Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VIII. Von der Freude über die Ankunft der gläubigen Seele.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - VIII. Von der Freude über die Ankunft der gläubigen Seele.

Sag mir, o Mensch, wo sind, die die Welt lieb haben? Sie haben gegessen, getrunken, gelacht, sind bei guten Tagen alt geworden und, kaum einen Augenblick vor der Hölle erschrocken (Hiob 21,13.); aber hineingefahren. Denn alle Freude des Fleisches hört mit dem Fleische auf; aber die Freude des Geistes dauert mit dem Geiste fort.

Wenn in dieser Zeit die Menschen mit überschwänglicher Freude überschüttet sind, so können sie dieselbe nicht allein behalten, sondern eilen auf die Gassen und Straßen zu einem vertrauten Freunde oder Nachbarn, um ihrem Herzen Luft zu machen, es auszuschütten und andere ihrer Freude teilhaftig werden zu lassen. Oder wenn die Menschen einen Überfluss haben der besten Speisen, so rufen sie ihre Verwandten und Bekannten zu einem Freudenmahle, damit auch sie der köstlichen Speisen und lieblichen Getränke genießen. Also entsteht auch durch das ganze Paradies ein unglaubliches Frohlocken über die Ankunft einer auserwählten Seele, ein mächtigeres Jauchzen als bei dem Falle der Mauern Jerichos, ein größeres Feldgeschrei, als bei Gideon, da er in die Posaune stieß, darum, dass die Zahl der Engel vermehrt und die triumphierende Kirche von neuem gestärkt ist; denn sobald eine auserwählte Seele vom Leibe abgeschieden, ergreift der sieben Engel einer, welche vor dem Throne Gottes stehen (Offenb. 8,2.), seine Posaune, fährt mit hellem Geschrei durch die Himmel und verkündigt den Auszug der auserwählten Seele. Auch ist der letzte Seufzer einer auserwählten Seele nicht anders, als ein starker Ruf, der durch den ganzen Himmel schallt, viel stärker als ein Echo zwischen Berg und Tal, zwischen Feldern und Wäldern.

Da erheben sich die Stimmen des Lobgesangs; sie brechen heraus nicht wie Ströme aus dem Meere, sondern wie Flammen aus dem Ofen, von heißer Liebe gedrängt. Da hört man die holdseligen Worte des Hohenliedes (Kap. 6,12.): „Kehre wieder, kehre wieder, o Sulamith!“ Kehre wieder, dass wir dich schauen nach so vielem ausgestandenen Kreuz und Elend! Gott der Vater freut sich zu empfangen seine liebe Kreatur; Gott der Sohn seinen lieben Bruder; Gott der heilige Geist seinen lieben Diener; die Versammlung der Patriarchen den lieben Nachkömmling ihres Glaubens; die himmlische Schule der Propheten ihren lieben Jünger; die ganze Stadt des Paradieses ihren lieben Bürger, ihr liebes Glied, ihren lieben Freund. Die ganze Natur freut sich, dass das Menschliche mit dem Göttlichen, das Irdische mit dem Himmlischen, das Unterste mit dem Höchsten vereinigt wird. Sie freut sich, dass die Lilie, so der Herr der Heerscharen aus allen Blumen allein erwählt, in den Himmel versetzt; dass der Brunnen, welchen der Herr der Heerscharen aus allen Tiefen des Meeres allein erwählt, in den Himmel geleitet; dass Zion, welches der Herr aus allen Städten allein geheiligt, in den Himmel gebaut; dass die Taube, welche der Herr von allen Vögeln allein erwählt, in den Himmel genommen, dass das Schlachtschaf, welches der Herr der Heerscharen aus allen Tieren allein erwählt, in den Himmel gebracht werden soll (4. Esr. 5.).

Da wünschen sie der auserwählten Seele Glück zur Freiheit, die sie errungen; dass sie nämlich die Dienstbarkeit der Welt verlassen, das Joch der Sünden abgeworfen, die Bürde der Schwachheit und Sterblichkeit abgelegt, und so dem Teufel und der Hölle samt ihrem Anhange den Sieg ritterlich abgenommen; dass sie gedrungen mit Joseph durch das Gefängnis, mit Hiob durch die Traurigkeit, mit Elia durch das Elend, mit der Witwe von Zarpath durch die Armut, mit Hiskia durch die Krankheit, mit Jakob durch Hass und Neid, mit Daniel durch Verleumdung, mit Stephanus durch den Tod. Da muss der Teufel sich verspotten, die Hölle sich aushöhnen und die Sünde sich mitten in das Meer stürzen lassen. - Sie wünschen ihr Glück zur Seligkeit, die sie ererbt, ohne welche selbst die Freiheit ihr nichts nützen würde; denn David achtet selbst Himmel und Erde für nichts, würde ihm auch mit Himmel und Erde nichts gedient sein, wenn er Gott nicht hätte. Wie weislich hat sie getan, dass sie sich abgesondert von üppiger Fröhlichkeit und unnützer Schwermut, von heuchlerischer Hoffart und eitler Ehre; dass sie in dieser Welt das Kreuz nicht gescheut, daran Christus verschieden, und den Leib dem Grabe anvertraut, in welchem Christus geruht.

