Zeller, Johannes - Vom Kommen zu Jesu.

Über Joh. 1,47. (Erste Predigt im Spital in Zürich, d. 21. Juni 1835.)

Text: Joh. 1, 47.
Philippus spricht zu ihm: komm und sieh es.

Es ist ein kurzes, euch allen, wenn nicht durch treues, immer fortgesetztes Bibellesen, so doch aus ferner Erinnerung, wohlbekanntes, inhaltsreiches Wort der Heiligen Schrift, das ich unserer heutigen, ersten Betrachtung zum Grunde lege: Komm und sieh! In jene Zeit versetzt es uns, als Jesus, unser Herr, beim Antritt seines Amtes Jünger um sich sammelte. Der Täufer Johannes wies seine Jünger zu Jesus hin; Andreas und Johannes waren die ersten, die sich ihm nahten; sie vernahmen aus seinem eigenen Mund die Aufforderung: kommt und seht! Dann schlossen sich ihnen zunächst Petrus, Philippus und Nathanael als seine Nachfolger an. Der zweifelnde Nathanael wurde durch das ihn zum näheren Betrachten auffordernde Wort des Philippus überwunden und gewonnen. O, es komme nur ein Jeder dahin, wo er hinging, und sehe mit offenen Augen, wie Nathanael; und er wird auch nicht mehr von Jesu lassen können und fortan sein Eigentum sein. Wie hier ein Freund zum andern kam und nichts Wichtigeres zu sagen hatte als: komm zu Jesus und siehe -, so komme ich auch heute, und so oft ich komme, als Freund zu euch und als ein Freund, der euch allen gerne das gäbe und von Herzen mitteilte, was ihm das Wichtigste und Liebste ist, und da kann ich auch nichts Besseres tun, als euch jenes: „Komm und sieh!“ zurufen.

Es ist ein Aufruf an uns alle, die wir hier sind: denn sollten etwa diejenigen unter euch, die sich schon aufgemacht, schon zu Jesu hingekommen und auf Ihn gesehen haben, jenes nicht mehr bedürfen und satt und befriedigt sein? In Jesu wohnt ja leibhaftig die Fülle der Gottheit, und diese hat noch Keiner hienieden auf Erden ausgeschaut und durch und durch erkannt. Und ihr, die ihr leidet und schwere Tage und noch schwerere Nächte der Trübsal durchlebt und oft nicht wisst, wohin ihr eure Gedanken richten sollt, um von der Wehmut oder dem Überdruss befreit zu werden, ihr müsst es ja auch gerne vernehmen, wenn ein Freund zu euch kommt und euren Gedanken ein festes, unbewegliches Ziel, das zugleich eine reiche Quelle der Seligkeit ist, zeigt, wenn er in eure dunklen, einsamen Stunden das erquickende Licht und die beseligenden Töne von dem hineinbringt, was kein Aug gesehen, was kein Ohr gehört hat, und was in keines Menschen Herz gekommen ist, sondern was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben. Und wenn ihr nun nicht nur die Bürde eures Leibes fühlt, sondern die noch schwerere eures Herzens mit all seinen Begierden und Sünden, mit seiner Strafe, die es wegen des Vergangenen, das ihm doch immer, so schreckend gegenwärtig ist, in sich trägt, und mit seiner Angst, die ihm beim Blick in die Zukunft den Frieden stört: sagt, nicht wahr, jenes Wort: „Komm und sieh“ welches euch zu Dem hinführt, der selbst sagte: kommt herzu mir alle, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch erquicken kann euch ja nicht ganz gleichgültig lassen. Nein, nein, seien wir gesund oder krank, glücklich oder unglücklich, auf ebener, gerader Bahn, oder auf rauem, verwirrtem Lebenswege - zu Jesu müssen wir kommen, auf Ihn müssen wir schauen, wenn wir sicher gehen und den Eingang ins ewige Vaterhaus finden. wollen. Es wäre nun gar so lieblich, wenn ihr den Ruf mit aufrichtigem, unbefangenem Gemüt aufnehmt, wie Nathanael, und ich dann hinwiederum durch die Gnade Gottes, die sich in euch offenbart, durch die Freudigkeit, die ihr zum immer näheren Kommen zu Jesus habt, und durch die Treue, die ihr im immer liebenderen, tieferen Schauen auf Ihn zeigt, auch den Ruf des Freundes, dessen ich ebenso wie ihr bedarf, vernehme und mich durch euch dann aufgefordert sehe, immer treuer an Jesu mich anzuhalten. Lieblich wäre es, in solcher Wechselwirkung des Segens zu stehen, und gewiss nicht nur vor unsern menschlichen Augen, sondern mehr noch vor Gottes Augen wäre es so. Von ihm muss aber dieses Glück kommen, und ich hoffe, Er gibt es uns. Wir wollen nun mit Seiner Kraft den Weg dazu anbahnen und nun zu unserer Erbauung, indem wir vom Kommen zu Jesu reden, zuerst genauer erwägen:

