Harms, Theodor - Das Hohelied - Viertes Kapitel

Harms, Theodor - Das Hohelied - Viertes Kapitel

Vers 1-6

Siehe, Meine Freundin, du bist schön, siehe schön bist du. Deine Augen sind wie Taugenbaugen zwischen deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie die Ziegenheerden, die beschoren sind, auf dem Berge Gilead. Deine Zähne sind wie die Heerden mit beschnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge tragen, und ist keines unter ihnen unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur, und deine Rede lieblich. Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen. Dein Hals ist wie der Thurm Davids mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hängen und allerlei Waffen der Starken. Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden. Bis der Tag kühl werde, und der Schatten weiche, ich will zum Myrrhenberge gehen, und zum Weihrauchhügel.

Heute wird uns nun die Braut beschrieben, und wir erkennen aus dieser Schilderung, wie freundlich der HErr Christus die Sünderseele ansieht, die Er mit Seinem Blute rein gewaschen, und der Er den Ring der Treue angesteckt hat. Er sieht nur Schönes, wo wir nur Gräuel sehen, wenn wir offene Augen haben; Er sieht in uns nur Sein eigen Bild, wonach Er ursprünglich die Menschen schuf, und was Er in der Erlösung wunderbar erneuert hat. Je gräulicher Sulamith ihren eignen Schmutz sieht, je mehr strahlt ihre Reinheit, je mehr steht sie vor ihres himmlischen Bräutigams Liebesaugen in göttlicher Zier. Nun preist Er sie im Einzelnen, V. 1. Auch weltliche Dichter, wenn sie die Augen eines Mädchens besingen, brauchen das Bild der Taube, denn aus den Augen der Taube leuchtet ein Dreifaches: Liebe, Sanftmuth und Einfalt, aber diese Eigenschaften besitzt keine natürliche Schönheit. Liebe, Sanftmuth und Einfalt können nur aus dem Glauben kommen, und hat der Glaube sie gewirkt, dann leuchten sie durch den Blick, denn das Auge ist der Spiegel der Seele; sie leuchten zwischen den Lockenflechten, d. h. zwischen den himmlischen Tugenden, von denen sie umgeben sind. -

Die nächsten Worte heißen eigentlich: „Die Ziegenheerden, die geweidet haben“. Das weiche lange Haar ist eine Hauptzierde des Hauptes, und mit Recht bewundert an einer irdischen Schönheit. Wir können uns die Bedeutung des Haares in der Schönheit des geistlichen Menschen nicht besser erklären, als durch die Nasiräer, bei denen das lang gewachsene Haar, als die Blüthe und Schönheit der Lebenskraft, ein Zeichen war, daß der, welcher es trug, ein dem HErrn Geweihter war, sich mit ihm verlobt hatte in der Salbung des heiligen Geistes. So ist Christi Braut geist- und lebensvoll in der Weihe des heiligen Geistes. V. 2. ist ein wunderliches Bild, und es scheint kein Zug zu passen, und doch erklärt es sich, wenn wir den nächsten Vers mit dazu nehmen, denn Zähne und Lippen gehören zusammen, und bilden die Worte, die liebliche Rede, die allezeit fruchtbar und wirksam ist. Die geistlichen Zähne und Lippen sind wundersam und ein Geisteswort kommt nie leer zurück. Wie wenig Kraft die natürliche Rede hat, das bilden schon die natürlichen Zähne ab, die meistens verfault und nicht zu vergleichen sind mit der reingewaschenen gleichmäßigen Heerde. Wie der HErr hier Seine Braut preist, so versteht auch der feingeschnittene geistliche Mund der Braut ihren Geliebten in der rechten Weise zu preisen, daß ihre Rede voll Weisheit Ihm auch andere Seelen gewinnt. Der HErr Christus sieht auch mit Wohlgefallen in den frischen, vollen, rothen Wangen Seiner Braut die Fülle der Jugend. Nur das Irdische altert; die begnadigte Sünderseele blüht in ewiger Jugend. Von dieser geistlichen ewigen Jugend scheinen die alten Griechen eine Ahnung gehabt zu haben, da sie ihre Götter und Göttinnen als Jünglinge und Jungfrauen darstellten. Die Sünde ist es, die alt macht, die göttliche Liebe aber die erhaltende Macht.

V. 4. giebt uns ein ganz anders Bild von einer geistlichen Schönheit, als irdische Dichte wählen würden; es ist die geistliche Waffenrüstung, die uns Epheser 6 genauer beschrieben wird, und wohl ist eine Braut Christi herrlich so gerüstet.

