Jänicke, Johann - Das göttliche Werk der Heiligung

welches der heilige Geist in dem Menschen, der ihm gehorsam wird, hervorbringt.

Eine Pfingstpredigt,

gehalten am 30. Mai 1803 in der hiesigen Bethlehemskirche von Johann Jänicke,

Evangelisch-Lutherischem Prediger bei der gedachten Kirche.

O heiliger Geist, Du Geist des Vaters und Seines Sohnes, unsers HErrn JEsu Christi, sei von uns anbetend gelobt, daß Du uns die große Liebe GOttes des Vaters, durch das Wort göttlicher Wahrheit, bekannt gemacht hast, welche Er gegen die Welt damit bewiesen, daß Er ihr Seinen eingebornen Sohn zum Erlöser und Seligmacher gab. Verloren hätten wir gehen müssen, wenn der Vater unsers HErrn JEsu Christi uns nicht so hoch geliebet hätte. Als Ihm ungehorsam gewordene Menschen, hätten wir keinen Antheil an Seinen Seligkeiten haben können, wenn Er sich nicht über uns erbarmet, und uns den Sohn Seiner Liebe gegeben hätte. Ader was würde uns dieser eingeborne Sohn GOttes helfen, wenn Du uns nicht durch das heilige Wort der göttlichen Wahrheit davon überzeugtest, daß Er uns mit Seinem allervollkommensten Gehorsam, mit Seinem stellvertretenden Leiden, mit Seinem theuren Blute und mit Seinem versöhnenden Tode, nicht nur Vergebung aller unserer Sünden und Freiheit von deren Herrschaft erworben habe; sondern daß Er nach Seiner göttlichen Gnade auch bereit sei, das uns theuer erworbene Gut aus Gnaden mitzutheilen?

Flöße uns kindliches Zutrauen zu Ihm, dem gnädigen und barmherzigen HEiland ein, daß wir im gläubigen Gebet uns zu Ihm wenden und von Ihm alles dasjenige, was uns als strafwürdigen Sündern zu unserm immerwährenden Heil unentbehrlich ist, demüthig erwarten. Verherrliche Ihn, als unsern HErrn und GOtt, als unsern Erretter und Seligmacher in unsern Seelen, daß wir an Ihn von ganzem Herzen glauben, Ihn, die unermeßliche Liebe, über Alles lieben, vor Ihm, dem allwissenden und allgegenwärtigen HErrn beständig wandeln, und uns durch Deinen göttlichen Beistand ernstlich befleißigen, Ihm zum Wohlgefallen zu werden. Und da wir von Natur sehr veränderlich und unbeständig sind, so erhalte diejenigen unter uns, welche an den HErrn unsern HEiland von Herzen gläubig geworden sind, und Ihn aufrichtig, kindlich lieben, im Glauben an Ihn, in der Liebe, im Gehorsam und in Seiner Nachfolge bis an's Ende ihres Erdenlebens. Ueberzeuge aber auch diejenigen unter uns, welche bisher in der Sünde der Unwissenheit, des Unglaubens und der Feindschaft gegen unsern HErrn JEsum Christum gelebt haben, daß sie sich in einem sehr gefährlichen Zustande befinden: weil sie Den nicht kennen und an Den nicht glauben wollen, der auch ihr einziger Erlöser und HEiland ist, und gieb, daß sie zu ihrem ewigen Heil gegen Ihn anders gesinnt werden.

Erhöre uns, und thue es um Deiner unendlichen Liebe willen! Amen.

Als der Apostel Johannes, meine geliebten Freunde in unserm HErrn JEsu Christo! in der ihm von unserm Seligmacher gegebenen Offenbarung, den sieben Gemeinen in Asia Gnade und Friede von Dem, der da ist, und der da war und der du kommt, das ist vom Jehovah, dem Vater Offenb. 1, 4. 5., anwünschte, so verbindet er mit diesem Jehovah auch die sieben Geister, welche vor dessen Throne sind und wünscht von denenselben den sieben Gemeinen eben so Gnade und Friede an, wie von dem Erstern, und dann auch von JEsu Christo, dem treuen Zeugen und Erstgebornen von den Todten, dem Fürsten der Könige auf Erden, der uns geliebet hat und gewaschen von den Sünden mit Seinem Blut, und uns zu einem Königreich, zu Priestern vor GOtt und Seinem Vater gemacht hat; welchem gebühre Ehre und Gewalt in die Ewigkeiten.

