Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 14.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 14.

V. 1. Euer Herz erschrecke nicht. Der Wichtigkeit der Sache entsprechend stärkt Jesus seine Jünger mit ausführlichen Worten: mussten sie sich doch durch die bevorstehenden Schrecknisse furchtbar schwer durchkämpfen. Es war wahrlich keine geringe Versuchung für sie, dass sie so bald ihn am Kreuze hängen sehen sollten; dieser Anblick bot nur zur äußersten Verzweiflung Anlass. Weil diese Stunde voll Entsetzens ihnen bevorstand, macht er sie auf das einzige Heilmittel aufmerksam, das sie vor jammervoller Niederlage schützen kann. Er ermuntert sie nicht durch bloße Ermahnung zu treuem Ausharren, sondern belehrt sie darüber, wo sie sich ein unverzagtes, tapferes Herz holen können: lediglich aus dem Glauben, durch den sie Jesum als den Sohn Gottes anerkennen, der Manns genug ist, über dem Heile der Seinen die schützende Hand zu halten. Die ganzen Zeitumstände sind stets im Auge zu behalten: zu einer Zeit, wo es aussehen konnte, als ginge alles drunter und drüber, war es das große Anliegen Christi, dass seine Jünger voll unerschütterlichen Mutes fest ständen. Folglich haben auch wir, wenn solche schweren Stöße ausgehalten werden müssen, diesen Schild zu ergreifen. Auch wir werden manchen Anprall zu bestehen haben; doch dürfen wir nimmermehr so sehr erschüttert werden, dass wir wehrlos zusammensinken. Den Gläubigen wird deshalb gesagt, sie sollten nicht erschrecken; auf Gottes Wort gestützt, bleiben sie, wenn auch noch so sehr durch die größten Widerwärtigkeiten bedrängt, dennoch aufrecht und gehen unbeirrt ihres Weges weiter.

Ihr glaubt an Gott; so glaubt auch an mich! Man könnte auch in doppelter Befehlsform übersetzen: Glaubt an Gott und glaubt an mich! Doch scheint unsere Übersetzung sachlich zutreffender. Jedenfalls will Jesus seinen Jüngern zeigen, wie man Stand zu halten vermag, nämlich indem man seinen Glauben auf ihn gründet und ihn als den gegenwärtigen anschaut, der seine Hand ausstreckt, uns zu helfen. Auffällig ist nur, weshalb hier der Glaube an den Vater in erster Linie steht. Viel näher schien das umgekehrte zu liegen: Ihr habt nun an Christum Glauben gefasst; so müsst ihr jetzt auch an Gott glauben! Denn wenn Christus als Gottes Abbild erschienen ist, so müssen wir doch zunächst auf ihn unsere Blicke richten. Das war ja der Grund, weshalb er zu uns herniederkam: unser Glaube sollte bei ihm anheben und dann zum Vater emporsteigen. Aber Jesus hat hier etwas Anderes im Auge gehabt: es ist wohl niemand, der nicht zugestünde, dass man Gott selbstverständlich glauben muss. Das ist ein bräuchlicher Allgemeinplatz, den jeder ohne Widerrede unterschreibt. Tatsächlich glaubt aber unter hundert kaum einer an Gott, einesteils weil Gott in seiner unverhüllten Königshoheit gar zu weit von uns entfernt ist, andernteils weil Satan möglichst viel Nebeldunst zwischen Gott und uns schiebt, damit wir nur ja nicht an ihn erinnert werden. So kommt es, dass unser Glaube, indem er Gott in seiner himmlischen Herrlichkeit und in seinem unzugänglichen Lichte sucht, inhaltslos wird.

Ferner führt uns die fleischliche Einbildungskraft tausend Vorstellungen zu, die uns abhalten, Gott zu sehen, wie er ist. Deshalb stellt Christus sich selbst hin und ruft uns zu: Seht hierher! Wenn der Glaube sich auf ihn richtet, dann findet er seinen wahren Ruhepunkt. Jesus ist der rechte Immanuel, der sich uns, sobald wir ihn im Glauben suchen, als solcher innerlich zu erkennen gibt.

Dies Eine gehört zu den hauptsächlichsten Stücken unseres Glaubens: Wir müssen unseren Glauben, damit er nicht auf weiten Abwegen ruhelos umherirre, gerades Weges auf Christum richten. Soll er in Zeiten der Versuchung nicht wanken, so muss er fest auf ihm allein stehen. Der Glaube zeigt sich erst dann recht erprobt, wenn er sich niemals von Christo und den in ihm gegebenen Verheißungen losreißen lässt. Will man Gott ohne Christum fassen, so gelangt der Glaube niemals wirklich in den Himmel hinauf. Er muss sich, um das zu können, ganz an Christum hingeben, welcher, äußerlich so unscheinbar, doch als die Offenbarung Gottes vor uns steht. Der Glaube hat keinen Bestand, wenn er seinen Halt nicht in der Schwachheit Christi sucht.

V. 2. In meines Vaters Hause usw. Da Christi Scheiden der Grund der Traurigkeit war, bezeugt er: Ich gehe ja nicht fort, um künftig von euch getrennt zu bleiben; auch für euch ist im Himmelreiche Platz! Der Verdacht muss entwurzelt werden, als stiege Christus zum Vater hinauf, um die Seinen auf der Erde zurückzulassen und sich ferner nicht mehr um sie zu kümmern. –

Die vielen Wohnungen des Himmelreichs darf man übrigens nicht auf verschiedene Stufen der Herrlichkeit deuten. Es ist ja hier nicht von mancherlei verschiedenen, sondern einfach von vielen Wohnungen die Rede, die eben für viele Raum bieten. Jesus will sagen: Nicht nur für mich allein, sondern auch für sämtliche Jünger ist dort Platz.

Wenn es nicht so wäre, so hätte ich es euch gesagt. Hier weichen die Ansichten der Ausleger voneinander ab. Die einen lesen die ganze Stelle in einem langen Zusammenhange: „Wenn für euch noch keine Wohnungen bereit wären, dann hätte ich euch gesagt, dass ich vorausgehe, um sie zu bereiten.“ Ich trete der Ansicht der übrigen Ausleger bei, welche die einzelnen Sätzchen (man sehe die gegebene Übersetzung nach!) so deuten, dass Christus sagen will: Wenn die Himmelsherrlichkeit nur meiner wartete, so würde ich in euch nimmermehr vergebliche Hoffnungen erwecken; dann hätte ich euch offen erklärt: Beim Vater ist für niemanden Platz, außer für mich. Aber es steht ganz anders: Ich gehe euch nur voraus, um euch die Stätte zu bereiten. –

Diese Auslegung erfordert meines Erachtens der Zusammenhang unbedingt; denn gleich darauf lesen wir die Worte: Und wenn ich hingegangen bin und euch die Stätte bereitet habe usw. Damit spricht Jesus doch klar aus, dass der Zweck seines Hingehens ist, den Jüngern eine Stätte zu bereiten. Der Himmel soll eben das gemeinsame Erbe aller Frommen sein; dort findet die völlige Vereinigung von Haupt und Gliedern statt. Aber wie erging es denn den Vätern nach dem Tode, ehe Christus in den Himmel hinaufstieg? Vielfach sagt man: die Seelen der Gläubigen hatten früher in einem von jeder Pein und Unseligkeit freien Vorbezirke des Ortes der Qual ihren vorläufigen Aufenthalt. Man stützt diese Anschauung auf das Wort Christi hier, er wolle erst durch seinen Aufstieg zum Vater die Stätte bereiten. Tatsächlich redet Jesus aber einfach davon, dass er für den großen Tag der Auferstehung den Seinen eine Stätte bereiten wolle. Von Natur ist die Menschheit vom Reich Gottes ausgeschlossen. Der Sohn Gottes aber, welcher der einzige rechtmäßige Himmelserbe ist, hat seinen Besitz in unserem Namen angetreten, damit durch seine Vermittlung der Zugang für uns offen stehe. In seiner Person sind wir schon jetzt in Hoffnung Besitzer des Himmels (Eph. 1, 3). In den Vollgenuss dieses großen Gutes werden wir jedoch nicht eher gelangen, als bis Christus sich wiederum am Himmel zeigen wird. Folglich wird an dieser Stelle nicht auf den Unterschied unseres Zustandes nach dem Tode und des Zustandes der Väter hingewiesen, sondern vielmehr auf das beiden zugute kommende Tun Christi. Ehe die Versöhnung vollbracht war, schauten die Seelen der Gläubigen gewissermaßen von hoher Warte nach der verheißenen Erlösung aus; jetzt genießen sie einer glückseligen Ruhe, bis die vollkommene Erlösung da ist.