Groß ist diese Freude; aber wie wird sie noch steigen im himmlischen Jerusalem, wenn solche Seele, obwohl lange Zeit in schrecklicher Sünde und gräulicher Abgötterei mit Manasse gelegen, doch endlich noch mit dem Schächer am Kreuze sich bekehrt hat! Was sagst Du denn, o Mund der Wahrheit, Herr Jesu Christ? Du sagst: „Also wird auch im Himmel Freude sein über einen Sünder, der Buße tut vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen“ (Luk. 15.). Das sind wunderbare Worte; denn gleichwie ein treuer Hirt sich nicht so sehr freut über 99 Schafe, welche in der Wüste ihm gewiss blieben, als über das eine, welches er zwar verloren, aber wieder gefunden und auf dem Rücken heimgetragen hat; und gleich wie ein Weib sich nicht so sehr freut über die neun Groschen, die sie im Kasten behalten, als über den einen, welcher verloren aber wiedergefunden ist: so freuen sich auch die Bürger des himmlischen Jerusalems mehr über den Menschen, der zwar in schändlichen Missetaten verloren gewesen, aber wieder bekehrt ist, als über die, welche in der einmal angenommenen Gottesfurcht beständig verharrt sind. Denn wenn ein verlorenes Ding wiedergefunden wird, so ist es, ob es gleich nicht neu ist, doch Anlass und Ursache einer neuen Freude. Wenn der Sünder auf Erden sich ängstigt, so belustigen sich die Auserwählten im Himmel. Wenn der Sünder auf Erden weint, so jauchzen die Auserwählten im Himmel. Wenn der Sünder auf Erden bekennt, so erkennen ihn die Auserwählten im Himmel. Wie müssen doch die Engelein erschrocken sein, als sie gehört haben, dass Petrus den Herrn Christus drei Mal verleugnet - die Kreatur den Schöpfer, der Jünger den Meister, der Diener den Herrn, der Sünder den Erlöser, der Mensch seinen Gott! Wie müssen sie erschrocken sein, als sie aus seinem Munde nicht allein das Verleugnen, sondern auch das Verschwören vernommen haben! Aber mit welch überschwänglicher Freude müssen sie die Bußtränen in Petri Augen gesehen haben! Mit was für unaussprechlicher Wonne müssen sie gejauchzt und frohlockt haben, als er den schweren Fall bitterlich beweinte!

Darum ist der Tag der Bekehrung eines Sünders auf Erden ein Freudenfest des Himmels. Gott selbst freut sich, dass er die schwache Kreatur wiedergefunden hat. Die Engel und Auserwählten freuen sich, dass der Tote zum Leben, der Unzüchtige zur Keuschheit, der Wucherer zur Wohltätigkeit, der Hoffärtige zur Demut, der Flucher zur Andacht, der Säufer zur Mäßigkeit, der Tyrann zur Sanftmut, der Gottlose zur Gerechtigkeit, der Sünder zur Buße gebracht worden. Und wie groß muss nun die Freude sein, wenn solch eine Seele nach allem Kampfe im Himmel anlangt! Denn freuen sich die Auserwählten schon über einen Sünder, der Buße getan und sich bekehrt, obwohl er noch in diesem Leben mit Fleisch und Blut, mit Sünde und Tod, mit Teufel und Hölle zu kämpfen hat und wieder böse werden kann: wie viel tausendmal mehr freuen sie sich über die Ankunft einer solchen Seele im Himmelreiche, die über dies alles ritterlich gesiegt hat und nimmermehr wieder verkehrt werden kann.

Daher ist solch ein Tag für die Himmelsbürger ein Fest der neuen Geburt, der Auferstehung und der Himmelfahrt, da die auserwählte Seele aus dem erstorbenen Leibe zum Himmel geboren, aus dem Stande der Sünde in den Stand der Gerechtigkeit auferstanden, von der Erde über die Wolken aufgenommen und aus dem Zorn in die Gnade, aus der Feindschaft in die Freundschaft, aus der Nichtigkeit in die Ewigkeit versetzt ist.

