Dammann, Julius - Der Feldmarschall Naeman oder Des Menschen Elend und seine Errettung - 3. Falsche Wege.

Dammann, Julius - Der Feldmarschall Naeman oder Des Menschen Elend und seine Errettung - 3. Falsche Wege.

V. 2-8. Da ging Naeman hin und sagte es seinem Herrn an1) und sprach: So und so hat die Dirne aus dem Hause Israel geredet. Und der König von Syrien sprach: Ziehe hin, und ich will einen Brief senden an den König von Israel. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Talente Silber und sechstausend Seckel Gold2) und zehn Feierkleider und brachte den Brief dem König von Israel, der lautete also: „Und nun, wenn dieser Brief zu dir kommt, so habe ich meinen Knecht Naeman zu dir gesandt, dass du ihn von seinem Aussatz losmachst.“3) Und als der König von Israel den Brief gelesen, zerriss er seine Kleider und sprach: Bin ich denn Gott, dass ich töten und lebendig machen könnte, dass dieser zu mir sendet, jemand loszumachen von seinem Aussatz. Ja, erkennt doch und seht, wie er Gelegenheit an mir sucht.4) Als aber Elisa, der Mann Gottes, hörte, dass der König von Israel seine Kleider zerrissen, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Er komme doch zu mir und erfahre, dass ein Prophet in Israel ist.

Da ging Naeman hin5). So beginnt unser Text. Ein neuer Abschnitt im Leben Naemans. Ob es die kleine Dirne mehrmals zu ihrer Gebieterin und diese mehrmals zu ihrem Gebieter gesagt: Ach, dass mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre! oder ob nur einmal dieses Wort gefallen wir wissen es nicht. Genug, Naeman ging hin. Er ist entschlossen, den Propheten von Samaria aufzusuchen. Er, der berühmte, hochangesehene, mächtige Generalfeldmarschall folgt der Weisung seiner Magd. Er, der große Heide, lässt sich raten von der kleinen jüdischen Dirne. Andere in seiner Lage hätten gewiss gesagt: Torheit, Unsinn! Naeman ging hin. Er lieh der Botschaft sein Ohr. Einen Kampf wirds gekostet haben, ehe er den Beschluss fasste: Ich will mich aufmachen und zum Propheten gehen. Indem er hinging, ging er hinweg von den Götzen, weg von der heidnischen Welt, die ihn verspottete und verlachte. Noch mehr. Er nahm seine Vernunft gefangen unter den Gehorsam gegen das Wort der jüdischen Dirne. Er ging hin. Er war auf dem Wege, sich zu bekehren von den Abgöttern und zu dienen dem lebendigen und wahren. Gott. Was dieser Gang ihm kosten würde, wusste er noch nicht. Er war noch voll eigener Gedanken. Er rechnete auf die Könige von Syrien und Israel, auf die zehn Talente und sechstausend Seckel Gold. Dass er sich dabei verrechnete, werden wir noch sehen. Aber er ging hin. Darüber wollen wir uns freuen. Glück zu, Naeman! Du bist auf dem rechten Wege.

Er ging hin. Denn seine Not war groß, sein Elend unbeschreiblich, sein Tod unausbleiblich.

Liebe Brüder und Schwestern! Es wird so viel gepredigt. Viel tausend Prediger halten in unserm Lande in viel tausend Kirchen viel tausend Predigten. Viel tausendmal wird in die Gemeinde hineingerufen: O Menschenkinder, dass ihr wärt bei dem Propheten von Nazareth, ihr kämt los von eurer Plage. Und aus sterblichem Munde tönt des unsterblichen Propheten holdseliger Zuruf: Kommt her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; Ich will euch erquicken! Wie nötig ist diese Predigt! Das Leben ist so ernst. Das Kreuz drückt so schwer. Die Sünde raubt den Frieden. Die Welt ist so eitel. Der Tod ist so nahe. Die Verantwortung ist so schwer. Das Gericht ist unausbleiblich, der Richter unbestechlich. Die Entscheidung ist für die Ewigkeit. Wie nötig ist diese Predigt! Denn es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben worden, darinnen wir sollen selig werden, als der Name Jesus, des Propheten von Nazareth.

