Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zwölfte Betrachtung.

Noch schauen wir im dunkeln Wort,
Noch reißt uns Wahn und Irrtum fort,
Und unser wankender Versand,
Hat, abgewandt von Gott,
Oft Gottes Rat verkannt.

Du, der uns Arme nie verstößt
Von allem Elend einst erlöst,
Wie, werden wir, von Sünden rein
Und deiner freun! -
Wie dann uns dir Vollender weih'n!

Amen.

Text: Joh. 18, V. 19-21.
Der Hohepriester nun fragte Jesum um seine Jünger und um seine Lehre. Christus antwortete ihm: ich habe frei öffentlich geredet vor der Welt. Ich habe allezeit gelehrt in der Schule und in dem Tempel, da alle Juden zusammen kommen und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fragst du mich darum? Frage die darum, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe, siehe dieselbigen wissen, was ich gesagt habe.

Es hat sich und schon zu wiederholten Malen, bei der Betrachtung der letzten Schicksale unsers Herrn, die Bemerkung aufgedrungen, dass in dem Kampfe Jesu und seiner Gegner sich recht deutlich der Streit des Lichts mit der Finsternis, der Lüge mit der Wahrheit zeige. Wenn wir das erste Verhör Jesu, von welchem unsere Textesworte reden, im Zusammenhang mit dem, was die übrigen Evangelisten uns davon melden, betrachten; so finden wir teils jene Wahrheit bestätigt, teils werden wir zu einem tiefen Blick in das menschliche Herz überhaupt veranlasst:

Das Sträuben gegen die Wahrheit

tritt besonders auffallend aus dem Benehmen des Hohenpriesters und der Schriftgelehrten, bei dem Verhör, das sie mit Jesu anstellten, hervor. Darauf wollen wir unsere Aufmerksamkeit richten. Je mehr das Leben des Menschen von der Wahrheit sich entfernt, desto unwillkommner ist ihm das uns gerufene Entgegentreten derselben. Durch sie fürchtet er aus seinem Schlaf aufgerüttelt, in seiner Bequemlichkeit gestört, oder gar in seiner Verworfenheit sich dargestellt zu sehen, und eben darum jener Widerwille, jenes Sträuben, das sich gewöhnlich anfänglich durch ein leichtsinniges Verachten der Wahrheit; dann:

  1. Durch das Bemühen den Einfluss der Wahrheit auf sich selbst zu entkräften, und endlich
  2. Durch offenbare Entrüstung über die Wahrheit kund gibt.

I.

