Harms, Theodor - Des Christen Himmelsreise - Fünf Predigten gehalten in den Betstunden vor Pfingsten - II. Von den Beschwerden der Himmelsreise.

Harms, Theodor - Des Christen Himmelsreise - Fünf Predigten gehalten in den Betstunden vor Pfingsten - II. Von den Beschwerden der Himmelsreise.

Die Gnade unsers HErrn und HEilandes JEsu Christi, die Liebe GOttes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Lasst uns beten: Lieber HErr und HEiland JEsu Christe, Du Erzhirt und Hoherpriester unsrer Seelen, wir danken Dir, dass Du uns Deine Schäflein auf's Neue auf die grüne Au Deines Wortes und zu den lebendigen Wasserbrunnen Deines Heiligen Geistes führen willst. Gib, dass wir als Deine getreuen, folgsamen Schäflein Dir unserm HErrn nachgehen. Lass uns essen von der Himmelskost, die Du auch heute Abend uns geben willst, auf dass wir gestärkt und gekräftigt werden an dem inwendigen Menschen. Wir danken Dir, dass Du uns aufs Neue zeigst, wie lieb Du uns hast, der Du nicht willst den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Nun, lieber HErr JEsu, so stärke uns auch heute Abend, dass wir mit frischem Mut und mit unermüdlicher Ausdauer unsre Himmelsreise fortsetzen. Du kannst und willst uns ja die Stärkung geben, die so kräftig ist, dass wir das Ziel erreichen können, wenn wir Dir und Deinem heiligen Geist folgen; so sei Du nun stark in unsrer Schwachheit und lass uns immer mehr erfahren, was Dein Knecht Paulus erfahren hat: „Wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ Nun, lieber HErr JEsu Christe, lass Dein Wort an uns Allen gesegnet sein und gib uns dazu die Gabe Deines Heiligen Geistes um Deines teuren Namens willen. Amen.

Vernehmt das Wort unsers GOttes, wie es geschrieben steht in der 2. Epistel St. Pauli an die Korinther, im 7. Kapitel, im 5. Vers:
Allenthalben waren wir in Trübsal, auswendig Streit, inwendig Furcht.

In diesen kurzen, inhaltreichen Worten beschreibt uns der Apostel die Beschwerden der Himmelsreise, die wir heute Abend betrachten wollen. Wenn wir am Ende unsrer Pilgerfahrt stehen und zurückschauen, so werden wir mit dem Apostel sagen müssen: „Allenthalben waren wir in Trübsal, auswendig Streit, inwendig Furcht.“ Darin bestehen die Beschwerden der Himmelsreise. Wir wollen nun, so viel uns GOtt Gnade gibt, nach Anleitung unsers Textes handeln

Von den Beschwerden der Himmelsreise,

  1. auswendig Streit,
  2. inwendig Furcht.

1. Auswendig Streit.

Wenn der Christ der Welt den Rücken kehrt und seine Reise nach dem Himmel antritt, dann geschieht es unter viel Spott und Hohn von Seiten der Weltkinder, und das dauert bis an's Ende der Reise. Namentlich zu Anfang ist der Spott sehr arg; denn sie können es nicht begreifen, wie ein Mensch, der bisher mit ihnen in Gemeinschaft gelebt und sich mit ihnen gefreut hat, nun mit einem Mal ganz anders wird. Da sagen sie: „Der Mensch kommt zu weit, er wird verrückt oder ist es schon.“ So belegen sie ihn mit allerlei Schimpfnamen und sagen: „Es ist ein Beter, ein Mucker.“ Vergleichen sie sein jetziges Wesen mit dem früheren, so sagen sie: „Er ist ganz überspannt, er macht's zu arg. Wir gehen doch auch zur Kirche, - er aber geht zur Kirche, so oft er nur loskommen kann; das ist übertrieben. Wir beten doch auch Morgens und Abends, er aber betet den ganzen Tag; wir beten doch auch bei Tisch, wie wir gewohnt sind, er aber steht beim Gebet und fängt damit ganz neue Moden an; im Kämmerlein kniet er sogar. Das ist zu arg. Wir gehen freilich in's Wirtshaus, sind aber da ganz anständig und besaufen uns nicht; er aber hält es für Unrecht, in's Wirtshaus zu gehen. Wir gehen auch auf den Tanzboden, und wenn es da anständig hergeht, ist es auch kein Unrecht. Dieser aber erklärt Alles für Unrecht, das Tanzen und Kartenspielen, was er doch früher selbst mitgemacht hat. Er ist ein hochmütiger Patron, er will einen Himmel für sich allein haben und ist doch nicht besser, als wir. Er ist ein Mensch, der nur Verachtung, Hohn und Spott verdient.“

