Löhe, Wilhelm - Vaterunser - VII. Matth. 6, 13. Führe uns nicht in Versuchung!

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - VII. Matth. 6, 13. Führe uns nicht in Versuchung!

In der fünften Bitte beten wir: „Vergieb uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!“ gleich in der sechsten setzen wir hinzu: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Denn wenn uns die vergangene Schuld und Sünde bedeckt ist, so fürchten wir armen schwachen Kinder alsbald wieder, es möchte uns aufs Neue Schuld und Sünde überfallen. Wir möchten so gerne von der Sünde völlig unangefochten seyn, von der zukünftigen, wie von der vergangenen. Wir erkennen wohl, daß die Sünde ihre großen Reize für uns hat, daß unsre besten Vorsätze leicht zu Fall gebracht sind, daß uns Versuchung gefährlich, ja, daß zwischen Versuchung und Fall nur ein Schritt ist: da nahen wir uns dem Vater im Himmel, falten unsere Hände und beten, fröhlich, daß ER selbst uns also beten heißt: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Es ist uns so wohl, wenn uns die Sünde vergeben ist; der Friede Gottes ist so lieblich, so ein heitrer Himmel, so eine sanfte, liebe, grüne Frühlingserde; wir möchten immer im Frieden Gottes wandeln und fürchten die Störung dieses Friedens durch neue Versuchungen so sehr: ja, da fallen wir auf unsere Kniee und flehen inbrünstig: „Ach, führe uns nicht in Versuchung, wir möchten so gerne bleiben, wo wir sind, im Frieden!“ - Seht, liebe Brüder! so natürlich ist es, so nahe liegt's dem, der in der fünften Bitte erhört ist, die sechste zu beten. Diese zwei Bitten mit ihren zwei verborgenen Verheißungen sind wie zwei Hände Gottes, mit deren einer ER uns rettet, mit der andern schirmet, mit der einen uns bettet, mit der andern uns zudeckt. - O lieber Vater im Himmel, laß uns die beiden Bitten wohl verstehen und lehre sie uns kindlich und gläubig beten durch deinen guten Geist, auf daß wir erhöret werden! Amen.

Heute betrachten wir insbesondere die sechste Bitte. Habt ihr Ohren zu hören, so höret! Es ist eine wichtige Sache, die sechste Bitte wohl verstehen zu lernen, denn wer sie wohl versteht, der hat dies irdische Leben wohl verstanden und eine Lebensweisheit gefunden, welche ihm zur Seligkeit der Seele sehr dienlich werden kann. - Wohlan! wir fassen unsern Text ins Auge!