Es fragt sich nun, wen wir unter jenen sieben Geistern zu verstehen haben. Daß es erschaffene Geister sein sollen, können mir darum nicht annehmen, weil in der ganzen heiligen Schrift nie Geschöpfe mit dem Schöpfer verbunden werden, von welchen wir eben so Gnade und Friede, wie von Ihm erwarten könnten. Geheiligte Gottesgelehrte denken bei der Benennung der sieben Geister an den heiligen Geist und an Seine mannigfaltigen, göttlichen, das Heil der sündigen Menschen bezweckenden Wirkungen. Wird Ihm nicht das Werk der Heiligung in einem Menschen, der Ihm gehorsam wird, zugeschrieben? Sagt nicht der Apostel Paulus in dem Briefe an die Gemeine unsers HErrn zu Rom, daß er ein Diener Christi unter den Heiden gewesen sei und ihnen darum das Evangelium GOttes gepredigt habe, damit sie ein Opfer würden, GOtt angenehm, geheiligt durch den heiligen Geist? Röm. 15, 16. Ja, eben darum haben unsre ehrwürdigen Vorfahren, als wahre Verehrer des dreieinigen GOttes, dem heiligen Geist besonders die göttliche, den unseligen Menschen berufende, erleuchtende, rechtfertigende, wiedergebärende, heiligende, erneuernde und bei JEsu Christo erhaltende Gnade zugeschrieben. Von ganzem Herzen stimmen wir mit ein in die Erklärung des dritten Glaubens-Artikels, und sagen mit dem Gottesmanne, Doktor Luther: Wir glauben, daß wir nicht aus eigener Vernunft, noch Kraft an JEsum Christum, unsern HErrn glauben, oder zu Ihm kommen können; sondern der heilige Geist habe auch uns durchs Evangelium berufen, mit Seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiliget und erhalten Damit uns nun der heilige Geist immer theurer, unentbehrlicher werde, so wollen wir an diesem Ihm geheiligten Festtage Seine göttlich gnädigen, die Heiligung des sündigen Menschen beabsichtigenden Wirkungen betrachten, zuvor uns aber Seinen göttlichen Beistand dazu demüthig und gläubig erbitten, und mit einander den zweiten Vers aus dem Gesang: Komm heiliger Geist HErre GOtt rc. singen.

Festtext: Joh. 3, 16-21.

Unser heutiger evangelischer Festtext ist aus der nächtlichen Unterredung unsers HErrn JEsu Christi mit dem Nicodemus genommen, welchem Er, gleich im Anfang derselben, mit einer zwiefachen Betheurung, als der vom Himmel herniedergekommene göttliche Lehrer, die wichtige Lehre gab, daß derjenige, der das Königreich GOttes sehen wollte, von neuem geboren werden müßte, Joh. 3, 3. Als aber demselben der Ausspruch unsers HErrn vom Neugeboren werden dunkel und geheimnißvoll war, so betheuerte Er wieder mit einem doppelten Amen, es könne nur derjenige in das Reich GOttes kommen, der aus dem Wasser und Geist geboren werde, und setzte hinzu: Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist, Joh. 3, 5. 6. Aus diesen göttlichen Worten unsers HEilandes ersehen wir: theils, daß der Mensch sich in keinem guten Zustande befinden, sondern daß mit ihm eine Veränderung geschehen müsse, wenn er an den Seligkeiten des Königreichs GOttes einen Antheil haben wolle; theils, daß der heilige Geist diese Veränderung in seiner Seele wirke, welche wir die Wiedergeburt oder die neue Geburt des Herzens zu nennen pflegen. Da aber derjenige Mensch, welcher dem heiligen Geist gehorsam wird, verschiedene andere Wirkungen desselben erfährt, ehe er sich als einen Wiedergebornen betrachten kann, und auch, nach der für ihn so beseligenden Veränderung seines Seelenzustandes so wohl, als seiner Gesinnung, des heiligen Geistes und Seines göttlich gnädigen Beistandes sehr bedürftig ist, wenn er zum Genuß der immerwährenden Seligkeiten vor dem Throne GOttes gelangen will: so werden wir zur Ehre des heiligen Geistes das göttliche Werk der Heiligung desselben in dem Menschen, der Ihm gehorsam wird, betrachten; so daß wir

  1. erstlich seine verschiedenen göttlichen Wirkungen in dem Menschen erwägen, und dann
  2. zweitens uns aufrichtig vor Ihm, dem Allwissenden und Allgegenwärtigen prüfen: ob wir dieselben an uns, zu unserm Heil, erfahren haben?

