Harms, Theodor - Des Christen Himmelsreise - Fünf Predigten gehalten in den Betstunden vor Pfingsten - I. Vom Antritt der Himmelsreise

Harms, Theodor - Des Christen Himmelsreise - Fünf Predigten gehalten in den Betstunden vor Pfingsten - I. Vom Antritt der Himmelsreise

Die Gnade unsers HErrn und HEilandes JEsu Christi, die Liebe GOttes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.

Lasset uns beten: Liebster HErr und HEiland JEsu Christe, wir wollen uns auch in dieser heiligen Zeit jeden Tag versammeln in Deiner heiligen Wohnung, um Dein teures Wort mit einander zu betrachten und Deinen Segen zu empfangen. So wollen wir uns durch Deinen heiligen Geist bereiten lassen zu einem recht gesegneten Pfingstfest. Wir wissen es wohl, lieber HErr JEsu, dass Du Deinen heiligen Geist nicht auf eine so außerordentliche Weise ausgießen willst, wie Du es getan hast am ersten Pfingstfest; denn Du hast uns ja Dein heiliges Wort ganz und vollständig gegeben und gibst uns dadurch Deinen heiligen Geist. Lass uns das festhalten und bewahre uns in Gnaden vor Schwärmerei. Du gibst ja den Deinen den heiligen Geist durch Dein Wort und Sakrament. Darum bitten wir Dich auch nicht, dass Du uns Deinen heiligen Geist auf eine andre Weise geben wollest; wohl aber bitten wir Dich: So oft wir in dieser heiligen Zeit versammelt sind, Dein Wort zu hören, gib uns Deinen heiligen Geist durch Dein Wort. Hilf uns aber auch zur wahren Buße und zum lebendigen Glauben, damit Du je mehr und mehr eine Gestalt in uns gewinnst. So bereite Du uns nun zu einem heiligen Leben und zu einem seligen Sterben; dazu sind wir erschienen vor Deinem Angesicht. Du wollest uns Deinen heiligen Geist nicht versagen um Deiner Zusage willen. Wir sollen ja wachsen und zunehmen in der Wahrheit, auf dass wir Dich also ehren in kindlichem Gehorsam. Darum gib uns die rechte Andacht und Heilsbegier. Vergib uns alle unsre Sünden. Öffne unsre Lippen, recht zu reden; öffne unsre Ohren, recht zu hören; öffne unsre Herzen, recht zu bewahren, was Du uns zu sagen hast. So lass denn diese Betstunde gesegnet sein an unser Aller Herzen um Deines Namens willen. Amen.

Vernehmt das Wort unseres Gottes, wie es geschrieben steht im Evangelium St. Matthäi im 7. Kapitel, im 13. und 14. Vers:

Geht ein durch die enge Pforte; denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abfährt, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln; und die Pforte ist enge, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden.“ Wir wollen nun, meine Lieben, in den fünf Betstunden, die wir in dieser Woche haben, handeln von des Christen Himmelsreise. Das ist ja doch für uns das Allerwichtigste, dass wir den Weg zum Himmel gehen, damit wir das Ziel erreichen, das uns gesteckt ist, den Himmel, die ewige Seligkeit und Herrlichkeit bei GOtt. Wir müssen ja dieses Leben nur als einen Durchgang zum Himmel ansehen. Den Aufenthalt auf Erden müssen wir immer ansehen als einen vorläufigen und müssen dabei immer das Ziel im Auge haben, den Himmel, den uns der HErr Christus aufgeschlossen hat bei Seiner Himmelfahrt. Damit wir aber in den Himmel kommen können, müssen wir wandeln den schmalen Weg. Der HErr tut Alles an uns, um uns Sünder zu suchen und selig zu machen. Heute wollen wir nun mit des Heiligen Geistes Hilfe handeln von dem Antritt der Himmelsreise und wollen da das schöne Wort unsres Textes unsrer Betrachtung zu Grunde legen, - das Wort des HErrn aus der Bergpredigt, das da handelt von der weiten und engen Pforte, von dem breiten und schmalen Weg. Der HErr gebe nur, dass wir dies ernste GOtteswort nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen bewahren. Mit diesem Wort stellt uns der HErr an einen Scheideweg, damit wir uns wählen sollen, welchen Weg wir gehen wollen, - den breiten Weg, der zur Verdammnis abführt, oder den schmalen Weg, der da führt zum Leben. Der HErr zwingt uns nicht, den breiten Weg zu gehen; Er zwingt uns auch nicht, den schmalen Weg zu gehen. Er legt es vielmehr in unsre Hand. So wenig wie der HErr uns Gewalt antun kann, wenn er uns die Sünden vergeben will, so wenig kann Er uns Gewalt antun, wenn Er uns in den Himmel nehmen will. Der HErr tut alles Mögliche, uns in den Himmel zu bringen, aber noch nie hat er einen Menschen mit den Haaren in den Himmel gezogen. Wiewohl nun die Entscheidung für den Himmelsweg sowie auch die Erreichung des Ziels bei uns liegt, so liegt es doch nicht an unserm Rennen und Laufen, sondern an GOttes Erbarmen. Geht der Mensch verloren, so ist es seine eigene Schuld; wird er selig, so ist es nicht sein Verdienst, sondern GOttes Erbarmen. - Nun hat kein Mensch auch nur eine Spur von eigener Kraft in sich. Wir sind von Natur Alle arme, verlorene und verdammte Sünder. Wenn uns GOtt die Frage vorlegte: Was wollt ihr, verloren geben oder selig werden? so können wir von Natur gar nicht den Himmel erwählen; wir wählen von Natur Alle den breiten Weg, weil unser Herz grundböse ist. - Wenn der HErr uns also die Entscheidung vorlegt, so muss er Selbst zuvor das Wollen in uns wirken. Wir sind ja Christen - Gott sei Dank! und da wollen wir bei uns Christen stehen bleiben. Bei der heiligen Taufe hat uns der HErr die Wahlfähigkeit gegeben. Der alte Adam freilich besinnt sich nicht, sondern geht vielmehr ohne Weiteres den breiten Weg ein für alle Mal; - der neue Mensch will aber immer den schmalen Weg gehen. So sind wir denn von der heiligen Taufe an im Stande gewesen, uns zu entscheiden und zu wählen zwischen Himmel und Hölle. Nun geht es aber bei den Christen gar bald nach der heiligen Taufe also, dass sie den schmalen Weg verlassen und den breiten Weg gehen. Da sucht sie nun der HErr zu bekehren, und wenn Ihm dies Gnadenwerk gelingt, dann bringt Er sie dahin, dass sie den breiten Weg wieder verlassen und den schmalen Weg gehen; Er bringt sie also wieder zur Entscheidung. Wie nun der Kampf zwischen Geist und Fleisch nicht aufhört, so müssen wir täglich immer wieder den Entschluss fassen, den schmalen Weg zu gehen. Das Abirren ist da gar zu leicht; denn der schmale Weg ist so schmal, dass wir gar oft meinen, noch auf demselben zu sein, während wir doch schon auf dem breiten Wege sind. So ist es denn hochnötig, dass uns der HErr in Seinem heiligen Worte immer wieder aufs Neue die ernste Frage vorlegt: Willst du selig werden? Dadurch muss Er uns treiben, unsre Seligkeit zu schaffen mit allem Ernst. Wir wollen nun nach Anleitung unsres Testes handeln Vom Antritt der Himmelsreise. **

Dabei wollen wir:

  1. einen Rückblick tun und
  2. unsern Blick nach vorwärts richten.

1.