Und wie viel mal haben wir sie gehört, gelesen, gesungen, diese Predigt, diese Botschaft! Und wenn es heute das erste mal wäre, du Menschenkind, dass man es dir sagte: Komm doch zu Jesu! Warum willst du es dir zweimal sagen lassen. Sage an, bist du wirklich schon auf dem Wege zu Jesu gewesen? Zu Ihm kommt man nicht mit den Füßen, sondern mit dem Herzen. Eine Predigt hören, einem Gottesdienst beiwohnen, das heißt noch nicht zu Jesu gehen. Man kann im Jahre 10000 Schritte zur Kirche tun, ohne einen einzigen Schritt zu Jesu getan zu haben. Es war gut, dass Naeman hörte: Ach, dass mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre. Es ist gut, dass du die Botschaft von Jesu hörst. Aber was hätte es geholfen, wenn nicht geschrieben stände: da ging Naeman hin.

„Kommt, lasst uns gehen gen Bethlehem“, sprachen die Hirten, als sie die Weihnachtsbotschaft gehört. Ja, lasst uns gehen, lasst uns gehen. Lasst uns Jesum aufsuchen, ernstlich aufsuchen. Wir werden ihn finden. So ihr mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich finden lassen, spricht der Herr. Wir wollen den Naeman begleiten. Wir werden Zeugen sein, wie er nach manchen Abwegen und Umwegen sein Ziel erreicht. Wir werden hören, wie ihm Gott noch manches nehmen muss, um ihm das Höchste zu geben, viel mehr, wie er geahnt hat. Der reiche Naeman muss sehr arm, der hohe sehr niedrig, der stolze sehr demütig werden.

Wir betrachten heute

Naeman auf dem Wege nach Samaria.

Wir sehen ihn

  1. begleitet von der teilnehmenden Liebe des Königs von Syrien,
  2. beladen mit Gold und Silber,
  3. voll Vertrauen zu dem Könige von Israel.

1.

Wir lesens zwischen den Zeilen, wie lieb und wert Naeman seinem Könige ist. Der König steht seinem Diener ganz zu Diensten. Er tut mehr, als Naeman verlangt. Naeman will die Erlaubnis, hinziehen zu dürfen. Der König gibt noch einen Brief obendrein. Was er als König tun kann, tut er. Er drückt das Siegel seiner königlichen Macht auf den Brief. „Ich habe meinen Knecht Naeman zu dir gesandt, dass du ihn von seinem Aussatz losmachst.“ Es ist, als wenn er sagen wollte: Wenn du dem Naeman nicht helfen willst, so werde ich dich mit Gewalt zwingen. Das liest der König von Israel aus dem Briefe heraus, und darum zerreißt er in höchster Aufregung seine Kleider. Es war ein hohes Maß von Liebe, das der syrische König dem Naeman spendete. Dem Naeman hat gewiss diese Liebe sehr wohlgetan, aber errettet hat sie ihn nicht. Sie mag ihm den Weg nach Samaria geebnet haben, aber abgenommen hat sie ihn den Weg nicht. Auch sein König musste ihm nach langer Beratung schließlich sagen: Ziehe hin nach Samaria.

Ja, liebe Brüder und Schwestern, es würde viel weniger Elend in der Welt sein, wenn mehr Liebe da wäre, aufrichtige, teilnehmende, mitteilende Liebe. Es werden so viele Tränen geweint von der Armut, die die Liebe mit Leichtigkeit trocknen könnte. Es bleiben so viele am Wege des Lebens liegen im Elend sterbend und verderbend, weil nur Priester und Leviten vorübergehen und keine barmherzigen Samariter. Die Kainsfrage geht über so viele Lippen: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Dem Grundsatz huldigen so viele: Was mich nicht brennt, das blase ich nicht. Auf der einen Seite ungezählte Gelder, viel mehr, als man braucht zur Leibes-Notdurft und -Nahrung. Auf der anderen Seite ein Darben und Entbehren. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Reiche und Arme müssen unter einander sein, der Herr hat sie alle gemacht. Sprüche 22,2. Aber die Kluft zwischen reich und arm muss durch die Liebe überbrückt und die Spannung muss durch das Öl der Liebe gemildert werden. Es ist ein recht trauriger Gedanke, dass so viel totes Metall hinter Schloss und Riegel liegt, weil das Feuer der Liebe fehlt, welches das Metall flüssig macht, um es als lindernden Balsam in die Wunden der Armut hineinfließen zu lassen.

