Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 15.

Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 15.

V. 1. Ich bin der rechte Weinstock. Dies Gleichnis läuft auf die Lehre hinaus: Wir sind von Natur dürr und unfruchtbar; das hört erst auf, wenn wir, in Christum eingepflanzt, aus ihm eine neue, von außen her uns zukommende Kraft schöpfen. Die zugrunde liegenden griechischen Worte habe ich, anderen Auslegern darin folgend, mit „Weinstock“ und „Reben“ übersetzt. Weinstock ist die eigentliche Pflanze; Reben sind ihre Zweige. Doch haben die übersetzten Worte bisweilen auch eine andere Bedeutung. Das Wort, das mit „Weinstock“ übertragen wird, kann auch „Weingarten“ – also ein mit vielen Weinstöcken besetztes Feld – bedeuten, und das mit „Rebe“ übertragene Wort findet sich auch in dem Sinne von „Weinstock“. Ich neige deshalb der Ansicht zu, dass Christus sich hier mit einem von Weinstöcken bewachsenen Felde und uns mit den Pflanzen darauf vergleicht. Doch will ich nicht rechthaberisch auf dieser Ansicht bestehen. Ich will nur den Bibelleser bitten: folge derjenigen Auslegung, die der ganze Zusammenhang nahe legt!

Eine Hauptregel, die man bei allen Gleichnissen zu befolgen hat, ist die: verliere dich nicht in Einzelheiten! Ein Weingarten oder Weinstock hat alle möglichen Eigenschaften. Hier aber gilt es, die Hauptsache im Auge zu behalten. Welche Punkte will Christus mit seinem Gleichnis beleuchten?

Es sind deren drei: einmal, dass wir nicht fähig sind, ein Leben nach Gottes Willen und Wohlgefallen zu führen, wenn er uns nicht die Kraft dazu gibt; dann, dass der Vater uns, wenn wir in Christo die Wurzel unseres Lebens haben, reinigt und pflegt; endlich, dass er die unfruchtbaren Weinstöcke oder Reben fortnimmt, um sie zu verbrennen. Selten ist ja ein Mensch so schamlos, abzustreiten, dass alles Gute, das an ihm ist, von Gott stammt. Aber wenn man dann dies Gute doch nur als eine ganz allgemeine Gnadengabe ausgibt, so läuft es darauf hinaus, dass es uns eigentlich von Natur angeboren ist. Christus aber behauptet mit allem Nachdruck, dass der Lebenssaft allein von ihm in uns überfließt, woraus doch folgt, dass die menschliche Natur unfruchtbar und zum Guten unfähig ist. Denn an dem Saft des Weinstocks nimmt man erst teil, sobald man an Christo als Rebe hängt; das aber wird nur durch besonderes Walten der Gnade über den einzelnen den Auserwählten zuteil. Der erste Urheber alles Guten ist der Vater. Er pflanzt uns ein mit seiner väterlichen Hand. Zu leben beginnen wir jedoch erst in der Verbindung mit Christus von dem Augenblick an, wo wir unsere Wurzeln in ihn hineinsenken. Damit, dass Jesus sich den rechten Weinstock nennt, will er sagen: Nur ich bin in Wahrheit ein Weinstock; es ist ganz vergebliche Mühe, wenn die Menschen irgendwo anders zu Kraft und Saft zu kommen suchen. Nützliche Frucht wird ganz allein erwachsen bei Reben, die im Lebenszusammenhang mit mir stehen.

V. 2. Einen jeglichen Reben usw. Weil die einen die Gnade Gottes missbrauchen, die anderen sie durch sündliches Leben unwirksam machen, wieder andere sie durch Trägheit ersticken, so will Jesus diese alle mit der Drohung aufschrecken: Seid ihr unfruchtbare Reben, so werdet ihr vom Weinstock abgeschnitten. Aber ist es denn denkbar, dass einer, der in Christum eingepflanzt ist, keine Frucht bringt? Jedenfalls halten die Menschen gar manchen für eine Rebe, der tatsächlich doch außer Zusammenhang mit dem Weinstock steht. So nennt Gott das Volk Israel bei den Propheten seinen Weinberg; und dabei ist Israel nur noch dem Namen nach die Gemeinde Gottes.

Und einen jeglichen, der da Frucht bringt. Diese Worte belehren uns darüber, dass die Gläubigen, um nicht aus der Art zu schlagen, immer wieder der Pflege bedürfen; auch sie vermögen auf die Dauer nichts Gutes zustande zu bringen, wenn nicht Gott ein ums andere Mal seine Hand an sie legt. Es ist nicht genug, wenn Gott uns einmal an Kindes Statt annimmt; Gott muss auch fernerhin mit seiner Gnade über uns walten. Jesus redet hier von dem Ausputzen mit dem Winzermesser, weil unser fleischliches Wesen reich ist an allerlei überflüssigen, schädlichen Auswüchsen; ohne Ende würden sie wuchern und überhand nehmen, wenn Gottes Hand sie nicht wegschnitte. Wenn Jesus sagt, dass die Reben ausgeputzt werden müssen, wenn sie reichlichere Frucht tragen sollen, so fordert er damit die im Leben der Frommen unerlässlichen Fortschritte.

V. 3. Ihr seid schon rein um des Wortes willen. Damit erinnert der Herr seine Jünger: Ihr habt ja schon Erfahrung von dem, was ich euch gesagt habe, nämlich, dass ihr in mich gepflanzt und auch gereinigt worden seid. Das Mittel, durch welches diese Reinigung bewirkt wird, ist Jesu Lehre. Gemeint ist damit seine äußere Predigt, - nicht als hätte die von den Lippen ertönende Stimme schon an und für sich eine solche Kraft: sie empfängt dieselbe aber dadurch, dass Christus durch seinen Geist am Herzen arbeitet. Die Stimme ist das Werkzeug, wodurch die Reinigung vermittelt wird. Indes meint Christus nicht, die Apostel seien gänzlich von Sünde befreit; er weist sie nur auf ihre bisherige Erfahrung hin, an der sie lernen können, wie notwendig es ist, dass die Gnade auch ferner ihr Werk an ihnen tue. Übrigens zeigt er ihnen hier, welche heilsame Folgen das Evangelium hat. Umso mehr sollen sie dadurch angespornt werden, beständig seine Worte sich gegenwärtig zu halten, - gleichen diese doch dem kleinen Messer, das der Weingärtner handhabt, um alles Unnötige an seinen Reben zu beseitigen.

V. 4. Bleibt in mir. Nochmals mahnt Jesus die Jünger, die Gnade, mit der sie einmal begabt sind, mit angespanntem Eifer festzuhalten. Unser Fleisch ist so sicher und sorglos, dass es gar nicht genug wach gerüttelt werden kann. Christus hat offenbar sein Augenmerk darauf gerichtet, dass er uns, wie eine Henne ihre Küchlein, unter seinen Flügeln bewahren will; wir sollen nicht, wie leichtfertige Küchlein es machen, unter den bergenden Flügeln wegflattern und in unser Verderben rennen. Um uns nun des zu vergewissern, dass er das Werk unserer Rettung nicht begonnen hat, um es liegen zu lassen, wenn es mitten im besten Gange ist, verspricht er, dass sein Geist stets in uns kräftig sein werde, wenn nur dem von uns aus nichts entgegensteht. Bleibt in mir, sagt er, denn Ich bin bereit, in euch zu bleiben, - und nachher (V. 5): Wer in mir bleibt, der bringt viel Frucht. Mit diesen Worten erklärt Jesus alle die, welche lebendig in ihn eingewurzelt sind, für Trauben tragende Weinreben.