Zunächst wollen wir also einen Rückblick tun. Wenn wir auf unser Leben zurückschauen und uns recht prüfen, so werden wir finden, dass die Welt dem natürlichen Menschen überaus süß und lieblich ist. Was gibt es da alle zu genießen! Die Vergnügungen sind gar mannichfaltig. Da ist dem Menschen eine große Auswahl dargeboten, und eine schmeckt noch süßer, als die andere. Der Teufel hat den Tisch gedeckt mit der größten Auswahl von Vergnügungen und lädt ein, zuzugreifen und zu nehmen. Wenn nun das Gewissen sagt: Tue es nicht, es ist Sünde, - so sagt der Teufel: Nimm nur, so viel du willst; liegt es nicht in deiner Natur, dass du sündigen musst? Hat nicht GOtt Selbst dir die Lust gegeben? Darum genieße nur das Vergnügen. Sagt man: Was wird der liebe GOtt dazu sagen? so antwortet der Teufel: Was fragst du nach dem lieben GOtt? Der gönnt dir das Vergnügen nicht; Er ist zu streng, - ich bin ein viel milderer Herr. Sagt man: In GOttes Wort steht es anders geschrieben, so gibt der Teufel zur Antwort: Was kümmerst du dich um GOttes Wort? Wer da glaubt, die Bibel sei GOttes Wort, der ist ein Dummkopf. Genieße nur dein Leben. Es ist so kurz, die wenigen Jahre laufen schnell hin. Du wärest der größte Narr, wenn du dir nicht wolltest gute Tage machen, die bösen Tage kommen von selbst.

Da ist es nun des Teufels Gewohnheit: Ehe der Mensch die Sünde tut, macht der Teufel die Sünde über die Maßen klein und die Gnade über die Maßen groß; nach der Sünde macht er aber umgekehrt die Sünde über die Maßen groß und die Gnade über die Maßen klein. So hält er den Menschen immer am Band fest vor der Sünde und nach der Sünde und lässt ihn gar nicht zur Besinnung kommen.

O, wie süß kommen dem alten Menschen die Sünden vor! Wie süß sind dem Herzen die sündlichen Gedanken! Wie glatt geben die Zoten-Worte und Lieder aus dem Mund heraus! Der alte Adam meint: Wie süß ist's doch, die Glieder des Leibes zur Sünde herzugeben! Auch die andern Sünden kommen ihm so süß vor. Da ist das Saufen und Bankettieren, das Herumlaufen auf den Straßen, das Unfugmachen. Was für eine Wonne ist's dem alten Menschen, auf der faulen Bank zu liegen! Was für eine Lust, Böses mit Bösem zu vergelten und die Beleidigungen zu rächen! Was für ein Vergnügen, sich nach der neuesten Mode zu kleiden und sich mit Gold und Silber zu behängen! Was für eine Freude, im Theater oder in weltlichen Konzerten zu sein oder sich im Wirtshaus herumzutreiben, wo es alle Tage etwas Neues gibt! Der Teufel versteht es, immer wieder in neuer Weise zur Sünde zu reizen; er hat eine reiche Erfindungsgabe, die Sünden immer neu auszuputzen, und dann sagt er: Alles, was ich dir darbiete, kannst du annehmen, - was ich dir sage, kannst du tun; mach dir nur einen guten Tag nach Herzenslust. Auf dem breiten Weg braucht man nicht zu beten und nicht zur Kirche zu gehen. Da wird nicht des HErrn Abendmahl gefeiert, sondern des Teufels Abendmahl, durch Saufen und Fressen; da braucht man nicht GOttes Wort zu lesen, da liest man Romane und schlechte Zeitungen. Das Alles bietet der Teufel dar.

So lange man nun noch nicht auf der Himmelsreise ist, hat man seine Lust und Freude daran. Nach der genossenen Weltlust aber ist das Herz so leer und öde. In einem solchen Herzen sieht es aus, wie in einem Saal nach einem Tanz- und Saufgelage. Da liegen Glasscherben auf dem Boden, der Staub ist aufgewirbelt, Bier und Branntwein ist verschüttet, und der ganze Saal ist ein Bild des Ekels. So, meine Lieben, sieht es in einem Herzen aus, das verödet ist durch des Teufels Trug und List. Der Teufel verführt das arme Menschenherz durch immer neue Reize immer wieder aufs Neue zur Sünde.

