Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 7, 7-25. Die Not unter dem Gesetz.

Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 7, 7-25. Die Not unter dem Gesetz.

Ist denn das Gesetz Sünde? Ein solcher Verdacht gegen das Gesetz wäre natürlich ein grober Missverstand des apostolischen Worts. Paulus hat uns ja die völlige Eintracht gezeigt, in der die Gnade mit dem Gebote steht. Christus steht nicht in Streit und Kampf mit dem Gesetz, sondern nimmt es voll und ganz in sich auf, und alle Begabung und jeder Antrieb, der von ihm auf uns übergeht, alle Lebensimpulse, die er in uns rege macht, führen uns in die Gerechtigkeit hinein und machen uns ihr untertan. Und doch konnte die vorangehende Belehrung des Apostels diesen Gedanken wachrufen. Sünde, Fleisch, Tod, Gesetz, das finden wir bei Paulus stets beisammen. Die Befreiung von der Sünde und die Befreiung vom Gesetz sind ihm untrennbare Gaben Christi. Er hat uns unmittelbar vorher, 7, 4-6, gesagt: entweder lebt ihr dem Gesetz oder ihr lebt Gott, während doch alle, die dem Gesetz dienen, meinen, sie leben eben damit Gott! Nein, sagt Paulus, erst damit, dass ihr vom Gesetz los werdet und ihm abgestorben seid, fangt ihr an, für Gott zu leben und Gott Frucht zu bringen, während euer Leben für das Gesetz noch kein Leben für Gott war, sondern vom Tode verschlungen wird. Da könnte man ja geneigt sein, ihm zu erwidern: du sprichst, als ob das Gesetz selbst etwas verdorbenes, unrichtiges, sündiges sei, als ob es mit zu unserm entstellten und verkehrten Zustand gehöre, dass überhaupt das Gesetz für uns vorhanden ist. Darum erläutert Paulus noch einmal den Zusammenhang, der zwischen dem Gesetz und der Sünde besteht, und zeigt uns eben dadurch, dass wir Befreiung vom Gesetz bedürfen und bei ihm nichts suchen können, weil das Resultat desselben Not und Elend ist.