V. 5. Ohne mich könnt ihr nichts tun. Das ist der innere Schluss und die Anwendung des gesamten Gleichnisses: Solange wir außer Christo sind, vermögen wir keine gute, Gott angenehme Frucht hervorzubringen, denn wir sind zum Rechttun völlig außerstande. In der römischen Kirche wird dies Wort nicht nur abgeschwächt, es wird um alle seine Kraft gebracht, ja es wird geradezu Spott damit getrieben. Dem Wortlaut nach gibt man es auch dort zu: Natürlich können wir nichts ohne Christum. Doch träumt man von einem gewissen Maße eigener Kraft, die wir besäßen; freilich sei sie an sich nicht ausreichend, doch wirke sie mit, wenn sie von Gottes Gnade unterstützt werde. Sie mögen es nun einmal nicht leiden, dass man dem Menschen jede Fähigkeit, selber zu seiner Rettung etwas beizutragen, abspricht. Doch es ist ein höchst seltsames Unterfangen, so klare Worte Christi umstoßen zu wollen. Christus erklärt doch rundweg, dass wir gar nichts aus uns selbst heraus vermögen (V. 4): „Der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber“. Sonach weist er hier nicht nur auf die mitwirkende Beihilfe seiner Gnade hin, sondern er beraubt uns völlig jeder eigenen Kraft; all unser Können beruht auf seinem Geben. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ ist also so viel als: „Nur durch mich könnt ihr etwas tun“. Das wird man durch keine Ausflüchte aus der Welt schaffen. Die ganze Schrift deutet darauf, dass wir, ehe wir in Christo haften, unnützes, dürres Holz sind.

V. 6. Wer nicht in mir bleibt usw. Dadurch, dass er ihnen noch einmal die Strafe der Undankbarkeit vor die Augen malt, macht Jesus den Jüngern das treue Ausharren zu einer höchst wichtigen Angelegenheit. Beharrlichkeit ist freilich eine Gottesgabe. Darum aber ist die Ermahnung, sich vor der Verwerfung zu fürchten, doch nicht überflüssig; ohne sie möchte unser Fleisch wieder die Oberherrschaft gewinnen, und die in Christum eingesenkte Wurzel absterben. Von denen, die von Christo abgeschnitten sind, heißt es, dass sie verdorren gleich erstorbenem Reisig. In Christo beginnen wir grün und saftreich zu werden; nur in ihm können wir das auch bleiben. Das will aber nicht besagen, dass ein wirklich Auserwählter jemals könnte wieder abgeschnitten werden. Vielmehr ist an die vielen Heuchler zu denken, welche scheinbar eine Zeit lang blühen und grünen und nachher, wenn sie Frucht bringen sollen, nichts aufweisen können, was dem Herrn gefällt.

V. 7. So ihr in mir bleibt. Weil gläubige Christen es gar oft empfinden, dass es ihnen an vielem gebricht, ja dass sie weit entfernt sind von der reichen Vollsaftigkeit, wie sie zu einem schönen Fruchtertrag erforderlich ist, deswegen folgt jetzt dieser ausdrückliche Zusatz: mag den Gliedern Christi auch noch mancherlei fehlen, so liegt doch für sie jegliche Hilfe bereit, sobald sie nur darum bitten. Bist du in Christo, so wisse, - was dir auch fehlen mag, sobald du Gott anflehst, ersetzt deine Hilfe deinen Mangel. Wir nützlich ist doch diese Erinnerung! Um uns in eifrigem Beten zu üben, duldet es der Herr nicht selten, dass wir inneren Mangel haben. Fliehen wir aber zu ihm, so wird er sich niemals unseren Bitten entziehen, wird aus seiner unerschöpflichen Fülle uns darreichen, was uns nottut (1. Kor. 1, 5). Wenn Jesus sagt: Wenn meine Worte in euch bleiben, so deutet er damit an, dass wir durch den Glauben in ihm Wurzel treiben. Sobald du dich von der Lehre des Evangeliums entfernst, suchst du Christum da, wo er nicht ist.

Wenn Jesus übrigens verheißt: Ihr werdet bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren, so räumt er uns damit nicht eine unbegrenzte Bittfreiheit ein. Gar schlecht würde Gott unser wahres Wohl bedenken, wenn er zu allem zu haben wäre und uns jeden Gefallen täte. Bekanntermaßen betreiben die Menschen in zahllosen Fällen eine ganz verkehrte Beterei. Gerade an dieser Stelle bindet Christus das Gebetsleben seiner Jünger an fest abgemessene Schranken: alle ihre Gedanken haben sie dem heiligen Gotteswillen unterzuordnen. Man beachte den ganzen Zusammenhang unserer Stelle. Das „Wollen“, von dem Jesus hier redet, bezieht sich nicht auf Reichtum, irdische Ehren oder dergleichen Dinge, wie sie ein fleischlicher Mensch in seiner Torheit sich ausbitten würde, sondern es bezieht sich auf den Lebenssaft heiligen Geistes, der den Christen zu einer traubenbelasteten Rebe macht.

V. 8. Darinnen wird mein Vater geehrt usw. Was wir eben auf Grund der letzten Worte sagten, findet in diesem Satze eine Bestätigung. Jesus zeigt, dass Gott ohne Zweifel die Bitten der Seinen erhört, wenn sie sich nach Frucht ausstrecken: denn dies trägt ja im höchsten Maße zu seiner Verherrlichung bei. Dieser Umstand aber soll uns ganz besonders zum Eifer im Rechttun anspornen. An nichts muss uns mehr gelegen sein, als daran, dass der Name Gottes durch uns groß werde in der Welt.

Dem schließt sich aufs Beste an: und werdet meine Jünger. Denn damit spricht Jesus aus, dass niemand zu seiner Herde gehört, der nicht Frucht bringt, wie sie Gott Ehre macht.

V. 9. Gleichwie mich mein Vater liebt. Die Ausdrücke, die Jesus hier gebraucht, wollen etwas weit Höheres besagen, als man gemeiniglich annimmt. Man trifft die eigentliche Absicht gerade dieser Stelle nicht, wenn man meint, er rede hier von der uns verborgenen ewigen Vaterliebe zu seinem eingeborenen Sohne. Hier will Jesus vielmehr ein gewisses Unterpfand dafür, dass Gott uns liebt, in unsere Seele senken. Von der Liebe, mit welcher der Vater sich selbst in seinem ewigen Sohne liebte, ist also überhaupt nicht die Rede, sondern in Abzielung auf uns vielmehr von der Liebe, mit welcher der Vater Christum als das Haupt seiner Gemeinde umfasst. Und das ist uns besonders nötig. Wer, vom Mittler absehend, der Liebe Gottes gewiss werden möchte, kommt dermaßen in die Irre, dass er nicht mehr weiß, wo aus noch ein. Richte die Augen auf Christum! In ihm ist das öffentlich zur Schau gestellte Unterpfand göttlicher Liebe zu finden! In ihn hat sich Gottes Liebe völlig ergossen, und zwar mit dem Zwecke, von ihm, dem Haupte, zu uns, den Gliedern herabzuströmen. Jesus ist der Spiegel, in dem wir die Vaterliebe Gottes gegen uns alle betrachten dürfen; ihm wird nicht in Abgeschiedenheit von allen anderen, auch nicht allein um seinetwillen des Vaters Liebe zuteil, sondern dazu, dass er unsere Vereinigung mit Gott werde.

Bleibet in meiner Liebe. Einige Ausleger meinen, dass diese Worte die rechte Gegenliebe von den Jüngern fordern. Besser denken andere daran, dass die Jünger im Genuss der Liebe Christi verharren und sich nicht in Zukunft derselben berauben sollen. Denn viele verstoßen die ihnen angebotene Gnade, viele werfen weg, was sie schon in Händen hatten. Nachdem wir also einmal in den Gnadenstand gekommen sind, sollen wir Fleiß tun, dass wir durch unsere Schuld nicht wiederum herausfallen. Freilich wäre es ein leichtfertiges Missverständnis, dass wir etwa der Wirkungskraft der göttlichen Gnade mit unserer Standhaftigkeit zu Hilfe kommen müssten. Mahnt uns Christus hier zu treuem Beharren, so werden wir dies mit unserer Kraft nicht leisten, sondern sollen uns mit unseren Bitten an ihn selbst wenden: gib die Kraft der Liebe, die du von uns forderst!