Lasst die Predigt vom Glauben an Jesum, den eingebornen Sohn Gottes, der uns selig machen will von unseren Sünden. Und dass Er das Lamm Gottes sei, welches der Welt Sünde trägt, und am dritten Tage auferstanden von den Toten und aufgefahren gen Himmel, von dannen er wiederkommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten - ihr predigt's tauben Ohren. Ihr findet keinen Glauben mehr dafür im 19. Jahrhundert. „Predigt Liebe, Liebe, Menschenliebe. Das ist, was not tut.“ So ruft man uns Predigern des Evangeliums zu. Es ist wahr, es tut not. Es tut not, Mann, dass du dein Weib noch viel herzlicher lieb hast. Es tut not, Weib, dass du deinen Mann liebst mit jener demütigen Liebe, die alles trägt, duldet, hofft, glaubt. Ihr seid unglücklich, weil es an dieser Liebe fehlt. Es tut not, dass viele, viele Eltern von ihren Kindern viel mehr geliebt werden. Es sind traurige, ja grausige Dinge, die einem davon zu Ohren kommen. Wenn sie flügge geworden sind, die Kinder, wird die Liebe auch flügge und fliegt davon. Es tut not, dass die Liebe zwischen Freunden und Nachbarn treu und ohne Falsch sei. Es ist nicht sehr viel mehr zu finden von guten Freunden und getreuen Nachbarn. Wenn es mal darauf ankommt, macht man traurige Erfahrungen.

Es tut not, dass des ewigen Prozessierens und Laufens zum Richter und Rechtsanwalt weniger werde. Warum werden. der Stöße von Prozessakten immer mehr? Weil der Liebe immer weniger wird.

Es tut sehr not, dass auch der Vagabund an deiner Haustür etwas mehr Liebe erfährt. Etwas mehr? Hast du den Mann überhaupt lieb? War es wirklich wohl Liebe, Menschenliebe, die dich bewog, das kleine Schild an deine Haustür zu nageln mit der in Eisen gegossenen Inschrift: Mitglied des Vereins gegen Hausbettelei? So ihr die liebt, die euch lieben, was tut ihr sonderliches, spricht Jesus. Aber den Mann zu lieben mit dem struppigen Haar, mit dem zerrissenen Rock, den Mann, dessen Gesicht der Branntweinteufel gezeichnet hat, den Mann, der einen Schnapspfennig erbettelnd in deiner Hausflur steht, den Mann zu lieben, mit ihm in ein liebevolles wenn auch ernstes Gespräch sich einzulassen - das wäre schon etwas sonderliches. Und doch nichts besonderes für einen, der - Christum lieb hat.

Ja, es tut not, dass Liebe gepredigt wird. Wo ist die Liebe, die sich z. B. der jungen Dirnen annimmt, die an den Sonntagnachmittagen umherlaufen in unseren Straßen und vor den Toren und wissen eigentlich nicht wohin. Wie manche könnte bewahrt bleiben vor Sünde und Schande. Wo ist die Liebe, die ihnen nachgeht und sie versammelt? Es tut not, dass mancher armen Witwe die Tränen getrocknet werden und den vielen verschämten Armen geholfen wird. Wo ist die Liebe, die da hilft, wo Armendeputation nicht helfen kann? Es tut sehr not, dass in mancher großen Gemeinde die Herberge zur Heimat endlich zu Stand und Wesen kommt. Wo ist die Liebe, die die Gelder flüssig macht?

Ja, ihr habt recht, die ihr sprecht: Liebe, Liebe muss gepredigt werden. Sie ist der Engel, der heil- und segenspendend durch die Menschheit geht.

Aber sagt mir, wie kommt denn diese helfende, errettende, erbarmende, mitfühlende, nachgehende, selbstsuchtlose Liebe in die Herzen? Kann sie angepredigt, anbefohlen werden? Hört es, diese Liebe ist die Tochter des Glaubens. Nicht des Allerwelt-Glaubens, sondern des Glaubens an die gekreuzigte Liebe. Wo Christus geglaubt wird, da wird die Liebe geschaut. Um Christi willen bringt die Liebe alles fertig. Dass nur Christus gepredigt werde alles andere folgt von selbst. Dass nur Christus geglaubt wird dann braucht keine Liebe anbefohlen zu werden. So wollen wir bei der Predigt vom Glauben bleiben und um der Liebe willen weiter predigen: Glaube an den Herrn Jesum.

