Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 16.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 16.

V. 1. Solches habe ich zu euch geredet usw. Ein neuer Hinweis, dass nichts von diesen Reden Jesu überflüssig ist. Die Jünger gehen dem Kampf und Streit entgegen, wofür Jesus sie zur rechten Zeit mit den nötigen Waffen ausrüsten muss. So will er sagen: Wenn ihr meine Lehre wohl erwogen und recht verstanden habt, dann seid ihr vollauf imstande, euch zu wehren. Was der Herr damals den Aposteln sagte, wollen auch wir uns gesagt sein lassen. Dabei gilt es zuvörderst im Augen zu behalten: Christus sendet seine Jünger nicht ungewappnet auf den Kampfplatz; in diesem Kriege kommt also niemand um, - es sei denn durch eigene Trägheit. Wir dürfen auch nicht müßig gehen, bis der Kampf entbrennt; wir müssen vielmehr Arbeit daran wenden, dass wir in beständigem treuem Gebrauche dieser Reden unseres Heilandes sein Wort in Saft und Kraft unseres eigenen Lebens verwandeln, um dann, sobald es nottut, freudig in den Kampf eintreten zu können. Ohne Zweifel ist der Sieg unser, solange diese Ermahnungen Christi in unserer Seele haften.

Denn wenn Jesus sagt: dass ihr euch nicht ärgert, d. h. dass ihr nicht durch Anstoß zu Falle kommt, so besagt dies doch, dass nicht die mindeste Gefahr vorhanden ist, vom rechten Wege abzukommen. Freilich tritt hier zu Tage, wie wenige in der rechten Weise diese Lehre sich innerlich aneignen. Denn Leute, die sich fern vom Schuss einbilden, das alles schon zu wissen, zeigen bei Beginn des Kampfes nur zu oft ihre völlige Unwissenheit und Unerfahrenheit und kommen zu Fall. Wir müssen also dermaßen mit diesen Waffen zusammenwachsen, dass sie uns niemals im Stich lassen.

V. 2. Sie werden euch in den Bann tun. Das war kein geringes Ärgernis und hätte ihre Seelen wohl beunruhigen können, dass sie, Verbrechern gleich, aus der Versammlung der Frommen mit Schimpf und Schande ausgestoßen werden sollten, oder doch aus der Versammlung derer, welche sich brüsteten, sie seien die wahre Gemeinde und das Volk Gottes. Denn, wie Paulus (1. Kor. 4, 11) sagt, werden die Gläubigen nicht bloß Verfolgungen, sondern auch Schmach und Schande zu tragen haben. Doch Jesus heißt sie auch diesem Ansturme standhalten. Mögen sie von der Synagoge ausgeschlossen sein, sie bleiben nach wie vor im Reiche Gottes. Alles in allem: wir dürfen uns nicht den Mut nehmen lassen von dem verkehrten Urteil der Menschen, sondern müssen getrost die Schmach des Kreuzes Christi auf uns nehmen und uns dabei beruhigen, dass unsere Sache, welche von den Menschen so schmählich verworfen wird, Gott gar wohl gefällt. Wir schließen aus dieser Stelle, dass die Diener des Evangeliums nicht nur von ausgesprochenen Feinden unseres Glaubens übel behandelt werden, sondern bisweilen sogar von solchen, die scheinbar Diener oder gar Säulen der Kirche sind, die allerschmählichste Beschimpfung erfahren. Die Priester und Schriftgelehrten, von die welchen die Apostel verdammt worden sind, spielten sich auf als die von Gott eingesetzten Richter der Gemeinde. Sie sind mit ihrem Schreckensregimente ein Schandfleck für den ganzen von Gott eingesetzten Stand der Priester und Lehrer. Ihre Gewalt war ihnen anvertraut zur Erbauung; sie haben sie missbraucht zu abscheulicher Bedrückung der Knechte Gottes; den Bann, der eine heilsame Arznei für Schäden der Kirche sein sollte, haben sie entweiht, um die Frömmigkeit in ihr auszutilgen. Trotzdem ist bis auf den heutigen Tag die reine Lehre nicht aus der Welt zu schaffen gewesen. Satan setzt ja gewiss alles daran, um sämtliche Einrichtungen, die Gott getroffen hat, in ihr Zerrbild und Gegenteil zu verwandeln. Das wäre sein Triumph, wenn man nun um der immer wieder sich einschleichenden Schäden willen kurzweg alles abschaffte, was Gott für immer angeordnet hat. Doch dieser Triumph soll ihm nicht werden. Es gibt und hat von jeher gegeben Missbräuche in der Anwendung des Bannes, nicht minder als bei Taufe und Abendmahl. Was ist da zu tun? Alles Fehlerhafte muss beseitigt, und der rechte Gebrauch wieder eingeführt werden.

Es kommt aber die Zeit usw. Christus bespricht nun das Ärgernis, dass die Feinde des Evangeliums noch gar fromm tun, wenn sie die Christen umbringen, als brächten sie damit dem Herrn heilige Opfer dar. Schon an und für sich ist es eine Härte, wenn unschuldige Menschen grausam gequält werden. Weit schlimmer noch ist es aber, wenn das Unrecht, welches gottlose Menschen wahren Gotteskindern zufügen, für eine gerechte Strafe ausgegeben wird, die sie mit ihren Übeltaten verdient hätten. In solchem Falle bleibt uns nur der Schutz unseres guten Gewissens. Wir haben es geduldig zu ertragen, wenn wir unterdrückt werden. Doch wird dereinst vom Himmel her Christus erscheinen als der Schirmherr unserer und seiner Sache. Aber wie lässt sich das verstehen, dass die Feinde der Wahrheit, die doch ein böses Gewissen haben, nicht nur vor Menschen sich fromm stellen, sondern auch von Gott Lob erwarten für ihr ungerechtes Wüten? Solche Heuchler wissen, so heftig sie auch das Gewissen beschuldigt, doch immer sich mit Lügen zu schmeicheln. Ihren Ehrgeiz, ihre Grausamkeit, ihren Hochmut, schändliche Laster, hüllen sie in das Gewand frommen Eifers ein und sprechen sich selber von aller Schuld frei. Hinzu kommt noch eine Art trunkener Raserei, die sich ihrer beim Vergießen von Märtyrerblut bemächtigt.

V. 3. Und solches werden sie tun usw. Mit gutem Bedacht heißt Christus die Apostel ihr Augenmerk darauf richten, dass der einzige Grund, weshalb die Ungläubigen sich an ihnen vergreifen, der ist: dass sie weder meinen Vater noch mich kennen. Doch sagt das Christus nicht etwa, weil es ihre Schuld geringer machte, sondern damit die Apostel ruhigen Sinnes auf die blinde Wut ihrer Widersacher herabschauen können. Geschieht es doch häufig, dass die hohe Würdestellung und der äußere Prunk der Gottlosen fromme Leute aus bescheidenen Verhältnissen wankend machen. Von ehernen Schutzmauern sind wir umgeben, sobald wir dessen ganz gewiss sind, dass Gott uns zur Seite steht, und dass unsere Feinde sich nur von Unvernunft, Irrtum und Blindheit treiben lassen. Übrigens mahnen uns diese Worte daran, welch ein großes Übel mangelnde Gotteserkenntnis ist; sie bewirkt sogar, dass Vatermörder Lob und Beifall beanspruchen, wenn sie in falschem Glaubenswahne Hand an die eigenen Eltern gelegt haben.

V. 4. Auf dass, wenn die Zeit kommen wird, ihr daran gedenkt. Jesus wiederholt, was er bereits gesagt hatte, nämlich, dass er nicht überflüssige Grübeleien vorbringe, sondern Dinge, die seine Jünger im Leben sehr nötig brauchen werden, und dass er jetzt hiervon spreche, damit sie dereinst, wenn diese Nöte an sie herantreten, zeigen können, dass sie seine gelehrigen Schüler gewesen sind. Wenn er sagt: „auf dass ihr dran gedenkt“, so befiehlt er ihnen damit, das Gehörte treu ins Gedächtnis aufzunehmen, weiter, sich des aufgespeicherten Schatzes zu erinnern, wenn sie ihn verwerten können, und endlich deutet er damit an, dass es für sie von hoher Wichtigkeit ist, dass er weissagend von der Zukunft redet.

Solches habe ich von Anfang nicht gesagt. Da die Apostel während des Erdenwandels Jesu noch zart und schwach waren, so ist er als der beste, nachsichtigste Lehrer schonend mit ihnen umgegangen und hat ihnen keine über ihre Kräfte gehenden Lasten aufgelegt. Sie bedurften, solange Ruhe und Frieden war, und ihnen keine Verfolgungen drohten, keine besondere Stärkung. Jetzt aber, das kündigt er ihnen an, steht ein Umschwung bevor. Deshalb diese neue Belehrung, durch welche er sie zugleich ermahnt, sich kampfbereit zu machen.

