Löhe, Wilhelm - Vaterunser - Matth. 6, 9. Dein Name werde geheiligt!

Löhe, Wilhelm - Vaterunser - Matth. 6, 9. Dein Name werde geheiligt!

Wie man die zehn Gebote Gottes in zwei Tafeln theilt, so, und zwar aus gleichem Grunde, theilt man auch die sieben Bitten des heil. Vaterunsers in zwei Tafeln. Die erste Tafel des Gesetzes stellt uns in dreien Geboten Himmlisches vor Augen: den Herrn selbst, Seinen Namen, Seine Ruhe; gleichermaßen bitten wir in den drei ersten Bitten um himmlische Güter, um Heiligung des Namens, Zukunft des Reiches, Vollbringung des Willens Gottes. Die zweite Tafel des Gesetzes steigt zum Irdischen herunter, zum Hausstand, Leben, Ehe, Gut, Ehre des Nächsten: ähnlich bitten auch die vier letzten Bitten des heil. Vaterunsers um Irdisches, - um Erlösung von leiblichem Mangel, von Schuld, von Versuchung und allerlei Uebel. Wir richten nun heute unser Auge auf die erste unter jenen Bitten, welche Himmlisches begehren, - auf den Namen des HErrn, der über alle Namen gesegnet ist, auf dessen Heiligkeit und Heiligung. - O Vater, sende uns Deinen heil. Geist, daß wir kindlich und mit Ehrfurcht von himmlischen Dingen reden und hören! daß wir mit den Ohren hören und mit den Herzen verstehen, was uns gepredigt wird! daß wir heilig, als die Kinder Gottes, danach leben! daß wir also Deinen Namen heiligen und selbst durch ihn geheiligt werden! Erhöre uns um JEsu Christi willen! Amen.

Als Gott der HErr den Menschen machte, gab er ihm Licht und einen scharfen Geist, alle Dinge auf Erden, über welche er Herr seyn sollte, nach ihrem Wesen zu erkennen und eines von dem andern zu unterscheiden. Er führte ihm sodann alle Thiere vor - Adam sahe und er, kannte sie und gab ihnen ihre Namen: und wie er sie nannte, so hießen sie auch von Gottes wegen: denn er hatte ihnen richtige Namen gegeben und ein jeglicher Name war ein Spiegel und ein lautbares Bild des Thieres, welchem er gegeben ward; - in einem jeden Namen war der Gedanke des HErrn getroffen, dessen Werke Spiegel und Bilder Seiner Gedanken waren. - So gab auch der HErr später noch, nach dem Fall, den heil. Patriarchen oft Seinen Geist und göttliche Weisheit, daß sie ihren Kindern prophetische Namen beilegten, in welchen die Wege des HErrn mit diesen Kindern, ihr ganzer Lebenslauf bereits zum voraus abgeschattet war. So heißt z. B. Isai's Sohn David, d. i. ein Liebling Gottes, denn aus dem Sohne Isai's sollte ein Liebling Gottes werden. David's Sohn ward Salomo genannt, d. i. Friedereich, denn der HErr wollte ihm Frieden geben auf seinem Thron. Der Name war ein Spiegel, ein lautbares Bild des Menschen, der ihn trug. - Aehnlich liegt auch jetzt noch in den Namen mancher Dinge eine Ahnung ihres Wesens ausgegossen. So z. B. in den deutschen Namen „Liebe“ und „Freude“: wenn sie gesprochen werden, diese schönen Namen, wird einem alsbald lieblich und freudig zu Muthe, und man spürt es ihnen ab, welch' edle Paradiesesfrüchte sie benennen. Die Namen Liebe und Freude sind drum offenbar nichts Anderes, als Spiegel und lautbare Bilder der Liebe und Freude selber.

So ist es mit den Namen von Menschen und andern Creaturen. Mit den Namen Gottes aber ist es anders.