1. Aber wie? Wir sollen im Vater-unser beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ wir müßen demnach die Versuchung als ein Uebel betrachten, und doch sagt der Apostel Jacobus: „Meine Lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen (d. i. in mancherlei Versuchungen) fallet!“ Da scheint es ja fast, als halte Jacobus die Versuchung für etwas Erfreuliches, also für etwas Gutes! - Wie stimmt aber das mit der sechsten Bitte, in welcher wir sie als ein Uebel ferne von uns weg beten möchten? - Liebe Brüder! Es stimmt ganz gut zusammen, und Gottes Wort widerspricht sich nicht. St. Jacobus hält eben so, wie sein Licht und Meister Christus, die Versuchung für etwas Schlimmes; auch er, wie wir und die ganze Christenheit, hat gegen sie gebetet, wie ihn Christus lehrte: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Seine Meinung aber, in jenem Spruche ist etwa diese: „Wenn Versuchungen euch umringen, wie wilde Thiere einen Pilger in der Wüste, so erschrecket nicht, euer Glaube werde nicht kleinmüthig, fürchtet euch nicht, glaubet nur; denn Christus hat alle Feinde überwunden und wird auch in euch überwinden; euer Glaube an Seine Ueberwindung, wenn er rechtschaffen ist, wird Geduld wirken und die Versuchung wird ein solches Ende gewinnen, daß ihr's ertragen könnet. In Hinblick auf euern Siegeshelden und auf das Ende eurer Versuchung muß euch selbst die Versuchung nicht Angst, sondern Freude schaffen!“ Wenn Christus uns beten lehrt: „Führe uns nicht in Versuchung!“ so sieht er auf unsre Gefahr. Wenn St. Jacobus, von Christi Geist erfüllt, mitten in Versuchung uns Freude gebietet, so sieht er auf das Ende der Versuchung und des Kampfes mit ihr, auf die friedsame Frucht der Gerechtigkeit, welche herauskommt, auf die schöne Krone in der Hand des HErrn und ruft uns Kämpfern zu: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat Denen, die Ihn lieb haben.“ Christus sieht auf unsre Schwachheit gegenüber der Stärke der Versuchung; Jacobus weist auf Christus in uns, in dem wir alles vermögen, zu dem wir einen Glauben haben, welcher die Welt überwunden hat. Christus sorgt für uns: Jacobus traut dem Sorgen Christi und Seiner starken Kraft. Nach Jacobi Sinn ist nicht die Versuchung selbst das Erfreuliche, sondern Christus, der Glaube an Ihn und des Glaubens Bewährung. Denn der Glaube begiebt sich getrosten Muthes in Gottes Verheißung und trotzt jubilirend dem Feind entgegen: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet und unter dem Schatten des Allmächtigen trauet, der spricht zu dem HErrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Der HErr ist meine Zuversicht, der Höchste ist meine Zuflucht. Es wird mir kein Nebels begegnen und keine Plage wird zu meiner Hütte sich nahen!“ Das ist der Glaube in seinen Freudentagen, wenn er seine Stärke angezogen hat, von dem redet Jacobus, Weil aber der Glaube in dieser Welt nicht immer solche Freudentage hat, wo ihm der Kampf zur Lust wird, weil er meist seine Armuth fühlt, seine Hinderniße und Feinde ansieht und durch ihren Anblick leicht geschreckt werden könnte; so weist ihn der eingeborne Sohn, der in des Vaters Schooß ist, der da weiß, was dem Vater wohl gefällt, zum Gebete an: „Führ uns nicht in Versuchung!“ damit Gott des armen Menschen Bundesgenoße werde wider seine Feinde, damit Seine Kraft in der menschlichen Schwachheit mächtig werde und Seine Kinder auf Erden rühmen können: „ob wir gleich schwach sind, sind wir dennoch stark; denn der HErr ist mit uns!“ 2. Gut, könnte man sagen, so ist also die Versuchung wirklich etwas Schlimmes, Da nun von Gott, dem Vater des Lichts, nur gute und vollkommene Gaben kommen; fürchtet man denn doch noch, ER möchte in Versuchung führen, weil man zu Ihm betet: „Führe uns nicht in Versuchung!“? Spricht doch Jacobus ausdrücklich: „Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde; denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; ER versucht Niemand; sondern ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird,“ Das, könnte man einwerfen, scheint ein starker Widerspruch zu sein. Aber es scheint auch nur so: in der Wahrheit aber ist große Eintracht zwischen der angeführten Stelle und dir sechsten Bitte; denn Gott und Sein Wort können sich selber nicht widersprechen. - Wohl wahr, daß Gott kein Versucher ist - zum Bösen. Aber gleichwie einem König zugeschrieben wird, was seine Diener unter seiner Regierung thun; so wird es dem gerechten Zorne Gottes, also Gott selber, zugeschrieben, wenn der Satan, der mit seinem ungerechten Eifer Gottes gerechte Strafen heimholt, als ein unwilliger Diener Gottes und, wie Luther sagt, als ein Henker in Gottes Dienst, entweder selbst oder durch die Welt oder durch unsre eigne Lust uns versucht. So heißt es l. Chron, 22, 1. (21, 1.): „Der Satan stand wider Israel und gab David ein, daß er Israel zählen ließ“ und 2. Sam. 24, 1, heißt es in derselben Geschichte: „Der Zorn des HErrn ergrimmte wider Israel und reizte David, unter ihnen, daß er sprach: „Gehe hin, zähle Israel und Juda!“ So giebt uns der HErr manchmal um unserer Sünde willen dahin in unsers Herzens eigenwillige Gelüste und des Satans Wohlgefallen, wie ER z, B. nach Rom. l. die Heiden in grobe, schändliche Lüste hingab, weil sie, obwohl von Ihm gezogen, Ihn dennoch nicht suchen und finden mochten. Wie wir daher in der fünften Bitte zunächst um Abwendung der Schuld unsrer Sünden bitten, so ist es in der sechsten Bitte eigentlich und zunächst Gottes Ungnade und Zorn über unsere Sünden, welche wir wegbeten wollen; denn wenn Sein Zorn waltet, dann ist schwere Versuchung bereitet und wir müßen dahinfallen in's Verderben; waltet aber seine Gnade, dann kann uns Versuchung nicht fällen; so sehr auch der Satan wider uns stehen mag, so sehr er auch die Welt und unser Fleisch reize, es ist nach Gottes Willen doch nur eine Versuchung zum Guten. Ja, wir beten in der sechsten Bitte, der HErr wolle Gnade für Recht ergehen laßen, daß uns der Teufel, die Welt und unsers eignen Fleisches verderbter, böser Wille nicht verführen dürfe. Wir wißen wohl, daß ER kein Versucher ist, daß Versuchung nicht von Ihm stammt: aber wir bitten, ER wolle uns auch nicht von sich hinwegstoßen und in Seinem Zorne gar hineinführen in des Satans und der Welt Versuchung und Macht, Denn wir wißen zwar wohl, daß wir nicht mehr verdient haben, als, von Ihm verlaßen, in jegliche Tiefe der Versuchung hineingerißen zu werden, darum daß wir von Ihm flohen und es uns in Seiner heiligen Nähe nicht wohl war; aber unser Geist in uns ist erwacht, und schreit nach Gott wie ein Hirsch nach frischem Waßer, er sehnet sich, mit dem HErrn vereint zu seyn; darum bitten wir, ER wolle die Schwachheit unsers Fleisches ansehen, welche bleibet, obgleich der Geist willig ist; ER, der Hüter Israels, der nicht schläft noch schlummert, der Jacob's hütet, wie der Schafe, wolle durch Sein Machtgebot alle Versucher von uns ferne halten, Seinen Geist in unsre Seelen geben, daß wir wacker und tapfer werden, wolle rings um uns her die Helden zur Wacht aufstellen, welche um Salomonis Bette stehen.