Nun kommt es aber zu der Frage: Wie wird's werden nach dem Tod? Es ist ja doch ein alter Erfahrungssatz: Alle Menschen müssen sterben; - aber wie dann?

Unser Text sagt: „Die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt.“ Ein fürchterliches Ende! Die da vom Teufel verführt sind, taumeln dem Höllenabgrund entgegen. Aber den weiß der Teufel so zu verkleistern, dass man ihn nicht sieht. Da lügt der Teufel den Menschen vor: Es gibt weder einen Himmel noch eine Hölle; mit dem Tode ist Alles aus. Wenn die Menschen aber an dem Höllenabgrund stehen, dann steht der Teufel dabei mit höllischer Freude. Noch einen Stoß gibt er ihnen, und sie fallen in die Hölle hinein; und dann lacht er sie aus, dass sie so dumm gewesen sind, sich von ihm täuschen zu lassen.

So geht es denn dem Fleisch nach gar lustig zu im Sünden- und Weltdienst. Da führt man, wenn der HErr nicht in Gnaden steuert und wehrt, ein Leben, wie der reiche Mann im Evangelium; da wehrt es einem kein Mensch, der Sünde zu dienen nach Herzenslust, und des Teufels Verführungskünste sind auf dem breiten Weg Legion.

Wenn wir nun aber die Himmelsreise antreten wollen, wie haben wir uns dann zu verhalten gegen die Welt? Da, meine Lieben, gilt die entschiedene Forderung des HErrn: Du musst von der Welt ganz und gar abtreten. Es ist nicht so, dass du dich kannst lustig machen mit der Welt und dann nach Belieben wieder auf den schmalen Weg zurückkehren, um die Reise nach dem Himmel fortzusetzen. Nein, da heißt es: Willst du die Himmelsreise antreten, so musst du mit der Welt ganz und gar brechen. Was man vorher getan, das muss man lassen; was man vorher geliebt, das muss man hassen; was man vorher gehasst, das muss man lieben.

Das Herz muss ganz und gar los werden von der Kreatur und von der Welt. Aber das tut ungemein weh. Es kann auch nicht anders sein, denn das Herz gehört mit zu der Welt. Ich will dir einen Vergleich sagen: Dein Arm ist ein Glied des Leibes. Nun soll dir der Arm vom Leib abgetrennt werden. Das tut furchtbar weh. Wenn du aber die Wahl hast: Entweder du musst dir den Arm abnehmen lassen, oder du musst sterben, so wirst du nach mancher reiflicher Überlegung dich also entscheiden: So will ich mir denn lieber den Arm abschneiden lassen, als das Leben verlieren. Da gehst du nun zu einem geschickten Arzt; der nimmt den Arm ab, - aber das macht heftige Schmerzen. Wie nun der Arm dem Leib angehört, so gehörst du von Natur der Welt an. Du magst nun von der Welt losgeschnitten oder losgerissen werden, auf gewaltsame Weise geschieht das immer, und das tut sehr weh.

