Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - III. Die gemeinsame Reformationsarbeit.

Erichson, Alfred - Ulrich Zwingli und die elsässischen Reformatoren - III. Die gemeinsame Reformationsarbeit.

Kehren wir nach Straßburg, dem Mittelpunkt der elsässischen Reformation, zurück. Hier hatte der Name Zwingli bei Magistrat und Bürgerschaft einen guten Klang. Durch seine Verwendung beim Zürcher Rat wurde ein Fähnlein, welches die Vorväter, Anno 1499, in der Schlacht von Dornach in der Schweiz verloren hatten und das eine Zeit lang als Siegesbeute im Münster zu Zürich gehangen, nach Straßburg zurückgesandt, ein Dienst, den gute Patrioten gewiss nicht leicht vergessen. Die Obrigkeit sah es nicht ungern, dass man in der Lehre mit den alten Bundesgenossen einig sei. Trotz allem, was seitdem von dem ursprünglichen Dasein einer „lutherischen Orthodoxie“ der Straßburger Kirche behauptet worden ist, finden wir in jener Zeit eine auffallende Übereinstimmung zwischen den Reformatoren des Elsasses und ihrem Lehrer und Apostel, Ulrich Zwingli.

Für diesen wie für jene galt als Hauptgrundsatz der Reformation: „dass wir durch Christum und sein Evangelium einen festen Glauben und herzlich Vertrauen zu Gott, als zu einem gnädigen Vater haben sollen, der uns alles Gute an Leib und Seel, ohn all unser Verdienst, aus lauter Gnade zukommem lassen und alle Sünden verzeihen will.“ Kürzer als in diesem Butzer'schen Satz spricht sich Zwingli aus: „Der Glaube ist nicht Anderes, denn ein Vereinbaren Unser in Gott durch stete Zuversicht und Zulauf zu ihm.“ Aussprüche über die Autorität der heiligen Schrift als die einzige Glaubensregel, über das Recht und die Freiheit des Gewissens, der Tradition und der Kirche gegenüber, und über die persönliche Verantwortlichkeit des Einzelnen in Bezug auf Glauben und Leben, sind eben so evangelisch als freisinnig: „Was jeder bei ihm selbst gewisslich glaubt und weiß, sagte Capito, das lehre er in Gottes Namen. .. Wir sind alle Menschen, und Niemand darf sich in Sachen des Glaubens auf das Urteil des Anderen verlassen.“ Und Butzer äußert: „Wir sind Gott- und Christgläubig und nicht Kirchgläubig.“ Er lobt Zwingli „dass er seinen Verstand den Wittenbergern nicht gefangen gebe. Auch einem Engel vom Himmel soll man in Glaubenssachen nicht folgen, sondern allein dem Worte Gottes“ (14. April 1524).

Eine vorzugsweise auf den Verstand sich gründende Geistesrichtung war den Straßburgischen Theologen mit Zwingli gemein. Beiderseits legte man den kirchlichen Handlungen nur insofern Wert bei, als sie zur Erbauung dienen konnten; weder der Taufe noch dem Abendmahl wurde eine übernatürliche Wirkung zugeschrieben. Beiderseits auch forderte man ein praktisches Christentum, im Gegensatz zu dem bloßen Wort- und Lippenbekenntnis. „Des Christen Sache kann es nicht sein, sagte Zwingli, über Glaubensartikel in hohen Worten zu reden, sondern mit Gott allezeit Schwieriges und Großes zu vollbringen. .. frommer Christ, lass dir keines Menschen Namen auflegen und leg ihn auch Niemand auf. Sprich nit zu deinem Nächsten: bist du auch luthrisch? sondern frag ihn, was er uff der Lehr Christi halte, ob er ein Christ sei, d. h. ein unablässlicher Wirker des Guten gegen Gott und den Menschen!“ - Dass niemand ihm selbst, sondern anderen leben sollt,„ lautete der Titel der ersten gedruckten Schrift Butzers, vom Jahr 1523, in fast wörtlicher Übereinstimmung mit einem gleichzeitigen Ausspruch Zwingli's: „Wir sind nicht geboren, um uns selbst zu leben, sondern um Allen Alles zu werden.“

Von diesem Geiste getragen, ging in Straßburg wie in Zürich das Reformationswerk vor sich. Abschaffung der Feiertage, außer dem Sonntag, Entfernung der Heiligenaltäre, der Reliquien, der Kruzifixe, Gemälde und Statuen aus den Kirchen, Weglassung der Messgewänder und der lateinischen Sprache beim Gottesdienst und gewisser Zeremonien (Salz, Sicht, heiliges Oel) bei der Taufe, - in allen diesen Punkten blieb Luther noch zurück, während die Straßburger im Einklang mit Zwingli vorwärts schritten und gründlich damit aufräumten.