Wir bitten, ER wolle uns ja nicht in die Bande und Aengsten der Versuchung führen laßen, sondern lieber heraus, wenn sie uns umlagern, daß wir sie zerhauen, wie ER ja in Christo Jesu, dem einzigen Grunde unsers Heils und unsrer Zuversicht, den Gebundenen eine Erledigung verheißen hat. Wir wißen es wohl, daß Sein geheimer Rath es oft erheischt, daß wir durch der Höllen Pforten wandeln; wißen, daß ER unendlich gut ist, daß Ihm Niemand in Seinen Wunderwegen einreden und sprechen darf: „Was machst Du?“ Aber es bleibe uns nur die selige Gewißheit, daß ER uns in die Hölle führt und wieder heraus! Wenn nur Er für und bei uns ist, wer will dann wider uns seyn! Ist nur ER bei uns, so können uns sicher der Höllen Pforten nicht überwältigen; denn ER ist starker, als der Starke! Ach, wir müßen es klagend eingestehen, daß es oft nicht der heilige Geist ist, der uns in die Wüste der Versuchung führt, sondern wir selbst uns muthwillig. hineinstürzen: ach! auch dann laße uns der HErr nicht alleine gehen, höre das Seufzen der geängsteten Seele und führe sie heraus, obwohl ER sie nicht selbst hat hineingehen heißen! Wie sollten wir da heraus kommen, wenn ER uns nicht herausriße? wie oft muß ER uns durch's Waßer und Feuer tragen, in welches wir selbst die ersten Schritte gesetzt haben, ohne Seinen Beirath und Erlaubniß! wie oft muß ER den Sieg geben zu Kämpfen, die wir im eignen Geiste angefangen haben! wie oft erhört ER das Schreien derer, die aus eigner Schuld in Gefahr der Seelen gerathen sind! Sollte ER nicht auch das Schreien derer hören, die keine Versuchung, wie keine Sünde begehren, die sich vor Versuchung und Sünde, wie vor der Hölle fürchten? die überall Versuchung ahnend, ohne Unterlaß rufen: „Führe uns nicht in Versuchung!“? Das sey ferne! der HErr erhört uns und giebt uns die Versicherung Seiner Huld, und mit dieser die Gewißheit, daß wir in die Macht der Versuchung nicht sollen hingegeben, in ihr Gebiet und Land nicht sollen hineingeführt und hineingestoßen werden!

Verstehe also, liebe Seele! der HErr versucht nicht, denn ER ist nicht im Rathe der Spötter, der Heilige hat nicht Gemeinschaft mit Satan, Welt und Fleisch, von dem Seligen geht keine Unruhe der Versuchung aus! Wir beten zu dem Gnadenreichen, nicht weil ER hineinführt, sondern weil ER Satan, Welt und Fleisch hindert, uns hineinzuführen; weil ER um des willen, der für uns in der Wüste, in Gethsemane, am Kreuze versucht ist, uns die Versuchungen erlaßen, weil ER uns aus sechs Trübsalen erlösen und in der siebenten von keinem Uebel uns will berühren laßen. ER heißet uns beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ und offenbart ja damit, was Sein Thun ist, nämlich: „nicht hineinführen!“ Das sollen wir bitten und ER verheißt Erhörung, ER zerstreut unsre Zweifel, ER zeigt Sein väterliches Herz und verspricht uns Seine Hülfe! So gehe es denn, wie es wolle: wir ruhen dabei im Frieden, denn Du, HErr, hilfst uns, daß wir sicher wohnen!