V. 3. Und wenn (d. h. nachdem) ich hingegangen bin usw. Die hier verheißene Wiederkehr Christi ist nicht auf die Sendung des heiligen Geistes zu beziehen, als sei Jesus seinen Jüngern in Gestalt des heiligen Geistes erschienen. Allerdings wohnt er bei und in uns vermittelst des heiligen Geistes; an unserer Stelle aber redet er vom jüngsten Gericht, bei welchem er dermaleinst kommen wird, um alle die Seinen zu sammeln. Und sicher bereitet er, wenn wir an alle zur christlichen Gemeinde gehörenden Glieder denken, uns täglich die Stätte. Daraus folgt, dass bis jetzt der Tag noch nicht reif geworden ist, an dem wir in den Himmel eingehen dürfen.

V. 4. Und wo Ich hingehe, das wisset ihr. Da es nun ohne ernste Entschlossenheit nicht möglich ist, eine so lange währende Trennung von Christo zu ertragen, macht er seinen Jüngern Mut, indem er sie daran erinnert, dass sie ja wissen, wie sein Tod nicht sein Untergang ist, sondern nur ein Hinübergehen zum Vater, sowie daran, dass sie ja in seiner Nachfolge auf dem nämlichen Wege sind, wie er, und deshalb einmal Teil bekommen werden an seiner Herrlichkeit. Beides ist wohl zu beachten: einmal, dass wir schon jetzt mit Glaubensaugen Christum schauen sollen in seiner himmlischen Herrlichkeit und in seiner seligen Erhabenheit über alles Vergängliche, sowie ferner, dass wir dessen gewiss sein dürfen: Er ist der Erstling in dem neuen Leben, das auch uns zusteht; er hat den Weg, der für uns versperrt war, zugänglich gemacht.

V. 5. Spricht zu ihm Thomas. Obgleich es zunächst scheint, als wolle Thomas dem Herrn widersprechen, so ist es doch gewiss nicht die Absicht des Jüngers, seinem Meister den Glauben zu verweigern. Aber wie kommt er denn dazu, das, was Christus gesagt hat, abzuleugnen?

Darauf ist zu antworten: Auch geheiligte Menschen haben mitunter ein verworrenes Wissen; auch bei einer Sache, die ihnen feststeht und ihnen auseinandergesetzt worden ist, sind sie wohl einmal außerstande, das Wie und Warum sich klar zu machen. Die Propheten hatten längst davon geredet, dass auch die Heiden berufen werden sollten; und doch bezeugt Paulus, gerade dies sei ein ihnen verborgenes Geheimnis gewesen. Wenn die Apostel also auch glaubten, dass Christus zum Vater gehen würde, dabei jedoch nicht wussten, wie er denn nun die Herrschaft antreten werde, so hat Thomas guten Grund, in diesem Sinne zu sagen: Wir wissen nicht, wo du hingehst. Weiß er das nicht, so weiß er natürlich noch viel weniger etwas von dem Wege; ehe wir uns aufmachen, müssen wir unser Ziel kennen.

V. 6. Ich bin der Weg. Die Antwort, welche Christus gibt, schließt sich nicht ganz genau an die Frage an; doch übergeht sie nichts, was zu erfahren heilsam war. Der Neugierde des Thomas musste ein Zügel angelegt werden; deswegen beschreibt Christus nicht, welcher Art künftig sein Aufenthalt beim Vater sein werde. Er treibt nötigere Dinge. Gar gern hätte Thomas herausgebracht, was Christus wohl im Himmel tun werde, wie ja auch wir ein wunderliches Gelüste haben, solchen Grübeleien nachzuhängen. Doch es gibt viel wichtigere Fragen, denen es sich verlohnt mit allem Ernste nachzudenken. Denke doch darüber nach, ob du gewiss bist, dereinst teilzuhaben an der Auferstehung zur Seligkeit! Alles in allem will Christus mit dem vorliegenden Ausspruch sagen: Wer mich hat, der hat alles, was er braucht! Wer also mit Christo sich nicht begnügt, der strebt im Unverstand noch über die Vollkommenheit hinaus.

Der Spruch steigt auf drei Stufen empor: Weg, Wahrheit, Leben. Damit bindet Jesus den Anfang, Fortgang und Abschluss unseres Heils an seine Person. Mit ihm haben wir also anzufangen, mit ihm fortzufahren, mit ihm auch zu schließen. Sicherlich brauchen wir keine höhere Weisheit zu suchen, als die, welche uns zum ewigen Leben führt. Und Jesus bezeugt: diese Wahrheit biete ich euch an in meiner Person. Das Leben aber suchen wir, um neue Kreaturen zu werden. Auch da verkündigt Jesus laut: Suchet das Leben nur bei mir! Gleichzeitig erinnert er, dass er allein der Weg ist, auf welchem man zum Leben gelangt. Um uns in jeder Weise seine Unterstützung zu gewähren, reicht er den Irrenden die Hand und lässt sich selbst dazu herab, für Knäblein an der Mutterbrust Helfer und Führer zu werden. Als solcher verlässt er die Seinen nicht unterwegs, sondern schenkt ihnen den Vollbesitz der Wahrheit. Endlich bewirkt er, dass sie die Frucht der Wahrheit brechen dürfen, die weit köstlicher und edler ist, als wir uns jetzt ausdenken können. Da Christus der Weg ist, so braucht kein Schwacher und Unerfahrener sich zu beklagen, dass er den Weg nicht wisse. Da Jesus Wahrheit und Leben ist, so birgt er alles in sich, um jeden Menschen, und wäre er noch so hoch und vollkommen, Genüge zu tun. Zu dem, was Christus hier von der Seligkeit sagt, vergleiche man das zu V. 1 über den Gegenstand des Glaubens Gesagte. In der Wahrheit stimmen wohl alle überein, dass die Seligkeit des Menschen allein bei Gott liegt. Dann aber schlägt mancher den Irrweg ein, dass er Gott anderswo als in Christo sucht, womit er gewissermaßen das allein tragfähige Fundament der Gott untergräbt. „Wahrheit“ nehmen hier etliche Ausleger im Sinne von „heilbringendem Lichte himmlischer Weisheit“; andere nehmen es im Sinne von „Inbegriff des Lebens und aller geistlicher Güter“, im Gegensatz zu den Schatten- und Sinnbildern des alten Bundes (wie 1, 17). Ich glaube, dass man hier unter „Wahrheit“ die Vollendung des Glaubens zu verstehen hat, wie unter „Weg“ den Anfang und die erste Grundlage. Jedenfalls wird der, welcher von Christo abweicht, nur irren können. Wer nicht bei ihm Ruhe für seine Seele findet, der wird es versuchen, sich anderswo an Wind und Wahn zu laben. Wer von Christo absieht, findet den Tod statt des Lebens.

Niemand kommt zum Vater denn durch mich. Damit wird das Ebengesagte noch näher erläutert. Jesus ist deshalb der Weg, weil er uns zum Vater führt, deshalb Wahrheit und Leben, weil wir in ihn den Vater ergreifen. Von aller Anrufung Gottes gilt es in Wahrheit: niemals werden ohne fürbittendes Eintreten Christi Gebete erhört. Aber Christus redet hier nicht vom Gebet. Deshalb entnehmen wir aus seinem Worte ganz allgemein, dass Menschen, die Christum umgehen und doch zu Gott kommen wollen, ein reines Labyrinth betreten.