Wenn in einem königlichen Palaste dieser Welt ein Prinzlein geboren wird, so erfährt man schon, wie der ganze Hof sich darüber freut; wie man das zarte Kind in weiche kostbare Windlein einwickelt, in sanfte Kisslein legt, mit seidenen Schnürlein gar behutsam umzieht, in den Armen trägt, in den Schoß nimmt, bald singt und säuselt, bald wiegt und wägt, bald herzt und küsst, bald deckt und löst, und es dermaßen liebkost, als ob man aller Herzen Lieb von allen anderen Menschen ab- und diesem Kindlein einzig und allein zuwenden wolle. Daraus aber kann man leicht abnehmen, wie vielmehr die heiligen Hofleute des himmlischen Jerusalems sich freuen an dem glückseligen Tage, wo die Seele nicht zur untern Welt, sondern zum Himmel geboren worden. Da will jeder ohne Neid anderer der nächste, jeder ohne Hass anderer der freundlichste sein und den triumphierenden Einzug befördern helfen. Keinem jungen Kindlein können die zarten Windlein und die weichen Tüchlein so sanft tun, als der auserwählten Seele die Hände der Himmelsbürger, die sie forttragen.

Unaussprechlich groß war in Israel die Freude, wann das Jubeljahr anging; denn da kamen alle Schuldner zu ihren Gütern, alle Knechte zu ihrer Freiheit, alle Verbannte zu ihrem Vaterlande, alle Leute im Lande zu der glückseligen Zeit, wo ein Feiertag nach dem andern gehalten wurde (3 Mos. 25.). Wie müssen da die Knechte, die Vertriebenen, die Schuldner und alle Israeliten in ihren Stämmen mit inniglichem Verlangen auf den zehnten Tag des siebenten Monats gewartet haben, an welchem die Leviten das Jubeljahr mit Posaunen zuerst bei der Stiftshütte und dann weiter in allen Landen einblasen mussten! Welch ein Strom der Freude muss sich da in alle Straßen und Gassen, über alle Städte und Flecken, auf alle Wege und Stege ergossen haben! Muss nicht aller Betrübten Mund voll Lachens, aller Traurigen Zungen voll Rühmens und doch die Augen voll Weinens gewesen sein, wann aus viel hunderttausendmal tausend Stimmen das jubelnde Halleluja anhob und das frohlockende Hosianna erscholl! Solche Freude können fromme Christen wohl begreifen; aber was für eine Freude im Himmel sei über die Ankunft einer von der Welt Anfang her auserwählten, aber in der Zeit verlorenen und doch wieder erworbenen Seele, das können wir nicht einmal vollkömmlich ahnen.

Als die kühne und gottesfürchtige Wittfrau Judith ihrem Vaterlande den Sieg über die Feinde erlangt hatte, priesen sie alle Juden und sprachen: Du bist die Krone Jerusalems! Du bist die Wonne Israels! Du bist die Ehre des ganzen Volkes, dass du so löbliche Taten getan und Israel so große Wohltaten erzeigt hast, dass sie Gott wieder errettet hat. Gelobt seist du vor Gott ewiglich (Jud. 15,12.). So wurde die Judith zu jener Zeit begrüßt. Hier aber fährt zu den Pforten des himmlischen Paradieses die Krone Jerusalems, die Wonne Israels, eine Ehre des ganzen Volkes, die so löbliche und liebliche Taten getan, und nun bereit ist, ihren triumphierenden Einzug zu halten.

O gütiger Herr Jesu! Du nimmst den bußfertigen Sünder an, wie jener Vater seinen verlorenen Sohn, der ihm entgegen lief, ihm um den Hals fiel, ihn küsste und seinen Knechten befahl, das beste Kleid herzubringen und ihm anzutun, einen Fingerreif an die Hand und Schuhe an die Füße zu geben, und noch dazu ein gemästetes Kalb zu schlachten und ein Freudenfest zu bestellen. O gütiger Herr Jesu! komme mir entgegen mit Deiner Gnade! falle mir um den Hals und küsse mich! Falle mir um den Hals! - das soll mir werter sein, als eine goldene Kette mit Edelsteinen. Küsse mich! das soll mir angenehmer sein, als Myrrhen. Kleide mich mit dem Rocke des Heils! das soll mir lieber sein, als der Schmuck Salomos. Speise mich mit deinem Abendmahl! - das soll mir köstlicher sein als das Gastmahl des Königs Ahasverus. Und hilf mir, dass ich mich an allen Orten und Enden vor Deinen heiligen Engelein so scheue in meinem Leben, dass ich in meinem Tode ihnen eine Freude erwecken möge. Amen.

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