V. 10. So ihr meine Gebote haltet usw. Das ist die Art, wie man zu beharren vermag: wir sollen dem Rufe Christi überall folgen. Denn, wie Paulus Röm. 8, 1 sagt, die in Christo sind, wandeln nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste. Beides ist stets und ständig beisammen: der Glaube, welcher die freie Gnade Christi ergreift, und das gute Gewissen samt dem neuen Leben. Sicherlich versöhnt Christus die Gläubigen nicht dazu, dass sie nun ungestraft ihren Mutwillen treiben, sondern um sie durch Leitung seines Geistes ganz von der Herrscherhand des Vaters abhängig zu halten. Folglich haben alle die Christi Liebe abgeschüttelt, welche nicht durch echte christliche Frömmigkeit ihre Jüngerschaft beweisen. Aber hängt denn die Sicherheit unseres Gerettetseins von uns selber ab? Das wäre freilich eine Verdrehung der Worte Christi! Denn der Gehorsam der Gläubigen bewirkt nicht etwa, dass Christus sie weiter liebt; im Gegenteil: die Liebe Christi bewirkt, dass sie ihm gehorchen. Wovon kommt es denn, dass sie seinem Rufe Folge leisten? Einzig davon, dass sie von dem Geiste der ihnen geschenkten Gotteskindschaft dazu getrieben werden. Aber es wird uns doch scheinbar eine unerfüllbare Bedingung damit auferlegt, dass wir Christi Gebote halten sollen: das vermag ja doch nur der, dessen Gerechtigkeit in jeder Hinsicht vollkommen ist, - eine solche Gerechtigkeit aber liegt weit jenseits unseres Vermögens.

Wäre es so, dann wäre die Liebe Christi nur in dem Falle auf die Dauer für uns vorhanden, dass wir rein wie die Engel vor Gott wandelten. Wie kommen wir aus diesen Schwierigkeiten heraus? Ganz einfach so: jedes Mal, wenn Christus von dem Streben nach einer rechtschaffenen, heiligen Lebensführung spricht, tut er das durchaus nicht etwa auf Kosten des Haupt- und Grund-Artikels seiner Lehre, - und der ist ja die Zurechnung der Gerechtigkeit aus Gnaden; nur durch sie kann unsere an und für sich unvollständige, unreine, ja verwerfliche Pflichterfüllung Gott, der um Christi willen stets zur Vergebung bereit ist, dennoch wohlgefallen. Wenn die Jünger Christi nur mit allem Ernste danach trachten, ihres Meisters Gebote zu befolgen, gelten sie, auch wenn noch gar viel zu wünschen übrig bleibt, trotzdem als Leute, die ihre Schuldigkeit getan haben; für sie ist das strenge Wort außer Geltung gesetzt (5. Mo. 27, 26): Verflucht sei, wer nicht alle diese Worte des Gesetzes erfüllt.

Gleichwie Ich meines Vaters Gebote halte. Wie wir in Christo erwählt sind, so sehen wir auch in ihm das lebendige Bild dessen vor uns, wozu wir berufen sind. So stellt er sich denn verdientermaßen hier als Muster hin, dem sich in treuer Nachahmung jeder fromme Christ nachzubilden hat. Wer mich anschaut, will Jesus sagen, dem leuchtet die Verwirklichung aller meiner Forderungen vollendet schön in die Augen. Seht! Ich bin dem Vater in unverbrüchlichem Gehorsam zugetan, und ihr werdet mich nie anders als Gott gehorsam finden. Und der Vater wiederum liebt mich nicht nur eben jetzt oder eine gewisse Zeit lang, sondern er ist in seiner Liebe gegen mich ebenfalls treu ohne Wanken.

Diese Gleichgestaltung von Haupt und Gliedern muss uns stets als unser Ziel vorschweben, nicht nur, damit die Gläubigen alles daran setzen, sich dem Vorbild Christi anzupassen, sondern damit sie es dem Geiste Gottes zutrauen, er werde sie von Tag zu Tage Christo ähnlicher und immer ähnlicher machen. Darin besteht das neue Leben, in dem wir bis an unser Ende wandeln sollen.

V. 11. Solches rede ich zu euch usw. Jesus fügt hinzu, seine Liebe sei durchaus nicht etwas für die Seinen Unbekanntes: im Glauben wird sie erfahren, um beseligt genießen seine Jünger in ihrem Gewissen seinen Frieden. Die Freude, deren er hier gedenkt, entstammt diesem Frieden, den alle die haben, welche die Rechtfertigung vor Gott aus Gnaden ihr eigen nennen dürfen. So oft wir die Predigt von der väterlichen Liebe Gottes vernehmen, wollen wir bedenken, dass hier allein der Grund wahrer Freude liegt: der Vaterliebe Gottes versichert, haben wir ein ruhiges Gewissen und sind unserer Rettung gewiss. Es ist hier die Rede von Christi Freude und von unserer Freude, und zwar in verschiedener Hinsicht. Es ist die Freude Christi, weil er sie uns gibt: Er ist ihr Urheber und ihr Anlass.

Ihr Anlass: denn wir sind nur deshalb unserer Schuld entledigt, weil die Strafe auf ihm liegt, damit wir Frieden hätten.

Ihr Urheber: weil er durch seinen Geist der Furcht und Bangigkeit in unseren Herzen ein Ende macht, sodass eine tiefe Seelenheiterkeit bei uns einkehrt.

Unser ist aber die Freude in einer anderen Beziehung: wir genießen sie, sobald sie uns geschenkt ist. Wenn Christus es ausspricht, er habe dies gesagt, damit seine Jünger Freude hätten, so stellen wir im Vertrauen darauf fest: Jeder, der ein gelehriger Hörer und Schüler Jesu in seinen Abschiedsreden ist, hat darin ein weiches Ruhekissen seiner Seele. Eine „bleibende“ Freude ist keinem Wechsel der Zeit ausgesetzt, sie fällt nicht hin und verrauscht nicht.

Und eure Freude vollkommen werde. Diese ganze und vollkommene Freude schließt freilich nicht aus, dass auch gläubige Christen noch zuweilen in Traurigkeit fallen. Aber der Grund der Freude gibt dermaßen den Ausschlag, dass weder Furcht noch Angst noch Betrübnis den Christen jemals wieder ganz unter ihr Joch zu beugen vermögen. Denen es verliehen ist, sich in Christo zu rühmen, denen ist weder Tod noch Leben noch Elend aller Art hinderlich, der Traurigkeit Trotz zu bieten.

V. 12. Das ist mein Gebot. Wenn es erforderlich ist, dass wir unser Leben nach dem Gebote Christi einrichten, dann lautet die erste Frage: Was will, was gebietet er denn eigentlich? Daher wiederholt Jesus noch einmal, was er schon früher gesagt: vor allen Dingen legt er darauf Wert, dass die Gläubigen unter sich innige Liebe walten lassen. Selbstverständlich geht die liebende Ehrfurcht vor Gott voraus; jedoch gibt es keinen besseren Beweis für ihr Vorhandensein, als die gegenseitige Liebe, die hier als Erstes erwähnt wird. Wie Jesus uns eben erst das gesamte Bewahren seiner Lehre zur Pflicht gemacht hat, so schreibt er uns hier einen einzelnen Erweis unserer Folgsamkeit vor. Wenn er alle die Seinen mit Liebe umfasste, so hat er das getan, damit sie sich einander ebenfalls herzlich lieben sollten.