Aber den Naeman rettete die teilnehmende Liebe seines Königs nicht. Im Palast seines Königs wurde er vom Aussatz nicht frei. Sein König verhalf ihm zu dem Wege nach Samaria. Jedoch den Weg selbst musste er gehen. Menschenliebe vermag viel. Sie trocknet viele Tränen. Sie flicht viele Blumen in den Kranz des Lebens. Sie schafft Oasen in der Wüste der Welt. Einer Menschenseele Trost und Freudigkeit, Frieden und Seligkeit zu geben, vermag sie nicht. Einer angefochtenen Seele zum Glauben zu verhelfen, vermag sie nicht. Einem erschrockenen Sünder das Gewissen zu entlasten, vermag sie nicht. Einen Menschen aus der Knechtschaft des Satans zu befreien, vermag sie nicht. Einen Kreuzträger ruhig und still zu machen, vermag sie nicht. Einem Sterbenden Trostesfreudigkeit zu geben, vermag sie nicht.

Von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels zu erlösen, vermag sie nicht. Sie kann einem Armen Brot geben. Das Brot des Lebens hat sie nicht. Sie kann den Nackenden kleiden. Die Kleider der Gerechtigkeit hat sie nicht. Sie kann ein Waisenkind aufnehmen. Aber die Kindschaft Gottes hat sie nicht. Sie kann Gefangene aufsuchen. Aber die Ketten des Satans bricht sie nicht. Sie kann am Krankenbette stehen und trösten. Aber die göttliche Medizin für das stille sein zu Gott, der mir hilft“, hat sie nicht. Sie kann an meinem Sterbebette mir den Todesschweiß von der Stirne wischen und mit stärkendem Wein die Lippen netzen. Aber den Triumphgesang auf die Zunge legen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? versteht sie nicht. Seele, willst du dieses finden, such's bei keiner Kreatur. Naeman muss zu dem Propheten von Samaria. Und du, liebe Seele, musst zu dem Propheten von Nazareth. Daselbst ist Leben und selige Genüge, ist Hilfe und Trost, ist Friede, Freude, Gerechtigkeit im heiligen Geist.

Daselbst soll ihm geholfen werden.

2.

„Und er zog hin und nahm mit sich zehn Talente Silber und sechstausend Seckel Gold und zehn Feierkleider.“

Das war eine respektable Summe Geldes, ein großer Teil seines Vermögens. Gibts Hilfe in Samaria, sie muss mir werden, denkt Naeman. Was der Empfehlungsbrief nicht vermag, das werden meine goldgefüllten Säcke zu Wege bringen. Dieser goldene Schlüssel wird mir das Herz des Propheten zu Samaria aufschließen. Er will die Hilfe ja nicht geschenkt haben. Wie kann auch der berühmte und große Feldmarschall sich etwas schenken lassen. Das ginge gegen seinen Stand und Rang. Er will die Hilfe mit Gold und Silber aufwiegen. Gleich gegen gleich. Wenn er wird sagen können „Elisa hat mich gesund gemacht“, so soll Elisa sagen können, „und Naeman hat mich reich gemacht.“

Wir sind alle Naemans von Natur. Auch in diesem Punkte. Dem natürlichen Menschen ist nichts so zuwider als das: Wir werden ohne Verdienst gerecht aus Seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum geschehen ist. Wie Naeman sein Gold und Silber, so schleppen die Menschenkinder Säcke voll Tugenden mit, wenn sie zu Gott sich nahen. Das Geschlecht der Pharisäer stirbt nicht aus. Jesus starb für die Sünder. Sein für uns vergossenes Blut redet nur das eine Wort: Gnade! Wäre es möglich gewesen, dass der Mensch kraft eigner Gerechtigkeit selig werden könnte, so hätte Gott Seines eingeborenen Sohnes verschont. Aber sie leben noch, die Pharisäer, mitten in der Christenheit. Sie wollen nichts von der Gnade wissen, sondern pochen auf ihre guten Werke.

Ausgenommen kleiner Schwächen sind sie ja so gut, so brav, so ehrbar, so fleißig, so gewissenhaft, dass ihnen Gott helfen muss zeitlich und ewig aus Verdienst und nicht aus Gnade.

Der Reformator Luther hat sich abgemüht und abgequält, die Kirche von dem römischen Sauerteig der guten Werke zu reinigen. Aber Rom hat unter den Evangelischen noch sehr viele Anhänger, die des Reformators Wort: ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben, allein aus Gnade, immer noch nicht verstehen. So lange bin Ich bei euch und du kennst Mich nicht, spricht Jesus zu Philippus. So lange ist nun das Evangelium gepredigt, müssen wir klagen, und so viele, viele kennen es noch nicht. Die kennen es nicht, die in ihrem Reisewagen nach der Ewigkeit noch irgend etwas Gold, eigene gute Werk- und Feierkleider, eigene Gerechtigkeit mit sich führen. Die kennen es nicht, die vor Gott irgend etwas anderes geltend machen wollen, als das Blut Jesu Christi, „das ohn Ende schreit: Barmherzigkeit, Barmherzigkeit.“

