Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - IV. Das Sendschreiben an den Engel in Thyatira.
Offenb. Joh. 2, 18-29.
Und dem Engel der Gemeine zu Thyatira schreibe: Das sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen, und seine Füße gleich wie Messing. Ich weiß deine Werke und deine Liebe und deinen Dienst und deinen Glauben und deine Geduld, und dass du je länger je mehr tust. Aber ich habe ein Kleines wider dich, dass du lässt das Weib Isebel, die da spricht, sie sei eine Prophetin, lehren, und verführen meine Knechte, Hurerei treiben und Götzenopfer essen. Und ich habe ihr Zeit gegeben, dass sie sollte Buße tun für ihre Hurerei; und sie tut nicht Buße. Siehe, Ich werfe sie in ein Bette, und die mit ihr die Ehe gebrochen haben, in große Trübsal, wo sie nicht Buße tun für ihre Werke. Und ihre Kinder will ich zu Tode schlagen. Und sollen erkennen alle Gemeinen, dass Ich bin, der die Nieren und Herzen erforschet; und werde geben einem Jeglichen unter euch nach euren Werken. Euch aber sage ich und den Andern, die zu Thyatira sind, die nicht haben solche Lehre, und die nicht erkannt haben die Tiefen des Satans (als sie sagen): Ich will nicht auf euch werfen eine andere Last. Doch was ihr habt, das haltet, bis dass ich komme. Und wer da überwindet, und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden; und er soll sie weiden mit einer eisernen Rute, und wie eines Töpfers Gefäße soll er sie zerschmeißen, wie ich von meinem Vater empfangen habe; und will ihm geben den Morgenstern. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt. Amen.
Thyatira, eine makedonische Kolonie im nördlichen Lydien, östlich von Pergamus gelegen, existiert noch heute unter dem Namen Akhisar, die weiße Stadt, so genannt wegen der vielen Marmorbrüche im nahen Gebirge. Es wohnen auch einige Christen in Akhisar. Die Ebene, in der die Stadt liegt, ist heutzutage meist mit Mohn bebaut; der Opiumhandel geht hier sehr im Schwange. In der Zeit der Apostel hatte die Stadt einen Namen durch einen edleren Handel; es wurde hier viel Purpurfärberei und Purpurwirkerei getrieben, wie denn von hier jene Purpurkrämerin Lydia war, die Paulus nach Apostelgesch. 16 zu Philippi traf, und die die erste Christin in Europa wurde. Über die Entstehung der Christengemeinde in Thyatira haben wir keine Nachrichten.
Kap. 2, Vers 18. Und dem Engel der Gemeinde zu Thyatira schreibe: Das sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie die Feuerflammen und seine Füße gleichwie Messing. Die feuerflammenden Augen versinnbilden die Allwissenheit des Herrn; seine Füße wie Güldenerz, wie im Ofen weißglühendes Eisen, bedeuten seine Allmacht im Dienste seiner richtenden Gerechtigkeit; sein Gang ist das Verderben seiner Feinde. Beide symbolische Bezeichnungen weisen zurück auf die Erscheinung des Herrn, Kap. 1, 14. 15; der Herr verbindet sie hier mit der nachdrücklichen Eröffnung, dass Er der Sohn Gottes sei. Für den Engel einer Gemeinde, in welcher trotz alles Liebesreichtums und großen Arbeitseifers doch die Schwäche gegenüber den Verkündigern der Fleischesfreiheit noch größer war, als in Pergamus, war das Auftreten des Herrn als des allwissenden und allmächtigen Gottessohnes besonders nötig und erwecklich, eine Mahnung zu heiliger Scheu und aufrichtigem Hass gegen alles, was Christo verhasst ist. Die Bezeichnung Christi als des Sohnes Gottes, die sich in der Apokalypse nur an dieser einzigen Stelle findet, erklärt sich einmal aus dem zweiten Psalm, der den Verheißungen dieses Sendschreibens zu Grunde liegt, und sodann auch möglicherweise daraus, dass die Irrlehrer und Freigeister in Thyatira die Gottessohnschaft des Heilandes geleugnet haben; auch in V. 28 heißt es noch einmal ausdrücklich: „Wie ich von meinem Vater empfangen habe.“ Es ist im ganzen Laufe der Kirchengeschichte immer ein enger Zusammenhang gewesen zwischen dem Libertinismus und der Leugnung der Gottheit Christi, zwischen dem freien Leben nach des Fleisches Art und der Freigeisterei; nur der deutsche Nationalismus des alten Schlages macht davon eine ehrenvolle Ausnahme.