V. 13. Niemand hat größere Liebe usw. Christus weist ab und zu auf die Größe seiner Liebe zu uns hin; er will dadurch unsere Gewissheit, gerettet zu sein, umso mehr befestigen. Hier will er noch mehr erreichen: durch sein Beispiel will er uns zur Bruderliebe entflammen. Doch flicht er beides ineinander. Er will, dass wir uns im Glauben die unbeschreiblich große Süßigkeit seiner Liebe zu eigen machen; zugleich aber will er mit Hinweis auf seine Liebe auch uns zu rechter Liebe treiben (vgl. Eph. 5, 2). Gott hätte uns ja durch ein Wort oder einen Wink erlösen können; er zog aber um unsertwillen eine andere Weise vor. Er hat seines eigenen einzigen Sohnes nicht verschont, um durch Hingabe des Geliebten davon Zeugnis abzulegen, wie sehr er es sich angelegen sein lässt, dass wir errettet werden. Ein Herz, das von so unvergleichlicher Liebe unseres freundlichen Vaters im Himmel nicht erweicht wird, muss noch härter sein als Eisen oder Fels.

Aber was soll das heißen: Christus starb für seine Freunde? Sind wir doch Feinde gewesen, ehe er uns mit Gott versöhnte. Über diese Frage haben wir uns schon (zu 3, 16) ausgesprochen. Wir haben dort gesagt: Allerdings ist, wenn man den Menschen ansieht, ein Zwiespalt zwischen uns und Gott, der erst beseitigt wird durch den Sühntod Christi; doch war die Ursache der in Christo uns erschienenen Gnade Gottes die unerschöpfliche Liebe Gottes, die er uns schon zuwandte, als wir noch Feinde waren. Gerade so hat Christus nun auch sein Leben für Fremde hingeopfert, - für Fremde und doch für Freunde, denn: hätte er sie nicht geliebt, er wäre nimmermehr für sie in den Tod gegangen.

V. 14. Ihr seid meine Freunde, so ihr tut usw. Damit will Jesus nicht sagen, dass wir uns die Ehre seiner Freundschaft selbst verdienen können. Er weist nur darauf hin, unter welcher Bedingung er uns unter seine Freunde aufnahm. In demselben Sinne sagte er soeben (V. 10): So ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe. Ist doch die heilsame Gnade Gottes erschienen, uns dazu zu erziehen, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt (Tit. 2, 11). Weltmenschen dagegen, die in ihrer Gottlosigkeit das Evangelium gering achten und sich gegen die Forderungen Christi ablehnend verhalten, stoßen die ihnen dargebotene Freundeshand Jesu zurück.

V. 15. Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid. Damit deutet Jesus auf einen neuen Beweis seiner Liebe zu den Jüngern: wie offen hat er sich ihnen doch mitgeteilt! So lässt nur ein vertrauter Freund den anderen in sein Herz schauen. Weit mehr, so will Jesus sagen, habe ich euch anvertraut, als ein sterblicher Mensch seinen Untergebenen anzuvertrauen pflegt. Wie gut ich euch bin, dafür habt ihr ein Unterpfand daran, dass ich in so freundschaftlicher, liebreicher Weise euch die Geheimnisse himmlischer Weisheit, die ich vom Vater vernahm, mitgeteilt habe. –

Sicher ein hoher Ruhmestitel der Heilsbotschaft, dass wir in ihr, ich möchte sagen, das weit offene Herz Christi vor uns haben! Er will uns nicht in Unklarheit und Ungewissheit darüber lassen, wie groß seine Liebe zu uns ist. Um gewiss zu werden, dass wir errettet sind, brauchen wir nicht zu wünschen: Ach, könnten wir doch über die Wolken emporschweben oder in verborgene Abgründe hinuntersteigen! Wir haben genug an dem schlichten Zeugnis der Liebe, wie es im Evangelium zu lesen ist; das ist klar und wahr. Moses sagte zu dem Volk des alten Bundes (5. Mo. 4, 7): „Wo ist so ein herrlich Volk, zu dem Götter also nahe sich tun, als der Herr unser Gott, so oft wir ihn anrufen?“ Ein noch herrlicheres Volk ist das der Christen. Wodurch? Dadurch, dass Gott seine ganze Fülle ergossen hat in seinem Sohne. Umso größer ist die Undankbarkeit und Verkehrtheit derer, welche sich mit der wundervollen Weisheit des Evangeliums nicht begnügen wollen, sondern in verwegenem Fluge der Gedanken eine neue Wahrheit suchen.

Was ich habe von meinem Vater gehört. Ganz gewiss ist nicht alles, was Christus wusste, den Jüngern auch bekannt gewesen. Sie waren gar nicht dazu imstande, die volle Höhe seiner Gedanken zu erschwingen. Die ganze Weisheit Gottes ist ja für unseren menschlichen Verstand unbegreiflich. So hat Jesus denn jedenfalls einem jeden nur so viel Wissen zugeteilt, als er bedurfte und fasste. Weshalb sagt er aber dann, er habe alles kundgetan? Er redet hier als Mittler von dem, was sein Mittleramt verlangt. Er hat sich zwischen Gott und uns in die Mitte gestellt; nun empfängt er für uns mancherlei aus dem verborgenen Heiligtum Gottes. Das alles wandert sofort aus seiner Hand in unsere. Von dem, was zu unserem Heile dienlich war, was uns zu wissen nottat, hat Christus seinen Jüngern keine Silbe verschwiegen. So lasst uns denn demütige Schüler sein, die voll Eifer von ihm lernen, - wir werden dann erfahren, dass Paulus mit vollem Rechte das Evangelium eine Weisheit nennt, welche die Menschen vollkommen macht (Kol. 1, 28).

V. 16. Ihr habt mich nicht erwählt. Noch klarer als bisher sagt Jesus hier, dass die Jünger es nicht ihrem Verdienste, sondern lediglich seiner Gnade zu verdanken haben, dass sie zu der Ehre seiner Freundschaft gelangt sind. Wenn er leugnet, dass sie ihn erwählt haben, so ist das so gut als erklärte er nachdrücklich: Was ihr auch in meiner Jüngerschaft habt, nicht das Mindeste davon habt ihr euch dadurch verschafft, dass ihr besonders geschickt oder tüchtig wart! Die landläufige Rede von dem Zusammenwirken und Ineinandergreifen der göttlichen Gnade und des menschlichen Willens ist ein Märchen. Der scharfe Gegensatz: Ich habe euch erwählt, ich bin nicht von euch erwählt worden, - spricht rundweg nur Christo das zu, was man sich vielfach gewöhnt hat, halb ihm, halb dem Menschen zuzuerteilen. Hier steht es klar zu lesen: kein Mensch macht sich aus eigenem Antrieb auf, Christum zu suchen; ehe es dazu kommt, hat Christus zuvor ihn gesucht.

Übrigens handelt es sich hier nicht um die allgemeine Erwählung, durch welche die Frommen von Gott an Kindes Statt angenommen werden, sondern um die besondere Erwählung, kraft deren Jesus seine Jünger zum Amt von Predigern des Evangeliums auserkor. Doch wenn sie aus Gnaden, ohne alles Verdienst zum Apostelamt erwählt worden sind, so ist ganz sicher noch weit mehr das eine Gnadenwahl, durch die wir aus Kindern des Zornes und Fluches Erben des ewigen Lebens werden. Wenn Christus hier davon redet, wie er seine Jünger zu Aposteln erwählt hat, so hat er doch auch gleichzeitig jene frühere Erwählung, vermöge deren sie in den Leib der Gemeinde Gottes eingefügt wurden, mit im Auge, ja überhaupt alles Herrliche und Große, das er ihnen zu eigen gegeben hatte.

Immerhin gebe ich zu: es ist zunächst hier vom apostolischen Amt die Rede. Christus beabsichtigt, die Jünger zu pflichteifriger Verwaltung dieses Amtes anzufeuern. Seine Ermahnung gründet er auf die Huld und Güte, deren er sie gewürdigt hat. Je mehr wir dem Herrn verpflichtet sind, desto mehr sollen wir, so schickt es sich, glühen von dem eifrigem Bestreben, unsere Obliegenheiten treu seiner Weisung zu erfüllen: ließen wir es daran fehlen, so könnten wir dem Vorwurf schnöden Undankes nicht entgehen. Es geht daraus hervor: das, was am allerentschiedensten zu dem ernsten Bestreben, einen geheiligten, frommen Christenwandel zu führen, anspornen muss, ist die Erkenntnis: dass wir Gott alles verdanken und selbst nichts zu eigen haben, dass nicht bloß der Anfang unseres Gnadenstandes, sondern auch alles folgende Wachstum aus Gottes freiem Erbarmen fließt.