Es wäre ein verkehrter, irre leitender Eindruck, wenn wir in diesem Abschnitt ein Bild unsittlicher Versunkenheit sehen wollten, als würde uns Paulus hier zeigen, wie tief und gründlich ein Mensch sich selbst zerstören und zerrütten kann. Im Gegenteil, er beschreibt uns denjenigen Menschen, der dem Gesetz Gottes mit Ernst und Aufrichtigkeit dient in redlichem Bemühen. So, wie er uns hier beschrieben ist, ist der Mensch auf der höchsten Höhe moralischer Bildung und Tugend, und es stehen nicht im mindesten alle Menschen in der innern Verfassung, wie sie dieser Abschnitt schildert. Alle die, welche am göttlichen Gebot unredlich handeln, stehen viel tiefer: die Zuchtlosen, die an der Sünde ihre Lust haben und das Gebot verachten, und die Lügner und Heuchler, welche sich das Gebot mit ihrer hochmütigen Einbildung bedecken und verhüllen. Paulus spricht hier nicht umsonst direkt von sich selbst: so bin ich, der ich dem Gesetz mit ganzem Eifer nachjagte; so seid ihr alle, so viele ihr dem göttlichen Gebot in Wahrheit und im Werk untertan sein. wollt. Ein Mensch, der das in sich trägt, was dieser Abschnitt uns beschreibt, wird nach außen hin in aller Ehrenhaftigkeit dastehen, tüchtig und zuverlässig, vieler Tugend wegen lobenswert, gerade wie Paulus in Jerusalem Achtung und Ansehen bei jedermann besaß. Das hindert aber nicht, dass inwendig der geheime Kern seines Lebens aus Elend und Not besteht. Wer mit Paulus sagen kann: ich konnte das Gebot “lass dich nicht gelüsten!“ nicht hören, ohne dass die Lust in mir erwachte, eben die Lust, die das Gesetz verbot; damit aber, dass die Lust erwachte, starb ich, Vers 7-10, der besitzt eine so helle Klarheit und wache Schärfe des Gewissens und steht in einem so durchdringenden Ernst der Selbstbeurteilung, wie sie der Heuchelei und dem Laster niemals eigen sind. Wer sprechen kann: als die Sünde tot war, da lebte ich, und als die Sünde lebendig war, da starb ich; ich und die Sünde können nicht zusammen am Leben sein, entweder muss sie sterben oder ich; nun ist sie lebendig, also bin ich tot, Vers 8-10, der hat sich zur Sünde richtig gestellt und mit runder, ganzer Entschiedenheit ihr die Gemeinschaft aufgesagt und den Krieg angekündigt. Wie hoch steht das über jener Feigheit und Niederträchtigkeit, mit der wir tausendfach die Sünde wohlverträglich finden mit unserm Leben und einen Frieden herzustellen wissen zwischen ihr und uns! Der ist glücklich, der im Blick auf das Böse, welches er vollbringt, sagen kann: ich weiß nicht, was ich tue, ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse; das Gute, das ich will, das tue ich nicht, Vers 15. 19. Es gibt noch eine andere Art zu sündigen, bei der es heißt: ich mag das Gute nicht, sondern das Böse, das ich will, das tue ich. Und glücklich ist der, der mit Paulus sprechen kann: ich stimme dem Gesetze Gottes bei, dass es gut ist; ich habe meine Lust am Gesetz Gottes und freue mich seiner; ich diene mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes, Vers 16. 22. 25. Und wenn nun einer vollends an seiner vernünftigen Einsicht in das Gute und an seiner innern Lust an demselben sich nicht beruhigt und befriedigt, und über den Mangel des Vollbringens sich nicht damit tröstet, dass er ja das Gute wolle; er könne nun einmal nicht mehr erreichen! nein, wer dabei bleibt: das Gute ist nicht nur zum Wissen und Wollen da; es ist nicht nur dazu bestimmt, dass meine Vernunft sein Bild in sich trage und sich daran ergötze, sondern es muss vollbracht sein und wer das Gute nicht vollbringen kann, der ist ein elender Mensch! so ist das eine reine und lautere Gesinnung, auf welcher Würde und Adel ruht; denn es ist Wahrheit in ihr. Gewiss wird uns hier die Macht der Sünde über uns gezeigt, aber die Größe und Tiefe unsrer Sündhaftigkeit tritt nicht nur in der Verkommenheit des Lasters ans Licht, sondern nicht weniger eindringlich und deutlich gerade am hohen und reinen Streben des Menschen, an der Ohnmacht seiner Tugend, an der Nichtigkeit seines guten Willens, an der beständigen Vereitelung seines Bemühens, dem göttlichen Gesetz mit seinem Werk zu dienen. Rein und glücklich ist der Mensch, wie er hier beschrieben ist, doch nur, wenn er mit denen verglichen wird, die der Sünde vollends anheimgefallen sind, aber auch er ist unter die Sünde verkauft und darum ein elender Mann.

Das Gebot ist heilig, gerecht und gut, daran dürfen wir nicht rütteln noch zweifeln. Und dennoch wird es mir beständig zum Anlass zur Sünde. Nicht das Gebot bringt dieselbe in mich hinein, sondern sie ist in mir, aber es weckt sie in mir auf und setzt mein sündiges Begehren in Tätigkeit und Wirksamkeit und bringt dasselbe zur bewussten und darum schuldvollen Äußerung. Ich kannte die Sünde nicht ohne das Gebot, Vers 7; das heißt, sie trat ohne dasselbe nicht in meine Erfahrung und wurde nicht ein bewusstes, persönliches Erlebnis in mir. Erst mit dem Gebot gewann sie die Macht, in den von meinem Wissen durchleuchteten Kern meines Lebens vorzubringen; erst mit dem Gesetz wurde sie aus einem dunkeln Trieb, der mir selbst unbewusst im Grunde meines Wesens lag, eine fertige, von klarem Wissen regierte Tat.