Vers 19. Ich weiß deine Werke und deine Liebe und deinen Dienst und deinen Glauben und deine Geduld und dass du je länger, je mehr tust. Eine glänzende Anerkennung ist es, die diesem Pastor zuteilwird. Seine Werke sind, seine Wirksamkeit ist vielseitig und löblich. Seine Liebe wird in erster Linie anerkannt, Liebesreichtum ist sein besonderer Schatz. Was in Ephesus fehlte, in Thyatira war es in reichem Maße vorhanden, die Liebe zum Herrn und zu den Brüdern; nichts berechtigt, nur die letztere hier zu sehen; Gottes- und Menschenliebe hängen nach der Schrift zu eng zusammen, als dass man den allgemeinen Ausdruck Liebe, wo er zum Lobe gesagt wird, willkürlich begrenzen dürfte. Allerdings aber wird die Liebe des Engels von Thyatira sich nach außen hin besonders durch die Erweisungen der brüderlichen Liebe kenntlich gemacht haben, wie sich das auch aus dem Folgenden ergibt. Denn der Dienst, der weiter als lobenswert hervorgehoben wird, ist die Diakonie, die Handreichung, wie Luther an andere Stellen dies Wort so wundervoll verdeutscht, die liebevolle Dienstleistung gegen alle, vornehmlich gegen die Hilfsbedürftigen und Armen. Der thyatirische Pastor nahm sich der Heiligen Notdurft an, erfüllte mit liebevoller Handreichung den Mangel der Heiligen, dass viele Gott dankten für solchen seinen treuen Dienst. Und solcher Dienst und solche Liebe entsprang aus seinem Glauben; er war auch in der Orthodoxie tadellos, er glaubte von Herzen und bekannte mit dem Munde, dass in keinem Andern Heil sei, außer allein in Jesu Christo; er liebte und diente, weil er glaubte, weil er ein gläubiger Mann war. Philanthropische Prediger ohne Gläubigkeit dürfen sich auf den Engel von Thyatira nicht berufen; seine Liebe war gläubige Liebe; seine Handreichung kam aus glaubensvollem Herzen. Und weil er die Liebe des Glaubens hatte und übte, so war er auch ein geduldiger, ausharrender Mann. Die Geduld ist hier wohl weniger von dem Stillehalten unter äußeren Leiden zu verstehen; denn wenn es auch in Thyatira an Anfechtung seitens der feindseligen Welt nicht gefehlt haben wird, so wird doch ihrer in diesen Sendschreiben nicht die geringste Erwähnung getan; sondern es ist hier vielmehr an die Ausdauer im Glauben und vornehmlich in den Werken der Liebe zu denken, eine Ausdauer, die wieder die Grundlage dafür bietet, dass der Engel von Thyatira je länger, je mehr tut, wörtlich, dass seine letzten Werke mehr sind als seine ersten, dass der Engel statt irgendwie nachzulassen in Liebesdiensten, in denselben vielmehr fortschreitet nach der Regel: Du, mein Jesu, bist es wert, dass man Dich im Staube ehrt und sich in Deinem Dienst verzehrt. Fürwahr eine Anerkennung seitens des Herrn, wie sie selten einem Diener zu teil geworden ist! Ein Geistlicher, dem auf seinen Leichenstein der Spruch Offenb. Joh. 2, 19 geschrieben werden kann, ist ein Großer in Israel. Viele Ausleger haben sich wegen des Tadels, den der Engel von Thyatira kurz darauf erhält, in dies überschwängliche Lob nicht finden können und daher dieses Lob irgendwie abschwächen zu müssen gemeint. Da finden es die Einen sehr bedenklich, dass die Liebe des Engels zuerst gelobt wird und hinterher erst sein Glaube; man merke, es werde eine große Werktätigkeit beschrieben, die den Grundpfeiler alles Heils „der Gerechte wird seines Glaubens leben“ so leicht verdunkele, dass auch der Irrtum offen hervortreten und eine Macht gewinnen könne, wenn er nur den