Was tut nun der Christ auf seiner Himmelsreise? Er kümmert sich um allen Spott und Hohn gar nicht. Anfangs freilich tut es ihm sehr weh, namentlich wenn der Spott aus dem Mund derer kommt, die ihm nahe stehen, vielleicht aus dem Mund seiner nächsten Freunde und Verwandten. Aber er weiß ja, dass es dem HErrn und den heiligen Aposteln nicht anders ergangen ist, und dass es einem Christen, der sich von der Welt los gemacht hat, nicht anders gehen kann. - Er geht unbekümmert weiter. Am Ende lacht er wohl gar über den Spott und Hohn. So muss es auch sein, meine Lieben. Ein Himmelspilger hat das sehnliche Verlangen nach Hause. Der Himmel ist sein Ziel, und so sieht er das Leben nur als einen Durchgang an. Es geht ihm, wie einem Wandersmann, der durch Stadt und Dorf geht. Der freut sich, wenn ein Mann freundlich gegen ihn ist; aber er bekümmert sich nicht darum, wenn Einer grob gegen ihn ist, oder wenn böse Buben mit Steinen nach ihm werfen, oder wenn ihn Hunde anfallen. Er denkt in seinem Herzen: Du bleibst ja nicht hier; wenn du zu Hause bist, wird Alles besser. Da versüßt das Gefühl, zu Hause zu kommen, alles Bittere der Reise. So hat ein Christ von den Kindern der Welt nichts Anderes zu erwarten, als Feindschaft, Spott, Hohn und Verfolgung. Wenn sie's könnten, würden sie ihn an den ersten besten Baum hängen.

Aber die Drohungen der Weltfinder sind lange nicht so gefährlich und beschwerlich, als ihre Lockungen, womit sie den Himmelspilger zu verführen suchen, dass er wieder abgehe von dem Lebensweg. Da bieten sie alles Mögliche auf, ihn zu verführen, und es gelingt ihnen bei Vielen, die da noch nicht tief gewurzelt sind im Christentum. Die fallen wieder ab und werden dann zwiefältig ein Kind der Hölle; und so wird es mit ihnen weit schlimmer, als vorher. Der Teufel ist Meister im Verlocken, und das Schlimmste ist und bleibt immer das, dass der Christ das eigene böse Herz auch auf den schmalen Weg mitnehmen muss. Ja, wenn er den alten Adam hätte draußen lassen können vor der Pforte, dann wäre es ihm wohl leichter geworden, auf dem Himmelsweg zu bleiben; aber nun muss er sich mit ihm herumschleppen sein ganzes Leben lang. Das Herz ist ja selbst ein Stück Welt, und der Christ hat genug Last damit, das Fleisch zu dämpfen durch die Macht der Gnade, durch inbrünstiges Gebet.