wohin wir denn also kommen sollen: dann:
worin das Kommen zu Jesu und Sehen auf Ihn bestehe, und zuletzt:
was für eine Verheißung dasselbe hat.

Der Herr stehe uns bei und segne uns.

Amen.

I.

Wir können heute nur andeuten, nur hinweisen. Ich habe mir meine Grenzen mit Absicht weit gesteckt, um euch einleitend zugleich die Summe der künftigen Betrachtungen zu geben. Was heute nur kurz berührt wird, soll später weiter ausgeführt, in seinen vielen Beziehungen nachgewiesen, in seiner Fülle mehr enthüllt werden. So gerade unsere erste Frage und Antwort: Wohin werden wir durch das heute zum Grunde gelegte Bibelwort, wohin werdet ihr dadurch aufgefordert, zu kommen? zu Jesus. Und in diesem einzigen Worte: Jesus! ist die Fülle der himmlischen Schätze enthalten, so dass alles, was vor seinem Erscheinen auf Erden seit Jahrtausenden die Weisesten und Frömmsten gesucht, geahnt, gehofft, verkündigt, und was seit seinem Wandeln unter uns Millionen geglaubt, erfahren, durchlebt haben, in Ihm allein umfasst ist und noch nicht erschöpfend besungen und verkündigt wurde. Ja zu Jesus sollen wir kommen, wo aller Menschen Herzen Befriedigung und Ruhe finden, weil Er der ist, der er ist, und weil er das getan hat, was Er allein tun konnte - Ihn sollen wir sehen in dem, was er ist, und was er tat. Beides umfasst der Täufer in dem Einen Ausspruch: siehe da, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt! Nun denn also: Der, zu dem wir kommen sollen, ist von Gott gekommen und ist nicht wie wir von der Erde. Ehe Abraham war, ist er, in des Vaters Schoß war er, er ist der eingeborne Sohn - und da kam er und ward Mensch. Wir stehen vor einer wunderbaren, nicht ganz zu begreifenden und doch nichts desto weniger unerschütterlich währen, einst gewiss uns ganz klar werdenden Tatsache, dass Jesus der ewige Sohn Gottes und zugleich wahrhaftiger Mensch ist. Und zu diesem wunderbaren, erhabenen, heiligen und doch unsern Herzen so nahen, so ganz seinen Bedürfnissen entsprechenden Wesen sollen wir kommen. Es ist wahrlich kein toter Buchstabe, keine leere Erkenntnis, wenn wir wissen und bekennen, wer Jesus von Nazareth ist; denn nur, wenn wir dies verstehen, können wir zu Ihm kommen, und wissen wir, wie wir zu ihm kommen müssen, wissen wir, dass wir zu ihm kommen müssen: denn Er ist der Herr. Er kann gebieten und bittet, ruft, lockt an. Der Engel verkündigte von ihm, dass er König über das Haus Jakobs sein werde, und er ist es heute und gestern und in alle Ewigkeit derselbe. Die Menschen fielen aus Ehrfurcht zu seinen Füßen und bekannten: ja du bist der Sohn des lebendigen Gottes, und er pries den also Bekennenden selig! Eine Stimme aus dem Himmel, deutlich vernehmbar und heilig klingend, bezeugte: dies ist mein lieber Sohn, an dem ich ein Wohlgefallen habe, Ihn hört; so gefeiert ist er von den höheren Wesen, vom Vater im Himmel, und so mächtig war sein Eindruck, den er auf die Menschen machte. Er ist der Herr, in dessen Namen sich einst beugen sollen alle Knie derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und doch ist er uns so nahe, dass der Mensch sich ihm nahen darf, denn er ist ganz Mensch, aß und trank mit uns, freute sich, weinte, wie wir, und ward in Allem versucht, wie wir, nur ohne Sünde. Johannes, der doch auch ein sündiger Mensch war, durfte es