Die Brust, V. 5, bedeutet in der Schrift immer den göttlichen Trost, woran sich die Seele satt saugen kann. Wohl bietet die Kirche den geängsteten Herzen Trost durch die lautere Milch des Evangeliums, aber in jedem lebendigen Zeugniß, was eine begnadigte Sünderseele ablegt, geht dieser Trost auch von ihr aus. Viele Christen können wirksam Andern predigen, aber Trost bringen kann nur, wer selber tief in den Anfechtungen gesteckt und selber trostlose Zustände erfahren hat. Darum bittet den HErrn, daß ihr es in der Schulde der Erfahrung lernt, Andere trösten zu können.

Nun zum Schluß. V. 6, spricht Sulamith; es ist ihre Antwort auf des HErrn Lobpreisungen, und das muß auch unsere Antwort sein, wenn der HErr in uns Sein Bild sieht. Wer unter uns glauben kann, daß er ein begnadigter Sünder ist, der darf des HErrn Wohlgefallen auch auf sich anwenden; aber unsere Antwort darauf kann nur sein: Bis der Tag kühl werde und der Schatten weiche, d.h. mein ganzes Leben lang bis zum seligen Ende, habe ich, o HErr, im Bewußtsein meiner Armseligkeit kein anderes Begehr, als in Buße auf dem Myrrhenberge immer demüthiger und geringer zu werden, immer mehr mich zu vertiefen in mein Sündenelend; habe kein anderes Begehr, als auf dem Weihrauchshügel des Gebets es inbrünstig von Dir zu erbitten, daß Du mich immer von neuem schmücken mögest. Amen.

Vers 7-17.

Du bist allerdings schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an dir. Komm, meine Braut, vom Libanon, komm vom Libanon. Gehe herein; tritt her von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden. Du hast Mir das Herz genommen, Meine Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer. Wie schön sind deine Brüste, meine Schwester, liebe Braut! Deine Brüste sind lieblicher, denn Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Würze. Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim; Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanons. Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener #Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. Dein Gewächs ist mir ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edeln Früchten, Cypern mit Narden, Narden mit Safran, Kalmus und Cinnanen, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloen, mit allen besten Würzen; wie ein Gartenbrunnen, wie ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon fließen. Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, daß seine Würze triefen. Mein Freund komme in seinen Garten und esse Seiner edlen Früchte.

