erklärung, wozu eigentlich Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, bringt er hinterher. Hier schickt er nur mit kurzen Worten voraus, er habe mit dieser sinnbildlichen Handlung ein Zeugnis seiner beständigen, unermüdlichen Liebe geben wollen. Er hatte ihnen einmal seine Liebe zugewandt, so ließ er sie auch nicht wieder. Wenn sie ihn nicht mehr sahen, sollten sie doch ganz gewiss sein, dass der Tod seine Liebe nicht ausgelöscht habe. Davon müssen auch wir fest überzeugt sein. Es steht hier: Christus liebte bis ans Ende die Seinen, die in der Welt waren. Weshalb dieser ausführliche Zusatz bei der Bezeichnung der Apostel? Wir sollen wissen, dass sie Christo umso mehr am Herzen lagen, als sie noch alle die gefährlichen, mühseligen Kämpfe durchzustreiten hatten, wie wir alle sie in dieser Welt vor uns haben. Scheint es auch, als wäre Christus weit weg von uns, so dürfen wir trotzdem wissen: er denkt an uns, denn er liebt die Seinen, die sich noch in der Welt aufhalten! Es ist über allen Zweifel erhaben, dass die Liebesgesinnung, die er unmittelbar vor dem Tode und im Tode im Herzen trug, seither in ungeschwächter Kraft weiter bestanden hat.

Dass er aus dieser Welt ginge zum Vater. Ein denkwürdiger Ausspruch des Evangelisten: Christus hatte ein klares Wissen darüber, dass sein Tod nur ein Hinübergehen in Gottes himmlisches Reich war. Wenn er bei der Rückkehr in seine ewige Heimat doch unentwegt weiter die alte Liebe auf die Seinen richtete, so haben wir keinen Grund, anzunehmen, seine Gesinnung habe sich seither geändert. Christus ist der Erstgeborene von den Toten. Seine Gemeinde aber gehört zu ihm als der Leib zum Haupte. Somit passt es auch für sie: der Tod ist nur das Hinübergehen zu Gott; die Gläubigen sind allesamt Pilger zur ewigen Heimat.

V. 2. Bei dem Abendessen usw. Der Evangelist erzählt, die Fußwaschung sei geschehen, als Judas schon beabsichtigte Jesum zu verraten, - nicht nur, um Christi wunderbare Geduld zu zeigen, der es fertig brachte, dem verbrecherischen, treulosen Abtrünnigen die Füße zu waschen, sondern auch, um anzudeuten: er benutzte ganz geflissentlich gerade diese Zeit; er wollte diese letzte Tat seines Lebens in unmittelbarer Nachbarschaft des Todes vollbringen. Wenn Johannes sagt, der Teufel habe dem Judas den Plan des Verrats ins Herz gegeben, so dient das dazu, hervorzuheben, wie grausig diese Untat war. Satans Hand zeigt sich in ihr. Freilich ist es wahr, dass es nichts Böses gibt, das die Menschen unternehmen, wozu sie nicht Satan gereizt hätte. Doch je scheußlicher ein Verbrechen ist, desto deutlicher ist darin die Wut des Teufels zu sehen, der die von Gott verlassenen Menschen nach Willkür hierhin oder dahin mit sich reißt. Der in dem Menschen glühende Funke böser Lust wird durch Satan zu immer hellerer Flamme angefacht. Doch bleibt das Menschenherz der Herd dieses Feuers. In ihm war der erste Funke, es hat begierig den Lufthauch aufgenommen, der die Glut vergrößerte. Satan ist also mit seinem Eingreifen durchaus kein Entschuldigungsgrund für die Gottlosen.

V. 3. Jesus wusste, dass ihm der Vater hatte alles in seine Hände gegeben. Diese Wendung wurde wahrscheinlich hinzugefügt, damit wir wüssten, woher Christus eine solche tiefe Seelenruhe hatte: als Überwinder des Todes erhob er seine Seele zum Anschauen des unmittelbar nach dem Tode erfolgenden Triumphes. Von Furcht ergriffene Menschen sind fast immer in unruhiger Geschäftigkeit: bei Jesu war davon nichts zu merken; wusste er doch, obwohl er binnen wenigen Stunden von Judas ausgeliefert werden sollte, dass der Vater ihm alles ausgeliefert hatte. Wie konnte es dann aber nachher dahin kommen, dass er in eine so tiefe Betrübnis geriet, dass sein Blut gleich Schweißtropfen zu Boden fiel? Es war eben beides notwendig: der Schauder vor dem Kreuzestode und die desungeachtet doch unerschrockene Vollführung der gesamten Aufgabe des Mittlers.

V. 4 u. 5. Legte seine Kleider ab. Natürlich ist nur das Ober-, nicht auch das Unterkleid gemeint. Jesus war, wie das im Morgenlande üblich ist, in weite, faltige Gewänder gekleidet. Die folgenden Worte (V. 5): Er hub an, den Jüngern die Füße zu waschen usw., beschreiben nur die Absicht Jesu, noch nicht sein wirkliches Tun; denn er hat, wie der Evangelist alsbald erzählt, mit Petrus den Anfang gemacht.

V. 6. Herr, solltest Du mir meine Füße waschen? So redet einer, der mit etwas ganz Absonderlichem, Unwürdigem nichts zu tun haben will. Mit der Frage, was Christus denn eigentlich da mache, sucht Petrus ihn sich fern zu halten und ihm Einhalt zu gebieten. Lobenswert ist ja die Bescheidenheit, die den Petrus so reden lässt. Besser aber als jede andere Ehrenbezeugung gefällt Gott der schlichte Gehorsam. Wahre Demut ist immer darauf aus, sich durch Gehorsam Gott völlig unterzuordnen, alle Gedanken fest an seinen Willen gebunden zu halten und ohne Widerworte alles gutzuheißen, von dem Gott klar sagt: So will ich es haben!

V. 7. Was ich tue, das weißt du jetzt nicht. Daraus ergibt sich für uns die Lehre: wir haben einfach zu folgen, mag auch der Grund, weshalb es Christus so oder so haben will, uns nicht durchsichtig sein. In einem wohl geordneten Hauswesen hat das Oberhaupt der Familie alles zu leiten; befiehlt er, so ziemt es dem Gesinde, ihm mit Händen und Füßen zu Dienste zu stehen. Es ist eine unerträgliche Überhebung, wenn jemand einen Befehl Gottes, dessen Grund er nicht einsehen kann, verächtlich behandelt. Ja, die Mahnung Christi geht noch weiter: es soll uns nicht beirren, wenn wir von dem, was uns nach Gottes Willen vorerst noch verborgen sein soll, nichts wissen. An wahrer Gelehrsamkeit übertrifft alle Wissenschaft eine Nichtwissen der Art, dass wir dem Herrn es demütig zugestehen: Deine Gedanken sind höher, als unsere Gedanken.

V. 8. Nimmermehr sollst du usw. Bis dahin war die Zurückhaltung des Petrus noch entschuldbar, obgleich sie freilich nicht ganz recht war. Jetzt versündigt er sich schwerer, weil er trotz des Vorhaltes, den ihm Christus gemacht hat, noch immer nicht nachgibt. Wie verbreitet ist doch dieser Fehler! Erst Irrtum und dann auch noch hartnäckiges darauf Bestehen! Immerhin hat das Verhalten des Petrus einen guten äußeren Schein: aus der Ehrfurcht stammte die Zurückweisung, die er sich gegenüber Christo herausnahm. Petrus will Christum ja nur dazu antreiben, dass er seine Ehre und Würde besser wahre. Aber was auch immer seine Beweggründe waren, - er weist eine ihm angebotene Gottesgnade dadurch ab, dass er es am einfachen, pünktlichen Sichfügen fehlen lässt. Der ist im Glauben wahrhaft weise, welcher alles, was vom Herrn ausgeht, mag es sein, was es will, als gut und wohlgetan sich gefallen lässt und es voll Ehrerbietung hinnimmt. Auf andere Weise vermögen wir Gottes Namen nicht zu heiligen. Halten wir nicht ein für alle Mal alles, was Gott tut, für wohl begründet, so wird gar bald unser Fleisch, frech wie es ist, aufbegehren und nur gezwungen Gott die Ehre widerfahren lassen, die ihm gebührt. In Summa: so lange ein Mensch in seinem Urteil über Gottes Tun nicht die vollkommenste Selbstbescheidung walten lässt, wird auch wirklicher Eifer für Gottes Ehre nichts anderes zustande bringen, als dass er seinen Hochmut in die Gestalt der Demut kleidet.