V. 7. Wenn ihr mich kenntet usw. Damit bestätigt Jesus, was wir bereits sagten, dass es törichte, schädliche Neugier ist, wenn man, mit ihm nicht zufrieden, seine Sehnsucht nach Gott auf Wegen zu befriedigen sucht, die von ihm wegführen. Viele Menschen sagen: Gott kennen ist das Höchste und Beste! – und doch verschmähen sie es, wenn er ihnen in Christo so freundlich nahe kommt, ihm ins Angesicht zu schauen; sie lassen sich von ihren Wahngedanken nicht abbringen und suchen ihn auf eigene Faust droben über den Wolken. Deshalb tadelt Christus die Jünger, weil sie nicht merken, dass sich ihnen die Fülle der Gottheit in seiner Person darbietet. Er will sagen: Bisher habt ihr, wie sich sehe, mich nicht recht erkannt; ihr habt keine Augen für das in mir lebendig ausgeprägte Ebenbild des Vaters.

Und von nun an kennet ihr ihn. Das fügt Jesus hinzu, nicht nur um die Herbheit seines Tadels zu mildern, sondern auch, um die Jünger anzuklagen: Wie undankbar und gleichgültig seid ihr doch gewesen, dass ihr bisher nicht bedachtet und schätztet, was euch verliehen war! Dass sie aber jetzt den Vater kennen, sagt Jesus weniger zum Lobe ihres Glaubens, als zur Verherrlichung seiner Lehre. Der Sinn ist der: Jetzt könnt ihr Gott schauen; ihr braucht nur eure Augen aufzutun! –

Wer Gott in Christo „gesehen“ hat, der hat nun einen festen und gewissen Glauben an ihn.

V. 8. Zeige uns den Vater. Es scheint sehr unvernünftig zu sein, dass die Apostel den Herrn immerfort unterbrechen. Waren denn die eben gesagten Worte in den Wind geredet? Hatte er nicht gerade darüber soeben Belehrung erteilt, worüber Philippus ihn befragt? Alle die Fehler und Untugenden, die uns hier an den Aposteln vor die Augen geführt werden, finden sich auch an uns wieder. Wir geben vor, mit brennender Begier Gott zu suchen, - und sind blind, wenn er sichtbar vor uns steht.

V. 9. So lang bin ich bei euch. Mit Recht macht es Christus dem Philippus zum Vorwurf, dass er die hellen Augen des Glaubens nicht besitzt. Obwohl ihm in Christo Gott gegenwärtig war, sah er ihn doch nicht. Was hinderte ihn daran? Nur der Undank! Geradeso schlechte Schüler des Evangeliums sind heutigen Tages die, welche, nicht zufrieden mit Christo, der unser Ein und Alles ist, sich nach eigenem Wahn und Gutdünken auf die Suche nach Gott begeben. Solches törichte Unterfangen rührt her von der Verachtung der Niedrigkeit Christi. Sie zu verachten, ist ein großes Unrecht, da er gerade in ihr uns die unermessliche Güte Gottes darbietet.

V. 10. Dass Ich im Vater, und der Vater in mir ist. Ich beziehe diese Worte nicht auf Christi göttliches Wesen, sondern auf die Art seiner Offenbarung. Was Christi verborgene Gottheit anbetrifft, so ist er uns darin nicht im Mindesten bekannter, als der Vater. Das vollkommene Ebenbild Gottes heißt er, weil sich Gott ganz in ihm geoffenbart hat, insofern in ihm Gottes unermessliche Güte, Weisheit und Stärke handgreiflich vor uns steht. Doch haben die Alten sich nicht vergriffen, wenn sie unsere Stelle als einen Beleg für Christi Gottheit heranzogen. Weil aber Christus keine Erörterungen darüber anstellt, wer er in sich ist, sondern wie er von uns erkannt werden muss, so ist diese Stelle mehr ein Beleg seines Wertes, als seines Wesens. Der Vater ist in Christo: denn die ganze Gottheit wohnt und wirkt in ihm. Christus hinwiederum ist im Vater: denn er zeigt durch die göttliche Art seines ganzen Auftretens, dass er mit ihm eins ist.

Die Worte, die Ich zu euch rede. Aus Jesu Wirken sollte sich der Schluss ergeben, dass man nirgends als in ihm Gott zu suchen habe. Seine Lehre ist himmlisch und wahrhaft göttlich; folglich behauptet er: sie ist ein herrlicher Spiegel der Gegenwart Gottes. Muss man aber dann nicht auch die Propheten alle für Gottes Söhne ansehen? Haben doch auch sie Gottes Wort geredet unter dem Antrieb des Geistes, und war doch auch ihrer Lehre Urheber Gott. Diese Schwierigkeit ist bald beseitigt: man muss nach dem Inhalt der Lehre sehen. Die Propheten weisen ihre Schüler nicht auf sich selbst, sondern auf Gott; Christus bindet seine Jünger an sich. Gott hat sozusagen von der Erde her durch Moses geredet; jetzt redet er vom Himmel her durch den Mund seines Sohnes. Wenn Jesus sagt, er rede nicht von sich selber, so soll das heißen: nicht als Mensch oder in menschlicher Weise, weil der Vater, indem er die Kraft seines Geistes in Jesu Lehre äußert, seine Gottheit in ihm anerkannt haben will.

Wenn er sagt: Der Vater tut die Werke, so muss man das nicht auf die Wunder einschränken. Dieser Satz ist vielmehr die Fortsetzung des vorhergehenden, wonach Gottes Hoheit ersichtlich in der Lehre sich darstellt. Jesus will sagen: Meine Lehre ist in Wahrheit ein Werk Gottes, an dem man ganz genau feststellen kann, dass Gott in mir bleibt. – Die Wundertaten sind dann neben der Lehre wieder nur vereinzelte Beispiele der Werke Gottes.

V. 11. Glaubt mir, dass Ich im Vater usw. Zunächst verlangt Jesus von den Jüngern, dass sie seinem Zeugnis Glauben schenken, wenn er feierlich versichert, dass er Gottes Sohn ist. Weil sie aber bislang allzu schwerfällig waren, so nimmt er jetzt ihre Trägheit gründlich vor. Er gibt ihnen zu verstehen: Wenn ihr meiner Versicherung keinen Glauben schenkt, wenn ihr so gering von mir haltet, dass ihr meine Worte nicht für glaubwürdig anseht, nun, dann fasset doch wenigstens meine Machttaten, in denen sich Gottes Gegenwart versichtbart, aufmerksam ins Auge! Wäre es schon ganz unerhört, auch nur ein einziges Wort Jesu gleichgültig oder zweifelnd zu überhören, so werden hier die Jünger von dem Tadel getroffen, dass sie nicht einmal aus der wiederholten Einprägung derselben Wahrheit Nutzen gezogen haben.

Übrigens handelt Jesus hier nicht von dem, was dem Glauben wesentlich ist, sondern weist nur darauf hin, welche Mittel ihm zur Verfügung stehen, auch die Ungläubigen hinreichend zu überführen. Wenn er noch einmal darauf zurückkommt: „Ich im Vater und der Vater in mir“, so ist das keine überflüssige Wiederholung. Mehr als genug machen wir an uns die Erfahrung, dass wir auf Stillung eitler Neugier ausgehen. Schweifen wir nun von Christo ab, so haben wir nur noch Götzen, die wir uns selber erdichten. Was wir dagegen in Christo finden, ist alles göttlich und dazu angetan, uns in Gott zu bewahren.