V. 5. Nun aber gehe ich hin. Mit dem besten Troste lindert Jesus den Schmerz, welchen sein Scheiden den Jüngern verursachte. Und wie dringend bedurften sie solches Trostes! Bisher hatten sie es gut gehabt; für die Zukunft gab es schwere und harte Kämpfe. Wie sollte es ihnen ergehen, wenn sie nicht wussten, dass Christus im Himmel seine schützende Hand hielt über ihr Heil? „Zum Vater gehen“, ist nichts anderes, als: aufgenommen werden in die himmlische Herrlichkeit, um die Welt zu regieren. Als Trost und Heilmittel für alle Traurigkeit wird ihnen dies vor die Seele geführt: Christus, dem Leibe nach fern, wird dennoch zur Rechten des Vaters sitzend mit seiner Stärke die Seinen beschirmen.

Zweierlei tadelt aber Jesus hier an den Aposteln: es ist nicht recht von ihnen, dass sie in übertriebenem Maße auf seine sichtbare fleischliche Gegenwart Wert legen; auch ist es nicht recht, dass sie, wenn er dem Leibe nach entrückt ist, von Kummer befangen, ihre Blicke nicht höher empor lenken. Wie oft machen wir es ebenso! Wir tun so, als hätten wir nach Belieben über Christum zu verfügen: stellt er sich da nicht ein, wo es in unsere Pläne gepasst hätte, so meinen wir Grund zur Verzweiflung zu haben.

Der Vorwurf: niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? scheint übrigens nicht zuzutreffen, da ja die Jünger noch eben (13, 16; 14, 5) ängstlich danach geforscht hatten. Diesen Fragen fehlte aber die unerlässliche gläubige Zuversicht. Jesu Meinung ist also die: Bei der Kunde von meinem Scheiden geratet ihr in Angst; aber ihr überlegt nicht, wohin ich gehe, und was der Zweck meines Gehens ist.

V. 7. Aber ich sage euch die Wahrheit usw. Er versichert ihnen, seine Abwesenheit werde ihnen nützlich sein, damit sie den Wunsch fahren lassen, ihn auch ferner, wie bisher, mit leiblichen Augen zu sehen. Dabei bedient sich Jesus der Form des Schwures. Da wir fleischliche Menschen sind, ist nichts schwieriger, als dies unangebrachte Sehnen aus unseren Herzen herauszureißen, wodurch wir Christum vom Himmel zu uns herabzuziehen uns bemühen. –

Worin besteht denn aber der Nutzen seines Fortganges? Darin, dass die Seinen nicht anders mit dem heiligen Geiste beschenkt werden konnten, als dadurch, dass er selber die Welt verließ. Diese Form der Gegenwart Christi, da er sich uns durch Gnade und Kraft seines Geistes zu gläubigem Genusse hingibt, ist weit nützlicher und wünschenswerter, als die andere Form seiner Gegenwart, da er sichtbar uns vor Augen steht. Die Frage, ob Christus nicht auch den Geist von Himmelshöhen hätte herniederrufen können, solange er auf Erden weilte, ist ungehörig und vorwitzig: Jesus beugt sich ohne solche Grübeleien einfach unter den feststehenden Beschluss des Vaters.

V. 8. Wenn derselbige kommt. Die vorliegende Stelle hat etwas Dunkles an sich. Daher gibt es mancherlei verschiedene Auslegungen. Ich lasse sie alle beiseite und führe nur das an, was meines Erachtens wirklich Christus gemeint hat. Er hatte seinen Jüngern den Geist versprochen; welch eine herrliche Gabe derselbe aber ist, zeigt Christus hier an dem, was er tut. Der Geist wird nicht nur die Jünger lenken, ermutigen, beschützen – er wird weithin wirksam sein. Jesus sagt: Er wird die Welt strafen, d. h.: er wird sich nicht auf euer Innenleben beschränken; von euch ausgehend wird seine Kraft sich in der ganzen Welt fühlbar machen. Jesus verheißt den Jüngern also einen Geist, der künftig der Weltrichter sein soll, und durch welchen ihre Predigt eine so lebendige Wirksamkeit entfalten wird, dass sie auch Leute zu einer geordneten Lebensführung zwingt, welche zuvor frech ihren Lüsten haben den Zügel schießen lassen und weder durch Scham noch durch Scheu mehr gehalten worden sind. Man beachte jedoch, dass Christus hier nicht von geheimen Offenbarungen redet, sondern von der Wirkung des Geistes, wie sie an die Lehre des Evangeliums und die menschliche Stimme gebunden ist! Woher kommt es denn, dass der Ruf eines Menschen in die Seelen hineindringt, dort haftet, Früchte hervortreibt, aus steinernen Herzen fleischerne macht und die Menschen von Grund aus erneuert? Er ist eben beseelt vom Geiste Christi! Wäre er das nicht, so wäre er eine leerer Schall und ein toter Buchstabe, wie Paulus das so schön sagt (2. Kor. 3, 6), wenn er sich freudig einen Diener des Geistes nennt, weil Gott durch seine Lehre mächtig wirkt.

Der Sinn unserer Stelle ist also dieser: Wenn die Apostel die Gabe des Geistes empfangen haben, werden sie, mit himmlischer, ja mit göttlicher Kraft ausgerüstet, in aller Welt eine Rechtsprechung handhaben. Doch wird dies Amt nicht sowohl ihnen, als vielmehr dem Geiste zuerteilt: sie selbst sind nur Diener und Werkzeuge, die keine eigene Gewalt besitzen. Der Geist allein hat solche erhabene Stellung in der Welt; allerdings bedient er sich dabei der Menschen. Meiner Meinung nach sind unter der „Welt“ sowohl diejenigen, welche sich aufrichtig zu Christo bekehren werden, als auch die Heuchler und Verworfenen zu verstehen.

Auf zweierlei Weise straft (wörtlich: überführt) der Geist die Menschen durch die Predigt des Evangeliums. Einige werden durch sie ernstlich getroffen, demütigen sich von Herzen und geben willig ihre Zustimmung zu dem sie verdammenden Urteile des Geistes Gottes. Andere sind ebenfalls überführt, können sich ihre Schuld nicht mehr verhehlen, lassen jedoch nicht ab von ihrer alten Gesinnung und unterwerfen sich nicht dem richtenden Spruch und der richtenden Gewalt des Geistes Gottes; trotz deutlich verspürter Wirkung des Geistes sind sie voll Murren; obwohl sie beschämt worden sind, nähren sie in sich unaufhörlich frechen Trotz. Nun verstehen wir, in welcher Weise der heilige Geist die Welt durch die Apostel strafen oder überführen sollte: im Evangelium offenbarte Gott sein Urteil, und die, deren Gewissen dadurch wach gerüttelt wurde, begannen nun ihren sündlichen Herzenszustand und Gottes Gnade zu fühlen.

Zum Verständnis unserer Stelle trägt nicht wenig bei, was Paulus 1. Kor. 14, 24 f. schreibt: „So sie aber alle weissagten, und käme dann ein Ungläubiger oder Laie hinein, der würde von denselbigen allen gestraft und von allen gerichtet; und also würde das Verborgene seines Herzens offenbar.“ Paulus redet dort freilich nur von einer besonderen Form der Predigt, von einer „Weissagung“, während der Herr durch das Evangelium überhaupt seine Auserwählten zur Buße führt. Deutlich ist jedoch aus dieser Paulusstelle zu ersehen, wie der Geist Gottes durch den Klang der menschlichen Stimme solche Leute, die bis dahin Christi Joch noch nicht getragen hatten, zwingt, seine Übermacht anzuerkennen und sich ihr zu beugen. –

Doch es ist noch die Frage aufzuwerfen, weshalb Christus hier überhaupt auf das Strafamt des Geistes zu sprechen kommt. Einige meinen, er wolle damit den Grund aufdecken, warum die Welt seine Apostel hassen wird: die Welt wird ihnen feind sein, weil der Geist durch ihr Wort sie quälen wird. Ich glaube vielmehr, wie ich schon im Eingange andeutete, dass Jesus etwas anderes beabsichtigte. Es war ja außerordentlich wichtig, dass die Apostel wussten, die ihnen verheißene Gabe des Geistes werde etwas ganz Hervorragendes sein. Seine unvergleichliche Erhabenheit wird hier beschrieben; sie besteht darin, dass Gott durch ihn sich einen Richterstuhl auf Erden aufrichtet, vor den die ganze Welt gestellt wird.

V. 9. Um die Sünde. Wir haben nun im Einzelnen zu betrachten, worüber der Geist die Welt strafen wird. Zunächst ist im Auge zu behalten, dass das Gericht des Geistes mit dem Aufzeigen der Sünde anhebt. Wo der Geist sein Lehramt ausübt, da geht er stets davon aus, dass die in Sünden geborenen Menschen nichts in sich tragen, als Stoff zum Sündigen. Wenn Jesus dabei des Unglaubens gedenkt, so sollen wir daraus erkennen, wie die Natur des Menschen in sich aussieht. Da das Band, durch welches Jesus uns an sich knüpft, der Glaube ist, so sind wir ihm fremd und fern, bis wir an ihn glauben lernen. Demgemäß will der Herr sagen: Wenn der Geist kommt, wird er an den Tag bringen, dass überall, wo die Menschen mich nicht im Glauben erfasst haben, die Sünde herrscht. Folglich wird der Unglaube hier deswegen genannt, weil er uns von Christo trennt und dadurch bewirkt, dass uns nichts anderes übrig bleibt als die Sünde. Somit wird in diesen Worten die Verderbnis der Menschennatur an den Pranger gestellt; wir sollen nicht wähnen, dass abgesehen von Christo auch nur ein Tröpflein Gutes in uns ist.

V. 10. Um die Gerechtigkeit. Zu beachten ist die Reihenfolge, welche die Überführung von der Gerechtigkeit der Überführung von der Sünde erst nachfolgen lässt. Solange ein Mensch nichts von seinem Sündenverderben empfindet, wird er unmöglich nach Gerechtigkeit hungern und dürsten; er wird vielmehr womöglich einen Abscheu haben gegen alles, was von ihr gesagt wird. Zumal bei Gläubigen steht es so, dass sie ihm wahren Christentum keine Fortschritte machen können, es sei denn, dass sie zuerst gedemütigt werden; das aber geschieht einzig und allein durch Einsicht in die eigene Sünde. Freilich ist es insbesondere das Amt des Gesetzes, dass es die Gewissen vor Gottes Gericht fordert und sie in Angst darnieder schlägt; aber das Evangelium wird nur dann richtig gepredigt, wenn es von der Sünde zur Gerechtigkeit, vom Tode zum Leben führt. Es muss folglich beim Gesetz eine Anleihe machen, um zuerst die Menschen von ihrer Sünde überführen zu können.

Die Gerechtigkeit, für welche dadurch die Bahn frei wird, wird uns dann durch Christi Gnade zugesprochen. Christus bindet diese Gabe mit Recht an sein Emporsteigen zum Vater. Denn gleichwie er (Röm. 4, 25) auferstanden ist um unserer Gerechtigkeit willen, so sitzt er nun auch zur Rechten des Vaters, um die gesamte ihm übertragene Macht auszuüben und so alles zu erfüllen. Von seiner Himmelsherrlichkeit aus überströmt er die Welt mit dem Wohlgeruch seiner Gerechtigkeit. Der Geist aber spricht es im Evangelium aus, dass es nur diesen einen Weg gibt, auf dem wir gerechtfertigt werden.

V. 11. Um das Gericht. Die Ausleger, welche hier „Gericht“ im Sinne von „Verdammnis“ nehmen, haben insofern einen Anhalt im Zusammenhang, als Christus gleich hinzufügt, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass die Stelle einen anderen Sinn hat. Wenn das Licht des Evangeliums angezündet ist, dann macht der Geist es offenbar, dass die Welt durch den Sieg Christi, in dessen Folge Satan seine Herrschaft eingebüßt hat, wieder zu einem guten, geordneten Zustande zurückgeführt worden ist.

Der Geist Gottes will der Welt sagen: Wenn Christus den Satan bezwungen, über ihn triumphiert und nun die Herrschaft innehat, so ist das die rechte Erneuerung, wodurch alles wieder zurecht gebracht wird. Das „Gericht“ steht also im Gegensatz zur Verwirrung und Unordnung; es bedeutet so viel wie „Herstellung der rechten Ordnung“. In diesem Sinne kommt der Ausdruck öfter vor (vgl. zu 12, 31). Solange Satan die Herrschaft besitzt, wirft er alles durcheinander und verbreitet eine gräuliche Verwirrung in der Schöpfung Gottes. Wird er aber durch Christum seiner Gewalt entkleidet, so kommt die Welt wieder zurecht, und es leuchtet allenthalben die schönste Wohlordnung.

V. 12 u. 13. Ich habe euch noch viel zu sagen. So recht gründlich konnte Christi Predigt bei den Jüngern nicht wirken. Vermöge ihrer Unreife blieb ihnen noch vieles unverständlich. Ja sie haben kaum etwas gekostet oder genippt von diesem Erquickungstrank, der sie hätte durch und durch kräftigen müssen, wenn dem nicht die Schwäche des Fleisches im Wege gestanden hätte. Es konnte nicht anders sein, als dass sie, durchdrungen von dem Bewusstsein ihrer Hilflosigkeit, sich mit Angst und Frucht plagen mussten. Dem will Christus begegnen; er tröstet sie damit, dass sie nach Empfang des Geistes neue und ganz andere Menschen werden sollen.

Wenn Jesus also ausspricht: ihr könnt es jetzt nicht tragen, was ich euch mehr und Tieferes mitzuteilen hätte, - so will er damit die Hoffnung auf spätere Fortschritte vertrösten, damit seine Jünger den Mut nicht verlieren. Es wäre es sehr unangebracht gewesen, wenn sie die ihnen versprochene Geistesgabe nach dem Maße ihrer gegenwärtigen Stimmung, die sehr wenig himmlisch gefärbt war, hätten messen wollen.

Alles in allem: Jesus heißt seine Jünger guten, getrosten Mutes sein, mögen sie ihre Schwäche jetzt auch noch so tief empfinden. Wenn er ihnen bei alledem keine eigentlich neue Lehre zu ihrem Troste in Aussicht stellt, und doch die bisher vorgetragene in der Hoffnung späteren reicheren Verständnisses ihrem Fassungsvermögen anpassen musste, so ist es, als wollte er seinen Jüngern zurufen: Wenn das, was ihr von mir gehört habt, noch nicht genügt, euch fest zu machen, so geduldet euch ein wenig; bald wird euch, wenn der Geist durch sein Lehramt euch über alles unterrichtet, nichts mehr mangeln; was in euch bisher noch unentwickelt im Keim vorhanden war, wird er zur Vollreife bringen. –

Doch was waren denn das für Dinge, die damals die Apostel noch außerstande waren, zu lernen? Die Anhänger des Papsttums treiben mit unserer Stelle gottlosen Missbrauch, um ihre Lügen zu Aussprüchen göttlicher Wahrheit zu stempeln. „Christus“, sagen sie, „hat den Aposteln neue Offenbarungen verheißen, - folglich darf man nicht bei dem Wortlaut der Schrift stehen bleiben; denn er macht den Seinen Versprechungen, die darüber hinausgehen“. Augustin schon hat auf derlei Rede gesagt: „Wenn Christus geschwiegen hat, - wer von uns will dann sagen: er hatte dies oder jenes gemeint? Und wenn einer wirklich Einzelnes namhaft machen wollte, - womit könnte er beweisen, dass Christus gerade das gemeint habe? Wer ist so eitel, so verwegen, dass er (möchte er gleich etwas Nichtiges vorbringen) ohne irgendein göttliches Zeugnis sich unterstände, zu behaupten: das ist es, was Christus damals nicht sagen wollte?“ Doch die eigenen Worte Christi bieten uns noch gewisseren Grund zur Wiederlegung der römischen „Traditionen“ oder „ungeschriebenen Erblehren“.

Sie verheißen ja den Aposteln den Geist mit der Zusagen (V. 13): der wird euch in alle Wahrheit leiten. Wozu aber ward er ihnen verheißen? Doch ohne Zweifel, damit sie die von ihm empfangene Weisheit weitergeben sollten. Dann wurde ihnen der Geist verliehen, und unter seiner Führung und Leitung haben sie das ihnen übertragene Amt versehen. Genau derselbe Geist hat sie auch in alle Wahrheit geleitet, als sie den kurzen Inbegriff ihrer Lehre in Schriften niederlegten. Wer sich dünken lässt, er müsste dieser Lehre noch eine Ergänzung hinzufügen, als wäre sie unfertig und unvollständig, der zeiht nicht nur die Apostel der Unzuverlässigkeit, sondern er lästert auch den Geist. Wäre die Lehre, welche sie aufzeichneten, von unreifen Schülern abgefasst worden, die noch viel hinzulernen mussten, dann wäre freilich ein Zusatz nichts Überflüssiges, - so aber, da ihre Schriften sozusagen ein zusammenhängender Bericht über jene Offenbarung sind, die ihnen versprochen und auch wirklich gegeben wurde, hieße es den Geist tief betrüben, wenn man ihnen noch etwas hinzusetzen wollte. Und fragen wir nun die Römischen: Was ist es denn, das nach eurer Meinung Christus damals noch für sich behielt? – was für lächerliche Antworten erhalten wir dann! Wollten wir ihnen Glauben schenken, so müsste der heilige Geist eigens deswegen vom Himmel herabgekommen sein, damit die Apostel darüber belehrt würden, wie Kirchengefäße und Heiligenaltäre geweiht, wie Glocken getauft, wie Messe gefeiert und Weihwasser gesegnet werden muss. Solche Dinge aber, dessen sind wir gewiss, hat der heilige Geist nicht gelehrt, denn alles das hat weit mehr Verwandtschaft mit den geheimnisvollen Zeremonien beim Dienste heidnischer Göttinnen, der Ceres oder der Proserpina, als mit der lauteren Lehre der Bibel, in der Gottes Geist voll Weisheit mit uns redet. Wollen wir nicht Gott Undank erzeigen, so haben wir uns mit der heiligen Schrift zu begnügen. Sie allein mit ihrer vollkommenen Himmelsweisheit macht uns zu vollkommenen Gottesmenschen (2. Tim. 3, 17). Wir halten es für unerlaubt, über sie hinauszugehen.