3. Wer aber ist der, welcher nicht versucht wird? und welche sind die, welche versucht werden und beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“? Antwort: Es ist eine große Menge, die unter der Erde, in ihren Gräbern liegen, diese sind aller Versuchung entnommen. Auch über der Erde ist eine große Menge, die nicht mehr versucht werden: nämlich die Menge derer, welche Gottes Gnadenzügen widerstrebt, die Sünde sich erwählt, das Gericht der Verstockung und den Zorn Gottes über sich bereits zusammengerufen haben, - welche in Hellem Haufen dem Reich des Bösen Hosianna singen, nach des Versuchers Willen Hiehin und dahin gehen mit aufgegebenem Widerstand, taumelnd vom Zornkelch Gottes, wie mit verbundenen Augen, auf der breiten Straße zur endlichen Verdammnis wandeln. Das sind die, welche nickt mehr versucht werden, welche auch nicht mehr beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Wehe ihnen! Wohl aber euch, meine Zuhörer, wenn unter euch kein solcher ist! wohl euch, wenn ihr noch wißet, was Versuchung ist und sie fürchtet! Ja, viel, viel seliger sind die, welche in dieser Welt noch versucht werden, als die, welche nicht mehr versucht werden! Denn es ist ein Zeichen, daß man dem Satan noch nicht zugefallen ist, ein Zeichen, daß noch Streit über uns ist, daß uns Christus noch vertheidigt, daß der Hirte Christus an uns noch etwas zu verlieren hat, daß der Satan uns Ihm noch nicht gar hat entreißen können; ja, es ist ein Zeichen, daß es mit uns noch nicht ganz aus ist für's Reich Gottes, daß wir noch Hoffnung haben, wenn wir noch von Versuchung umgeben, wenn wir für dieselbe noch nicht fühllos geworden sind, wenn wir noch beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Wer gar keine Versuchung mehr hätte, der wäre auch nicht mehr Gottes Kind: wer aber noch versucht wird, der ist noch nicht erstorben für Gottes Reich, ist Gottes Kind oder doch auf dem Wege, es zu werden! Wer versucht wird und Versuchung inne wird, in dessen Gewißen ist auch noch Gottes Geist und züchtigt ihn, oder der Geist des HErrn fängt nun an, in ihm zu arbeiten! Wo Versuchung, da ist der HErr nah, welcher beten heißt: „Führe uns nicht in Versuchung!“ der HErr, welcher den Ruhm hat, daß „ER die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen weiß!“ - Gott, der Barmherzige, verleihe, daß ihr den Ernst der Versuchung recht würdiget, aber auch, daß ihr erkennet, wie der Zustand der Versuchung noch nicht der schlimmste, nicht ein hoffnungsloser und verzweifelter ist! Möge bei diesen meinen Worten sich unter euch noch aus manchem Herzen, das sich schon aufgegeben hatte, ein Seufzer der Hoffnung lösen, - möge es, von Versuchung umringt, das noch für seine einzige Freude achten, daß es nur noch versucht wird, daß sein Urtheil noch nicht gesprochen, daß es noch nicht verloren ist! Darum beten wir auch nicht, so lange wir hier wallen: „Nimm von uns die Versuchung!“ denn, wem die Versuchung auf Erden weggenommen wird, der fällt unter die Verlorenen; sondern wir beten: „Laß nm uns die Versuchungen; aber führ' uns nicht hinein, übergieb uns ihnen nicht!“ Wir wollen sie gerne um uns sehen und hören: mögen sie uns umgeben wie große Farren, wie fette Ochsen uns umringen, wie Hunde uns umbellen, ihren Rachen wider uns aufsperren, wie brüllende und reißende Löwen: so laß, o Gott, der Du mitten unter den Löwen Daniel erhieltest zum Preise deines Namens, auch uns den Versuchungen nicht hingegeben werden, daß sie nicht satt werden von unserm Untergang! Ach, wir bitten nicht, daß Du uns von der Welt nehmest und von ihren Gefahren; aber daß Du uns bewahrest von dem Uebel, was sie droht, und tröstest mit dem Verdienste und der Ueberwindung deßen, der gesagt hat: „In der Welt habt ihr Angst, aber seyd getrost, Ich habe die Welt überwunden!“

4. Fragen wir nun weiter, welches die Versuchungen seyen, die einen Menschen treffen können; so muß zuvor geantwortet werden, daß eine umfaßende und erschöpfende Antwort schwer ist. Alle ' aufzuzählen - von den sogenannten geistlichen und hohen Anfechtungen1) bis zu den geringsten - ist eine Unmöglichkeit; auch wer nur andeutend reden wollte, müßte viele Bücher darüber schreiben und vermöchte es doch nicht. Wir wollen einiges von den gewöhnlich vorkommenden aufzählen. Vortrefflich theilt Luther die Versuchungen in solche, bei denen uns wehe, und in solche, bei denen uns wohl ist. Diese Eintheilung möge auch für uns gelten.