V. 12. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch. Christi Worte und Werke, von denen er eben sprach, sind auf einen engen Zeitraum beschränkt. Was wird nun danach? Dafür bietet die Fortsetzung der Rede einen Trost, der umso nötiger ist, als unserem Gedächtnis die Wohltaten Gottes gar zu leicht zu entfallen pflegen. Die Beweise dafür braucht man nicht weit suchen: Gott braucht nur einmal einen halben Monat zurückzuhalten, nachdem er uns mit Liebesbeweisen aller Art überhäuft hat, so werden wir schon meinen, er sei gestorben. Darum denkt Christus nicht bloß an seine Machttaten, welche die Jünger gegenwärtig vor Augen sahen, sondern verheißt für alle Zukunft, dass sie dergleichen sehen sollen. Und sicherlich bezeugte sich seine Gottheit nicht nur, solange er auf Erden weilte, sondern die Christen erfuhren auch ferner augenfällige Beweise von ihr. Es liegt also entweder an unserer Stumpfheit oder unserer Bosheit, wenn wir weder Gott in seinen Werken noch Christum in Gottes Werken zu schauen vermögen. –

Viele fragen verwundert, wie Jesus sagen könne, dass die Apostel größere Werke tun werden, als er selbst. Man muss dabei aber fest im Auge behalten, was Christus meint: die Wirkungskraft, vermöge deren er sich als Sohn Gottes erwies, ist so wenig an seine leibliche Gegenwart gebunden, dass sie sich vielmehr, wenn er leiblich ferne weilt, in mehreren und größeren Erweisungen noch herrlicher betätigen wird, denn zuvor. Nicht lange nach seiner Auferstehung folgte die wunderbare Bekehrung der Welt, in welcher die Gottheit Christi sich gewaltiger hervortat, als während er unter den Menschen sich aufhielt. So sehen wir, dass Christi Gottheit nicht in seine irdische Person eingeschlossen war, was ihre lebendigen Erweisungen anbetrifft, sondern dass sie ausgegossen ist durch die gesamte Christenheit. Übrigens ist dies „Tun“, von dem Jesus redet, weder den Aposteln allein eigentümlich, noch auch die Sache vereinzelter frommer Christen, - dies „Tun“ wird ausgesagt von der gesamten wahren Kirche.

Denn Ich gehe zum Vater. Der Grund, um dessentwillen die Jünger mehr ausrichten werden, als Christus selbst, ist der: sobald er in den Besitz der Weltherrschaft eingetreten ist, wird er seine Macht in vollerem Umfange vom Himmel her beweisen. Daraus geht hervor, dass seiner Ehre nichts abgebrochen wird dadurch, dass nach seinem Hingang die Apostel eine noch hervorragendere Wirksamkeit entfalteten; sie waren ja nur seine Werkzeuge. Ja, auf diese Weise kam es an den Tag, dass er zur Rechten des Vaters saß, damit sich alle Knie vor ihm beugen. Jesus versichert auch unmittelbar hiernach selbst, dass Er der Urheber alles dessen sein werde, was durch die Hand der Apostel geschieht.

V. 13. Und was ihr bitten werdet, das will ich tun. Aber war er denn nicht schon damals der Mittler, in dessen Namen sie den Vater bitten sollten? Antwort: Deutlicher hat er das Amt eines Mittlers verwaltet von der Zeit ab, da er in das himmlische Heiligtum eintrat. Doch davon später.

Dass der Vater geehrt werde in dem Sohne (vgl. Phil. 2, 11). Das Ziel der Weltgeschichte ist, dass Gottes Name geheiligt werde. Wie er aber in der rechten Weise geheiligt wird, steht hier zu lesen, nämlich in dem Sohne und durch den Sohn. An und für sich ist die Majestät Gottes dem Menschenblick entzogen; in Christo erstrahlt sie hell vor uns. Ist uns sonst seine Hand verborgen, so wird sie uns in Christo sichtbar. Es ist also nicht recht, in den Wohltaten, die der Vater uns spendet, den Sohn von ihm zu trennen (5, 23).

V. 14. Was ihr bitten werdet usw. Das ist keine müßige Wiederholung: jedermann sieht und fühlt es, dass wir allesamt unwürdig sind, zu Gott zu nahen. Dennoch stürmen viele bei ihrem Beten wie toll auf ihn los, um mit hochfahrender Dreistigkeit ihm etwas abzutrotzen. Wenn man dann später es gewahr wird, dass wir Menschen, wie ich sagte, unwürdig sind, dann sucht man bei Gott durch Mittelspersonen, die man sich willkürlich zustutzen kann, etwas auszurichten. Gott aber lädt uns ein, ihm durch den einen Mittler zu nahen, den er uns gibt; um seinetwillen schenkt er uns gnädiges Gehör. Widersetzlich aber, wie der Menschengeist nun einmal ist, mag der größere Teil der Menschen nicht aufhören, seitab vom rechten Wege auf den Schlangenwindungen menschlicher Irrwege sich herumzutreiben. Das kommt davon, dass man nur zaghaft und mit argen Hintergedanken in Christo die Macht und Güte Gottes ergreift.

Dazu kommt noch ein zweiter Irrtum: wir beachten nicht, dass wir alle mit Fug und Recht den Zugang zu Gott versagt bekommen, bis er selber uns herbeiruft; dieser Ruf aber erschallt an uns nur durch seinen Sohn. Wenn sein erstes Zeugnis bei uns (V. 13) nicht den Ausschlag gibt, nun gut, so fügt Jesus hier sein zweites hinzu: nun sollen wir dessen gewiss sein, dass wir den Vater in Jesu Namen bitten dürfen. Er will uns so seine Hand reichen, dass wir keine Mühe damit vergeuden andere Nothelfer zu suchen.

V. 15. Liebt ihr mich. Die Liebe, mit der die Jünger an Christo hingen, war lauter und aufrichtig, und doch hatte sie einen üblen Beigeschmack, wie auch vielfach bei uns. Denn das war verkehrt, dass sie den Herrn Jesus auf dieser Erde zurückzuhalten wünschten. Um dem abzuhelfen, heißt er sie, ihre Liebe nicht auf seine leibliche Gegenwart, sondern auf die treue Beobachtung seiner Gebote wenden. Sicher eine nützliche Belehrung! Denn unter denen, welche der Meinung sind, sie liebten Christum, sind nur ganz wenige, die ihn geziemend verehren. Statt seine Gebote zu halten, treiben sie in ihrem Leichtsinn ganz, was ihnen zusagt. Wie ist doch unser gesamtes Gemütsleben von Sünde befleckt! Nicht einmal unsere Liebe zu Christo bildet eine Ausnahme, sie müsste denn in ausnahmslosem Gehorsam gegen die Weisungen seines Wortes sich bewahrheiten.

V. 16. Und ich will den Vater bitten usw. Die Verheißung des Geistes soll einmal zur Beschwichtigung des Abschiedsschmerzes beitragen, dann aber gibt Christus damit auch zu verstehen: Ich will euch Kraft geben, meine Gebote zu halten! Ohne diese Zusage würde auch seine Mahnung herzlich wenig gewirkt haben. Darum kommt Jesus zur rechten Zeit seinen Jüngern zu Hilfe: Mag ich auch dem Leibe nach fern von euch sein, - ich werde dennoch nicht leiden, dass ihr ohne Helfer seid und mutlos zu Boden sinkt; durch meinen Geist werde ich euch nahe sein!

Den Geist nennt Jesus hier eine Gabe des Vaters, welche er uns durch seine Fürbitte verschaffen wird. An anderen Stellen verheißt er dagegen, dass er selbst den Geist geben werde. Beides ist wahr und zutreffend. Soweit Christus unser Mittler und Beschützer ist, erlangt er den Geist als eine Gnadengabe vom Vater. Soweit er Gott ist, spendet er ihn von sich aus.

Der Sinn unseres Verses ist: Ich war euch vom Vater als Tröster gegeben, aber nur für eine bestimmte Zeit; jetzt, da ich meinen Lauf vollendet habe, will ich darum bitten, dass ein anderer euch gegeben werde, und zwar ein Tröster, welcher nicht nur eine Zeit lang, sondern beständig bei euch bleibt. –

Den Namen Tröster trägt hier also Christus gleicherweise wie der Geist, und zwar mit Recht; denn beide haben das Amt, uns zu trösten, zu ermahnen und in ihren Schutz und Schirm zu nehmen. Christus war der Schirmherr der Seinen, solange er in der Welt lebte; danach vertraute er sie der Obhut und Pflege des Geistes an. Aber stehen wir denn nicht heute noch unter Christi Obhut? Ganz gewiss: denn er ist unser beständiger Nothelfer, aber nicht in sichtbarer Weise. Nur solange er als Mensch auf Erden wandelte, übte er seine Schutzherrschaft sichtbar aus, jetzt tut er das durch seinen Geist.