Werde ich dich nicht waschen usw. Diese Antwort Christi sagt noch nicht ausdrücklich, was er mit dem Waschen der Füße seiner Jünger eigentlich vorhat. Ihre Seele zu waschen war stets sein Bemühen. So ist es denn nichts Unerhörtes, was sich mit seinem Amt nicht vertrüge, wenn er den Jüngern auch einmal einen Teil des Körpers, ihre Füße wäscht. Dabei lässt er schon durchblicken, wie töricht Petrus in seiner Weisheit ist. Gerade so geht es uns, wenn der Herr anhebt, sich mit uns in eine Wechselrede einzulassen. Solange er schweigt, meinen die Menschen, sie hätten guten Grund, anderer Meinung zu sein, als er; doch ihm ist es eine ganze Kleinigkeit, mit einem einzigen Worte unsere schönsten Beweisgründe über den Haufen zu werfen.

Petrus meint: Christus ist doch unser Herr und Meister! Deshalb wäre es grundverkehrt von ihm, wollte er uns die Füße waschen! Er bedenkt nicht, dass er, wenn er Christo dies versagt, gerade das verschmäht, was ihn retten soll. Dieser Spruch enthält die große Grundlehre: Wir alle sind schmutzige, besudelte Menschen in Gottes Augen, solange uns nicht Christus rein gewaschen hat. Er ganz allein beansprucht für sich das Amt des Abwaschens. Deshalb stelle sich nur jeder, der einen Platz unter den Kindern Gottes begehrt, mit all seiner Befleckung bei ihm ein und bitte ihn: Reinige mich! Ehe wir weiter gehen wollen wir festlegen, was eigentlich „waschen“ hier heißt. Die einen beziehen es auf die Sündenvergebung, die anderen auf das neue Leben; wieder andere Ausleger nehmen beides zusammen: Christus wäscht uns, wenn er unsere Sünden durch sein Sühnopfer austilgt. Er wäscht uns ebenfalls, wenn er durch die Wirkungen seines Geistes all die sündigen Gelüste des Fleisches fortschafft.

So richtig nun diese Zusammenfassung an sich ist, so ist doch im Folgenden deutlich von der Erneuerung des Lebens die Rede, sodass der Gedanke an die Vergebung der Sünden an unserer Stelle mehr in den Hintergrund treten dürfte.

V. 9 bis 11. Herr, nicht die Füße allein. Als Petrus hörte, dass er verloren sein müsste, wenn er die ihm vom Herrn gebotene Reinigung nicht annähme, da ließ er seinen Widerspruch fahren. Aber jetzt will er ganz gewaschen werden. Insofern ist dieser Wunsch berechtigt, als er sich darüber klar ist: von Natur bin ich ganz und gar voll Sündenschmutz; deshalb hilft es mir nichts, wenn ich nur auf einer Stelle gewaschen werde. Aber im Irrtum befindet er sich auch hier: er bedenkt nicht, dass er mit seiner Bitte das, was bisher an ihm geschah, für nichts anschlägt. Er redet gerade so, als hätte er bisher noch gar keine Sündenvergebung, noch gar keine Heiligung durch Gottes Geist erfahren. So hat denn Christus alle Ursache, ihn auch diesmal wieder zurechtzuweisen. Er ruft ihm die früheren Wohltaten ins Gedächtnis zurück, - vielmehr, indem er mit diesem Einen redet, ermahnt er eben dadurch die Seinen insgesamt, dass sie alle ihnen schon widerfahrene Gnade in treuem Gedächtnis bewahren und dabei genau erwägen sollen, was ihnen noch für die Zukunft nottut.

Zunächst sagt Jesus von allen Gläubigen (V. 10): Ihr seid rein, - nicht, als wären sie in jeder Beziehung rein, sodass nirgends mehr ein Fleckchen an ihnen hinge, sondern weil sie der Hauptsache nach gereinigt sind, nämlich dadurch, dass die Herrschaft der Sünde über sie gebrochen ist, indem die Gerechtigkeit Gottes den Sieg in ihrem Herzen davontrug, - etwa wie ein Mensch sagen kann: „Gottlob! ich bin ganz gesund!“ wenn sein Körper von keinem Leiden ergriffen ist, das ihn aufs Krankenbett niederzwingt. Es ist also unerlässlich, dass wir durch ein neues Leben das Zeugnis unserer Jüngerschaft erbringen: betont Jesus doch, dass er bei allen, die ihm gehören, Reinheit herstellt. Übrigens ist auch dieser Vergleich genau auf die Sachlage zugepasst, um dem Petrus gerade die Reinigung der Füße als ganz vernünftig begreiflich zu machen. Bei denen, welche Christus erstmalig annimmt, vollzieht er natürlich eine Waschung vom Haupt bis zu den Füßen. Nachdem er sie aber in dieser Weise gereinigt hat, braucht er nur den Teil, der täglich vom Erdenstaube beschmutzt wird, zu reinigen. Kinder Gottes werden nicht gleich am ersten Tage ganz und gar umgewandelt, sodass nun ihr Leben lauter himmlisches Wesen atmete. Ach nein, es bleiben in ihnen Überreste des alten Fleischeslebens, mit denen sie, so lange sie auf Erden leben, in beständigem Kampfe zu liegen haben. Dass nur noch die Füße gewaschen werden, bedeutet also: auch die letzten Regungen unseres Seelenlebens, die noch von der Welt beeinflusst werden, müssen verschwinden. Würde der Geist Gottes alles an und in uns sich zu eigen machen, dann hätten wir weiter nichts mehr mit der Welt zu schaffen. Nun aber sind wir noch zum Teil Fleischesmenschen. Soweit wir aber im Staube kriechen oder wenigstens mit unseren Füßen in dem Straßenschmutz einhergehen, genau ebenso weit sind wir der Reinigung bedürftig. So findet Christus immer etwas zu waschen an uns. Übrigens handelt es sich hier nicht um die Sündenvergebung, sondern um die Erneuerung des gesamten Lebens. Allmählich und immer durchgreifender und umfassender löst Christus die Seinigen schließlich ganz von den fleischlichen Begierden los.

Aber nicht alle. Dies setzt der Herr hinzu, damit jeder sich genau erforsche. Dabei hätte ja Judas noch von Reue ergriffen werden können. Doch wie die Dinge lagen, war des Meisters Hauptabsicht wohl, die Jünger rechtzeitig zu wappnen, dass sie nicht durch das abscheuliche Verbrechen, welches ja nun bald an den Tag treten sollte, ganz kopflos würden. Sie sollten nicht denken können, eine solche Freveltat sei in einem Herzen ausgesonnen worden, das von himmlischer Gnadenwirkung durchströmt wurde. Den Namen nennt Jesus absichtlich nicht; er will dem Verräter dadurch nicht die Tür zur Buße versperren. Doch es war bereits jedes Fünkchen guten Willens in Judas erloschen; so mehrte diese Mahnung nur noch seine Schuld. Den anderen Jünger aber war sie sehr heilsam: umso besser erkannten sie den göttlichen Blick Christi; auch merkten sie daran, dass Reinheit eine hohe Gabe des Geistes ist, die nicht jeder hat.