Gottes Wesen ist unerforschlich für alle Creaturen, - namenlos; keine Weisheit irgend einer Zunge oder Sprache vermag es zu ergründen oder auszudrücken. Gleichwie ein jeder Versuch eines Menschen, Gottes Bild für's Auge darzustellen, mißlingen muß; so ist es gleichfalls ein unmöglich Ding, daß ein Mensch lautbare Bilder oder Namen Gottes aus eigner Weisheit erfinde. Die Dinge, welche unter uns sind, in deren Wesen wir einige Einsicht haben, können wir auch einigermaßen benennen: aber der HErr ist über alle Vernunft der Creatur erhaben: wer kennt Ihn, und wer kann sagen, wie ER heißt? „Wie heißt Er? wie heißt Sein Sohn? weißt du das?“ fragt sein Wort: und es ist eine tiefe Stille in der Welt, - Weisheit und Zunge verstummt. Die Gegenwart des HErrn und Seine Ahnung füllet alle Lande: Er ist allbekannt - und doch so unbekannt!

Niemand hat Gott je gesehen: Niemand kann zu Ihm auffahren, daß er Sein Angesicht schauete und heimkehrte auf die Erde, und Seinen Namen erzählete! Ja, obgleich einer hinauffahren könnte - könnte er doch den HErrn nicht erkennen. Nur der Geist Gottes forschet die Tiefen der Gottheit; sollen wir daher Gottes Namen erfahren, so muß der Geist des HErrn selbst sie namhaft machen. Sollen wir ein lautbar Bild von Ihm empfangen; so muß ER es aus dem Geheimniß Gottes offenbaren. Kurz, Gottes Namen kann nur Offenbarung seyn - Name und Offenbarung - das ist Eins. Wie der Geist Gottes Namen offenbart - im Worte: so stammeln wir dieselben nach; - und alles, was ER offenbart, das offenbart und nennt uns Gottes Wesen, das ist Gottes Name! Jede Seiner Offenbarungen ist einer Seiner Namen. Wir getrauen uns nicht, Ihm Namen nach Gutdünken zu geben; uns„ Freude ist, daß wir so viele Offenbarungen von Ihm erkennen, - daß ER uns so viele Seiner Namen geoffenbart hat. Aber auch ein Schrecken fährt durch unsre Seelen, wenn wir die Stimme des HErrn vom Sinai hören: „Der HErr wird den nicht ungestraft lassen, der Seinen Namen vergeblich führt!“ denn es sind Seiner Namen so viele, daß wir armen Sünder deren Mißbrauch kaum entgehen werden, - daß in der Angst unsers Herzens uns gar Nichts übrig bleibt, als uns in Seine, in des Herrn selbsteigne Arme zu werfen und zu rufen: „Hilf uns, lieber Herr Gott! Geheiligt werde Dein Name!“

Ist Name und Offenbarung wirklich, wie wir behaupten, gleichbedeutend; so sind nicht blos jene Namen, mit welchen wir den HErrn im Gebete anrufen, Gottes Namen: nicht blos Sein Eigenname Jehova, welchen ER für Seinen Ruhm ansieht und ihn keinem Fremden, keinem Götzen gönnt, - nicht blos der Name „Vater unser“, welcher Ihm im Neuen Testamente gegeben wird, - nicht blos die lieben Namen der drei Personen in der Einen Gottheit: Vater - Sohn - und Geist, - nicht blos die Namen Seiner Eigenschaften, als z. B. Barmherziger, Gnädiger, Langmüthiger, Geduldiger und was dergleichen sind. Diese alle sind Namen Gottes, heilig, und sollen geheiligt werden; aber nicht sie allein. Die ganze Schöpfung ist eine Offenbarung, - Ein großer Name Gottes, der durch alle unsere Sinnen uns zu Herzen dringt. Alles ihr Heer, alle ihre einzelnen Werke sind dazu geschaffen, daß sie mit leiserer oder lauterer, geheimer oder offenbarer, jedes mit seiner Sprache den Menschen Gottes heilige und heilsame Namen in die Seele rufen. Jedes Geschöpf ist ein Name Gottes, des unbegreiflichen Schöpfers: ein jedes nennt Ihn allmächtig, weise, gütig, je nachdem der HErr ihm vergönnt hat, mit seinem Daseyn, von seinem Anfang bis zu seinem letzten Augenblicke, diese oder jene Seiner Eigenschaften auszuprägen und zu predigen. Das Leben der heil. Engel um Gottes Thron ist eine ewige Offenbarung und ein unvergänglicher Name Gottes, also ohne Aufhören erschallend: „Heilig, heilig, heilig ist der HErr Zebaoth!“ Das Leben der heil. Kirche Gottes von ihrer Berufung an ist ein unsterbliches Lob des Namens Gottes, welcher lautet: „HErr, HErr, Gott barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue!“ „Die Himmel erzählen Gottes Ehre; auch alle Lande sind Seiner Ehren - Seines Namens voll!“