Einen anderen als sich selbst, nennt er denselben, weil ein Unterschied besteht in den Wohltaten, die wir von beiden empfangen. Christo kam es zu, die Sünden zu sühnen und dadurch den Zorn Gottes zu stillen, die Menschen vom Tode zu erlösen, Gerechtigkeit und Leben zu erwerben; dem Geiste kommt es zu, uns sowohl Christum selbst als auch alles Gute, was er für uns in Händen hat, zuzueignen.

Man macht nicht ungeschickt aus unserer Stelle den Schluss: also sind Sohn und Geist verschiedene Personen.

V. 17. Den Geist der Wahrheit. Noch einen zweiten schönen Beinamen gibt Christus hier dem Geiste: er ist der Lehrer der Wahrheit. Daraus folgt: solange wir nicht von ihm in unserem Herzen hinreichend Belehrung empfangen haben, sind wir alle in Eitelkeit und Lüge befangen.

Welchen die Welt nicht kann empfangen. Durch diese Gegenüberstellung tritt diese Gnade, deren Gott nur seine Auserwählten würdigt, umso herrlicher hervor. Es ist ein gar köstliches Geschenk, das der Welt entgeht (Jes. 60, 2). Umso höher sollen wir die Barmherzigkeit rühmen, in welcher Gott seine Gemeinde durch einzigartige Bevorzugung über die ganze Welt emporhebt. Doch mahnt Christus gleichzeitig die Jünger, dass sie nicht, von fleischlicher Gesinnung aufgeblasen, wie es der Welt Gewohnheit ist, die Gnadengabe des Geistes verscheuchen. Ein leerer Traum ist alles, was die Schrift vom Geiste aussagt, in den Augen der irdisch Gesinnten; sie verlassen sich auf ihren Verstand und verachten jede himmlische Erleuchtung. Mag aber auch allenthalben dieser Hochmut seinen Thron aufschlagen, um so viel wie möglich das Licht des heiligen Geistes auszulöschen, - wir wollen, unsrer eigenen Hilflosigkeit eingedenk, es wissen und bedenken, dass Gottes Geist der einzige Quell ist, aus dem je und je gesunde Einsicht entsprang. Überdies zeigen die Worte Christi, dass der bloße Menschenverstand nichts vom heiligen Geiste vernimmt; er will einzig aus lebendiger Glaubenserfahrung erkannt sein. Die Welt, so sagt Jesus, ist für den Geist, den sie eben nicht kennt, unempfänglich.

Ihr aber kennt ihn, denn er bleibt bei euch. Wenn also der heilige Geist in uns wohnt, so sind wir eben dadurch allein fähig, ihn zu erkennen; wer ihn nicht hat, vermag ihn gar nicht zu erkennen.

V. 18. Ich will euch nicht Waisen lassen. Da sehen wir, was wir sind und gelten, entblößt vom Schutz des heiligen Geistes: dann sind wir verwaiste Kindlein, jeder Art von Betrug und Unbill preisgegeben, außerstande, uns selber zu regieren, kurz, aus uns selbst ungeschickt zu allem Tun. Diesem elenden Zustande wird nur dann abgeholfen, wenn Christus durch seinen Geist unser Herrscher wird. Das aber will er seiner Verheißung nach sein. Zunächst also werden die Jünger an ihre Schwäche erinnert, damit sie sich selber misstrauen und völlig in die Abhängigkeit von ihrem Schirmherrn Christus treten. Dann verheißt er ihnen Hilfe und richtet sie zu froher Hoffnung auf, indem er ihnen versichert, er werde sie nicht im Stiche lassen.

Wenn Jesus sagt: Ich komme zu euch, so zeigt er damit, wie er in den Seinen wohnt und alles erfüllt: nämlich durch die Kraft seines Geistes. Dadurch wird auch klar, dass die Gnadengabe des Geistes ein hervorragendes Zeugnis seiner Gottheit ist.

V. 19. Noch um ein kleines usw. Jesus setzt die Beschreibung der besonderen Gnade fort, welche er seinen Jüngern zuwenden will und welche ausreichen soll, ihren Gram zu lindern, ja zu beseitigen. Wenn ich den Blicken der Welt entzogen sein werde, sagt er, dann werde ich nichtsdestoweniger euch doch nahe sein. Wollen wir diesen geheimnisvollen Anblick Christi genießen, so dürfen wir nicht mit unseren leiblichen Augen herumschauen: Ist er da? Ist er nicht da? - sondern wir haben mit Augen des Glaubens hinzuschauen auf die Wirkungen, die von ihm ausgehen. So kommt es dahin, dass gläubige Christen ihren Heiland im Geiste stets gegenwärtig haben und anschauen, mag der leibliche Abstand zwischen uns hier unten und ihm da droben noch so groß sein.

Denn Ich lebe und ihr sollt auch leben. Der Sinn kann ein doppelter sein. Entweder ist dieser Ausspruch eine Bekräftigung des Vorhergehenden oder er steht für sich und will dann besagen: die Gläubigen werden deshalb leben, weil Christus lebt. Ich gebe der ersten Auslegung den Vorzug, unbeschadet der Lehre, dass Christus die Ursache unseres Lebens ist. Das steht hier, ob man so oder so auslege. Dies Wort Jesu stellt fest, woher der Unterschied kommt, dass die Jünger ihn sehen sollen, nicht aber die Welt: Christus kann nur in Kraft geistlichen Lebens gesehen werden, und das sucht man bei der Welt vergebens. Die Welt sieht Christum nicht. Kein Wunder! Sie ist tot und daher blind. Sobald aber jemand einen Anfang geistlichen Lebens hat, werden seine Augen hell, Christum zu sehen. Dies geschieht aber deshalb, weil mit Christi Leben auch das unsere verbunden ist; es hat darin, als in seiner Quelle, seinen Ursprung. In uns sind wir tot, und das Leben, was wir uns zu besitzen schmeicheln, ist Tod in schlimmster Form. Sobald es sich also um Erlangung des Lebens handelt, müssen unsere Augen sich auf Christum richten. Durch Glauben muss sein Leben auf uns übertragen werden. Dann hat unser Gewissen den festen Halt: so lange Christus lebt, sind wir sicher vor der Gefahr des Untergangs! Denn es bleibt dabei: es wäre sein eigener Tod, wenn die Glieder stürben.

V. 20. An dem selbigen Tage usw. Viele beziehen das auf den Pfingsttag. Aber es handelt sich hier nicht um einen Tag von vierundzwanzig Stunden, sondern um einen lang gedehnten, ununterbrochenen Tag, der sich von dem Tage, da Christus den Jüngern seinen Geist verlieh, bis zur Endauferstehung erstreckt.

Wenn Jesus sagt, dass Ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und Ich in euch, so hatten ja davon die Jünger schon damals einen Anfang der Erkenntnis gefasst. Das blieb aber so lange ein dürftiger Beginn, als der Geist in ihnen noch nicht kräftig gewirkt hatte. Und eben dies wollen ja unsere Worte sagen, dass ein müßiges Grübeln niemals fassen wird, was es auf sich hat mit der heiligen, sogenannten „mystischen“ Vereinigung zwischen Christo und uns, ebenso wie mit der zwischen ihm selber und dem Vater. Wer das erkennen will, der muss es erleben, wie Jesus durch geheimnisvolle Wirkung seines Geistes uns sein Leben in die Seele gießt. Wie der Vater die Fülle seiner Güter in dem Sohne niedergelegt hat, ebenso hat nun auch der Sohn sich ganz in uns ergossen. Es heißt von uns, wir seien in ihm, weil wir, seinem Leibe eingegliedert, Teilhaber seiner Gerechtigkeit und alles des Guten wurden, das er hat. Von ihm heißt es, er sei in uns, weil er durch die Wirkung seines Geistes deutlich zeigt, dass er der Urheber und Grund unseres Lebens ist.