Die kennen es nicht, die in ihren Trübsalen noch die Sprache reden: Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe. Die kennen es nicht, die, wenn es zum Sterben geht, ihrem tiefsten Gefühl nicht den Ausdruck geben: Hier kommt ein armer Sünder her, der gern ums Lösgeld selig wär. Liebe Seele, zu dem Propheten von Nazareth geht man wie der Kranke zum Arzte, wie der Bettler vor die Tür des Reichen, wie der Schuldige zum Hause des Richters, wie das Kind in die Schule. Arm, elend, blind, bloß, jämmerlich. Gib den Gedanken ganz und gar daran, als wenn dort etwas anderes zu holen wäre als Gnade. Der Weg zu diesem Propheten ist so schmal, so enge, dass kein breiter Reisewagen voll Gold und Silber darauf Platz hat. Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst. Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beides Wein und Milch! spricht der Herr. Jes. 55,1.

Sei arm und leer, wie Er dich machen will,
Und fühle deine Schmach.
Sprich: Jesu, gib, hier komm ich Armer,
Ich habe nichts, o mein Erbarmer,
Als leeren Raum.

Es ist eine törichte Rede: Ich will erst besser werden. Dann will ich zum Herrn kommen und mich bekehren. Das heißt wie Naeman kommen, beladen mit Gold und Silber. Naeman hat sein Gold wieder zurückgebracht, damit er sprechen sollte: Mir ist Erbarmung widerfahren“. Töricht war es auch, als einer, der auf dem Sterbebette seinen Heiland gefunden, sagte: „Herr Pastor, nun möchte ich noch gern ein paar Jahr leben.“ „Warum?“ fragte der Seelsorger. „Damit ich dem Herrn durch ein heiliges Leben meinen Dank beweise,“ antwortete der Kranke. „Ach“, entgegnete der Pastor, „freue dich, dass du zu dem Herrn kommst. Es ist seliger, ihm oben zu dienen in Heiligkeit, als Ihm hier auf dieser armen Erde noch armselige Rekrutendienste leisten zu wollen!“

Aber die 80.000 Taler des Naeman haben doch auch ihren großen Wert. Zwar nicht vor Gott. Er will aus Gnaden geben und gibts nur dem, der es aus Gnaden haben will. Aber wohl für Gott, für Sein Reich. Es ist etwas anderes, sich mit schnödem Gold und Silber Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit erkaufen zu wollen, als nach erfahrener Barmherzigkeit sich mit seinem Gold und Silber dem Herrn zur Verfügung zu stellen. Es ist etwas anderes, sich mit guten Werken den Himmel verdienen zu wollen, als des Himmels im Glauben aus Gnaden gewiss, im Stande der Heiligung und guten Werke erfunden zu werden. So unmöglich das eine ist, so nötig, so selbstverständlich ist das andere.

80.000 Taler! Ist's so viel, wie die Gelehrten ausgerechnet, so ist es sehr viel, was Naeman dem Propheten geben will.

Fürwahr ein nobler, freigebiger Mann, der nicht am Geld hängt. Das Geld hat eine das Herz umstrickende furchtbare Macht. Vom Geld los zu sein, es zu haben, als hätte man es nicht, das bedeutet eine hohe Stufe der Heiligung. In einer Versammlung, in welcher um die völlige Hingabe der ganzen Person an den Herrn gebetet wurde, stand ein alter Mann auf und betete: „Herr, hilf, dass wir Dir allein die Rettung unserer Seelen anvertrauen!“ „Amen,“ antworteten viele Stimmen. „Herr, hilf, dass wir Dir allein die Bewahrung unseres Leibes vor Schaden und Gefahr anvertrauen!“ Wiederum erscholl von verschiedenen Seiten ein freudiges „Amen,“ „Herr,“ rief nun der Alte, „ hilf, dass wir Dir allein die Verfügung über unser Geld anvertrauen!“ Jetzt war alles stumm, und kein Amen erfolgte. Ja, die Bekehrung des Geldbeutels ist doch immer ein besonders schwieriger Artikel der Heilsordnung.

