Luthardt, Christoph Ernst - Jesus ist der Christ.

Adventspredigt über Evangelium St. Lucas Kap. 3, V. 15-17.

„Alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis auf Johannes , und, so ihrs wollt annehmen, er ist Elias der da soll zukünftig sein“ (Matth. 11, 13. 14). Mit diesen Worten, in Jesu Christo Geliebte, scheidet der HErr zwei große Zeiten von einander: die Zeit der Weissagung und die der Erfüllung, die Zeit der Vorbereitung und die der Verwirklichung des Himmelreichs; denn „von den Tagen Johannis des Täufers bis hieher leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt thun, die reißen es an sich“ (Matth. 11.12). Das Ende der alten Zeit ist Johannes, der Anfang und Bringer der neuen Zeit ist Jesus. Durch den Mund des Johannes legt die alte Zeit Zeugniß ab über Jesus, den Bringer der neuen; in Johannes geht jene zu Grabe, aber nicht eher als bis sie die Morgenröthe des neuen Tags, den Aufgang aus der Höhe freudig begrüßt hat (Luc. 1, 78). Nun kann Simeon in Frieden dahin fahren, denn seine Augen haben den Heiland gesehn, welchen Gott bereitet hat vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis seines Volkes Israel (Luc. 2, 29 - 32). Nun kann Johannes abnehmen, auf daß Jesus zunehme, denn er hat die Stimme des Bräutigams gehört, der schon auf dem Wege ist seine Gemeinde heimzuholen (Joh. 3, 29. 30). So scheiden sich hier alte und neue Zeit.

Die alte zielt auf die neue, alle Gottesoffenbarung derselben und alle Geschichte der Menschheit in derselben. Alle Offenbarung Gottes von Anfang an, alle Gotteserscheinung und alles Wort seines Mundes ist eine thatsächliche Weissagung auf den, welcher das Ziel aller Gottesoffenbarung, die rechte eigentliche und wesentliche Erscheinung Gottes im Fleisch, und das rechte eigentliche und wesentliche Wort Gottes an die Welt ist. Und alle Geschichte der Menschen geht auf ihn. Israels Geschichte von Abraham herab, durch David hindurch, sie geht aus in dem, welcher Abrahams Same und Davids Sohn ist. so lehrt uns Matthäus, Die Geschichte der Menschheit von Adam an und ihrer Weltreiche nach einander geht aus in dem, welcher der andere Adam, der Menschensohn, der Bringer des rechten ewigen Reichs des heiligen Geistes ist: so lehrt uns Lucas. Alle Ahnungen und Wünsche der Menschen von der Offenbarung einer neuen siegreichen Macht Gottes über die geistigen Mächte der Finsterniß sind erfüllt in dem, vor dessen wunderbar mächtigem Wort alle Geister der Tiefe sich beugen und weichen, so lehrt uns Marcus, Und das tiefste Suchen und Fragen und Verlangen und Forschen des menschlichen Geistes und Herzens nach Wahrheit und Leben und Licht findet die rechte Antwort Gottes in dem. welcher das Licht der Welt, der Weg, die Wahrheit und das Leben ist: so lehrt uns Johannes. Kurz: alle Wege, auf denen Gott je und je zu den Menschen gekommen, alle die mannnigfaltigen Wege, auf denen die Menschen je und je zu Gott zu kommen gesucht oder nach dem Ziel der höchsten Vollendung gestrebt - diese Linien alle laufen wie in einem Punkte zusammen in Jesus, daß mit ihm eine neue Zeit anhebe und eine neue Geschichte beginne. Er ist die Wende; er ist der da kommen soll; er ist der Messias, der Christ.

Daran sollen wir gedenken in der Adventszeit. damit er auch uns das Ende des alten, der Anfang eines neuen Lebens werde; daß die Geschichte unsres Suchens, Fragens, Begehrens und Nichtfindens in ihm ihr Ende und Abschluß und Ziel finde, und dagegen die Geschichte des fröhlichen, seligen Habens und Erkennens anhebe; damit er auch uns der werde, der da kommen soll, der Messias, der Christ. Damit ihn die Welt als solchen erkenne und aufnehme, ward er angekündigt vom Täufer. So sollen auch wir ihn uns ankündigen lassen vom Täufer. Darum hat die Kirche von den vier Sonntagen des Advent zwei zwar der Ankunft Jesu im Fleisch und seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, zwei aber dem Täufer und seinem Zeugniß von Jesu gewidmet. Das aber ist sein Zeugniß: Jesus ist der da kommen soll, der Messias, der Christ.