1.

Der gegenwärtige Zustand aller Menschen muß doch nicht gut sein, weil GOtt ihnen, nach dem Ausspruch unsers HErrn JEsu Christi, Ihn Selbst, Seinen eingebornen Sohn, von Seiner unermeßlichen Liebe gedrungen, darum gab, daß sie nicht sollten verloren werden, sondern durch den Glauben an Ihn das ewige Leben haben, Joh. 3, 16. Als aber GOtt der HErr dem ersten Menschen das Leben, so wie allen Seinen Geschöpfen das Dasein gegeben hatte, so sahe Er Alles an, und es war Alles sehr gut. 1 Mos. 1, 31. War Alles sehr gut, so muß auch der erste Mensch gut gewesen sein. Lesen wir aber weiter gleich im ersten Buche Mosis, und finden im 6ten Capitel, daß der Jehovah gesehen habe, der Menschen Bosheit sei groß auf Erden und alles Tichten und Trachten ihres Herzens sei nur böse immerdar; so muß eine traurige Veränderung mit ihnen geschehen sein. Der allwissende heilige Geist, durch dessen göttliche Leitung auch der Prophet Moses geredet und geschrieben hat, macht uns jene traurige Veränderung durch denselben bekannt.

Nachdem eine gewisse Anzahl von GOtt erschaffener, unsichtbarer Geschöpfe, welche die heilige Schrift „Engel“ nennt, ihr Fürstenthum nicht behalten, sondern ihre Behausung verlassen hatten, Judä v. 6, so bemühte sich der erste dieser jetzt unselig gewordenen Geister, der Teufel, der nicht in der Wahrheit geblieben war, Joh. 8, 44., unsre von GOtt gut und selig erschaffenen ersten Eltern zum Ungehorsam gegen Ihn zu verführen. Und es gelang ihm, nach dem unmittelbaren Zeugniß des heiligen Geistes 1 Mos. 3. Nun ward der Feind GOttes ein Mörder der ersten Menschen und aller ihrer Nachkommen, Joh. 8, 44.

Durch ihren verübten Ungehorsam wurden sie nun Sünder, und nach dem Ausspruch unsers HEilandes „Fleisch“, Joh. 3, 6. So waren sie; so wurden auch ihre Nachkommen; denn was vom Fleisch, - von einem sündigen Menschen geboren wird, - das ist Fleisch, das ist eben so sündig wie er selbst ist. Wie die Ursache, so die Wirkung! Nach dem Zeugniß des königlichen Propheten Davids stehet Jehovah vom Himmel auf die Nachkommen Adams, daß Er sehe, ob Jemand klug sei und nach GOtt frage: Aber sie sind alle abgewichen, und allesammt untüchtig; da ist keiner der Gutes thue, auch nicht Einer. Im 14. Ps. der 2. und 3. Vers.

Angebetet sei der liebevolle GOtt, daß Er ein Mittel erfunden hat, wodurch den sündigen, strafwürdigen Menschen geholfen werden kann und soll. Der Vater unsers HErrn JEsu Christi hat auch uns Seinen eingebornen Sohn zum Erlöser und Seligmacher gegeben, auf daß ein jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren werde, sondern das ewige Leben habe. Der Mensch kann aber von sich selbst an Ihn nicht glauben. Niemand kann auf eine ihn beseligende Art „HErr JEsus!“ sagen, zum Beispiel, wie Thomas, ohne durch den heiligen Geist, 1 Cor. 12, 3. Soll aber der heilige Geist in dem Menschen den lebendigen Glauben wirken, dann muß derselbe Ihm kindlich gehorsam werden wollen. Geschieht dies, so ist das erste, was der heilige Geist an dem Ihm gehorsamen Menschen thut, daß Er ihn auf seinen unseligen, sündigen Zustand aufmerksam macht und dem in der Christenheit gebornen Menschen zeigt, daß ihm eben so, wie jenen Heiden, zu welchen unser HErr JEsus Christus den Apostel Paulus sendete, Apost. Gesch. 26, 17. 18., nöthig sei, daß er sich bekehre von der Finsterniß der Unwissenheit, des Unglaubens, der JEsusfeindschaft, des wissentlichen Sündigens, zu dem Licht der heilsamen Erkenntniß der Gnade GOttes in Christo JEsu, uno von der Gewalt des Satans zu GOtt: damit er Vergebung der Sünden empfange und das Erbe mit denen, die geheiliget werden durch den Glauben an den HErrn JEsum.