Die Weisheit Gottes, welche unter den Menschenkindern spielt, nimmt in der h. Schrift manche Namen Gottes scheinbar von den Geschöpfen: scheinbar, sage ich; denn nicht von seinen Creaturen entlehnt der Allerhöchste Seine Namen (was hat denn eine Creatur, das sie nicht von Ihm empfangen hätte?), sondern Er hat Seine Namen der Creatur geliehen, daß ER in ihr, sie als Seine Offenbarung erkannt und in Ihm, als Trägerin Seines Namens, verherrlicht würde! Der HErr ist Sonne, der Sohn ist Licht und Abglanz seines Vaters, der Geist ist Feuer jener Sonne nach der Schrift: Sonne, Licht und Feuer predigen also vom dreieinigen Gott, sind Seine Namen. Der Morgenstern ist Name des Ein, und Erstgebornen, aus dessen Fülle alle nachgebornen Kinder Gottes Licht und Glanz, Lieblichkeit und Freundlichkeit der Sterne nehmen! Ein jeder Fels ist Name dessen, welcher den Seinigen Selbst ist Stärke, fester Grund, Fels und Hort! So ist's mit vielen Creaturen, welche in Gottes Wort als Namen Seines Wesens, Seiner Herrlichkeit und Lieblichkeit offenbart sind! So ist der menschgewordene Sohn bald ein Stein, verworfen von den Bauleuten, vor Gott zum Eckstein gemacht, bald ein Tempel Gottes; - bald ein Bräutigam und Mann; - bald ein Reis und Wurzelsproß, bald eine Blume zu Saron und eine Rose im Thal, bald ein Büschel Myrrhen, eine Traube Copher, bald ein Apfelbaum, ein Weinstock, - ein Waizenkorn, ein Baum des Lebens, - ein Wurm am Kreuz, ein leidendes Lamm Gottes, ein Reh, ein Hirsch auf Scheidebergen, ein Löwe aus Juda, - ein Hirte, der sein Leben für die Schafe giebt, ein erhöhter Hirte, dem alle Kronen zu Füßen liegen, und eine Krone aller Kronen auf dem Haupt sitzt. Seine Schnur geht aus in alle Lande, Seine Rede an der Welt Ende! Von Ihm, von Seinem Vater, von Seinem Geiste erzählen alle Dinge und sind Namen von Ihm. Alle irdischen Dinge predigen die ewige Welt, - die ganze Sichtbarkeit mit ihrer mannigfaltigen Schöne oder Schrecklichkeit ist für ein offnes Ohr ein harmonisches Loblied Gottes, in welchem jedes Geschöpf, groß oder klein, ein Name Gottes ist!

