Harms, Theodor - Das Hohelied - Siebentes Capitel.

Harms, Theodor - Das Hohelied - Siebentes Capitel.

Gesang: Mein Jesus, süße Seelenlust -

Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter. Deine Lenden stehen gleich an einander, wie zwei Spangen, die des Meisters Hand gemacht hat. Dein Nabel ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Bauch ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen. Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Reb-Zwillinge. Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Thurm. Deine Augen sind wie Teiche zu Hesbon am Thor Bathrabbim. Deine Nase ist wie der Thurm auf Libanon, der gegen Damascus siehet. Dein Haupt steht auf dir, wie Carmel. Das Haar auf deinem Haupte ist wie der Purpur des Königes in Falten gebunden. Wie schön und lieblich bist du, du Liebe in Wollüsten. Deine Länge ist gleich einem Palmbaum, und deine Brüste den Weintrauben. Ich sprach: Ich muß auf den Palmbaum steigen, und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock, und deiner Nasen Geruch wie Aepfel. Und deine Kehle wie guter Wein, der meinem Freunde glatt eingebe, und rede von fernigem. Mein Freund ist mein, und Er hält sich auch zu mir. Komm, mein Freund, laß uns auf das Feld hinaus geben, und auf den Dörfern bleiben ; daß wir frühe aufstehen zu den Weinbergen, daß wir sehen, ob der Weinstock blühe und Augen gewonnen habe, ob die Granatäpfelbäume ausgeschlagen sind; da will ich Dir meine Brüste geben. Die Lilien geben den Geruch, und vor unserer Thür sind allerlei edle Früchte. Mein Freund, ich habe Dir beides heurige und fernige behalten.