V. 21. Wer meine Gebote hat und hält sie usw. Eine Wiederholung von V. 15, wonach unsere Liebe zu Jesu erst dadurch sicher erwiesen ist, dass wir seine Gebote treu beobachten. Daran erinnert der Herr seine Jünger immer wieder, damit sie das Ziel nicht verfehlen. Es liegt uns ja nichts näher als das Herabsinken in ein nicht dem Geist, sondern dem Fleisch entstammendes Gefühlsleben; dann bilden wir uns ein, wir liebten Jesum, während wir tatsächlich wer weißt was, nur nicht Jesum lieben. Das meint auch Paulus 2. Kor. 5, 16: „Ob wir auch Christum gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr“. Lasst uns also neue Kreaturen sein! Die Gebote „haben“ bedeutet: in ihnen recht unterrichtet zu sein; sie „halten“: sich und sein ganzes Leben nach ihrer Richtschnur bilden.

Wer mich aber liebt usw. Das klingt, als ob wir Gott mit unserer Liebe zuvorkämen. Doch das ist rein undenkbar; denn als wir Feinde waren, hat er uns mit sich versöhnt (Röm. 5, 10). Bekannt ist ja auch der Spruch aus dem 1. Briefe Johannis (4, 10): „Nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat“. Also kann auch hier unsere Liebe nicht entscheidende Ursache sein, auf welche Gottes Liebe sich gründet. Jesus will freilich einprägen, dass, wer ihn liebt, in den glücklichen Genuss seiner und des Vaters Liebe eintreten wird; - nicht als ob unsere Liebe erst Gottes Liebe auf uns herabzöge, sondern weil unsere Liebe uns ein Zeugnis der auf uns gerichteten göttlichen Liebe wird.

Darauf deutet auch die folgende Wendung: Ich werde mich ihm offenbaren. Sicherlich muss man ja Christum schon zuvor kennen, ehe man ihn lieben kann. Aber er will sagen, dass er seinen wahren Verehrern tägliche Fortschritte im Glauben schenken wird: er will machen, dass sie ihm vertrauen und inniger nahen können. Es ist also eine Frucht wahrer Frömmigkeit, dass man Christum immer besser kennenlernt. Der, welcher versprach, dem zu geben, der da hat, verwirft die Heuchler und schenkt allen denen Fortschritte im Glauben, welche die frohe Botschaft von Christo beherzigen und sich gewissenhaft im Gehorsam gegen ihren Herrn üben.

Davon kommt es, dass man so viele Rückschritte machen, unter zehn kaum einen rüstig vorankommen sieht. Die Mehrzahl ist es eben nicht wert, dass Christus sich ihnen offenbart. Wenn übrigens das Wachstum in der Erkenntnis Christi der Liebe als ein besonderer Lohn verheißen wird, so muss dies Wachstum wohl ein unvergleichlicher Schatz sein.

V. 22. Spricht zu ihm Judas. Nicht ohne Grund fragt dieser Jünger, warum denn Christus den Strahl seines Lichtes nur auf so wenige fallen lassen will: ist er doch die Sonne der Gerechtigkeit, welcher es wohl zusteht, dass sie die weite Welt erleuchte. Die Antwort Christi (V. 23) verfolgt nun keineswegs die aufgeworfene Frage bis auf den Grund: der letzte Grund dafür, warum Christus nur wenigen Menschen sich offenbart, sich aber für die Mehrzahl verhüllt, wird überhaupt nicht angerührt. Jedenfalls findet er zunächst alle Menschen in dem nämlichen Zustande völliger Entfremdung von sich. Somit kann er niemanden auswählen, der ihn liebt: aus der Schar seiner Feinde wählt er vielmehr diejenigen aus, deren Herzen er zur Liebe gegen sich bewegt. Da fängt dann erst der Unterschied an. Diesen Punkt mochte Jesus aber jetzt als zu abgelegen von dem, was er sagen wollte, nicht berühren. Er beabsichtigte, seine Jünger zu ernstem Streben nach echter Frömmigkeit zu ermuntern, damit sie größere Fortschritte in ihrem Glauben machten. Deswegen hat er sich daran genügen lassen, als das unterscheidende Merkmal gegenüber der Welt das anzugeben: Meine Jünger halten meine Gebote. Der eigentliche Glaubensanfang liegt weiter zurück als dies Merkmal, welches sich erst infolge angenommener Berufung einstellt. Anderwärts hatte Christus seine Jünger an seinen Gnadenruf erinnert; auch fernerhin tut er das. Jetzt heißt er sie nur, sich mit allem Eifer auf die fromme Beobachtung seiner Lehre werfen. Christus zeigt übrigens mit diesen Worten, wie der rechte Gehorsam gegen die Heilsbotschaft beschaffen ist: unsere gesamte Pflichterfüllung muss aus der Liebe zu Jesu geboren sein. Wenn wir nun ganz gewiss nur soweit Christi Gebote halten, als wir ihn lieben, so ist es auch ausgemacht, dass nirgendwo in der Welt die vollkommene Liebe zu ihm gefunden wird: ist doch niemand da, der seine Gebote vollkommen hält. Doch gefällt Gott schon der Gehorsam derer, die ehrlich nach diesem Ziele streben.

V. 23. Mein Vater wird ihn lieben. Dass nicht etwa unsere Liebe der erste Anlass ist, Gottes Liebe erst hervorzurufen, wurde schon zu V. 21 dargelegt. Wohl aber dürfen die Gläubigen überzeugt sein, dass ihr Gehorsam, welchen sie dem Evangelium leisten, dem Herrn gefällt und ihnen neue göttliche Gnadengaben erschließen wird.

Wir werden zu ihm kommen. D. h. wer mich liebt, wird merken, dass auf ihm Gottes Gnade ruht und wird je mehr und mehr von Tag zu Tag reich von Gott mit mancherlei Gaben bedacht werden. Mit der Liebe Gottes zu den Gläubigen meint Jesus hier also nicht seine ewige Liebe, mit der er die noch Ungeborenen vor Erschaffung der Welt umfasste, sondern die Liebe, die wir von dem Zeitpunkt ab empfinden, wo er uns zu Kindern annimmt und es uns zu schmecken gibt, dass er unser lieber Vater ist. Er meint also auch nicht die erste Erleuchtung, sondern die Glaubensstufen, welche wahre Christen beständig emporsteigen müssen, entsprechend dem Worte (Lk. 19, 26): „Wer da hat, dem wird gegeben“. Ohne jeden Grund stützen sich römische Lehrer auf unsere Stelle, um ihr einen Beleg für die Behauptung zu entnehmen, es gebe zwei verschiedene Arten der Liebe zu Gott: es gebe schon vor der Wiedergeburt aus Gottes Geist eine natürliche Liebe des Menschen zu Gott; wo die sei, da werde um dieses verdienstlichen Werkes willen dem Menschen die Wiedergeburt zuteil. Sehen sie denn nicht, dass Schrift und Erfahrung ganz anders lehren? Wir sind solange völlig von Gott abgewandt, ja von Hass gegen ihn erfüllt und überfüllt, bis er unsere Herzen umwandelt. An unserer Stelle will aber Christus mit dem tröstlichen Hinweis auf sein und des Vaters Kommen einfach die Gläubigen zu beständiger Zuversicht auf seine Gnade stärken.

V. 24. Wer aber mich nicht liebt. Überall, wo Gläubige sind, gibt es auch Ungläubige. Es ist nun einmal nicht anders: Jesu Jünger werden gleichsam auf erregten Meereswogen hin und her geworfen, - einmal kommt der Sturm von hier, einmal von dort. Deshalb will ihnen Christus durch diese Mahnung einen festen Stand geben; von bösem Beispiel sollen sie sich nicht ins Wanken bringen lassen. Er will sagen: Blickt doch nicht auf die Welt! Hütet euch, von ihr euch abhängig zu machen! Es wird stets Leute geben, die mich und meine Lehre verachten. Haltet ihr nur die Gnade, die ihr einmal ergriffen habt, standhaft fest bis ans Ende! Dabei deutet Jesus an, dass der Welt um ihres Undankes willen ganz recht geschieht, wenn sie, blind wie sie ist, ins Verderben läuft, indem sie die wahre Gerechtigkeit verachtet und dadurch ihren gottlosen Hass gegen Christum offen kund gibt.

