Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Fünfte Predigt. Die erstaunliche Barmherzigkeit Gottes gegen umkehrende Sünder.

Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Fünfte Predigt. Die erstaunliche Barmherzigkeit Gottes gegen umkehrende Sünder.

Text: Luc. XV. 20 - 24.
Da er aber noch fern von dannen war, sah ihn, sein Vater, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küssete ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: bringet das beste Kleid hervor, und thut ihn an, und gebt ihm einen Fingerreif an seine Hand, und Schuhe an seine Füße; und bringt ein gemästetes Kalb und schlachtet es; lasset uns essen und fröhlich sein. Denn dieser mein Sohn war todt, und ist wieder lebendig geworden; er war verloren, und ist gefunden worden. Und fingen an fröhlich zu sein.

Ihr werdet oft gehört haben, daß wir allen Gottlosen, selbst den allerruchlosesten und abscheulichsten Sündern von Gnade und Heil gepredigt. Und dann werdet ihr auch nicht selten vernommen haben, daß wir den Unreinen, den Unheiligen, nicht die geringste Hoffnung zur Seligkeit gemacht, sondern ihnen Gottes Zorn und Ungnade auf das allerfeierlichste angekündigt haben. Und beides ist nach der Vorschrift des Evangeliums geschehen.

Wenn die Frage vorkommt: Wer wird bleiben auf dem heiligen Berge des Herrn? Wer wird von den Engeln getragen werden in Abrahams Schooß? Könnten wir alsdann wohl auch antworten: Ein jeder! Er mag sein, wie er will!? Nein! Nein. In den Himmel geht nichts Gemeines noch Unreines hinein! Der Ort ist viel zu heilig, als daß er solche Menschen aufnehmen könnte. Er ist nicht ein Acker, darauf Unkraut und Waizen beisammen stehen. Er ist ein gereinigtes Tenn des Herrn, die Scheune, wo nur köstliche und volle Garben hingelegt werden. Er ist kein Netz, darinnen faule und gute Fische sind. Er ist das Haus des Herrn, dessen Zierde Heiligkeit ist. Wie sollte ein frecher Sünder an den Ort der Seligkeit versetzt werden? Ist doch daselbst die allerheiligste Gesellschaft!

Soll die ewige Heiligkeit im genauesten Umgang mit der abscheulichsten Gottlosigkeit stehen? Sollten sich die Seraphim im Rath der Sünder finden lassen? Das sei ferne! Nie wird die Klarheit Gottes bei der Finsterniß der Weltkinder wohnen. Der Glanz der göttlichen Gerechtigkeit und der Gräuel der Sünder werden noch viel weiter geschieden sein, als der Tag von der Nacht, und der Morgen vom Abend entfernt sind. Die Gesellschaft des Himmels leidet es nicht, daß sich ein fleischlich gesinnter Mensch bei ihr einfinde. Sie würde in ihrer Ruhe gestört, sie würde durch die Gottlosigkeit im Himmel selbst betrübt werden.

Und sieht es denn der muthwillige Sünder nicht, daß er unmöglich in den Himmel eingehen könne? sieht er's nicht, wenn er seine Begierden und Neigungen, seine allerliebsten Beschäftigungen, mit der Beschäftigung der Kinder der Herrlichkeit zusammenhält? Denn wenn die Seligen sich mit Fressen und Saufen vergnügen würden, wenn sie sich mit fleischlichem Wohlleben ergötzen und nach der Welt Brauch lustig machen würden, dann taugte jedes Weltkind in den Himmel. Aber was soll der für alles Gute noch erstorbene Mensch, an einem Orte thun, wo nichts als Gutes herrschet? Was soll der Gottlose bei jenen Lobgesängen der Heiligen machen? da er doch am Lobe Gottes weder Lust noch Freude findet! Was soll er bei der Erzählung der Werke und Wunder Gottes thun, die doch das Tagwerk der Vollendeten ausmachen werden, da ihm hier Zeit und Weile lang wird, wenn er von göttlichen Wahrheiten hört. Würde es ihm da nicht bange werden, wo man weder lacht noch scherzt, noch weltliche Neuigkeiten und Mährchen erzählt? Nein! Nein! Unbekehrte Menschen schicken sich in den Himmel nicht, sie werden keinen Theil daran haben. Sind es offenbare Sünder, so bezeugt ihnen die heilige Schrift: draußen sind die Hunde, und die Zauberer, und die Hurer und die Todtschläger, und die Abgöttischen. Sind es etwa ehrbarere Menschen, die zwar einen Schein des gottseligen Lebens haben, aber die Kraft desselben verläugnen; da heißt es doch auch von ihnen: alle die da lieb haben und thun die Lügen, deren Theil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennet (Apoc. 21). O gewiß, wer nicht überwindet, der wird beschädiget von dem zweiten Tod. Wer das Siegel Gottes nicht an seiner Stirne trägt, wird hinaus geworfen in die äußerste Finsterniß, wo da sein wird Heulen und Zähnklappern. Wer in das neue Jerusalem eingehen will, der muß hier in der Gnadenzeit aus dem Schlafe der Sünden aufwachen, er muß von Jesu Christo erleuchtet sein. Es erfordert ein neues Herz, einen neuen Sinn, eine himmlische Gemüthsverfassung, und ohne dieses an sich zu haben, kann man das Leben nicht sehen.

Wenn aber die Frage vorkommt: Wer kann Gnade erlangen? Wer kann ein Kind Gottes werden? Wer kann im Blute des Lammes gewaschen und durch den Geist Jesu geheiliget werden? Wer kann zum Frieden mit Gott gelangen, wenn er seine- Sünden, sein Elend und Verderben einsieht, wenn ihm seine Missethaten bange machen! O da müssen wir anders antworten, als auf die erstere Frage, da können wir nicht sagen: der Heilige, der Gerechte. Nein! da bekennet unser Herz und Mund, daß ihr alle euch eine gegründete Hoffnung dazu machen könntet, wenn ihr nur dem Rathe Gottes nicht ungehorsam sein wolltet. Wer hier in den Wunden Jesu Gnade und Heiligung sucht, der wird gewiß seines Suchens froh werden. Es ist dem Herrn Niemand zu schlecht. Unser Elend hindert uns an der Vergebung nicht, wenn es uns nur jammert. Es kann kein Sünder so groß sein; Gottes Erbarmen ist doch noch größer! kein Sünder so alt in Sünden sein; Jesu Liebe ist doch noch älter! Kein Sünder so verrucht sein, daß ihm nicht könnte geholfen werden. Wenn Moses schon den Stab gebrochen und gar der Hölle zugesprochen, wird diese Freistadt aufgethan: Mein Heiland nimmt die Sünder an. Wir gedenken in folgender Stunde euch weitläufiger davon zu unterrichten.