Im siebenten Capitel wird uns die begnadigte Sünderseele beschrieben, wie sie fest geworden ist im Glauben, und durch die vielen Schwankungen so weit hindurch gedrungen, daß sie die Früchte bringt, die der HErr sucht. Das Christenleben besteht nicht in einem Gefühlsleben, sondern in der Festigkeit des Glaubens, und dazu kann der Christ nicht anders gelangen, als durch eine lange Reihe Erfahrungen, darin er die Weise des HErrn kennen lernt, und an sich selbst erfährt, daß dem HErrn Alles möglich ist, nur nicht das Eine, den armen Sünder zu verstoßen, der bei Ihm Gnade sucht. Jetzt, V. 1, nennt der HErr die Seele nicht mehr Meine Taube, Schwester, Freundin, Braut, jetzt nennt Er sie Fürstentochter, die ihrer königlichen Abstammung sich bewußt als Gotteskind einhergeht, im sichern Gang und königlichem Schmuck. Sie behauptet den Weg und verliert ihn nicht, der so schwer zu finden, und schwerer einzuhalten ist, den Weg der Nachfolge Christi; aber sie kennt ihn als ihre Aufgabe und ihr Kindesrecht. Mögen die Vornehmen der Welt im Nichtsthun und in der Bequemlichkeit ihren Genuß und ihre Ehre finden. Für die himmlische Fürstentochter ist die Arbeit im Reiche Gottes und der Wandel auf dem Dornenweg Ehre und Schmuck. In Fleiß und Treue arbeitet sie in Anstrengung aller ihrer Kräfte, und der Gang sichern Schrittes auf dem schmalen Wege führt sie in den Himmel. Die Himmelsschuhe zieht ihr der HErr selber an, und findet sie so schön in diesem Wandel. Er muß Alles thun, denn auf Ihn verläßt sie sich ja: Er muß nicht nur die Füße gehen machen; Er muß die Füße auch beschützen. Ja es ist ganz das Werk Seiner Gnade, daß sie so gerade und fest einhergeht, ein Meisterwerk, unantastbar für den Teufel. Aus der Zusammenstellung der Bilder dieses Verses ergiebt sich so klar, daß die Vergleiche geistlich zu fassen sind. Wenn so eine irdische Schönheit beschrieben wäre, dann stände ein Zerrbild vor unsern Augen; aber für eine geistliche Schönheit paßt diese Zusammenstellung Zug für Zug. Mit V. 2 will uns der heilige Geist sagen, daß eine solche Fürstentochter Andern eine geistliche Mutter wird, daß Viele durch sie bekehrt werden von der Finsterniß zum Licht. Nur wer fest im Glauben gegründet ist, kann rechte Kinder zeugen, geboren wie der Thau aus der Morgenröthe. Solche Fürstentöchter sind vor Allem berufen, dem HErrn Seelen zuzuführen; das ist ihre Herrlichkeit und ihr Ziel, was der Teufel ihnen so gerne entreißen möchte. Sie sind fruchtbar, dem HErrn Blumen und Pflanzen in Seinen Paradiesesgarten zu säen. Das Sinnbild des Trostes in V. 3 haben wir schon früher kennen lernen. Zum rechten Trösten angefochtener Seelen sind solche feste erfahrene Christen besonders berufen, und selbst der HErr Christus, der so viel traurige Erfahrungen an Seinen erlösten Kindern machen muß, der tröstet sich an dem festen Gang Seiner Fürstentöchter. V. 4 spricht uns von der Wehrhaftigkeit eines im Glauben gegründeten, erfahrenen Christen. Der ist nicht nur eine geistliche Mutter und ein Tröster, er ist auch der rechte Streiter; muthigen Widerstand leistet er der Welt und dem Teufel durch Gebet und festes Zeugniß im Wort und Wandel. Früher pries der HErr auch Sulamiths Augen, und verglich sie mit Taubenaugen; jetzt mit den Teichen zu Hesbon, d. h. sinnreiches Werk. Bathrabbim heißt: Da Viele aus- und eingehen. Der große Werkmeister HErr Jesu Christo hat Sein Wert und Werkzeug so tief gegründet, daß viele Menschen in solches Auge hinein schauen sollen, und durch solchen Blick belebt und gestärkt werden. Eine solche Macht über die Seelen Anderer ist die Schönheit eines wahren Christen, und alle rechten Christen haben schöne Augen, denn daraus leuchtet Gottes klarer Friede. Schön ist immer der Blick eines Gotteslindes, eine klare Spiegelung der Seele, wenn auch das Auge nicht nach den Regeln irdischer Schönheit geformt ist. - Welch unschönes Bild wäre auch der Thurm auf Libanon für die Nase einer irdischen Schönheit! Es war der Wachtthurm der Kinder Israels gegen ihre Erbfeinde, die Syrer, der Thurm, von dem aus sie weit hinaussehen konnten, um schon von fern die Annäherung der Feinde aufzuspüren. Ein in so festem Glauben gegründeter Christ hat einen sehr fein ausgebildeten Sinn, und wittert so zu sagen, an leisen Anzeichen, wo der HErr Christus und wo der Teufel hinaus will. Auch darin ist er ein Abglanz von Seinem Meister, von dem Jesaias sagt Cap. 11, 3: Sein Riechen ist in der Furcht des HErrn. Das christliche Wahrnehmungs- und Ahnungsvermögen steigert sich mit dem Wachsthum des inwendigen Menschen; es zeigt sich in der Witterung, ob der Teufel in der Luft ist; man riecht es: bald wirds losbrechen. Dies feine Wahrnehmungsvermögen zeigt sich auch im Gebetsverkehr; man ahnt, daß man erhört wird, und wird eben darum erhört. So steht der Christ hoch auf Libanon, weit über Welt und