V. 12 u. 13. Jetzt endlich setzt Christus seinen Jüngern auseinander, was er dabei im Sinne hatte, als er ihnen die Füße wusch. Denn was er bezüglich der geistlichen Waschung einflocht, war ein Nebengedanke, noch nicht die eigentliche Meinung. Hätte Petrus sich, ohne Umstände und Einwendungen zu machen, gleich waschen lassen, so würde der Herr das Erste gar nicht berührt haben. Weshalb verfuhr er nun so? Er, der Herr und Meister von ihnen allen, hat damit ein Beispiel aufgestellt, dem alle Frommen nachfolgen sollen. Es darf sich niemand darüber beschweren, wenn er sich herablassen muss, irgendeinen Liebesdienst, und wäre er äußerlich betrachtet so erniedrigend und unangenehm wie das Fußwaschen, seinen Brüdern und Freunden zu erweisen. Die Versäumnis der Liebespflicht hat darin ihre Wurzel, dass jeder in übertriebenem Selbstgefühl fast alle anderen von oben herunter betrachtet. Nicht nur im Allgemeinen wollte Jesus bescheidene Demut lehren, sondern seinen Jüngern insbesondere die Regel der Liebe einprägen, dass sie einander dienen sollten. Wo sich nicht jeder durch freiwillige Hilfeleistung dem Nächsten zum Knechte macht, da ist noch keine wahre Liebe.

Wisset ihr, was ich euch getan habe? Wie wir sehen, hat Christus nur deshalb einstweilen seine Jünger im Unklaren gelassen, weil er ihren Gehorsam prüfen und dann erst ihnen das klar legen wollte, was sie vorher nicht hatten wissen sollen. Nunmehr wartet er nicht ab, bis sie fragen, sondern gibt ihnen aus freien Stücken Aufschluss. Gerade so wird er es mit uns halten, wenn wir uns nur ihm und der Leitung seiner Hand ganz überlassen haben, auch auf Wegen, die uns fremd und unbekannt waren.

V. 14. So nun Ich, euer Herr usw. Der Hochmut sucht zu hindern, dass wir so, wie wir sollten, auf gleichem Fuße miteinander verkehren. Wie beschämend ist es doch da für jeden Hochmütigen, wenn Christus, über alle so hoch erhaben, sich so tief herablässt! Vor ihm müssen alle erröten, die etwas Besseres sein und sich von der brüderlichen Gemeinschaft ausschließen wollen. Für wen hältst du dich denn, du sterblicher Mensch, der du dich weigerst, die Lasten der Brüder zu tragen, dich den Sitten der anderen anzupassen, kurz, allerlei Pflichten auf dich zu nehmen, durch welche die Einheit der Gemeinde aufrecht erhalten bleibt? Das muss ein ganz aufgeblasener Mensch sein, welcher nicht bedenkt: um deswillen weile ich unter schwachen Brüdern, damit ich mich auch anscheinend schmutzigen Pflichten mit Güte und Freundlichkeit unterziehe! – Beachte, dass Christus mahnt:

V. 15. Ein Beispiel habe ich euch gegeben. Es geht ja gewiss nicht an, alles, was er getan, ohne weiteres nachzumachen. In der römischen Kirche prahlt man: nach Christi Beispiel halten wir jedes Jahr ein vierzigtägiges Fasten. Doch müsste man zunächst einmal untersuchen, ob Christus da wirklich ein Beispiel hat geben wollen, dass den Jüngern künftig als Richtschnur für die Gestaltung ihres eigenen Lebens dienen sollte. Bei dem vierzigtägigen Fasten Jesu heißt es nicht: ein Beispiel habe ich euch gegeben. Demzufolge ist ein Nachmachen hier gar nicht am Platze; gerade so könnte man auch versuchen, Jesu nach zum Himmel empor zu fliegen. Aber auch hier, wo ein entsprechender Hinweis steht, ist nicht die Meinung, dass wir die Fußwaschung etwa durch eine jährlich wiederholte theatralische Zeremonie buchstäblich nachmachen sollten: vielmehr sollen wir in unserem ganzen Leben uns bereithalten, den Brüdern „die Füße zu waschen“, d. h. ihnen die niedrigsten Liebesdienste zu erweisen.

V. 16 u. 17. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch. Die hier folgenden Worte lassen sich zwar ganz allgemein als Sprichwörter gebrauchen, wollen aber zunächst im vorliegenden Zusammenhange verstanden sein. Jesus will demgemäß seinen Jüngern gar nicht bloß die allgemeine Mahnung erteilen, ihr Kreuz geduldig zu tragen. Vielmehr fügt er ausdrücklich hinzu: So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr es tut. Einer wahren Erkenntnis werden sich die Jünger also erst rühmen dürfen, wenn dieselbe sie anleitet, ihrem Haupte in allen Stücken sich gleich zu gestalten. Unser Wissen ist ein leerer Wahn, wenn wir Christus und seine Gestalt uns innerlich fern halten. Wer nicht lernen will, den Brüdern zu dienen, weiß noch gar nicht wirklich, ob Christus sein Meister ist. Wenn aber niemand sich wirklich mit seiner ganzen Person dem Dienste der Brüder widmet, wenn viele sogar ohne Eifer und Wärme die Pflichten der Liebe ausüben, so wird daran ersichtlich, wie weit wir noch von dem vollen Lichte des Glaubens entfernt sind.

V. 18. Nicht sage ich von euch allen. Nochmals deutet Jesus an, dass unter den Jüngern sich einer befindet, der nichts weniger ist, wenigstens der Sache nach, als ein Jünger. Er berührt diesen Punkt nochmals, einesteils des Judas wegen, - umso mehr wird ihm dadurch jede Entschuldigung entrissen, - andernteils der übrigen Jüngergemeinschaft wegen, - der Sturz des Judas soll keinen von ihnen mit in den Abgrund ziehen. Aber der Herr ermahnt seine Jünger nicht bloß, dass sie trotz des Falles des Judas in ihrer Berufung feststehen sollen: der Umstand, dass nicht alle zu gleichem Glück kommen werden, soll ihnen sogar ein besonderer Antrieb zu treuem Ausharren werden. Solches Beständigbleiben hat freilich nach unserer Stelle seinen Grund allein in der Erwählung durch Christum. Unbeständig, wie die Tugend der Menschen ist, würde die Treue im Jüngerberuf auch bei jedem Lufthauch ins Wanken geraten und schon bei einem ganz leichten Stoße hinfallen, hielte sie nicht der Herr aufrecht mit seiner Hand. Einzig deshalb, weil der Herr seine Auserwählten regiert, wird Satan mit Aufbietung all seiner Ränke nichts ausrichten: treu und fest beharren sie bis ans Ende. Aber nicht nur Fortsetzung und Bestand der Frömmigkeit, - das Beharren bis ans Ende, - sondern auch ihr Anfang hängt ganz an der Erwählung. Wovon kommt es, dass der eine sich mehr als der andere dem Worte Gottes hingibt? Davon, dass er erwählt ist. Und wovon kommt es, dass derselbe auch ferner den rechten Weg wahren Christentums geht? Einfach davon, dass Gottes Vorsatz unabänderlich ist: Er will vollenden, was er angefangen hat. Der Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Ungläubigen stammt in letzter Linie davon her, dass die einen vom Geiste der Kindschaft zur Seligkeit, die anderen von ihrem ungezügelten Fleisch ins Verderben geführt werden.