Willst du die Himmelsreise antreten, so muss diese Operation (so will ich sie nennen) vorgenommen werden; anders geht es nicht. Die Welt muss dir ein Ekel und die Sünde ein Greuel werden. Sonst kommst du unmöglich durch die enge Pforte hindurch. Die Pforte ist so eng, dass du nicht einmal mit deinen eigenen Kleidern durchkommen kannst. Du kannst dich nur nackt und bloß mit großer Not durchzwängen, so dass du halb geschunden und blutrünstig auf der andern Seite ankommst. Ja, du musst deine eigenen Kleider ablegen, denn die Kleider deiner eigenen Gerechtigkeit kannst du nicht mit hindurchnehmen. Dafür sorgt der HErr mit großer Weisheit, dass er die Pforte so überaus eng macht; du sollst nur nackt und bloß hindurchkommen. Deine eigene Gerechtigkeit musst du wegwerfen als ein besudeltes Kleid, also dass nichts anderes übrig bleibt, als ein armer Sünder, der sich auf Gnade und Ungnade dem lieben HEiland hingibt. Aber darfst du denn nicht Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Sohn und Tochter mitnehmen? Auch dein Weib nicht? Alle Kreatur musst du zurücklassen. Nur deinen HEiland nimm mit. Der hilft dir hindurch. Nur als ein armer Sünder kannst du durch die enge Pforte kommen, das merke dir!

2.

Lasst uns nun zum Andern unsern Blick vorwärts richten. Wenn du nun aber mit Gottes Hilfe durch die enge Pforte hindurchgekommen bist und den schmalen Weg betrittst, was liegt denn da nun vor dir auf der Himmelsreise? O, meine Lieben, da ist, so weit als man sehen kann, nichts Einladendes - das Ende ausgenommen. Da ist das gerade Gegenteil von dem, was man auf dem breiten Weg zu erfahren gewohnt war; da ist kein Tanzboden, da ist kein Sauf- und Festgelage, da ist Nichts, als Entsagung. Bist du hungrig, so bekommst du keine Leckerbissen; bist du durstig, so kannst du nicht in's Wirtshaus gehen, um Bier und Branntwein zu trinken, oder Wein und Champagner. Das Alles findest du da nicht, sondern nur den reinen, lauteren Wasserquell, den dir der Heilige Geist darbietet in Seinem Wort und Sakrament. Du siehst auch hohe Klippen vor dir und tiefe Abgründe. Daran musst du vorbei! Es sind auch viele Löcher da, und der Teufel hat dir Schlingen gelegt, - wer weiß wie viele! Jeder Fehltritt kann dir den Hals kosten. Da siehst du, wenn auch nicht auf, sondern an dem Weg viele Gestalten, die dich anfechten in einer Weise, wie du es bisher nicht geahnt hast. Hier siehst du sie in ihrer wahren Gestalt neben dem Weg, während sie sich bisher auf dem breiten Weg als Engel des Lichtes dir gezeigt haben, um dich zur Sünde zu verführen. Du kannst auch von dem schmalen Weg aus den breiten Weg sehen und wirst immer gelockt oder bedroht. Dazu nimmst du dein eigenes böses Herz auch mit auf den schmalen Weg. Ja, wenn du das zurücklassen könntest, ehe du dich durch die enge Pforte hindurchquetschen musst; allein das geht nicht, und so macht dir denn dein böses Herz auch auf dem schmalen Wege viel zu schaffen. Da bleibt es denn das ganze Leben lang so, wie die Heilige Schrift das Christenleben schildert: Auswendig Streit, inwendig Furcht.

So geht es vorwärts. Ab und an findet man auf dem sauren Weg ein Ruhebänklein, das uns GOttes Gnadenhand gebaut hat. Da können wir uns wohl kurze Zeit ausruhen, und dann geht es weiter. Du denkst dir vielleicht, wenn du die Himmelsreise antrittst, das Gehen würde fortan immer leichter. Allein das ist nicht so. Das Gehen auf dem schmalen Himmelswege wird immer beschwerlicher und saurer. Man sieht immer mehr Sünde. Die Angriffe des Teufels werden immer heftiger. Es ist so, wie wenn du auf Erden eine Reise machst. Die letzten Stunden sind da auch die beschwerlichsten. Die Sonne hat dich den Tag über mit ihren heißen Strahlen sehr gedrückt, nun hast du Durst; deine Beine sind müde, an den Füßen hast du dir Blasen gegangen; der Packen, den du auf dem Rücken zu schleppen hast, wird dir immer schwerer. So schleichst du denn langsam dahin und verlangst nach Nichts sehnlicher, als nach Ruhe, bis du endlich das längst ersehnte Ziel erreichst. Gerade so ist's mit der Himmelsreise, und so geht es auf der langen Reise immer weiter. Das ganze Christenleben ist eine Mühe- und Notarbeit mit wenig Ruhepunkten.