Werken huldige. Aber was müsste man dann aus 1. Kor. 13 erst Alles merken, wo Paulus die Liebe lobt, die größer sei als der Glaube; da würde ja am Ende Paulus zum Apostel der Werkgerechtigkeit degradiert werden müssen. Der neueste theologische Ausleger der Offenbarung Johannis trägt auf viel geistreichere Weise in das Lob unseres Verses den Tadel hinein. Die Anerkennung häufe die Bezeichnungen des Guten an diesem Bischof und lasse dadurch, sowie durch das „je länger, je mehr“ ahnen, dass es sich mehr um einen Mann und eine Gemeinde mit quantitativen Leistungen handele, als um innerlich ausgereifte Christen. Mit dem „je länger, je mehr“ sei nicht gemeint intensives Wachstum an Tüchtigkeit, sondern extensive Zunahme, Steigerung des Quantums der Leistungen. Gerade mit solchem mehr in die Breite und Weite gehenden Christentum verbinde sich, was in der Folge getadelt und mit Gericht bedroht werde, am leichtesten, ein gewisses Auge zudrücken zu sittlichen, aber unter dem Deckel religiöser Gnosis und desgleichen auftretenden Laxheiten1). Aber wie kann man aus der Plerophorie des Lobes so tadelnde Bemerkungen herauslesen?
Ist nicht eine ähnliche Plerophorie2) des Lobes im Sendschreiben an den Engel von Ephesus V. 2 u. 3 vorhanden, ohne dass es bis jetzt jemand in den Sinn gekommen wäre, in diesem Lobe die Vorbereitung des Tadels zu finden: Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt!? Es ist das wohl pharisäische und herodianische Art, geheimen Tadel unter öffentlich gehäuftem Lobe zu verhüllen, z. B. Matth. 22, 16: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrest den Weg Gottes recht und fragest nach niemand, denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen,“ aber Christi Art ist das nimmer und ist das nimmer gewesen. Der Herr lobt den thyatirischen Pastor wegen seiner Werke, seiner Liebe, seines Dienstes, seines Glaubens, seiner Geduld, seines Fortschritts ehrlich und ohne Ironie; und ebenso ehrlich und ohne Ironie tadelt er ihn dann wegen dessen, was er wider ihn hat, in herzlicher Liebe seine Schäden ebenso offen legend, als zuvor seine gesunden Lebensäußerungen.
Vers 20, 21. Aber ich habe ein Kleines wider dich, dass du lässt das Weib Isabel, die da spricht, sie sei eine Prophetin, lehren und verführen meine Knechte, Hurerei treiben und Götzenopfer essen; und ich habe ihr Zeit gegeben, dass sie sollte Buße tun für ihre Hurerei und sie tut nicht Buße. „Ein Kleines“, das ist hier zu streichen; keine der ältesten Handschriften hat hier diesen Ausdruck. Es ist eben nicht ein Kleines, das der Herr wider diesen Engel hat, sondern ein Großes. Er lässt das Weib Isabel lehren das ist doch viel mehr, als was der Herr an dem Engel von Pergamus tadelt: Du hast, die an der Lehre Bileams halten. Dass man Irrlehrer hat in der Gemeinde, ist ja übel genug, aber man kann vielleicht nicht viel dafür; dass man sie lehren lässt, ist eine Verschuldung, eine Pflichtversäumnis; denn wenn sie in der Gemeinde öffentlich unwiderlegt und ungestraft ihre Irrtümer lehren, so ist der Pastor nicht wachsam, nicht eifrig genug, sondern lässt in Schlaffheit Alles gehen, wie es geht. Es ist ja in höchstem Grade verwunderlich, dass bei dem obersten Leiter der Gemeinde von Thyatira mit so großen Vorzügen des Glaubens und der Liebe eine tadelnswerte Schlaffheit gegen die Irrlehrer verbunden war; aber das Menschenherz ist eben ein unergründliches Ding. Wer ist das Weib Isabel? Man