Wie wahr der vorliegende Ausspruch Christi ist, ist daran deutlich zu ersehen, dass er solche Leute zu Aposteln erwählte, die als die Untauglichsten von allen erscheinen konnten. Er wollte, dass sie ein beständiges Denkmal seiner freien Gnade sein sollten. Wer ist denn wie Paulus (1. Kor. 4, 2) sagt, geeignet, jene Botschaft an die Menschenwelt auszurichten, durch welche Gott die Menschen mit sich versöhnen will? Ja, wo ist der sterbliche Mensch, der diese Botschaft an Christi, ja an Gottes Statt auszurichten geschickt ist? Christus allein befähigt seine Boten zu ihrem Amte, und zwar dadurch, dass er sie erwählte (vgl. Röm. 1, 5; Gal. 1, 15). Da wir selbst gänzlich unnütze Knechte sind, kann auch der nach menschlichem Urteil Begabteste den unscheinbarsten Beruf nicht wirklich ausfüllen, wenn ihn nicht Gottes Erwählung an seinen Platz gestellt hat. Je höher aber der Ehrenplatz ist, den jemand in der Gemeinde Gottes einnimmt, umso weniger darf er vergessen, dass er ganz auf den Herrn angewiesen ist.

Und gesetzt. Die Erwählung bleibt solange verborgen, bis sie dadurch an den Tag tritt, dass dem Menschen das Amt übergeben wird, zu welchem er bestimmt war, wie Paulus (Gal. 1, 15), da er berichtet, dass er von Mutterleibe an ausgesondert worden sei, ehe er ihn im Schoße der Mutter bildete; und doch hat er ihn zur Ausübung des Prophetenberufes erst zu seiner Zeit herangezogen. Indes wird es auch geschehen können, dass jemand nach einer geeigneten Vorbildung ein Lehramt übernimmt. Das ist sogar in der geordneten Kirche in der Regel der gewiesene Weg: man sichert sich dadurch, soweit das möglich ist, davor, dass in ein geistliches Amt niemand berufen wird, der nicht in geeigneter Weise dazu gerüstet und geschult ist. Dass übrigens Christus sich selbst als den Urheber der beiden verschiedenen Erwählungen bezeichnet, nimmt uns nicht wunder: denn der Vater handelt nur durch ihn, und wo der Sohn etwas tut, ist der Vater stets dabei. Die Erwählung und die Vorherbestimmung ist beider gemeinsames Werk.

Dass ihr hingeht. Jetzt zeigt der Herr, wozu er seiner Gnade gedachte: er wollte die Jünger zum Wirken frischer und mutiger machen. Das Apostelamt war eine faule Pfründe; da hieß es mit den äußersten Schwierigkeiten ringen. Hier setzt ihnen Christus sozusagen den Sporn in die Flanke; sie sollen nicht zurückscheuen vor Arbeit, Mühsal und Unglück aller Art.

Und Frucht bringt. Es ist fast undenkbar, dass jemand sich ernstlich und nachdrücklich einem Werke widmet, wenn er nicht hofft, dass seine Arbeit Frucht schaffe. Deshalb spricht Christus aus, dass die Unternehmungen seiner Boten nicht erfolglos und unnütz sein werden, wenn sie nur bereit sind, ihm stets zu gehorchen. Er macht den Aposteln hier nicht Vorschriften darüber, was ihr Beruf von ihnen verlangt, sondern er verheißt ihnen, damit sie nicht erschlaffen und erkalten, ein reich gesegnetes Wirken. Es ist fast nicht auszusagen, wie tröstlich dies gewichtige Wort des Herrn ist gegenüber all den Glaubensnöten, durch welche die Diener Christi Tag für Tag hindurch müssen. So oft es uns vorkommt, als sei alle aufgewendete Mühe vergeblich, mag uns die Erinnerung an dies Wort neu beleben: Christus verbürgt sich dafür, dass unsere Arbeit nicht vergeblich sein wird. Gerade da ist diese Verheißung ganz besonders am Platze, wo keine Frucht zu sehen ist. Naseweise Menschen, freilich von der Welt als die Pächter der Weisheit angesehen, höhnen in unseren Tagen: all unser reformatorisches Tun sei sinn- und planlos, wir würden mit unserem titanenhaften Bemühen kläglich scheitern. Allerdings entspricht die bisher sichtbar gewordene Frucht nicht dem, was wir wünschen und erbitten. Dennoch sind wir getrost. Christus hat versprochen: es soll der Lohn die Mühe krönen, wenn man auch zunächst nichts wahrnimmt. Deshalb tun wir unsere Pflicht nach wie vor, unbeirrt durch der Leute Geschwätz und Gelächter.

Und eure Frucht bleibe. Inwiefern ist die Frucht von Bestand? Viele meinen: insofern, als die Predigt des Evangeliums die Seelen zur ewigen Errettung für Christum gewinnt. Meines Erachtens ist weit mehr damit gesagt, nämlich, dass die Gemeinde Christi bestehen wird bis ans Ende der Welt. Die Arbeit der Apostel bringt noch heute Frucht, und unsere Predigt gehört nicht nur dem gegenwärtigen Jahrhundert an: so hilft mit zur Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Kirche; ja es mag, wenn unsere Gebeine längst im Grabe liegen, aus unserer Lebensarbeit immer neuer Segen zu Tage treten. Wenn übrigens Jesus sagt „eure Frucht“, so redet er gerade, als sei sie durch eigenen Fleiß beschafft worden, während doch Paulus lehrt, dass diejenigen, welche begießen oder pflanzen, nichts sind. Sicher ist die Aufrichtung der Kirche eine so hoch erhabene Gottestat, dass man den Ruhm derselben nimmermehr Menschen zuschreiben darf. Aber weil Gott seine Macht durch die Vermittlung der Menschen betätigt, deren Tun er mit Gelingen segnet, so kommt es in der Schrift nicht selten vor, dass auf Menschen übertragen wird, was recht eigentlich nur von Gott selbst gilt. Behalten wir dabei im Sinne: Er ziert seine Jünger gütig mit diesem Lobe, - dass sie selbst Frucht schaffen, - um sie zu ermutigen, ganz gewiss nicht, um sie stolz zu machen.

Auf dass, so ihr den Vater bittet usw. Dieser Zusatz steht nicht, wie man denken könnte, unvermittelt da. Die Lehrtätigkeit übersteigt Menschenkräfte bei weitem, sie wird erschwert durch unzählige Angriffe Satans; niemand hielte ihnen stand, liehe Gott uns nicht seine Kraft. Damit die Apostel nicht im Bewusstsein ihrer Ohnmacht allen Mut verlieren, springt ihnen Christus bei mit der besten Hilfe. Er will sagen: Wenn die Arbeit eure Kräfte übersteigen wird, so wird euch mein Vater seine Hilfe nicht versagen. Ihr Diener des Evangeliums sollt fest darauf rechnen, dass der Vater seine Hand beständig ausgereckt hält, euch zu helfen, so oft ihr in meinem Namen seinen Beistand erbittet. –

Der Grund, weshalb so viele Lehrer des Wortes träge und schlaff werden, oder gar vollends der Verzweiflung anheimfallen, liegt sicher allein darin, dass sie es an der rechten Treue im Gebet fehlen lassen. So will denn diese Verheißung und dazu antreiben, Gott treulich anzurufen. Jeder, der weiß, dass Gott allein seinem Tun Erfolg zu schenken vermag, wird seine Arbeit mit Furcht und Zittern vor Gott bringen. Wer dagegen im Vertrauen auf seinen eigenen Eifer Gottes Hilfe verschmäht, wird, wenn es darauf ankommt, harte Kämpfe zu bestehen, als ein Fahnenflüchtiger das Weite suchen oder doch bei aller Vielgeschäftigkeit es zu nichts bringen. Vor zweierlei heißt es auf der Hut sein: vor Aufgeblasenheit und vor Kleinglauben. Wer den Erfolg schon in der Hand zu haben glaubt, geht nur zu leicht achtlos an Gottes hilfsbereiter Hand vorüber. Ebendeshalb aber geht auch so mancher unter im Kampf: er hat vergessen, dass er unter der Kraft und dem Schutze des Gottes kämpft, der ihn an seinen Platz gestellt hat.