Das Merkwürdigste auf der Himmelsreise ist das: Sowie der Christ durch die enge Pforte hindurchgekommen ist und Gnade und Frieden gefunden hat und nun wandeln soll auf dem schmalen Weg, legt ihm der liebe HErr das Kreuz auf. Warum tut Er das? Seht, meine Lieben, das Kreuz ist ja das Zeichen oder die Signatur des Christen. Ein Christ muss von den Engeln und den Menschen erkannt werden. Aber es ist das Kreuz auch ein Zeichen der Liebe und Erbarmung GOttes; und es muss ihm ein solches Liebeszeichen, das allezeit bleibt, aufgeprägt werden, damit er sich dessen bewusst sei und bleibe, dass der HErr Christus ihn lieb habe und ihn begleite auf dem Lebensweg. Das Kreuz ist nicht leicht, sondern drückt immer, wie es auch den heiligen Leib des HErrn JEsu gedrückt hat, also dass Er's nicht tragen konnte. So schwer aber legt es der HErr Christus Keinem auf, dass er's nicht tragen könnte. Das schwerste Ende trägt der HErr immer Selbst; ja, wenn man's genau bedenkt, so trägt der HErr Christus den Kreuzträger selbst und damit auch sein Kreuz. Aber weh tut das Kreuz immer, und es wird nicht leichter, sondern immer schwerer, je länger man wandert. Das kommt daher, weil die Schultern immer stärker werden. Glaube und Kreuz müssen immer im richtigen Verhältnis zu einander stehen. Dies richtige Verhältnis kennt aber nur der HErr. Freilich drückt das Kreuz nur den alten Adam, nicht den inwendigen Menschen. Je mehr der unter dem Kreuz steht, desto freier wird er, und dieser Druck des Kreuzes ist ein ganz besonderer Segen. Deshalb kann der Christ das Kreuz gar nicht entbehren, und wenn es ihm auch der liebe HErr bisweilen einmal abnimmt, damit er sich einmal verschnauben kann, so legt Er's ihm bald wieder auf. So ist es denn dem Himmelspilger ein lieber Reisegefährte.

Manchmal wird ihm freilich das Kreuz zu schwer, aber das kommt ihm nur so vor; der HErr hilft es ja tragen, und jener fromme Mann hat Recht, wenn er sagt: „Wenn der liebe HErr alles Kreuz der Seinigen und dein eigenes dabei legte, und du solltest wählen, so würdest du dich gewiss nicht lange besinnen und gar bald wieder zu dem Kreuz greifen, das der HErr Christus dir auflegt; denn es ist ja Seine Liebe und Treue, die es dir auflegt.“ - So nimmt denn der liebe HErr an den Schultern das Maß und legt danach das liebe Kreuz auf.

Aber macht denn der HErr Christus damit nicht unsre Pilgerreise sauer? Nein, durchaus nicht. Er macht unter dem Kreuz unsre Kraft so stark, dass wir nicht allein Kraft haben, das Kreuz zu tragen, sondern auch weiter zu pilgern. So stärkt denn das Kreuz unsre Kraft, die Kraft des Glaubens. Das merkt ein Christ bald, dass der HErr ihm das Leben nicht sauer macht, sondern leicht. Der Christ soll mit des HErrn Hilfe von Sorgen und Sünden frei werden, damit er seinem HEiland umso treuer diene. Die Menschen machen sich selbst das Leben sauer, der HErr Christus tut es nicht. So musst du denn nun als Himmelspilger das Kreuz tragen; tue es gern und willig und denke fest: Wie der HErr Christus es mir auflegt, so muss ich's tragen; es geht nicht anders. Der HErr Christus weiß besser, als du, wie dein Kreuz beschaffen sein muss. Wenn dein Kreuz so sehr leicht ist, also dass du dahin gehst, als hättest du Nichts zu tragen, so magst du dich wohl prüfen, ob du wirklich noch auf der Pilgerreise nach Zion wanderst. Du erfährst da vielleicht starke Bedenken vom heiligen Geist und von deinem Gewissen.

Wenn unser Text sagt: „Allenthalben waren wir in Trübsal, auswendig Streit, inwendig Furcht,“, so müssen wir fragen: Was ist das für ein Streit, dem ein Christ auf seiner Pilgerreise begegnet? Es ist ein gar ernster und schwerer Streit. Da sind es vornehmlich drei Feinde, mit denen er zu kämpfen hat. Also Einer gegen Drei, und die Drei sind so mächtig, stark und groß, dass dem Christen der Sieg unmöglich scheint.

Ich will bei dem Geringsten von den drei Feinden anfangen. Das ist die Welt. So lange ein Christ auf Erden ist, ist er in der Welt, mit der er immer zu tun hat sein Leben lang. Unter der Welt verstehen wir hier die von Gott abgefallene Kreatur, die ungläubigen Menschen, die das, was Gott gegeben hat, missbrauchen. Dazu stellt ihnen der Teufel das, worüber er in der Welt zu verfügen hat, zur Verfügung. Die Welt ist mit ihren Drohungen der geschworene Feind der Christen. Sie weiß recht wohl, ob Jemand ein ernster, treuer Christ ist - oder nicht. Meint es ein Christ nicht treu, sondern ist vielmehr ein Leichtfuß, der die Sache nicht genau nimmt, so hält ihn die Welt für ihres Gleichen. Der Mensch sieht da den Unterschied zwischen sich und der Welt so gering an, dass er verschwindet, und in der Tat ist der Unterschied auch verschwindend gering. Wer aber treu und gewissenhaft ist, auf den hat es die Welt abgesehen, also dass sie ihm Alles zu leide tut, was sie nur kann; und wenn es ihr nicht gelingt, ihn zu verführen, dann möchte sie ihn am liebsten umbringen. Aber dennoch ist die Welt von den drei Feinden des Christen der geringste.