Diese göttliche Wirkung des heiligen Geistes wird in der christlichen Lehre die Berufung genannt.

Läßt sich der Mensch so durch das Wort der Wahrheit von dem heiligen Geiste auf seinen bedenklichen, unseligen Zustand aufmerksam machen, so wirkt Derselbe noch weiter in dessen Seele und zeigt ihm noch mehr sein bisheriges Verhalten gegen GOtt, gegen seine Mitmenschen, und stellt ihm gleichsam vor die Augen, daß er von seiner zarten Jugend an vieles von dem Guten, was ihm GOtt befohlen, unterlassen und so manches von dem ihm von GOtt Verbotenen ausgeübt habe.

Der Mensch sieht es setzt im Lichte der Wahrheit des heiligen Geistes, daß er GOtt über Alles hätte lieben sollen und seinen Nächsten als sich selbst: Matth. 22, 37-39., und findet, daß es leider! nicht geschehen sei. Er ist davon überzeugt, daß er für seine eigene immerwährende Wohlfahrt hätte ernstlich sorgen sollen, und daß er es nicht gethan, sondern seine Lebensjahre größtentheils im Leichtsinn, in der Sicherheit, unter der tyrannischen Herrschaft der Sünde zugebracht und auf dem breiten zur Verdammniß abführenden Wege gewandelt habe, Matth. 7, 13. Durch die göttlich mächtige und gnädige Wirkung des heiligen Geistes wird dieser Mensch jetzt über seinen bedenklichen Zustand verlegen, betrübt und traurig. Gern wollte er sich selbst helfen, besser gesinnt werden; er kann aber nicht. Er faßt einen guten Entschluß und Vorsatz nach dem andern, das Gute zu lieben und das Böse zu hassen; er findet aber zur Vermehrung seiner Traurigkeit, daß in seiner Seele eine Abneigung vom Guten und eine Zuneigung zum Bösen sei.

Ueberzeugt von seinem großen Unvermögen, sich selbst zu helfen, sieht er sich nach einem Helfer um. Er fragt: was soll ich thun, daß ich selig werde? Apost. Gesch. 16. 30. Hiermit zeigt der von seinem Sündenschlafe aufgeweckte, nach einer mächtigen Hülfe sich sehnende Mensch seine Lernbegierde. Hülfe braucht er; Hülfe sucht er und hat ein großes Verlangen sie anzunehmen. Nun macht ihn der heilige Geist durch das Wort der göttlichen Wahrheit auf unsern HErrn JEsum Christum aufmerksam, und ruft ihm durch den Apostel Paulus zu: „Glaube an den HErrn JEsum Christum, so wirst du selig,“ Apost. Gesch. 16, 31. „Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß JEsus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen,“ 1 Tim. 1, 15. Er macht ihn auch auf die Worte unsers HEilandes aufmerksam: Also hat GOtt die Welt, das ist alle Menschen, geliebet, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, alle, alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben, Joh. 3, 16.