denkt an ein wirkliches Weib, das entweder Isabel geheißen oder wegen seiner Ähnlichkeit mit der alttestamentlichen Isabel als „zweite Isabel“ hingestellt werde; ja man macht nach der Lesart: „Du lässt dein Weib Isabel“ dieses Weib gar zur Ehefrau des Gemeindevorstehers, die, wie Ahabs Weib, statt mit gutem Beispiel voranzugehen, die Glieder der Gemeinde zur Hurerei und Abgötterei verführte, indem sie sich als Prophetin und ihre Grundsätze als tiefe Weisheit ausgab. Allein dass wirklich ein solches Weib und obendrein noch gar das Weib des Pastors in Thyatira die Leute zur Unzucht verführt und der Pastor dem ruhig zugesehen habe, streitet denn doch zu krass gegen das Lob, das ihm gespendet ist. Der Ausdruck das Weib Isabel ist vielmehr gerade so wie die Ausdrücke: Lehre Bileams, Nikolaiten, symbolisch zu deuten, freilich nicht auf die jüdische Synagoge in Thyatira, auch nicht auf irgendein unbekanntes „weibliches Verführungselement“, sondern auf die Gemeinschaft der Irrlehrer. Das Verhalten und Verhältnis des Engels zu den Irrlehrern hat sein sehr übles Vorbild in dem Verhalten des Königs Ahab gegen Isabel, die Tochter des sidonischen Königs Ethbael. Wie Ahab in schlaffer Nachgiebigkeit die Isabel schalten und walten ließ, so dass sie mit ihrem Götzendienst das Land erfüllte und sich die treuen Jehovaverehrer in die Verborgenheit zurückziehen mussten, so übte der Engel von Thyatira eine falsche, fleischliche Nachsicht gegen die Verführer in der Gemeinde, eine Nachsicht, durch welche die Verführer zur herrschenden Partei in der Gemeinde erstarken und die Gemeinde an den Rand des Verderbens bringen mussten. Die Sünden, zu denen die Irrlehrer in Thyatira verführen, sind dieselben, die im Sendschreiben an Pergamus von den Anhängern der Lehre Bileams, der Nikolaiten, ausgesagt werden, Hurerei treiben und Götzenopfer essen. Aber während Ephesus die Werke der Nikolaiten haste; Pergamus solche hatte, die an der Lehre der Nikolaiten hielten, so bilden die Nikolaiten in Thyatira eine mächtige Partei, die ungescheut ihr Wesen treibt. Es heißt von dem Weibe Isabel, sie nenne sich eine Prophetin. Der 24. Vers zeigt, was es mit dieser Bezeichnung auf sich hat. Die Nikolaiten in Thyatira schrieben sich eine besondere Tiefe der Erkenntnis zu in Beziehung auf die Rätsel des Satans, des Bösen, über die sie besondere Inspirationen Gottes empfangen zu haben vorgaben. Wir finden also in Thyatira die Keime der falschen Gnosis im Bunde mit fleischlicher Lebensrichtung. Die Hurerei ist zugleich im eigentlichen und im bildlichen Sinne zu nehmen, in letzterem insofern, als die Gemeinde eine Braut Christi ist, die durch den Abfall vom Evangelio und die Hinwendung zur Irrlehre ihm die gelobte Treue schmählich bricht Der Herr hat in großer Langmut dem Weibe Zeit gegeben, dass sie sollte Buße tun. Die Irrlehrer hatten in Thyatira ihr Unwesen schon längere Zeit getrieben, ohne dass göttliche Strafgerichte hereingebrochen wären, aber was nach des Herrn gnädigem Willen ihnen eine Frist zur Reue und Umkehr sein sollte, wurde von ihnen als günstige Zeit, immer mehr Anhang und Einfluss zu gewinnen, missbraucht. Isabel tut nicht Buße; je länger ihre freche Lehre und ihr Sündendienst ungestraft bleiben, desto sicherer und verstockter wird sie. So reist sie dem Gericht entgegen, das unausbleiblich ist. Mit Feuer wird gesalzen, was milde Zucht verschmäht, und was den Tau verachtet, mit Flammen übersät.