Die erstaunliche Barmherzigkeit Gottes gegen umkehrende Sünder.

  1. Der umkehrende Sünder.
  2. Die erstaunenswürdige Barmherzigkeit Gottes gegen ihn.

I.

Der verlorne Sohn zaudert nicht lange, er entschließt sich nicht, um dann die Ausführung seines Entschlusses bis über Jahr und Tag oder so lang immer möglich aufzuschieben. Er will sich aufmachen, und macht sich wirklich auf. Kaum ist er in seinen Gedanken auf das Mittel der Errettung gefallen, so ist er schon auf dem Wege es zu ergreifen. Er eilt dem Vater entgegen. Aber mit welchem beklommenen Herzen? mit wie viel Kampf und Streit, mit wie viel Furcht und Zagen mag das nicht geschehen sein? Wird Er mich wohl annehmen? Wird Er mich nicht vielmehr als ein ungehorsames Kind verstoßen? Wird es nicht heißen: du wolltest von mir weg sein; so bleib nun weg? Du wolltest meiner nicht; so will ich deiner auch nicht? Wird ihm nicht mein elender Zustand, meine zerrissenen Kleider, mein ausgezehrter und verdorbener Leib, mehr Eckel und Abscheu, als Mitleiden und Erbarmung gegen mich erwecken? Aber doch, mag er wieder gedacht haben, ist Er mein Vater, ich bin sein Fleisch und Blut, Er hat ein gütiges Herz, Er wird mich doch nicht, verstoßen. Zum Taglöhner wird er mich doch wohl noch machen. So rangen Furcht und Hoffnung in seiner Seele. Und das ist der Zustand eines umkehrenden Sünders. Jetzt ist ein Trostesblick da, und dann wiederum Angst und Klagen. Jetzt hoffet er eine gnädige Aufnahme, und dann fürchtet er wieder die Verstoßung. Er wiegt die Trostgründe mit den Gründen, die ihn schrecken, ab; bald haben die einen den Vorzug; bald die andern. Das Erbarmen Gottes macht ihm Muth. Das Bewußtsein seines großen Verderbens benimmt ihm denselben wieder. Jetzt heißt es: Jesus kann ja vollkommen selig machen, alle, die durch Ihn zu Gott kommen. Er verheißt ja: Er wolle Niemand hinausstoßen, der zu Ihm komme. Er sieht sein liebevolles Herz. Und bald sagt er wieder bei sich selbst: Ja, wenn du nicht zu lang gewartet hättest! Wenn du dem ersten Gnadenruf gefolgt wärest! Wenn deine Sünden nicht so abscheulich wären! Wenn du so tief gebeugt wärest als David war! Wenn du dein Lager mit Thränen benetzen könntest: dann möchtest du dir wohl Hoffnung machen, einen gnädigen Heiland zu finden. Aber nun, da du noch so hart, noch nicht genug zerschlagen bist: wie kann sich da Gott deiner annehmen? Und so ist vor der bußfertigen Seele das liebevolle Herz des Vaters wieder verschlossen. Indessen wendet sie sich doch zu Ihm hin; kommt sie nicht mit Freudigkeit, so kommt sie doch mit Furcht und Zittern. Der Sünder eilt zu dem Altar, wo Andere Gnade gefunden. Er läuft zu der Freistätte, wo andere beschützt werden. Wenn ihn der Herr gleich tödten wollte, will er doch auf Ihn hoffen. Wird er verdammt, so hat er sich entschlossen, Gott dennoch Recht zu geben. Wird er selig, so will ers allein einem unverdienten Erbarmen zuschreiben. Er wartet nicht bis man ihn anklagt, bis man ihm seine begangenen Bosheiten vorhält; er wird sein eigener Ankläger. Vater! spricht er: ich habe gesündiget, gegen den Himmel und vor Dir. O ein offenherziges Bekenntniß! Aber wiederum ein Bekenntniß, das viel mehr Grund zu einer völligen Verwerfung, als zu einem auch nur erträglichen Urtheil in sich hält! Gesündiget haben wir vor Gott und Menschen! Ist denn das nicht das größte Verbrechen von der Welt? Heißt das nicht sich der Hölle, der ewigen Verdammniß schuldig, und aller Gnade unwürdig gemacht haben?

II.

Aber welch ein Aufzug, den ich im Text sehe! Erstaune, liebes Herz, und bete die Erbarmung an. Da der Sohn noch ferne vom Vater war, sah ihn dieser, und jammerte ihn, lief und fiel ihm um den Hals und küssete ihn.

Nun will der arme Sohn sein Bekenntniß ablegen. Er fängt an, aber der Vater läßt ihn nicht ausreden; ehe er noch sagen kann: mache mich als einen deiner Taglöhner, ertheilt der Vater den Befehl, ihn anzuziehen, zu schmücken, und ihm eine Mahlzeit zuzubereiten. Wer erkennt nicht an diesem Vater den Vater der Barmherzigkeit und den Gott alles Trostes? Ja so ist Er gegen umkehrende Sünder gesinnt; so nimmt Er sie auf. Er begnadiget Rebellen, die ihre Abtrünnigkeit schmerzt. Er vergibt ihnen nicht nur ihre Schuld; das wäre für seine Gütigkeit zu wenig; Er öffnet Ihnen die Schätze seiner Allgenugsamkeit; Er thut mehr als sie bitten und verstehen, und das alles in Christo, durch Christum, zu Christo.

Wollen wir aber diese Erbarmung Gottes recht schätzen lernen: so müssen wir folgende Umstände nach unserm Texte in Erwägung ziehen: Und zwar 1) daß Gott willig sei zu helfen; 2) daß er mit seiner Hülfe eile; 3) daß Er dem Sünder nicht erst sein Verbrechen vorhalte, ehe Er ihm Barmherzigkeit wiederfahren läßt; 4) daß Er sich reichlich erbarme.