Statt: Ich weiß, welche ich erwählt habe, hätte ja Christus sagen können: Ich weiß, was aus einem jeden von euch einmal werden wird. Er sagt jedoch nicht anders, weil die Jünger nicht sich selbst, sondern allein seiner Gnade ihre Rettung zuschreiben sollen. Nicht dadurch, dass sie selber etwas leisten, sondern dadurch, dass Christus sie erwählt hat, sind sie nicht wie Judas. Auch bei uns hängt die Seligkeit ganz und gar von der Erwählung durch Christum ab. Wenn er an anderen Stellen auch Judas zu den Auserwählten rechnet, so ist das kein Widerspruch; Erwählung ist da nur in anderem Sinne genommen. Es gibt eine zeitliche Erwählung, wodurch Gott uns einen bestimmten Wirkungskreis zuweist: zum Könige war Saul von Gott erwählt, - und doch gehörte auch dieser (zeitlich) Erwählte zu den (ewig) Verworfenen. Wie Saul zeitweilig als ein trefflicher König dastand, geschmückt mit königlichen Tugenden, so war auch Judas ausgerüstet mit schönen Eigenschaften, wie sie einem Apostel Christi wohl anstanden, - und doch ist die Heiligung des Geistes, mit der Gott nicht solche zeitlich Erwählten, sondern ganz ausschließlich seine von Ewigkeit geliebten Kinder begnadigt, noch eine ganz andere Sache. Er gibt ihnen einen neuen Sinn, ein neues Herz, sodass sie in seinen heiligen Augen untadelig und rein sind. Diese Erwählung allein wurzelt unaustilgbar fest, denn Gott reut seine Erwählung nicht. Jedenfalls bleibt es dabei: nur der göttlichen Erwählung haben wir es zu verdanken, wenn wir Christi Worte im Glauben erfassen und im Leben befolgen.

Übrigens haben wir hier ein deutliches Selbstzeugnis Christi von seiner Gottheit: einmal dadurch, dass er sagt, er wisse, - nicht nur, er denke es sich so, wie eben ein Mensch über dergleichen urteilt, - ferner dadurch, dass er sich als den Urheber der Erwählung bezeichnet. Ein solches Wissen und vollends eine solche Erwählung, welche vor Erschaffung der Welt geschah, steht doch nur Gott zu. So liegt in diesem Ausspruch ein reichlich ebenso starkes Zeugnis, als wenn die Schrift hundertmal den Herrn Jesus geradezu mit dem Gottesnamen auszeichnen würde.

Es muss die Schrift erfüllt werden. Es schien ein ganz unvollziehbarer Gedanke, dass zur Ehre des apostolischen Berufs ein Mann erwählt sein könnte, dem es an wahrer Frömmigkeit fehlte. Man musste doch die Frage aufwerfen: Warum hat Christus nicht lauter Männer erwählt, die er bleibend unter seine Apostel aufnehmen wollte? Warum hat er einen erwählt, dessen Frevel er voraussah? Allen diesen Gedanken hält er die Weissagung entgegen: es sollte so gehen. Auch ist es ja vor ihm schon dem David ganz gerade so ergangen. Das angeführte Psalmwort soll nach einigen Auslegern nur auf Christum genau zutreffen und deshalb hier herangezogen sein. Die anderen meinen: Es handelt sich um einen bloßen Vergleich; gleichwie David im eigenen Hause schändlichen Verrat von einem Feinde erfuhr, so kommen auch andere Kinder Gottes in eine ähnliche Lage. Dann wäre der Sinn: Ist einer von meinen Jüngern ein schändlicher Verräter seines Meisters, so hat sich solche Treulosigkeit nicht erst jetzt in diese Welt eingeschlichen: es trifft nur wieder einmal ein, was nach dem Zeugnis der Schrift auch in der Vorzeit schon vorgekommen ist. Aber da in Davids Person und Erlebnissen es schattenhaft angedeutet war, was dann in vollkommenerer Weise später an Christo in die Erscheinung trat, so pflichte ich gern den erstgenannten Auslegern bei, nach deren Auffassung David in prophetischem Geist vorausgesagt hat, was dann bei Christo selbst erst in wirkliche Erfüllung ging.

Tritt mich mit Füßen. Eigentlich: erhebt seine Ferse gegen mich. Dieser Ausdruck bedeutet: Anscheinend mein vertrauter Freund, greift er mich doch hinterlistig an, um mich, während ich keine Gefahr vermute, zu verderben. – Hat Christus, unser Haupt und unser Vorbild, solches erlitten, so müssen auch wir, die Glieder, es geduldig ertragen. In der Christenheit wohl aller Jahrhunderte war es gang und gäbe, dass ihre schlimmsten Feinde sich in ihrem eigenen Schoße befanden. Wollen die Gläubigen durch einen so unwürdigen Zustand der Gemeinde nicht ganz verstürzt werden, so mögen sie sich bei Zeiten an den Gedanken gewöhnen: Es gibt mitten unter uns Verräter; und es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu ertragen.

V. 19. Jetzt sage ich es euch. Mit diesem Ausspruche mahnt Jesus die Seinen: Weit entfernt, dass das Hervorgehen eines Verworfenen aus eurer Mitte euch ins Wanken bringen müsste, ist es vielmehr dazu angetan, eurem Glauben einen neuen Halt zu verschaffen. – Würden wir in der Gemeinde nicht mit eigenen Augen wahrnehmen, was die Propheten von ihren Nöten und Kämpfen vorhersagten, so würde mit gutem Grunde in unseren Herzen die bange Frage sich erheben: Wo bleibt die Erfüllung der Weissagungen? Wenn nun aber Schrift und Erfahrung uns das Nämliche sagen, dann gewinnen wir umso mehr den Eindruck: Gott kümmert sich um uns; seine Vorsehung leitet uns.

Dass ich es bin. Das bedeutet: dass ich der verheißene Messias bin. Nun will Christus nicht sagen, erst der Verrat des Judas habe einen Glaubensanfang bei den Jüngern bewirkt; sie haben nur immer größere Fortschritte im Glauben gemacht, je mehr sie merkten, dass alles, was Jesus dazumal gesagt hatte, wirklich eintraf.

V. 20. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch. Entweder teilt hier der Evangelist einen ganz unvermittelt auftretenden neuen Ausspruch Christi mit, oder wir bleiben im alten Zusammenhange. Und dann begegnet Christus offenbar mit diesem Wort dem Ärgernis, welches, wie vorauszusehen war, sich aus der Freveltat des Judas erhob. Die Evangelisten breiten ja nicht immer in den Reden Jesu, die sie uns berichten, ein großes, in sich allseitig zusammenhängendes Gewebe seiner Worte vor uns aus; bisweilen schichten sie sozusagen eine Sammlung recht mannigfaltiger Aussprüche vor uns auf. An und für sich ist es also möglich, dass wir in unserem Verse einen ganz vereinzelten Ausspruch dargeboten erhalten.

Indes spricht doch die größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass Christus dem Ärgernis vorbeugen und wehren wollte. Wie leicht schlagen doch böse Beispiele unserem Glaubensleben ernsthafte Wunden! Wenn ein einziger Mensch, der in führender Stellung sich befand, zu Falle kommt, dann verblutet sich aus tödlicher Wunde das Christentum vieler, die auf ihn schauten und bauten, wogegen das treue Ausharren von zehn, ja von zwanzig frommen Christen kaum einen einzigen Ungläubigen bekehrt.