V. 17. Das gebiete ich euch. Diese Mahnung passt sehr wohl hierher. Die Apostel sollten wissen, dass die gegenseitige Liebe etwas überaus Wichtiges sei. Die Liebe soll sie befähigen, mit rechter Freudigkeit an dem lebendigen Tempel Gottes zu bauen. Nichts hindert den Fortschritt dieses Baus mehr, als getrenntes Arbeiten der einzelnen Bauleute. Sie müssen einander gegenseitig in die Hände arbeiten. Pflegen sie nicht brüderliche Gemeinschaft, so kommt es womöglich dahin, dass nur jeder hier und da Mäuerlein baut, - aber es fehlt der große Zusammenhang, das gemeinsame Zusammenwirken zum gleichen Zwecke, und es kommt nimmermehr eine Kirche zustande.

V. 18. So euch die Welt hasst. Christus hat die Apostel zum Kampfe gerüstet. Nun ermahnt er sie zur Geduld. Das Evangelium kann gar nicht ausgebreitet werden, ohne dass die Welt alsbald in Wut gerät. Fromme Lehrer vermögen also den Ausbrüchen des Hasses der Welt nicht zu entgehen. Das sagt Christus ihnen beizeiten voraus, damit es ihnen nicht geht wie Rekruten, die noch keine Schlacht mitgemacht haben und deshalb prahlerische Reden führen, wenn es aber nun gilt, sich als Helden zu bewähren, vor Angst erblassen. Aber Christus lässt es nicht bei diesem Wink bewenden, der die Apostel vorbereiten soll auf Erlebnisse, von denen sie sonst überrascht und wohl entmutigt worden wären: er macht ihnen zugleich durch den Hinweis auf sein Beispiel auch Mut. Wie sollten wir im Blick auf Jesum erwarten können, dass die Welt uns freundlich ist? Sie hat Jesum gehasst. Bringen wir Jesum, so werden wir es schon merken, dass die Welt immer noch die gleiche ist. Ich übersetze hier: so wisst ihr. Möglich wäre, was für den Sinn übrigens nicht viel ausmacht, allerdings auch die Befehlsform: „so wisset.“

Schwieriger ist die Übersetzung des Folgenden: dass sie mich als den Ersten (der Zeit nach? oder der Würde nach?) gehasst hat. Gewöhnlich deutet man die Worte zeitlich, in dem Sinne: Christus wurde von der Welt gehasst, lange bevor sie die Apostel hasste. Meiner Meinung nach gibt aber die zweite mögliche Auslegung einen besseren Sinn: wenn der Erste und Herrlichste unter den Menschenkindern trotz allem dem Hass der Welt verfiel, so werden seine Diener der gleichen Erfahrung sich nicht weigern dürfen. Die Ausdrucksweise ist die gleiche, wie 1, 27. 30, wo es wörtlich heißt: „welcher mir gegenüber der Erste war“, d. h. welcher mir vorgesetzt war an Würde.

V. 19. Wärt ihr von der Welt usw. Ein zweiter Trostgrund: die Jünger sind der Welt deswegen so verhasst, weil sie von ihr abgesondert sind. Das aber ist ihr Glück und ihr Ruhm, weil sie nur so vom Verderben errettet sind. Dass Jesus die Seinen erwählt hat, besagt nämlich hier, dass er sie aus der Welt heraushob. Sind sie aus der Welt auserwählt worden, so sind sie ein Teil der Welt gewesen und wurden nur durch den barmherzigen Gott abgesondert von den anderen, die dem Verderben verfallen. Als „Welt“ bezeichnet Christus hier alle die, welche nicht von Gottes Geist wiedergeboren sind. Die Gemeinde stellt er der Welt gegenüber, wie wir dies ausführlicher beim 17. Kapitel sehen werden. Doch widerstreitet diese Lehre nicht der Mahnung Pauli (Röm. 12, 18): „So viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Wenn Paulus hinzusetzt: „so viel an euch ist,“ so will er damit sagen: Sehet zu, was ihr vor eurem Herrn verantworten könnt! Jedenfalls darf euch feige Gefallsucht nicht dazu bewegen, das Verderben der Welt schweigend mit anzusehen. –

Aber noch ein anderer Einwand lässt sich gegen den Satz erheben, dass die Welt das Ihre lieb hat. Verbrecher, die doch aus der Welt hervorgehen, werden allgemein nicht nur gehasst, sondern sogar verwünscht. Da liebt die Welt doch offenbar nicht das Ihre. Das ist wohl richtig, aber doch hassen die Menschen, welche sich von fleischlicher Gesinnung treiben lassen, niemals in Wahrheit die Sünde selbst, sie hassen sie nur so weit, als dabei ihr eigener Nutzen oder Schaden mit in Frage kommt. Besinnen wir uns, was Christus denn eigentlich hier sagen wollte! Er wollte ja nicht in Abrede stellen, dass die Welt in sich selbst von Zwietracht, Grimm und Bosheit zerrissen ist, er wollte nur zeigen: was die Welt gegen die Gläubigen so sehr aufbringt, das ist eben das an ihnen, was sie von Gott empfangen haben.

V. 20. Gedenkt an mein Wort. Man könnte auch übersetzen: „Ihr gedenkt“; es gäbe das keinen wesentlich anderen Sinn. Doch passt, meine ich, eine Aufforderung besser hierher. Christus bestätigt nochmals das Zuvor gesagte: er, der die Jünger doch so weit überrage, habe sich trotzdem den Hass der Welt zugezogen. Es ist nicht zu erwarten, dass es dem Diener besser geht, als dem Herrn. Und das Schicksal der Personen teilt die von ihnen vertretene Lehre. Nichts verstört fromme Christen mehr, als wenn sie sehen, wie die von Gott selber stammende Lehre so hochmütig von den Leuten verachtet wird. Und es ist auch ganz entsetzlich, wenn man solcher Verachtung begegnet: dabei kann dem Festesten das Herz in der Brust erbeben. Doch seht, da kommt uns Jesus zu Hilfe! Er, der Gottessohn selber, hat solche Frechheiten mitansehen müssen. Nun, dann brauchen wir uns nicht länger darüber zu wundern, dass die göttliche Lehre so wenig Anklang bei den Menschen findet. –

Den Unterschied „mein Wort“ und „eures“ setzt Jesus nur in Rücksicht auf die Verwaltung desselben. Was Jesus als der einige Lehrer seiner Gemeinde zuerst vortrug, dies und nichts anderes hat er nachmals durch die Apostel predigen lassen.

V. 21. Aber das alles usw. Weil die Raserei der Welt, mit der sie dermaßen gegen die Lehre wütet, durch welche sie gerettet werden sollte, etwas ganz Ungeheuerliches ist, nennt Christus ihre tiefer liegende Ursache: die Welt ist blind und unwissend, deshalb rennt sie in ihr Verderben. Niemand würde, wenn er die Sachlage klar überschaute, mit dem allmächtigen Gott sich in einen Kampf einlassen. Die Welt bindet nur deswegen unbedenklich mit Christo an, weil sie in ihrer Blindheit Gott nicht kennt. Macht sie es dir bei der ersten besten Gelegenheit geradeso, so findest du nur in dem Gedanken wahren Trost: Mein Gewissen sagt mir, dass ich recht gehandelt habe! –

Übrigens welch ein Anlass zur Dankbarkeit! Die Welt, blind wie sie ist, geht zu Grunde; uns aber hat Gott mit seinem Lichte begnadigt! Und auch das ist wohl zu beachten: der Hass gegen Christus rührt immer aus einer Abstumpfung des Verstandes her, der eben Gott nicht erkennt. Der Unglaube ist blind, wie ich oft gesagt habe – nicht als ob gottlose Menschen überhaupt keine Einsicht hätten, sondern weil ihre Erkenntnis verworren ist und jeden Augenblick in ihrer Eitelkeit entlarvt werden kann.