Aber, meine Lieben, das Ziel ist so überaus köstlich, dass man alle Mühseligkeiten und Strapazen nicht achtet; und der Blick auf den Himmel treibt uns, immer weiter zu geben.

Also was muss man aufgeben, wenn man die Himmelsreise antritt? Den Welt- und Sündendienst ganz und gar. Und was muss man mitnehmen auf den schmalen Weg? Das eigene, böse Herz, Kreuz, Kampf und Not aller Art. Aber was ist das Ende? Die ewige Seligkeit. Die leuchtet wie der helle Morgenstern herüber.

Wenn den Menschen nun die Wahl gestellt wird, sich selbst zu entscheiden, so wird es ihnen gar nicht leicht, die Himmelsreise anzutreten. - Es wird auch Niemand die Himmelsreise antreten können, in dem der Heilige Geist nicht wirkt, was notwendig ist, wahre Herzensbuße. So wirkt denn nun der Heilige Geist die Buße in den Herzen der Menschen, damit sie dadurch bereitet werden, die Himmelsreise anzutreten. Bei den meisten Menschen gelingt Ihm die saure Arbeit nicht; sie betrüben Ihn, bis es zu spät ist, wo sie dann dahin fahren, wo keine Buße mehr möglich ist, in die Hölle. Bei den Wenigsten erreicht Er's, dass sie Buße tun. Es ist schon viel, wenn der Mensch durch GOttes Gnade dahin kommt, dem heiligen Geist stille zu halten. Es ist schon eine unaussprechliche Gnade, dass der Heilige Geist in der vorlaufenden Gnade dem Menschen Kreuz und Trübsal schickt, um dadurch das harte, stolze Herz recht mürbe zu machen. Darum ist es nichts, als eitel Gnade und Barmherzigkeit, wenn der Heilige Geist durch Kreuz und Trübsal den Menschen zerschlägt, damit er sich einmal besinne und der Taumel aufhöre.

Wunderbar ist es, wie der Heilige Geist an den Menschen wirkt. Da ist es manchmal ein Gewitter, wodurch der Mensch erschüttert wird. Manchmal ist es Pestilenz, wodurch so viele hinweggerafft werden. Der Mensch zittert vor dem Tod und fängt an zu fragen: Wie wird's mit mir nach dem Tod? Er will sich darüber volle Gewissheit zu verschaffen suchen. Die allermeisten Menschen sind so überaus dumm, dass sie sich ihr Lebenlang über die allerwichtigste Frage unklar bleiben: Wie wird's mit mir nach dem Tod? Wenn die Menschen durch Gottes Gnade erst einmal so weit kommen, dass sie mit allem Ernst fragen: Wie wird's mit mir nach dem Tod? - dann ist die Sache schon halb gewonnen. Aber die meisten Menschen sind so verblendet, dass sie es so weit gar nicht kommen lassen. Da mag der liebe GOtt durch Kreuz und Trübsal noch so sehr eindringen auf ein Menschenherz, es bekehrt sich doch nicht, wenn nicht der Heilige Geist mit Seinem Wort noch hinzukommt. Die heiligen Gnadenmittel unserer teuren Kirche müssen es tun.