Unser Gott hilft dem Sünder gerne. Das wollte der liebe Heiland anzeigen, wenn Er vom Vater spricht: Er lief ihm entgegen. Der gute Hirt freuet sich, wenn er sein verlornes Schaf aus der Wüste zur Heerde bringen kann. Wie ungereimt ist es nicht, wenn man sich vorstellt, Gott habe Lust an unserm Verderben? Strafen sei bei ihm ein Vergnügen? Wie ungereimt, wie lästerlich, wenn man glaubt: Er sehe es gerne, wenn unser Blut als ein Opfer der Gerechtigkeit und seines feurigen Eifers ausgegossen würde? gern, wenn Er sein rächendes Schwerdt damit färben und seine Pfeile darin baden könnte? Weg mit solchen Gedanken! Gott ist zwar freilich kein weichherziger Richter, der dem Recht etwas vergäbe, um Fleisch und Blut, um den Menschen zu schonen. Nein! Er ist gerecht, und davon kann Er nicht abweichen. Wäre kein Erlöser für die Menschen zu finden gewesen, so hätten alle müssen verloren gehen; und noch jetzt wird es seine Barmherzigkeit gewiß nicht hindern, daß alle umkommen, welche diesen Heiland nicht mit wahrem Glauben ergreifen. O die Glut der Hölle wird nie auslöschen, obgleich Gott nie aufhört gnädig zu sein. Die Qualen der Verdammten werden ewig in ihrer Dauer und verzweifelt groß in ihrem Grade sein, obgleich Gottes Liebe weder Ziel noch Gränze hat. Aber gerne sieht Er es nicht, wenn Er Sünder zur Hölle fahren lassen muß. Lieber wollte Er sie errettet, lieber wollte Er sie selig gemacht wissen. Darum drohet Gott so oft den Hartnäckigen. Er will sie erschrecken und also zur Buße leiten, damit Er sie nicht ewig schrecken müsse. Er zeigt ihnen den Abgrund, daß sie ihre Hände nach Ihm ausstrecken und Er ihnen helfen könne. O Er ist, bereit, Er ist willig, die bußfertige Seele aus ihrem Jammer zu erretten. Kein König eilt so sehr, seinen nothleidenden und bedrängten Unterthanen Ruhe zu verschaffen, als Er eilet, den müden Seelen ihre Last abzunehmen.

Kein Freund kann so gerne dem andern was Gutes thun, als Gott dem Menschen. Keine Mutter fühlt in ihrem Herzen einen so starken Trieb, ihren Säugling zu versorgen, als unser Erbarmer fühlt, diejenigen zu begnadigen, die ohne seine Gnade nicht leben können. Oder sagen uns das nicht die Namen, die er sich theils selbst gibt, theils von seinen Angehörigen geben läßt? Wäre es nicht seines Herzens Freude, in Wohlthun zu überfließen, -warum führte Er denn den Namen eines Vaters über Alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden? Warum vergleicht Er sich mit einer Mutter, die Kinder in ihrem Leibe trägt? Wäre Er nicht bereit zu erretten und selig zu machen, was sich als verloren erkennt: würde er denn wohl auch gesagt haben: Ich bin der Herr dein Gott (Exod. 15,26); außer mir ist kein Heiland (Jes. 4,3.11). Alsdann würde es nicht von Ihm heißen: Er ist mein Hirt (Ps. 23,1); meine Hülfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat (Ps. 121,2).

Und wenn man den Befehl ansieht, den Gott seinen Knechten, bekümmerter Sünder wegen, ertheilt; o wie wird man da nicht von seiner herzlichen Neigung überzeugt, ihrem Jammer und Elend abzuhelfen. Könnte Er uns gebieten, die müden Hände zu stärken, die strauchelnden Kniee zu erquicken? den verzagten Herzen zu sagen: seid getrost, fürchtet euch nicht (Jes. 35,3.4). Und Er sollte das nicht selbst thun wollen? Sollte Er senden, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Oeffnung, zu trösten alle Traurigen? Und Er sollte die Elenden sterben lassen? Das kann man sich unmöglich vorstellen. O solltest du sein Herze sehen, wie sich's nach armen Sündern sehnt; sowohl wenn sie noch irre gehen, als wenn ihr Auge vor Ihm thränt. Er lockt die Seelen, führet sie in eine Wüste, erwählt sie von der Welt und redet freundlich mit ihnen (Hos. 2,14). Er nimmt sich seiner Heerde selbsten an, Er sucht sie, wo sie sich von Ihm verloren, Er bringt das Verirrte wieder, das Verwundete verbindet Er, des Schwachen wartet Er (Ez. 34,11-16).

Das heißt wohl geneigt sein, den armen Sünder aufzunehmen! Und ist das noch alles zu wenig, eine Seele zu überzeugen, daß Gott der Menschen Seligkeit von Herzen wünsche: so legt ihr der große Jehova den feierlichsten Eid darüber ab. Er schwört bei sich selbst, weil Er bei keinem größern schwören konnte! So wahr ich lebe: ich habe keinen Gefallen am Tode des Sünders, sondern, daß sich der Gottlose bekehre. Das ist freilich nothwendig, wenn das andre folgen soll: und lebe (Ezech. 33,11).

Und die Liebe, daß Gott seinen Sohn dahin gegeben, daß wir durch Ihn lebten; Jene Thränen auf den Wangen Jesu, die Er über umkommende Sünder geweint; Sein Gebet und Flehen, Sein starkes Geschrei, Seine große Mühe und Arbeit, die Er der Sünden wegen übernommen; das Blut, das Er für sie vergossen; das Kreuz, an dem der Segen als ein Fluch hieng; die unermüdeten Bearbeitungen des heiligen, Geistes, die Er an die Menschen wendet: Ruft nicht dieses alles mit einer Stimme aus: daß der Herr weit mehr bereit sei Gnade zu schenken, als der Sünder immer sein kann, sie zu suchen, oder anzunehmen?

Gott hilft aber auch bald. Kaum erblickte der Vater den Verlornen, so jammerte es Ihn schon.

Der Mensch machts da ganz anders als Gott. O uns muß Er lange suchen, ehe wir uns finden lassen; uns bittet Er lange, ehe wir Ihm antworten. Er geht manchem Sünder von seiner Jugend an bis ins Alter nach. Wäre es nun nicht billig, wäre es nicht gerecht, wenn der Herr unerbittlich wäre? wenn der Sünder an ein Umkehren, an ein Anderswerden gedenket? wenn es ihm nach Gnade bange ist? Ja! wenn er uns schon nicht aufthun wollte, wenn wir anklopfen? ja! wenn Er schon seine Ohren verstopfen und sein Angesicht von unserm Flehen wegwenden würde: das hätten wir verdient. Aber seht! welch ein Reichthum der Geduld und Langmuth, der Treue und Barmherzigkeit! Kaum wendet sich der Sünder von der Verdammniß weg, so findet er die Quelle der Seligkeit. Kaum legt er sich in seinem Blut und Unflat vor seinen ewigen Erbarmer, so wascht ihn Jesu Blut und tilget seine Sünden. Kaum hat er die Abscheulichkeit seines Verderbens eingesehen, so lernet er schon das Lied des Lammes. So bald einer von ganzem Herzen seufzet: O Jesu! du Sohn Davids erbarme dich meiner! so bald wird ihm geholfen. Der Herr ist nahe allen denen, die Ihn anrufen (Ps. 145,18). Er merket das geheimste Verlangen der Seelen und hilft ihnen.