wagen, sein Haupt an Jesu, des Sündlosen, Brust zu legen, und Maria durfte sich zu seinen Füßen legen; die von Menschen verachteten, verstoßenen Zöllner bewirteten ihn, eine Sünderin salbte und küsste ihn, die Kindlein jubelten, wo sie ihn sahen, ihm entgegen. Mit Einem Wort: er ist unser Herr, dessen Einladung wir annehmen müssen, denn wehe dem Ungehorsamen, sein Ende ist Verderben; wir können wahrlich nicht mit uns zu Rate gehen, ob wir zu Ihm kommen wollen oder nicht, gleich als ob beides ungefähr dasselbe wäre, nein, wir sollen zu ihm kommen; aber er ist auch unser Bruder, der uns das Kommen leicht macht, uns sucht, uns selbst herholt, und damit uns dies sein Bruderherz und zugleich seine göttliche Herrlichkeit noch von einer andern Seite enthüllt und wir dadurch eher getrieben und gezogen werden, zu ihm zu kommen, wollen wir nur noch einen Blick auf sein Werk tun, denn wie wir Gott den Schöpfer in der herrlichen Natur, die uns umgibt, in jedem Baume und jeder Blume, wie wir Ihn in jedem Wassertropfen erkennen können, so können wir Ihn als Erlöser auch aus seinen Werken und Taten, die er an uns erwiesen hat, erkennen. Jesus heilte Kranke mit Einem Wort, und zwar diejenigen, denen alle menschliche Kunst verloren war; er weckte Tote auf und gab sie den Ihrigen wieder; wer vermag solches, als nur, der von Gott gekommen ist? Die zerrüttetesten Menschen am Leibe konnte Er heilen. Aber Er tat Größeres als diese Wunder. Er liebte uns Menschen unbeweglich fest, auch dann noch, als er nur Schmerz und Böses von uns erfuhr; in beharrlicher Liebe suchte er die Ärmsten und Verlassensten auf, erquickte die Seelen, die sonst keinen Trost mehr fanden; er nahm, obwohl er göttlicher Gestalt war, Knechtesgestalt an und diente allen, die seine Dienste annahmen, am meisten denen, die selbst nur dienen und leiden mussten. Und fürwahr, in diesem treuen Suchen und Nachgehen, im Trösten und Tragen der Schwächen und Sünden der Menschen, in dem Mute, womit Er auch seine mächtigen Feinde und seine nächsten Freunde züchtigte, in der Freude, mit der er die Reuigen aufnimmt - kurz in allem, was Er redete, und wo Er schwieg, wo Er hindernd und fördernd handelt, ist Liebe in Ihm, und zwar mehr als menschliche Liebe, Gott ist allein die wahre Liebe. Aber auch hierbei stand Jesus, zu dem uns das: „Komm und siehe“ ziehen soll, noch nicht stille, wir haben noch mehr an ihm zu sehen wie Er, der Sohn Gottes, sich selbst um unserer willen erniedrigte und um unserer Missetat willen verwundet und zerschlagen wurde; er erniedrigte sich so, dass Er der Allerverachtetste und Unwerteste war, so dass man das Angesicht vor ihm verbarg - und ans Kreuz ließ Er sich schlagen um unserer Sünde willen, damit Er sie sühne, und von ihr erlöse und sie austilge. Zu Dem also sollen wir kommen, der die Herrlichkeit des Himmels hätte genießen können, und doch sein Leben für uns, da wir seine Feinde waren, hingab; zu Dem, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, und doch sich in der Sünder Hände überliefern ließ; zu Dem, der die Bande des Todes zerbrochen, dem Satan die Herrschaft über die Menschen genommen und uns seinem himmlischen Vater wieder gewonnen hat - zu Ihm, der das Leben, die Auferstehung, das Licht und die Wahrheit ist. Ja komm und siehe! klingt es jetzt in unseren Herzen.

II.