Da kommt nun der Heilige Geist an den Menschen heran und öffnet Ohr und Herz für die Wahrheit, also dass der Mensch unruhig wird in seinem Herzen und Gewissen und in seiner Angst fragt: Wie wird's werden? Auf dem Wege, den du jetzt gehst, darfst du nicht bleiben; so, wie du jetzt bist und lebst, gehst du unrettbar verloren. Und dabei ist es wunderbar: Da können die Menschen GOttes Wort Jahr aus Jahr ein hören, da können sie die schönsten Predigten hören, also dass sie selbst sagen: Das war schön anzuhören; - und es macht das Alles doch keinen Eindruck auf das harte Herz. Mit einem Mal hören sie ein Wort, - das haben sie wohl tausendmal gelesen und hundertmal gehört, und es hat keinen Eindruck auf sie gemacht; jetzt schlägt's durch und wird ihnen zu mächtig.

Seht, meine Lieben, so war's mit Dr. Luther auch. Wie oft hatte er schon das Wort gelesen: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben!“ Aber es hatte keinen Eindruck auf ihn gemacht. Jetzt aber, wo er in Sachen seines Ordens gerade auf der Reise nach Italien ist, da ruft der Heilige Geist dies Wort: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben“ in sein Herz und Gewissen hinein; und siehe da, dies Wort wird entscheidend für sein ganzes Leben.

Der Heilige Geist muss also, wenn wir die Himmelsreise antreten wollen, in unserm Herzen die Buße wirken, also dass uns die Welt zum Ekel wird. Dazu muss Er uns durch Sein Wort hart anfassen; Er muss uns berufen und erleuchten, dass wir erkennen, wie wir beschaffen sind, und welchem Ziel wir entgegengehen. Er muss uns die Gnade Christi vorstellen, und dass wir nur durch den Glauben selig werden können. Dazu muss er auch unser Herz erfüllen mit tiefem Weh, mit Reu und Leid über unsre Sünden; Er muss in uns wirken das sehnliche Verlangen, aus der Sündennot und Angst herauszukommen. Er muss in uns den Sinn schaffen, dass wir gar nicht anders können, wir müssen den schmalen Himmelsweg gehen, nachdem Er uns zuvor durch die enge Pforte hindurchgeholfen hat. Im Grunde, meine Lieben, ist die enge Pforte keine andre, als der HErr Christus Selbst, und die weite Pforte keine andre, als der Teufel selbst.

Wie schwer es ist, die Himmelsreise anzutreten, weiß man nur, wenn man selbst in der großen Buße gesteckt hat, wenn man - die Hölle im Herzen - um Gnade geschrieen hat, Stunden, ja Tage lang; wenn man lange Zeit gelesen und geforscht hat in GOttes Wort, ohne Trost finden zu können, - und wenn man nun endlich zur Ruhe kommt und zum Frieden mit GOtt. Da hat man innerlich erlebt, was hier geschrieben steht in dem Gleichnis von der engen Pforte und dem schmalen Weg.

Ja, meine Lieben, wenn man wirklich zur Ruhe und zum Frieden mit Gott gekommen ist, das heißt, wenn man wirklich auf dem schmalen Weg angekommen ist, dann fühlt man sich geschunden und geschlagen, gelähmt an allen Gliedern. Dann kommen die heiligen Engel oder besser gesagt: Der HErr Christus Selbst kommt und gibt uns den Frieden. Er legt uns das Kreuz auf und sagt: Durch die Pforte habe ich dir hindurchgeholfen, nun tritt die Himmelsreise an; sei getrost fürchte dich nicht, Ich bin mit dir.

Nun, meine Lieben, das ist der Antritt der Himmelsreise. Seht, so muss es mit allen Menschen kommen, die da wollen die Himmelsreise antreten, anders geht es nicht. Es ist nicht möglich ohne die wahre, gründliche Herzensbuße; und wer da meint, auf dem schmalen Weg zu sein, aber durch die enge Pforte noch nicht hindurchgegangen ist, der täuscht sich sehr. Da ist aber nun in der Heiligen Schrift kein bestimmtes Maß der Buße gesetzt; und so verlangt das Wort GOttes durchaus nicht, dass alle Menschen in gleicher Weise das Bußgefühl und die Bußangst erleben müssen. Die Menschen sind in ihren Anlagen verschieden, und der Heilige Geist will die armen Sünder nicht einexerzieren, sondern erziehen. Manche sind Gefühlsmenschen, - bei denen sind die Bußängste überaus groß; manche. sind aber wohl Verstandesmenschen, und die fühlen die Bußängste nicht so sehr, haben aber ihre besondere Plage und Not.