Wenn uns irgend etwas geschieht, was unser Gemüth mit Wehmuth, mit Kränkung, mit Aerger, mit Haß, mit Groll, mit Bitterkeit, mit Neid, mit Grimm, mit Mißgunst, mit Mißtrauen, mit Ungeduld erfüllen will; wenn unser Wille nicht durchgeht, wenn unser Wort und Rath für Nichts geachtet, unsre Wege für verkehrt und unzweckmäßig gehalten werden; wenn wir bei den Leuten Sünder seyn müßen statt Gottes Kinder; wenn wir zu Schanden werden vor der Welt; wenn wir mit unserm Thun Nichts erreichen, als Spott und Hohn; wenn wir nach treuer Kraftanwendung gleich leichtfertigen und trägen Knaben behandelt werden; wenn wir in's Abnehmen kommen, man unsrer satt wird, unser Lauf zu Ende geht; wenn, nachdem man uns lange gern gehabt, gehört, gesehen hat, nun Jedermann harret, ob wir noch nicht bald abscheiden, verlöschen, sterben; wenn wir überflüßig und Jedermann zur Last werden; wenn man es uns mit jedem Stück Brotes zu eßen, mit jedem Trunk Waßers zu trinken giebt, daß wir alt und kalt sind; wenn man Alles begreifen kann, nur nicht, wie wir noch einen Anspruch auf Liebe, auf Nachsicht machen können; wenn wir wirklich grau, schwach und matt werden an Leib und Geist und die Jugend hochmüthig auf unsre wunden Schultern steigt; wenn wir in Trübsinn keine Tröster, in Krankheit selbst bei den Kindern, die wir aufgewogen, keine Theilnahme, in Todesnöthen keine Thräne des Abschieds, wohl aber eine schleckt verborgene Freude, daß es ein Ende mit uns hat, finden können; wenn man in den letzten Augenblicken keine treue Brust hat, an ihr anszuathmen, keine liebevolle Hand, den kalten Schweiß von unsrer Stirne abzutrocknen und unser müdes Auge zu schließen: - Brüder! wer das erfährt, denke daran: das ist Versuchung, Ja, wenn wir das erfahren, dann wollen wir unsere Hände aufheben zu Dem, welcher treu bleibt, wenn gleich alle Welt untreu wird, dann laßt uns beten: „Ach, Vater, das ist schwere Versuchung! wie wartet, wie harret sie mein, wie gerne möchte sie mich zu sich, in ihren Unfrieden aus Deinem Frieden reißen! Aber Du, mein Gott, strafe mich nicht, führe mich nicht in Versuchung! Laß mich nicht beunruhigt werden! Siehe! Es ist dein Wille, ich muß das leiden; so laß mich nun auf Den hören, welcher spricht: „Lernet von Mir, denn Ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig!“ auf daß ich in Ruhe meiner Seele bleibe, nicht murre wider Deinen Rath, Deine Ruthe küße und mich unter Thränen freue!“ Liebe Seelen! da wird uns der Herr den Stab Weh segnen und wir werden erfahren, daß dies Alles mir menschliche Versuchung ist, daß Er getreu ist, daß Er uns nicht über Vermögen versucht werden ließ. Laßet uns nur nicht vergeßen, daß alles unser Weh Versuchung ist. So wurden alle Gotteskinder je und je versucht; so ist's ergangen dem Täufer Johannes, so Christo Jesu, so Seinen heiligen Aposteln, so vielen Tausende Seiner Gläubigen: denn „wir müßen durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen.“

Schwerer, ach! viel schwerer, als die Versuchungen vom Stabe Weh, sind jene, welche von dem Stabe Sanft herrühren. Was weh thut, wird leicht als eine Versuchung erkannt, dabei denkt man eher an's Gebet. Wenn aber unserm alten Menschen etwas wohl thut, das nimmt uns so dahin mit Herz, Sinnen und Gedanken, daß wir an Versuchung nicht denken, viel weniger daran, die Versuchungsbitte zu beten. Wenns uns wohl geht, da ist der Himmel so heiter, wer sollte da an einen Blitz denken; das Gras ist so weich und grün, wer sollte eine Schlange vermuthen; das Waßer ist so still und heimlich, spielt so erquickend um die Glieder, wer sollte an tödtliche Tiefen denken! Und doch, geliebte Seelen, laßt es uns nie vergeßen, daß im Frieden der Krieg, in der Gesundheit die Krankheit, im Leben der Tod und die schwersten Versuchungen in der Stunde bereitet werden, wo man nicht wacht, noch betet. O der Feind weiß ganz wohl, womit er die Seelen fangen soll und von dem Antichristus weißagt die Schrift, daß er durch Wohlfahrt viele verderben wird! Darum wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet in dieser letzten, bösen Zeit!

Wenn uns alles nach Wunsche geht; wenn wir viele Lober, keine Tadler, keine Feinde, viele Freunde, viel Ehre, keine Schmach finden; wenn man auf unsre Rede horcht und unsre Gründe siegen; wenn unser Urtheil stets das Rechte trifft; wenn unsre Thaten unter Posaunenton des Lobes gehen und die Stimme des Neiders vor dem allgemeinen Ruhme unsrer Geschäfte verstummt; wenn die Großen uns Bruder nennen; wenn die Kleinen sich bücken; wenn die Bedrängten bei uns Rath suchen und unser Rath anschlägt; wenn wir der Waisen Väter, der Wittwen Tröster sind; wenn die Thränen der Weinenden und die Trauer der Leidtragenden vor unserer Theilnahme, unserm Troste sich in Ruhe und sanfte Freude verwandeln; wenn Einer uns gerecht, der Andere billig, der Eine großmüthig, der Andere demüthig nennt; wenn ein jeder seine Lieblingstugend an uns zu finden trachtet und findet; wenn wir uns in Niemands Art und Weist zu schicken brauchen, weil Alle sich in unsre Art und Weise, in unsern Willen schicken, wenn unsre fröhliche Laune andre gleichfalls fröhlich stimmt, und unsre trübe Laune sich alsbald unsrer Umgebung mittheilt; wenn unsre Wünsche errathen, liebevoll heimlich erfüllt, auch ohne unsern Dank gerne vollbracht werden; wenn feine Plage, kein Verlust, keine Krankheit, kein Tod sich unsrer Hütte nähert; wenn Leib und Seele in stillem Frieden gehen und unser Leben abläuft, wie ein waßerreicher Bach, gesegnet von allen Bäumen und Blumen und Gräsern am Ufer: ach, Brüder, dann denkt man nicht an Versuchung und doch sind alle Lüfte, die wir athmen, nur Versuchungslüfte! Das ist heimliche Versuchung, ein schönes, schmeichlerisches, aber ein großes, ein grauenvolles Uebel! Wie leicht kann man da sicher, wie leicht sorglos werden, wie leicht vergeßen, daß es etwas Beßeres giebt droben, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes! Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann er geben, daß er seine Seele wieder löse? Was hilft's, wenn dich die ganze Welt selig und heilig preist, wenn doch vor dem Richter in der Höhe deine Wagschaale sinkt, weil dein Hochmuth steigt? Wie manchem Menschen haben die milden Frühlingslüfte den Tod gebracht, den er im Wintersturm vermied; wie viele Seelen sielen ab vom HErrn, wie Blumen, da sie vor Menschenaugen am schönsten blühten! Das Glück ist eine schmale Brücke zur Ewigkeit, von Fels zu Fels gelegt, und unten braus't das Unglück! Das Glück ist Ehre bei den Menschen, aber Kreuz vom HErrn! O wie weise und wohlgemeint sind die Ermahnungen des göttlichen Worts: „Freuet euch mit Zittern!“ und: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern!“ und: „Führet euren Wandel, so lang ihr hier wallet, mit Fürchten! “ Wahrlich, sie sind aller Annahme werth; denn ein Reicher und ein Glücklicher gehen schwerer ins Himmelreich, als ein Kameel durch ein Nadelöhr, - man würde sagen: „es ist unmöglich, daß sie hineinkommen!“ wenn nicht bei Gott (Ihm sey ewig Dank!) alle Dinge möglich wären!

