Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 12. Andacht.

Ev. Joh. Kap. 10.

Das heutige Kapitel enthält wieder eine Menge der herrlichsten Verheißungen und Mahnungen, die uns tief in den Staub beugen und unsere Herzen zu Lob und Dank ohne Aufhören stimmen müssen.

Wenn ich allemal den heiligen Schwur des Heilandes, Sein „Wahrlich, Wahrlich, ich sage euch!“ lese, werde ich immer wieder auf's Neue von der Macht und Tiefe Seiner Verheißung, aber auch Seiner Ermahnungen, Seiner Liebe und Seines Ernstes durchdrungen und zur Selbstprüfung getrieben. Ja, meine Lieben, es tut ernstlich not, dass wir in eine gründliche Selbstprüfung eingehen, denn so lieblich auch das Evangelium von dem guten Hirten und Seinen Schafen klingt, es liegt ein furchtbarer Ernst darin, und es ist sehr nötig zu wissen, wie wir stehen, ob wir uns zu den Schafen Jesu zählen dürfen oder nicht.

Im 27. Vers steht geschrieben: „Ich bin ein guter Hirte, Meine Schafe hören Meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen Mir, und Ich gebe Ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie Mir aus Meiner Hand reißen; der Vater, der sie Mir gegeben hat, ist größer denn Alles, und Niemand kann sie aus Meines Vaters Hand reißen; Ich und der Vater sind eins.“

In diesen Worten liegt nun die ganze Macht und Tiefe der grundlosen Barmherzigkeit und Liebe unseres hochgelobten Heilandes, ein Abgrund von Erbarmen, den man gar nicht ausdenken kann, und man sollte glauben, Alle, welche diese Worte hören, werden so vollständig von dieser unendlichen Liebe überzeugt und davon übermannt, dass sie Alles daran setzen, auch zu den Schafen des guten Hirten, unseres treuen Herrn und Heilandes gezählt zu werden. Wenn freilich keine Bedingungen daran geknüpft wären, würde der Heiland viele Bekenner, der Hirte viele Schafe haben. Der Herr sagt öfters: „Ihr glaubt nicht, und deshalb seid ihr Meine Schafe nicht, Meine Schafe hören Meine Stimme und ich kenne sie, und sie folgen Mir rc.“

Also glauben müssen wir, lebendig glauben, auf die Stimme des Hirten hören und ihr folgen. Wie steht's da bei uns? Stehen wir auf dem unerschütterlichen Felsen, dem Wort, das Jesus Christus selbst ist, hören wir nur auf Seine Stimme, hören wir nicht viel mehr auf die Stimme unseres eigenen Ichs, des Teufels und der Welt, und folgen ihr? Ganz in dem Grad, wie wir die Wahrheit des göttlichen Wortes erkennen und in uns eindringen lassen, in diesem Grad können wir uns der herrlichsten Verheißungen trösten. Der alte Mensch muss vernichtet werden, dann können wir in der tiefsten Demut erkennen, dass Alles an uns neu werden muss nach Körper und Geist, nach Herz und Gemüt. Augen, Ohren, Mund und Zunge, alles muss erneuert werden, und wir müssen ohne Unterlass den Herrn um Heiligung und Erneuerung bitten; Er möge Seinen heiligen Geist uns senden, dass Er uns vollbereite, stärke, kräftige und gründe, damit Er uns, die wir bisher nur angeleuchtet waren, mächtig durchleuchten und zum völligen Sieg verhelfen möge. Der Herr will's tun, Er will helfen und erretten, das hat Er uns in einem Wort verheißen; aber wir müssen dann unverrücklich bei Ihm, in Seiner nächsten Nähe bleiben, auf Seine Stimme hören und Ihm folgen; unser Wille muss dabei sein, denn was hilft es, wenn der Hirte immer ruft und lockt, auch Seinen Hund als Treiber hinten her schickt; wenn eben das Schaf absolut in der Irre bleiben will, kann Er nichts machen. Der Herr wendet das Äußerste an, daher kommt es auch, dass Er uns oft mit so schweren Züchtigungen heimsuchen muss. Er hat einmal geschworen uns selig zu machen, deshalb will Er nichts, gar nichts versäumen, damit ihn die Seelen einst drüben nicht anklagen können. Er hält uns fest. In Seine Hände sind wir gezeichnet, Niemand kann uns aus Seiner Hand reißen, nicht Teufel, nicht Tod noch Hölle; Alles hat der Herr überwunden und unter Seine Füße getreten; nichts kann eine Macht mehr an uns haben, nichts uns Ihm entreißen, wenn wir nicht selbst uns von Ihm entfernen, und das, meine Lieben, ist ein sehr wichtiger Punkt. Keinen Finger breit dürfen wir uns von Ihm entfernen. Er ist ein eifersüchtiger Gott, Er kann durchaus nicht dulden, dass wir andere Dinge mehr lieben, als Ihn, Er will Besitz von unserem ganzen Herzen haben, und dann, wie gut haben wir es! dann kommen wir von einer Freude in die andere, von einer Klarheit zur andern, Alles, was Er uns erworben, ist unser, wir dürfen uns auf jedes Wort der Verheißung felsenfest verlassen und können in Seiner Kraft Taten tun. Wir wollen uns doch recht prüfen, meine Lieben, zu welcher Gattung wir gehören und wie es bei uns steht, ob wir nahe bei dem Hirten sind, oder ob wir zu den Nachzüglern der Herde gehören, zu den trägen, unfolgsamen Schafen, die sich immer wieder von der Herde entfernen und dem Hirten viele Mühe machen, dass Er fort und fort rufen und locken muss. Ach, wie unsäglich viele Mühe machen wir doch dem lieben Heiland durch unsern Ungehorsam. Prüfe sich doch ein Jedes, wie lange es eigene Wege, Sündenwege gegangen, die eitel Unfall und Herzeleid hervorgerufen haben. Wir wollen lieber der sanften, süßen Stimme unseres treuen Heilandes Gehör schenken. Es ist ja schrecklich, wie es oft in den Herzen aussieht, wie viel Unglaube, Zweifel, Kleinmütigkeit, Ungehorsam und Lieblosigkeit zu finden ist, wie wir uns immer und immer wieder vom Satan belügen und endlich uns in Ruhe und Sicherheit haben bringen lassen, weil wir der finsteren Macht und ihren Einflüsterungen mehr Gehör geschenkt haben, als dem Liebesruf unseres lieben Heilandes, „dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.“ Glaubt ihr, es sei Ihm eine Freude, immer Seinen Treiber hinter uns her zu schicken, Seine Zuchtruten über uns schwingen zu müssen? Gewiss nicht, es ist ihm der größte Schmerz, denn Sein Erbarmen hat ja kein Ende. Er lässt die neun und neunzig Schafe in der Wüste stehen, und geht, um das Eine verlorene zu suchen. O, sollte uns da das Herz nicht auch brechen vor Schmerz über unsere Untreue und unsere Halsstarrigkeit?