Schon lange hatte Jesus die Aufmerksamkeit der Ältesten des Rats zu Jerusalem, der Hohenpriester und Schriftgelehrten auf sich gezogen. Seine Worte, seine Taten, ließen sie die Größe seiner Erscheinung ahnen; seine Lehre auf Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit dringend - im schärfsten Gegensatz mit ihrem Lippen- und Augendienste, ließ sie einen Umsturz des morschen Gebäudes, aus welchem der Geist entflohen war, und in dem sie gemächlich hausten, befürchten - aber das ernste Wort des Herrn als Wahrheit anzuerkennen, war zu unangenehm, zu störend für sie - sie verachteten leichtsinnig die Wahrheit: Er ist ein Schwärmer, damit trösteten sie sich. Was soll aus Nazareth Gutes kommen? dachten ja selbst die Bessern. Zum Gespött suchten sie ihn zu machen, in Widersprüche suchten sie ihn zu verwickeln, und damit hofften sie die Sache abzutun. Aber je mehr die Zahl der Anhänger Jesu wuchs, je allgemeiner der Ruf wurde, er predige gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten, desto ernsthafter wurde die Sache für sie. So, sagen sie sich, kann ex uns verderblich werden. So kann unser Ansehen für alle Zeiten gestürzt, unsere Heuchelei auf immer entlarvt werden. - Wenn er dabei beharrt, dann muss er sterben, dann muss er als Opfer seiner Freimütigkeit fallen. Sie bemächtigen sich seiner, doch hätten sie es lieber, wenn es gelänge, den Einfluss der Wahrheit auf sie zu entkräften, sich selbst und andere glauben zu machen, es habe wirklich mit seiner ganzen Erscheinung nichts auf sich. Dies würde, berechnen sie wohl, zugleich vor der Möglichkeit bewahren, ihn zum Märtyrer der Wahrheit zu machen. Aus seinem eigenen Munde wollen sie vernehmen: er sei der nicht, für den er gehalten werde; er meine es so ernstlich nicht; er wolle weiter keine Veränderung. Die wichtige Angelegenheit so zu wenden, wäre ihnen erwünscht gewesen, dabei hätten sie sich eher beruhigen können. Darum, obwohl er alle Tage im Tempel gelehrt hatte, obwohl sie größtenteils schon in ausführliche Verhandlungen, mit ihm getreten waren; fragen sie ihn doch noch um seine Lehre, um seine Jünger; fragen ihn wiederholt, ob er Christus sei? Müssen wir nicht schließen, dass sie wünschten, er möge sagen, er sei es nicht? - Da aber kein Sträuben gegen die Wahrheit hilft, da sie durchaus dieselbe nicht umgehen können, da ein freimütiges Zeugnis für dieselbe, nach dem andern erfolgt, und im gesteigerten Affekt, Christus endlich beschworen wird, zu sagen, was er seit drei Jahren alle Tage, vor ihren Ohren gesagt hatte, und da er sie nun ausspricht die gefürchtete Wahrheit: Ich bin Christus, ich bin Der Sohn Gottes, der Weg, die Wahrheit und das Leben, der Urheber einer neuen Schöpfung, der das Alte vergangen macht, und alles neu werden lässt - da hat ihre Geduld den höchsten Grad erreicht. Kahl und nackt steht sie da, die Wahrheit, die ihnen Verderben predigt und ein Licht wirft auf die Torheit und Sünde ihres Lebens - da geht das Sträuben gegen die Wahrheit in die höchste Entrüstung, ja in Wut über, und um ihren Groll zu bergen, geben sie in lügenhafter Weise vor, es hätte sie etwas ganz anderes als die Wahrheit, es hätte sie eine Gotteslästerung mit gerechtem Zorn erfüllt.

Das ist ein Spiegel für uns. Nur unser eigenes Thun ist damit vorgebildet. Nur etwas, das tausendmal im Menschenleben sich wiederholt, sehen wir hier geschehen.

II.

Leichtsinnig wandern so viele dahin und verachten die Wahrheit. Warnen wir den Genusssüchtigen und erinnern an die Flüchtigkeit der Zeit und an das Elend der Verarmung, das dem Müßiggange und der Verschwendung folgt - so belächelt er unsern Ernst und nennt seine Genusssucht unschuldige Freuden, in denen er sich nicht stören zu lassen brauche. Erinnern wir den Ungerechten an ein zukünftiges Gericht und an eine Rechenschaft seiner Taten, - so nennt er unsere Warnung unzeitigen Eifer und bedeutet uns, dass er ja noch kein Verbrechen begangen habe. Treten wir dem Übermütigen mit den Worten entgegen: Hochmut kommt vor dem Fall; so behauptet er bereit zu senn, von jedermann Belehrung anzunehmen, nur von uns nicht, und zeigt uns durch verdoppelten Stolz, dass ihm ein Fall unmöglich dünkt. Leichtsinnig verachtet der Mensch so oft die Wahrheit.