Jedoch, wie auch bereits bemerkt, nur ein offnes Ohr versteht die Offenbarung des göttlichen Namens in der Schöpfung. Es giebt eine deutlichere Offenbarung des göttlichen Namens, welche von dem HErrn den Segen hat, mit Kraft und Nachdruck dem von Natur tauben Ohr des Menschen ein Hephatha zu sprechen, es zu öffnen für die Offenbarung Gottes in der Schöpfung. Diese deutlichere Offenbarung, dieser laute, gewaltige Name unsers Gottes ist das geschriebene Wort des Herrn. Vom ersten bis zum letzten Paradiese, vom A bis zum O, vom ersten bis zum letzten Buchstaben ist es nur Einer, von welchem Gottes Wort erzählt, den es nennt und offenbart, der HErr nämlich, der Dreieinige Gott, Vater, Sohn und Geist. So laut und kräftig offenbart die heilige Schrift diesen Namen, daß ihn auch ein ungeöffnetes Ohr hören muß. Denn warum anders scheuen die Kinder dieser Welt das Lesen des göttlichen Worts so sehr, wenn nicht deswegen, weil sie für ihre Vorsätze, für ein Leben, wie sie sich's vorgenommen haben, den Namen, welcher jeder Creatur im Innern ruht und ihr heimlich bekannt ist, so wie er genannt wird, allzudeutlich darin sehen, als daß sie beides könnten, ihn lesen und ungestört bleiben in ihrem entarteten, des göttlichen Namens unwerthen Leben? Ja! wer kann sie lesen, die Schrift, ihre herzergreifende Offenbarung des göttlichen Wesens, ihre wunderbaren Gottesnamen, ohne daß in der Tiefe der Seele der schlummernde Gottesname aufwacht, ohne daß sich die Stimme darin regt: „Wach auf, o Seele! auch du sollst seyn und werden ein Name Gottes, eine Offenbarung, ein Denkmal Seiner gnadenvollen Herrlichkeit! Steh' auf in Heiligkeit und Gerechtigkeit und predige mit allen Creaturen von dem Herrn Zebaoth!“ Wenn du liesest, daß der HErr zu Abraham spricht: „Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn!“ - kannst du lesen, wie ER sich Schild und großen Lohn nennt, ohne daß deine einsame Seele im Getümmel dieser Welt Ihn auch für sich zum Schild und Lohn begehrt? Wenn der Prophet über der Krippe des Eingebornen jauchzt, wenn er Namen über Ihm nennt, wie eine Quelle süßes Wasser sprudelt, wenn er Ihn wonnevoll und mit steigender Gewalt nennt: Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst - Immanuel: wer findet nicht in diesen Namen eine Tröstung, eine Erquickung der welt- und sündenmüden Seele, eine Glaubensstärkung, die kein Erdenname giebt? Wenn der Heiland Seinen Jüngern den heil. Geist verheißt, Ihn einen Tröster, einen Leiter in alle Wahrheit nennt: soll uns nicht dürsten nach dem so benannten Geiste, uns traurige und trostbedürftige Seelen, uns Pilgrime auf Erden, d. i. in einem Thale des Irrthums und der Finsternisse? - O, Gottes Wort ist lieblich denen, welche auf Erden und im Leben der Sünde keine Sättigung finden können! Jeder Spruch ist ihnen ein Name, eine Offenbarung Gottes! Die ganze Schrift ist ihnen nicht anders, als viele, einträchtige Stimmen der heil. Menschen Gottes, welche vom heil. Geiste getrieben, in Lobliedern des HErrn sich üben; denn ein Loblied ist nichts Anders, als ein jauchzender Gesang von lauter Namen des HErrn! Noch einen Namen Gottes weiß ich. Wenn ich den vergäße, dürfte ich forthin nicht mehr auf Seine Segenskräfte Anspruch machen. Aber ich vergesse Ihn nicht; ich habe Ihn bis hieher gespart und heimlich die ganze Zeit, in der ich zu euch rede, in mir verhalten, wie ein seliges Geheimniß. Ich habe Ihn gelegentlich schon mehr, als einmal genannt: ich nenne Ihn noch einmal: ach! daß ich es mit Macht zu thun vermöchte! Wisset ihr, welchen ich meine! Senkt eure Häupter, beugt im Geiste eure Kniee: es ist der Name über alle Namen, in dem sich alle Kniee beugen im Himmel und auf Erden und unter der Erden! Es ist der Name Christus! Nicht das Wort Christus meine ich, sondern die Person, welche Christus heißt, diese nenne ich den schönsten Namen, die herrlichste Offenbarung Gottes. „Wer mich sieht, spricht ER, der sieht den Vater! “ Ja, wer Ihn mit dem Auge des Geistes erkennt, der erkennt Gottes wunderbare Offenbarung, Seinen allerheiligsten Namen, - den Engel des Angesichts, den Engel, in welchem Sein Name ist, Sein Wort, Sein Ebenbild, den Abglanz Seiner Herrlichkeit! Von der Krippe bis zum Grabe, vom Jordan, wo ihn Johannes taufte, bis zum Bach Kidron, jenseits welches Er die Bluttaufe zu erleiden anfing, vom Berge der Verklärung bis zum Todesberge Golgatha - ist all das Leben, Leiden, Sterben - ja, darnach das Auferstehen Christi nichts, als die reinste, seligste Offenbarung des Namens Gottes, mit welchem Er von uns genannt seyn will: wir sehen und hören nichts Anderes, als Seine Güte und Herrlichkeit, in der ER vor uns übergeht und in höchsteigener Person wie mit aufgehobenen Segenshänden von Seinem Namen predigt, daß ER ist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue! daß ER bewahret Gnade in tausend Glied und vergiebt Missethat, Uebertretung und Sünde! - Brüder, lasset uns vor dem Namen des HErrn, vor Seinem Christus das Angesicht mit Mose verhüllen, eilends uns neigen, anbeten und in der Stille unsrer Seelen sagen: Halleluja! Amen! Halleluja!

