Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - Er selbst beruft uns dazu.

„Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Joh. 13. 15.

Es ist Jesus Christus, der Heiland unsrer Seelen, der also zu uns spricht. Soeben hatte Er, zu der Arbeit eines Sklaven sich herablassend, den Jüngern die Füße gewaschen. Damit hatte Er ihnen dem Leibe nach den Dienst getan, dessen sie bedurften und zugleich in ergreifendem Sinnbild dargestellt, was Er durch die Reinigung von ihren Sünden an ihren Seelen getan hatte. In dieser zweifachen Liebestat hatte Er, kurz von seinem Abschied von ihnen, in einer bedeutungsvollen Handlung, das ganze Werk seines Lebens, als Segensdienst für Leib und Seele vor ihre Augen gestellt. Indem Er sich hierauf wieder setzte, sprach Er: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Alles, was die Jünger bisher an Ihm gesehen und erfahren hatten, wurde in dem kurzen Wort: „Tut, wie ich euch getan habe,“ als Regel ihres zukünftigen Lebens aufgestellt.

Dies Wort des Heilands gilt auch uns. Einem jeden, der da weiß, dass der HErr seine Sünden abgewaschen hat, wird mit ergreifender Gewalt, als eines der letzten Worte dessen, der für uns gestorben ist, der Befehl erteilt: „Wie ich euch getan habe, also tut auch ihr.“ Jesus verlangt in der Tat von einem jeglichen unter uns, dass wir gerade so handeln, wir Er handelte. Was Er an uns getan hat und noch täglich tut, das sollen wir an andern üben. Er ist unser Vorbild in seiner herablassenden, vergebenden erlösenden Liebe; ein jedes von uns soll des Meisters Ebenbild wiederstrahlen.

Sogleich erhebt sich der Gedanke: Ach, wie wenig habe ich danach gelebt; wie wenig ist es mir zum Bewusstsein gekommen, dass dies von mir erwartet werde! Und doch ist Er mein HErr; Er liebt mich und ich liebe Ihn; ich darf nicht daran denken, ein anderes, als ein Ihm wohlgefälliges Leben führen zu wollen. Was kann ich anderes tun, als mein Herz seinem Wort aufschließen, als sein Vorbild so fest ins Auge fassen, bis es seine göttliche Macht an mir ausübt und mich mit unwiderstehlicher Macht antreibt, auszurufen: „HErr, wie du getan hast, so will auch ich tun.“

Von zwei Dingen hauptsächlich hängt die Macht des Beispiels ab. Es fragt sich zunächst, ob das Beispiel etwas anziehendes hat, und dann in welcher Beziehung wir zu demjenigen stehen, dessen Beispiel uns vorgestellt wird und welchen Einfluss er auf uns ausübt. Welche Kraft liegt, von diesen beiden Gesichtspunkten aus betrachtet, in dem Vorbild unsers HErrn!

Liegt aber in der Tat etwas sehr anziehendes in dem Beispiel unsers Heilands? Ich stelle diese Frage allen Ernstes, denn, nach dem Wandel vieler seiner Jünger zu urteilen, scheint es, als ob dem nicht also wäre. O, dass es dem Geist Gottes gelingen möchte, unsere Augen zu öffnen, damit wir die himmlische Schönheit, die uns in dem Bilde des eingebornen Sohnes Gottes vorgestellt wird, erkennen möchten!

Wir wissen, wer der HErr Jesus ist. Er ist der Sohn des großen, herrlichen Gottes, eins mit dem Vater in seinem Wesen, seiner Herrlichkeit und Vollkommenheit. Als Er auf Erden wandelte, konnte von Ihm gesagt werden: „Wir verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war in dem Vater, und ist uns erschienen.“ In Ihm sehen wir Gott und können uns vorstellen, wie Gott handeln würde, wenn Er an unser statt auf dieser Welt wäre. Alles, was in der himmlischen Welt schön, lieblich und vollkommen ist, sehen wir in Ihm, in der Gestalt des irdischen Lebens, vor uns. Wollen wir erfahren, was im Himmel für edel und herrlich gilt; wollen wir sehen, was göttlich ist, so müssen wir Jesum anschauen; in allem, was Er tut, offenbart sich uns die Herrlichkeit Gottes.

Aber ach, wie blind sind doch so manche Gotteskinder; diese himmlische Schönheit hat keine Anziehungskraft für sie; da ist keine Gestalt, die ihnen gefallen hätte.

Die Sitten und die Lebensweise am Hofe eines irdischen Königs üben einen Einfluss aus im ganzen Reich. Das von dort ausgehende Beispiel wird von allen, die dem Adel oder den höheren Klassen angehören, nachgeahmt. Aber das Beispiel des Königs im Himmel, der da kam und im Fleisch wohnte, damit wir sähen, wie wir auf Erden ein Gott ähnliches Leben führen könnten, ach, bei wie wenigen seiner Untertanen findet es wirkliche Nachfolge!

Schauen wir Jesum an in seinem Gehorsam gegen den Willen des Vaters, in seiner Erniedrigung als Diener der allerunwürdigsten, in seiner Liebe, die sich in der völligen Darangabe und Aufopferung seiner selbst äußerte, so sehen wir hierinnen das wunderbarste und herrlichste, was wir uns denken können; sogar im Himmel werden wir nichts größeres noch bewundernswürdigeres sehen. Sollte ein solches Beispiel, das uns Gott absichtlich vor Augen gestellt hat, damit wir dessen Nachahmung als anziehend und erreichbar erkennen, uns nicht locken? Liegt nicht Kraft genug in dem Wort: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe,“ um alles, was in uns ist, mit heiligem Eifer und unaussprechlicher Freude zu erfüllen?