Diese göttlich gnädige Wirkung des heiligen Geistes nennen wir die Erleuchtung. Es geht nun in der Seele des dem heiligen Geiste gehorsamen Menschen, durch diese göttliche Wirkung der Erleuchtung, in geistlicher Hinsicht eine solche Veränderung vor, als an einem zur Nachtzeit finstern Orte, wenn angezündete Lichte, oder brennende Lampen hineingebracht werden. Ein göttlich mächtiger Erretter ist ihm unentbehrlich. Der von dem heiligen Geist durch das Evangelium von unserm HErrn JEsu Christo erleuchtete Mensch lernt jetzt den HErrn JEsum in Seiner göttlichen Größe kennen. Er wird von Seiner ewigen Gottheit überzeugt. Er lernt glauben, daß der Jehovah JEsus aus unbegränzter Liebe auch ihm zu Gute sei ein Mensch, ihm in Allem, die Sünde ausgenommen, gleich geworden, Ebr. 4, 15. Auch ihm wirds jetzt Gnade, daß der ewig reiche JEsus arm ward um seinetwillen, damit er durch dessen Armuth reich würde, 2 Cor. 8, 9. Er sieht Ihn im Geiste im Oelgarten zittern, beten, mit dem Tode ringen, blutigen Schweiß schwitzen. Er betrachtet Ihn vor dem Hohenpriester Caiphas, vor Pilatus, auf Gabbatha, auf dem Hügel Golgatha, in Seinem Leiden, Blute, Tode, und hört den ihm unaussprechlich tröstlichen Zuruf: Für dich! Der heilige Geist wirkt in diesem Menschen kindliches Zutrauen, daß er es glauben kann, was der Prophet Jesaias sogt: Er ist um unsrer Missethat willen verwundet, um unsrer Sünde willen zerschlagen, die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Friede hätten, und durch Seine Wunden ist uns eine Heilung zubereitet, Jes. 53, 5. Nun eignet sich der durch den heiligen Geist zur Erkenntniß der Sünden und zur heilsamen Ueberzeugung von dem stellvertretenden Leiden unsers HEilandes gekommene Mensch alles dasjenige, was sein Erbarmer und Seligmacher mit Seinem Gehorsam, mit Seinem theuren Blute und mit Seinem versöhnenden Tode erworben hat, demüthig und getrost zu. Er sagt zu dem HErrn JEsu: Du bist mein HErr und mein Gott! Auch mich verlornen und verdammten Menschen hast Du erlöset, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels! -

Diese gnädige Wirkung des heiligen Geistes wird die Rechtfertigung genannt, vermöge welcher der Mensch JEsum Christum für seinen HErrn und GOtt, Erretter und HEiland annimmt und so Vergebung seiner Sünden und die Gewißheit davon erlangt, daß er ein Kind GOttes Joh. 1, 12., und ein Erbe GOttes Röm. 8, 17., geworden ist. Jehovah, der heilige Geist, nimmt sich des nun begnadigten Menschen noch weiter an und macht ihn nach dem Willen GOttes gesinnt, welches die neue Geburt heißt. Hat er vormals nach den Lüsten seiner verderbten Seele gelebt, so wünscht er jetzt sich in Allem nach den Vorschriften des göttlichen Wortes zu verhalten. Ist er ehedem ein Feind unsers HErrn JEsu gewesen, so schämt er sich gegenwärtig über seinen vormaligen verkehrten Sinn und verehrt Ihn als seinen HErrn und HEiland, und trachtet nach dem, was mit Seinem gnädigen und wohlgefälligen Willen übereinstimmt. Obgleich, nach der vom Nikodemo dem HErrn vorgelegten Frage, Joh. 3, 4 keine Veränderung an seiner Leibesgestalt oder Größe in der neuen Geburt vorgeht, so braucht doch der begnadigte Christ seine Leibesglieder ganz anders als vormals in seinem ungebesserten, unseligen Zustande.

Hat er ehedem seine Augen und Ohren, seinen Mund und seine Zunge, seine Hände und Füße zu Werkzeugen der Sünde und der Ungerechtigkeit, zur Unehre des HErrn unsers HEilandes und sich zum Verderben begeben, so haben diese seine Leibes-Glieder gegenwärtig einen andern Regenten und Führer. Röm. 6, 19-22. Der Begnadigte ist durch den Glauben an unsern HErrn JEsum Christum ein Tempel GOttes, und der heilige Geist wohnt in ihm, 1 Cor. 3, 16. Von diesem göttlichen Lehrer läßt er sich leiten Röm. 8, 14., auf dem Wege zum Königreiche GOttes im Himmel. Dies Werk des heiligen Geistes wird besonders die Heiligung genannt.

2.