Aber wie kommen wir zu Ihm, wie, wo sehen wir Ihn? wie können wir dies Ziel erreichen ? Damals, als Jesus auf Erden wandelte, konnten sie zu ihm kommen, wie wir jetzt es nicht mehr können. Es hieß: siehe, er ist in diesem Hause! und wer mit ihm zusammen zu kommen wünschte, ging dann dahin; oder es hieß: siehe, er wird diese oder jene Straße hinziehen! und sie kamen und brachten Kranke zu Ihm, dass Er sie heilte sie konnten ihm ihr Anliegen Aug gegen Aug aussprechen, schon aus seinem milden Gnadenblicke Hoffnung, Trost und Hilfe schöpfen. Das können wir allerdings jetzt nicht mehr auf gleiche Weise wie sie, aber doch können wir immer noch zu Ihm kommen und Ihn sehen, und wahrlich nicht nur etwa nach einem bildlichen, uneigentlichen Ausdruck, sondern wahrhaft und wesentlich. Schon unter denen, die während seines Wandelns auf Erden zu Ihm kamen, war ja ein großer Unterschied: die einen kamen wohl und sahen Ihn und gingen, auch wenn sie Gaben von ihm erhalten hatten, doch wieder von ihm weg; andere kamen, sahen und blieben nun bei Ihm; - warum diese so, und jene anders? - warum? als weil sie aus niedrigen oder selbstsüchtigen Trieben kamen, die andern aber mit lauterem Verlangen; oder weil jene dem die Tiefen ihres Herzens erschütternden Eindrucke von Jesus nicht Raum geben wollten, diese aber ihr Herz immer mehr dem Licht der Wahrheit öffneten und ihm hingaben? Diese beiden Arten der Kommenden zu Jesu sind aber auch jetzt noch unter uns. Aber wie können wir denn zu ihm kommen? das fragt ihr alle gewiss mit Ungeduld. Wir haben nun Ihn nicht mehr mit leiblichen Augen zu suchen, sondern im Geist; denn Er ist jetzt verklärt beim Vater; aber auch da sind nun gar verschiedene Arten, wie man zu ihm gelangen will. Von denen, die sich nicht um den Herrn bekümmern, tun und denken, als ob Er gar nicht in der Welt wäre, wollen wir nicht einmal reden; denn diese suchen ihn nicht, wollen nicht zu ihm kommen und werden daher auch immer ferne von ihm bleiben. Aber unter denen, die da kommen wollen, sind solche, denen, obgleich sie sich Mühe geben, es doch nicht gelingen wird. Sie üben einige Tugenden aus und suchen einiges Böses, das ihnen innwohnt und sie oft überwältigt, zu überwinden, und wenn es ihnen hie. mit etwas gelingt, so sind sie zufrieden und denken, sie seien wahre Christen. Diese oder jene Sittenlehre Jesu ist ihr Evangelium, und daran sich haltend, können sie alles Andere, was Er gesagt und getan hat vergessen; sie vergessen es gerne, weil es ihren Stolz kränkt und ihr Gebäude eigener Gerechtigkeit niederreißt. Andere wähnen, und ich muss es hier aussprechen, so gerne ich immer nur trösten möchte doch ist ja die Wahrheit und das Nötigste und erst dann der Trost - anders wähnen, weil sie leiden und von Gott schwer heimgesucht sind, und weil ihnen dadurch von