Ein Beispiel mag es verdeutlichen. Ich handle zunächst nach der Regel: dem Freund ein Freund, dem Feind ein Feind, und erweise dem, der mir gefällig war, Freundlichkeit und Gegendienst, doch dem, der mich antastet, vergelte ich's mit kräftigem Hass. Nun werde ich vor Gottes Gebot gestellt, wie es uns Jesus in der Bergpredigt vorgelegt hat, und zwar so, dass es mir nicht verhüllt und unverständlich bleibt als ein Same, der auf den Weg gefallen ist, sondern so, dass es mich innerlich fasst in seiner Wahrheit und Heilsamkeit, und ich den Willen Gottes erkenne, der mich nicht berufen hat, irgend jemand zu verderben oder zu schädigen, sondern zum Träger und Diener der Liebe bestimmt auch für den, der als Feind an mir gehandelt hat. Hat nun das Gebot den Erfolg, dass mein Zorn und Hass in mir verschwindet, erlöscht und vergeht? Nun entbrennt er erst recht und ich rufe dem Gebote zu: lass mich! du trittst mir in den Weg; ihn, der so schwer und schlimm in mein Leben eingegriffen hat, hasse ich und will ich hassen. Aber nun ist der Hass viel giftiger und innerlicher als zuvor; nun halte ich ihn fest auch gegen Gott in direktem Anlauf gegen ihn und bin zum Sünder geworden ganz und gar. So erfüllt es sich einst lebte ich ohne Gesetz, da war die Sünde tot; als aber das Gebot kam, da ward die Sünde lebendig und ich starb.

Oder ich stehe in jener gedankenlosen, leichtsinnigen Gottlosigkeit, die eben einfach nicht an Gott denkt; mein Auge hat noch nie emporgeschaut über diesen irdischen Horizont und mein Ohr noch keinen andern Klang vernommen, als den, mit welchem das Treiben der Menschen. und der Lauf der Natur unser Herz erfüllt. Nun tritt das Gebot vor mich: du sollst den Herrn deinen Gott anbeten und ihm dienen. Es enthüllt mir meinen himmlischen König und ruft mich zur Anbetung vor sein Angesicht. Was geschieht? Kann ich nun beten? Findet nicht das entgegengesetzte statt, dass ich Gott entlaufe und dem Gebot erwidere: ich kann nicht! du nimmst mir meine Ruhe, meinen Frohsinn; ich will dich nicht? Jahre lang kann der Mensch das Bewusstsein in sich tragen: du solltest Gott ehren und ihn suchen, ohne dass er es je zu einem ernstlichen Gebete bringt. Das ist aber eine viel schlimmere Gebetslosigkeit und Entfernung von Gott als jene unbedachte Nichtachtung Gottes, die mit dem Gebote innerlich noch nicht in Berührung kam.

Kommt das Gebot zu uns, so hebt sich in uns ein Aufruhr an; wir empören uns gegen dasselbe und empfangen es mit Protest; wir schelten es schwer und hart und verteidigen uns dagegen; wir halten nur um so zäher und eifriger das fest, was es uns nehmen will. Deshalb werden wir in dem Maße, in welchem sich Gottes Gebot vor uns enthüllt, sündig. Daraus folgt nicht, dass wir uns und andern das Gebot verbergen sollen. Gott hat es vor uns hingestellt und wir dürfen es nicht begraben und verscharren. Seine helfende Weisheit hat es uns geordnet. Die Sünde muss heraus ans Licht und überaus sündig werden durch das Gebot; das ist der Weg zur Heilung für uns. Aber das lehren uns solche inneren Erlebnisse allerdings, dass das Gebot nicht unsere Hilfe ist, dass wir nicht bei ihm stehen bleiben können, dass das Gesetz emporführt über sich selbst hinauf zu dem, der nicht nur gebietet, sondern vergibt und gibt. Wäre das Gebot unsere Hilfe, so müsste man den Menschen dadurch unschuldig machen können, dass man ihm das Gebot aufdeckt. Das Gegenteil davon findet statt: dadurch wird er erst recht schuldig. Die Stunde, in der das Gesetz vor uns tritt, ist die, wo unsre Unschuld endet und für immer verloren ist, nicht aber die, wo unsere Unschuld beginnt.