Viel, viel schlimmer ist der Teufel. Der HErr führt als der Herzog unserer Seligkeit die Seinen in den Kampf gegen die drei Feinde. Daher führt der HErr den Christen zuerst in den Kampf mit dem kleinsten Feind, in den Kampf mit der Welt, dass er sich damit herumplagen muss. Wenn der Christ das nun treu tut, meint er vielleicht wunder was für ein Held er sei, indem er sich mit der Welt herumgeschlagen, ohne dass sie ihn überwunden habe. Wenn nun ein Christ nicht mehr nach der Welt fragt, wenn ihm die Welt mit ihren Einwirkungen so gut wie Null ist, dann fühlt er gar bald, dass er's mit ganz andern Feinden zu tun hat, mit dem Teufel und dem eigenen Herzen.

Da ist der Teufel ein solcher Menschenkenner, dass er einen sehr tiefen Einblick hat in das Menschenleben, denn er hat's ja täglich zu beobachten und kennt es mit seinen sündlichen Regungen und Begierden so gründlich, wie es kein Mensch kennen kann. Mit fleischlichen Waffen ist ihm da nicht beizukommen;

Groß Macht und viel List
Sein grausam Rüstung ist.

Dabei ist er ein Lügner durch und durch, also dass einfältige Leute seine Lügen von der Wahrheit nicht unterscheiden können. Wie oft halten sogar erfahrene Christen des Teufels Stimme für Gottes Stimme! So ist es z. B. in schweren Kämpfen; da meinen sie, sie wären keine Christen mehr und ständen nicht mehr in der Gnade, also dass sie dem Teufel mit seinen Anfechtungen mehr glauben, als dem, was die Heilige Schrift sagt. In solchen Zeiten müssen wir die tägliche Buße als ein Zeichen des Gnadenstandes ansehen. Da kommt denn der Teufel mit seinen feurigen Pfeilen, mit den bösen, gotteslästerlichen Gedanken und schießt diese Pfeile auf die Christen ab. Oft kann man gar nicht wissen, von welcher Seite er kommt. Da schießt er die gräulichen Gedanken also durch die Seele, dass man sie annehmen soll, als wären es die eigenen; und so soll man meinen, die Gedanken kämen aus dem Herzen heraus, während sie doch der Teufel eingibt, obwohl freilich nicht zu leugnen ist, dass das böse Herz scheußlich genug ist und gar zu gern Teufeleien annimmt. Wie oft spürt ein Christ beim Beten die gräulichsten Gedanken! Wie oft kommen ihm, wenn er zum Tisch des HErrn geht, die allerentsetzlichsten Gedanken in's Herz! Ja, da kommt der Teufel dem Christen so nahe, dass er ihm die Gebetsworte im Munde umzudrehen sucht. Da soll der Christ statt der Gebetsworte Worte der Lästerung aussprechen.

Aber so grausam auch der Teufel ist und so mächtig und listig in seiner Feindschaft gegen die Christen, so kommt er doch nicht an gegen das Fleisch, gegen das eigene böse Herz. Der Christ hat den Teufel nicht in sich, wohl aber das eigene böse Herz. Den Teufel kann er verscheuchen durch Gebet und Schriftstellen; das böse Herz muss er aber mit sich herumschleppen sein Leben lang; und es macht ihm viel zu schaffen, „denn aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerung.“

Es kommt ja das Böse nicht in den Menschen hinein, sondern aus ihm heraus.