Allein! widerspricht uns hier nicht die Erfahrung? Müssen nicht manche Seelen wohl Jahr und Tag des Friedens Gottes beraubt sein, ob sie Ihn gleich suchen? Müssen sie nicht unter der Last der Sünde gebeugt und traurig einhergehen, ob sie gleich schon oft gebeten, daß der Herr sie Ihnen abnehme? Aber, Geliebte! müssen wir denn den Herrn allemal nach unserer Empfindung beurtheilen? Kann Er uns nicht schon Gnade erzeigt haben, ohne daß wir es wissen? Freilich, wer noch nie gesucht bat, kann auch noch nichts gefunden haben. Aber ein Bußfertiger, kann der nicht schon im Gerichte Gottes losgesprochen sein, ob er gleich noch Verdammniß im Herzen fühlt?

Und warum hält es mit vielen Seelen so lange, ehe der Herr ihres Angesichts Hülfe und ihr Gott wird? Ehe sie sich das Verdienst ihres Erlösers mit Freudigkeit zueignen können? Ich gebe es zu, daß bisweilen die Ursache davon im Herrn selbst liege. Er offenbart sich lange nicht, damit Er sich desto herrlicher offenbaren könne; Er läßt den Sünder die Früchte seiner eigenen Werke essen, damit ihm die Früchte des Baumes des Lebens desto köstlicher und schmackhafter werden. Doch gemeiniglich ist der Mensch selbst Schuld, wenn er zu keinem Frieden kommen kann. Er will seine Missethat verschweigen, und da ist dann kein Wunder, daß ihm seine Gebeine verschmachten. Oft ist man noch nicht arm am Geist, noch nicht genug ausgeleert von eigener Gerechtigkeit. Man will sich selbst helfen, sein Gewissen durch gutgemeinte Uebungen befriedigen. Man dingt noch was ein, man behält sich noch was vor, man will um die köstliche Perle nicht alles geben, was man hat; und da ist's denn kein Wunder, daß der Sünder keine Hülfe erfährt. Seine Unlauterkeiten berauben ihn des Gutes, das ihm sein Erbarmer zugedacht. Würde er's nur redlich meinen, so würde ihm sein Heiland bald zurufen: Was weinest du? Bin ich doch dein Helfer und Erretter! Es würde bald heißen: Was willst du denn, daß ich dir thun soll? Es kann dir nichts mehr versagt werden. Fürchte dich nicht, denn Ich habe dich erlöset; Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! (Es. 43,1).

Ueberlege nun ferner, o Seele! die Leutseligkeit, die dein Gott mit der Barmherzigkeit offenbaret. Geht Er doch so mit dem Sünder um, als wenn Er sein gehorsamstes Kind von jeher gewesen wäre. Da ist nichts von der Hartnäckigkeit, die man so oft unter den Menschen antrifft, ehe sie sich miteinander aussöhnen. Da sind keine Verweise, keine Vorwürfe. Per Herr begnadiget, ohne eine lange Rede über das Verbrechen des Sünders zu halten.

Wenn ein Sohn sich der Liebe seines Vaters unwürdig gemacht; wie viel kostet es nicht, bis ein solcher Absalom wieder vor seinen David darf? Und wenn er ja endlich Vergebung erhält, wie viel Verweise muß er nicht hören? Wie weiß man nicht seine Schuld auszumalen? Wie viel verhaßte Namen? Wie viel geringschätzige Mienen gibt es nicht? Das hat die wiederkehrende Seele von ihrem himmlischen Vater nicht zu besorgen. Es ist Ihm genug, wenn sie sich selbst anklagt; wenn sie sich nur schämt, wird Er sie nicht beschämen; wenn sie nur als zerschlagen kommt, wird Er sie nicht mehr verwunden. Ja! Er richtet vielmehr auf. Er will das zerstoßene Rohr nicht völlig zerbrechen, und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Er kann mit müden Seelen reden zu rechter Zeit. Sprechen sie mit Bekümmerniß: Uns gebühret nichts als Schmach und Schande; Ihr himmlischer Vater antwortet ihnen: Ich habe den, der von keiner Sünde wußte, für euch zur Sünde gemacht, auf daß ihr in Ihm wurdet die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Klagen sie über ihren Jammer und ihr Sündenelend; ihr Jesus ruft ihnen zu: Ich bin in die Welt gekommen, Sünder selig zu machen. Sagen sie: Wir sind recht todt in Uebertretung; Er bezeugt ihnen: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Oder habt ihr wohl je gehört, daß unser Heiland, dieses vollkommene Ebenbild seines himmlischen Vaters, einem bußfertigen Herzen hart begegnet sei? Wie geschwind warf Er nicht ihre Sünden hinter sich? Er rühmt ihren Glauben, den Er ihnen doch selbst gab, und gedenket dessen nicht, was sie vorher gethan hatten. Er lobt die heilige Liebe jener Sünderin, die sein Geist in ihr angezündet hatte, und thut als wüßte Er von der unreinen Liebe nichts, womit sie ehedem ihr Gewissen befleckt hatte. Wer muß nicht ein Herz zu einer solchen erstaunlichen Freundlichkeit gewinnen? Wer will sich weigern, zu dem hinzuzutreten, der die Unwürdigsten eben so leutselig empfängt, als wenn sie sich sehr verdient um Ihn gemacht hätten.

Wessen sich Gott und unser Heiland erbarmet, dessen erbarmet Er sich. Das mögen wir wohl hier sagen. Seine Erbarmung ist nicht so leicht beschrieben. Sie ist voll Tiefen, voll unendlicher Schätze. Der Sünder bekommt mehr als er jemals verlangt, ja mehr als er nur immer hoffen dürfte. Er bittet: Verstoße mich nicht in deinem Zorn (Ps. 27). Aber sein Erlöser antwortet: Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; Ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, im Glauben will Ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen (Hos. 2, 19. 20). Der Sünder seufzet: Laß mich nicht in meinen Sünden verderben. Jesus verspricht? Ich will dich von der Hölle und vom Tode erretten (Hof. 13). Der Schächer will nur, daß der Herr an ihn gedenke; und Jesus vermacht ihm noch vor seinem Tode einen Theil an seinem Reich. Heißt das nicht thun über alles, was wir bitten können?