Nun, meine Lieben, so ist denn die Herzensbekehrung durchaus nötig, wenn wir die Himmelsreise antreten wollen. Da hat man Gnade gefunden in JEsu Wunden, da hat man Frieden mit GOtt, und der Heilige Geist wohnt im Herzen. So und nur so können wir die Reise zum Himmel antreten.

Wer aber meint, wenn er eben durch die enge Pforte hindurch ist, er sei schon am Ende, dem sei gesagt: Du täuscht dich sehr; du hast ja eben erst die Himmelsreise angetreten.

Nun, meine Lieben, sollte Jemand unter uns sein, der die Himmelsreise noch nicht angetreten hat, der lasse sich warnen aus GOttes Wort und lasse sich dazu bestimmen, dass er so lange anhalte mit Gebet und Flehen, bis er sich auf der Himmelsreise befindet. Die aber die Himmelsreise schon angetreten haben, mögen sich ernstlich prüfen, ob sie noch auf dem schmalen Weg sind. Wo Einer von dem schmalen Weg abgewichen ist, da ist es nicht möglich, dass er ohne Weiteres wieder auf den schmalen Weg gerade umkehrt; nein, da muss er erst wieder herum bis vor die enge Pforte. Aber zum zweiten Mal durch die enge Pforte hindurchzukommen ist viel, viel schwerer, als zum ersten Mal. Amen.

Wir danken Dir, lieber HErr JEsu Christ, für Dein teures, wertes Wort, das Du uns gegeben hast, und bitten Dich, Du wollest diese ernsten, gewaltigen Worte: „Geht ein durch die enge Pforte; denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt, und ihrer sind Viele, die darauf wandeln; und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden,“ beständig nachklingen lassen in unserm ganzen Leben, damit unser ganzes Leben sei ein Leben der Buße und des Glaubens. Lass uns den schmalen Weg wandeln, der da führt zum ewigen Leben.

Wenn der Wandel auf diesem Weg auch noch so schwer ist, hilf uns, dass wir nur ja nicht das Ziel verfehlen der Seelen Seligkeit. Wir bitten Dich, lieber HErr, Du wollest in uns Allen die wahre Buße wirken, ohne welche wir keinen Glauben und keine Liebe haben können. Erhalt uns auch in der Buße, so lange wir leben. So lass uns auch im Glauben ausharren, und wenn's zum Sterben kommt, dann nimm uns auf in Deinen Himmel. - Mir bitten Dich, lieber HErr JEsu, Du wollest nach Deiner großen Barmherzigkeit in dieser heiligen Zeit uns segnen durch Deinen heiligen Geist, damit Derselbe uns bereite zu einem heiligen Leben und zu einem seligen Sterben. Lass uns voll Geistes werden. Ach, wir bitten Dich, erbarme Dich über uns und sei uns armen Sündern gnädig. Wir wissen es ja, dass Du das Werk, das Du in uns angefangen hast durch Deinen heiligen Geist, nicht unvollendet lassen willst; aber wir wissen auch, dass wir zu nichts Rechtem kommen würden, wenn Du nicht mit Deiner Gnade bei uns wärst. Nun, liebster HErr JEsu, so wollen wir uns Dir ganz und gar ergeben und dem heiligen Geist stille halten. Handle mit uns, wie Dir's wohl gefällt; mach uns nur selig! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/harms_theodor/harms_theodor_-_des_christen_himmelsreise_-_1.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain