Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Achtzehnte Betrachtung.

Ich danke dir von Herzen,
0 Jesu, liebster Freund,
Für deine Todeschmerzen,
Da du's so gut gemeint.
Ach gib, dass ich mich halte
Zu dir und deiner Treu,
Und wenn ich einst erkalte,
In dir mein Ende sei!

Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür;
Wann mir am allerbängsten:
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten,
Kraft Deiner Angst und Pein!

Text: Joh. 19,9-11.:
Pilatus spricht zu Jesu: Von wannen bist du? aber Jesus gab ihm keine Antwort. Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe dich zu kreuzigen, und Macht habe, dich los zu geben? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben.

Die Frage des Pilatus, ob Jesus nicht wisse, dass er Macht habe, ihn zu kreuzigen und los zu lassen? beantwortet der Herr mit den inhaltsschweren Worten: Du hättest keine Macht, wenn sie dir nicht wäre von oben gegeben! - Wie er in der grauenvollen Nacht seinen Jüngern, da sie sich ihn zu verteidigen anschickten, erklärte, er bedürfe ihrer Hilfe nicht und könne dieselbe sich im reichen Maße von seinem himmlischen Vater erbitten, aber es müsse alles geschehen, damit die Schrift erfüllet würde; so erklärt er hier seinem stolzen Richter, dass er von ihm unmöglich gerichtet werden könnte, wenn nicht eine höhere Zulassung damit verbunden wäre. Von der größten Wichtigkeit ist diese Erklärung auch für uns.

Der Lehre, dem Trost und der Ermahnung, welche die Worte. Jesu: Du hättest keine Macht, wäre sie dir nicht von Oben gegeben, auch für uns enthalten,

wollen wir unsere Aufmerksamkeit widmen.

I.

Eine Belehrung, behaupten wir, schließen die Worte, derer wir so eben gedachten, zunächst in sich. Welche andere könnte dies aber sein, als die, dass über uns kein Zufall waltet, dass alles im Weltall, Großes und Kleines, unter der höchst gütigen und weisen Leitung des Allmächtigen stehe, dass alles im Rat desselben geordnet und durch seinen alles erforschenden Verstand voraus bestimmt sei; dass, ohne die Freiheit des Menschen zu beschränken, Gott selbst die Gedanken derselben lenke, und auch Böses nur geschehe, wenn er es aus weisen Absichten zulasse. Du hättest keine Macht, wäre sie dir nicht von oben gegeben, so musste der seinem Richter antworten, welcher erklärt hatte, er sei in die Welt gekommen, den Ratschluss der Gottheit zu vollbringen; er habe deshalb keinen andern Willen, als den Willen Gottes, er lehre, leide, dulde in Übereinstimmung mit der höchsten Fügung. So musste der seinen Richter antworten, welcher die alles umfassende Leitung des Allmächtigen als den Grund alles Vertrauens betrachtet wissen wollte, und der dem zu Folge uns aufforderte, alle Sorgen auf den zu werfen, der alle unsere Bedürfnisse kennt, der unsere Haare auf dem Haupt gezählt und ohne dessen Willen keines derselben fällt. Die erhabene Lehre: Nichts geschieht von ungefähr, nichts ist planlos in der Welt, nichts geschieht, ohne Wissen und Wollen oder Zulassen Gottes, was es auch sein, wie es auch heißen möge; diese große Lehre hat Christus hier auf seinem Leidenswege, mit seinen erst angeführten Worten, feierlich, bestätigt und

II.

welch unendlich reichen Trost enthält diese Wahrheit zugleich für uns. Je mehr wir sie überdenken, je mehr es uns gelingt, sie in ihrem tiefsten Sinn zu erfassen, desto beruhigender in den verschiedensten Lagen des Lebens muss sie auf uns wirken.

Beinahe nie verliert der Mensch leichter den nötigen Gleichmut, die gehörige Fassung des Gemütes, als wenn er vor einer ungewissen dunklen Zukunft steht, wenn er in eine veränderte Lage zu treten, mancherlei Neues zu beginnen, mancherlei zu erwarten, zu hoffen, das alles aber, was da kommen soll, eben auch um der Ungewissheit desselben willen, zu fürchten hat. Ein unheimliches Gefühl vor dem Unbekannten, Unerwarteten und Fremden, was uns da begegnen kann, erfüllt uns, wir verlieren den Frieden der Seele. Aber wenn wir recht fest halten an dem Gedanken: alles, was da kommen mag, es kommt von oben und es kann mir nichts geschehen, der Vater im Himmel habe es denn zugelassen; welche Macht sich auch mein Werk hindernd, meine Kraft lähmend, meine Hoffnung vernichtend, mir entgegenstellen sollte, sie würde nicht da sein, wenn der, der die Liebe ist, es nicht zugelassen hätte, wenn in dem Schmerz, der mir dadurch zugefügt werden soll, nicht schon der Keim des Heils läge; - sollten wir dann nicht schnell unsere Ruhe wieder gewinnen? Sollten wir dann nicht mit erneuter Freudigkeit an dem tröstenden Gedanken fest halten, dass das, was Gott tut, wohl getan ist, dass er alles denen, die ihn lieben, zum Besten dienen lässt, dass er die liebt, die er züchtigt, dass sein Rat zwar oft wunderbar ist, - aber dass er alles herrlich hinausführt, ja dass auch wir, wie der Gekreuzigte und Getötete triumphierend aus dem Grab hervorging, so durch Glauben und Vertrauen überwinden und siegen werden.

Es ist keine seltene Erscheinung im Leben, dass diejenigen, denen Macht gegeben ist, ihre Macht missbrauchen, dass Gewaltige den Schwachen drücken. Es ereignet sich häufig, dass großes Ansehen zu Übermut verleitet, und Vornehmere den Geringeren kränken. Wir finden nur zu oft, dass diejenigen, welchen die Güter des Lebens im reichen Maß verliehen sind, in Überschätzung des Werts derselben oder aus Misskennen der Absicht, in welcher sie ihnen verliehen wurde, den Dürftigen verhöhnen. Schon ganze Völker seufzten unter dem Übermut eines Einzelnen, der ihnen die drückendsten Lasten aufbürdete und die zahllosesten Übel über sie häufte. Erinnern wir uns ja alle noch gar wohl der Zeit, wo die Willkür eines Einzigen unser ganzes Deutsches Vaterland unter einem schmählichen Druck in verächtlicher Knechtschaft gefangen hielt, wo Tausende zweifelten, ob es auch noch eine ewige Gerechtigkeit gebe? Aber wenn wir den Glauben erfasst haben, dass alles unter Gottes Leitung steht, dass kein Gewalthaber seine Macht missbrauchen, seinen Übermut uns fühlen lassen dürfte, wäre ihm nicht von oben Macht gegeben; - sollten wir dann je verzagen und kleinmütig zweifeln können? - Wissen wir dann nicht, dass der Übermut des Tyrannen, der Stolz des Hoffärtigen nur so lange dauern kann, als es Gott zulässt, und dass eben deshalb eine Zeit kommt, wo auch dem frechsten Verächter menschlicher und göttlicher Rechte zugerufen werden kann: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern? Wie bist du zur Erde gefällt? Gedachtest du doch in deinem Herzen: „Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen!“ Ja zur Hölle fährst du!“ Kann dann uns überhaupt noch bange werden bei dem Sieg des Lasters über die Tugend, bei dem Glück des Ungerechten und dem Unglück des Gerechten? Wissen wir nicht, auch der Lasterhafte, der Ungerechte hätte keine Macht, wäre sie ihm nicht von oben gegeben? Haben wir es nicht tausendfach erfahren, dass den Verächter des göttlichen Gesetzes die Strafe erreicht, und ist es uns nicht allenthalben noch klar geworden, dass Gott auch aus dem Bösen, was der Mensch vollbringt, Gutes hervorgehen lässt?

Ja lasst uns aufschauen zu ihm, der am Stamm des Kreuzes für uns blutete, - der der Allerverachtetste war und ein Spott der Leute, der aber durch Nacht zum Licht hindurchdrang und, des Grabes Bande zerreißend, sich aufschwang, zum Vater und bei ihm lebt und herrscht in ewiger Herrlichkeit.

Einen bleibenden Sieg des Bösen gibt es nicht, wohl aber einen gewissen, bleibenden Sieg des Guten, einen herrlichen Lohn der Tugend!

Wie aber das Wort des Herrn: Du hättest keine Macht, wäre sie dir nicht von oben gegeben, unendlich reich an Trost, für alle Leidende, Unterdrückte, Arme und Niedrige ist; so ist es indessen unverkennbar auch

III.

reich an ernsten Warnungen vor Stolz und Selbstgerechtigkeit, vor Übermut und Sicherheit. Wenn uns der Glaube, dass alles, was geschieht, unter Gottes Leitung steht, erfüllt und erhebt, so erkennen wir dagegen leicht, dass auch von uns nichts vollbracht wird, wobei seine Unterstützung oder wenigstens seine Zulassung nicht statt findet. Und welcher Gedanke könnte uns mehr zur Demut auffordern, als dieser, wenn wir ihn recht in seiner Wahrheit erfassen?

Ist uns ein gutes Werk gelungen, lasst uns nicht vergessen, dass wir keine Macht dazu gehabt hätten, wäre sie uns nicht von oben gegeben worden. Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn. Ist es dir gelungen, mein Mitchrist, besondere Kenntnisse vor andern dir zu erwerben, mehr Ansehen und Ehre durch deine Einsicht und Klugheit zu erringen, deinen Hausstand allmählig zu verbessern, deinen Wohlstand zu vermehren, deine Kinder zu guten, brauchbaren Menschen heranzuziehen, oder welchen Vorzug du vor anderen erlangt haben magst; schreibe nicht alles deinem guten Willen, falls er dir auch nicht abgesprochen werden kann, deiner Kraft, wenn schon nicht zu leugnen ist, dass du sie redlich brauchtest, nicht alles deiner Weisheit zu, gesetzt auch, du hättest unwidersprechlich besondere Einsichten, Bedenke: Du hättest keine Macht zu dem allen gehabt, wäre sie dir nicht von oben gegeben; lass Gott seinen Anteil an dem Guten, was dir ward und gib ihm allein die Ehre! - Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken, als von uns selber; sondern, dass wir tüchtig sind, ist von Gott. Blieb dein Besitz verschont, während den deines Mitbruders des Feuers Flammen, oder des Wassers Wogen zerstörten, oder der Krieger Scharen verwüsteten; konntest du die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sich dir bei deiner Arbeit, bei deinen Plänen entgegenstellten, überwinden, während andere mit dem Schifflein ihres Glücks auf den Wogen des Lebens scheiterten; trägst du der Lasten geringere und fühlst du des Lebens Mühen und Drangsale minder, als andere - sei nicht übermütig, denke: das verhielte sich alles nicht so, wäre es nicht von oben gegeben, und bete den in Demut an, der dein Geschick leitet, und der geben und nehmen kann, wie er will.

Ach, dass diese Worte: Du hättest keine Macht, wäre sie dir nicht von oben gegeben, auch das Herz des Sünders treffen möchten! Ach, dass du sie bedenken möchtest, dem eine bübische Tat um die andere gelingt, und der du dadurch nur zu immer größerer Frechheit dich verleiten lässt; du, dem es bisher immer geglückt ist, seine wahre Absicht zu verbergen, und der du deshalb immer dreister der Wahrheit Hohn sprichst; du, der du im Finsteren Böses vollbringst und, weil der Arm der Gerechtigkeit dich noch nicht erreichte, dich deiner Schlauheit freust; du, der du den Schwächeren in den Staub trittst und, weil es ungeahndet geschehen, deiner Stärke dich rühmst; du, der du, weil die Folgen deiner Ausschweifungen dich noch nicht zu quälen anfangen, deiner Körperkraft trotzt; du, der du dein Gut verschleuderst und, weil du noch nicht an dem Bettelstab bist, deinen Besitz für unverwüstlich hältst: ach, dass ihr alle, ihr sicheren Sünder, bedenken möchtet, ihr hättet keine Gewalt, wäre sie euch nicht von oben gegeben! - Ach, dass es tiefer eindringen möchte in eure Seelen, als es in das Herz des ungerechten Richters, der die Unschuld zum Tode verdammte, drang, und dass die Langmut und Barmherzigkeit Gottes nicht euren Trotz steigerte, eure Frechheit mehrte!

Heiland der Welt, der du vergeblich das Herz deines Richters zu erweichen suchtest, der du das ernste Wort sprachst: Du hättest keine Macht, wäre sie dir nicht von oben gegeben, ach, lass die Wahrheit, die du damit uns gegeben, im Tiefsten der Seele uns beherzigen, damit sie uns aufkläre über das Walten der ewigen Vatergüte; damit sie uns tröste, wenn vor der Zukunft uns graut; damit sie uns beruhige, wenn das Laster triumphiert, und damit sie uns zu Demut und Unterwerfung unter deinen heiligen Willen verhelfe! Amen.

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