Aber Er thut noch mehr, als man nur immer hoffen darf. Gerechter Gott! sollten sich nicht vielmehr die Schätze deines Zorns, als deiner Gnade, über einen Sünder aufthun? Was ist der Mensch? Ein Wurm! eine Made, ein Nichts! Und wer ist der, wider den er sich sonst aufgelassen? Er ist, der Herr des Himmels und her Erde, die allerhöchste Majestät. O Gott! wie blutroth werden nicht, die Sünden, wenn man sie vor Dir betrachtet. Das Geschöpf das sich und alles Gott schuldig ist, nimmt Ihm alles, was Ihm gebührt. Es häufet Verbrechen auf Verbrechen. Es hat nicht nur Geschöpfen geraubt, es raubte seinem unendlichen Wohlthäter; noch nicht genug! es raubte Ihm seine ganze Ehre, so viel an ihm war. Es hat sich empört gegen seinen König und rechtmäßigen Oberherrn. Es hat den Sohn Gottes ermordet, seine eigene Seele getödtet, durch böse Exempel andere Seelen verderbt. Und das ist nicht nur einmal geschehen, es hat es oft und viel gethan! die angebotene Gnade, ich weiß nicht wie lang verscherzt! Himmel! Erde! Abgrund! wann wollt ihr Rache üben, wenn ihr sie nicht an solchen unwürdigen Sündern ausübet? Doch nein! ihr dürft sie nicht beschädigen, wenn sie ihr Unrecht beweinen, und im göttlichen Versöhnungsopfer Gnade suchen. Ach da bekommt das arme Herz den rechten Reichthum. Da! da bekommt man Schmuck für Asche; Freudenöl für Traurigkeit! Da findet man, was man sonst nirgends finden konnte. Der bußfertige Sünder wird bekleidet; nun wird ihm der besteckte Rock der Sünden ausgezogen. Er wird in den Mantel der Gerechtigkeit Christi eingehüllt, er zieht Jesum Christum selbst an. Was Jesus hat, ist nun sein. Was er hatte, nahm Christus weg. Jesu Blut ist sein, Jesu Verdienst ist sein, Jesu Tod ist sein Tod. Ich will sagen: der Gläubige wird in dem Gericht Gottes so angesehen, als wenn er selbst für die Sünde genug gethan, und die Gerechtigkeit Gottes völlig befriedigt hätte. Und so bekommt auch die gläubige Seele Antheil an der Heiligkeit, an den Tugenden ihres Imanuels. Hatte er die Gebote Gottes gehalten, es ist nun so viel, als wenn sie sie gehalten hätte; hatte Jesus seinen Vater auf Erden verkläret, es ist eben so viel, als hätte sie es gethan. Sein Gehorsam steht nun auf ihrer Rechnung, seine Erfüllung des Gesetzes der Liebe, auf ihrer Rechnung. Was Jesus Gutes gethan, das ist nun ihr Eigenthum.

Das ist das Kleid eines nackten Sünders; das Kleid, das ihn deckt; das Kleid, darin er dem Vater gefällt; das Kleid, in dem man den Segen bringt; und auch das einzige Kleid. Wer es hat, hat genug daran. Es veraltet nicht. Wer es nicht bekommt, wem es nicht angezogen wird durch den lebendigen Glauben, der mag sich schmücken und zieren wollen wie er will, er wird nichts als Spinnengewebe zusammen bringen, das zur Kleidung nichts taugt. Gesetzt daß einer in allen übrigen Stücken des Lebens einem Engel gleich wäre, so wäre doch seine Heiligkeit höchst mangelhafte so lange er Christum verwirft. Darum war es Paulus viel darum zu thun, in Jesu erfunden zu werden. (Phil. 3)

Wenn Gott einmal angefangen, Gnade zu erzeigen, so ist des Erbarmens kein Ende. Siehe! der Gläubige erhält ferner einen Ring an seine Hand. Und was ist denn wohl das? Es ist der heilige Geist. Dieser wird denen geschenkt, die durch den Glauben an Jesum Kinder Gottes geworden; diese theure Gabe ist die erste Probe der väterlichen Liebe. Weil wir denn nun Kinder sind, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen (Galat. 4, 6). Und, o selige Verrichtungen, selige Geschäfte, die Er in dieser Werkstätte ausübet! Er lehrt das Abba rufen. Er vertritt mit unaussprechlichem Seufzen. Er erinnert an die Worte Jesu. Er verklärt den Heiland immer mehr und mehr. Er ist der Führer, dem man sich sicher anvertrauen darf. Er leitet in alle Wahrheit. Er führt von einer Klarheit zur andern (2. Cor. 3,18). Und nicht nur dieses. Er ist das Pfand unsers Erbes zu unserer Erlösung; der Ring, den der Bräutigam seiner Braut zur Versicherung seiner Liebe und Treue überreicht; der Ring an dem sie Jesus kennt, daß sie Ihm angehöre; denn wer den Geist Christi nicht hat, ist nicht sein; der Ring, an dem sie sich auch selbst kennt. Oder sollte sie wohl noch zweifeln können, daß sie von der Welt erwählt sei, wenn sie den Geist hat, den die Welt nicht empfahen kann? Dieser Siegelring erhöhet sie über die viehische Natur. Er ist die Schönheit, die ihre eigene Häßlichkeit verdeckt, der Schmuck und die Krone, die Jesu gefällt, die Annehmlichkeit, die sie vor Gott und Seinen Heiligen beliebt macht.