Nun, liebste Seelen, hätte ich euch mancherlei Namen Gottes genannt: die kurzen Namen, mit welchen wir Ihn im Gebete anrufen, - die Creatur, - die Schrift, - Jesus Christus. Ich fahre fort und spreche: Der Name Gottes ist an ihm selbst heilig. Heilig ist, was abgesondert ist von dem Gemeinen, was nicht irdisch, nicht sündig, nicht menschlich, sondern himmlisch, von Sünde unberührt, - mit Einem Worte, was göttlich ist und Gotte gehört. Heilig also sind auch die Namen Gottes, mit welchen ER Seinem Volke bekannt ist, - als z. B. die Namen: Gott Vater, Sohn und Geist: - sie gehören Ihm und sind, wie ER selbst, von aller Welt abgesondert. Heilig ist der Name Gottes in der Natur, in allem ihren Heer, - heilig das Heer der Creaturen, so weit es nicht durch der Menschen Sünde entweiht ist, so weit es den Herrn offenbart und rühmt und Seine Ehre verkündigt! Heilig ist der Name Gottes im Grase und im Regenbogen, in der Blume und in der Ceder. Heilig ist die Schrift, von Gott eingegeben, sie, die von dem herrlichen Namen Gottes predigt und selbst ein herrlicher Name Gottes ist, ein Name, der Welt unverständlich und eine Thorheit, nichts desto weniger aber eine selige Gottesoffenbarung und göttliche Weisheit! Heilig, heilig ist der Name Gottes, d. i. Jesus Christus, ER, der da ist heilig und unschuldig, von den Sündern abgesondert und höher, denn der Himmel ist: ER, vor welchem sich alle Kniee beugen, welchen alle Zungen bekennen werden! ER war ein herrlicher Name Seines Vaters auf Erden und ist es ewiglich: darum ist ER auch verklärt und geheiligt über Alles und leuchtet der heiligen Kirche wie die Sonne, ja also, daß sie weder Sonne noch Mond forthin bedarf.