V. 22. Wenn ich nicht kommen wäre usw. Die vorige Aussage, welche den Hass der Juden gegen das Evangelium auf Unkenntnis Gottes zurückführte, hätte leicht zu einer falschen Entschuldigung führen können. Darum fügt Jesus jetzt hinzu: sie sind vorsätzlich blind, gleich einem, der die Augen schließt, um das Licht nicht sehen zu müssen. Spräche das Christus hier nicht aus, so hätte man ihm einwenden können: Wie kommt es denn, dass du ihnen nicht aus ihrem Irrtum heraushilfst, wenn sie deinen Vater nicht kennen? Warum hast du nicht wenigstens den Versuch angestellt, ob sie völlig unbekehrbar sind oder nicht? Darauf gibt er hier Antwort: Ich habe alles getan, was nur ein guter, treuer Lehrer vermag, und es hat doch nichts genützt; ihre Bosheit hat es nicht zugelassen, dass sie Verstand annahmen! Was hier zunächst von den Juden gesagt ist, soll doch allen zur Warnung dienen, die Gottes Wahrheit verächtlich ablehnen, sobald sie ihnen nahe gebracht wird, oder sie mit klarem Entschlusse bekämpfen, sobald sie sie erkannt haben. Allerdings wartet ihrer die furchtbare Strafe Gottes, aber Christus denkt doch in erster Linie hier daran, seine Jünger anzufeuern: Seid des Sieges freudig gewiss! Der Gottlosen Bosheit kann euch nichts anhaben! Wenn wir aus dem Munde Jesu hören, wie die Sache ausgehen wird, dann ist es gestattet, sozusagen mitten im Schlachtgetümmel den Triumphgesang anzustimmen.

Hätten sie keine Sünde. Scheinbar deutet Christus hier an, dass es nur eine Sünde gibt: den Unglauben. Etliche legen unsere Stelle auch wirklich so aus: Wo Glaube ist, da wird durch Vergebung die Sünde ausgetilgt, - folglich führt zur Verdammnis nur die Sünde des Unglaubens. Das trifft freilich vollkommen zu. Der Unglaube allein ist das Hindernis, der Todesverhaftung zu entkommen, ja er ist Quell und Ursache alles Bösen. Aber dieser ganze Gedankengang hat mit der vorliegenden Stelle nichts zu schaffen. Hier ist ja in jenem umfassenden Sinne von Sünde nicht die Rede; der Sinn beschränkt sich nach dem ganzen Zusammenhang. Christus will sagen: Für ihre Unwissenheit gibt es keine Entschuldigung; in meiner Person haben sie voll bösen Willens Gott selbst verworfen! Wir können auch von jemandem, der einer Schuld bezichtigt war, in ausschließlichem Hinblick auf diese besondere Schuld sagen, dass er unschuldig ist, womit wir ihn doch lediglich in Bezug auf diesen einen Punkt freisprechen wollen.

So denkt auch Jesus hier nur an diese einzige Sünde, von welcher die Juden frei gewesen wären, wenn er nicht den Vorwand der Unwissenheit beseitigt hätte, dessen sie sich bei ihrer Verwerfung des Evangeliums sonst hätten bedienen können.

Dabei erhebt sich aber die neue Frage, ob denn vor dem Kommen Christi der Unglaube der Menschen nicht hingereicht habe, sie zu verdammen? Tatsächlich haben sich einige auf Grund des vorliegenden Spruches zu der Behauptung hinreißen lassen, die vor Christi Menschwerdung ohne Glauben Gestorbenen seien solange in einem Zustande der Ungewissheit (weder verdammt, noch selig) gewesen, bis Christus sich ihnen offenbarte. Und doch lehren mehrere Schriftstellen klärlich, dass das bloße Vorhandensein des Gewissens genügt hat, sie der Schuld zu überführen (Röm. 5, 14; 2, 12).

Was will also Christus hier sagen? Dass die Juden für die besondere Schuld der Verwerfung Christi nichts vorwenden können, ihre Sünde zu entschuldigen, weil sie ja mit Wissen und Willen das Leben von sich gestoßen haben. Hätten sie mehr unwissentlich gesündigt, so hätte dies ihre Schuld sicherlich nicht aufgehoben, sondern nur vermindert; denn, wie es Lk. 12, 47 heißt, „der Knecht, der seines Herrn Willen weiß und hat sich nicht bereitet, auch nicht nach seinem Willen getan, der wird viel Streiche leiden müssen.“ Jesu Meinung ist also nicht, andere, die weniger boshaft sich stellten, völlig freizusprechen, sondern seinen Feinden, welche mutwillig Gottes Gnade verworfen hatten, das Urteil zu sprechen, dass sie offenbar der Verzeihung und des Erbarmens völlig unwürdig sind. Zu beachten ist dabei, dass Jesus nicht von seinem bloßen Kommen redet, sondern davon, dass er kam und lehrte. Seine leibliche Gegenwart allein hätte die Juden nicht eines so schweren Verbrechens schuldig gemacht: dass sie seine Lehre verachten, das beraubt sie jeder Entschuldigung.

V. 23. Wer mich hasst, der hasst auch meinen Vater. Eine wichtige Stelle! Jeder, der die Lehre des Evangeliums hasst, liefert damit den Beweis seiner verkehrten Stellung zu Gott. Freilich werden das viele aufs Entschiedenste abstreiten. Aus dem Evangelium machen sie sich durchaus nichts, - trotzdem soll man sie für die treusten Verehrer Gottes ansehen. Das ist jedoch widersinnig. Unter dem schönen Anstrich verbirgt sich im Herzen Verachtung Gottes (Vgl. 3, 20; 5, 23).

V. 24. Hätte ich nicht die Werke getan. Unter diesen Werken versteht Jesus meiner Meinung nach alle die mancherlei Erweisungen seiner göttlichen Herrlichkeit: Wunder, Kraftwirkungen des heiligen Geistes und Ähnliches, woran man erkennen konnte, dass er der eingeborene Sohn Gottes war. Freilich könnte man demgegenüber sagen, dass Jesus weder mehr, noch größere getan habe, als Moses und die Propheten. Aber man darf doch den bekannten Unterschied nicht vergessen, dass Jesus nicht, wie die anderen, als bloßer Diener handelte, sondern als Herr: auf Grund seines Namens, seiner Herrschaft und seiner Kraft wirkte er Wunder. Außerdem ist, wie gesagt, gar nicht an die bloßen Wunder zu denken, sondern an sämtliche Zeugnisse seiner himmlischen Geistesmacht, in denen sein göttliches Wesen sich kundtat.

Haben es gesehen und hassen doch usw. Jesu Schlussfolgerung ist: Meine Feinde werden keine Ausflucht finden können, um zu entrinnen, - haben sie doch Machterweisungen handgreiflich göttlicher Art verachtet! Deutlich hatte Gott seine wunderwirkende Kraft in dem Sohne zur Schau gestellt. So konnte es ihnen nichts mehr helfen, wenn sie sich herausreden wollten: Es stand ja nur ein Mensch vor uns, wie andere auch! So lasst uns denn aufmerken beim Betrachten der Taten Gottes! Stets will er, sobald er sich tätig zeigt, von uns die gebührende Ehre erwiesen haben. Schlecht gesinnt und undankbar gegen Gott sind alle die, welche seine Gaben als minderwertig hinstellen oder verächtlich mit Stillschweigen übergehen.