selbst viele Freuden dieses Lebens weggefallen, viele Versuchungen zur Sünde ferne gerückt worden sind, ins Himmelreich eingegangen und zu Jesu gekommen zu sein. O, täuscht euch nicht, es kann Einer dem Leibe nach sehr krank und in allen irdischen Dingen arm und niedrig sein und doch ferne von Jesus und seinem Reich. Wir müssen ihn wirklich suchen, ihm nachgehen, wenn wir zu ihm kommen wollen. Wer ihn beim öffentlichen Gottesdienst zu finden hofft, nun der schlägt einen rechten Weg ein. Er hat es verheißen, sich hier finden zu lassen: aber auch hierbei darf der Kommende nicht stehen bleiben, sonst kommt er nicht zum Ziel: man kann alle die äußeren Gebräuche mitmachen, singen, beten, die Predigt anhören, und doch, doch vom Herrn fern bleiben. Wer durch treues, sorgfältiges Lesen seines Wortes, das uns in der Bibel aufbewahrt ist, zu Ihm zu gelangen sucht, wahrlich der ist nicht ferne davon, ihn zu finden: denn sein Wort ist lebendig und ein ewiger Same, der, wenn er recht tief ins Menschenherz fällt, eine Frucht bringt, die ins jenseitige Leben hinüberreicht. In seinem Wort sehen wir, wie Er ist, und das muss uns ziehen und seine Liebe uns kräftig ans Herz legen: aber Eins, Eins ist uns auch dazu noch nötig, Eins, ohne welches kein Kommen zu Jesus möglich ist; denn unmittelbar und persönlich sollen, können wir mit Ihm, dem Unsichtbaren, zusammenkommen, wie sie damals zu Kapernaum, Jerusalem und in Galiläa mit Ihm, dem Sichtbaren, persönlich und unmittelbar zusammenkommen konnten - und dies Eine, wodurch wir zu Ihm kommen, ist das Gebet zu Ihm, das innere Seelengespräch mit dem Allgegenwärtigen und Barmherzigen, dem wir alle unsere Anliegen und Schmerzen, alle unsere Bedürfnisse aussprechen dürfen, ja müssen, wenn wir zu Ihm kommen wollen. Hier geht uns nun ein neues Leben auf. Können wir beten zu Ihm, tief aus dem Herzen, mit dem Gemüt, dann sind wir bei ihm, und Er kann, Er wird uns seine Nähe fühlen lassen. Aber wahrlich, es muss viel in uns vorgehen, ehe wir das recht können. Was willst du bei Jesu? warum willst du zu Ihm, dem Sohn Gottes, kommen? - doch gewiss nicht, um einen Christus, der der Sünde dient, zu finden, nicht um zeitlichen Vorteils willen; Gott lässt seiner nicht spotten: wer zum Sohn Gottes kommen will, muss also ein ernstes, heiliges Bedürfnis in der Seele haben: und dies entsteht durch das Bewusstsein unserer Unreinheit und Sünde, die uns von Gott trennt, durch den Schmerz, unserem Schöpfer widerstanden zu haben durch Ungehorsam, und durch das Bewusstsein der völligen Hilflosigkeit, aus eigener Kraft uns zu retten aus der Sünde, das Vergangene gut zu machen, uns selbst mit Gott zu versöhnen: Reue und Durst nach Erlösung und Friede mit Gott lehrt uns, mit dem Herzen Jesum, den Mittler, suchen und im Gebet zu suchen und zu ihm zu kommen. -