Schwärmerei, zu behaupten, daß alle Creaturen hauptsächlich darum geschaffen sind, daß sie - eine jede an ihrem Theil - Gottes Namen nennen und verkündigen? Wer gebraucht die Creatur als eine Trägerin des göttlichen Namens also, daß sie ihres Zweckes nicht verfehle, sondern ihn erreiche, nämlich Gottes Namen preise? wer hilft ihr, wer lös't ihr die Zunge, wer weckt das in ihr schlummernde Loblied Gottes, wer lauscht auf ihre Rede? wer bringt die Creatur priesterlich dem dar, welchem sie von Menschenhänden dargebracht seyn will und soll? wer braucht, um es mit Einem Worte zu sagen, alle Creaturen so, daß durch sie so viel, als immer möglich, der Name Gottes verkündigt und verherrlicht werde? Es ist eine traurige Antwort, welche man auf diese Fragen hören muß; denn der Mensch braucht allermeist alle Creaturen zu seinem Dienste, zwingt sie, seiner Lust, seinem Nutzen, seiner Ehre zu dienen auf ungeordnete, ungöttliche Weise, also, daß die Creatur seufzt um Freiheit von dem Joch der Sünder und sich sehnt nach der herrlichen Offenbarung der Kinder Gottes, der treuen Priester, durch deren Hände sie wird gehoben und gewogen werden vor dem HErrn. - Gleicherweise ist es mit Gottes Wort. Es sind wenige, welchen in jedem Spruche der heiligen Schrift der Name Gottes ehrfurchtgebietend entgegenkommt. Man entzieht den göttlichen Geboten den Gehorsam, den Drohungen Gottes den Glauben, Seinen Gnadenverheißungen das Vertrauen, ohne daß es einem auffällt, daß hiedurch dem göttlichen Worte, dem Namen Gottes die Ehre entzogen wird, welche ihm gebührt! Man verdreht die Sprüche göttlichen Wortes, man legt sie nach des Herzens verborgener Tücke zur Entschuldigung der eignen, selbstgewählten Wege aus, - man wagt es, Wort, und Geist, den Wortsinn und geistlichen Sinn zu unterscheiden, man predigt als geistlichen Sinn, als Geist der Schrift, was ihrem Worte und wörtlichen Sinn schnurstracks zuwiderläuft, - man läßt den Herrn reden zweizüngig und zwiespältig, ungewiß und schwebend, damit Gottes Wort, gegeben, um gleich heiligen Eiden den Zweifeln menschlicher, bedrängter Seelen ein friedliches Ziel zu setzen, das Gegentheil werde, eine Ursache der Zwietracht, ein Kampfplatz unreiner Geister, welche sich nicht mit ihrer Vernunft unter Gottes ewig weises Wort im Gehorsam des Glaubens beugen wollen. So thut, so mißbraucht man das göttliche geschriebene Wort - und eben so nimmt man dem wesentlichen Worte Gottes, Christus, die Ehre, welche Ihm gebührt! Christus ist Gott, erschienen im Fleische: - man läugnet Seine ewige Kraft und Gottheit, man lästert Seine heilige Geburt, man nimmt durch Läugnung seiner Gottheit, Seinem Verdienste die ewig geltende und allgenugsame Kraft, man entleert Sein Leben und Sterben von der seligen Bedeutung, die es nach Gottes Wort hat, - man würde, wenn man könnte, seine Arme bis gen Himmel ausstrecken, um dem HErrn Seine Krone zu rauben, die Ihm der Vater aufgesetzt hat, und Ihm die Zügel der Welt, die Gewalt aus den Händen reißen, die Ihm der Vater über Alles im Himmel und auf Erden gegeben hat: - so versündigt man sich an dem, welcher der allerheiligste Name Gottes ist, an Jesu Christo, - ohne zu bedenken, daß mit Rücksicht auf diesen Gottesnamen insbesondere gesagt ist: „Der HErr wird den nicht ungestraft lassen, der Seinen Namen vergeblich führet!“ Sollte der HErr Seine schwere Drohung vergessen, wie sie von der Welt vergessen wird? ER, der nichts vergißt, so klein es wäre, sollte ER das Große vergessen? der Wahrhaftige, sollte ER lügen? Gewißlich nicht! Er wird Seinen Namen heiligen mit Macht und Seine Ehre retten vor den Menschenkindern!

Wahrlich, lieben Brüder! es ist nothwendig, daß wir beten: „Geheiligt werde dein Name!“ O lasset uns dieß Gebet betend näher vor unsere Augen legen, ehe wir schließen.