Das nur gibt unserer Seele Höhe, Weite und Tiefe, dass wir die Liebe Gottes kennen, die sich uns in Christo erschließt. Diese Erkenntnis ist besser als alles Wissen, wie Paulus Eph. 3, 18 sagt. Und wenn derselbe Apostel einmal (Kol. 2, 3) davon redet, dass in Christo alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen liegen, so bezeichnet er mit diesen Worten nicht einen Christus, den wir nicht kennen, sondern eben denselbigen, welchen er in seiner Predigt lebensvoll gemalt hat, damit die Christen ihn als den Gekreuzigten vor Augen haben sollten (Gal. 3, 1).

Damit aber vollends alle Zweideutigkeit schwinde, setzt Christus sofort mit eigenen Worten auseinander, was das für Dinge sind, welche die Apostel gegenwärtig noch nicht tragen konnten:

Was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Das beziehen einige auf den Geist der Prophetie. Meines Erachtens deutet Jesus vielmehr hin auf seine geistliche Herrschaft, wie sie künftig errichtet werden soll. Nach seiner Auferstehung haben es die Apostel erlebt, wie sie zustande kam. Vorher hatten sie nicht die mindeste Vorstellung davon. Er verheißt ihnen also nicht Weissagungen über Dinge, die nach ihrem Tode erst sich ereignen sollen, sondern weist nur darauf hin, dass sein Reich ganz anders und weit herrlicher aussehen werde, als sie es sich jetzt ausdenken könnten. Die Schätze dieser himmlischen Weisheit, welche selbst die Engel des Himmels mit Staunen an der Gemeinde lernen (Eph. 3, 10), breitet Paulus im Epheserbrief in den ersten vier Kapiteln vor uns aus. Willst du hinter das Geheimnis kommen, so brauchst du es nicht in päpstlichen Truhen oder Archiven zu suchen.

Er wird nicht von ihm selber reden. Das ist eine Bekräftigung zu dem Sätzchen: „Er wird euch in alle Wahrheit leiten“. Wir wissen, dass Gott allein der Quell aller Wahrheit ist, und dass man ohne Berührung mit ihm zu keiner klaren und festen Gewissheit kommt. Damit nun die Apostel den Aussprüchen des Geistes zuversichtlichen und vollen Glauben schenken dürfen, leistet Christus Bürgschaft für deren göttliche Beschaffenheit: Er will sagen: Was der Geist euch bringt, das stammt von Gott selbst. Indes wird mit diesen Worten die Majestät des Geistes nicht verringert, als sei er nicht selbst Gott oder doch geringer, als der Vater: die Worte Christi passen sich unserem schwachen Verständnisse an. Da wir nicht hinreichend zu begreifen vermögen, dass wir mit der tiefsten Ehrfurcht die Offenbarungen des Geistes aufzunehmen haben, deshalb wird ausdrücklich seine Gottheit betont, wie Paulus ihn ja auch Eph. 1, 14 das Pfand nennt, wodurch uns Gott unsere Rettung glaubhaft macht, und das Siegel, wodurch er uns die Heilsgewissheit verschafft. Kurz, Christus wollte uns darüber unterrichten, dass die Lehre des Geistes nicht von dieser Welt, noch aus der Luft gegriffen sei, sondern aus dem uns unzugänglichen, himmlischen Heiligtum hervorgehen werde.

V. 14. Derselbige wird mich verklären. Nunmehr hebt Christus hervor, dass der heilige Geist nicht kommen wird, um ein Reich anderer Art, als wie er selbst es immer gelehrt hat, aufzurichten, sondern vielmehr, um die Herrlichkeit, die der Vater ihm, dem Sohne, gegeben hatte, zu mehren und zu stärken. Es gibt nämlich Träumer, welche behaupten, dass Christus selbst nur die allerersten Elemente gelehrt habe, dass aber die eigentliche Lehre der Vollkommenheit einen ganz anderen und tieferen Inhalt habe. So denken im tiefsten Grunde alle Schwärmer, die sich nicht an die Schrift binden, sondern von neuen Geistesoffenbarungen fabeln. Zu ihnen gehört vornehmlich auch der Papst. Sobald man aber den Geist von den Worten Christi unabhängig denkt, verfällt man in offenbare Täuschereien und Irrglauben. Somit sehen wir, wie wenig die Erinnerung Jesu überflüssig war, der heilige Geist, den er senden wollte, werde ihn verklären. Wir sollten daraus ersehen, dass die Aufgabe des Geistes einzig und allein darin besteht, das Reich Christi zu befestigen und alles, was der Vater dem Sohne gegeben hat, dem Heiland zu bewahren und für immer zu erhalten. Was will demnach der Unterricht des Geistes? Er will uns nicht der Unterweisung Christi entfremden, sondern im Gegenteil jener Himmelsstimme Gehorsam verschaffen, die uns befiehlt (Mt. 17, 5): „Den sollt ihr hören!“ Im anderen Falle würde er ja der Ehre Christi Abbruch tun.

Von dem Meinen wird er es nehmen. Danach empfangen wir den Geist eben zu dem Zwecke, dass wir der Wohltaten Christi froh werden. Was bringt er uns? Dass wir durch Christi Blut gewaschen werden, dass durch Christi Tod die Sünde in uns ausgetilgt wird, dass unser alter Mensch ans Kreuz kommt, dass seine Auferstehung ein neues Leben in uns wirkt, kurz, dass wir alles Gute empfangen, was Christus uns geben will. Also verleiht uns der Geist gar nichts, was auch ohne Christum zu haben wäre, - vielmehr nimmt er alles von Christo und macht es uns zum Eigentum. Dasselbe gilt auch von seiner Lehre; er erleuchtet uns nicht, um uns, und wäre es auch nur ein klein wenig, von Christo wegzuführen, sondern um das Pauluswort zu erfüllen (1. Kor. 1, 30): „Christus ist uns gemacht zur Weisheit“. Er erschließt uns die in Christo verborgenen Schätze. Der Geist beschenkt mit keinem anderen Reichtum, als mit dem Reichtum Christi; es kommt ihm einzig darauf an, Christi Ruhm zu verherrlichen.

V. 15. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Da es so aussehen konnte, als ob Christus dem Vater entreißen wollte, was er sich selbst zusprach, so bekennt er hier, alles, was er durch den Geist uns mitteile, habe er vom Vater. Wenn er übrigens sagt, alles, was der Vater habe, sei sein, so redet er als der Mittler, aus dessen Fülle wir schöpfen müssen. Er redet so zu unserem Besten. Denn nur zu viele Menschen täuschen sich selber, indem sie gleichgültig an Christo vorbeigehen und auf weiten Umwegen Gott suchen! Darum breitet Christus mit diesem Worte seine Reichtümer vor uns aus, um uns zum Genusse einzuladen: unter die Gaben, welche der Vater uns durch seine Hand zukommen lassen will, zählt er aber insbesondere den Geist.

V. 16 bis 18. Über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen. Wenn Christus zu wiederholten Malen die Apostel im Voraus auf seinen Hingang gefasst machte, so tat er das teils, damit sie ihn mutiger und beherzter ertrügen, teils, damit sie mit glühender Sehnsucht die Gnade des Geistes begehrten, wonach sie nicht besonders verlangten, solange sie die leibliche Gegenwart Christi genossen. Wir haben uns zu hüten, dass wir nicht oberflächlich über diese wieder und wieder von Christo eingeschärften Mahnungen hinweglesen. Zunächst sagt er, binnen kurzem werde er seinen Jüngern entrissen werden, - damit sie nicht, seines Anblickes beraubt, alle Geistesgegenwart verlören: hatten sie doch bisher Frieden und Ruhe nur in ihm.

Sodann verspricht er ihnen Hilfe: bald nach seinem Weggange wird er ihnen wieder geschenkt werden, wenn auch auf andere Weise, nämlich durch das Kommen und Bleiben des heiligen Geistes. Freilich gibt es Ausleger, die den zweiten Teil dieses Spruches anders fassen: „Ihr werdet mich sehen, wenn ich von den Toten auferstanden bin, aber nur für kurze Zeit, weil ich dann bald in den Himmel aufgenommen werden soll.“ Mir scheint es, dass Jesu Worte diese Deutung nicht vertragen. Er will vielmehr seine Jünger über sein Fortgehen trösten und ihren Kummer lindern, indem er ihnen sagt, dass die Trennung nicht lange währen wird. Damit aber verweist er sie auf das Kommen des Geistes, durch den er allezeit bei ihnen weilen will. Und wenn er dabei von Sehen redet, so ist auch das nicht sinnlos; der in den Jüngern wohnende Geist kann zwar nicht mit den Augen betrachtet werden, aber im Glauben ist seine Gegenwart aufs deutlichste zu merken. Es ist, wie Paulus sagt (2. Kor. 5, 6 f.): die Gläubigen allen als Pilger ferne vom Herrn, solange sie auf Erden sich aufhalten, denn sie wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Aber ebenso wahr ist es gleichzeitig, dass sie sich rühmen dürfen: durch Glauben haben wir Christum in uns wohnend, wir hangen an ihm wie Glieder am Haupte und besitzen schon jetzt in der Hoffnung zusammen mit ihm den Himmel. –

Der heilige Geist ist für uns ein Spiegel, in welchem Christus geschaut werden will; das meint auch Paulus (2. Kor. 5, 16 f.): „Ob wir auch Christum gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr. Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur.“

Denn ich gehe zum Vater. Man deutet diese Worte bisweilen so: Ihr könnt mich fernerhin nicht mehr sehen, da ich im Himmel sein werde, ihr dagegen auf der Erde. Ich schließe dieses Satzglied aber lieber enge an das vorhergehende an: In kurzem werdet ihr mich wiedersehen; mein Tod ist ja kein Untergang, der mich von euch zu trennen vermöchte, sondern ein Hinübergehen in himmlische Herrlichkeit; von drüben wird sich dann meine göttliche Kraft ungehemmt zu euch ergießen. –

Jesus wollte, so denke ich, damit lehren, wie es ihm nach seinem Tode ergehen werde, damit sich die Jünger mit seiner Gegenwart im Geiste begnügen, und nicht annehmen möchten, nun sei eine Schranke zwischen ihm und ihnen gezogen, die ihn hindere, auch ferner so auf sie einzuwirken, wie er es während seines Erdenlebens tat.

V. 19. Da merkte Jesus usw. Manchmal hat es den Anschein, als rede der Herr vor tauben Ohren. Doch er kommt der Unbeholfenheit der Seinen in einer Weise zu Hilfe, dass seine Lehre nicht spurlos an ihnen vorübergeht. Unsere Pflicht aber ist es, darauf bedacht zu sein, dass wir uns nicht bei unserer Schwerfälligkeit auch noch stolz oder träge finden lassen. Lasst uns vielmehr demütig und voll von Lernbegier sein!

V. 20. Ihr werdet weinen und heulen. Hier zeigt Jesus, weshalb er den Jüngern seinen bevorstehenden Hingang vorausgesagt und zugleich die Verheißung seiner baldigen Wiederkehr hinzugefügt hat: sie sollten daran umso mehr ermessen lernen, wie sehr ihnen der Beistand des Geistes nottat. Er will sagen: Eine schmerzliche, harte Prüfung wartet euer; bin ich euch erst durch den Tod genommen, so wird die Welt ihre Triumphe feiern. Ihr werdet voll des tiefsten Kummers sein; die Welt dagegen wird sich für glückselig, euch für unglücklich halten. Deshalb war es meine Absicht, euch die rechten Waffen zu dem eurer wartenden Kampfe in die Hand zu geben. –

Jesus beschreibt mit diesen Worten die Zeit zwischen seinem Tode und der Sendung des Geistes, weil da ihr Glaube gewissermaßen unter Trümmern verschüttet lag.

Eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden. Damit meint er die Freude, die in ihnen mit dem Empfang des Geistes erblühen sollte, - nicht als ob ihnen künftig gar kein Kummer mehr widerfahren könnte: aber es wurde doch alles Leid, das sie noch zu ertragen hatten, verschlungen von der beständigen Freude im Geist. Bekanntlich haben die Apostel ihr ganzes Leben lang einen harten Kampf durchzumachen gehabt, schändliche Schmähungen über sich ergehen lassen müssen, viele Anlässe zur Traurigkeit erlebt: aber sie hatten, seit Gottes Geist sie erneuerte, das frühere Schwachheitsgefühl abgelegt, um in heldenhafter Geistesgröße leicht unter den Fuß zu treten, was für Übel sie auch plagen mochten. Es wird also hier die jetzt noch den Jüngern eigene Schwachheit verglichen mit der Kräftigung und Stählung, die der Geist ihnen in Bälde bringen sollte. Einige Zeit waren sie sozusagen in Verzagtheit begraben, doch bald darauf kämpften sie nicht nur mit Freudigkeit, sondern trugen auch einen glänzenden Triumph mitten in ihren Kämpfen davon.

V. 21. Ein Weib, wenn sie gebiert. Durch ein Gleichnis bestätigt Jesus, was er eben sagte. Aber er gibt zugleich noch deutlicher seine Meinung zu verstehen: Es wird nicht nur an Stelle des Kummers Freude treten, - auch das Leid selbst trägt schon den Gegenstand und die reife Ernte der Freude in sich. Oftmals kommt es vor, wenn nach dem Leid die Freude einkehrt, dass die Leute ihren einstigen Schmerz vergessen und sich ganz und gar der Freude hingeben: doch ist der vorhergehende Schmerz nicht der Grund der Freude. Christus bezeichnet dagegen die Traurigkeit, welche seine Jünger um des Evangeliums willen so schwer tragen sollten, als den Mutterschoß einer wertvollen Frucht. Gewiss können alle Schmerzen nur in Unheil enden, wenn Jesus nicht seinen Segen darüber spricht. Aber weil das Kreuz Christi allezeit den Sieg in sich trägt, so vergleicht Christus mit gutem Grunde den Schmerz, der im Anschauen seines Kreuzes erwächst, mit den Wehen einer gebährenden Frau, die köstlichen Schmerzenslohn empfängt, sobald ihr der frohe Anblick des lieben Neugeborenen zu Teil wird. Das Gleichnis passt nur deshalb, weil ja wirklich der Schmerz bei Christi Gliedern, wenn sie an ihres Heilandes Leiden teilnehmen, die Freude hervorbringt, gerade wie bei einem Weibe die Wehen, welche unmittelbar vor der Geburt hergehen, die Geburt des Kindes zur Folge haben.

Auch nach der Seite hin trifft das Gleichnis zu, dass, so scharf und durchdringend auch der Schmerz einer Wöchnerin ist, er doch schnell verschwindet. Es war für die Jünger keine geringe Erleichterung, zu hören, dass ihr Schmerz von so kurzer Dauer sein werde. Wenden wir die Lehre dieses Ausspruches auf uns an! Sobald wir durch den Geist Christi neugeboren sind, müsste ein Strom von Freude so kräftig in uns hervorbrechen, dass er jedes Gefühl des Schmerzes hinwegschwemmte: es sollte bei uns so sein, wie bei Kindbetterinnen, die beim Anblick des zarten Neugeborenen dermaßen von Rührung und Mutterfreude ergriffen werden, dass ihnen ihr Schmerz kein Schmerz mehr ist. Weil wir aber nur geringe Erstlinge des Geistes empfangen haben, so spüren wir die geistliche Freude auch nur gleich Balsamtröpfchen, welche, auf unseren Schmerz geträufelt, sein Weh lindern. Und doch zeigt auch dieser geringe Anteil deutlich, dass es mit denen, die Christum im Glauben anschauen, niemals so weit kommen kann, dass sie sich völlig in Kummer und Leid vergraben, - und ginge es ihnen noch so arg, sie sind doch voll Rühmen und Frohlocken. Indes, da es ja das gemeinsame Los aller Kreaturen ist, dass sie in Wehen liegen bis zum Tage der großen Erlösung, haben wir zu bedenken, dass auch wir noch seufzen müssen, bis wir von der Kette des Elends, das das irdische Leben mit sich bringt, befreit, die Frucht unseres Glaubens als Verklärte zu schauen bekommen. Kurz, die Gläubigen sind, soweit sie in Christo wiedergeboren wurden und in Gottes seliges Reich bereits eingetreten sind, gleich einem Weibe, das schon geboren hat: andererseits sind sie gleich einem schwangeren Weibe, das in Wehen liegt, insofern sie, jetzt noch gefangen im Arbeitshause des Fleisches, sehnlich nach jenem Zustand ewigen Glücks verlangen, in dem wir hienieden noch nicht sind, den wir aber zuversichtlich erhoffen.

V. 22. Eure Freude soll niemand von euch nehmen. Der Wert dieser Freude steigt nicht wenig durch den Umstand, dass sie immer andauern soll. Es folgt daraus: alle Trübsal der Gegenwart fällt nicht schwer ins Gewicht und muss gleichmütig hingenommen werden. Übrigens erinnert Christus mit diesen Worten daran, was denn eigentlich wahre Freude sei. Notwendigerweise wird die Welt ihrer Freude rasch beraubt, die sie nur in vergänglichen Dingen sucht. Es gilt, dem auferstandenen Christus zu nahen: bei ihm ist ewig Bleibendes zu finden.

V. 23. Ihr werdet mich nichts fragen. Nachdem Christus den Jüngern eine Freude verheißen hat, deren Bestand und kühner Trotz durch nichts besiegt werden kann, verkündigt er ihnen noch eine weitere Gnadengabe des Geistes, mit der sie beschenkt werden sollen, nämlich das helle Licht der Erkenntnis, das sie in die himmlischen Geheimnisse hineinschauen lässt. Damals waren sie noch so unbeholfen, dass sie selbst bei dem kleinsten Bedenken ins Straucheln gerieten. Knaben, die in der Schule noch bei den Anfangsgründen stehen, vermögen eine einzige Zeile nur mit häufigem Stocken zu Ende zu lesen. So gab es auch für die Jünger fast bei jedem Worte Christi irgendeinen Anstoß, der sie am Weiterkommen hinderte. Als bald danach der heilige Geist sie erleuchtete, fiel alles fehlerhafte Stocken für sie weg, ja die Weisheit Gottes wurde ihnen bekannt und innig vertraut, sodass sie unaufgehalten frisch vorankamen im Erlernen der Geheimnisse Gottes. Zwar haben die Apostel, selbst als sie die höchste Stufe der Weisheit erreicht hatten, nicht aufgehört, zu fragen, was Jesus ihnen zu sagen hatte, - aber hier handelt es sich nur um einen Vergleich zwischen zwei verschiedenartigen Zuständen. Christus will sagen: Ihr werdet eure Unerfahrenheit und Unwissenheit in kurzem ablegen. Jetzt steht ihr bei ganz geringfügigen Dingen ratlos da. Dereinst werdet ihr leicht und mühelos zur Erkenntnis der tiefsten Geheimnisse durchdringen. –

Darauf bezieht sich auch Jer. 31, 34: Und wird keiner den anderen lehren und sagen: Erkenne den Herrn; sondern sie sollen mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der Herr. Damit will der Prophet keinesfalls die Lehre beseitigen oder als unnütz hinstellen, die ja in Christi Reich aufs allereifrigste getrieben werden muss, - er will nur hervorheben, dass da, wo jedermann göttliche Belehrung genossen hat, kein Raum mehr ist für groben Unverstand, der nur solange der Menschen Herzen befängt, bis sie die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, anleuchtet mit den Strahlen des Geistes Gottes.

So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen. Damit erklärt Jesus, woher die Jünger diese neue Befähigung bekommen werden, dass sie mit vollen Zügen aus Gott selbst als dem Quell der Weisheit zu trinken vermögen. Er will sagen: Es ist nicht zu befürchten, dass ihr der Gabe der Erkenntnis wieder verlustig geht, da ja der Vater mit der reichen Fülle seiner Güter euch so herzlich gern beschenken will. Übrigens liegt in diesen Worten auch die Mahnung: Ich verheiße euch nicht den heiligen Geist, damit ihr nun müßig die Hände in den Schoß legt, in der trägen Meinung, dass die versprochene Gabe euch nicht entgehen könne, sondern damit ihr mit aller Inbrunst die euch gebotene Gnade erfleht! Alles in allem kündigt Jesus hier an, er wolle alsbald des Mittleramtes so walten, dass er den Seinen reichlich und über ihre Bitten hinaus spende, was sie nur immer vom Vater sich erbitten würden. –

Dabei erhebt sich die schwierige Frage, ob sich denn Gott erst von diesem Zeitpunkte ab im Namen Christi habe anrufen lassen. Er konnte ja doch den Menschen niemals anders, als dem Mittler zuliebe, gnädig sein! Christus deutet auf die Zukunft: dann wird der Vater den Jüngern geben, um was sie bitten. Wenn das eine neue, bisher ungewohnte Gnade ist, so kann man, scheint es, daraus folgern: also hat Jesus, so lange er auf Erden weilte, das Amt eines Fürsprechers, durch dessen Vermittlung allein die Bitten der Gläubigen Gott angenehm sein konnten, noch nicht ausgeübt. So heißt es auch alsbald (V. 24): „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen.“

Wahrscheinlich haben sich doch aber die Apostel nach der Regel gerichtet, die im Gesetz für das Beten vorgeschrieben war. Die Väter haben jedoch, wie bekannt, die Gewohnheit gehabt, nicht ohne Mittler zu beten; Gott gewöhnte sie eben an diese Form des Gebetes durch mannigfache Übungen. Sie sahen den Hohenpriester in das Heiligtum eintreten im Namen des ganzen Volkes, sie sahen täglich, wie die Opfertiere geschlachtet wurden, damit die Gebete der Gemeinde Gott wohlgefällig würden: es gehörte also zu den Grundkenntnissen des alttestamentlichen Glaubens, dass es vergeblich sei und verwegen, Gott ohne Herzuziehung eines Mittlers anzurufen. Christus hatte seinen Jüngern hinlänglich bezeugt, dass er der Mittler sei; aber ihre Erkenntnis war noch so getrübt, dass sie noch nicht imstande waren, ihre Gebete sachgemäß an seinen Namen anzuschließen. Es ist keineswegs verwunderlich, dass sie nach der Vorschrift des Gesetzes im Vertrauen auf den Mittler zu Gott beteten und dabei doch nicht klar und deutlich begriffen, was das bedeutete. Noch hing der Vorhang im Tempel, noch war die Majestät Gottes unter dem Schatten der Cherubim verborgen, noch hatte der wahre Priester das Heiligtum des Himmels nicht betreten, um für die Seinen einzutreten; noch hatte er nicht durch sein Blut den Weg geweiht.

Deshalb ist es nicht zu verwundern, dass der Mittler nicht so erkannt wurde, wie jetzt, seitdem er im Himmel uns zugute bei dem Vater erschienen ist, um durch sein Opfer ihn mit uns zu versöhnen, damit wir arme Menschenkinder Mut fassen, mit kindlicher Zuversicht vor seinen Thron zu treten. Die häufige Wiederholung der Vorschrift, dass wir im Namen Christi beten sollen, hat den Zweck, uns klar zu machen, dass es eine gottlose Entweihung des Namens Gottes ist, wenn ein Mensch es sich herausnimmt, mit Umgehung Christi vor Gottes Richterstuhl zu stehen. Ist diese Überzeugung in unserer Seele fest gewurzelt, dass Gott uns gern und reichlich geben wird, was wir im Namen seines Sohnes erbitten, so werden wir nicht allerlei Nothelfer zum Beistande begehren, sondern mit ihm allein uns zufrieden geben, der so oft und so liebreich sich um uns bemüht. Übrigens beten wir in Christi Namen, wenn wir uns auf ihn als auf unseren Fürsprecher verlassen, der uns die Gnade des Vaters zuwendet, selbst wo wir nicht ausdrücklich seinen Namen über die Lippen bringen.

V. 24. Bittet. Das bezieht sich auf die Zeit seiner bevorstehenden neuen Offenbarung. Welch unentschuldbare Verirrung also, wenn man diese herrliche Lehre durch Anrufung selbsterdachter Nothelfer verdunkelt! Das alte Bundesvolk musste, so oft es beten wollte, seine Augen auf die Vorbilder seines Hohenpriesters und seiner Tieropfer richten. So würde es denn unbegreiflicher Undank von uns sein, wenn wir nicht mit allen Gedanken uns an den wahren Hohenpriester anklammern wollten, der uns zum Sühner geschenkt ist, durch welchen wir einen wohl gebahnten Zugang zu dem Throne der Herrlichkeit Gottes haben.

Dass eure Freude vollkommen sei. Das bedeutet: es wird euch an der vollkommenen Fülle alles Guten, an der Summe aller Wünsche, an der dankbaren Befriedigung der Seele nichts fehlen, wenn ihr nur in meinem Namen von Gott fordert, was ihr bedürft.

V. 25. Solches hab ich durch Sprichwörter geredet. Jesus möchte den Jüngern Mut machen, damit sie auf einen besseren Fortschritt hoffen lernen und nicht meinen, dass die bisherige Lehre, die ihnen freilich nicht viel geholfen hatte, dafür verloren sei. Hätte doch der Verdacht in ihnen aufsteigen können, Christus wolle nicht verstanden werden und halte sie absichtlich in Spannung und Erwartung. So kündigt er ihnen denn an, bald würden sie die Frucht seiner Lehre kosten, die dadurch, dass sie ihnen dunkel war, einen Widerwillen bei ihnen hätte erzeugen können.

Wir haben in der Übersetzung zwei verschiedene Worte „Sprichwort“ und „Gleichnis“ gebraucht für ein und dasselbe griechische Wort. Das hebräische Grundwort („Maschal“) bedeutet bisweilen: Sprichwort. Nun kommen aber in Sprichwörtern sehr häufig Bilder und Gleichnisse vor. So brauchten denn die Hebräer dieselbe Bezeichnung auch für Rätsel oder geistvolle Aussprüche, denen ja auch oft eine gewisse Vieldeutigkeit anhaftet. Jesus meint: Jetzt rede ich anscheinend in Bildern, nicht in einfacher, leichtverständlicher Rede mit euch, - in kurzem werde ich vertraulicher mit euch sprechen, sodass in meiner Lehre für euch nichts Absonderliches oder Schwieriges mehr vorkommen wird.

So wird denn klar, was ich schon sagte, dass Jesus den Jüngern Mut macht, indem er in ihnen Zuversicht auf baldige, größere Fortschritte erweckt: er will dadurch verhüten, dass sie sich von seiner gegenwärtigen Belehrung abwenden mit der Berufung darauf, dass sie nichts damit anzufangen wüssten. Notwendigerweise erlahmt ja unser Lerneifer, wenn uns die Aussicht, voranzukommen, nicht anspornt. Übrigens ergeben die Tatsachen deutlich genug, dass Christus keineswegs sich einer künstlich rätselhaften Ausdrucksweise befleißigt hat; im Gegenteil hat er seinen Jüngern gegenüber in einem schlichten, volkstümlichen Tone geredet. Ihre Schwerfälligkeit im Begreifen ging freilich so weit, dass sie zwar wie gebannt an seinem Munde hingen, aber vielfach nur den Schall seiner Worte hörten, nicht ihren Sinn erfassten. So war im Grund nicht seine Lehre dunkel, sondern ihr Herz.

Uns geht es ja noch ganz ebenso. Es ist kein leeres Geschwätz, wenn das Wort Gottes unser „Licht“ genannt wird (Ps. 119, 105): aber bei unserem schwachen Verständnis ist sein heller Glanz oft dermaßen in Nebel gehüllt, dass es uns vorkommt, als hörten wir lauter Rätselworte. Denn gleichwie Gott bei Jesaja (28, 11) droht, er werde mit fremder Zunge reden zu den Ungläubigen, die er verworfen habe, als sei er ein Stammler, und wie Paulus (2. Kor. 4, 3) sagt, das Evangelium sei verdeckt für die, deren Sinne Satan verblendet habe, ebenso klingt die Lehre Christi den Schwachen und Unerfahrenen zum großen Teil wie ein unklares Gewirr, aus dem man nicht klugen werden kann. Sie sind zwar nicht völlig verfinstert wie die Ungläubigen, aber doch wie einer, der im Nebel seine Straße zieht. Und der Herr, der uns klein machen will, indem er uns unseren Mangel recht zum Bewusstsein bringt, lässt es zu, dass wir zeitweilig nicht wissen, wo aus noch ein. Erleuchtet er uns aber dann mit seinem Geiste, so bringt er uns dergestalt vorwärts, dass uns sein Wort vertraut und wohl bekannt wird.

Eben darauf zielt der folgende Satz: Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr durch Gleichnisse mit euch reden werde. Ohne Frage hat der Geist die Apostel nichts anderes gelehrt, als was sie aus Christi eigenem Munde gehört hatten: aber indem er in ihre Herzen hineinstrahlte, durchbrach er die Finsternis darin, sodass sie nun Christi Lehre vernahmen, als rede er auf eine ganz andere, neue Art mit ihnen, und mit Leichtigkeit verstanden, was er meinte. Das meint Jesus, wenn er sagt: Ich werde euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. Damit sagt er uns: Das Ziel meiner Lehre ist, euch zu Gott zu führen, denn in der Gemeinschaft mit Gott beruht das wahre Glück. –

Doch es ist noch eine Frage zu erledigen. Mt. 13, 11 sagt Jesus, seinen Jüngern sei es gegeben, das Geheimnis des Himmelreiches zu vernehmen, während er doch hier gesteht, er habe in Rätselworten geredet. An der angeführten Stelle macht er vielmehr einen Unterschied zwischen ihnen und dem Volk, mit dem er (nach V. 13) allerdings durch Gleichnisse rede.

Antwort: Man darf sich die Unbeholfenheit der Jünger nicht so groß vorstellen, als hätten sie überhaupt gar nichts verstanden, - sie ahnten doch wenigstens, was der Meister wollte, und um deswillen rechter er sie nicht mit ein in die große Schar der geistlich Blinden.

V. 26. An demselbigen Tage usw. Nochmals kommt Jesus auf den Grund zurück, weshalb sich den Seinen die Himmelsschätze alsbald so weit öffnen werden: weil sie in seinem Namen erbitten werden, was ihnen nottut. Gott schlägt keine im Namen seines Sohnes vorgebrachte Bitte ab. Aber ist das kein Widerspruch? Christus sagt nachher, es werde überflüssig sein, dass er den Vater bitte? Was hat es denn für einen Sinn, in seinem Namen zu bitten, wenn er nicht das Amt des Anwaltes für uns übernimmt? Johannes nennt ihn doch unseren Fürsprecher (1. Joh. 2, 1; vgl. auch Röm. 8, 34 und Hebr. 7, 25).

Antwort: Christus will nicht rundweg verneinen, dass er sich ins Mittel legen werde. Er will nur das Eine feststellen: der Vater ist euch so wohl gesinnt, dass er sich nicht sträuben, sondern von Herzen gerne euch geben wird, was ihr erbittet. Er wird sich schnell aufmachen und wird, getrieben von seiner unermesslichen Liebe gegen euch, noch schneller sein als euer Fürsprecher, der sonst für euch ein gutes Wort eingelegt haben würde. Wenn es übrigens heißt, Christus trete beim Vater für uns ein, so müssen wir uns das nicht so sinnlich ausmalen, als ob er vor des Vaters Knien niederfallend flehentlich Bitten ausspräche. Die Wirkung des Opfers, damit er ein für alle Mal Gott mit uns versöhnt hat, ist immer frisch und kräftig. Das Blut, durch das er unsere Sünden gesühnt, der Gehorsam, welchen er geleistet hat, ist sein fortwährendes Eintreten für uns. Unsere Stelle ist hochwichtig; sie lehrt uns, dass Gott uns in sein Herz schließt, sobald wir ihm seines Sohnes Namen vorhalten.

V. 27. Darum, dass ihr mich liebt. Diese Worte erinnern uns daran, dass das einzige Band, wodurch wir mit Gott vereinigt werden, die Gemeinschaft mit Christus ist. Diese Gemeinschaft besteht in einem nicht geheuchelten, sondern herzhaften, ehrlichen Glauben, der hier als „Liebe“ bezeichnet wird. Nur der glaubt wirklich an Christum, der ihn aufrichtig lieb hat. So ist mit dem Wort Liebe das Wesen wahren Glaubens zutreffend beschrieben. Doch, wenn uns Gott erst dann zu lieben anhebt, wenn wir Christum lieb gewonnen haben, so läge ja der Anfang des Heilsweges auf der Seite des Menschen: erst käme unsere Liebe, dann Gottes Gnade. Ist es so? Sehr viele Zeugnisse der Schrift widerstreiten dem. Gottes Verheißung lautet doch (5. Mo. 30, 6): Ich will machen, dass sie mich lieben; und Johannes schreibt (1. Joh. 4, 10 vgl. 19): Nicht, dass wir Gott zuerst geliebt haben. Es würde überflüssig sein, noch mehr Belegstellen anzuführen, da ja nichts gewisser ist, als diese Lehre. Gott ruft dem, was nicht ist, er erweckt die Toten, er naht sich denen, die ihm fremd waren, er macht aus steinernen Herzen fleischerne, er erscheint denen, welche ihn nicht suchten.

Es ist also zu antworten: Gott liebt die Erwählten vor ihrer Berufung auf eine geheime Art: liebt er doch die Seinen allesamt, ehe sie geschaffen sind; da sie aber der Versöhnung noch nicht teilhaftig wurden, gelten sie verdientermaßen als Feinde, wie Paulus Röm. 5, 10 schreibt. So ist es gemeint, wenn wir hier hören: Gott liebt uns, sobald wir Christum lieben; das könnten wir ja gar nicht, wenn wir nicht in Christo das Unterpfand dafür hätten, dass Gott uns als ein liebender Vater sucht, vor dem wir zuvor gebebt haben, als vor einem Richter, der Böses gegen uns im Schilde führt.

V. 28. Ich bin vom Vater ausgegangen. Dieser Spruch verweist uns auf die göttliche Kraft in Christo. Unser Glaube an ihn hätte keinen Halt, wenn er nicht seine Gottheit ergriffe. Gar wenig oder nichts würden uns sein Tod und seine Auferstehung helfen, die beiden Säulen, auf denen der Glaube ruht, wenn nicht seine himmlische Art damit verbunden wäre.

An dieser Stelle haben wir zu erwägen, wie wir Christum uns zueignen müssen: einzig so, dass wir auf den Ratschluss und die Machtwirkung Gottes schauen, dessen Hand uns den Glauben darbietet. Es genügt nicht, einfach anzunehmen, dass Jesus von Gott ausgegangen ist, sondern es gilt wohl zu beachten, weshalb und wozu er vom Vater ausging: er wollte unsere Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung sein (1. Kor. 1, 30).

Im zweiten Teile unseres Verses betont Jesus das Andauern seiner Erlöserkraft. Die Jünger hätten ja auf den Gedanken verfallen können, dass der Erlöser der Welt nur für eine bestimmte Zeit geschenkt sei. Darum sagt er: Ich gehe zum Vater. So wird keines von den Gütern, die er uns gebracht hat, durch sein Scheiden den Seinen wieder genommen werden: denn Christus ergießt aus seiner Himmelsherrlichkeit die Fülle der Kräfte seines Todes und seiner Auferstehung in die Welt. Ja, die Welt hat er verlassen, indem er alle unsere Schwachheit von sich tat und gen Himmel fuhr. Trotzdem aber umfasst uns kräftig seine Gnade: er sitzt ja zur Rechten Gottes, um von dort aus die Weltherrschaft auszuüben.

V. 29 u. 30. Sprechen zu ihm seine Jünger usw. Daraus geht hervor, wie wirksam Jesu Trostesworte waren: sie haben die vorher so Gebeugten und Entmutigten mit einem Male zu großer Lebhaftigkeit angeregt. Und doch steht fest, dass die Jünger damals nicht entfernt zu fassen vermochten, was diese Rede Christi bedeutete. Des ungeachtet aber hat der frische Duft seiner Worte sie neu belebt. Wenn sie fröhlich ausrufen: Nun redest du frei heraus, ohne bildliche Hülle, - so gehen sie darin entschieden zu weit. Doch bezeugen sie, genau ihrer Empfindung entsprechend, welch eine Kraft von seinen Worten ausgeht.

Genau dasselbe erleben wir ja noch heutzutage. Wer nur eben etwas vom Evangelium wirklich geschmeckt hat, der wird davon mehr begeistert, der spürt, und wenn das Maß seines Glaubens auch noch so gering wäre, weit mehr Kraft in sich, als wenn er Platos1) sämtliche Werke verstanden und in sich aufgenommen hätte. Selbst das Seufzen, welches der Geist Gottes in den Herzen der Frommen wirkt, ist ein offenbares Zeugnis dafür, dass Gott über ihr Verstehen hinaus insgeheim an ihnen arbeitet, sonst würde Paulus solche Seufzer ja (Röm. 8, 26) nicht unaussprechlich nennen.

Somit muss man annehmen: die Apostel haben einen gewissen Fortschritt bei sich wahrgenommen, sodass sie der Wahrheit entsprechend bezeugen konnten, dass ihnen die Worte Christi nicht mehr völlig rätselhaft waren; nur in dem Stück haben sie sich getäuscht, dass sie ihre gegenwärtige Erkenntnisstufe überschätzten. Dieser Irrtum schreibt sich daher, dass sie noch nicht wussten, welch eine herrliche Gabe ihnen in dem heiligen Geiste zuteilwerden sollte. Sie frohlocken also vor der Zeit; es war, wie wenn jemand im Besitze eines Goldstückes sich reich dünkt. Aus gewissen Anzeichen schließen sie, dass Christus von Gott ausgegangen ist, - und sie rühmen ihre Erkenntnis, als ob ihnen nichts mehr gebreche. Davon aber waren sie noch weit entfernt, solange sie es noch nicht erlebt hatten, in welcher Weise Christus künftighin bei ihnen sein wollte.

V. 31. Jetzt glaubt ihr. Da die Jünger allzu selbstzufrieden waren, mahnt sie Christus, ihrer Schwachheit eingedenk, sich innerhalb der ihnen gesteckten Grenzen zu halten. Wir erkennen niemals so recht, was uns fehlt, und wie weit wir noch zur Vollendung des Christenstandes haben, bis wir in irgendeine ernstliche Prüfung kommen. Dann zeigt uns die Erfahrung, welch ein schwächliches Ding unser Glaube noch ist, den wir schon für etwas Vollkommenes ansahen. Christus will seine Jünger zur Besinnung rufen. Darum spricht er sofort (V. 32) aus: Es kommt die Stunde, dass ihr mich allein lasst. Verfolgung ist der rechte Probierstein für die Echtheit des Glaubens: wenn dann an den Tag kommt, wie klein er ist, fangen dieselben Leute, die sich vorher aufgebläht hatten, an zu zittern und aus Riesen Zwerge zu werden.

Christus will fragen: wie könnt ihr nur so prahlen, als hättet ihr schon die volle Glaubenshöhe erreicht? Wartet nur! Es steht euch eine Prüfung bevor, die euch davon überführen wird, dass euer Glaube noch ziemlich hohl ist! So muss unsere eingebildete Sicherheit in Zucht genommen werden, wenn sie allzu laut frohlockt. Nun sieht es so aus, wenn die Jünger Christum verlassen und hier und dorthin sich zerstreuen, als hätten sie überhaupt keinen Glauben gehabt, oder als wäre er damals völlig in ihnen erloschen. Darauf ist zu erwidern: So schmachvoll ihr Glaube auch darniederlag, so war doch noch ein Wurzelstumpf übrig, aus dem nachmals neue Triebe hervorbrechen konnten.

V. 32. Ich bin nicht allein. Dieser Zusatz will dem Irrtum entgegen treten, als ob Christo dadurch Abbruch geschehe, dass die Menschen ihn verlassen. –

Seine Wahrheit und Herrlichkeit hat ihr eigenes Fundament: sie hängt nicht davon ab, ob die Welt an ihn glaubt oder nicht. Würde auch kein Mensch mehr zu ihm stehen, er bliebe doch unversehrt derselbe, der er ist, denn er ist Gott und bedarf fremden Beistandes nicht.

Er vermag zu sagen: der Vater ist bei mir. Eben darum braucht er nicht die geringste Unterstützung von Menschen anzunehmen. Wer das recht bedenkt, der wird feststehen, wenn das Weltgebäude wankt, und sein Glaube wird nicht hinsinken, wenn alle abtrünnig werden. Wir erweisen Gott noch nicht die gebührende Ehre, wenn wir nicht in ihm allein unser Genüge finden.

V. 33. Solches habe ich mit euch geredet usw. Noch einmal prägt Jesus seinen Jüngern ein, wie nötig sie alle diese Tröstungen hatten. Er bestätigt, dass in der Welt ihrer gar viel Kummer und Trübsal wartet. So haben alle Frommen sich darauf zu rüsten, dass das Leben ihnen viel Leid bringen wird; dazu aber gilt es, Geduld lernen. Ist nun die Welt für uns einem stürmischen Meere gleich, so ist nirgend anderswo, als in Christus der wahre Frieden zu finden. Wie wir diesen Frieden genießen können, sagt er hier: Ihr werdet Frieden haben, wenn ihr meine Rede beachtet und versteht, was ich will! Wollen wir mitten in allerlei Traurigkeit ein stilles, gefasstes Herz haben, so gibt es dazu nur einen Weg: diese Rede Christi beherzigen; sie wird uns den Frieden in unserem Heiland bringen.

Seid getrost. Wie die mancherlei Bedrängnisse uns gesandt werden, um unsere Stumpfheit zu beseitigen und uns aufzurütteln, damit wir nach einem Heilmittel gegen die uns begegnenden Übel suchen, so ist es des Herrn Meinung und Absicht ja durchaus nicht, dass wir entmutigt den Kampf aufgeben, sondern vielmehr, dass wir freudigen Mutes den Kampf aufnehmen sollen. Das kann nur geschehen, wenn wir des Erfolges gewiss sind. Wenn der Kämpfer lange fragen muss: Werde ich siegen oder besiegt werden? – dann wird sein Eifer bald zur Asche verglühen. Wenn Christus uns zum Kampfe ruft, dann feuert er uns an zu gewisser Zuversicht auf Sieg, wenn wir auch gar manchen Schweißtropfen zu vergießen haben.

Übrigens lehrt er uns, da wir eine große Anlage haben, uns zu ängstigen, darauf vertrauen, dass der Sieg über die Welt, den er erringt, nicht seinet-, sondern unseretwegen errungen wurde. So soll es dahin kommt, dass wir jederzeit, wenn wir innerlich beinahe ganz besiegt sind, aber nun im Glauben unseren Blick auf seinen unvergleichlich ruhmvollen Sieg richten, wieder getrost und mutig herabsehen auf das Heer von Übeln, das uns bedrängt.

Haben wir den Wunsch, Christen zu sein, so dürfen wir keineswegs danach verlangen, vom Kreuze verschont zu werden, - das Eine muss uns genügen, dass wir als Kämpfer in der Streiterschar Christi mitten im Handgemenge der Schlacht dennoch außer Gefahr sind.

Unter „Welt“ versteht Christus hier alles, was sich der Seligkeit der Frommen hindernd in den Weg stellt, besonders all die Verführungskünste, deren sich Satan bedient, um uns zu Falle zu bringen.

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Ein edler griechischer Philosoph, der etwa vier Jahrhunderte vor Christo lebte
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