Wie soll nun der Christ mit diesen seinen drei Feinden fertig werden? Da ist kein andrer Rat, als täglich das Fleisch kreuzigen und dem HErrn Christus täglich in den Ohren liegen, dass er das Herz stelle unter die Macht der Gnade, und dass Er das böse Herz zerschlage durch Demütigungen aller Art, damit man nur ja nicht etwa Schoßsünden groß ziehe, sondern die bösen Lüste im Zaum halte durch Buße und Glauben.

Ohne den schweren Kampf mit dem Teufel, der Welt und dem eigenen Herzen würde es dem Christen ganz unmöglich sein, das Ziel zu erreichen. Darum ist es so, wie der Apostel von sich selbst und von dem Leben eines jeden Himmelspilgers sagt: „Auswendig Streit.“ Das geht so fort bis an's Ende. Bald macht uns der eine Feind zu schaffen, bald der andre, - bald kommen sie alle zusammen an uns. Da meint denn der Christ gar oft, er müsse zu Schanden werden; und es wäre auch nicht anders möglich, wenn ihm der HErr Christus nicht zu Hilfe käme.

2. Zum Andern: „Inwendig Furcht.“

Damit zeigt uns der Apostel Paulus, welche Zustände auf der Pilgerreise zum Himmel im Christenherzen sich finden. Es nimmt uns fast Wunder, dass ein solcher löwengleicher Held, wie unter den Menschen wohl kein Zweiter zu finden ist, davon redet: „Inwendig Furcht.“ Wenn man sein Leben überschaut, wenn man liest, was er von sich selbst sagt, von seinem Wirken, von seinen Gefahren und Trübsalen auf der Reise, dass er sich jeden Augenblick seines Lebens erwägte, dann sollte man denken, er habe die Furcht nicht gekannt. Was hat er doch Alles durchgemacht! Er sagt ja selbst von sich, 2. Korinther am Elften: „Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin öfter gefangen, oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünf Mal empfangen 40 Streiche weniger eins. Ich bin drei Mal gestäupt, ein Mal gesteinigt, drei Mal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (des Meeres). Ich habe oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße.“

Seht, so ist sein Leben gewesen, und dieser Gottesheld und Streiter Christi redet davon: „Inwendig Furcht!“

Das, meine Lieben, ist ein unbeschreiblich großer Trost für die Himmelspilger, dass dieser Held von seinem Herzen sagt: „Inwendig Furcht.“ - Wir dürfen also ja nicht meinen, dass die Kinder GOttes, die Streiter Christi, Menschen wären von Stahl und Eisen, von Stein und Holz. O, glaubt es ja nicht, meine Lieben; ein Christ ist kein Eisbär, ein Christ hat ein Herz in seiner Brust, das ist ein trotziges und verzagtes Ding. Alle Menschen haben von Natur ein solches Herz. Ist das nicht höchst traurig? Ja freilich, die Furcht ist ein Zeichen der großen Schwäche. Aber dennoch kann man nicht sagen, dass die Furcht an sich Sünde sei; denn seht nur einmal den HErrn JEsus an, wie Er Sich gefürchtet hat, und Er war doch ohne Sünde. Wie hat er gezittert und gezagt im Garten Gethsemane, da Sein Herz voll Angst war! O, meine Lieben, wenn der Held aus Judas Stamm, unser glorreicher Überwinder, Sich so gefürchtet hat, so ist es nicht schimpflich, wenn wir uns auch fürchten. Wenn Paulus beständig in Furcht lebte, so ist es nicht zu verwundern, wenn es bei uns auch so ist, die wir doch weiter Nichts sind, als arme Sünder.

Wenn die Kinder der Welt sagen, es sei eine Schande, sich zu fürchten, so kennen sie das Menschenherz nicht. Die Furcht ist nicht schandbar, wohl aber die Feigheit. Wenn du dich fürchtest, schäme dich ja nicht. Aber wenn du die Furcht nicht bezwingst, sondern lässt dich von ihr bezwingen, das ist Feigheit, - und der Feigheit musst du dich schämen.

Was haben wir nun zu tun als Himmelspilger? Seht, wir haben die Furcht im Herzen beständig zu bezwingen, und das ist furchtbar schwer. Wir werden den äußeren Kampf nie durchfechten können, wenn wir nicht im inneren Kampf den Sieg davongetragen haben, also dass wir der Furcht Meister sind. Die sich dessen rühmen, sie hätten keine Furcht, sind Pharisäer, Renommisten und Großprahler. Glaubt nur nicht, dass die Etwas ausrichten, wenn Not an den Mann kommt. So ist's von jeher gewesen.