Allein der wahre Christ lebt noch in der Unvollkommenheit. Er ist mit vielen Feinden von innen und von außen umgeben. Sein Widersacher, der Teufel, stellt ihm nach, und sucht ihn zu dieser oder jener Sünde zu verführen, 1 Petr. 5, 8. Das ihm angeborne Verderben macht ihn oft träge zum Gebet, unaufgelegt zur treuen Nachfolge unsers HEilandes, zur Selbstverleugnung, zur Ausübung der Sanftmuth, der Herzensdemuth, der Barmherzigkeit und zu anderen christlichen Tugenden.

Von dieser seiner Armuth, Unvollkommenheit und Sündigkeit überzeugt, sieht er sich alle Tage nach seinem göttlichen Führer um. Er erfährt es als eine ihm tröstliche Wahrheit, daß, wenn er nicht weiß, was oder wie er auf eine geziemende Art beten soll, der heilige Geist ihn vertrete mit unaussprechlichem Seufzen und so seiner Schwachheit aufhelfe, Röm. 8, 26. Durch die göttliche Gnade seines Führers ist des Morgens beim Erwachen sein erster Gedanke auf seinen Erbarmer und HEiland gerichtet. - Und des Abends nimmt er zu Ihm, dem Gnadenthron, seine kindlich demüthige Zuflucht. Da er weiß, daß ihm manche Gefahr bevorstehe, wo er Schaden an seiner Seele nehmen könnte, so übergiebt er sich alle Tage aufs neue unserm HErrn JEsu Christo, bittet sich von Ihm Gnade aus zur Wachsamkeit, zum kindlichen Gehorsam und zum christlichen Wandel vor Ihm, dem allwissenden und allgegenwärtigen HErrn, zur Ausübung der herzlichen Liebe gegen Ihn, den himmlischen Vater und den heiligen Geist, zur aufrichtigen, reinen Liebe gegen seinen Bruder, Freund und Feind, und zum Haß gegen Alles, was Sünde ist. Versieht er es dennoch bald hier, bald da, nach dem 19. Ps. V. 13 und 1 Joh. 1, 8., wo an dem ersten Orte der königliche Prophet fragt: Wer kann merken, wie oft er fehle? und an dem letztern der Apostel Johannes spricht: So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns; - so leitet ihn der heilige Geist zu JEsu Christo, dem Thron der Gnade, das ist, zu Ihm, dem gnädigen König aller Könige, dem gnädigen HErrn aller Herren, bei welchem er Erbarmen, Gnade, Hülfe, Schutz, Trost und Seligkeiten sucht und zu seiner großen Freude reichlich findet. Dies heißt in unsrer christlichen Lehre die tägliche Erneuerung, vermöge welcher der heilige Geist den wahren Verehrer unsers HErrn JEsu Christi theils immer mehr und mehr von seiner Unvollkommenheit und Sündigkeit überzeugt und ihm dabei durchs Wort zuruft: Errette deine Seele! 1 Mos. 19, 17., theils ihm auch zeigt, daß ihm in jedem Augenblick der HErr JEsus unentbehrlich ist, von welchem er aber auch eben so oft Alles dasjenige kindlich erwarten könne, was ihm bei seiner Geistesarmuth nöthig ist.

Wird dem begnadigten Christen bange bei den merkwürdigen Zeichen der Zeit, bei dem allgemeinen Abfall der Christenheit von Christo und Seinem theuren Worte und beim ernstlichen Nachdenken über seine eigene Unzuverlässigkeit, Unbeständigkeit und Sündigkeit, so erinnert ihn der heilige Geist an die Worte GOttes, Jes. 54, 10: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber Meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund Meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht Jehovah, dein Erbarmer.“ Und Joh. 10, 28. 29: „Ich, JEsus, gebe Meinen Schafen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie Mir aus Meiner Hand reißen. Der Vater, der sie Mir gegeben hat, ist größer als Alles, und niemand kann sie ans Meines Vaters Hand reißen.“ So wird dann der wahre Christ von dem heiligen Geist, nach dessen göttlicher Gnade, im Glauben an den HErrn JEsum Christum, in der Liebe gegen GOtt und den Nächsten, im kindlichen Gehorsam, in der Nachfolge seines HEilandes erhalten, damit er auch das Ende seines Glaubens, der Seelen unendliche Seligkeit davon trage, 1 Petr. 1, 9.