Christus lässt seine Jünger das Schauerliche mit eigenen Augen sehen, dass Judas fällt; da muss er ihnen zugleich eine helfende Hand bieten, dass sie nicht rückwärts taumeln, von dem Unerhörten erschüttert. Und er dachte nicht nur an sie, er sorgte auch für die Späteren. Hätte er das nicht getan, so könnte auch uns noch die Erinnerung an Judas schweren Schaden bringen. Kann der Versucher uns nicht die Lehre Christi zum Ekel machen und uns dadurch von Christo scheiden, so sucht er uns doch dadurch zu fangen, dass er uns die Diener Christi widerwärtig oder verächtlich macht. Die Mahnung Christi an unserer Stelle zeigt, dass es ungerecht wäre, wollten wir um der Gottseligkeit willen, die wir an diesem oder jenem sehen, der sein Amt nicht richtig, ja wohl gar in schändlicher Weise verwaltet, überhaupt alle Achtung vor den apostolischen Männern fahren lassen.

Verachte sie nicht! Weshalb? Weil Gott der Urheber des Apostelamtes ist: und an Gott selber werden wir niemals das Geringste finden, was Verachtung verdiente, - ja weil Christus selbst dies Amt eingesetzt hat, der, vom Vater zum alleinigen Lehrmeister der Menschheit bestimmt, durch den Mund seiner Apostel redet. Wer also keine Lust hat, die Diener des Evangeliums aufzunehmen, der verwirft in ihnen Christum. Wer aber Christum verwirft, der hat in ihm Gott verworfen.

Seitens der römischen Kirche ist es freilich eine Torheit, wenn sie die päpstliche Gewaltherrschaft durch diesen Ausspruch Christi befestigen will. Zunächst schmücken sich die Römischen mit fremden, ja mit gefälschten Federn: denn von innerer Verwandtschaft mit den Aposteln Christi sehen wir bei ihnen nichts. Aber selbst wenn wir zugestehen wollten, dass man dort apostolische Männer aufweisen könne, so lag doch Christo an dieser Stelle nichts ferner, als seine Vorrechte an Menschen abzutreten. Nur der nimmt auf, wen Christus sendet, der ihm die Möglichkeit gewährt, sich seines Auftrages vom Herrn zu entledigen.

V. 21. Da solches Jesus gesagt hatte. Je heiliger das Apostelamt ist, je größer seine Bedeutung, umso abscheulicher und verwerflicher war der Verrat des Judas. Darum erfüllte Christus selber dies schrecklich Ungeheure so sehr mit Entsetzen. Er sieht durch die schier unglaubliche Schandtat des Einen den geheiligten Stand besudelt, in dem Gottes heilige Erhabenheit sich rein hätte abspiegeln sollen. Deshalb gebraucht auch der Evangelist hier den Ausdruck: er zeugte und sprach. Das einfache „Sagen“ genügte hier nicht, weil die Angelegenheit so schauerlich war, dass man dem bloßen Worte nicht alsbald geglaubt haben würde. Dass Christus im Geiste betrübt ward, erzählt der Evangelist, damit wir daraus ersehen: Er hat nicht nur durch Gesichtsausdruck und Worte den Anschein eines betrübten Menschen erweckt, nein, er war in tiefster Seele voll Traurigkeit. „Geist“ bedeutet hier so viel wie „Seele“, „Gemüt“. Christus hat also wirklich innerlich gelitten und sich nicht etwa nur so gestellt. Das aber zu wissen ist für uns von Wichtigkeit, da sein heiliger Eifer uns als Vorbild gezeigt werden soll; auch wir sollen von Schauder ergriffen werden beim Anblick solcher Ungeheuer, die das Heiligtum Gottes und die Ordnung der Kirche zerstören.

V. 22. Da sahen sich die Jünger untereinander an. Sie sind sich zwar nichts Arges bewusst, werden aber doch bange bei Christi Ausspruch; Judas allein war in seiner Bosheit so unempfindlich, dass es ihn kalt ließ, was Jesus sagte. Die Jünger trauten es der Würde ihres Meisters zu, dass er nicht leichthin rede. Aus dem Herzen des Judas dagegen hatte Satan so völlig die Ehrfurcht vor Christi Rede ausgetrieben, dass alle Ermahnungen wirkungslos daran abprallten; dies Herz war härter als Felsgestein. Aber war es denn nicht recht wenig freundlich von Christo, dass er unschuldige Menschen hier in eine so qualvolle Aufregung versetzt? O nein! Diese Stunde der Angst war ihnen von Nutzen; dadurch aber ist das Verfahren Christi gerechtfertigt. Es ist den Kindern Gottes heilsam, das Urteil über die Gottlosen zu vernehmen und dadurch auch selber in qualvolle Erregung zu kommen; denn dann prüfen sie sich selber und hüten sich ernstlich vor bloßem Scheinchristentum. Wir lernen auch das aus gegenwärtiger Stelle, dass bisweilen die Gottlosen, ohne dass man gleich mit Fingern auf sie zeigt, mit aller Entschiedenheit vorgenommen werden müssen; Gott wird es dann schon zu seiner Zeit an den Tag bringen, wer gemeint war. Es gibt ja oftmals Missstände in einer Gemeinde, an denen man nicht mit Stillschweigen vorübergehen darf. Doch ist auch wohl die Schlechtigkeit noch nicht so ausgereift, dass man die Hülle daran abstreifen könnte. Dann gilt es, sich in der hier angegebenen Weise in der rechten Mitte zu halten.

V. 23 bis 25. Welchen Jesus lieb hatte. Die Vorliebe, welche Christus für Johannes gefasst hatte, bezeugt klar, dass es nicht in allen Fällen gegen die Liebe ist, wenn wir einige mehr lieben als andere. Doch muss jedenfalls unsere Liebe, wenn sie die rechte Bahn inne halten will, auf Gott selber schauen. Dem nur, der durch besondere Gaben Gottes ausgezeichnet ist, dürfen wir auch eine besonders innige Liebe zuwenden. So hat es Christus ganz ausnahmslos gehalten. Bei uns ist es leider weit anders; der gesamten Eitelkeit unseres Herzens entsprechend geschieht es sehr selten, dass die Liebe zu einem Menschen uns näher zu Gott bringt.

Derselbige lag an der Brust Jesu. Heutzutage würde eine derartige Lage wenig schicklich erscheinen; die Sitte hat sich eben geändert. Damals lag man so. Man saß nicht, wie bei uns, an einem Tische, sondern man lag, die Schuhe ausgezogen, auf Kissen gestützt, auf Polstern und beugte sich ein wenig nach vorn, um Speise zu sich zu nehmen. So lag man Brust an Brust oder Rücken an Rücken.

V. 26. Dem ich den Bissen eintauche. Aber weshalb reicht Jesus eigentlich dem Verräter den Bissen hin? Weshalb nennt er ihn denn nicht, wenn er ihn bezeichnen will, mit Namen? Er hat gerade diese Art der Bezeichnung gewählt, weil nur Johannes den Judas schon als den Verräter kennen sollte. Christus wollte ihn damals noch nicht vor allen entlarven. Übrigens war es gut, dass ein Jünger davon wusste; er konnte späterhin das, was er anfänglich für sich behalten sollte, den anderen mitteilen. Absichtlich verschob Jesus noch die Enthüllung des Verräters für alle; umso mehr sollen wir uns darein finden, dass die Heuchler zunächst verborgen bleiben. Es kommt die Stunde, da sie sich nicht mehr verstecken können. Judas ist verdammt durch den Mund seines Richters; gleichwohl bleibt er ruhig an einem Tische mit den anderen sitzen. Um nichts besser ist die Lage derer, die sich heutigen Tages unbefugt bei den Kindern Gottes eindrängen.

