Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Einleitung.

Quandt, Emil - Sacharjas Nachtgesichte und Morgenklänge - Einleitung.

„Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten auferstände“, so lauten die bekannten Worte, mit denen die Erzählung des Herrn vom reichen Mann und armen Lazarus schließt. Wir glauben an den Einen, großen, von den Toten auferstandenen Mittler Christus Jesus, hören wir nun auch Mosen und die Propheten? Dass, die an Jesum Christum, den Gekreuzigten und Auferstandenen gläubig geworden und gläubig geblieben sind, überhaupt die Schrift lesen, versteht sich ja von selbst; der Glaube kommt ja aus der Schrift und wird nur erhalten durch die Schrift. Aber wie kümmerlich ist doch meist das einsame sowohl, als das gemeinsame Bibellesen der Gläubigen heutzutage, und wie kommt namentlich bei den meisten Bibellesern unsrer Zeit das alte Testament leider so sehr zu kurz! Wie Wenige unter den Christen dieser Tage gleichen jenem gottseligen Kämmerer aus Mohrenland, der auf seinem Wagen sitzend den Propheten Jesaias las, und wie Wenige von denen, die heutzutage noch den Propheten Jesaias lesen, versenken sich in die andern Propheten, namentlich in die genannten kleinen Propheten, die doch so groß sind, dass an ihre Größe auch die größten Geister dieser Tage nicht von ferne hinanreichen?

Es ist wahr, die kleinen Propheten bieten vielfach große Schwierigkeiten für das Verständnis. Es gilt von ihnen, was Petrus von den Episteln seines Mitapostels Paulus sagt, dass etliche Dinge in denselben schwer zu verstehen seien, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen. Man muss einige Bekanntschaft haben mit den Zeitverhältnissen und Volkszuständen, in denen die Propheten lebten; man muss sich in das Wesen der biblischen Weissagung versenken; man muss genau auf den Zusammenhang achten, ein Wort mit dem andern vergleichen, neue Prophetenworte mit alten Prophetenworten: nur so kann man unter Anflehung des heiligen Geistes in das Verständnis der prophetischen Bücher eindringen. Zwar auch dann noch nicht in das volle Verständnis; Stückwerk bleibt ja alle Erkenntnis hienieden, und erst droben wird uns jede Bibelzeile in vollem Lichte blitzen. Aber so viel der Herr gläubigen Bibellesern, welche die Mühe des Sinnens und Bedenkens nicht scheuen, schon hier aus den Propheten an geistlicher Gabe schenkt, das wiegt wahrlich das bisschen Mühe weit auf; gelehrigen und ernsten Christen bietet wie die ganze Schrift, so auch die prophetische Schrift viel Himmelsbrot für die hungrige Seele, viel Lebenswasser für das dürstende Gemüt.

Eine Handreichung für das Sinnen und Bedenken der Weissagungen Sacharjas möchte dieses Büchlein bieten. Von allen kleinen Propheten ist Sacharja der geheimnisreichste. Von Juden ist es oft behauptet worden, dieser Prophet sei unerklärlich. Über dies jüdische Urteil dürfen wir uns nicht wundern; Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist der Schlüssel der heiligen Schriften; wer ihn nicht hat, dem hängt selbst klaren Zeugnissen der Bibel gegenüber eine Decke vor dem Angesicht, wie vielmehr muss ihm unklar bleiben, was in der Schrift tiefsinnig und in Rätseln ausgedrückt wird! Aber auch für diejenigen, die Christo anhängen und seines Geistes sich erfreuen, bedarf es einer ganz entschiedenen Abwendung von aller Ungelehrigkeit und Leichtfertigkeit und einer ganz entschiedenen, sowohl mutigen, als demütigen Hingabe an den Geist des Herrn, der in alle Wahrheit leitet, wenn sie einigermaßen in das glaubensvolle Verständnis des Propheten Sacharja eindringen wollen. Um so weniger werden daher Fingerzeige zum glaubensvollen Verständnis Sacharjas überflüssig sein.

Es ist aber auch der Prophet Sacharja unter allen kleinen Propheten es ganz besonders wert, dass wir ihn hören. Denn wie unter hochgeborenen Fürsten ein mächtiger König, so steht er unter ihnen da. Luther sagt von ihm: „Dieser Prophet ist nach dem babylonischen Gefängnis gewesen und hat samt seinem Gesellen Haggai Jerusalem und den Tempel helfen wieder bauen und das zerstreute Volk wieder zusammen bringen, auf dass wiederum ein Regiment und Ordnung im Land angerichtet würde. Und ist fürwahr der allertröstlichsten Propheten einer, denn er viel liebliche und tröstliche Geschichte vorbringt und viel süße und freundliche Worte gibt, damit er das betrübte und zerstreute Volk tröste und stärke.“ - Was uns den Propheten Sacharja so überaus bedeutend macht, ist, dass er Christum predigt in einem Maß, wie keiner der andern kleinen Propheten. Denn nicht nur im Allgemeinen weissagt er den Anbruch der messianischen Zeit für die Übrigen aus Israel, sondern er malt auch den kommenden Messias vor Augen als Zions König in niederen Hüllen, reitend auf einer lastbaren Eselin Füllen, wie er als ein Gerechter und ein Helfer seinem armen Volk Frieden bringen und seine Herrschaft von einem Meer bis an das andere ausdehnen werde 9,9.10; er weissagt auch, dass Israel seinen Messias verwerfen und töten werde; er kündigt eine Zeit namenlosen Elends für das Volk an, das seinen Heiland verwirft 11,15-17; 13,7-9; er weiß aber auch von einem göttlichen Erbarmen zu sagen, das über den Rest des unglücklichen Volkes den Geist der Gnade und des Gebetes ausgießt und ihm Errettung gibt in Christo 12,10-13; 13,9-14,21. Nur noch der Prophet Jesaias hat eine solche Fülle messianischer Verkündigung, wie sie Sacharia hat; und Sacharia ist ebenso wie Jesaias „ein Evangelist im Prophetenmantel.“