Teufel, sein Haupt, V. 5, auf ihm wie Carmel. Die Bedeutung der Haare haben wir uns schon an den Nasiräern erklärt; sie stellen die christlichen Tugenden und Eigenschaften dar: Demuth, Keuschheit, Rechtschaffenheit und dergleichen, die von dem Christen herabwallen gleich den Purpurfalten eines königlichen Mantels. - So steht nun die Seele da, als ein rechter Nachfolger Christi, als geistliche Mutter, als Tröster, als Streiter. Kein Wunder darum, daß es heißt V. 6. Das sagt der HErr zu ihr, die Er würdig gefunden hat, einzugehen zu Herrlichkeit und Ehren. Sie ist sich Seiner Liebe wohl bewußt, und die Lieblosungen, die sie Ihm erwiedert, sind die Werke, wodurch sie ihre Liebe zeigt, denn sie bringt v. 7 und 8 die Früchte, die der HErr sucht. Er kommt alle Tage zu Seinen Kindern, Seine Früchte zu suchen. Wehe dem Christen, wo Er keine findet, wenn Er kommt, auf Seinen Palmbaum zu steigen; wehe, wenn ein Tag vergeht, wo Er Sich nicht über Seine Braut gefreut hat. , Ais edlen Wein, V. 9, betrachtet der HErr, was aus dem Munde Seiner Geliebten kommt: das Gebet und das Zeugniß. Der fernige ist der alte Wein, und das Alte, Bewährte ist auch immer besser, als das Neue. So eine feste, im Glauben gegründete Seele ist zu vergleichen dem Hausvater, der aus seinem Schatz Altes und Neues hervorbringt, gebaut auf dem alten, festen, prophetischen Wort. Wenn der Christ das wiedergiebt, was sein HErr und Meister in ihm gewirkt hat, das ist Ihm lieb und werth. - So beschreibt der HErr Seine Auserwählte. Auf diese Liebesversicherungen antwortet die Seele nun V. 10 viel ruhiger und kühler als früher, da sie im Uebermaaß der Gefühle überschwänglich war, sowohl in der Freude, wenn sie den HErrn hielt, wie in den Schmerz, wenn sie Ihn verloren hatte. Jetzt gegründet, erfahren, klar sieht sie Seine Liebe, und erfreut sich ihrer in Stille des Herzens. Man denkt so gerne zurück an die Zeiten der ersten jungen Liebe, da man den HErrn kennen lernte, aber es ist viel unlauteres Wesen darin, und kann sich darum nicht halten; die Liebe muß kräftiger werden. Das Verhältniß der Christenseele mit dem HErrn ist dem irdischen Ehestand zu vergleichen. Zuerst ist die Liebe über alles Maaß hinaus: man glaubt, den Himmel auf Erden zu besitzen. Das sind die Flitterwochen. Wenn alt und grau, dann ist man ruhiger und klarer geworden, und es scheint, als ob die Liebe erkaltet sei, aber sie ist viel tiefer und fester geworden. So geht es uns auch mit der Liebe zum HErrn Jesu. Wenn die Flitterwochen vorüber, und man hat deß HErrn Weise kennen lernen im Kreuz und in der Anfechtung, hat Seine treue Hand in Seiner scheinbaren Rauheit gefühlt, dann ist die Liebe viel brünstiger als im Anfang, aber auch viel nüchterner und besonnener. Dann sagt man ruhig V. 10, und das ist auch genug. Es ist uns felsenfest gewiß : Er bleibt uns zur Seite. V. 11 ist die Bitte der begnadigten Seele zum HErrn Christus, Er möge sich mit ihr aus dem Getümmel der Welt in die Einsamkeit zurückziehen. Das ist immer die Sprache der ruhig und fest glaubenden Seele: sie sehnt sich, in der Einsamkeit ihren geliebten HErrn zu genießen. Es ist unmöglich, sich Seiner vollständig in der Oeffentlichkeit zu erfreuen, denn selbst kein Gläubiger versteht den andern in seiner eigenthümlichen Liebe; jede Seele liebt den HErrn in ihrer besondern Weise, und einer jeden giebt Er sich ganz besonders. Man ist so gern mit seinem Heiland allein; man hat Ihm so Vieles allein zu sagen, das Kämmerlein ist so viel werth, wo Alles fern ist, was die innige Gemeinschaft der Liebe trüben kann. Dann wenn Niemand zuhört und zusieht, erfährt man erst recht des HErrn Liebesbeweise. Darum geht das Streben eines rechten Christen oft nach der Einsamkeit, gleichsam um recht genau zuzusehn, wie es V. 12 mit den Früchten des Geistes steht. Dann liebkost man den HErrn am meisten, wenn man Ihm V. 13 die Liebeworte, die Liebesfrüchte bringt, die Er wirket, die eigentlich Niemand schenken, riechen und brechen kann, als Er Selbst, dem Alles gehört, die Seele und ihre Früchte. - So beschreibt uns der heilige Geist die herrliche Gemeinschaft des HErrn mit der begnadigten Sünderseele, nach vielen Enttäuschungen des Gefühls und mancherlei Verirrungen, bis sie endlich fest geworden ist im Glauben und in der Liebe. So gehet es fort, immer nach oben, von einer Stufe auf die andere, von einer Erfahrung zur andern. Das Hohelied schildert uns aber nur die Liebe, wie sie auf Erden ist. Darum erzählt es nur von dem Brautstand; von der Hochzeit, die im Himmel erst gefeiert wird, ist nichts gesagt. Es hält uns einen Spiegel vor, damit wir uns fragen, bis zu welchem Grade der Innewohnung des HErrn wir gekommen sind, ob wir mit Sulamith fortschreiten von einer Stufe zur andern. In solchem Wachsen besteht das wahre Christenthum.

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