Und das Wort, das ihr hört, ist … des Vaters. Diese Erinnerung daran, dass Jesu Lehre nicht ein menschliches Gedicht ist, sondern von Gott stammt, soll die Jünger gegen allen hartnäckigen Widerspruch der Welt wappnen. Unerschütterlich fest ist unser Glaube ja erst dann, wenn wir wissen: Wir gehen an Gottes führender Hand und sind auf seine unvergängliche Wahrheit gegründet. Mag sich die Welt in ihrem Widerstreben auch wie unsinnig gebärden, wir wollen dem Panier des Evangeliums folgen; denn was Christus gesagt hat, das ragt hoch hinaus über Himmel und Erde.

V. 25. Solches hab ich zu euch geredet usw. Jesus fügt das hinzu, damit sie nicht den Mut fahren lassen, wenn sie auch weniger Fortschritte machen mögen, als wohl zu wünschen gewesen wäre. Jesus streute damals den Samen der Lehre aus; danach lag er einige Zeit wie der Luft und des Lichtes beraubt regungslos in den Herzen der Jünger. So ermahnt er sie denn, getroster Hoffnung zu sein: die scheinbar jetzt nutzlose Lehre wird einmal Frucht bringen. Alles in allem will er ihnen sagen: In der Lehre, die ihr gehört habt, liegt eine reiche Trostesfülle, - in ihr und sonst nirgends. Wenn den Jüngern das nicht alsbald klar ist, so heißt Jesus sie dennoch guten Mutes sein: alsbald wird der Geist in innerlicher Unterweisung ihren Herzen dies völlig erschließen.

Wie nützlich ist diese Mahnung auch heute noch! Erfassen wir es nicht unmittelbar, was Christus uns lehrt, so stellt sich alsbald Überdruss ein, und wir verlieren alle Lust, uns weiter mit dunklen Dingen abzuplagen. So darf es aber nicht gehen! Immer gilt es, gelehrig zu sein, das Ohr hinzuhalten, die Aufmerksamkeit anspannen, - nur so können wir schöne Fortschritte in Gottes Schule machen. Über alles nottut uns Geduld, welche darauf wartet, dass der Geist uns erschließe, was wir anscheinend gar oft vergeblich gelesen oder gehört haben. Damit unser Lerneifer nicht erlahme und wir nicht der Verzweiflung anheimfallen, wenn wir nicht im Nu den Sinn der Worte Christi erfassen, wollen wir bedenken, dass es uns allen gesagt ist (V. 26): der Geist wird euch alles lehren usw. Jesaja verkündigt (29, 11) den Ungläubigen als Strafe: „Das Wort soll euch sein wie ein versiegeltes Buch“. Aber der Herr demütigt in derselben Weise auch meist die, welche ihm angehören. Deshalb gilt es gelassen die Zeit der Enthüllung abwarten. Es wäre sehr unziemlich, wenn man ein Wort der Schrift um deswillen verschmähen wollte, weil man es nicht versteht. Wenn übrigens Christus bezeugt, es sei das eigentliche Amt des heiligen Geistes, die Apostel zu lehren, was sie schon aus seinem Munde gelernt hatten, so folgt daraus, dass die bloße äußerlich angehörte Predigt vergeblich und unwirksam ist, wenn nicht der Geist den Menschen inwendig unterrichtet. Gott lehrt also auf zwei Arten: durch den Mund der Menschen bringt er den Schall seines Wortes in unsere Ohren, und innerlich gibt er uns Anregungen seines Geistes; einmal fällt beides zusammen, ein andermal geschieht es zu verschiedenen Zeiten, - ganz, wie es dem Herrn gefällt.

Nun beachte man, was das alles ist, worüber nach Jesu Verheißung der Geist uns belehren wird: Er wird, sagt er, euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe. Daraus folgt, dass der Geist nicht etwa ein Gebäude von neuen Offenbarungen aufführt. Mit diesem einzigen Worte ist alles das als Schwindel aufgedeckt, was von Anfang bis heute Satan unter dem Vorwand neuer Geistesoffenbarungen in die Kirche eingeschmuggelt hat. Es ist ein großes Unrecht, sich etwas zurecht zu machen, was nicht im Evangelium steht, und es dann als christliche Lehre auszugeben. Der Geist, den Christus zu senden verhieß, macht nur das, was das Evangelium selber sagt, fest und setzt sozusagen seine Unterschrift darunter.

V. 27. Den Frieden lasse ich euch. Wenn man einander begegnet oder voneinander Abschied nimmt, dann wünscht man sich gegenseitig alles Gute, Wohlergehen und Erfolg. Das hebräische Wort für „Frieden“ bedeutet gleichzeitig „glücklichen Erfolg“. In diesem Sinne redet Christus hier von Frieden. Im Morgenlande ist noch heute wie zu seiner Zeit der gebräuchliche Gruß: „Frieden!“ Jesus ruft also hier seinen Jüngern zum Abschied den letzten Friedensgruß zu. Er fügt jedoch hinzu, dass sein Friede weit mehr wert ist, als der Friedensgruß der Menschen, die sich in vielen Fällen ohne innere Anteilnahme, lediglich der üblichen Form genügend, das schöne Wort „Frieden“ zurufen. –

Und selbst im besten Falle, wenn Menschen jemandem ernstlich Frieden und Wohlergehen anwünschen, was ist das wert? Das Wort können sie ihm wohl geben, aber nicht die Sache. Christus macht seine Jünger darauf aufmerksam, dass sein Friedensgruß nicht nur ein ohnmächtiges Wünschen ist, sondern die Sache selbst bringt und wirkt. Er scheidet zwar aus der Leiblichkeit, aber sein Friede bleibt bei den Jüngern. Das bedeutet: von ihm gesegnet, werden sie stets glücklich sein.

Euer Herz erschrecke nicht. Wiederum sucht er die Bangigkeit zu beschwichtigen, die beim Gedanken an sein Weggehen die Jünger beschlichen hatte. Er bestreitet, dass sie einen Grund haben, sich zu ängstigen; sie werden ja nur den Anblick seines Körpers entbehren, er selbst bleibt da vermittelst des Geistes. Lasst uns doch lernen, uns mit dieser Art seines Naheseins zu begnügen, und nicht dem törichten Triebe des Fleisches nachgeben, das immer wieder des Wahns lebt, Gott sei nur da anzutreffen, wo er sich sinnenfällig darstellt.

V. 28. Hättet ihr mich lieb. Lieb hatten ja die Jünger Christum ohne Zweifel, aber nicht in der rechten Weise. Es war ihrer Zuneigung zu ihm etwas Fleischliches beigemischt; erschien es ihnen doch unerträglich, sich von ihm losreißen zu sollen. Wäre ihre Liebe von Gottes Geist gewirkt gewesen, so hätte ihnen nichts mehr am Herzen gelegen, als sein Heimgang zum Vater.

Der Vater ist größer denn ich. Dieser Stelle ist es in allerlei Händen übel ergangen. Da haben die Arianer1), um zu beweisen, dass Christus eine Art Gott zweiten Ranges sei, folgern wollen: also ist der Sohn kleiner als der Vater. Um dieser Folgerung zu entgehen, haben dann die rechtgläubigen Väter behauptet, dass der vorliegende Satz nur auf Christi menschliche Natur bezogen werden dürfe. Ist die erste Auslegung gottlos, so ist die zweite auch nicht recht. Hier ist weder von der menschlichen Natur Christi, noch auch von seiner ewigen Gottheit die Rede. Christus vergleicht weder seine Gottheit mit derjenigen des Vaters, noch auch seine menschliche Natur mit des Vaters göttlichem Wesen, sondern stellt vielmehr seinen gegenwärtigen Stand gegen die himmlische Herrlichkeit, zu der er alsbald erhoben werden sollte.

Er will sagen: Ihr wünscht mich hienieden zurückzuhalten. Doch es ist besser, wenn ich hinauf gehe zu des Himmels Höhen. Wir wollen daraus lernen, den im Fleische befindlichen Christus, der sich der göttlichen Gestalt entäußert hat, als den anzusehen, der uns zu dem Urquell seliger Unsterblichkeit führt. Er will uns nicht bloß zum schimmernden Mond oder zur glänzenden Sonne emporgeleiten, nein, er will uns eins machen mit Gott, dem Vater.