Wenn wir beten: „Geheiligt werde Dein Name!“ so heißt das nichts Andres, als:

  • Es werde auf Erden die Erkenntniß allgemein, daß Dein Name allgegenwärtig ist in Deiner Welt, daß er auf allen Deinen Creaturen steht! Ach, darum laß uns alle Deine Geschöpfe mit ehrfürchtigem Blick ansehen, mit betender Hand berühren, - ansehen, als Blätter, auf welchen Dein Name steht, - berühren, als berühreten wir Deinen herrlichen Namen! Gieb uns reine Herzen und heilige Hände, damit wir Dir alle Deine Geschöpfe unter Anrufung Deines Namens wieder zuführen! Lass' uns erkennen, daß alles von Dir ist, - daß aller Dinge Schmuck und Zier, Kraft und Macht nichts Anders ist, als die Pracht Deines Namens, welcher in ihnen ist! Laß uns überall Heiligthum sehen und mit Heiligem heilig umgehen! Laß uns kein Geschöpf mißbrauchen: denn dadurch wird ein Name Deiner Majestät gemißbraucht! Laß uns Alles nach Deinen Absichten anwenden, damit wir nicht Dich, o Schöpfer und Schutzherr der Welt, in Deinem Geschöpfe antasten! Von Dir sind Alle, die wir unser nennen: o laß sie durch uns zu Dir geführet werden, auf daß sie in Dir seyen, Deinen Namen predigen, selber Namen Deiner Herrlichkeit werden! Laß uns selbst in Dir leben, weben und seyn, auf daß wir selbst mit unserm ganzen Wesen, wie mit allen unsern Thaten, für Alle vernehmlich sprechen: „Heilig, heilig, heilig ist der HErr Zebaoth!“

Wenn wir beten: „Geheiligt werde dein Name!“ so beten wir ferner:

  • Laß uns erkennen, daß Dein Wort nichts Anderes ist, als Dein Name, ausgeschüttet, wie eine Salbe voll Wohlgeruchs, zu Trost uns armen, vom Elend der Welt fast verzehrten Leuten! Dein Wort ist gegeben als ein Same der unvergänglichen Geburt: laß es uns also aufnehmen in feine gute Herzen, damit wir Frucht bringen in Geduld und selig werden, - auf daß an uns also Dein Name verherrlicht werde! Dein Wort ist Wahrheit: gieb nicht zu, daß Deine Wahrheit in uns durch Ungerechtigkeit aufgehalten werde, - laß es in uns triumphiren, uns durch dasselbe regiert werden, damit beide geheiliget werden, das Wort, Dein Name, durch uns und wir durch's Wort! Laß Deine Knechte Dein Wort festiglich für Dein Wort achten, Seele und Seligkeit getrost auf dasselbe wagen, - laß weder Glück, noch Unglück, weder Wohl, noch Wehe, weder äusseres, noch inneres Leid uns an den Verheißungen Deines Wortes irre machen! Laß uns nicht auf unser Fühlen, unser Herz vertrauen; denn wer sich auf sein Herz verläßt, der ist ein Narr! Dein Wort sey unsers Fußes Leuchte und das Licht auf unsern Wegen! Dein Wort, seine Zeugnisse seyen unser Lied im Hause unserer Wallfahrt und unser ewiges Erbe! das laß uns nicht aus dem Herzen verlieren, so ist Dein heiliger Name in uns ausgegossen zu unsrer Heiligung! - Und damit dieß geschehe, so gieb uns Prediger, die aus dem Wort geboren, durch das Wort geheiligt sind, die Dein Wort nicht auslegen nach ihres Herzens Sinn, die Menschen zu betrügen um Deinen seligmachenden Namen! Gieb, daß Dein Wort rein und lauter unter uns gepredigt werde und wir auch heilig darnach leben, als Deine Kinder! Denn wer anders lehrt oder lebt, der entheiligt unter uns den allerheiligsten Namen Gottes!