V. 25. Doch dass erfüllt werde usw. Was unnatürlich ist, erscheint auch unglaublich. Höchst unvernünftig ist der Hass gegen Gott. Wie verseucht von Bosheit waren doch die Herzen dieser Menschen: sie hassten Christum ohne Ursache! Wie furchtbar erschwert das ihren Frevel! Jesu Meinung ist nun nicht, dass jener Psalmspruch nicht etwa schon auf David zugetroffen hätte: vielmehr will der Hinweis auf diesen Spruch die verstockte Bosheit dieses Volkes kennzeichnen, die sich durch alle Zeiten, von den Ahnen bis zu den fernen Enkeln herab, ganz gleich blieb. Jesus will sagen: Ihr seid nicht im Geringsten besser, als eure Väter, die schon dem David ohne Ursache feind waren! Die Psalmen bezeichnet er als „Gesetz“, weil die gesamte Lehre der Propheten nichts anderes war, als ein Anhang des Gesetzes. Das Amt des Moses hat ja bis zu Christi Zeit gewährt. „Euer Gesetz“ sagt Jesus übrigens nicht mit ehrender Anerkennung, sondern um das Gewissen der Juden desto schärfer zu treffen. Er meint: Ihr habt das Gesetz ja sozusagen in Erbpacht genommen, - gut, ihr seht darin euer Tun und Treiben mit trefflichem Pinsel abgemalt!

V. 26. Wenn aber der Tröster kommen wird. Nachdem Christus die Apostel darauf hingewiesen hat, dass man um deswillen nicht geringer vom Evangelium halten dürfe, weil es selbst im Gottesvolke viele Feinde hat, setzt er nun der gottlosen Wut der Widersacher das Zeugnis des heiligen Geistes gegenüber, das die Jünger immer wieder aufrichten soll, sodass sie nicht wanken können. Er tröstet sie: Die Welt wird sich grimmig gegen euch erheben, eure Lehre wird den einen lächerlich vorkommen, andere werden sie abscheulich nennen, - aber kein Stoß wird so heftig sein, dass er euren schwachen Glauben vernichten könnte, wenn erst der heilige Geist euch verliehen ist, der euch mit seinem Zeugnis unerschütterlich fest machen wird! Ja, das ist unsere feste Burg, mag auch die Welt rings um uns her toben: Gottes Wahrheit wird in unseren Herzen versiegelt durch den heiligen Geist. Von dieser hohen Warte herab sehen wir allen Widerstreit der Welt tief unter uns. Wäre die göttliche Wahrheit den Meinungen der Menschen wehrlos preisgegeben, dann läge freilich jeden Tag hundertmal unser Glaube am Boden. Wir wollen es uns fest ins Herz schreiben, wohin wir uns stellen müssen, wenn wir nicht von den Stürmen niedergerissen werden wollen (1. Kor. 2, 12): „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist. Dieser Geist wird zeugen. Er ist der rechte Zeuge und vermag gewaltig zu zerschlagen, zu zerstreuen, ja alles zu vernichten, was die Welt hoch erhebt, weil es die Wahrheit Gottes verdunkeln oder zugrunde richten soll. Hast du diesen Geist, so kannst du, der Gefahr enthoben, um des Hasses oder der Verachtung der Welt willen allen Mut zu verlieren, als einzelner Christ, wer du auch seist, dich der ganzen Welt überlegen erzeigen. Nur ja nicht von Menschen sich abhängig machen! Sobald durch allerlei Rücksichten der Glaube aus den ihm gesetzten Schranken sich herausdrängen lässt, sobald er das Heiligtum Gottes verlassen hat, wird er selbstverständlich ein haltloses, jämmerliches Ding sein.

Also lass deinen Glauben nur auf das dich innerlich überführende Zeugnis des Geistes lauschen, von dem rechte Christen wissen, dass es vom Himmel stammt. Der Geist zeugt von Christo, weil er uns im Glauben an ihn allein bestärkt, dass wir unser Heil auch nicht zum allergeringsten Teil anderswo suchen. Dabei heißt der Geist wiederum „der Tröster“, genauer „der Beistand“ oder „Anwalt“: denn seinem Schutze sollen wir uns anvertrauen; dann brauchen wir nicht zu verzagen. So ist schon dieser Name des Geistes geeignet, unseren Glauben gegen alle Versuchungen zu wappnen.

Wenn Jesus außerdem vom Geist der Wahrheit redet, so ist dieser Ausdruck aus dem Zusammenhang unserer Stelle zu verstehen. Er birgt den gegensätzlichen Hinweis: Wo dieser Zeuge keine Beachtung findet, da schwanken die Menschen ungewiss hin und her und wissen nicht, woran sie sich halten sollen; wo dagegen seine Stimme vernommen wird, da weicht jeglicher Zweifel, und das Menschenherz erhebt sich aus seiner Angst und seinen furchtbaren Zweifeln.

Wenn Jesus sagt: Ich werde ihn euch senden vom Vater, und abermals: der vom Vater ausgeht, so wird dadurch Bedeutung und Ansehen des Geistes gewaltig hervorgehoben. Das Zeugnis des Geistes kann gegenüber so gefährlichen Angriffen, gegenüber so schlau berechneten Ränken starker Feinde nur dann ins Gewicht fallen, wenn wir dessen gewiss sind, dass der Geist von Gott selber ausgeht. Christus ist es, der den Geist sendet, aber aus der himmlischen Herrlichkeit her; so wissen wir denn: Er ist nicht die Gabe eines Menschen, er ist das sichere Unterpfand der Gnade Gottes. Sehr sonderbar ist es, wenn die griechisch-katholische Kirche diese Worte zum Vorwande nimmt, um den Ausgang des Geistes vom Sohne zu leugnen. Den Vater nennt Christus hier, wie so oft, um unsere Augen hinauf zu lenken zum Anschauen seiner Gottheit.

V. 27. Und ihr werdet auch zeugen. Christus sagt damit, dass es sich mit dem Zeugnisse des Geistes nicht so verhalten werde, dass es die Apostel für sich behalten und es allein vernehmen dürften: es soll sich vielmehr durch ihre Vermittlung weithin ausbreiten. Sie sollten die Werkzeuge des Geistes werden, wie er durch ihren Mund geredet hatte. Hier sehen wir, wieso der Glaube aus der Predigt, aus dem Hören kommt, und doch seine Gewissheit in dem Unterpfand und der Versiegelung des Geistes hat. Wer keine genügende Kenntnis von der Verfinsterung des menschlichen Verstandes hat, der denkt: wenn man auf einen Prediger hört, dann entsteht der Glaube auf ganz natürliche Weise. Auf der anderen Seite gibt es reichlich schwärmerische Leute, denen die äußerlich gehörte Predigt viel zu unwert dünkt, - sie berufen sich auf geheime Offenbarungen und Verzückungen. Christus nimmt aber beides zusammen: Predigt und Offenbarung. Vom Vorhandensein des Glaubens kann nicht eher geredet werden, als bis der Geist Gottes unsere Gedanken erleuchtet und unsere Herzen versiegelt. Und dennoch soll niemand in die Wolken hinaufschauen, um von dorther Gesichte und göttliche Aussprüche zu erwarten: das schlichte Wort, welches uns so nahe ist, in unserem Munde und in unserem Herzen, will und soll alle unsere Gedanken beherrschen und an sich fesseln (5. Mo. 30, 14; Röm. 10, 8; Jes. 59, 21). –

Das Sätzchen: Ihr seid von Anfang bei mir gewesen, ist deswegen angefügt, weil wir wissen sollen: die Apostel verdienen umso mehr Glauben mit ihrer Verkündigung, weil sie ja das alles mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört haben (1. Joh. 1, 1). Der Herr hat dafür gesorgt, dass es in keiner Beziehung der Predigt des Evangeliums an Sicherheit und Zuverlässigkeit fehle.

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