Worin hat dies seinen Grund? Zwischen mir und dem Gesetz besteht ein wesenhafter Gegensatz und Widerstreit. Das Gesetz ist geistlich, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft, Vers 14.1 Das Gesetz spricht den Willen dessen aus, der Geist ist, und bildet mir eben darum einen Lebenslauf vor, der vom Geist erfüllt und gestaltet ist. Gott sucht sein eigenes Bild in uns, und des Geistes Wille und Gebot zielt auf ein geistliches Wesen. Aber diese erste Voraussetzung, an welcher der ganze Inhalt des Gesetzes hängt, trifft bei uns nicht zu. Unsere Natur ist zum Fleisch entartet, verlassen vom Geist, und verwickelt in das Getriebe ihrer unordentlichen Begier. Ich bin, wenn das Gesetz zu mir kommt, nicht mehr Herr meiner selbst, so dass ich mich demselben unterordnen könnte. Ich habe schon einen Herrn, in dessen Macht ich gegeben bin und der den Charakter meines Wesens bestimmt: ich bin unter die Sünde verkauft. So passt das Gesetz nicht zu mir und stimmt nicht mit meiner Art und meinem Zustand überein. Es verbietet mir, was mir natürlich ist und in der Organisation meiner Seele und meines Leibes tiefe Wurzeln hat. Wie kann ich es anders empfangen als mit Widerspruch?

Weil wir durch das Fleisch an die Sünde gebunden sind, darum erreicht das Gebot sein Ziel nicht in uns. Ich weiß nicht, was ich tue, Vers 15. Tausenderlei in unserem Leben fällt unter dieses Wort. Unzähliges von dem, was wir anrichten, bleibt uns völlig verborgen, so dass wir nachher erstaunt fragen: soll ich das gemacht haben? ist das mein Werk? Was nützt aber Blinden ein Gesetz? Dieses erfordert ein sehendes Auge, damit es seine Anwendung finde im Wirken und Leben. Solche Blindheit zeigt, dass wir nicht Herr sind über uns selbst und uns nicht selbst regieren. Weiß ich nicht, was ich tue, so bin ich getrieben von einer mir fremden Macht und deren Knecht. Diese Dunkelheit ist nicht des Geistes Art; er ist Licht und schaut mit hellem Blick, was er wirkt. Es ist die finstere Umhüllung, die unser Fleisch unserm Wesen gibt, welche macht, dass wir nur tastend durchs Leben gehen.

Wo Blindheit ist, da findet sich auch Ohnmacht. Darum heißt es weiter: ich tue nicht, was ich will, nämlich das Gute, das ich will, das tue ich nicht, Vers 15. 19. Auf der einen Seite stehen unsre Ziele, unsre Vorsätze, das was wir eigentlich erstreben und ausführen wollten, auf der andern Seite das, was wir wirklich ins Werk setzen und vollbringen, und der Unterschied und Abstand zwischen beiden Seiten ist überaus groß. Nur wenig von dem Guten, das wir als Wunsch und Vorsatz in uns tragen, geht auch ein in unser Werk. Die Liebe, die wir Weib und Kind, Freund und Vaterland erzeigen möchten, ist reich und groß; was die andern tatsächlich davon erfahren, das ist schwächlich und gering. Wenn wir unser Wünschen und Verlangen befragen, so wäre unser Gebet mächtig und stark, beständig und innig und unsre Rede stets ein lebendiges Werkzeug der göttlichen Wahrheit und Gnade, so dass wir als Gottes Zeugen ein Licht und Segen wären für alle um uns her. Sehen wir dagegen auf unser Vollbringen, so sinkt das Herz, das wie ein Adler schweben möchte, schwer und matt nach unten und der Zeuge Gottes ist ein stummer, leerer Tor. Ja mehr noch, das Böse, das ich nicht will, das tue ich, Vers 19. Nicht nur bleibt das Gute ohnmächtig eingeschlossen in unser bloßes Wünschen und Verlangen, sondern es treten beständig wieder schlimme Taten, schädliche Wirkungen, bösartige Einflüsse aus uns heraus. Das sind welt-bekannte Wahrheiten, die jedermann an sich erfahren hat und darum niemand ernstlich leugnet, nur dass wir uns an diesen Zwiespalt zwischen unserm Wollen und unserm Lebenswerk gewöhnen und ihn als unvermeidlich und unaufhebbar hinnehmen in stumpfer Resignation, während uns der Apostel die Zerrüttung, die hierin zu Tage tritt, vorhält und uns das Elend einer solchen Gebundenheit unsers guten Willens lebhaft empfinden heißt. Was hilft uns Gebot und Gesetz, wenn es nur ein unfruchtbares Wollen und Wünschen in uns erzeugt, und unsre reelle Lebensgeschichte, den wirklichen Bestand und Verlauf unsers Handelns, nicht erreicht und sich nicht untertan zu machen vermag? So stehen wir in der Tat als unter die Sünde verkaufte Leute da, die ihr dienen müssen, ob wir wollen oder nicht, und es zeigt sich, dass das Gute nicht in uns wohnt, Vers 18, nicht heimisch ist in uns. Es ist uns fern und fremd, und wir suchen es vergeblich bei uns selbst. Über uns wohnt es, und wir finden es nur dadurch, dass wir uns nach oben wenden, wo es seine Heimat hat.

Dieser Zwiespalt, in dem unser ganzes Wesen und Leben steht, hat auch eine tröstliche Seite. Das Gesetz Gottes findet also nicht nur Widerspruch und Abweisung bei uns, vielmehr hat es einen Bundesgenossen in uns selbst. Wir vermögen ihm zuzustimmen und uns an ihm zu freuen, Vers 16. 22; unser „Gemüt“, wie Luther sagt, oder besser unsere Vernunft ist ihm offen und es vermag sich dieselbe zu unterwerfen und hält sie im Dienste Gottes fest, Vers 23. 25. Darin liegt bereits eine Scheidung unsers Ichs von der Sünde, so dass wir sagen dürfen: so tue nicht mehr ich das Böse, sondern die Sünde, die in mir wohnt, tut es, Vers 17. 20; und die traurige Wahrheit, dass nicht das Gute, sondern die Sünde in mir wohnt, darf eine Beschränkung erhalten: in mir das heißt in meinem Fleisch, Vers 18. Das ist das Große, was das Gesetz Gottes erreicht. Es drängt die Sünde wenigstens aus unserm inwendigen Menschen hinaus; es hebt unser Wollen und Wünschen über sie empor und gibt uns die Möglichkeit, von unsrer eignen Sünde uns zu trennen, uns selbst und unser eignes Wirken zu verurteilen, und auf die Seite Gottes zu treten wider uns selbst und wider unser eignes Werk. Dadurch tritt der Gegensatz und Widerstreit, der zwischen uns und dem Gesetz besteht, in uns selbst hinein. Hier steht nun unsere Vernunft, unsere Einsicht in den guten Gotteswillen, unsere Lust an demselben, unsere innere Untertänigkeit unter ihn, unser inwendiger Mensch, der sich mit Gottes Gebot geeinigt hat, und dort steht unser Fleisch, das seine eignen sündigen Wege geht, getrieben von seiner eignen bösen Lust.

Andrerseits offenbart sich jedoch eben in dieser unsrer Zerrissenheit die ganze Macht unsrer Sündhaftigkeit. Die Sünde verschwindet damit nicht, dass wir dem Gesetz Recht geben und es aufnehmen in unsern inwendigen Menschen. Tun wir selbst das Böse nicht mehr, so geschieht es doch in uns und durch uns. Da offenbart sich, dass das Böse als Gesetz mit herrschender Kraft, Vers 21, in uns wirksam ist, und das Gebiet, welches die zwingende Macht 23. der Sünde beherrscht, sind unsre Glieder, Vers 23. Wie blass, verschwommen und schattenhaft ist unsre Lust an Gott und seinem Gesetz verglichen mit dem geringfügigsten, jämmerlichsten Sinnenkitzel! Die Glieder helfen dort nicht mit. Der natürliche, leibliche und seelische Organismus versagt uns für unser inwendiges Leben seinen Dienst. Die Glieder helfen dienstwillig nur dem Begehren, das nach unten geht; hinter dem Trachten aber, das sich nach oben kehrt, bleiben sie zurück. Es ist eben ein Leib des Todes, in dem wir stehen, Vers 24, ein Leib, der sterben muss und nicht in dieser seiner gegenwärtigen Gestalt zum Leben berufen und fähig ist; die. wahren Glieder fehlen uns noch. Was jetzt unserm inwendigen Menschen als Glied und Werkzeug beigegeben ist, das ist durch eine Kluft abgesperrt von dem auf Gott gerichteten Leben und nimmt es nicht in sich auf. Nun sind es aber gerade die Glieder, von denen unser Wirken und Vollbringen abhängig ist. Sie sind die Organe, durch die wir unser Werk ausrichten sollten in der Welt, und weil sie uns ihren Dienst nur widerwillig leisten und oft genug versagen, finden wir das Vollbringen des Guten nicht.

Was soll nun der Schluss sein, zu dem uns solche Selbsterkenntnis führt? Das Gute, das wir wollen, nicht vollbringen können, das ist Elend, Vers 24; ein Gesetz, das uns zur Sünde zwingt, in uns tragen, das ist Jammer; in unserm Wesen zerrissen sein, so dass der inwendige Mensch keine Glieder hat, die ihm helfen, sondern in einem Fleische steckt, das wider ihn ist und dessen Reizungen und Begehrungen verdorben sind, das ist Schmerz und Not. Wir bedürfen des Erretters, des Erlösers, der imstande ist, unsre Natur zu erneuern und den Leib dieses Todes, der zum Reiche Gottes und zum Dienst des Gesetzes nichts taugt, zu verklären ins geistliche Wesen. Das ist die Wirkung, die jede ernste Versenkung in unser eignes Wesen haben muss sie treibt uns hinaus aus uns selbst und lässt uns in uns nicht ruhen. Der Mensch kann sich selber nicht gefallen, in sich selbst nicht bleiben; er muss fragen: wer wird mich erlösen? und wenn diese Frage einmal da ist, so werden wir auch mit Paulus fortfahren: ich danke Gott durch Jesum Christ. Nun ist der Dank da, den Gottes Güte beim Heiden vergebens suchte, weil er seine Gaben hinnimmt und verzehrt und des Gebers nicht achtet, der Dank, den auch der Jude Gott versagte, weil er Gottes Gabe hinnehmen will als den schuldigen Lohn für den Dienst, den er selbst Gott zu leisten meint. Nun ist der Dank da, der Gottes Gabe begierig und freudig ergreift und die Güte Gottes in derselben empfindet und zu schätzen weiß. Aus dem Elend wird derselbe geboren; durch das Gesetz wird er bewirkt, wenn es uns das Auge öffnet und den Menschen sich selbst enthüllt in seiner Ohnmacht und Gebundenheit.