Billig sollen wir uns nun vor dem allwissenden und allgegenwärtigen GOtt fragen: Ob wir die göttliche, den Sünder berufende, erleuchtende, rechtfertigende, wiedergebärende, heiligende, erneuernde und bei JEsu Christo erhaltende Gnade des heiligen Geistes erfahren haben oder nicht?

Wer Demselben und dem Worte der Gnade kindlich gehorsam geworden ist, der wird gewiß sich dessen zu erinnern wissen, daß irgend einmal eine Veränderung in seiner Seele geschehen ist. Er wird es wissen, daß er zur Ueberzeugung von seiner Sündigkeit und Strafwürdigkeit gekommen ist und daß er in seiner darüber entstandenen Traurigkeit von dem heiligen Geist durch das süße Evangelium von JEsu verdienstlichem Leiden, von Seinem heiligen, theuren Blute und Seinem Versöhnungstode reichen Trost erlangt hat. Er wird sich dessen mit Freuden zu erinnern wissen, daß er beim Lesen oder Hören der göttlichen Worte unsers HErrn: Alles was Mir Mein Vater giebt, das kommt zu Mir und wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinausstoßen, Joh. 6, 37., von dem heiligen Geist geleitet, sagen konnte: Nun, wenn der HErr JEsus keinen, er sei wer er sei, der zu Ihm kommt, hinausstoßen, von Sich weisen will, dann wird Er auch mich, der ich in meinem Gebet zu Ihm demüthig kindlich nahe, nicht von Sich weisen. Oder bei den Worten unsers HErrn, Matth. 11, 28: Kommt her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken - konnte er durch die in ihm wirkende Gnade des heiligen Geistes den untrüglichen Schluß machen: Ruft der HEiland alle Mühselige und mit Sünden Beladene zu Sich, dann ruft Er gewiß auch mich. Verheißt Er Allen Erquickung, Ruhe für ihre Seelen, die zu Ihm im Glauben kommen, dann kann auch ich von Ihm, dem Gnädigen, dem Wahrhaftigen Erquickung und Ruhe für meine arme, sündige Seele kindlich erwarten. - O ihr, Seine Begnadigten, dankt Ihm, daß Er Sich durch Seinen heiligen Geist in und an euch verherrlichet hat! Laßt euch von dem heiligen Geist noch ferner alle Tage und Stunden leiten, lehren, erinnern, zurechtweisen, trösten und wie ihr sonst noch Seiner Gnade bedürftig seid. Er, der euch zur Erkenntniß eurer Sünden, zum Glauben an den HErrn, unsern HEiland, gebracht, eure Seele zu Seiner Wohnung gemacht, euch Lust und Liebe zu dem was gut ist geschenkt, in euch einen Haß gegen eine jede Sünde gewirkt hat, wird euch noch ferner alle Tage gnädig beistehen, alle Gefahren von euch treulich abwenden und euch Gnade zum Beharren im Glauben, in der Liebe und im Gehorsam schenken. Endlich wird Er euch zu dem Erbarmer JEsu, nach der Todesstunde eures Leibes, bringen, wo ihr Ihn dann sehen werdet von Angesicht, in ewiger Freude und seligem Lichte.

Ihr aber, meine herzlich Geliebten, die ihr bisher dem heiligen Geist ungehorsam gewesen seid, übergebt euch Seiner göttlich gnädigen Bearbeitung und hört auf, Ihm zu widerstehen; dann wird Er auch euch, als Der, bei welchem kein Ansehen der Person ist, berufen, erleuchten, zum Glauben an den HErrn JEsum bringen, die neue Geburt in euren Seelen wirken, euch heiligen, erneuern und bei dem HErrn, unserm HEiland, bis zum Ende eures Erdenlebens erhalten.

Nun, Du GOtt des Friedens, heilige uns durch und durch, und unser Geist ganz, sammt der Seele und dem Leibe, müsse bewahret werden unsträflich auf die Zukunft unsers HErrn JEsu Christi! Getreu bist Du, o GOtt heiliger Geist, der Du uns rufst, Du wirst es auch thun, Amen!

Quelle: Ledderhose, Karl Friedrich - Johann Jänicke

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