Eine weitere Ähnlichkeit in der Reformationsarbeit der beiden Städte lag in der energisch betriebenen Einführung christlicher Zucht, in der Organisation des Armenwesens, mit Benutzung des Vermögens der aufgehobenen Klöster, und in der Errichtung niederer und höherer Schulen. Über die frühe und fleißige Betreibung der griechischen und hebräischen Sprache waren Butzer und Capito mit Zwingli ganz einverstanden, als Luther immer noch größeres Gewicht auf das Lateinische legte.

Mehr als anderswo betonte man das Recht der Gemeinde, ihre Pfarrer zu wählen, den Gottesdienst zu ordnen und die Einkünfte zu verwalten. Zu Straßburg wie in Zürich ließ man die „Diener am Wort“ frei. vom Zwang bindender Agenden und Glaubenssatzungen. Aufs energischste verwahrte sich, unter Anderen, Capito gegen das Entstehen neuer Formeln und Kirchengesetze, „welche die unendliche und aufs mannigfaltigste sich gestaltende göttliche Wahrheit in bestimmte Grenzen bannen wollen.“ Man wollte nichts wissen von der bald in Luthers Umgebung aufkommenden Anmaßung Vieler, „welche den Geist anderer in das Maß der ihnen zu Teil gewordenen Erkenntnis und Offenbarung einzwängen.“ „Wird doch dadurch die Eintracht unter den Auserwählten auf eine unsinnige Weise gebrochen und der verderbliche Hass unter den Gläubigen begründet. „Wir sind die einzigen Träger und Erhalter des Glaubens!“ sagen sie, und doch würden wir dergleichen weder den Kaisern noch den Päpsten zugestehen, und mit Recht, denn der Glaube kommt von Gott allein und steht vor ihm allein… Dies ist die Bedingung des Friedens: Ich will dir und du sollst mir gestatten, überzeugt zu sein und zu glauben nach der Gabe, die uns verliehen ist.“ So schrieb Capito an die Königin von Navarra am 22. März 1528.

Das eigentliche Wesen des Christentums bestand also für diese Männer nicht in einer vermeintlichen Rechtgläubigkeit, wie für Luther, sondern in dem inneren gottseligen Leben und in dem durch die Liebe tätigen Glauben. „Der wahre Christ,“ lehrte Zwingli, in seiner Schrift „von der wahren und falschen Religion,“ „ist derjenige, der sein Vertrauen, das ihm durch Christum geworden, ganz auf Gott setzt und sein Leben nach ihm zu bilden strebt.“ Auch Matthäus Zell sagt: „Was sich nicht streckt auf den Glauben in Christum und auf die Liebe des Nächsten, heißt nicht das Evangelium gepredigt. .. Was ist Christum pur predigen anders, als das Gesetz der Liebe predigen?“

In innigstem Zusammenhang mit dieser Auffassung vom Christentum steht die von Zwingli und den elsässischen Reformatoren angestrebte Vereinigung aller Evangelischen, bei aller Verschiedenheit der Lehrmeinungen.

Als eine Frucht ihres weitherzigen Sinnes erscheint uns auch die Bereitwilligkeit, die um des Glaubens willen Bedrängten und Verfolgten, welche man sich gegenseitig empfahl oder zuwies, aufzunehmen. In einem Zeitalter der Unduldsamkeit ehrt sie Zürich und Straßburg in gleichem Maße und rechtfertigt den Lobspruch eines Zeitgenossen: „Diese Großmut gereicht Straßburg zu größerem Ruhm als der hohe Münsterturm und die Taten im Burgunderkrieg.“

Endlich tritt uns noch ein schöner Zug entgegen in der treuen Fürsorge für die Verbreitung des Evangeliums in anderen Ländern, sowie Frankreich und Italien.

Berechnet man alle diese Berührungspunkte in Lehre, Einrichtungen und Bestrebungen, so ergibt sich die Antwort auf die Frage, ob die ursprüngliche Straßburgische Kirche eine reformierte oder eine lutherische gewesen, von selbst.

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