Quandt, Emil - Gethsemane und Golgatha - 4. Das Gebet von Gethsemane.
Ev. Matth. 26,39-44
Und ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir: doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petro: „Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Zum andern Mal ging er aber hin, betete und sprach: „Mein Vater, ist es nicht möglich, dass dieser Kelch von mir gehe, ich trinke ihn denn; so geschehe dein Wille.“ Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voll Schlafs. Und er ließ sie und ging abermals hin und betete zum dritten Mal und redete dieselben Worte.
Zum vierten Male begegnen wir uns heute im Garten Gethsemane, ihr Lieben. Wir wissen in diesem Garten nun schon einigermaßen Bescheid mit einander. Wir haben uns orientiert über seine Örtlichkeit; wir wissen, dass wir uns hier in einem Tal befinden, wo Jesus Christus die Kelter allein tritt, in einem Garten, in dem der zweite Adam wieder gut macht, was im Garten Eden der erste Adam schlecht gemacht, in einem Asyle, in welches unser Heiland sich zu allerletzt noch einmal zurückzog, bevor er für die Welt am Kreuzesstamme starb. Wir haben uns mit einander vertieft in die Stunde von Gethsemane und haben erkannt, dass sie des Mittlers längste, des Mittlers bängste Stunde war. Wir haben uns dann auch den Kelch von Gethsemane von allen Seiten besehen und wir haben als Inschrift dieses Kelches die Worte entziffert: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Ich meine, ihr habt es wohl Alle zuvor erraten, was nun heute bei unserm vierten Besuch des Ölbergsgartens den Brennpunkt unserer Andacht bilden muss, ja ich weiß, dass einige von euch gerade der heutigen Passionsandacht mit besonders verlangendem Herzen entgegenkommen. Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst dieser Seufzer Christi soll uns heute beschäftigen; wir betrachten heute mit einander das Gebet von Gethsemane.
Es ist nicht unseres Herrn erstes Gebet. Sein erstes Gebet hat der Heiland der Welt als Kind auf Marias Schoß gebetet- gebenedeite Magd des Herrn, die den Sohn Gottes die Hände falten, die Knie beugen lassen durfte; herrlicher Tag der Weltgeschichte, da das Kind von Bethlehem zum ersten Mal in Menschensprache lallte: Abba, lieber Vater! Aber die Geschichte von dem ersten Gebet des Menschensohnes ist uns nicht aufbewahrt, sie gehört zu den Geschichten, von denen Johannes im Schlussvers seines Evangeliums schreibt: „Es sind auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat, welche, so sie sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht begreifen, die zu beschreiben wären.“ Das erste Gebet des Herrn, dessen in der Bibel Erwähnung getan wird, ohne dass es uns doch mitgeteilt wird, ist sein Gebet bei der Taufe im Jordan; sein erstes Gebet, dessen Inhalt uns mitgeteilt wird, ist das Dankgebet nach Rückkehr der siebzig Jünger: „Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass du solches verborgen hast den Weisen und Klugen, und hast es offenbart den Unmündigen. Ja, Vater, also war es wohlgefällig vor dir.“
Das Gebet von Gethsemane war auch nicht unsers Herrn letztes Gebet. Sein letztes Gebet in den Tagen seines Fleisches waren die sieben Bitten am Kreuz, die da anfangen: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, und die da enden: Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist.
Das Gebet von Gethsemane ist auch nicht unsers Heilandes berühmtestes Gebet. Das ist und bleibt das heilige Vaterunser. Man hat freilich gesagt, und ich selber habe es in früheren Jahren gedacht und gesagt, das Vaterunser sei gar kein Gebet des Herrn in dem Sinne, dass es der Heiland selber je gebetet habe, sondern es sei nur ein Jüngergebet, das der Heiland, ohne es selbst zu beten, die Jünger beten gelehrt habe. Man hat gemeint, und ich habe es lange mitgemeint, der Heiland habe das Vaterunser gar nicht beten können wegen der fünften Bitte; denn weil er selbst ohne Sünde war, das Lamm Gottes unschuldig, so habe er doch nicht mitbeten können: Vergib uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern. Allein je tiefer man in die Heilige Schrift eindringt, desto mehr gewinnt man die Überzeugung, dass der sündlose Jesus, der unsre Schuld getragen an Leib, Seele und Geist, unsre Schuld auch betend getragen hat; dass der, der sich nicht scheute, zur Taufe der Buße in den Jordan hinabzusteigen, sich auch nicht geschämt hat zu beten, als unser Bürge, Stellvertreter und Mittler: Vergib uns unsre Sünden! Das Vaterunser heißt darum Gebet des Herrn im allervollsten Sinne, und es ist unter allen seinen Gebeten das berühmteste, weil überall, wo das Evangelium gelehrt wird in der weiten Welt, auch dieses Gebet gelehrt wird und von Millionen und aber Millionen in allen Zonen und Landen noch täglich gebetet wird.
Das Gebet von Gethsemane ist auch nicht des Herrn Jesu erhabenstes Gebet, das ist ohne Zweifel sein hohepriesterliches Gebet, Joh. 17: „Vater, die Stunde ist hier, dass du deinen Sohn verklärst, auf dass dich dein Sohn auch verkläre; gleichwie du ihm Macht hast gegeben über alles Fleisch, auf dass er das ewige Leben gebe Allen, die du ihm gegeben hast.“ Die christliche Kirche aller Zeiten hat dies Gebet von Joh. 17 als das Allerheiligste im Heiligtum der Gebete Christi gepriesen. Der deutsche evangelische Reformator Melanchthon, der über dasselbe kurz vor seinem Ende seine letzte Vorlesung hielt, pries dieses Gebetes Herrlichkeit mit den Worten: „Keine würdigere, keine heiligere, keine heilsamere, keine erhabenere Stimme ist jemals im Himmel und auf Erden gehört worden, als dies hohepriesterliche Gebet des Sohnes Gottes.“
Das Gebet von Gethsemane es ist weder Christi erstes Gebet, noch sein letztes, weder sein berühmtestes, noch sein erhabenstes was ist es dann? Es ist sein tiefstes Gebet, ihr Lieben; der Heilige Geist salbe meine Zunge, öffne eure Herzen und Sinne, dass wir aus dem tiefen Bronnen dieses Gebetes heute schöpfen mögen Wasser des Lebens, Wasser des Heils.
Das Gebet von Gethsemane
betrachten wir heute, wie es ist
1) ein Gebet aus tiefer Not;
2) ein Gebet im tiefen Staub;
3) ein Gebet zu tiefem Trost.
Jesu Christe, du Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, erbarme dich unser, lehre uns beten. Amen.
1.
Die Not hat das Gebet von Gethsemane geboren, das ist der erste und allgemeinste Eindruck, den wir empfangen. Weil unsers Heilands Seele betrübt war bis in den Tod; weil ihm ein Trank zu trinken gegeben war, dessen Bitterkeit seines Gleichen nicht hatte; weil sein Herz zitterte in ungeheurer geheimnisvoller Not: darum das ist klar, darum wirft sich der Erlöser auf sein Angesicht, darum ruft er, während der Schweiß ihm vom Angesichte rinnt, zum dunklen Himmel hinauf: Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst! Die Not hat dies Gebet geboren; das Gebet von Gethsemane ist ein Gebet aus tiefer Not.
So ist uns denn der Sohn Gottes auch darin gleich geworden, dass er das Gefühl auch kennt, das David fühlt, das Luther fühlt, das wir fühlen, wenn wir singen:
Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
Herr Gott, erhör' mein Flehen!
So hat sich der Sohn Gottes also auch nach der Regel gerichtet, die Jakobus den zwölf Geschlechtern gibt: Leidet Jemand unter euch, der bete! Ja doch, Er ist geworden wie unser Einer, ganz und gar wie unser Einer, nur ohne Sünde.
Eine stattliche Reihe von Menschen Gottes in der Bibel, die aus tiefer Not zu ihrem Gott und Herrn geschrien: Jakob und Moses, David und Assaph, Hiskias und die drei Männer im feurigen Ofen, Jesaias und Jeremias, eine stattliche Reihe, doch Einer fehlt noch, das ist der Gottmensch; auch Jesus Christus hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert, sein Gebet in Gethsemane ist ein Gebet aus tiefer Not.
Nicht als wenn die tiefe Not unsern Heiland erst beten gelehrt hätte, Not lehrt nicht beten, meine Lieben. Wenn der, der im Garten Gethsemane mit dem Tode ringt, das Beten nicht früher gelernt hätte, wahrhaftig, dann hätte er in der Stunde von Gethsemane es am allerwenigsten gelernt, wo der Himmel seinem Gefühl ferne war und die Hölle nahe. Es gibt gute Sprichwörter, die man in Gottes Namen seinen Kindern mitgeben mag auf die Lebenswanderung, wenn sie das Vaterhaus verlassen, z. B.: Ehrlich währt am längsten; es ist nicht Alles Gold, was glänzt; Glück und Glas, wie bald bricht das! Aber das Sprichwort: Not lehrt beten das ist kein wahres Wort, davor behütet, davor warnt eure Kinder. Ach wie Viele haben sich schon auf dies elende Sprichwort berufen, wenn sie ihre Bekehrung aufschoben und haben sich bitter getäuscht! Wie Viele hat man in jungen Jahren sagen hören: „Jetzt will ich noch das Leben genießen und kein Betbruder sein; später, wenn die Not des Alters, wenn die Not des Sterbens kommt, dann will ich beten, dann wird die Not mich beten lehren!“ Und siehe, es kam die Not des Alters, aber das Beten kam nicht; und es kam die Sterbestunde, und der Seelsorger mahnte zu beten, aber sie stotterten frech oder verzweifelnd: Ich kann, ich kann nicht beten! Der unbekehrte Schächer am Kreuz hing da in Todesnot, aber er betete nicht, sondern er verhöhnte noch sterbend den Heiland. Ananias und Sapphira starben, aber nicht mit einem Gebete, sondern mit einer Lüge auf den Lippen. Ach, ich bin doch auch schon in mancher Hütte der Not gewesen, und habe in mancher Hütte Flüche gehört, aber nicht Gebete. Nein, die Not, die bloße, nackte Not, sie lehrt nicht beten; ebenso wenig wie ein Mensch, der nie schwimmen gelernt hat, dadurch schwimmen lernt, dass er ins Wasser fällt, im Gegenteil, der des Schwimmens unkundige Mensch wird im Wasser umkommen, ebenso wenig kann ein Mensch, der zuvor das Beten nicht lernte, dann beten, wenn ihn plötzlich die Not umwogt.
Unser Heiland hat in Gethsemane aus tiefer Not gebetet, weil er in die Not von Gethsemane als ein gelernter Beter hineinging. Unser Heiland hatte die heilige Kunst des Betens von Kindesbeinen an getrieben, darum verstand er sie auch in der Mitternacht von Gethsemane zu üben. Er hat gebetet in der Wüste, er hat gebetet auf den Bergen, er hat gebetet im Tempel, er hat gebetet in der Morgenfrühe, er hat gebetet im Abendrot, er hat ganze Nächte im Gebet zugebracht, er hat immer, er hat ohne Unterlass gebetet, er verstand das Beten wie Keiner, er verstand es aus dem Grunde; darum, darum konnte er auch beten aus der tiefen Not von Gethsemane heraus, darum hat er noch gebetet am Stamme des Kreuzes und hat sterbend seine Seele in des Vaters Hände hineingebetet. Ein Vorbild hat er uns gelassen, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußtapfen. Der Not, der tiefen Not, ja auch wir werden ihr nicht entgehen; schon das Leben ist gar nicht das lustige Ding, wie es die Leichtfertigkeit sich träumt; die Hand aufs Herz, ihr erfahrenen Männer unter uns, insonderheit ihr Väter im weißen Haar, die Hand aufs Herz, ihr nachdenklichen Frauen unter uns, insonderheit ihr Mütter der Gemeinde, nicht wahr, das sind Träume der Toren, all' die Lieder von einer Welt voll Wonne um und um! Ach leidvoll, sehr leidvoll kann schon das Leben sein, und das Sterben hinter dem Leben das ist und bleibt ein bitterernstes Ding, und das müssen wir Alle durchmachen, alle Menschen müssen sterben, auch du blühende Jungfrau, auch du, morgenfrischer Jüngling, und auch du, mein Kind, im lockigen Haar! Und damit ihr dann beten könnt, wenn euch am allerbängsten wird um das Herze sein, damit ihr beten könnt in den Gewitternächten eures Lebens und namentlich dann, wenn der Docht eures Lebens glimmt und verlöschen will, damit ihr dann beten könnt, wie Jesus betete: „Vater, ist's möglich, so gehe diese Stunde von mir, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“ ja da müsst ihr's eben machen, wie es euer Jesus machte, von frühe an beten lernen, Tag für Tag beten lernen, eure Nächte durch Gebete weihen, immer beten, ohne Unterlass beten. Ohne Unterlass beten ihr kennt das Gerede der Spötter darüber, man könne doch nicht immer beten, man müsse doch auch an etwas Anderes denken. Nun, ihr Lieben, diese selben Spötter sündigen doch ohne Unterlass; ihre Eitelkeit, ihre Genusssucht, ihr Ehrgeiz, ihre Gefallsucht verfolgen sie auf Schritt und Tritt, umgaukeln sie bei ihren Geschäften, beherrschen sie in ihren müßigen Stunden, drängen sich selbst in ihre Träume, und was dem Weltmenschen möglich, ja notwendig ist, immer der Sünde zu dienen davon sollte das Entgegengesetzte, immer Gott zu dienen, immer Gottes eingedenk zu sein, nicht dem Christen möglich sein, der durch des Lammes Blut vom Fluch der Sünde erlöst und mit Gott versöhnt ist? Gewiss, es ist möglich. Der selige Tersteegen singt im Namen aller Gläubigen:
Ich suchte vormals Ort und Zeit
Zum Beten und zur Einsamkeit:
Jetzt bin ich einsam, wo ich bin;
Jetzt bet' ich stets in meinem Sinn. 1)
Ahmt solchen Vorbildern nach, ahmt insonderheit dem Vorbilde Jesu Christi nach; lernt beten in der Zeit, lernt beten zu aller Zeit, so werdet ihr auch beten können in der Zeit der tiefen Not.
2.
Ein Gebet im tiefen Staube ist das Gebet, das unser Mittler in Gethsemane betet; so erkennen und erwägen wir zweitens. Man müsste ein Herz von Stein haben, wenn man sich der Rührung erwehren wollte im Blick auf den Sohn Gottes, wie er im Ölbergsgarten vor seinem Gott und Vater sich auf die Kniee, ja auf sein Angesicht wirft und als ein Wurm im Staube fleht und ringt. Wem es jemals im Leben begegnet ist, dass er durch irgendeine Fügung und wider sein Wollen einen Beter überraschte, wie er auf den Knieen lag und mit dem Dreimalheiligen sprach, der wird davon wunderbar berührt worden sein, wie von den Glockentönen einer anderen, besseren Welt, und sofort ehrfürchtig seine Schritte gehemmt haben. Und nun hier heute öffnet uns der Heilige Geist die Gebetskammer des Gottmenschen und zeigt uns des ew'gen Vaters ein'ges Kind im tiefen Staube von Gethsemane liegen, seine Stirn von blutigem Schweiße rot, seine bebenden Lippen stammelnd: „Abba, mein Vater, es ist dir Alles möglich“ - und das Alles, Alles um unsertwillen, um deinetwillen, um meinetwillen kannst du das mit ansehen, mein Bruder, ohne dass dir dein Herz lauter klopft;. kannst du das betrachten, meine Schwester, ohne dass dir die Träne ins Auge tritt? O die Religion des Kreuzes, sie offenbart uns Momente in der Weltgeschichte, die so erhaben sind, so ergreifend, so Leib, Seele und Geist überwältigend, dass man alles, alles Andere vergessend dem wunderbaren Wesen, das Jesus Christus heißt, überwunden, vollständig überwunden zuruft wie ein Träumender:
Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb mich hin dem freien Triebe,
Mit dem ich Wurm geliebet ward;
Ich will, anstatt an mich zu denken,
Ins Meer der Liebe mich versenken.2)
Betender, kniender, im Staube, im tiefen Staube liegender Jesus, präge du selber dein Bild mit unauslöschlichen Zügen in unsere Seelen - ach ich kann, ich mag es mir nicht denken, dass, wer heute dieses dein Bild mit nach Hause nimmt, dass der je wieder von dir lassen kann -:
Meinen Jesum lass ich nicht.
Weil er sich für mich gegeben,
So erfordert meine Pflicht,
Unverrückt nur ihm zu leben;
Er ist meines Lebens Licht,
Meinen Jesum lass ich nicht. 3)
Doch nicht bloß liebend bewundern sollen wir den göttlichen Beter im tiefen Staube, sondern auch von ihm lernen unser Knie zu beugen und vor der höchsten Majestät auch unsererseits im Staube zu liegen, wenn wir eigne Sachen tiefer Not mit Gott zu verhandeln haben. Man sage nicht, die äußere Form beim Beten ist gleichgültig, und ob ich beim Beten stehe, sitze oder kniee, das ist gleich, wenn ich nur die innerliche Ehrerbietigkeit, die der Beter seinem Gotte schuldig ist, im Herzen trage. Leere Formen sind allerdings nicht nur gleichgültig, sondern besonders auf religiösem Gebiete geradezu vom Übel; und wer nur deswegen niederkniet, um einer Form zu genügen, der ist kein Beter, der ist ein Heuchler. Aber andrerseits wird sich die innerliche Stimmung des wahrhaft Betenden auch einen äußern Ausdruck geben müssen, und dieser äußere Gebetsausdruck ist dann keine leere Form, sondern ein Bekenntnis. Unser Heiland hat aller Wahrscheinlichkeit nach meist stehend gebetet und sagt zu seinen Jüngern Mark. 11, 25: „Wenn ihr steht und betet;“ aber hier in Gethsemane in seiner tiefen Not hat er sich in den tiefen Staub auf seine Knie geworfen und damit auch für seine Jünger das Gebet auf den Knien für die ernstesten und heiligsten Stunden des Lebens geweiht. Darum die Aufforderung in unserer Kirche bei unsern Abendmahlsgottesdiensten: „Lasst uns niederknien und unsre Sünden bekennen“ und die andere: „Kniet nieder und vernehmt die Einsetzungsworte.“ Aber es ist mit vielen Kirchengängern heutzutage so wie mit jenem Bauern in Pommern, der mir einmal sagte: „Herr Prediger, ich kann Alles, aber niederknien das kann ich nicht und das will ich nicht!“ Ich habe ihn nicht dazu gedrängt; wer kein gebeugtes Herz hat, was hilft dem auch ein gebeugtes Knie!? Beugt eure Herzen, dann, das weiß ich, dann beugt ihr auch euer Knie zum Zeichen eurer unbedingten Abhängigkeit und Hingebung an Gott, dann beugt ihr sie willig und von selber in den feierlichsten Momenten unserer gemeinschaftlichen Gottesdienste, dann beugt ihr sie sonderlich von selber da, wo euch keiner sieht, als Gott allein, in eurer Gebetskammer. Der Jünger macht's ja gern so, wie sein Meister! und je mehr Christus in uns lebt, desto mehr wandeln und handeln, stehen und knien wir auch wie er. Es ist ein goldenes Wort was Luther einmal sagte: „Wo das Gebet recht ist und sein Feuer hat, damit es angezündet wird - so wird der Mensch davon entbrannt, dass er auf die Knie fällt und bittet um Stärke und Kraft des Geistes; wo aber das Kniebeugen nur äußerliche Gebärde ist, da ist es lauter Heuchelei.“
Im tiefen Staube betet Christus in Gethsemane, wir können auch das zum Staube rechnen, dass er nur kurz und wie abgebrochen betet, dass er die Worte nicht lange wählt, dass er sich nicht schämt, dreimal immer wieder in denselben Worten zu beten. Ach, wie beschämt doch dieses schlichte Gebet von Gethsemane den Hochmut derer, die von dem betenden Prediger in der Kirche verlangen, dass er ein Redner sein soll, der den lieben Gott in jedem neuen Gottesdienst in immer neuen, geistlich pompösen Wendungen anreden soll und die voll Widerwillens sind gegen die Anwendung der kernigen, kräftigen Gebete unserer altkirchlichen Agenden und Formulare. Wie beschämt das Gebet von Gethsemane die stolze Rede mancher Christen, dass es unwürdig sei, mit herkömmlichen Worten altbewährter Erbauungsbücher zu beten oder dasselbe Gebet zweimal zu beten. Stolze Heilige, geht doch in die Schule von Gethsemane, das Gebet. dort unsers großen Meisters stolziert nicht einher in prächtigen und wechselnden Feierkleidern, nein, es trägt ein Staubgewand und erscheint dreimal in demselben Gewande und ist doch ein Gebet und gerade deswegen ein Gebet, das zu den Ohren des Vaters dringt. Und ihr, ihr seid nicht wert, dem Gottmenschen die Riemen seiner Schuhe aufzulösen ihr seid vom Staube genommen und werdet wieder zu Staub, ei so redet euren Gott doch nicht so großartig an, als wenn ihr Wunders was wäret - Staub seid ihr, so betet denn auch wie Staub. Armut und Demut sind vor Gott die besten Reden!
Hebe an, hebe an,
Zion, heb' am Elend an,
In der Armut, aus dem Staube,
So ist deine Sach' getan;
Habe gar nichts, aber glaube,
Dass der Herr, der treue Seelenmann,
Helfen kann, helfen kann! 4)
3.
Ein Gebet zu tiefem Trost ist unsers Heilandes zweimal wiederholtes Seufzen im Keltertal; das beachten wir heute zuletzt. Tröstlich, tief tröstlich schon deswegen, weil nichts vom Hallelujaton darin ist, weil es eben nur ein Seufzer und ein Ausdruck der Ergebung ist und weiter nichts. Lasst euch nicht bange machen, angefochtene Brüder, sorgenvolle Schwestern, wenn ihr in euren Gebeten euch bedrückt fühlt von eurer Armut an Worten, wenn ihr manchmal nur seufzen könnt: „Abba, mein Vater“ und weiter nichts. Lasst euch nicht verwirren und niederschlagen, wenn wunderliche Heilige euch lehren, ein Christ müsse immer und unter allen Umständen mit Halleluja beginnen, wenn sie euch verweisen auf geistliche Größen, die es so weit gebracht, dass sie nur noch gedankt, gar nicht mehr geklagt haben. O ich kann solche geistliche Größen auch bewundern, aber meine Vorbilder können sie nicht sein, dazu sind sie mir viel zu reich und viel zu stark, dazu bin ich viel zu arm und viel zu schwach. Mein Vorbild soll Jesus Christus sein; er hat viel gedankt und viel gepriesen, wenn er sonst betete, aber in Gethsemane hat er nicht mit Danken angefangen, hat er gar nicht gedankt, nur gefleht und geseufzt: „Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Das, ich muss es bekennen, wird mir von Jahr zu Jahr tröstlicher an meinem Jesus, dass er, der viel heiliger ist, nicht nur als die katholischen toten Heiligen, sondern auch als die protestantischen lebendigen Heiligen, dass er, der der Allerheiligste ist, doch immer und in allen Lagen des Lebens so menschlich wahr ist, dass er den Vater im Himmel preist, wenn seine Seele voll Jauchzens ist, dass er sich aber nicht zum Preisen echauffiert, wenn seine Seele in banger Not ist, dass er sich vielmehr in der tiefen Not auf seine Knie wirft und seufzt und weint. Ach, tröstet euch doch damit, ihr Kinder Gottes, in der Not; hat Jesus geklagt, dann dürft ihr auch klagen; hat Jesus geweint, dann dürft ihr auch weinen, hat er um Verkürzung seiner Leidensstunde gebeten, dann dürft ihr es auch wagen: nur dass ihr auch des Einen eingedenk bleibt, dass all' euer Seufzen und Weinen schließen muss mit der Ergebung: „Vater, nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“
Tröstlich ist das Gebet unsers Herrn in Gethsemane auch aus dem Grunde, weil es das Wunderkräutlein zeigt, das auch den bittersten Trank, wenn nicht süß, so doch wenigstens genießbar macht. Den Herrn schauderte vor dem Kelch, den er in Gethsemane trinken musste, sein blutiger Schweiß bezeugt es, dennoch hat er ihn getrunken mit betenden Lippen und im Gebete die Kraft gewonnen, ihn zu trinken. Im Gebete also, im gläubigen Gebete also haben wir den Schild, mit welchem wir in bösen Stündlein uns decken können gegen die Pfeile der feindlichen Mächte. Du klagst, mein Freund, dass du ein geplagter Mann bist, und ich will dir's glauben; aber sage mir, ich frage dich: „Kannst du beten?“ Du sprichst ja, nun denn, du geplagter Mann, soll mir nicht bange sein um dich dann wirst du schon hindurchkommen; wer noch beten kann, darf nicht verzagen; des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Du siehst so trübe in die Zukunft, sorgenvolle Frau, ergraute Jungfrau, einsame Witwe wie? bist du eine Beterin? dann sei getrost, meine Schwester, der die Lilien auf dem Felde kleidet, der die Vögel unter dem Himmel speiset, sollte der nicht sorgen für seine Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien? Wie der Mann von Gethsemane war in der Welt, so sind auch wir, die wir ihn unsern lieben Heiland nennen, so sind auch wir in der Welt; und kommen Trübsalsnächte über uns, wie da zumal über ihn, und liegen wir darnieder in tiefer Not, wie er darniederlag in Gethsemane o können wir nur beten wie er, können wir nur stammeln: Abba, mein Vater - so werden auch wir aus Gottes Macht durch den Glauben hindurchkommen durch unsre dunklen Stunden; vom gläubigen Gebet gilt es ja vor Allem, was einmal vom Glauben gesagt ist:
Der Glaube dringt durch Stahl und Stein
Und kann die Allmacht fassen,
Der Glaube wirket all's allein,
Wenn wir ihn wirken lassen;
Wenn Einer nichts als glauben kann,
So kann er Alles machen,
Der Erde Kräfte sieht er an
Als ganz geringe Sachen. 5)
O, der von der Welt so schnöde verachtete Glaube der Jünger Jesu Christi, o die so viel verspotteten Gebete der Gläubigen, Glaube und Gebet, Gebet und Glaube, sie sind's doch ganz allein, die die Schultern stärken zum Tragen der Last, das Herz stärken zum Dulden des Leids, die Augen stärken, dass sie offen bleiben, um auch in Gethsemanenächten die freundlich grüßenden Sterne des Himmels zu sehen.
Zu tiefem, tiefem Trost gereicht uns das Gebet des Herrn in Gethsemane zuletzt und zumeist deswegen, weil unser Herr durch dieses sein Gebet das Gericht, das er an unserer statt über sich ergehen ließ, hinausgeführt hat zum Siege, weil er durch dies Gebet seinen Willen ganz und völlig hineinsenkend in den Willen des Vaters die ewige Erlösung von Sünde, Tod und Teufel erworben hat für Alle, die an seinen Namen glauben. Er hat gezagt in diesem Gericht, in das er hineinging als unser Bürge; und wäre es ihm zu schwer geworden und wäre er zurückgetreten, ja dann hätten wir es ewig tragen müssen, dann wäre die verlorene Welt verloren geblieben in alle Ewigkeit. Aber ob unser Bürge wohl gezagt hat vor dem bitteren Tranke des Kelches von Gethsemane, er hat sich durch Gebet gewappnet gegen das Verzagen, er hat den Kelch betend an seine Lippen genommen, er hat ihn betend getrunken; er hat den Kelch geleert, der heilige Beter, und hat auch noch den letzten nachgebliebenen Tropfen am Kreuz auf Golgatha betend getrunken. Nun ist die Erlösung vollbracht, nun gibt es eine ewige Errettung: Christus hat uns vom Verderben losgeliebt, losgelitten, losgebetet. Nun überwinden wir weit um deswillen, der uns so geliebt hat. Nun können wir gewiss sein, dass weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges, weder Hohes, noch Tiefes, noch keine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.
Wenn ihr nun werdet heimgegangen sein, ihr Lieben, in eure Häuser, dann werden euch eure Hausgenossen, die heute der Teilnahme am öffentlichen Gottesdienst entbehren mussten, weil sie frank waren oder bei den Kranken oder Kindern bleiben mussten, sie werden euch fragen: Was bringt ihr uns heute mit aus dem Garten Gethsemane? Ei, dann sagt ihnen: Wir bringen euch eine wunderschöne Passionsblume mit und sie heißt „der Seufzer Christi“, ein Seufzer aus tiefer Not, im tiefen Staub, zu tiefem Trost. Amen.