Ach, es ist gar nicht zu sagen, wie viel Mühe und Arbeit wir dem lieben Heiland machen, bis endlich unser Herz weich und gebrochen, demütig und willenlos ist, bis wir unsere eigene Schuld erkennen und bekennen, und endlich mit Furcht und Zittern schaffen, dass wir selig werden, bis es uns ein rechter Ernst ist, zu überwinden und durchzudringen. Die wahre Bekehrung ist eben keine leichte Sache, sie erfordert große Beharrlichkeit, und vor allem gründliche Selbsterkenntnis und gänzliche Vernichtung. Haben wir uns auch endlich von groben Sünden losgesagt und diese in der Kraft Jesu überwunden, dann geht die Arbeit erst recht an, dann kommt die feine Geisteszucht, die es haarscharf nimmt und uns offenbart; wie wir in unsern Herzen noch abscheuliche Nester von Ungeziefer aller Art beherbergen, die alle ausgerottet werden müssen, und das ist keine leichte Mühe, weil wir dadurch alle satanischen Mächte in Aufruhr bringen, die noch Alles versuchen, uns zu umgarnen und fest zu halten. Aber ist endlich das Herz gesäubert von aller Unreinigkeit und geheiligt durch Jesu Blut und Wunden, dann wird auch der Körper gesünder werden. Ach, dass einmal dieser Leib im wahren Sinne des Worts ein Tempel des heiligen Geistes wäre, und von aller Ungeduld, Zweifel und Kleinmütigkeit frei und los würde! Wie lange lassen wir noch den Herrn warten, bis wir Ihn ernstlich suchen und zu Ihm kommen? Wir dürfen nie vergessen, wer wir sind und wer wir waren, dass die Gerichte lauter göttliche Gerechtigkeit sind und dass Alles Gnade ist, was Er uns schickt. Deshalb wollen wir auch ohne Unterlass loben und danken, in aller Demut und Stille vor dem Herrn liegen und im festen, lebendigen Glauben Seiner Hilfe harren, die, wenn sie auch verzeucht, doch nie ausbleiben wird, so wir unter dem Schatten Seiner süßen Jesushand bleiben und der Zucht des Geistes uns willig überlassen. Aber diese Zucht will dem Menschen nicht gefallen; wir sehen das auch oft bei den Juden. Wenn der Herr noch so mild und freundlich mit ihnen redete, sagten sie stets, „das ist eine harte Rede;“ das kam daher, dass Er einen wunden Fleck bei ihnen berührte.

Wer sich selbst noch liebt und hochmütig ist, liebt es nicht, die Wahrheit zu hören. Um die Wahrheit hören zu können, muss man demütig sein. Die Juden waren so verstrickt und verblendet von der Sünde und dem Satan, dass sie sogar, als der Herr Seine Wunder getan, glaubten, Er tue dieselben mit Beelzebub, dem Obersten der Teufel. Wenn wir Wahrheit hören, sollen wir sie immer zuerst prüfen, ehe wir sie verwerfen oder bei Seite schieben, denn Wahrheit bringt Licht. Die Juden aber, die wohl eingesehen, dass Jesus die Wahrheit lehrte und der erwartete Messias sei, widerstrebten doch fortwährend dieser Wahrheit und machten sich dadurch großer Sünden teilhaftig.

Ach, meine Lieben! Wir wollen uns recht prüfen, ob wir nicht auch, wie die Juden, der Wahrheit widerstreben! Wir wollen den Herrn bitten: Mache uns weise und durchdringe uns mit Deiner göttlichen Wahrheit, Weisheit und Geduld, dass wir nicht einmal als Solche erfunden werden, die wider Deine Wahrheit gestritten, sondern als Solche, die durch Deine Wahrheit sich haben leiten lassen. Amen.

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