Seht, meine Lieben, als die Katholischen in ihrer Wut Hand angelegt hatten an den Johann Hus, also dass derselbe, wie ihr ja wisst, zu Konstanz den Feuertod hatte erdulden müssen, da merkten Manche, es werde nun auch gar bald die Gefahr an sie herankommen; und da hatten die Prager Studenten ganz besonders das große Wort. „Wenn die Verfolgung an uns herankommt,“ so sagten sie, „dann wollen wir den Galgen zum Frühstück und das Grab zu Mittag nehmen.“ Aber als die Verfolgung nun wirklich an sie herankam, da ist kein Einziger standhaft geblieben; sie Alle sind abgefallen.

Erheuchle nur ja nicht Furchtlosigkeit und schäme dich der Furcht nicht. Wir müssen sagen: Wie nun einmal die Sachen stehen in der menschlichen Natur, ist die Furcht ein großer Segen; denn die Furcht macht uns misstrauisch gegen unsre eigenen Kräfte, und das ist uns gut und heilsam. Die Furcht treibt uns auf die Knie, dass wir beten zu dem, der keine Furcht kennt, zu unserm GOtt und HErrn, der uns in unsrer Schwachheit aus der Fülle Seiner Kraft geben wird, was uns not ist. Der ist viel ehrenwerter, der im Gefühl seiner Verzagtheit seine Knie beugt und Gott um Stärke anruft, als der, welcher in seiner Großprahlerei meint, das nicht nötig zu haben, weil er behauptet, er sei frei von Furcht.

Seht, meine Lieben, so ist's dem Apostel Paulus gegangen, und so geht's auch uns: „Inwendig Furcht.“

Sehen wir auf unsre Kraft, damit ist Nichts getan! Die müssen wir ganz und gar darangeben, wenn wir Himmelspilger sein wollen. Oder ist unsre Klugheit weit her? In geistlichen Dingen sind wir über die Maßen dumm. Oder sind wir Etwas in GOttes Augen? Nichts, als arme Sünder. Haben wir nun Nichts, so haben wir auch keine Ursache, auf uns selbst zu vertrauen und uns zu rühmen, dass wir im Streit keine Furcht hätten. Sonst kennen wir unser feiges, trotziges und verzagtes Herz nicht, auch den HErrn nicht, der uns Alles geben will, kann und muss, weil Er's uns verheißen hat, dass Er uns Alles geben wolle, was uns fehle.

So sieht es im Menschenherzen aus, meine Lieben; und dabei ist das Herz voll von bösen Lüsten und Begierden, die uns das Leben blutsauer machen; denn wenn Einer ein wahrer Christ ist, so weiß er, dass die Sünde das abscheulichste, hässlichste und widrigste Ding ist, das es nur geben kann. Darum gibt sich ein wahrer Christ auch am meisten damit ab, sein sündliches Herz zu bezwingen und in Zucht und Ordnung zu halten.

Im Grunde ist es so: Ist man seines Herzens mächtig geworden, dann ist man auch des Teufels und der Welt mächtig. Was für Erfahrungen müssen wir da machen! Da haben wir eine Schoßsünde, die mit ganz besonderer Macht losbricht; das ist z. B. der Zorn. Bei manchen Menschen ist gerade der Zorn eine hervorragende Seite des bösen Herzens. Bei jeder Gelegenheit, wo's dem alten Menschen nicht passt, braust der Mensch auf. Da braucht man ihm nur einmal die Ehre anzugreifen oder den eigenen Willen, oder man braucht ihm nur einmal zu widersprechen, sofort braust der Zorn auf. Wer nun als ein wahrer Christ kämpfen will, der legt sich mit ganzem Ernst dagegen, damit er doch dieser Sünde Herr werde. Nur so kann aus einem zornigen Saulus ein sanftmütiger Paulus werden. Kämpft aber der Christ nicht ernstlich dagegen an, so wird er das Ziel schwerlich erreichen.

Die meisten Menschen freilich nehmen es mit der Sünde nicht genau. Sie sagen, die Sünde sei ein Naturfehler. Du Narr, kannst du denn mit einem Naturfehler in den Himmel kommen? Die Naturfehler sollst du ja ablegen. Wenn du den Zorn nicht ablegen kannst, so bist du ein Mörder, und einen Mordgeist im Herzen zu haben ist doch das Schlimmste, was es nur geben kann. Nun kämpfst du ehrlich und ritterlich; GOtt hilft dir, dass du dieser Greuelsünde Herr wirst; du wirst sanftmütig. bist du nun so Jahre lang hingegangen als ein sanftmütiger Christ, hast das Unrecht und die Beleidigungen geduldig ertragen und deine Schoßsünde, den Zorn bezwungen; mit einem Male wird diese alte Sünde mit solcher Gewalt hervorbrechen, dass du selbst davor erschrickst. So wirst du's erfahren: Auch nicht eine Sünde kannst du ausreißen. Abreißen kannst du die Sünden wohl, die Wurzeln aber bleiben immer. Da musst du immer auf deiner Hut sein, musst kämpfen und streiten, wachen und beten. Die überwundenen Sünden können gar leicht wieder so mächtig werden, dass sie dich überwinden; und so liegst du dann am Boden und musst dich vor GOtt schämen wie ein Hund darüber, dass du nicht gekämpft hast gegen die Sünde.

Ferner müsst ihr euch noch Etwas merken, was so überaus gefährlich ist auf der Himmelsreise. Das ist die Lauheit. Wie leicht wird doch ein Christ lau und sicher im Christentum! Das ist nach meiner Erfahrung der allerschlimmste Feind im Christentum, die Lauheit und falsche Sicherheit. Der Teufel will die Christen zu Fall bringen und versucht es dadurch besonders gern, dass er die Christen lau macht. Da bringt er die Menschen zur Unlust zu GOttes Wort. Dazu benutzt er z. B. die harte Arbeit des Tags. Christen müssen ja sauer arbeiten von Morgens früh bis Abends spät - mit der Hand, mit dem Kopf oder mit der Feder, je nach dem Stand. Arbeitet man sich nun den Tag über müde, so wird man Abends beim Beten auch leicht müde; ja man schläft wohl gar ein. Das passiert sogar solchen, die gar nicht arbeiten.

Nun weiß der Teufel die Müdigkeit zu benutzen. Er macht das Herz lau und träge zum Gebet. Man betet aber doch noch. Auch wird man gleichgültig gegen GOttes Wort; man hat kein rechtes Verlangen mehr nach der Kirche, man geht aber doch noch zur Kirche, denn der Geist GOttes treibt fortwährend dazu an. Man gibt aber nun nicht Acht auf die Lauheit und kämpft nicht dagegen. So wird dann die Lauheit immer ärger, und die bösen Lüste und Begierden regen sich immer mehr. Da kommt man immer mehr vom Gebet und von der Kirche ab. Erst bleibt man Nachmittags weg, dann in den Wochengottesdiensten; schließlich kommt man auch am Sonntag des Vormittags nicht mehr fleißig zur Kirche; - und siehe da, das ganze Leben des Christen verschwindet bei Kleinem. Daran ist die Lauheit Schuld.

Ja, meine Lieben, wenn ihr mir folgen wollt, so achtet ganz besonders darauf, ob ihr lau werdet. Das haltet für den allerschlimmsten Feind, und da betet zu GOtt, dass Er euch munter und wach halte; denn sonst hört bei der Lauheit das Kämpfen nach und nach ganz auf. Wo aber das Kämpfen aufhört, da hört auch das Siegen auf. So geht es fort und fort unter vielen Beschwerden. Wenn der HErr auch zuweilen Ruhe gibt, so wird doch das Kämpfen kein Ende nehmen und die Furcht auch nicht.

Da sagen nun Manche, es komme endlich hier einmal zur Kampflosigkeit und zur Sündlosigkeit. Das ist aber nicht wahr; so sagen nur die Schwarmgeister. Im Gegenteil, je älter man wird, desto ernster wird der Kampf, und die letzten Tritte auf der Pilgerfahrt sind gerade die sauersten.

So geht es das ganze Leben lang. Nun kommt's zum Sterben. Da sollte man nun denken, dass ein Christ, der sein Leben lang eine so saure Reise gemacht und so beschwerlich und ernst gekämpft hat, sich nun recht freuen müsse auf den Tod, also dass diese Freude alles Andre zurückdränge, wie ein Wandersmann, der noch so müde ist, bei der Freude auf die Heimat auch alles Andre vergisst.

Allein das ist nicht so, meine Lieben. Seht, wenn der Apostel Paulus in unserm Text sagt: „Inwendig Furcht,“ so bezieht sich das nicht nur auf das Leben, sondern auch auf das Sterben; und ich bin fest überzeugt: Es hat noch nie einen Christen gegeben, welcher der Sterbensfurcht vollständig Meister gewesen wäre. Es kann ja auch gar nicht anders sein. Der inwendige Mensch fürchtet sich nicht vor dem Tode, wohl aber das arme Herz.

Nun ist es freilich wahr: Die Todesfurcht verschwindet, je mehr der alte Adam überwunden wird, je mächtiger er aber wird, desto mehr nimmt die Todesfurcht zu. - Wer da sagt: „Ich fürchte mich gar nicht vor dem Tod,“ der lügt. Nun ist das eine große Gnade, dass wir die inwendige Furcht bezwingen können und sollen durch die Macht des Glaubens, durch die Macht des Gebets und des göttlichen Wortes, also dass ein Christenmensch am Ende seiner Pilgerreise nicht nur ruhig, sondern auch fröhlich sterben kann. Aber es wird freilich in den meisten Fällen wohl so sein: Die meisten Christen, die da im Glauben sterben, können wohl ruhig und getrost sterben; die aber auch fröhlich sterben können, deren wird nur eine kleine Zahl sein. Das sind besonders begnadigte Christen, die den alten Adam so weit überwunden haben.

Ich bin schon bei vielen Kranken- und Sterbebetten gewesen und habe oft gesehen, wie Christenmenschen im Glauben an ihren HErrn und HEiland ruhig und getrost gestorben sind, also dass man fest hoffen konnte: Sie sind selig entschlafen; aber nur sehr wenige Fälle habe ich erlebt, wo die Freude der Sterbenden so vorherrschend war, dass alles Andre zurücktreten musste; - und diese wenigen Fälle sind mir unvergesslich.

Das soll aber unser Trost sein: Die Sterbensfreudigkeit haben wir nicht nötig. Wenn wir nur getrost und ruhig im Glauben einschlafen können, dann nimmt uns der liebe HErr JEsus in Gnaden im Himmel auf, und so kommen wir nach der beschwerlichen Himmelsreise zu Hause. Amen.

Wir danken Dir, lieber HErr JEsu Christe, für Dein heiliges, teures Wort, da Du uns die Beschwerden der Himmelsreise vorgehalten und es uns so klar und offenbar gezeigt hast, wie schwer es ist, den Himmelsweg zu gehen. Hilf uns, lieber HErr JEsu, dass wir uns durch alle Beschwerden und Gefahren der Himmelsreise nicht zurückhalten lassen; gib uns vielmehr Deinen heiligen Geist, dass wir allezeit ehrlich kämpfen in der gewissen Hoffnung, dass Du uns beistehen wirst. So lass uns auf Dich allein vertrauen und also getrost weiter pilgern gewiss, dass Du uns dermaleinst in Deinen Himmel heimholen wirst. - Nun, lieber HErr JEsu, so erbarme Dich unser Aller und gib uns die Gnade, dass Keiner von uns den breiten Weg gehe, dass wir vielmehr Alle den schmalen Himmelsweg gehen bis an unser Ende. Lass uns nicht vergessen, wie viel Du an uns getan hast, da Du uns in Gnaden wie einen Brand aus dem Feuer gerissen hast. Lass uns unsern Blick unverwandt richten nach dem Jerusalem, das droben ist, und gib uns einen fröhlichen Mut, weiter zu pilgern, weiter zu beten, weiter zu kämpfen, weiter zu leiden, damit wir nur, ja das Ziel unsrer Himmelsreise erreichen - den Himmel. Nun, lieber HErr JEsu Christe, bleibe bei uns nach dem Worte Deiner Verheißung, und das soll unser Trost sein. Amen.

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