Lässt sie sich indessen nicht mehr abweisen, und gestalten sich die Verhältnisse so ernst, dass sie gehört werden muss, dann sucht der Mensch den Einfluss der Wahrheit auf sich zu entkräften, und nimmt die Gebärde an, als ob er nicht wisse, wie sie in ihrem ganzen Umfang laute, oder als ob sie auf ihn keinen Bezug habe. Befremdet, fragt der Wollüstling, dem das schauderhafte Ende eines wüsten Lebens in grellen Farben vorgehalten wird und der bereits mit Schrecken die Zerstörung seines Körpers und ein gleiches Herannahen seines Endes fühlt, ob dies wirklich das Ende eines wüsten Lebens sei? und wünscht auf seine Frage eine Antwort zu vernehmen, die ihm gestattet, bei sich eine Ausnahme von der Regel anzunehmen. Mich, fragt der Habsüchtige, wenn ihm entgegengestellt wird, dass, die da reich werden wollen, in verderbliche Stricke fallen, und dass niemand reich ist, als wer reich ist in Gott, und wie wir nichts hereingebracht, so auch nichts aus dem Leben mit hinausnehmen werden; mich, fragt er, rechnest du doch nicht unter diejenigen, die mehr trachten nach dem, was auf Erden, als nach dem was droben ist? Ich habe ja nur das Meinige zu erhalten gesucht. Alle Lasterhaften, wenn die traurigen Folgen des Lasters geschildert werden, trösten sich damit, dass ihre Schandtaten nicht zu denen gehören, welche solche Folgen nach sich ziehen und verüben eben deshalb vielleicht schon in den nächsten Augenblicken neues Unrecht.

So sucht der Mensch sich selbst zu täuschen, sich selbst zu verbergen, dass ihm die Wahrheit gelte; und so lange ihm dies gelingt, unterdrückt er seine Entrüstung über sie. Erscheint nun aber der Augenblick, wo, nachdem vielfache Beschämungen, drückende Verhältnisse, offenbare Nachteile schon längst immer ernster an die Wahrheit gemahnt haben, ihrer völligen Enthüllung nicht mehr auszuweichen ist; - wehe dann jedem, dessen Beruf es erheischt, die Wahrheit in ihrem kalten Ernst, in ihrer ganzen Klarheit, dem Verächter derselben entgegenzuhalten, mit Entrüstung und Wut wird dann gegen sie angekämpft werden. Nennen wir dann die Scheu vor allem Ernst - Leichtsinn; das Jagen nach immer neuer Freude - verächtliche Genusssucht; das unkeusche Beginnen - niedrige Wollust; das selbstgefällige Stützen auf eigene Kraft Hochmut und Stolz; - weisen wir hin auf die Strafen, die sie treffen; auf die Verführten, die sie anklagen, auf Jammer, Elend und Verzweiflung, die ihr Los sein werden, - ach! Fast immer, wo wir die Wahrheit verkünden, werden wir Hass und Empörung finden. Zahllose sind es, die das Kreuz Christi verachten und schmähen, die durch Wort und Tat der ewigen Wahrheit und Weisheit spotten; aber nennt sie kalt und ernst - Unchristen - und sie werden Gift und Galle gegen euch sprudeln; was sie wirklich sind, das wollen sie doch nicht heißen.

O, lasset es uns nicht verkennen, die nackte Wahrheit führt eine Bitterkeit mit sich, die wir selten zu verschmerzen im Stande sind. Nichts beleidigt unsre Eitelkeit, verletzt unsern Stolz mehr, als die Wahrheit, und je entschiedener sie uns trifft, desto gereizter fühlen wir uns. Es fehlt noch viel, dass wir Wahrheit hören könnten; es fehlt noch mehr, dass wir sie gerne hörten und suchten.

Heiliger, der du die Wahrheit bist, Herr und Heiland unser aller, ach, erleuchte uns und nimm die Binde von unsern Augen, dass wir sehen, was zu unserm wahren Heile dient! - Wahrheit hilf uns lieben, Wahrheit suchen und wo Wahrheit uns verwundet, hilf uns geduldig den Schmerz ertragen und durch deine Gnade und Kraft die Wunde heilen! Amen.

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