„Geheiligt werde Dein Name!“ das heißt endlich:

  • Geheiligt, als dein wesenhafter, lebendiger, ewiger Name, werde Dein Kind, unser HErr JEsus Christus! Kein Kind, noch Greis, - kein Weib, noch Mann, - kein Gelehrter, noch Ungelehrter, - kein Armer, noch Reicher, - kein Verachteter, noch Geachteter, - kein Geringer und kein Hoher erhebe sich ferner wider Deinen Christus! Keiner versuche es, spottend Dein Kind, Deine Krone, Dein Herz, JEsum Christum anzugreifen, daß nicht Dein Zorn über uns entbrenne, und Du uns wegraffest in unsern Sünden! Kein Sünder verzage, keine rathlose Seele verzweifele! Denn dieser Dein Name, d. i. unser Herr Jesus Christus, will durch Glauben geehrt und durch Vertrauen geheiligt werden! Keine Hülfe hat ein zerschlagenes Herz, aber doch Eine, eine reiche, überfließende, nämlich Christum. Dieser ist nicht trüglich, ER ist ausgesondert, ist heilig! Müde, sündenbeladene, oft eingeladene, oft entwichene Seelen: der Name Gottes Jesus Christus werde von euch geheiligt: Er heilt alle, die Ihn mit Dank und Freuden aufnehmen! - O Vater, es gehen viele, arm und krank am Geiste, auf Deiner Erde hin: heilige Du selber Deinen Namen, Deinen Sohn in ihnen, verkläre Ihn in ihren Herzen, damit sie Deinen Namen wieder heiligen, von Welt und Sünde sich lossagen, Ihm sich weihen und in Ihm geheiligt werden! Heiliger Vater, heilige uns alle in Deiner Wahrheit- Dein Wort ist Wahrheit - und Jesus Christus ist Dein Wort, das lebendige Wort, welches offenbart ist in dem geschriebenen Worte! Nimm uns von der Welt, schenke uns Ihm! Heilige uns durch und durch! Herz, Gebet, Gespräch und That wollest Du durch die Kräfte Deines Namens so verklären, daß man an uns erkenne, daß Dein Name in uns ist! Sind wir dem Herrn Christo geheiligt; so sind wir Dir selbst geheiligt, so sind wir Dein! Denn was Sein ist, das ist Dein: Du und Dein Name, der Vater und der Sohn sind Eins. Sind wir in Deinem Namen verborgen, so ruhen wir in einem festen sichern Schloß, in einer unüberwindlichen Burg, als Dein seliges, gewisses Eigen, thum, das keine Macht des Bösewichts rauben kann! - Ach, Vater, ja und Amen! Dein Name, Dein Christus werde geheiligt! Denn wer den Sohn ehrt, der ehrt den Vater, und wer des Sohnes Namen preist, der preist des Vaters Namen!

Geliebte Brüder! Wenn wir so etwa ohne Unterlaß beteten - nicht aufhöreten, bis unser Athem still steht und unser Leib zur Erden zurückkehrt, von der er genommen ist: meinet ihr nicht, daß dann die Seele zu Gott aufführe, aus dem Glauben zum Schauen, aus der Unvollkommenheit unserer Seligkeit zur Vollkommenheit, aus dem Stückwerk unserer Heiligung zur Heiligkeit? meinet ihr nicht, daß wir alsdann selber Namen Gottes zu Seinem Preise werden würden, zu Seinem ewigen Preise reine, makellose Namen Seines ewig guten Wesens? Sehet ihr das nicht ein? Glaubt ihr das nicht? O wohlan! so lasset uns beten, flehen, rufen, daß es zu Gottes Ohren dringt! ER hat verheißen, daß ER uns wolle erhören: ER wird Seine Verheißung erfüllen! ER wird uns losmachen vom Betrug der Sünde und Leidenschaft: Sein heiliger Name wird in uns seyn und wir in Ihm und wir werden, von einem Tag zum andern mehr in Sein Angesicht verklärt, der Erfüllung des Wortes nachjagen: „Ihr sollt heilig seyn, denn Ich bin heilig, der HErr, euer Gott!“ Ja! Amen.

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