Vers 22. 23. Siehe, ich werfe sie in ein Bette und die mit ihr die Ehe gebrochen haben, in große Trübsal, wo sie nicht Buße tun für ihre Werke, und ihre Kinder will ich zu Tode schlagen; und sollen erkennen alle Gemeinen, dass ich bin, der die Nieren und Herzen erforscht und werde geben einem jeglichen unter euch nach seinen Werken. Auch bei der bitterernsten Strafandrohung doch noch einmal der gnädige Ruf zur Buße. Nur wo sie nicht Buße tun für ihre Werke, soll das zermalmende Gericht eintreten; der Herr will es nicht eintreten lassen, wenn Verführer und Verführte bei Anhörung dieses Sendschreibens noch in sich schlagen; und dass sie es tun möchten, dazu lässt der Herr durch den Engel von Thyatira dies Sendschreiben verlesen und verbreiten.
„Wo sie nicht Buße tun“ - es ist so viel als: „Angesichts dieses tut schleunigst Buße, sonst bricht das Gericht herein.“ Das Gericht wird bildlich so bezeichnet, dass das Ehebruchsbette zum Krankenbette werden soll. Das Gericht soll Trübsal und Angst bringen über die Prophetin und die mit ihr die Ehe gebrochen haben, und Tod über ihre Kinder; Verführer und Verführte werden dasselbe Schicksal haben; es ist ein Hinwegraffen in das letzte Gericht, aus dem eine Erlösung nicht mehr stattfindet. Solche Gerichtsoffenbarung aber über das falsche Prophetentum der Isabel soll allen Gemeinden, nicht nur den kleinasiatischen, sondern der ganzen Kirche zeigen, dass der allwissende, das Innerste des Herzens erforschende Richter der gerechten Rache mit Schärfe wieder einholt, was er mit Langmut sich gesäumt, und dass niemand ungestraft seine Gnade zum Deckel der Bosheit machen darf. In der Lebhaftigkeit der Strafandrohung redet der Herr schließlich direkt zu den Strafbaren und sagt: „Ich werde euch geben einem jeden nach seinen Werken. Ihr habt jeder für sich die Gnade auf Mutwillen gezogen; so gehe es denn nach euren Werken und empfange ein jeder, was seine Taten wert sind, Schrecken, Angst und Tod.“
Vers 24. Euch aber sage ich und den andern, die zu Thyatira sind, die nicht haben solche Lehre und die nicht erkannt haben die Tiefe des Satans, als sie sagen: Ich will nicht auf euch werfen eine andere Last. Die Anrede an die Verstockten ist geschlossen; die Gerichtsandrohung für Isabel ist zu Ende. Der Herr wendet sich wieder zu dem Engel der Gemeinde und seinen Mitdienern am Wort und an die treuen Gemeindeglieder, die nicht haben solche Lehre, die sich von der Befleckung des Isabelwesens frei gehalten haben und mit der Erkenntnis der Tiefen des Satans nichts zu tun haben wollen. Die Tiefen des Satans, mit deren Erkenntnis die Irrlehrer sich brüsteten, sind nicht etwa angebliche Gottheitstiefen oder Lebenstiefen, in die die nikolaitischen Lehrer eingedrungen zu sein vorgaben, und die von den Treugebliebenen aus Abscheu und in sarkastischer Weise als Tiefen des Satans gebrandmarkt worden wären, sondern von den Irrlehrern selbst sogenannte Tiefen des Satans, die Geheimnisse des Ursprungs des Bösen, für die sie den rechten Schlüssel gefunden zu haben behaupteten, der sich dann im praktischen Leben zu dem teuflischen Grundsatz gestaltete, dass dem Christen nichts Böses schade, dass der Genuss der fleischlichen Lust ihn ebenso wenig verunreinige, als der Ozean verunreinigt werde, wenn man etwas Schmutziges in ihn hineingieße. Den wenigen, die in Thyatira sich den Einflüssen der Irrlehrer entzogen hatten, wird der Trost gegeben: Ich will nicht auf euch werfen eine andere Last. Die andere Last könnte die Last der anderen, d. i. das Gericht über Isabel sein; dann wäre der Sinn, dass