Man hat freilich den Mantel des Propheten Sacharja zu zerschneiden versucht. Man hat zwischen den acht ersten und zwischen den sechs letzten Kapiteln eine so große Verschiedenheit der Sprache, der Anschauung, des Inhalte finden wollen, dass man nur die ersten Kapitel dem Propheten Sacharja, die letzteren aber einem viel älteren Propheten, sei es dem Jeremias oder irgend einem unbekannten, zugeschrieben hat. Allein von den Schriftauslegern, die sich dieser Annahme hingegeben haben, hat noch keiner irgendwie zur Genüge zu erklären vermocht, wie denn doch die Sammler der prophetischen Schriften, die das Buch der kleinen Propheten, wie allgemein zugegeben ist, bald nach der Zeit Sacharjas, abschlossen, auf den bedenklichen Einfall gekommen wären, die letzten Stücke mit dem Namen Sacharjas zu schmücken. Dagegen lässt sich der Unterschied, der unleugbar zwischen den acht ersten und den sechs letzten Kapiteln vorhanden ist, sehr wohl bei dem Festhalten an einem und demselben Verfasser erklären; der Prophet redet im letzten Teil seines Buches darum anders, weil er einmal um viele Jahre älter geworden ist und sodann sich in andrer, nämlich hochbegeisterter, dichterischer Stimmung befindet. Salomo z. B. redet auch anders in den Sprüchen und anders im Hohenlied und bleibt doch derselbe; ebenso sind das Evangelium Johannis und die Offenbarung Johannis sehr verschieden nach Inhalt und Form und haben doch denselben Verfasser.

Will man den Gesamtinhalt des prophetischen Buches Sacharja in einen Satz zusammenfassen, so lässt sich sagen: er weissagt von der Wiederaufrichtung des Reiches Israel in ihrer Vorbereitung und in ihren Zusammenhang. Sehr deutlich zerlegt sich das Buch in drei Hauptteile. Der erste Hauptteil umfasst die 6 ersten Kapitel; sie enthalten die Nachtgesichte Sacharjas, Gesichte voll Trost und Heil für das gedrückte Israel aller Zeiten. Der zweite Hauptteil umfasst das siebente und achte Kapitel und enthält eine Zwischenrede an das Volk als Antwort auf die Frage, ob es Zeit sei, die Trauer- und Fasttage wegen der göttlichen Strafgerichte abzuschaffen. Der dritte Hauptteil geht vom Anfang des neunten Kapitels bis zum Schluss und ist ein doppelter prophetischer Hochgesang vom messianischen Heil.

Auch eine zweiteilige Gliederung unseres prophetischen Buches ist haltbar, nämlich also: 1) Kap. 1-8. Das leidende und das triumphierende Messiasreich. 2) Kap. 9-14. Der leidende und triumphierende Messias. Nach der Form, in welcher die Weissagungen auftreten, teilen sie sich in Nachtgesichte und Morgenklänge.

Wir schließen uns in der Auslegung selbst der gewöhnlichen Kapiteleinteilung an, wie wir sie in unsrer deutschen Bibel haben, und betrachten

  1. Kap. 1. Die Antrittspredigt des Propheten und seine zwei ersten Gesichte von dem Engel unter den Myrthen und von den vier Hörnern und den vier Schmieden.
  2. Kap. 2. Das dritte Gesicht des Propheten von dem Mann mit der Messschnur und dem Engel des Herrn, der aus Jerusalem kommt.
  3. Kap. 3. Das vierte Gesicht des Propheten von der Weihe des Hohenpriesters Josua.
  4. Kap. 4. Das fünfte Gesicht des Propheten von dem goldenen Leuchter und den zwei Ölbäumen.
  5. Kap. 5. Das sechste und siebente Gesicht des Propheten von der fliegenden Rolle und von dem Weib im Maß.
  6. Kap. 6. Das achte Gesicht des Propheten von den Wagen und Rossen und der Auftrag, den er erhält, den Hohepriester Josua zu krönen.
  7. Kap. 7. Des Propheten Antwort auf die Anfrage der Gemeinde von Bethel wegen der Fasten, erste Hälfte.
  8. Kap. 8. Des Propheten Antwort auf die Anfrage der Gemeinde von Bethel wegen der Fasten, zweite Hälfte.
  9. Kap. 9. Siehe dein König kommt zu dir.
  10. Kap. 10. Das Heil kommt von den Juden.
  11. Kap. 11. Wehe euch, verblendete Leiter.
  12. Kap. 12. Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben.
  13. Kap. 13. Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.
  14. Kap. 14. Um den Abend wird es Licht sein.

Der Herr, unser Gott, lege seinen Segen auf unsre Betrachtung dieser vierzehn Kapitel und lehre uns, wie herrlich ist die neue Welt, die Gott den Frommen vorbehält. Ihm und dem Worte seiner Gnade sei dieses Büchlein, sowie Jeder, dem es in die Hände fällt, herzlich befohlen. In Jesu Namen. Amen.

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autoren/q/quandt/sacharia/einleitung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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