V. 27. Fuhr der Satan in ihn. Wenn Judas schon den Plan zu seiner Tat ohne Zweifel nur aus Eingeben des Satans fassen konnte, wie kann es dann heißen, dass der Satan, der längst sein Herz beherrschte, erst jetzt in ihn gefahren sei? Ganz in dem Sinne, wie es oft von Leuten, die in gewissem Betracht längst gläubig waren, heißt, dass sie glaubten, d. h. einen Zuwachs ihres Glaubens erfahren. So fährt der Satan in Judas, wenn dieser sich jetzt ganz und gar dem Satan hingibt, um in leidenschaftlichem Drange sich von ihm zum Äußersten mit fortreißen zu lassen. Wie geheiligte Menschen Schritt für Schritt vorwärts kommen, und es dann jedes Mal, wenn sie einen Zuwachs göttlicher Gaben empfangen, von ihnen heißt: sie wurden voll heiligen Geistes, - so geht es umgekehrt auch mit den Gottlosen. Jedes Mal, wenn sie durch erneute Undankbarkeit Gottes Zorn auf sich herabziehen, übergibt der Herr die durch seinen Geist der Vernunft und des Verstandes Entblößten dem Satan. Furchtbare Rache Gottes, wenn Menschen dermaßen in verwerfliche Gesinnung dahingegeben werden, dass sie sich kaum noch vom Vieh unterscheiden, ja vielmehr Schandtaten begehen, die das Vieh selbst verabscheut! Somit tut es uns not, gar sorgsam in der Furcht Gottes zu wandeln, damit er nicht, wenn wir mit unserer Bosheit seiner Güte lange genug Trotz geboten haben, uns endlich dem Gelüsten Satans ausliefere.

Übrigens saß Satan nicht etwa in dem von Christo dargereichten Bissen. Judas hat vielmehr in dem Augenblick, als er den Bissen annahm, sich Satan mit Leib und Seele übergeben. Nicht um des Bissens willen, sondern bei Gelegenheit seiner Annahme hat er das getan. Ein Herz, härter als Eisen, hätte angesichts der Milde und Nachsicht Christi erweicht werden müssen. Eine solche verzweifelte, unheilbare Hartnäckigkeit jedoch verdient es, dass Gott zufolge seines gerechten Gerichtes das Herz dieses unseligen Menschen durch Vermittlung Satans noch mehr verhärtet. Ebenso geht es zu, wenn wir durch Wohltaten an Feinden glühende Kohlen auf ihre Häupter sammeln; sind sie ganz unheilbar, so gereichen ihnen die so ganz anders gemeinten Wohltaten nun erst recht zum Verderben. Statt uns zu lieben, hassen sie uns umso mehr.

Was du tust, das tue bald. Wenn Jesus dem Judas diese Worte zuruft, so will er ihn natürlich nicht zu seiner Übeltat ermutigen. Es spricht sich vielmehr darin der Abscheu vor dieser Tat aus. Bislang hat er alle Mühe angewandt, um ihn bald so, bald so von der Ausführung seines Planes abzuhalten. Es hat nichts geholfen. So spricht er denn jetzt mit ihm als mit einem Menschen, der sich nicht mehr helfen lassen will: So fahre denn ins Verderben, wenn du es durchaus nicht anders haben willst! Jesus waltet hierbei seines Amtes als Richter, der das Todesurteil ausspricht, nicht über solche, denen er aus eigenem Antriebe das Verderben anwünscht, sondern über die, welche durch eigene Schuld sich bereits selber ins Verderben gestürzt haben. Kurz, Christus verhängt nicht erst unausweichliches Verderben über Judas, - er spricht es nur aus, dass er solch ein verlorener Mensch ist, wie er es schon vor diesem Ausspruche Christi war.

V. 28. Dasselbige aber wusste niemand usw. Entweder hatte Johannes das, was er von Christus gehört hatte, den anderen noch nicht berichtet, oder aber sie waren dermaßen erschüttert, dass ihre Geistesgegenwart dadurch gelähmt wurde. Ja, wahrscheinlich ist Johannes selber damals wie außer sich gewesen. Was übrigens die Jünger damals erlebten, kommt, wie der Augenschein lehrt, in der Christenheit oftmals vor, nämlich, dass von den Gläubigen nur wenige das Unterscheidungsvermögen besitzen zur Erkennung der vom Herrn so klar und deutlich verdammten Heuchler.

V. 29. Dass er den Armen etwas gäbe. Es ist aus anderen Stellen hinlänglich bekannt, in was für dürftigen Verhältnissen Christus lebte. Trotzdem hat er von dem Wenigen, was er besaß, noch den Armen etwas abgegeben und so durch sein Tun eine Regel für uns aufgestellt. Die Apostel wären gewiss nicht auf die Vermutung gekommen, der Herr habe von den Armen geredet, wenn es nicht überhaupt gewohnte Sitte bei ihm gewesen wäre, die Armen zu unterstützen.

V. 30 u. 31. Nun ist des Menschen Sohn verklärt. Die letzte Stunde stand nahe bevor. Christus wusste, wie wenig beherzt die Seinen waren. So suchte er sie denn auf alle Weise, so gut es ging, zu stützen, damit sie nicht zusammenbrächen. Noch heute bringt uns der bloße Gedanke an Christi Kreuzigung zum Zittern, wenn uns nicht alsbald der tröstliche Gedanke zu Hilfe kommt: Gerade am Kreuze hat er ja über Satan, Sünde und Tod triumphiert! Wenn es uns so gehen kann, wie musste es dann gar um die Jünger bestellt sein, wenn sie binnen kurzem den Herrn, mit jeder Art von Schmach bedeckt, zum Kreuze schleppen sahen? Hundertfach mehr konnte sie, die Augenzeugen, dieses jammervolle und abstoßende Schauspiel vernichtend treffen. Deswegen will Jesus will diese Gefahr beseitigen, indem er ihre Augen von dem äußeren Anblicke seines Todes weg und auf den geistlichen Ertrag desselben hinschauen lässt. Sobald also am Kreuze die Schmach sichtbar wird, die für sich allein die Gläubigen in Bestürzung versetzen könnte, bezeugt Christus: alles gegenteiligen Anscheines ungeachtet bringt mir dennoch eben das Kreuz die Verklärung. –

Das folgende Satzglied: und Gott ist verklärt in ihm, ist zur Bestätigung hinzugesetzt. Denn das war ja allen Menschengedanken zuwider, dass ein solcher Tod, bei den Menschen schimpflich, ja bei Gott sogar verflucht, die Verklärung des Menschensohnes zur Folge haben sollte. So gibt Jesus denn den Grund an, wie er sich durch diesen Tod Herrlichkeit erwerben wird: er verklärt dadurch Gott den Vater. Am Kreuze Christi ward ja, wie in einem eindrucksvollen Schauspiel, die unvergleichliche Güte Gottes für die ganze Welt sichtbar. In allen Kreaturen, von der höchsten bis zur niedrigsten, erstrahlt die Herrlichkeit Gottes, nirgends aber leuchtender als am Kreuze, an welchem der wunderbare Umschwung der Dinge geschah: gezeigt wurde die Verdammlichkeit aller Menschen, abgeschafft die Sünde, den Menschen die Rettung dargeboten, endlich der ganzen wiederhergestellten Welt die völlige Ordnung zurückgegeben.