Und was sind die Schuhe, die der verlorne, aber nun wiedergefundene Sohn an seine Füße bekommt? Das ist die Gnade und Kraft eines Christen, gottselig zu leben; das ist der Wille, zu laufen in den Wegen Gottes; das ist das Verlangen, dem Herrn zu dienen in allen Stücken. O! der Glaube an den Sohn Gottes läßt die Seele nicht todt und unfruchtbar. Die Erfahrung der Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsers Heilandes zündet das Feuer göttlicher Liebe in der Seele an. Da ist man an Beinen gestiefelt, als bereit zu treiben das Evangelium. Man jaget nach dem Frieden und nach der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen kann. Und so kommt das unwürdige Geschöpf gar an die Tafel seines Gottes. Es schmecket den Frieden Gottes, der alle Vernunft übersteigt. Es labt sich an den Gütern des Heils. Es ißt das Brod des Lebens, und wird trunken von den reichen Schützen des Hauses Gottes, schöpft täglich und stündlich aus der Fülle seines Jesu Gnade um Gnade. Was Wunders denn, wenn eine solche Seele in Freude und Frohlocken zerfließt? Sie war vor der Pforte der Hölle; nun steht sie an den Thüren des Himmels. Sie verdarb vor Mangel und Elend; nun wird sie in Gutem fett. Sie zitterte vor dem Zorn Gottes, und nun wohnet sie unter dem Schatten seiner Fittige. Sollte sie sich nicht freuen und fröhlich sein? Freut man sich sonst, wenn man zu Ehre und Ansehen gelangt; warum sollte denn der Christ nicht frohen Muthes sein? Verachtet ihn gleich die Welt, so ehrt ihn doch Gott; denn wer ihn ehrt, den will er wieder ehren. (1. Sam. 2, 20). Erstaunliche Würde, zu der er gelangt! Er ist geworden eine Braut des Lammes, ein Bruder des Königs aller Könige. Nun gehört er zu dem aus erwählten Geschlechte, zum königlichen Priesterthum, zum Volke des Eigenthums. Er ist gekommen zu der Menge vieler tausend Engel, zu der Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind. Er ist herrlich inwendig mit goldenen Stücken gekleidet. Aus einem Schweinhirten ist er ein Königssohn geworden.

Wie wohl ist einem Weltkind, wenn es zu irdischen Gütern gelangt! Wenn es findet und austheilt den Raub, einem jeglichen eine Metze oder zwei zur Ausbeute; und Sissera bunte gestickte Kleider zur Ausbeute, gestickte bunte Kleider um den Hals, zur Ausbeute (Richt. 5,30)! Und ein Kind Gottes sollte können gleichgültig sein, da ihm Güter zugefallen, die weder Schaben noch Motten fressen können? Güter, deren Werth und Menge unaussprechlich ist! Oder ist denn nicht alles sein? Leben und Tod? Gegenwärtiges und Zukünftiges? Himmel und Welt? Ist nicht alles sein? (1. Cor. 3, 22). Daß sich der Sünder freut, das ist natürlich; aber daß sich Gott über den Sünder freut, wer kann das fassen? Daß der Herr sein Gott, der starke Heiland, bei ihm ist, daß Er ihm freundlich ist, und vergibt, ja mit Schalle über ihm fröhlich ist? Das kann ich nicht fassen, so lang ich nur den Erdenwurm betrachte. Man muß Gottes Gesinnungen kennen, um nur etwas davon zu verstehen.

Ja, Geliebte! Gott freuet sich über einen bekehrten Sünder; denn Er sieht an einem solchen seine Wünsche erfüllet. Das Verlangen desselben ist gestillet, sein Seufzen ist erhört, sein Wehklagen ist verwandelt in Jubel. Gott freuet sich auf's neue, daß Er der Welt Seinen Sohn geschenket. Der hochgelobte Heiland ist vergnügt. Sein Leiden wird ihm da recht süß und köstlich. Jeder Tropfen Blutes, das Er vergossen, ist ihm eine Erquickung wenn er gewahr wird, wie dasselbe die Gewissen befriediget, und von den tobten Werken reiniget. Es freuet ihn, daß er gestorben, wo Er einen Sünder sieht, dem Er zum Leben geholfen. Der Hirte hat nun sein verlornes Schäflein, der Erlöser sein Eigenthum, das Opferlamm den Lohn seiner Marter. Nun freuet sich sein Herz, das ehedem durchstochen worden. Es ist Freude bei dem heiligen Geist. Seme Bearbeitungen haben etwas ausgerichtet. Sein Erinnern, Strafen, Ermahnen, Züchtigen ist nicht umsonst gewesen. Sein Endzweck ist erreicht. Er freuet sich seines Werkes. Es freuet sich der Dreieinige Gott. Nun kann Er wieder wohlthun. Und das ist seines Herzens Freude. Die Scheidewand ist fort, welche die Seele von Ihm trennte; nun können seine Ströme auf sie stießen. Nun kann Er sich ihr zu genießen geben, sie behüten als einen Augapfel; und das ists, was Ihn vergnüget. Es ist Freude unter den Heiligen im Himmel und auf Erden. Wo sich ein Sünder bekehrt, wird das Reich Gottes erweitert. Satan verliert etwas von seiner Macht. Christus wird herrlich und wunderbar in seinen Heiligen. Muß das nicht diejenigen erquicken, denen Gottes Ehre am Herzen liegt? Muß das nicht ihren Mund voll Lodens, und ihre Zunge voll Rühmens machen?

Aber wie? mein Zuhörer, hast du auch etwas von dieser überschwenglichen Barmherzigkeit Gottes in deinem Herzen erfahren? Sie überhaupt glauben, davon zu reden wissen, schöne Sprüche davon aus der heiligen Schrift anführen können, o Geliebte! das macht die Sache noch nicht aus. Welcher Kranke wird deßwegen gesund, weil er von einem erfahrnen Arzt gehört hat, weil er einige Kräuter kennet, und ihre heilsamen Wirkungen erhebet? Ach! ohne Zueignung auf das Herz nützt die ganze Religion nichts. Sie ist ein gutes Korn auf einem Stein, und ein Licht unter einem Scheffel. Was nützt es mich, daß Jesus in die Welt gekommen, Sein Volk selig zu machen von den Sünden, wenn ich mich Ihm nicht unterwerfe, wenn ich in Sünden fortfahre? Was hilft es, daß mir Jesus Vergebung der Sünden durch Sein Blut erworben, wenn ich sie nicht bei Ihm suche? Umsonst glaube ich einen Gott, der immer Seine Hände ausbreitet, der den umkehrenden Sünder mit der größten, mit der zärtlichsten Liebe empfängt, wenn ich mich nicht an meinem Theil umkehre. Umsonst ist es für mich, daß Er den heiligen Geist geben will allen denen, die Ihn darum bitten, wenn ich nicht auch nach dieser Gabe meine Hände aufhebe. Ja! Gott, unser Heiland, mag sich noch so sehr nach Sündern umthun, Er mag noch so willig, noch so bereit sein zu helfen, Seine Erbarmung mag so groß, so Herrlich, so überfließend sein, als sie immer will; wir haben keinen Vortheil davon, wenn es uns nicht darum zu thun ist, daß sie sich an uns offenbare, wenn wir ihr den Zugang zu unserm Herzen versagen.