Luc. 3, 13-17.
Als aber das Volk im Wahn war, und dachten alle in ihrem Herzen von Johanne, ob er vielleicht Christus wäre; antwortete Johannes, und sprach: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, daß ich die Riemen seiner Schuhe auflöse. Der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen; in desselben Hand ist die Wurfschaufel, und er wird seine Tenne fegen, und wird den Weizen in seine Scheuer sammeln, und die Spreu wird er mit ewigem Feuer verbrennen.

Johannes stellt sich Jesu gegenüber: Nicht ich bin Christus; ein anderer ist es, der nach mir kommt, nämlich Jesus: denn dieser ist der Stärkere, er tauft mit dem heiligen Geiste und hält das Gericht. Das also ist das Zeugniß des Täufers, das wir betrachten wollen:

Jesus ist der Christ;

Denn

  1. er ist der Starke,
  2. er gibt den Geist,
  3. er hält Gericht.

1.

Er ist der Starke. „Es kommt ein Stärkerer nach mir, dem ich nicht genugsam bin, daß ich die Riemen seiner Schuhe auflöse,“ d. h. daß ich ihm den geringsten Knechtsdienst leiste. Wie groß ist der Unterschied zwischen dem Täufer und Jesus! „Unter allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen der größer sei denn Johannes der Täufer; der aber kleiner ist im Himmelreiche ist größer denn er“ (Matth. 11, 11). Johannes ist der Größte der alten Zeit: denn er geht als der Bote Gottes unmittelbar vor dem HErrn her; aber wer an Beruf und Würde kleiner ist im Himmelreich, ist größer denn er: denn wer dem Himmelreich angehört, der ist von neuem geboren aus dem Geist der von oben kommt; er trägt das neue ewige Leben des heiligen Geistes, das neue Gut des Himmelreichs in sich. Das macht ihn größer als den Größesten der alten Zeit. Jesus aber hat nicht bloß den Geist von oben empfangen, sondern ist selber vom Himmel gekommen, aus dem Schoße des Vaters herab. Wie viel größer ist also vollends er als Johannes! So viel der Himmel höher ist als die Erde, so viel größer der Herr als der Knecht, so viel die Ewigkeit über die Zeit geht, so viel Jesus über Johannes. „Es kommt ein Stärkerer nach mir.“

Warum gerade ein Stärkerer? Seit alter Zeit wird ein großer Streit gestritten zwischen dem Reich des Lichts und dem der Finsterniß. Es ist der große Weltkampf, dessen Siegespreis der Mensch ist. Ob er ein Mensch Gottes werden soll oder des Teufels, darum handelt es sich. Und der alt böse Feind, dem groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, hat eine starke Burg, die man nicht leicht stürmen mag. Der Mensch selbst, der sich von ihm hat überwinden und gefangen nehmen lassen, und des Menschen Welt, deren Herr und Gott er dadurch geworden, ist sein Palast, den der starke Gewappnete behütet mit Frieden - bis ein Stärkerer über ihn kommt und in seinen Palast eindringt und ihn überwindet und ihm seinen Harnisch nimmt, darauf er sich verließ, und seinen Raub austheilt (Luc. 11,21. 22). Jesus ist der Stärkere, der in diese Welt gekommen, die im Argen liegt (1 Joh. 5, 19), und in das Fleisch gekommen, darin der Arge herrscht, und hat hier seinen Kampf begonnen wider den Fürsten dieser Welt, daß er seine Werke zerstöre (1 Joh. 3, 8). Daß er im Fleisch lebte und doch heilig, in dieser Welt und doch ohne Sünde, das war der erste Todesstreich, den er führte wider den, der in der Finsterniß dieser Welt und in der Sünde des Fleisches herrscht. Und daß er, der ohne Sünde war, um der Sünde der Menschen willen in den Tod ging, in den Tod sich bringen ließ von der Sünde der Menschen und von der Gottesfeindschaft des Argen, um die Schuld der Menschen zu sühnen und das Lösegeld für die Gefangenen zu zahlen mit seinem Blute, das er in williger Liebe für sie vergoß, das war der andere Todesstreich, mit dem er ihn unter seine Füße warf und einen Triumph aus ihm machte (Col. 2, 15). Sein ganzes Leben war ein Kampf mit dem Widersacher Gottes; denn ihn bestritt er ebenso, da er die Versuchung von ihm bestand, wie da er den Widerstreit der Menschen zu erfahren hatte, in welchem der Feind ihm entgegentrat, um sein Werk zu stören, oder den Unglauben des Volkes oder den Kleinglauben der Jünger tragen mußte, durch welchen jener ihn ungeduldig und verdrossen zu machen suchte. Aber der rechte Kampf begann doch erst, als Jesus sich anschickte zu leiden. Da er am letzten Abend vom Abendmahlstische sich erhob, um über den Kidron in den Garten Gethsemane zu gehen, da sprach er: Es kommt der Fürst dieser Welt - aber er hat nichts an mir (Joh. 14, 30). Da er zu zittern und zu zagen begann und die Schauer des Todes und die Schrecken des Zornes Gottes über ihn kamen, da hat er mit dem Argen gerungen; und da er am Kreuz ihm erlag, da hat er ihn überwunden.

Es war ein wunderlicher Krieg,
da Tod und Leben rungen,
das Leben das behielt den Sieg,
es hat den Tod verschlungen:
die Schrift hat verkündet das,
wie ein Tod den andern fraß,
ein Spott aus dem Tod ist worden.

Dazu gehörte freilich eine andere Stärke als der Menschen Vermögen ist. Göttliche Kraft und Vermögen mußte besitzen, wer diesen Streit mit dem Fürsten dieser Welt streiten, wer die gefangene Menschheit erlösen, die Schuld aller Sünden sühnen, den Zorn des heiligen Gottes versöhnen und Sünde und Tod unter seine Füße treten sollte. Nach mir kommt ein Stärkerer, so kündigt ihn der Täufer an.

Er sieht nicht darnach aus. In Gestalt des schwachen und sündigen Fleisches ging er einher, gehorsam bis zum Tode, aus seinem Leiden Gehorsam lernend (Hebr. 5, 8), ein Geduldiger, der nicht wieder schalt da er gescholten ward, nicht dräuete, da er litte (l Petr. 2, 23), wie ein Lamm das verstummet vor seinem Scherer und seinen Mund nicht aufthut, das Lamm Gottes (Joh. l, 29). Er sieht nicht darnach aus. Aber das ist Gottes Weise. Das Verachtete vor der Welt und das Schwache liebt er zu erwählen. Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich ansehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne die du bereitet - was ist der Mensch daß du sein gedenkest, und das Menschenkind, daß du dich sein annimmst (Ps. 8. 3-5)? Und doch hat eben diesen Gott erwählt, daß er durch ihn sein Werk ausrichte. Was aber vom Menschen gilt, das gilt im höchsten Sinne von Jesus, dem Weibessamen, dem Menschensohn. Ein schwacher Mensch ging er einher - aber ein Fürst der Geister, die sich vor ihm beugen. Ein stummes Lamm ist er gestorben - aber es hat überwunden der Löwe aus Juda, so triumphieren die himmlischen Chöre (Offb. Joh. 5. 5). Er ist der Christ: denn er ist der Starke.

So ist's noch immer. Zwar er ist entrückt in die Ferne des Himmels, aber im Geist gegenwärtig übt er Gewalt mit seinem Arm und schreitet mit zermalmenden Füßen über die Erde hin. In den Ländern der Heiden herrschen die Dämonen: sie müssen vor seiner Stärke weichen. Die Geister der Völker müssen seinem Geist sich beugen. Der Weg seiner Kirche ist wie sein Weg - der Weg des Kreuzes; aber im Unterliegen siegt sie. Oftmals schon hat man sie todtgesagt. Aber ihr Leben ist unverwüstlich. Es gab eine Zeit, es war im vorigen Jahrhundert, da hat man dem Christenthum in trunkenem Uebermuth der Siegesgewißheit nur wenige Jahre noch Frist in Aussicht gestellt. Die Geister, welche durch Witz und Ruhm die Welt beherrschten - Voltaire vor Allen, der Abgott seiner Zeit, am Hofe Friedrichs II - verbündet bekämpften sie die schwach vertheidigte Sache Jesu Christi; sie schien unterliegen zu müssen. Jene Namen wird man vergessen; aber dem Lamm, das erwürget ist und hat uns Gotte erkauft mit seinem Blut, sagen die Aeltesten vor Gottes Thron und die tausend mal tausend Engel im weiten Kreis, und alle Kreatur die im Himmel, auf Erden und unter der Erde ist, Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb. Joh. 5, 9-14).

Nicht auch wir? Es hat von jeher in unserm Volke für Ehre und Stolz gegolten, dem Mächtigsten zu dienen. Und von der Treue solchen Dienstes ist die Geschichte unsrer Nation voll. Nun wohlan! Er, den man mit der Dornenkrone einst zum Hohn gekrönt hat, er sitzt jetzt auf dem höchsten Throne der Welt. Wir sind nicht werth seine Knechte zu heißen. O es ist nicht Unehre, es ist Ehre und Größe vor ihm den Nacken zu beugen und ihn sich zu erwählen zum Herrn.

Und wir haben wohl Grund dazu. Denn wir haben auch einen Kampf zu kämpfen in dieser Welt. Jedem ist seine besondere Aufgabe gestellt. Eine jede ist schwer, wenn man es ernst damit nimmt. Und wäre es der geringste menschliche Dienst in dieser Welt - er erfordert die Kraft der Geduld. Eine Aufgabe aber haben wir alle, gleicherweise: wider uns selbst zu streiten, mit unserm Fleisch und Blut, mit unfern Untugenden und Sünden. Wer sich kennt und die Aufgabe kennt, der weiß es daß wir nicht mit uns fertig werden. Aber nicht mit Fleisch und Blut allein, belehrt uns die Schrift, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die in der Finsternis; dieser Welt herrschen mit den bösen Geistern unter dem Himmel (Eph. 6, 12) - da gilt es Kraft und Stärke und gute Wehr. Jesus ist es der die Welt überwunden hat. der die Sünde getilgt und ihre Macht gebrochen, der des Teufels Werk zerstört und ihm seinen Harnisch genommen hat. Er kann uns helfen in solchem Kampf. Wir sind die Schwachen, er ist der Starke, er ist der Christ.

2.

Er gibt den Geist: das ist seine Macht. „Das ist das Wort des HErrn an Serubabel: nicht durch Gewalt und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HErr Zebaoth“ (Sach. 4, 6). Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume. Alles was auf natürlichem Boden erwachsen ist, und nicht von Gott geboren, von der Erde her und nicht von oben gekommen, und wäre es die höchste Blüthe des Geistes, das nennt die Schrift Fleisch. Und alles Fleisch ist wie Gras.

Es geht ein alter Streit durch die Welt zwischen Fleisch und Geist. Da der Mensch mit dem ersten begehrlichen Blick jene Frucht des Baumes, jenes von Gott ihm versagte Gut dieser Welt ansah, da seine Begierde ihm in die Augen trat und das Verbotene ins Herz und er der versuchenden Stimme von außen sich ergab und an die Sünde sich verlor und an die Welt, da ist er Fleisch geworden; seitdem geht er auf den Wegen des Fleisches, und alles sein Wollen und Thun ist fleischlich. Jesus aber ist erschienen im Fleisch und hat um des sündigen Fleisches willen sein Fleisch in den Tod gegeben und zu Geist verklärt - nun heißt es: Der HErr ist der Geist (2 Cor. 3, l 7). Und seinen Geist hat er ausgegossen und in den Herzen der Gläubigen sich ein Reich geschaffen, das im Geiste gründet und von oben stammt. Was von der Erde ist und die Natur des Fleisches an sich trägt, ist dem Gesetz der Eitelkeit und der Vergänglichkeit unterworfen. Christi Reich ist ein ewiges Reich.

Die mächtigen Weltreiche nach einander, sie sind zerfallen. Aus den Schutthaufen Ninives und Babels gräbt man die Trümmer vergangener Herrlichkeit aus; in den Ländern, welche Alexander der Große durch die Herrschaft griechischer Gesittung und Bildung zu dem kühnen Bau seines Reiches vereinigt hatte, herrscht Barbarei; und Roms Größe ist zu Staub zerrieben, auf welchem die Füße eines entarteten Geschlechtes einhergehn. Gewaltiger war keines Menschen Gang über die Erde hin, als jenes Corsen mit der marmornen Stirn und der eisigen Selbstsucht, der den Thron Frankreichs zum Throne Europas machte, Napoleons. Auf einer kahlen Felsennische im fernen Süden hat seine Kraft sich in sich selbst verzehrt. Zwar scheint die Todeswunde seines Geschlechts jetzt wieder geheilt, und wieder hat der Träger seines Namens die Geschicke Europas in den Händen. Aber auf wie lange? Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume.

Die Weltreiche alle sind gefallen oder werden es; nur Ein Reich ist ewig, das Reich Jesu Christi; denn es gründet im Geiste. Der Geist ist die Macht und das Leben der Dinge; aber nicht jeder Geist, sondern Gottes Geist, der heilige Geist. Reicher und schöner hat sich nirgends die Blüthe des menschlichen Geistes entfaltet, als in den Hellenen. Die verirrte Phantasie der Dichter und der verkehrte Verstand der Gelehrten hat „die edle Menschlichkeit,“ wie sie sagen, der Griechen, unter uns zu erneuern versucht und begehrt. Was sollte sie uns helfen? Denn ihr Ende, da wo sie naturwüchsig war, welches war es? Eine verwelkte Blume auf versumpftem Boden. Es hat sein Geist dem sinkenden Volke keinen Halt, dem verderbten keine sittliche Erneuerung, dem ersterbenden kein Leben zu geben vermocht. Sollte er für uns der Heiland sein können? Unter allen Geistern unsers Volkes in der Neuzeit war keiner größer, reicher, menschlich gesunder als Goethe. Aber auch diese höchste menschliche Vollendung trägt nicht die Ewigkeit in sich, die wir brauchen. Es hat eine geistreiche Hand ihm zur Verherrlichung um sein Bild geschrieben: Das Fleisch ward Geist. Wider Willen hat sie geweissagt. Auf dem Boden des Fleisches entfaltete sich dieses Geistesleben. So steht es denn auch unter seinem Gesetz der Vergänglichkeit. Nur was aus dem Geiste Gottes geboren ist, tragt ewiges Leben in sich. Nur er ist die Macht wahrhaften Lebens.

Mannigfaltig sind die geistigen Mächte, welche das Leben beherrschen. Aber sie alle zusammen vermögen nicht wahrhaft Leben zu erzeugen oder das gewordene zu erneuern. Und daß das ganze Leben unseres Volkes, unseres Geschlechts einer sittlichen Erneuerung von Grund aus bedürfe, bekennen alle die ein Verständniß der Gegenwart haben. Dazu ist Lebensmacht von oben nöthig, heiliger Geist. Denn noch immer gilt jenes uralte Wort: die Sünde ist der Leute Verderben.

Auch unsres. Worüber wir klagen mögen, was uns hemmen und binden, beschweren und bekümmern, drücken und verderben mag: es hat verschiedene Gestalt und Namen bei den Verschiedenen; aber im Grunde ist es bei Allen dasselbe - die Sünde. Sie ist der tiefste Schade in uns und der größte Jammer, sie ist unsre Ohnmacht, sie unsre Zerrissenheit, sie unser Tod. Dawider hilft nichts als Gottes heiliger Geist. Dieser muß allen den tiefen abgründlichen Schaden in uns heilen und bessern und unser Unvermögen ersetzen durch seine göttliche Kraft.

Jesus gibt den heiligen Geist. Als er am Tage der Pfingsten wie in Strömen sich über die Schaar der Jünger ergoß, und sie erfüllte, daß aus den Verzagten freudige Bekenner, aus den Schwachen starke Streiter Gottes, aus den Schwankenden ihres Glaubens fröhlich Gewisse, aus den Unverständigen Lehrer der Menschheit wurden, die eine Welt bekehrten: da hat der heilige Geist sich die Gemeinde geschaffen auf Erden, in welcher er seitdem seine Stätte und sein Werk hat, in welcher er tagtäglich umwandelt und gebiert zu neuen Menschen. Hier gibt Jesus den heiligen Geist.

„Er wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ Entweder - oder. Getauft müssen wir Alle werden - es sei mit dem heiligen Geist des neuen Lebens, es sei mit dem Feuer des ewigen Todes. Getauft. Nicht bloß angeweht, nicht bloß angefaßt, nicht bloß bewegt und gerührt in unsrer Empfindung und Stimmung, sondern getauft, hineingetaucht, versenkt, ganz davon überströmt und innerlich umgewandelt. Es hilft unsrem Volke nichts, wenn es nur äußerlich ein christliches Gewand anzieht und in christlichem Brauch und Sitte einhergeht, wenn es nicht innerlich gründlich erneuert wird. Es hilft uns Allen nichts, wenn wir nur unsre Weise des Lebens oder auch des Denkens und Sprechens christliche Gestalt und Art annehmen lassen, wenn wir nicht innerlich im Herzen uns vom heiligen Geiste völlig umwandeln lassen. Wohl, wir sind getauft, getauft mit dem heiligen Geist. Aus unsrer Taufe quillt uns allzeit die Quelle des ewigen Lebens. Aber wir müssen selbst auch uns in diese Taufe begeben und ihr Wasser über uns gießen, daß völlig und in Wahrheit unser Eigenbesitz werde was Gott uns damals geschenkt hat. O lasset uns täglich hineinsteigen, uns eintauchen und versenken in seine Fluth. daß wir da allen Schmutz der Sünde, wie er sich immer wieder an uns anhängt, abwaschen und abthun, und die müden Glieder erquicken und stärken, daß wir jeden Tag als neue Menschen daraus hervorgehen und mit frischen Kräften den Kampf wieder aufnehmen und vollenden, der uns verordnet ist. Wir würden siegreicher bestehen im Streite, wir würden bessere Fortschritte machen in der Heiligung, wir würden fröhlicheren Muth haben, wenn wir .fleißiger uns innerlich waschen und übergießen wollten mit dieser Taufe des heiligen Geistes. O man merkt es einem wohl an, wenn sich seine Seele gebadet hat in diesem Lebensstrome, wenn sie im Gebete eingetaucht ist in seine Wellen, in stiller Sammlung und Andacht sich versenkt hat in seine heilige Fluth. Und was soll ich sagen von dem Lande der Seligkeit, zu dem uns diese Fluthen tragen! Auf ihren Wellen fährt ein Schiff, der Hauch göttlicher Liebe bläht seine Segel, mit Gütern einer andern Welt ist es beladen, die Heiligen Gottes alle sind auf ihm versammelt, und Christus der HErr steht am Steuer: sein Lauf geht hin zum Himmelreich. O meine Lieben, laßt uns hinein in die heilige Fluth, hinüber zum Schiff, da Christus ist und uns bringt zum Lande der Seligkeit, dahin uns zu retten aus der Welt, die dem Gerichte verfällt. Denn gerettet oder gerichtet - das ist die Wahl.

3.

Jesus hält Gericht. „Es ist die Worfschaufel in seiner Hand und er wird seine Tenne fegen und wird den Weizen in seine Scheuer sammeln und die Spreu wird er mit ewigem Feuer verbrennen“. - Er hält Gericht. Richtend geht er jetzt schon durch die Welt hin. Man sagt, die Weltgeschichte sei das Weltgericht. Man sollte sagen: Jesus hält Gericht schon in der Zeit.

Da die Feuerzungen auf den Häuptern der Jünger Jesu an Pfingsten für Jerusalem und Israel vergeblich predigten, haben die Flammen der eroberten Stadt und des brennenden Tempels vernehmlich vom Zorne des Richters gepredigt, für alle Zeiten ein Denkmal, eine ernste mahnende Predigt für alle Geschlechter. So ist alle Macht und Größe der Erde und des Geistes zu allen Zeiten zerstoben wie Spreu vor Jesu dem Richter.

Die Macht des römischen Reichs machte sich auf zum Kampf wider Christus und seine Gemeinde - sie ist gestürzt. „Du hast gesiegt Galiläer“- rief Julian, der abtrünnige, christenfeindliche Kaiser, da er in der Schlacht fiel. Alle Gedanken und Weisheit der alten Welt brachten die Gelehrten und Philosophen Alexandriens zu Haus, um damit die thörichte Predigt vom Kreuz zu bestreiten. Jene Weisheit ist zur Thorheit geworden auch vor der Welt, vergessen und begraben auch für die Gelehrten; aber die thörichte Predigt vom Kreuz hat die Welt erobert.

Oftmals hat dieser Kampf wider Jesum den Christ sich erneuert - mit demselben Erfolge. Die Größen dieser Welt, die Helden der Geschichte oder die Helden des Worts, die Jesum vom Throne zu stürzen versuchten - sie sind verweht wie Spreu. Jesus hält Gericht.

„Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen“ (Luc. 1, 52): so sehen wir es zu allen Zeiten. Die Stolzen, welche um ihren Bau der Macht oder der Gedanken aufzuführen des Namens Jesu entbehren zu können meinten, sind zu Schanden geworden und Einer hat immer des Anderen Werk zerstört. Aber die Armen am Geist und Geringen vor den Menschen und die Stillen im Lande, welche um des Bekenntnisses Jesu willen, dem sie nicht untreu werden wollten, unter der Verachtung der Welt dahingehen mußten, von den armen Fischern und Zöllnern Galiläa's an bis zu den einsamen Zeugen in der Zeit allgemeinen Abfalls im vorigen Jahrhundert, die hat Jesus zu Ehren gebracht und ihnen Samen gegeben und wird das Gedächtniß ihres Namens erhalten bis auf ferne Geschlechter. Denn er hält Gericht.

In der Geschichte der Kirche sind in den Kämpfen um die Wahrheit der Lehre und des Bekenntnisses allezeit die unterlegen, welche Christi göttliche Majestät leugneten und ihm die Ehre des ewigen Sohnes Gottes weigerten: aber deren Sache blieb siegreich, welche für das Wort des HErrn kämpften: ich und der Vater sind Eins; und eines Athanasius Zeugniß erwies sich mächtiger als alle Anstrengungen des kaiserlichen Hofs von Byzanz. Auf ihre Fahne hat die Reformation nur dieß eine Wort geschrieben: Christus allem! Um dieser Fahne und ihres Bekenntnisses willen führte Jesus der HErr den armen Mönch von Wittenberg und seine Sache zum Sieg wider Kaiser und Papst. Eifersüchtig hält Jesus auf seine Ehre.

Ein Weg führt unser Volk zum Heil, dieser allein: wenn es lernt seine Kniee beugen vor dem heiligen Namen Jesu des Christ. Alle anderen Wege gehn ins Verderben. Es hat unser Nachbarvolk im Westen in dämonischem Taumel vor nunmehr fast siebzig Jahren diesen Namen verleugnet und seine Altäre entweiht. Seitdem ist der Segen von ihm gewichen, und wird es, bis es Buße gethan haben wird für diese schwerste aller seiner Sünden.

Es will Jesus nicht verleugnet und nicht vergessen sein. So oft man meinte sein entbehren und auch ohne ihn ein Dasein sich schaffen zu können, welches der Seele wahre Befriedigung gäbe, so oftmals hat des HErrn Geist die irdische Schöne verwelken gemacht und Gericht gehalten. Es ist die Erde dem Menschen gegeben, daß er ihrer Herrschaft und ihres Genusses sich freue. Aber ihr Besitz wird zum Verderben ohne den, dessen Blut sie von dem alten Fluche befreit hat, der seit Jahrtausenden auf ihr ruht. Wir sollen erst lernen alles Andere darangeben gegen Ihn, und nichts fragen nach Himmel und Erde, wenn wir nur Ihn haben, ehe wir reuelos uns auch dessen freuen mögen, was vergeht. Es geht der Hauch des Todes durch alles, darin nicht der Geist des Lebens Jesu lebt. Denn es ist Alles und wir selbst voran geschaffen zu Ihm hin. Dieß Gesetz der Gemeinschaft mit ihm wird zum brennenden Feuer in unsren Gebeinen, wenn wir von ihm nichts wissen wollen, und zum Gericht des Lebens, das wir von ihm nicht heiligen lassen wollen.

Das erfahren Alle, die ihn nicht zum Heiland sich wählen.

Wie oftmals sehen wir, wie auch edle Naturen, deren Leben menschlich schön und reich ausgestattet ist, zuletzt dieß Gericht erfahren müssen! Es schwindet dahin was das Leben menschlich lebenswerth macht; schwere Erfahrungen, Undank der Menschen, Krankheit und Leid - das kommt dann zu Haus, und verdrossen und verbittert steigen sie ins Grab. Es hat die ewige Gnade ihr Ende nicht verklärt, so wird auch dort die Sonne der Gnade ihnen nicht aufgehn. So erfahren wir's selbst. In unsrem eignen Leben ist bestandhaltig, wahrhaft erfreuend und bereichernd, den Frieden in sich tragend und uns innerlich befriedigend nur das, was dem Geiste Jesu Christi, der inneren Herzensgemeinschaft mit ihm entstammt. Was nicht von daher ist, das bringt uns Unfriede und Zerrissenheit und Qual. Da erfahren wir, wie Jesus Gericht schon hält innerlich und durch ihn des Herzens Gedanken offenbar werden, ob sie aus Gott sind oder von der Welt. Die Welt aber vergeht.

O lasset uns bei Zeiten aus ihr uns retten zu Gott und dem Thron seiner Gnade in Jesu dem Christ, ehe denn der große und schreckliche Tag des HErrn kommt. Es wird einst - so weissagt die Schrift - alle Macht der Erde und alle Beherrschung des Geistes in Eines Menschen Hand sich vereinigen, dessen Wille das Gesetz der Menschheit, dessen Cultus ihre Religion sein wird. Er wird es wagen sich für Gott zu erklären und Wunder werden ihm zu Gebote und alle Geistesbildung zu Dienste stehn. Alle Welt wird ihm zufallen und die Versuchung und Bedrängniß der Gläubigen wird groß, treu zu bleiben wird sehr schwer sein. Da wird Jesus der König sich offenbaren im Zorn und ein Tag des Gerichts wird anbrechen. Die Erde wird erbeben in ihren Grundfesten, die Sonne wird finster werden und der Mond blutroth; die Sterne werden vom Himmel fallen und der Himmel fliehen vor dem der da kommt zu richten das Erdreich. Und die Könige auf Erden und die Großen und Kriegsobersten, die Reichen und die Gewaltigen, Knechte und Freie werden sich verbergen in den Klüften und Felsen der Berge, und zu den Bergen und Felsen sprechen: Fallet auf uns und verberget uns vor dem Angesichte deß der auf dem Stuhl sitzt und vor dem Zorne des Lamms. Denn es ist kommen der große Tag seines Zornes und wer kann bestehen? (Offb. Joh. 6, 12-17).

Wer wird bestehn? Wer in der Zeit vom Zorn sich gerettet zum Thron der Gnade, wer durch das Gericht der Buße dem Gerichte des Feuers entflohn ist und sich hat versiegeln lassen mit dem Siegel des heiligen Geistes - der wird bestehen. An jenem Tage werden Alle ihn sehen den sie durchstochen haben und werden sprechen: Er ist's, Jesus von Nazareth; er ist's der kommt, er ist der König, er ist der Christ. Aber das Bekenntniß des Schreckens wird vergeblich sein, es wird erstarren auf erblassenden Lippen, im Herzen aber wird diese Gewißheit: er ist's! zum Feuer werden das in Ewigkeit brennt. Fröhlich die Häupter erheben und mit Freuden begrüßen den, der da kommt, werden nur die, welche jetzt schon das Haupt ihm entgegen erheben, die ihn jetzt schon als der Welt Heiland begrüßen, auch als ihren Heiland, der auch ihnen kommen soll. Er kommt, er kommt auch uns wieder jetzt im Advent! Unser Herz müsse ihn fröhlich begrüßen, jetzt in dieser Zeit und einst an der Pforte der Ewigkeit! Amen.

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