Gilt dieses Lebensbild auch von denen, die an Christum glauben? Gewiss! gerade den an Christus glaubenden hält der Apostel dieses Bild vor, als ihr eignes Bild, das ihnen zeigt, was sie durch sich selber sind. So sind wir alle, sowie wir uns in uns selbst einschließen, aus uns selbst schöpfen und diejenigen Kräfte, die wir bei uns finden, ins Werk setzen. Dann finden wir in unsrer Vernunft das Gesetz Gottes und in unsern Gliedern das Gesetz der Sünde, welches jenes unkräftig macht, und solche Zuwendung zu uns selbst kann darum nur enden im Bewusstsein der Ohnmacht und in der Klage: ich elender Mensch! Aber ebenso gewiss ist, dass dieses Bild uns dazu vorgehalten und der ganze Römerbrief dazu geschrieben ist, damit wir uns nicht an uns selber halten und auf uns selber stehen, sondern uns abkehren von uns selbst und Christum fassen, und mit dem Apostel sprechen: ich danke Gott durch Jesum Christ! das heißt, damit wir glauben. So wie er hier beschrieben ist, ist der Mensch ohne die Gabe Christi; dazu ist uns aber Christus gegeben und darum sind wir berufen ihm zu glauben und seine Gaben zu suchen, damit wir aus dieser Ohnmacht und diesem Elend emporgehoben seien. Der Glaubende steht über der Frage, wer ihn erretten werde, droben; denn er hat den gefunden und erkannt, der ihn vom Leibe dieses Todes erlöst hat.

Der Glaube ist ein lebendiges Empfangen und Schöpfen aus Christi Fülle und ein reelles, kräftiges Teilhaben an dem, was Jesus ist. Wenn wir uns glaubend in der Verbindung mit Christo halten, dann gilt uns das Wort nicht mehr: ich bin fleischlich, sondern das andre Wort: ich war im Fleisch; dann gilt auch nicht mehr: ich bin unter die Sünde verkauft, sondern das andere: ich bin ein Knecht der Gerechtigkeit geworden. Dann fassen wir das Gute nicht mehr nur mit einem gespaltenen Willen, der sich selbst vereitelt und durchkreuzt, sondern die Liebe Christi dringet uns und schafft in uns nicht nur das Wollen, sondern auch das Vollbringen. Aber das alles haben wir nicht als unsern Besitz und unsre Kraft, so dass es in uns gegründet wäre und in uns wurzelte, sondern alles, was über die hier geschilderte Lebensgestalt hinausgeht, ist Glaubensgut; das heißt: es ist darum unser, weil es Christus hat und wir es bei ihm suchen und von ihm empfangen. Nun ist aber Christi Werk für uns zum Teil erst zukünftig, und eben deshalb ist die Lebensgestalt, die wir ohne Christus haben, noch gegenwärtig für uns. Unser Leib bleibt ein Todesleib und im Organismus unsrer Glieder bleibt das Gesetz der Sünde wirksam. Wir sind dem neuen Menschen, Jesus Christus, noch nicht so verbunden, dass wir bei ihm wären, und genießen seine Gemeinschaft noch nicht so, dass wir ihm gleichgestaltet wären auch nach unserer Natur. Eben deshalb finden wir das gute und geistliche Wollen und die Kraft zum Vollbringen nur im Glauben, das heißt nur dadurch, dass wir über uns selbst hinausgreifen und uns bittend und verlangend an Christum halten. Wer aber meint, so aus dem Geiste wiedergeboren zu sein, dass das Gute in ihm selber wohne, so dass er nach seinem eigenen Wesen nicht mehr in der Ohnmacht und im Elend stehe, der täuscht sich selbst.

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