Wir haben die Anstalten zur ewigen Hochzeit des HErrn Christus mit der begnadigten Sünderseele betrachtet, haben gesehen, wie hier auf Erden nur die Verlobung stattfindet, und wie der HErr Seine Braut uns darstellt. Si, beschämt ob solcher Ehre, antwortet darauf V. 6, daß sie den ganzen Tag lang nichts will, als in Buße und Gebet Seiner würdig werden. - Sie hat wohl Ursache, stolz zu sein, daß Er sich so weit herabläßt, sie V. 7 Seine Freundin zu nennen, und sie ist allerdings d. h. durchaus schön. Die Sünde ist es ja, die häßlich macht, wie der Teufel die Häßlichkeit in Person ist, und Adam und Eva waren in vollendeter Schönheit geschaffen, nach Leib und Seele. Aber von noch mehr himmlischer Schöne, ganz fleckenlos ist eine Braut Christi, denn Christi Blut ist das höchste Schönheitsmittel. In den Anklagen unsers eignen Herzens ist es ein großer Trost für uns, daß uns der HErr fleckenlos findet, und wir wollen uns zu unserm Frieden mehr auf das erlassen, was Er sagt, als auf unser eignes Urtheil. Der HErr geht noch weiter und nennt Seine Freundin nun zum ersten Mal Seine Braut. Er hat in der Verlobung ihr den Brautring als Unterpfand Seiner Treue an den Finger gesteckt, und ihr das köstliches Herz. Das ist uns ein köstliches, wunderwerthes Unterpfand, wenn in unserm Sündenjammer uns Zweifel aufsteigen, ob der heilige gerechte HErr uns Barmherzigkeit widerfahren lassen könne. In V. 8, wo die verschiedenen Höhen des Libanon genannt werden, heißt es eigentlich: komm mit, Meine Braut. Der HErr will damit sagen, daß Seine ihm Vertraute nun mit Ihm ziehn soll durch die Wüste dieser Welt, durch die Höhen und Tiefen des Glaubenslebens, fest mit ihrer Glaubenshand Seine Gnadenhand fassend. Dieser himmlische Brautzug bleibt aber meistens auf den Höhen, denn Noth und Jammer kommt nicht vom HErrn. Wie kann der Bräutigam Seiner so geliebten Braut Leides zufügen! Er wischt ihr nur liebevoll die Thränen aus den Augen. Und wenn Er ihr die Wanderung durch dies Erdenleben schon so leicht macht, wie sicher wird Er ihr nicht durch die Sterbestunde helfen, wo Er sie an den Traualtar führt. V. 9 spricht der HErr Christus so recht Seine herzinnige Freude aus, daß der heilige Geist Sein Werk in ihr hat, so daß ihr eignes sündvolles Wesen nicht zu sehen ist. Es heißt eigentlich: Jedes deiner Augen und jede deiner Halsketten. Kinder, wenn sie ihr eigen Bild in eines Andern Augen sich widerspiegeln sehen, sagen wohl lieblicher Weise: In deinen Augen ist ein Engel. So sieht der HErr aus den Augen der Sulamith Sein eigen Bild wiederstrahlen und leuchten, in den Halsketten ihres Heilsgeschmeides Sein eigen Werk, und Sein Herz fließt über vor Liebe und Freude, daß eine Seele aus der Wüste dieser Welt in die himmlische Seligkeit hinein gerettet wird. V. 10. Hier und gerade hier nennt der HErr so schön die Sulamith zugleich Seine Schwester. Der Prophet Jesaias nennt die Brust ein Quell des Trostes, und wir begreifen wohl, wie eine begnadigte Sünderseele andern Sündern ein Trostesquell sein kann, aber wie kann sie des HErrn Trost sein? Dies Bild läßt uns einen Blick thun in des HErrn Jesu tiefes Herz. Wenn Eltern viele Kinder haben, wovon die meisten ungerathen, so sind die wenigen frommen Kinder ihr Trost, wie Joseph und Benjamin des alten Jakobs Herzenstrost waren. So sind auch die meisten Menschen des HErrn ungerathene Kinder, die ihm nur Herzeleid machen, aber die Frommen sind Sein Trost, und erquicken Sein Herz. In denen, die treu bleiben bis zum Tode, duftet in köstlichem Weihrauch der heilige Geist, und bringt die Früchte, die der Herr sucht. Auf den Lippen Seiner Braut findet der HErr V. 11 das reine lautere Gotteswort, denn was ist das Gebet anders, als das Evangelium, was die begnadigte Seele in sich aufgenommen und verarbeitet hat, wie die Biene den Honig und die Kuh das nahrhafte Gras; die Kleider Seiner Braut duften dem HErrn, dieser Rock Seiner eignen Gerechtigkeit, darum im Himmel bedarf es keiner Blumen mehr, die uns hier so lieblich duften: dies Kleid übertrifft sie alle in seiner herrlichen Würze. Des HErrn Braut, V. 12, muß zugleich Seine Schwester sein aus zweierlei Gründen: erstens weil der HErr Christus als unser Bruder Fleisch und Blut angenommen und menschlich Natur und Wesen, und dann, weil auch die erlösete wiedergeborne Seele göttlicher Natur theilhaftig geworden ist. Man fragt mit Recht: Was nützt aber ein Garten und eine Quelle, wenn sie verschlossen sind? Die Braut liebt nur ihren himmlischen Bräutigam, lebt nur für Ihn; verschlossen ist sie für jeden Andern. Nicht die uneingeweihten, neugierigen, sündigen Menschen läßt sie hineinblicken in ihr reiches Liebesleben, der Welt ist sie verschlossen, Arbeiten mag sie für die Menschen, die ihr fremd sind, aber ihr Herz steht nur offen für den Einen. V. 13 wird uns beschrieben, was Alles in diesem Herzen wächst an Tugenden, herrliche Gnadengaben, die der heilige Geist wirkt, die Keuschheit an der Spitze, und da werden uns alle die Pflanzen genannt, aus denen das Salböl und der Weihrauch des alten Testaments bereitet wurden. All dies Gewächs sprießt hervor, V. 15,, vom heiligen Geist getrieben, das nie aufhört zu grünen und zu blühen. Er schafft einen neuen Paradiesesgarten in jeder begnadigten Seele, nachdem der alte durch die Sünde verloren ist. - So beschreibt der HErr Christus Seine Braut. Was soll sie antworten? soll sie stolz und eitel werden? Es erfolgt V. 16. von ihrer Seite eine ähnliche Antwort auf Seine Lobpreisungen, wie V. 6. Der Südwind hat die Aufgabe, den Blüthenduft zu wecken, der Nordwind, den Blüthenstaub zu zerstreuen, überall hin befruchtend. Es ist der Leidens- und der Freudenwind, der abwechselnd den Paradiesesgarten heimsucht. Bei beständigem dürren Sonnenschein schließen sich die Blüthenkelche zu, und versagen ihren Duft; der Garten würde bald von der Sonne verbrannt werden, wenn der Nordwind ihn nicht durchschüttelte und begösse. Aber wieder lauter Nordwind würde die Blumen bald knicken und erstarren. Darum gleichen Nord- und Südwind sich aus im Paradiesesgarten des Herzens, und schaffen durch ihr Zusammenwirken, daß nichts darinnen verderbe. So bittet nun Sulamith V. 16. daß was ihr im Herzen lebt, zu Gottes Ehre darinnen grünen und blühen, und V. 17 der HErr lustwandeln möge in Seinem Eigenthum, in meinem Garten, in Seinem Garten. Weiter begehren wir nichts, als daß Er nicht von uns weiche, und so in uns ruhen möge, daß Er unser genieße, und wir Seiner. Amen.

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