V. 29. Und nun hab ich es euch gesagt usw. Diese Sache musste Jesus den Jüngern öfters zu Sinne führen, da sie ein Geheimnis war, das hoch über alles menschliche Fassungsvermögen hinausging. Er bezeugt, dass er etwas voraussagt, das in Zukunft eintreten wird, damit sie nach dem Eintritt des Geweissagten glauben. Das ist in Zukunft eine heilsame Glaubensstärkung für sie gewesen: im Gedächtnis die weissagenden Aussprüche Christi wiederholen und dabei mit den Augen ihre Erfüllung schauen. Der Herr gibt hier, so will es mir scheinen, ihrer Schwachheit einen gewissen Spielraum. Mit eurer Kinderspanne, so etwa meint er es, vermöget ihr nicht ein so verborgenes Geheimnis auszumessen. Ich verzeihe euch das, doch nicht länger, als bis zu dem Tage, da geschieht, was ihr aus meinem Munde vernommen habt. Das Geschehene wird euch die beste Auslegung sein zu dem, was ich gesagt habe. –

Vorerst sieht es so aus, als redete Jesus zu stocktauben Leuten. Doch das ist nicht der Fall. Mag es auch den Anschein haben, als hätte nur der Wind den Schall seiner Worte aufgefangen, - später kommt es an den Tag, dass der Sämann wirklich seinen Samen in guten Boden eingestreut hat. Christus flicht hier sein Wort zusammen mit dem weiteren Gang der Dinge: sein Tod, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt wollen im Bunde mit seiner Lehre Glauben in uns erzeugen.

V. 30. Ich werde nicht mehr viel mit euch reden. Mit diesem Hinweis wollte Jesus die Aufmerksamkeit der Jünger schärfen; umso fester sollte nun jedes Wort, das er redete, in ihrem Herzen haften. Wovon man reichlich hat, das wird man meist überdrüssig. Dagegen wird das mit umso glühenderem Verlangen gesucht, was nicht immer zur Hand ist; umso begierigere Aufnahme findet das, was alsbald uns weggenommen werden soll. So sollen auch die Jünger umso gespannter an Jesu Lippen hängen, wenn er seinen nahen Abschied verkündet. Bei uns steht es ja nun etwas anders: unser ganzes Leben lang belehrt Christus uns unaufhörlich. Und doch lässt sich dieser Ausspruch auch auf uns anwenden: wie kurz ist doch unser Lebenslauf! Deshalb gilt es zuzugreifen und die Gelegenheit wahrzunehmen.

Denn es kommt der Fürst dieser Welt. Jesus hätte einfach sagen können: Bald werde ich sterben, ja, meine Todesstunde steht unmittelbar bevor, - aber er umschreibt das, um einen schützenden Wall um das Herz seiner Jünger zu ziehen; sie sollen nicht vor Schrecken über eine so schimpfliche Todesart, vor der man schaudern muss, abtrünnig werden. An den Gekreuzigten glauben ist ja nichts anderes, als das Leben in der Welt der Toten suchen. Zuerst sagt Jesus, dass dem Satan diese Gewalt verliehen werden wird; er wird demselben weichen, nicht weil er nicht anders kann, sondern weil er dem Vater gehorchen will. Der Teufel wird „Fürst dieser Welt“ genannt, nicht weil er ein Reich für sich hätte, darin Gottes Befehl nichts vermag, sondern weil Gott es zulässt, dass er seine Tyrannei an der Welt ausübt. So oft wir diesen Titel Satans nennen hören, müssen wir uns dessen schämen, in welch elender Lage wir Menschen uns befinden. Mögen die Menschen ihren Kopf noch so hoch tragen, sie sind Satan mit Leib und Seele eigen, so lange sie nicht durch den Geist Christi wiedergeboren sind. Mit dem Namen „Welt“ wird hier die ganze Menschheit zusammengefasst. Es gibt nur einen Befreier aus dieser entsetzlichen Sklaverei: Christus. Dieser Strafzustand ward veranlasst durch die Sünde des ersten Menschen, aber er wird täglich erschwert und verschlimmert durch neue Versündigungen; daraus lasst uns lernen, uns samt unseren Sünden zu hassen. Wenn uns aber Satan nun auch in Gefangenschaft hält, so dient uns das doch nicht zur Entschuldigung: denn wir haben uns doch willentlich in diese Knechtschaft begeben. Zu beachten ist weiter, dass hier dem Teufel zugemessen wird, was gottlose Menschen gefrevelt haben. Sie handeln ja nur unter satanischem Antrieb; so wird mit Grund ihm alles auf Rechnung geschrieben, was sie tun.

Und hat nichts an mir. Infolge der Sünde des ersten Menschen lässt Satan durch seinen Diener Tod jeden Menschen seine Macht empfinden. Christus aber steht außerhalb des Schuldzusammenhanges der Menschheit. Somit vermochte der Satan ihn nur dann zu erreichen, wenn er sich freiwillig dem Tode unterwarf. Übrigens glaube ich, dass in der hergebrachten Auslegung unserer Stelle ihr Sinn nicht weit genug gefasst wird. Man erläutert gewöhnlich so: Satan findet nichts an Christo, weil nichts an ihm dem Todeslose verhaftet ist, er ist rein von jeglicher Sündenbefleckung. Meines Erachtens aber predigt hier Christus nicht nur seine Reinheit, sondern auch seine göttliche Macht, die dem Tode keine schwache Stelle darbot. Das musste den Jüngern bezeugt werden: Jesus unterlag nicht etwa aus Schwäche; hätten sie das gedacht, so wäre das ein gegenüber seiner Gotteskraft ehrenrühriger Gedanke gewesen. Immerhin ist in diesen allgemeineren Gedanken auch der begrenztere eingeschlossen, dass Jesus als der Sündlose dem Herrschaftsgebiet Satans völlig fern stand. Daraus ist zu entnehmen: Er hat unsere Stelle eingenommen, als er dennoch starb.

V. 31. Auf dass die Welt erkenne. Die einen lesen hier in einem Zusammenhange weiter: „Auf dass die Welt erkenne usw. steht auf und lasset uns von hinnen gehen“.

Andere beginnen mit den Worten: „Stehet auf usw.“ einen neuen Satz, wobei denn freilich die zuvor stehenden Worte als ein abgebrochener Satz dastehen.

Für den Sinn macht es wenig aus, wer von beiden Recht hat; deswegen halte ich mich mit der Erörterung dieser Streitfrage nicht auf. Zu beachten ist in erster Linie, dass hier der Ton darauf gelegt wird: Bei dem Sterben Christi handelt es sich um einen ganz ausdrücklichen Beschluss, ein Gebot Gottes; wir sollen ja nicht wähnen, Satan habe Christum wehrlos zum Tode geschleppt. Es ist ihm nicht das Mindeste zugestoßen ohne Gottes bestimmten Ratschluss. Gott ist es, der seinen Sohn zum Versöhner verordnet hat. Gott ist es, der durch seinen Tod die Sühnung für die Sünden der Welt beschaffen wollte. Eben zu diesem Zwecke hat er Satan für kurze Zeit gestattet, einen Scheinsieg über Christus zu erringen. Christus bot dem Satan diesmal keinen Widerstand; er will dem Beschlusse des Vaters willfahren und so seinen Gehorsam Gott als Kaufpreis für unsere Gerechtigkeit anbieten.

Steht auf und lasst uns von hinnen gehen. Einige sind der Meinung, Christus sei mit diesen Worten aufgebrochen. In den nächsten drei Kapiteln wären also unterwegs gehaltene Reden aufgezeichnet. Doch erst 18, 1 fügt Johannes hinzu: Christus wollte nur sinnbildlich zum Aufbruche mahnen. Die Jünger sollten sich aufmachen und in seiner Nachfolge Gott den nämlichen Gehorsam erweisen, dessen glänzendes Vorbild sie an ihm selber wahrnahmen. Dann hat er sie aber damals noch nicht aus dem Saale ins Freie geführt.

1)
Im 4. Jahrhundert Anhänger eines gewissen Arius, der den Herrn nicht für den wesensgleichen Sohn Gottes, sondern nur für eine Art Halbgott erklärte.
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