Habt ihr also, Geliebte, genügende Antwort auf die Frage: worin das Kommen zu Jesu bestehe, wie wir zu ihm kommen können? Ich glaube, der Weg ist euch gezeigt, aber nur im Allgemeinen, denn das ist ja gerade unser Beruf, euch immer näher zu Ihm, dem Erlöser, hinzuführen, das Kommen zu Ihm euch zu erleichtern. Haltet das fest, teure Zuhörer, die Sünde müssen wir bereuen und hassen; nach Erlösung von ihr müssen wir dürften, nicht mit der Lippe nur und mit den Gedanken des Verstandes, sondern mit dem Herzen, tief innerlich müssen wir uns zu Jesu nahen. Beten, treu, beharrlich, demütig, glaubend beten müssen wir, und dann sind wir zu Ihm gekommen. Der Zuruf des Philippus: „Kommt und seht!“ hat also für uns den Sinn: beuge dein Herz und gehe weg aus dem Dienst der Welt und Sünde, komm und rufe in deinem Geist den Weltheiland, den Erlöser, den wahrhaftigen Gottessohn an - komm und siehe!

III.

Und wenn du kommst, so wirst du der Verheißung teilhaftig, die das Kommen zu Jesus empfangen hat; die Gnade wird über dich kommen, die er den Kommenden versprochen hat. Und sie ist wahrlich nicht gering. Der Herr sagt im 6. Kap. des Ev. Johannes, im 37. V.: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ O, dass wir es nur mutig wagen, den Weg der Welt und Eigenliebe, den der Sünde, so lieb und heimatlich er uns ist, zu verlassen und zu Jesu zu kommen: es wird uns gewiss bei Ihm bald eine neue Heimat bereitet sein, er sagt es selbst, der treue Heiland, dass er keinen Kommenden hinausstoßen werde. Wer wahrhaftes Verlangen nach Jesus und ein Bewusstsein des Unfriedens und der Hilflosigkeit ohne ihn und ferne von ihm hat, der weiß, was für eine selige Verheißung hierin ruht. Denkt, wie furchtbar muss das Wort des Herrn, der begnadigen, aber auch richten kann, für eine Seele sein: ich kenne dich nicht, gehe, wo du her gekommen bist. Wir er tragen ja diese Zurückweisung von Menschen kaum; hören wir sie einmal von ihm, so sind wir wie zerknickt, und von Jesu über uns ausgesprochen ist sie Verdammnis. Nein, wer zu Ihm kommt, jetzt, da es noch Zeit ist, so will er uns nicht hinausstoßen; und daran haltet fest, ihr Bekümmerten aller Art; seien wir, wie wir wollen, auch noch so unwürdig, noch so schwach, noch so zerrüttet, auch aus eigener Schuld, noch so sündig - wenn ihr nur jetzt, da ihr seine Stimme hört, euch aufmacht, das Alte dahinten lässt und ernstlich flehend zu Ihm kommt, so nimmt er euch an. Er ist sehr freundlich und lehrt uns ja in der Erzählung vom verlorenen Sohn, wie die Liebe Gottes ihn treibt, dem reuigen Sünder, wenn er noch ferne ist, entgegenzukommen, und zeigt uns selbst, wie er den Gnade suchenden Petrus mit Blick und Wort stärkte. Er verstößt Keinen, denn sein Herz schlägt uns ja suchend, bittend entgegen; aber er stößt uns nicht nur nicht hinaus, wo die, die den Weg des Verderbens gehen, sind, sondern nimmt uns liebend auf an sein Herz, stärkt den Schwachen, tröstet den Bekümmerten, vergibt dem Bereuenden, erquickt den Kranken in den dunkelsten Stunden, wenn er im Gebet zu ihm kommt. Er nimmt ihn auf in sein Reich und macht ihn zum Kind Gottes, das nun nicht mehr auf dieser Erde sein Glück und seine Schätze sucht, sondern dort im Himmel, dass nun allezeit freien Zutritt zum Vater hat und nie, nie mehr ohne Gott sich fühlt und verzagt. Wen Er aber aufgenommen, den behält Er auch mit seiner Macht; wie das rechte Kommen zu Jesu ein Wiederkommen und Bleiben von uns ist, so ist sein Aufnehmen ein Bewahren und Schützen: und fürwahr, wir bedürfen eines Beschützers und starken Helden, der uns im Reich Gottes bewahrt, wenn wir einmal eingetreten sind, denn unser Herz ist nicht stark genug, um Treue zu halten, die Sünde wird wieder stark, Mattigkeit tritt ein - wir wollen Welt und Christum mit einander vereinigen - aber nein, Er, der Herr, der noch lebt, ist treu und bewahrt; Er erweckt uns immer von neuem, warnt, stärkt und macht von der Sünde frei und führt uns durch den unendlichen Wechsel von Gemütsstimmungen und Lebensführungen gewiss ein ins Himmelreich, wo Friede und Freude, keine Sünde und keine Träne mehr ist, wo wir Ihm immer ähnlicher werden und, teilhaftig des ewigen Lebens, selig mit den Seligen, den Vater und das Lamm Gottes, das für uns erwürgt wurde, preisen.

Teure, Geliebte. Dies also: Trost, Kraft hienieden, auch auf den dunkelsten Wegen auch in der Trübsal, und Friede, Seligkeit dort ist uns verheißen, wenn wir zu Ihm kommen. - Er lädt alle Mühseligen ein: „Kommt zu mir, nehmt mein Joch auf euch, ich will euch Ruhe geben.“; und unter euch sind ja viele Mühselige und Beladene; wir alle sind es, wenn wir es nur erkennen wollten: aber nun haben wir einander das „Komm und siehe!“ zugerufen, kommt und seht - denn also und wenn das stille, innere Werk des Kommens zu Jesu in einem aus euch beginnt, so wird es gewiss bald hervorbrechen und andern zur Erbauung kund werden.

Ja, dass es heißen könnte: kommt hierher und seht die Kraft Jesu in den Geringen, Armen, Kranken - sie leiden und haben doch Frieden und Trost. O das schenke uns der Herr!

Amen.

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