Warum sehe ich doch zur Rechten und zur Linken so wenige Menschen, die nach Gnade weinen? so wenige Asaphs und Davids, die um Erbarmung schreien? Sind sie denn nicht alle Sünder? brauchen sie nicht alle Gnade und Hülfe? Wissen sie etwa einen andern Weg, ein anderes Mittel ihrer Errettung? Sagt, Geliebte, warum sucht ihr Gottes Gnade nicht ernstlicher? Ja, wir haben's so übel nicht gemacht, sagt ihr, wir sind eben keine verlorne Söhne, keine Verschwender, keine Hurer; wir beten und lesen, und da wird's so übel nicht ausfallen. Wie? ihr habt's so übel nicht gemacht? Ihr, die ihr in Sünden empfangen und geboren? Ihr habt's so übel nicht gemacht? bei denen Völlerei nur nicht mehr für Sünde geachtet wird ! Habt ihr denn nicht auch die Gestalt, die andere Sünder von Natur haben? Könnt ihr das Leben hoffen, ohne in Jesu Christo zu sein? Je besser ihr euch vorkommt, je elender seid ihr. Ihr seid verblendet vom Fürsten der Finsterniß. Ihr seid gewohnt Böses zu thun, und daher kommt es, daß ihr's ohne Gefühl thun könnet. O wann werdet ihr dem Evangelio glauben? Wann wird das Pochen auf elende Werklein aufhören? Wann werdet ihr's lernen, daß jeder natürliche Mensch so wenig ohne Gnade könne selig werden, als der größte Bösewicht unter der Sonne? Wann werdet ihr von nichts als Gnade mehr wissen wollen? Wann werdet ihr als verlorne Sünder dem Lamme Gottes zu Füßen fallen, und die Geschenke Seiner ewigen Liebe annehmen? Ach der Geist unseres Gottes wirke doch dieses in euch! Menschliche Kräfte sind zu diesem Geschäfte viel zu untüchtig.

Vielleicht segnen sich andere in ihrem Herzen; sie sind böse auf die, welche die Rechtfertigung aus Gnaden aufheben wollen. Sie wollen ohne Verdienst selig werden. Es hat das Ansehen, als wollten sie recht sorgfältig auch nur den Schein vermeiden, daß. sie ihre Rechtfertigung durch gute Werke suchen; so leer sind sie davon. Sie wollen Böses thun, damit Gutes daraus erfolge. Ist nicht solcher Menschen Verdammniß gerecht? Heißt das nicht, den Reichthum der Geduld und Güte Gottes lästern, und den Rath der Gnade auf eine leichtfertige Art in ein Geheimniß her Sünde und Bosheit verwandeln?

Aber weil doch Gott so viel Erbarmung besitzt, so wollt ihr sie auf dem Todbette suchen und finden? Es wird nach euerer Meinung noch Zeit genug sein, wann ihr der Welt und euern Lüsten nicht wehr dienen könnet, dann nach den unsichtbaren Gütern zu trachten. O ihr Armen! habt ihr denn mit dem Tod und mit der Hölle einen Bund gemacht, kraft dessen 'sie euch nicht eher überfallen dürfen, als bis ihr eure Sache mit Gott in Richtigkeit gebracht? Du willst auf dem Todbette dich als ein bußfertiger Sünder nach Gnade und Erbarmung umsehen? Aber weißt du denn, ob du krank werdest? Kannst du nicht plötzlich sterben? Kannst du nicht durch einen Schlag oder durch einen Fall augenblicklich in die Ewigkeit versetzt werden? haben wir keine Exempel, daß Leute gesund an ihre Arbeit gegangen, und todt nach Hause getragen worden? Wie? wenn du auf diese Art sterben müßtest, wärst du nicht nach deinem eigenen Geständniß eine verlorne Seele? Doch wir wollen annehmen, du werdest zuerst mit einer Krankheit heimgesucht, ehe du den Weg alles Fleisches gehen mußt. Wie weißt du denn, daß dir diese Krankheit werde ertauben, deine Seelenkräfte zu sammeln, und auf dein ewiges Heil zudenken? Wie? wenn du von einer hitzigen Krankheit überfallen würdest, die dich deines Verstandes beraubt, die dich außer Stand setzte, dir eine einzige vernünftige Vorstellung zu machen? Wo bliebe dann dein Entschluß? Wärest du nicht unvermuthet in der Ewigkeit? Doch zugegeben, Gott lasse dir die Gnade wiederfahren, und greife dich mit einer solchen Krankheit an, wobei deine Seele frei denken kann, wenn es anders in irgend einer Krankheit möglich ist. Wie weißt du denn, daß das wirklich deine letzte Krankheit sein werde? Denn wie ich verstehe, willst du dich erst auf dem Todbette bekehren. Weißt du nicht, wie es gemeiniglich geht? Wie man's sich selbst sucht auszureden, es sei bei weitem noch nicht an dem, daß man sterben müsse? Wie viele sind, die noch eine Stunde, vielleicht wohl gar die Minute vor ihrem Ende sich bereden, sie werden wieder aufkommen? Wie wissen nicht die Anverwandten nach dem Gefallen des Kranken zu reden? Wie weiß man ihm nicht zu sagen, wie andere eben so krank gewesen, und doch in kurzem wieder hergestellt worden? Und so würdest du wieder viel zu spät inne werden, daß das wirklich die Zeit gewesen, da du hättest suchen sollen, selig zu werden. Doch wir wollen dir einräumen, so viel du willst. Wir wollen annehmen, du seiest von deinem herannahenden Ende so gewiß überzeugt, als wenn es dir Gott durch einen Engel hätte sagen lassen. Wie weißt du denn, daß du werdest Buße thun können? So ein bloßer Schrecken vor der Hölle ist noch keine Buße. Etwa eine erzwungene Thräne ist noch keine Bußthräne; ein Seufzer nach Gnade ist noch kein Suchen der Erbarmung Gottes. Du kannst ja jetzt nicht aus eigenen Kräften den Herrn aufrichtig suchen. Meinst du denn, es werde etwa dann möglicher werden, wenn du noch mehr Rührungen des heiligen Geistes unterdrückt, noch mehr gesündiget, noch mehr Schulden auf dich geladen und dein Herz noch unempfindlicher gemacht hast? Wahre Buße ist nicht der Menschen - sondern Gottes Werk. Er will sie in deiner Seele durch Sein Wort und Geist selbst wirken und hervorbringen. Er will sie durch getreuen Gebrauch der Gnadenmittel zu Stande bringen. Verachtest du diese, so bleibt Er gerecht, wenn Er dich in deinen Sünden sterben läßt, und dir die Buße zum Leben versagt, solltest du sie auch, wie Esau, mit Thränen suchen. Ich weiß wohl, ein reuender Sünder kommt nie zu spät; aber, aber die rechte Reue fehlt bei nur zu vielen. Ich fürchte gar sehr, der Entschluß: ich will mich auf . dem Todbette bekehren, sei mit etwas gelinden Worten eben so viel als: ich will mich nie bekehren. Es ist nicht weniger als eine Gotteslästerung; denn es liegt ja der abscheuliche Gedanke darin: ich will Gott beleidigen, so lang ich kann. Ich will die Gnade Jesu verschmähen, so lang ich lebe. Wer kann sich doch einen guten Ausgang von solchen Bosheiten versprechen? Ich weiß von keinem einzigen Menschen, dem es auf diese Art wohl ergangen. Und ob ich gleich nicht zweifle, daß Gott nicht noch an Einigen Wunder der Erbarmung kurz vor ihrem Ende gethan; so habe ich doch nie gehört, daß es an solchen geschehen, die ihre Bekehrung aus dem Grunde unterlassen hatten, weil sie geglaubt, daß in der Todesstunde noch Zeit genug sei. Es ist zu fürchten, solche Menschen müssen endlich die Wahrheit der Worte Christi an ihnen selbst erfahren: Weil ich denn rufe, und ihr weigert euch, ich recke meine Hand aus, und Niemand achtet darauf, und lasset fahren allen meinen Rath und wollet meiner Zucht nicht; so will ich auch lachen in euerm Unfall und eurer spotten, wenn da kommt, was ihr fürchtet. Dann werden sie mir rufen, aber ich werde nicht antworten: sie werden mich frühe suchen, und nicht finden (Sprüchw. 1,24). Oder wie es in einem alten Liede heißt:

„Wann er nicht mehr leben mag,
so hebt er an ein große Klag,
will sich erst Gott ergeben.
Ich fürcht fürwahr, die göttlich Gnad,
die er allzeit verspottet hat,
wird schwerlich ob ihm schweben.“

Wir sagen dieses nicht, um dich, bekümmertes Herz, zu erschrecken. Nein! dir, dem seine Sünden und Missethaten schwer machen, dir, dem es nicht um eine Freiheit, ungestraft zu sündigen, zu thun ist, der du vielmehr weinest und klagest, daß du so lange gesündiget, der du je eher je lieber von den Banden der Sünden, los werden möchtest, dir sagen wir im Namen des Herrn: dein Gott ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte. Er wird dir deine Bitten gewähren. Er wird deiner Seele Ruhe schaffen. Dir, ja dir wird Er helfen; ob gleich deine Missethaten über dein Haupt gehen, ob sie dir gleich wie eine schwere Last zu schwer werden. Deiner wird Er sich erbarmen, der du dich Seiner Erbarmung ganz unwürdig erkennest. Dein Heiland sieht weder auf Würdigkeit, noch auf Unwürdigkeit. Er gibt Seine Gaben Keinem wegen der ersten, und versagt sie Niemand wegen der letzten. Seine Hülfe ist lauter Erbarmen; je mehr du das brauchst, je reichlicher sollst du es haben. O bitte du nur recht viel von Ihm aus, Er versagt dir nichts. Erzähle Ihm nur dein Elend, verhehle Ihm von deinem Mangel nichts, Er wird für alles sorgen. Komme nur als ein Verlorner zu Ihm; du wirst bald erfahren, daß Er selbst der so zärtliche Vater sei.

Wie soll ich dem Herrn vergelten alle Seine Wohlthat, die Er an mir thut, ruft hier billig eine begnadigte Seele aus. Welche Gnade soll ich vornehmlich rühmen? Wo soll ich anfangen, da ich mich mit lauter Wundern der Erbarmung umringt sehe? Hat mich doch mein Gott schon von Ewigkeit erwählet; und wem soll ich das zuschreiben? Darf ich denken: Er habe an mir etwas besseres gefunden, als an andern? Er habe gesehen, daß ich williger, gehorsamer, dankbarer sein würde als andere meiner Nebenmenschen? Weg mit diesem stolzen Gedanken, den der Hochmuth auf die Bahn bringt! Ohne meines Gottes Gnade ist Abel wie Kam, Isaak -wie Ismael. Was könnte doch für ein Unterschied statt finden zwischen denen, die Kinder des Zorns sind, die des Ruhms ermangeln, den sie vor Gott haben sollen? Ich weiß gar keinen Grund, warum er mich erwählet, wenn Er nicht in Seiner Erbarmung liegt. Oder hat Ihn etwa mein, Glaube bewogen, mich hervorzuziehen? Aber ist nicht auch der eine Wirkung Seiner allmächtigen Stärke, und eine Frucht Seiner unverdienten Liebe? Ach Herr! immer fändest du nur Ursachen zur Verwerfung. Du hast mich erwählt, nicht weil ich schon angenehm war, sondern daß Du mich dazu machen möchtest; nicht weil ich dich verherrlichte, sondern damit ich etwas sein möchte zum Lobe deiner Herrlichkeit. Aus herzlichem Erbarmen bin ich schnöde Kreatur durch Christi Blut erkauft! Aus Erbarmen bin ich berufen; - ohne daß ich es im geringsten verdient, erleuchtete der Herr meine Seele; Er deckte mir mein Verderben auf, Er neigte mein Herz zur Wahrheit, Er zog mich zu meinem Erlöser, Er siegte über mein Widerstreben. Aus Barmherzigkeit bin ich gerechtfertiget; für Fluch ist mir Segen, für meine Blöße königliche Kleider, für den Tod das Leben, für die Verdammniß Seligkeit zu Theil geworden. Sein Erbarmen hat mich oft erquickt, seine Liebe hat mich gesättigt, ich weiß von nichts, als seine Gnade zu rühmen.

Wohlan denn! so denke daran, o Seele, daß alles nur Gnade ist, was du bist und hast. O wie wird mich dieser Gedanke unter Gott und Menschen demüthigen! Wie sorgfältig wird er dich nicht machen, alles zu vermeiden, was deinem Gott mißfällt! Wie aufmerksam auf das, was seinen heiligen Augen angenehm ist! Wie feurig im Gebet, wie brennend in seinem Dienste, wie ergeben in seinen heiligen Willen, wie beständig in deinem Christenthum! Unvermerkt kommt die Zeit deiner Heimholung; da bist du dann bei dem Vater, der dich durch seine große Gnade wiedergeboren hat zu einer unendlichen Herrlichkeit. Da bist du bei deinem Erlöser, der dich bis an's Ende geliebt, und dem du wieder im Glauben aus Liebe anhiengest, ob es gleich vor der Welt etwas darüber zu leiden gab. Da bist du bei deinem Tröster und Heiligmacher; da wirst du dich erst recht über Ihn und in Ihm freuen und fröhlich sein! Amen.

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