V. 32. Ist Gott verklärt usw. Christus zieht die Schlussfolgerung: Aus einem Tode, in dem ich nur die Verklärung meines Vaters im Auge habe, werde ich in herrlichem Triumphe hervorgehen. Der Vater sucht ja nicht einseitig nur für sich Verklärung durch den Tod seines Sohnes; er will ihm an eben dieser Verklärung Anteil geben. Bald wird, so verspricht Jesus, die Schande getilgt sein, die ich nur vorübergehend auf mich nehmen werde, und dann wird mein Leiden und Sterben in unvergänglicher Schönheit leuchten. Dies Versprechen hat er gehalten. Anstatt die Hoheit Christi in Schatten zu stellen, hat vielmehr der erlittene Kreuzestod seine Hoheit erst ins rechte Lichte gestellt: in vollen Strahlen erglänzt von Golgatha aus seine unfassbar große Liebe gegen die Menschheit, seine abgrundtiefe, die Sühnung aller Schuld, die Versöhnung des Zornes Gottes bewirkende Gerechtigkeit, seine Heldenkraft, die in der Überwindung des Todes, in der Unterjochung Satans, in der Erschließung der Himmelspforten Wunder verrichtete. Was aber Christus hier von sich sagt, das findet auch auf uns seine Anwendung. Mag die ganze Welt sich verschwören, Schmach und Schande auf uns zu häufen, wenn wir nach wie vor in Lauterkeit und von Herzen der Ehre Gottes zu dienen uns befleißigen, so ist kein Zweifel daran: auch Er wiederum wird uns Ehre zuwenden. Umso tröstlicher wird die Verheißung, die Christus gibt, dadurch, dass er betont, solches werde bald geschehen. Wenn nun auch die Verklärung, von welcher er hier redet, am Ostermorgen begann, so denkt er doch wohl vor allem an die bald danach erfolgende Ausbreitung des Evangeliums von ihm, der für uns starb und auferstand, in aller Welt.

V. 33. Lieben Kindlein, ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Ganz selbstverständlich wurden die Jünger beim Scheiden ihres Meisters von tiefster Traurigkeit erfüllt. Er erinnert sie deswegen bei Zeiten daran, dass er nicht mehr für längere Zeit bei ihnen sein wird. Damit verbindet er eine Ermahnung zur Geduld. Endlich sagt er ihnen, um unerfüllbare Wünsche der Sehnsucht nach dem Zusammensein mit ihm nicht aufkommen zu lassen, dass sie ihm nicht sogleich nachfolgen können. Durch die liebkosende Anrede gibt er ihnen zu verstehen, dass er nicht etwa deshalb von ihnen weggeht, weil ihm ihr Heil weniger am Herzen läge, - o nein, er liebt sie auf das zärtlichste. Um unser Bruder zu sein, hat er unser Fleisch und Blut angenommen. Doch nennt Jesus seine Jünger nicht: „Liebe Brüder“, sondern: „Liebe Kindlein“, weil so die ganze Innigkeit seiner Liebe zu ihnen weit besser zum Ausdruck gelangt. Wenn er nun sagt, dass er das zuvor schon (8, 21) den Juden Gesagte wiederhole, so ist das zutreffend dem Wortlaut nach; der Sinn ist aber hier ein anderer. Dass seine Jünger ihm nicht nachfolgen können, sagt Jesus nur, damit sie seine zeitweilige Abwesenheit ruhigen Herzens tragen; er legt ihnen damit sozusagen einen Zügel an: sie sollen so lange treu auf ihrem Posten stehen bleiben, bis ihre Kampfeszeit auf Erden abgelaufen ist. Er zieht ihnen also keineswegs, wie er den Juden damals getan hat, eine unübersteigliche Schranke, die ihnen den Eintritt ins Reich Gottes wehrt, - er heißt sie nur gelassen die Stunde abwarten, da er sie zu sich in sein himmlisches Reich sammelt.

V. 34. Ein neues Gebot gebe ich euch. Zum Troste fügt Jesus die Mahnung zu gegenseitiger Liebe. Er will sagen: Für die Zwischenzeit, in welcher ich körperlich nicht bei euch weile, bezeugt durch die Liebe untereinander, dass ihr in meiner Schule etwas gelernt habt. Liebe sei der Gegenstand eures unablässigen Strebens, sei der hauptsächlichste Gegenstand eures Nachdenkens. Weshalb nun Jesus das Liebesgebot ein „neues“ nennt, ist nicht ohne weiteres klar. Einige denken daran, dass dies in alter Zeit schon im Gesetz vorgeschriebene Gebot doch nur äußerer Buchstabe war, Christus dagegen durch seinen göttlichen Liebesgeist es in die Herzen seiner Gläubigen eingeschrieben hat. Dann bestünde die ganze Neuheit nur in einer neuen Art der Verkündigung, die diesem Gebote erst seine volle Auswirkung verschaffte. Ich halte diese Auslegung für recht gezwungen, ja für fernabliegend von dem Gedanken unserer Stelle.

Andere Ausleger sagen: Jesus spricht von einem neuen Gebot, weil, wenn schon das Gesetz uns zur Liebe aufruft, doch die Lehre, dass wir uns lieb haben sollen, bis zur Unkenntlichkeit eingewickelt war in eine Menge von allen möglichen anderen gesetzlichen Bestimmungen. Somit kommt das große Gebot der Liebe im alten Bunde nicht zu der ihm gebührenden Stellung. In der Verkündigung Christi dagegen tritt alles Verhüllende und Verdunkelnde in den Hintergrund, und es heißt klar und offen: Vollkommen ist, wer liebt. Das lässt sich schon hören. Doch ist meiner Meinung nach unsere Stelle einfach so auszulegen: Wie wir wissen, beachtet man ein Gesetz im Anfang mit besonderer Sorgfalt. Es ist gerade gegeben; so kennt es jeder. Auf die Dauer der Zeit entschwindet es dann allmählich dem Gedächtnis. Schließlich denkt niemand mehr daran. Christus will nun das Liebesgebot den Herzen seiner Jünger unverlierbar fest einprägen, deshalb nennt er es ein neues Gebot. Er will sagen: dies Gebot sollt ihr immerdar in eurem Gedächtnis haben, als wäre es erst eben, am heutigen Tage, gegeben. Wie notwendig die beständige Mahnung der Liebe ist, lehrt uns jeder neue Tag. Es hat so große Schwierigkeiten, immer in der Liebe zu bleiben; und doch sollte sie unser beständiger Gottesdienst sein. Die Menschen aber werfen die Liebe in die Rumpelkammer und ersinnen andere Weisen, Gott zu dienen. Gar geschäftig reicht ihnen dann Satan allerlei dar, womit sie sich zu tun machen. Mit leerem Gottesdienst haben sie alle Hände voll, und was erreichen sie mit all ihrem Getreibe? Sie spotten Gottes und streuen sich selber Sand in die Augen.

Ein neues Gebot ist die Liebe. Heute, jetzt eben befiehlt dir Jesus: Erzeige Liebe! Das muss immer wieder den lebendigsten Liebeseifer bei uns entfachen. Natürlich ist dies Gebot nicht insofern neu, als hätte Gott damals erst ein Wohlgefallen an der Liebe der Menschen verspürt; vielmehr konnte das Gesetz, so lange es da war, nie anders als durch die Liebe erfüllt werden.

Auf dass auch ihr einander lieb habet. Allerdings erstreckt sich die Liebe auch auf die außerhalb der Jüngergemeinde Stehenden; wir haben ja alle die gleiche Abstammung und sind alle nach Gottes Ebenbild geschaffen. Doch weil bei den Wiedergeborenen das Bild Gottes deutlicher hervorleuchtet, ist es billig, dass das Band der Liebe unter Christen ein weit innigeres sei. Liebe ist von Gott gewirkt; in ihm hat sie ihre Wurzel, zu ihm strebt sie wieder hin. So umfasst sie denn einen Menschen, der ganz offenbar ein Kind Gottes ist, mit besonderer Wärme und Herzlichkeit. Wechselweise kann ja die Liebe auch nur bei denen Erwiderung finden, welche von eben demselben Geiste regiert werden. Christus redet hier nur von denen, die wir zu allererst mit Liebe umfassen sollen; doch ist anderseits daran fest zu halten, dass, gleichwie Gottes Güte sich auf die ganze Welt erstreckt und ergießt, auch wir alle Menschen zu lieben haben, selbst die, welche uns hassen. Sein eigenes Beispiel stellt Jesus vor uns hin: nicht als ob wir es ihm, der uns so unendlich überragt, gleichzutun vermöchten, - aber wir sollen doch wenigstens nach dem gleichen Ziele streben.