Zum Stabe Sanft gehören überdieß noch eine große Anzahl von Versuchungen, aus denen ich noch ein Weniges hervorhebe, euch zu Gunsten, Jünglinge und Mädchen, die ihr heute zu Gottes Tische gehen wollet! Euer aufwachsender Leib, eure jungen, fröhlichen Kräfte, euer blühendes Aussehen, eure Jugendtage: was sind sie? Wie mancher Jüngling: - ich rede in hohem Ernste, als vor dem allgegenwärtigen Gott! - wie mancher hält dafür, daß dies zeitliche Leben und seines Leibes Kraft zum Genuße der Lust gegeben sey; wie mancher findet so lieblich das unkeusche Wesen, so lustig anzuschauen das Fleisch, und hält ein zügellos Leben für erwünschte Freiheit! Wie wohl gefiele es auch euch zum Theil, wenn keine Sitte, kein menschliches noch göttliches Gebot euch Zwang anlegte, oder, wenn ihr ungestraft und ungetadelt, ja, wohl auch entschuldigt, seyn dürftet vor der Welt, was ihr vor Gott längst gewesen seyd! - O liebe Seelen, was ihr etwa auf diese Weise wünschet und begehret, ist gewiß keine gute und vollkommene Gabe von oben her, das fühlt ihr wohl, das bezeugt auch euer eigenes Gewißen. Es scheint nur lieblich, aber es ists nicht. Das ist ein Begräbnißacker, mit blühenden Rosenstauden vermummt; aber unten arbeiten in ihrer scheuslichen Werkstatt zahllose Würmer der Verwesung, Die Lust steht von Weitem schön und verspricht goldene Berge; saßest du sie, so duftet sie, wie die Pest, und du hast Moder in Händen, Wenn euch, Brüder, Schwestern! eure Lust reizt und lockt: das ist Versuchung, das ist der Satan in Lichtgestalt! Glaubt ihr ihren Versprechungen, so seyd ihr belogen und betrogen! Folget ihr ihrem Ruf, sie führt euch ins Verderben! Ihr seyd des Todes Kinder, wenn ihr in diesen Versuchungen fallet!