Das ist aber nicht alles. Die Macht eines Beispiels liegt nicht allein in der ihm innewohnenden Vollkommenheit, sondern auch in dem persönlichen Verhältnis zu dem, der das Beispiel gibt. Jesus hatte nicht die Füße anderer in der Gegenwart seiner Jünger gewaschen; als Er ihre Füße gewaschen hatte, sagte Er: „Tut, wie ich euch getan habe.“ Es ist das Bewusstsein einer persönlichen Beziehung zu Jesu, das den Befehl: „Tut, wie ich getan habe,“ desto nachdrücklicher macht. In der Erfahrung dessen, was Jesus an mir getan hat, liegt die Kraft, in welcher ich hingehen kann und gleiches an andern üben. Er verlangt nicht, dass ich mehr tue, als was Er getan hat; aber auch nicht weniger: Wie ich euch getan habe. Er verlangt nicht, dass ich, sein Diener, mich tiefer erniedrige, als Er es getan hat und doch wäre es nicht zu verwundern, wenn Er es von einem solchen Wurm erwartete. Aber dies wünscht Er nicht; Er will nur, dass ich gerade so lebe und handle, wie Er, der König, gelebt und gehandelt hat. Er hat sich so tief erniedrigt, als es nur möglich war, um mich zu erlösen und zu segnen; dieses rechnete Er sich als höchste Ehre und Freude an und nun fordert Er mich auf, an dieser Ehre und Freude teilzunehmen, indem ich liebe und diene, wie Er. Wahrlich, wenn ich die Liebe erkannt habe, die auf mir ruht und die Erniedrigung, durch welche allein diese Liebe mich erreichen konnte und die Kraft der Reinigung, durch welche ich gewaschen bin, dann kann mich nichts zurückhalten, meinem HErrn auf seinen Befehl zu antworten: „Ja, lieber HErr, wie du mir getan hast, also will auch ich tun.“ Durch die himmlische Lieblichkeit des großen Beispiels, und durch die göttliche Liebesfülle desjenigen, der das Beispiel darstellt, wird uns dasselbe so überaus anziehend.

Aber ich darf Eines nicht vergessen. Es ist nicht die Erinnerung an das, was Jesus einmal für mich getan hat, sondern die lebendige Erfahrung dessen, was Er mir heute ist, wodurch ich Kraft erlange, wie Er zu handeln. Seine Liebe muss mir eine beständige Realität sein, deren Lebenskraft sich in mich ergießt, und durch welche ich lieben kann, wie Er liebte. Nur insofern ich durch den Heiligen Geist erfahre, was Jesus an mir tut, wie Er er es tut, und dass Er es tut ist es mir möglich, an andern zu handeln, wie Er an mir handelt.

„Wie ich euch getan habe, also tut auch ihr!“ Welch ein köstliches Wort! Welch ein herrlicher Ausblick! Jesus will die göttliche Kraft seiner Liebe in mir offenbaren, damit ich hingehe und sie an andern beweise. Er segnet mich, damit ich andere segne. Er liebt mich, damit ich andere liebe. Er wird um meinetwillen ein Diener, damit ich andern diene. Er gibt sich ganz dahin für mich, damit ich mich für andere hingebe. Ich soll nur an andern üben, was Er an mir getan hat, nichts weiter. Ich kann es, eben weil Er dasselbe in mir wirkt und es ist nichts anderes, als das Übertragen dessen, was ich von Ihm empfange.1)

O mein gnädiger Heiland, was soll ich nun anders tun, als loben und beten? Mein Herz ist überwältigt von deinem wunderbaren Anerbieten, dass du alle deine Liebe und Macht in mir offenbaren willst, wenn ich darein willige, dieselbe durch mich auf andere überströmen zu lassen. Zwar mit Furcht und Zittern, aber dennoch voll Anbetung und tiefen Dankes, in freudigem Gehorsam nehme ich dein Anerbieten an und sage: Hier bin ich, zeige mir, wie sehr du mich liebst und dann will ich hingehen und es andern zeigen, indem ich sie so liebe, wie du mich geliebt hast.

Damit ich dieses tun könne, so verleihe mir zweierlei: Gib mir durch deinen Heiligen Geist einen klaren Einblick in deine Liebe zu mir, damit ich erkenne, wie du mich liebst, wie deine Liebe zu mir deine Freude und Wonne ist und wie du in dieser Liebe dich mir so völlig zu eigen gibst, dass ich in dir alles habe, was ich brauche. Schenke mir dieses, HErr, dann werde ich lernen, andere zu lieben und für sie zu leben, wie du mich liebst und für mich lebst.

Und dann, so oft ich es fühle, wie wenig Liebe ich habe, gib es mir zu erkennen, dass deine in mich ausgegossene Liebe, nicht die Liebe meines engen Herzens es ist, wodurch ich deinen Befehl, zu lieben, wie du liebst, erfüllen kann. Bin ich nicht deine Rebe, o mein himmlischer Weinstock? Es ist die Fülle deines Lebens, deiner Liebe, die durch mich Segen und Liebe auf diejenigen ergießt, die mich umgeben. Dein Geist ist es, der mir zugleich offenbart, was du mir bist und mich auch dazu tüchtig macht, was ich andern in deinem Namen sein. soll. In diesem Glauben wage ich es, zu sagen: „Amen, HErr, gleichwie du mir getan hast, also tue ich auch. Ja, Amen.“

1)
Wie schön ist dies ausgedrückt in den Worten Mosis an Horeb (4 Mos. 10,32): „Wenn du mit uns ziehst, was der HErr Gutes an uns tut, das wollen wir an dir tun.“
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