V. 35. Dabei wird jedermann erkennen usw. Damit bekräftigt Jesus noch einmal, was er schon sagte: diejenigen sind nicht vergeblich in seiner Lehre gewesen, die sich untereinander lieben. Er will sagen: So werdet ihr nicht bloß selber wissen, dass ihr meine Jünger seid; an eurer Liebe vermögen auch andere zu ermessen, dass ihr die Wahrheit sagt, indem ihr euch als meine Jünger bekennt. Wenn Christus dies ausdrücklich als das Erkennungszeichen angibt, an dem man die Seinen von solchen, die ihm nicht angehören, unterscheiden kann, dann ist es völlig verlorene Mühe, wenn die Menschen die Liebespflicht unerfüllt lassen und sich nach Willkür eine beliebige andere Art des Gottesdienstes zurechtmachen.

Übrigens ist es sehr am Platze, dass Christus gerade hierauf solch großen Nachdruck legt. Die angeborene Selbstsucht stimmt mit der Liebe, die er gebietet, so schlecht zusammen, wie das Feuer mit dem Wasser. Und wie furchtbar hält die Selbstsucht unser gesamtes geistiges Leben im Banne! Von Liebe findet sich fast nirgends eine Spur! Und trotzdem meinen wir, es sei bei uns alles in bester Ordnung. Wie ist das nur möglich? Nun, Satans Verführung ist groß, und er weiß uns trefflich heraus zu schminken, sodass wir es nicht merken, dass wir tot und ohne Liebe sind. Jeder, der in Wahrheit Christo angehören und von Gott als Kind anerkannt sein will, gebe seinem ganzen Leben die feste, beständige Richtung auf die Liebe zu den Brüdern.

V. 36. Herr, wo gehst du hin? Diese Frage knüpft an V. 33 an (Wie ich zu den Juden sagte usw.). Es geht aus ihr hervor, wie ungeschickt Petrus noch war. So oft hat Christus nun schon von seinem Fortgehen geredet, und doch erschrickt Petrus hier, als hörte er das Allererste davon. Wir sind ihm nur allzu ähnlich! Immer wieder hören wir aus Jesu Mund, was wir täglich anwenden und genau wissen sollten. Sollen wir aber einmal zeigen, was wir gelernt haben, dann stehen wir ratlos da wie Neulinge, die niemals eine Belehrung empfangen haben. Petrus zeigt im Weiteren, dass er auf die fleischliche Gegenwart Christi in übertriebener Weise Wert legte. Es ist ihm ganz undenkbar, dass er hier bleiben, und Christus anderswohin gehen könne.

Da Ich hingehe. Christus will mit diesen Worten die unzeitgemäßen Wünsche des Petrus eindämmen. Er redet, ganz wie ein Lehrer das muss, in knappen, kurzen Worten. Doch mildert er alsbald die herbe Kürze seiner Worte. Er belehrt den Petrus, dass seine Trennung von ihnen nur eine gewisse Zeit lang währe.

Unsere Stelle lehrt uns, dass wir in unseren Wünschen innerhalb der uns gebührenden Schranken bleiben und uns ganz in Gottes Willen schicken sollen. Gehen auch unsere Wünsche einmal mit uns durch, so lasst uns wenigstens dankbar dafür sein, wenn Christus fest in die Zügel greift, um den Lauf unserer Wünsche zu bändigen. Und damit wir dann nicht schlaff und mutlos zusammenbrechen, wollen wir uns von ihm aufhelfen lassen mit dem Trostworte, das sich hier anschließt: du wirst mir hernachmals folgen. Zunächst liegt darin freilich eine Andeutung, dass Petrus noch nicht reif sei, das Kreuz zu tragen; wie die Saat allmählich keimt und sprießt und Frucht bringt, so muss auch er erst allmählich dazu heranreifen, Jesu im Tode nachzufolgen. Deshalb müssen wir alle Gott bitten, dass er sein in uns angefangenes Werk immer weiter fördere. Ein Kind muss erst das Kriechen lernen, ehe es gehen oder gar laufen kann; genauso ist es im Christenstande. Wenn nun Christus mit uns Geduld hat, solange wir noch weiche, zarte Stämmchen sind, bei denen noch manches Jahr Wachstum nötig ist, dann lasst uns doch auch lernen, die schwachen Brüder, welche in der Rennbahn der Jüngerschaft noch lange nicht am Ziele sind, nicht ungeduldig aufzugeben. Es ist ja zu wünschen, dass alle mit Anspannung der ganzen Kraft vorwärts eilen, und jeder soll angefeuert und ermutigt werden. Wenn aber der eine oder andere langsamer vorankommt, als man wohl wünschen möchte, so wollen wir doch die Hoffnung nicht aufgeben, so lange er nur auf dem rechten Wege bleibt.

V. 37. Warum kann ich dir diesmal nicht folgen? Aus diesen Worten des Petrus lässt sich entnehmen, dass ihm die erhaltende Antwort gar nicht recht war. Er merkt, dass ihn Christus an seine Schwachheit erinnert hat und schließt daraus, an ihm selbst müsse also die Schuld liegen, wenn er nicht alsbald Christo nachfolgen könne; doch er ist weit entfernt davon, das zuzugeben. Wir Menschen sind von Natur aufgeblasen von Vertrauen auf die eigene Kraft. So zeigt denn diese Äußerung des Petrus, was für ein Dünkel mit uns groß wird; wir halten weit über Gebühr von der eigenen Kraft. Davon kommt es, dass solche, die doch gar nichts vermögen, sich, ohne Gott um Hilfe zu bitten, alles anzugreifen getrauen.

V. 38. Solltest du dein Leben für mich lassen? Christus wollte sich nicht mit Petrus in einen Streit einlassen. Er wollte, dass dieser selbstbewusste Jünger durch eigene Erfahrung klug würde wie die Toren, die immer erst durch Schaden klug werden müssen. Petrus verspricht unbeugsame Standhaftigkeit und meint es dabei ganz ehrlich und aufrichtig. Trotzdem ist das ein verwegenes Selbstvertrauen; er hat keine richtige Einschätzung der ihm verliehenen Kraft. Sein Beispiel mag uns antreiben, zu forschen, wo es bei uns fehlt, damit wir nicht in eitlem Selbstvertrauen uns überheben. Freilich können wir niemals ein zu hohes Vertrauen auf die Gnade Gottes setzen; aber davon ist hier auch nicht die Rede. Es wird hier die anmaßende Sicherheit dessen getadelt, der lediglich auf seine natürlich-fleischliche Tüchtigkeit vertraut. Wer im Glauben steht, denkt mit Furcht und Unruhe an sein eigenes Fleisch und Blut, mit großer Freudigkeit dagegen an Gott und seine Hilfe.

Der Hahn wird nicht krähen usw. Solange wir uns selbst nicht kennen, sind wir kühn und verwegen. So meint denn Petrus, obwohl er noch in keiner Schlacht gewesen ist, er sei ein gar wacherer Streiter. Ohne seine Kräfte erprobt zu haben, bildet er sich ein, etwas zu können. Er hat dafür seine Strafe bekommen. Daraus sollen auch wir lernen, im Verzagen an der eigenen Kraft, wenn es nottut, zu Gott zu fliehen, dessen Kraft uns halten wird.

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