der Herr das Los des Getreuen geschieden halten wird von dem Los der Verworfenen, dass das Gericht über die Irrlehrer und die Verführten an ihnen gnädig vorübergehen wird. Die andere Last kann aber auch gedeutet werden als die Last, die noch über den selbstverständlichen Anteil der Gläubigen an der über die Gottlosen ergehenden Gerichtsheimsuchung hinausgehe; dann wäre der Sinn, dass der Herr außer den Schrecken, die sein Gericht auch über die Frommen bringt, ihnen nichts weiter antun wolle. Gänzlich verfehlt ist die Deutung der anderen Last auf ein anderes Gebot, wonach der Sinn wäre: Einen andern Befehl gebe ich euch nicht, als den von Vers 25 „was ihr habt, das haltet.“
Vers 25. Doch was ihr habt, das haltet, bis dass ich komme. Wenn diejenigen, die sich bisher von dem nikolaitischen Wesen unverworren gehalten haben und deswegen bei der Androhung der Strafgerichte über die Gemeinde mit dem Troste des Herrn bedacht werden, diesen Trost sich bis ans Ende bewahren wollen, so müssen sie auch ihrerseits bis an das Ende behalten, bewahren, was sie haben, nämlich was sie dem Herrn Wohlgefälliges haben und was der Herr an dem Engel Vers 19 so glänzend belobt hatte, ihre Liebe, ihren Glauben, ihren Dienst, ihre Geduld und ihren Fortschritt. Auch der Engel von Philadelphia wird Kap. 3, Vers 11 ermahnt zu halten, was er hat, nämlich das Kleinod seiner Glaubenstreue. Ihren Christenstand sollen die Gläubiger von Thyatira halten, bis dass der Herr kommt, das heißt bis ans Ende (Vers 26).
Vers 26. Und wer da überwindet und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden. Der Überwinder wird hier dargestellt als der, der Christi Werke bis ans Ende hält, der bis ans Ende tut, was Christus gebietet. Christi Werke sind, so sagt der ehrwürdige Bengel sehr zutreffend, diejenigen Werke, die ein Knecht Christi, ja Christus selber durch einen solchen Knecht wirket, in großen und kleinen Dingen, sie haben an sich selber einen heiligen Namen oder nicht. Wer in Christo lebt und webt und bis ans Ende wirkt, soll teilhaben an der Macht, die Christus selber von seinem Vater empfangen hat, in der Erfüllung der Weissagung von Psalm 2,8.9, welche Stelle der Darstellung in diesem und dem folgenden Verse zu Grunde liegt. Dem Glauben ist der Sieg zugesagt über die Macht des Heidentums; wie Christus selber siegen wird und muss über alle seine Feinde, so werden diejenigen, die sich treu zur Fahne Christi halten, mit ihm siegen über alles, was dem Glauben widerstrebt.
Vers 27. Und er soll sie weiden mit einer eisernen Rute und wie eines Töpfers Gefäß soll er sie zerschmeißen. So war es auf Christum in scharfen alttestamentlichen Ausdrücken zuvor gesagt; wie das härteste Metall zerbrechliche irdene Gefäße mit Leichtigkeit zerschlägt, so überwindet die Herrschaft des Sohnes Gottes den Widerstand der ganzen Welt. An dieser Überwindungskraft nehmen Teil, die an den Herrn glauben und im Glauben mit ihm gegen eine ganze Welt kämpfen. Die Welt ist mit aller ihrer Macht nur ein tönernes Gefäß vor dem, welchen der Geist Gottes treibt. Und wenn die Welt voll Teufel wär' und wollt' uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es muss uns doch gelingen. Der zweite Psalm ist immer für die Streiter des Herrn eine mächtige Glaubensstärkung gewesen; schon das erste christliche Gemeindegebet, welches wir kennen, Apostelgesch. 4, 24-30, stützt sich auf diesen Psalm; Paulus in seiner Predigt im pisidischen Antiochien beruft sich auf ihn Apostelgesch. 13,33; in der Epistel an die Hebräer wird er zweimal zitiert 1,5 und 5, 5.
Vers 28. Wie ich von meinem Vater empfangen habe und will ihm geben den Morgenstern. Die Macht, die der überwindende Christ empfängt, ist nur ein Ausfluss der Macht, die Christus empfangen hat vom Vater. Die Macht, die Christus empfangen hat, behält er nicht für sich, sondern teilt sie seinen Gläubigen mit, so dass sich glänzend erfüllt, was beim Propheten Daniel 7, 27 verheißen ist: Das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten gegeben werden, des Reich ewig ist, und alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen. Was ist der Morgenstern, den der Herr schließlich dem Überwinder geben will? Im letzten Kapitel der Offenbarung (22, 16) sagt der Herr von sich selbst: Ich bin der helle Morgenstern ich bin der, der den Tag des ewigen Heils und Lebens heraufführt. Aber es ist doch eine zu enge Auslegung, wenn man hier versteht: Ich will dem Überwinder mich selber geben. Vielmehr sind zum Verständnis des auffälligen Ausdrucks an unsrer Stelle solche Bibelworte herbeizuziehen, in denen gesagt ist, dass die Gerechten leuchten werden wie die Sonne in ihres Vaters Reich (Matth. 13, 43), dass die Lehrer leuchten werden, wie des Himmels Glanz und die so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich. (Daniel 12, 3.) Der Morgenstern ist hier einfach ein Bild für die himmlische Herrlichkeit der Verklärten, aber nicht ein Bild für die lebendige Hoffnung und Gewissheit des endlichen Sieges; denn die überwunden und den Siegespreis empfangen haben, brauchen nicht mehr auf den endlichen Sieg zu hoffen, sondern leben im Genusse desselben.
Vers 29. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt. In diesem und den drei folgenden Sendschreiben folgt die Mahnung zur Aufmerksamkeit der Verheißung, während sie in den drei ersten Sendschreiben voranstand. Die Mahnung kehrt in allen Sendschreiben wieder, weil die Sendschreiben allen Christen gelten, aber nicht alle das rechte Gehör dazu haben. Der Herr, der es fordert, gibt es auch.
Der Engel von Thyatira ist ein Held in der Liebe und im Dienste an der Gemeinde, aber auch ein Held hat seine Ferse; und seine Achillesferse ist die Sorglosigkeit gegenüber dem wuchernden Unkraut der Irrlehre in der Gemeinde. Pastoren, denen die innere Mission, dieses gottgesegnete Werk des Herrn, über Alles geht und die niemanden und nichts aufgeben, sondern für Alle und Alles in Liebe entbrennen, sollen in dem Bilde des Engels von Thyatira den Fehler erkennen, der ihrer Tugend so leicht sich gesellt. Es kann bei aller gläubigen Vielgeschäftigkeit für die Armen und Elenden der Gemeinde, wenn in derselben grundstürzende Irrtümer auftauchen, die zu bekämpfen man sich keine Zeit lässt, leicht dazu kommen, dass der Pastor mit einem kleinen Gefolge isoliert bleibt und die große Mehrheit der Gemeinde das Regiment oder wenigstens allen Einfluss an sich reißt. Es sind dann Katastrophen, bei denen es sich um Sein oder Nichtsein der Gemeinde handelt, unvermeidlich. Es gilt, und in unsrer Zeit gilt es doppelt, eifersüchtig über den Grenzen der Lehrfreiheit zu wachen; wo die Freiheit zur Frechheit wird, gilt es energische Abwehr. Die Gemeinde Jesu Christi darf nicht zum Tummelplatz der Freigeister werden. Dem Aufrichtigen lässt es Gott gelingen; und wer aufrichtig seine Schwachheit bereut, dem wird der Herr auch die Energie des Glaubens schenken, die auch vor einem Schnitt nicht zurückbebt, wenn die Wunde nicht anders zu heilen ist.