5. Mancher Glückliche ahnt die schwere Versuchung, manchem Jüngling ist schwül in der Anfechtung seines Fleisches, Mancher beweint den schweren Kampf, in welchem er steht! Die Versuchungen zum Bösen sind zahllos: jeder Tag, jede Stunde hat ihre eigene Plage. Es ist keime Zeit, da nicht eine schmeichelnde Lust, oder eine peinigende Sorge, oder eine anscheinende Nothwendigkeit, - keine Zeit, wo nicht irgend eine Versuchung uns von unserer Friedensburg in den Unfrieden der Sünde zu locken versuchte! Dazu ist die Versuchung und ihre Stimme unserm alten Menschen so verwandt, so heimathlich, oft so nöthigend, hinreißend und gewaltig, daß man umsonst sein Herz aufruft, welches zur Uebergabe an den trauten Feind bei weitem mehr Lust hat, als zum Widerstande! Dazu ist der Streit so lang, denn er dauert gleich lang mit dem Leben; das Leben aber scheint zwar, hingegeben in die angenehme Lust, beflügelt zu seyn; aber wenn es kämpfen soll gegen die Versuchung, sey's Versuchung von Wehe oder Wohl, dann schleicht es so langsam und scheint eine unerträgliche Bürde. Wie scheint es dem frommen Jüngling, der frommen Jungfrau, welche mit Anfechtung ihres Fleisches oder ihres Stolzes streiten, so weit zu seyn von dem Anfang des Streits bis zum Ende, vom Beginn des Laufs bis zum Kranz am Ziele, von Ergreifung der Waffen bis zum sichern Siege! Hier ist kein Waffenstillstand, kein Ruhetag, wie in andern Kriegen; vom ersten Weinen bis zum letzten Seufzen ist ein unabläßiger Kampf. Warum das, warum so schwer, warum so gefährlich, warum so lang? Warum, mein Herz, warum? darum, daß du auf dem Wege bist und nicht in der Heimath; darum, daß du in der streitenden Kirche lebst und nicht in der triumphirenden; darum, daß du deine Schwachheit, deine Bosheit lernest erkennen, daß du nicht im Dunkel bleibest über dich selbst und über die verborgenen Tiefen deines Herzens, daß du an's Licht kommest, gestraft, gebeßert werdest; daß du die Welt und ihren Fürsten als deine Feinde erkennest! darum, daß du geübt werdest im Kriege und in der Waffenrüstung Gottes, daß du ähnlich werdest dem Stande der Erniedrigung deines JEsus, der auch einst stritt, so lang Er auf Erden war, damit du dermaleinst auch deinem JEsus ähnlich werdest im Stande Seiner Erhöhung und Herrlichkeit! Du bist im heißen Streit auf Erden, auf daß du nicht zufrieden seyest mit der Erde und nicht unzufrieden', wenn du einmal von ihr abgerufen wirst; damit du nicht liebest, was da unten ist, sondern trachtest nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit! Du wirst sehr geplagt in dieser Welt, damit du der Welt absterbest und lebest deinem Gott allein! du hast keine Ruhe in der Zeit, auf daß du deine Hoffnung zur Ewigkeit hinkehrest! Dir wird Alles angefochten und bestritten, Alles gereicht dir zur Versuchung; aber die Gnade deines Gottes wird alle Morgen über dir neu, damit du dir an dieser Seiner Gnade genügen laßest! Je schwerer deine Anfechtung ist, je weniger dir irgend ein Mensch helfen kann, desto mehr soll dir alles Vertrauen auf Menschenhülfe entfallen, desto herrlicher sollst du Immanuel keimen lernen in Seiner starken Kraft, Ihn, der aus Seiner Kraft den Müden Kraft giebt und Stärke genug den Unvermögenden; - desto mehr sollst du erfahren an dir selbst, wie wunderbar der HErr Seine Heiligen führt, führt und hinausführt bis an ein seliges Ende, wie Er den Versuchungen treuer, in Geduld ausharrender Streiter ein Ende schafft, daß sie ertragen werden können, ja, ein Ende in einer ewigen und über alle Maaßen wichtigen Herrlichkeit! - So sey nun wieder zufrieden mit deinem Loose, liebe Seele! Kampfe den guten Kampf des Glaubens - und weil du weißt, daß Niemand gekrönt wird, er kämpfe denn recht: so leide dich auch als ein guter Streiter JEsu Christi, bis du den guten Kampf ausgekämpft, den Lauf vollendet und Glauben gehalten hast bis an das dir verordnete Ziel, bis du dein Haupt niederlegen und rühmen kannst: „Nun ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit!“

An euch wende ich mich am Ende noch einmal insbesondere, Jünglinge und Mädchen, Abendmahlgenoßen und Abendmahlgenoßinnen am heutigen Tage! Wenn ihr, meine Theuern, freilich selber Lust habt zur Versuchung, wenn ihr statt zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ euch selbst in Versuchung stürzet, wenn ihr die Feindin nicht fliehet, die Gelegenheit, mit ihr zusammen zu treffen, nicht meidet: Kann könnet ihr Gottes Größe und Treue in Seiner täglichen, Seiner lebenslangen Durchhülfe durch jeden Streit zum Siege nicht erfahren! Achtet ihr's aber für Frevel, alle Tage mit dem Munde zu beten: „Führe mich nicht Versuchung!“ und alle Tage selbst euch der Versuchung muthwillig zu überlassen oder gar sie aufzusuchen, begehret ihr, sie zu vermeiden, und sucht sie selbst euch, sie zu überwinden: wohlan, so sey euch heute an diesem eurem Festtag Trost und Hülfe angeboten!

Ihr tretet nun zum Altare, meine Theuern! Nehme ein Jedes Sein Herz in seine Hand und trage es Gott zum Opfer entgegen! Wie der HErr Seinen Leib und Sein Blut, euch zu speisen und zu tränken, im Brot und Weine darreichen läßt, so übergebet ihr Ihm euer Herz ganz und gar, daß Er es heilige zu Seinem Tempel! Bittet Ihn, daß Sein Blut, wie der Saft des guten Weinstocks, in euch dringe und aus euch gute Reben mache, welche Frucht bringen zum ewigen Leben! Wie der HErr sagt: „Gieb Mir, Mein Sohn, Meine Tochter, dein Herz, und laß deinen Augen Meine Wege Wohlgefallen!“ so antwortet ihr Ihm, ein Jedes an Seinem Theile: „Hier bin ich, mein Gott! Hier hast Du mein unrein Herz! Schaffe in mir ein reines Herz und gieb mir einen neuen, gewissen Geist!“ Wenn ihr das von ganzem Herzen thut, so wird der Herr in Seinem Mahle Sich innig mit euch verbinden, in euch Wohnung machen, Er wird für euch gegen eure Versuchungen streiten und ihr werdet Gottes Frieden bei euch haben und werdet stille seyn! Ja, so gewiß ihr im heiligen Mahle Leib und Blut des HErrn empfanget, so gewiß euch durch diese theuern Pfänder die Frucht der Leiden eures HErrn, die Vergebung der Sünden, versiegelt wird; so gewiß will der HErr eben durch diele Gabe euern gläubigen Seelen Seine Ueberwindungskräfte beilegen! Denn auch das ist eine Frucht der Leiden JEsu, daß wir der Sünde abgestorben, in Seiner Liebe leben, daß wir Sein Eigenthum sind ganz und gar und uns, die wir in des ewigen Königs Armen liegen, hinfort keine Macht irgend eine Creatur mehr zwingen kann zur Sünde! Gott Lob und Dank! Sind wir auch schwach, straucheln und fehlen wir mannigfaltig, der erkannten Versuchung gegenüber können wir's in Demuth getrost sagen: „Wir sind durch JEsum frei! Wir müssen nicht mehr sündigen!“ Lockt uns also das Fleisch mit seiner Lust, sein Sieg ist ihm verloren: wir ruhen in dem Frieden deßen, der mit Seines Leibes Qualen sich die Herrschaft über unsre Leiber gewonnen hat! Reizt die Welt; wir sprechen zu ihr: dein Leben ist nicht mehr das meinige; Christus ist mein Leben - fahre hin! Schreckt der Tod: JEsus ist unsers Lebens Leben und unsers Todes Tod! Trotzt der Teufel: wohl uns! des Satans Ueberwinder ist mit uns, wir widerstehen im HErrn, und der Satan muß fliehen! Frei sind wir, Sieger über unsre Feinde; denn in uns lebt das Leben des Königs aller Könige! Es kann Gottes Kindern wider Gottes Feinde nimmermehr fehlen! Wir rufen den HErrn an in der sechsten Bitte, so hört ER uns! Wir laßen Ihn nicht, da segnet ER uns! ER sendet den himmlischen Thau Seiner Gnade in unsre Seele: da haben wir Frieden von der Fleischeslust! ER giebt uns Sein heiliges Wort wie einen Köcher, gefüllt mit Pfeilen, mit welchen der Herzog unsrer Seligkeit in der Wüste den Versucher besiegte, - ER lehrt uns, die Pfeile brauchen und unterweist uns im heiligen Krieg: da überwinden wir Welt und Teufel! ER hat uns den Sohn gegeben - ans Kreuz, ins Herz! Mit Ihm, in Ihm giebt ER Alles, was wir brauchen! Freuet euch, ihr Jünglinge! Betet fröhlich und ohne Unterlaß: „Führ uns nicht in Versuchung!“ Mancher Petrus, wenn ER auf den Wellen untergehen wollte, ergriff er in der sechsten Bitte des Helfers Hand; da gieng er an derselben Hand still und ruhig über das Meer der Versuchung! Mancher Joseph unsrer Tage, wenn ihn Potiphar's Weib verlocken wollte, gieng in Erhörung der sechsten Bitte ruhig in den Kerker! Mancher Paulus, von einem Satansengel geschlagen, hielt, an Gottes Gnade sich genügen laßend, in schmerzlichen Qualen aus! Mancher David, wenn ihm seine Sünden zu schwer werden wollten und wie Waßer über ihm zusammenzuschlagen drohten, entwand sich durch Stärkung vom HErrn, der Gebet erhört, der Verzweiflung! Getrost, Geliebte! der HErr ist Gott und lebt! Gideon's Gott und Simson's Gott ist euer Gott, der euer Straucheln vergiebt und eure Kraft verjüngt! Stehet im Glauben, seyd männlich und seyd stark! Viele haben schon überwunden und tragen ihre Palmen dem HErrn zum Preis! Auch ihr, ob ihr schon hart angefochten seyd, werdet das Feld behalten und den Sieg gewinnen! Bei Gott ist viel Erhörung, und ein Gebet, das, wie die sechste Bitte, aus Seinem Munde in unsern Mund gekommen, muß Erhörung finden, wenn irgend eines! Das glaubet fest und sprechet: Amen!

1)
Erwähnt werde hier nur, was Luther insbesondere für Anfechtungen des Teufels hält. Er sagt: „Der Teufel treibt, daß man beide Gottes Wort und Werk in den Wind schlage und verachte, daß er uns von Glauben, Hoffnung und Liebe reize und bringe zu Mißglauben, falscher Vermeßenheit und Verstockung oder wiederum zur Verzweiflung, Gottesverläugnen und Lästerung und andern unzählichen, gräulichen Stücken. Das sind mm die Stricke und Netze, ja, die rechten, feurigen Pfeile, die nicht Fleisch und Blut, sondern der Teufel auf das allergiftigste ins Herz schießt.“
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autoren/l/loehe/loehe_predigten_vaterunser_predigt_7_-_fuehre_uns_nicht_in_versuchung.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
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