Das Reich Gottes zwar hat mit dem Gelde nichts zu schaffen. Wir sind nicht mit Gold oder Silber erlöst, sondern mit dem teuren, heiligen Blute und dem unschuldigen Leiden und Sterben unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi. Sie mussten alle durch das rote Meer, die in das gelobte Land wollten. Moses so gut, wie der geringste unter den Israeliten. müssen alle Seelen abgewaschen werden im Blute des Lammes. Die Seele des Millionärs kann nicht anders rein werden, als die Seele des Bettlers. Für Geld ist keine Stelle in dem Programm unserer Erlösung. Aber damit das Reich Gottes zu den Leuten komme, ist das Geld nötig.

Ohne Geld können keine Kirchen und Schulen gebaut, keine Gemeinden gegründet, keine Prediger und Lehrer angestellt und unterhalten werden. Ohne Geld kann kein Missionshaus bestehen.

Woran liegts, dass unsere Herberge zur Heimat noch nicht steht? Am Gelde. Woran liegts, dass in großen Gemeinden keine Seelsorge geübt werden kann, wie sie so nötig wäre, sonderlich in heutiger Zeit? Am Gelde. Denn ohne Geld kann kein neuer Pastor oder Stadtmissionar berufen werden. Bittet den Herrn, dass Er Arbeiter sende in die Ernte, sagt Jesus. So tuts auch not, dass wir darum bitten, dass in der Christenheit die Naemans nicht fehlen, die gern ihr Geld und Silber zu den Füßen des Gekreuzigten legen.

3.

Ach, dass doch mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre! so hatte die kleine Dirne aus Israel gesagt. Die dachte bei ihren Worten weder an den König von Syrien noch an den König von Israel. Sie hat gewiss auch keine Silbe geredet von Gold und Silber und Feierkleidern. Naeman dachte anders. Wir habens schon gehört. Er rechnet auf die Macht seines Königs und baut auf seine Seckel und Talente. Und was noch fehlt, das wird und kann der König von Israel tun. Durch alle diese Anschläge und Gedanken klingt mahnend hindurch das Wort der Dirne: Ach, dass doch mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre! Sie wusste wohl, dass geschrieben stand: Verlasst euch nicht auf Fürsten; denn sie sind Menschen und können nicht helfen. Denn wir haben einen Gott, der da hilft und einen Herrn, der vom Tode errettet.

Der König von Israel kann und weiß nichts, das muss jetzt Naeman erleben. Ratlos hätte er ihn ziehen lassen müssen, wenn nicht Elisa selbst dem Naeman den Weg gezeigt. Dass in seiner eigenen Hauptstadt ein Prophet wohnt, der in der Kraft Gottes losmachen kann vom Aussatz das weiß der König nicht. Wohin war es doch mit den Königen Israels gekommen! Was die kleine Dirne in Israel wusste, war dem Könige verborgen. Sie sollten der Religion Hüter und Beschützer sein. Aber sie waren geworden wie der Heiden Könige, verachteten Jehovas Propheten und verfolgten seine Priester!

Liebe Brüder und Schwestern! Dass wir unter dem Zepter eines Kaisers Wilhelm leben, dafür sollten wir Gott von Herzen dankbar sein. Es ist fürs ganze Land von größter Bedeutung, was für eine Luft am königlichen Hofe weht. Nicht aufwärts, sondern abwärts fließen die Wasser. Wie's am königlichen Hofe tönt, klingts durchs ganze Land. Weht auf dem königlichen Palais die Fahne mit der Inschrift „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in Ewigkeit“, so erfreut es und stärkt es alle Bekenner des Heilandes im ganzen Lande. Und ist es nicht der Fall, so erhebt um so trotziger der Unglaube sein Haupt im ganzen Lande. Darum wollen wir Gott und dem Kaiser danken für jedes offene Bekenntnis aus kaiserlichem Munde zu Dem, vor dem sich alle Knie beugen sollen.

Aber was dir Menschenkind hilft in deinen Leibes-, Seelen- und Todesnöten, was dich selig macht zeitlich und ewiglich, das liegt in den durchgrabenen Händen dessen, der der Menschheit oberster Prophet, einiger Hoherpriester und ewiger König ist.

Lebendig machen - Leben geben, inneres Leben, Glaubensleben, Liebesleben, Hoffnung des ewigen Lebens, Lebenstrost in Trübsalen, Lebenskraft in Anfechtungen, ein Leben, kraft dessen Leib und Seele sich freuen in dem lebendigen Gott, ein Auferstehungsleben zum Wandel nach dem Himmel - das ist und bleibt ein Privilegium dessen, von dem geschrieben steht: Er wird sein Volk selig machen. Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat das Leben. Joh. 3,36. Unser König ist der oberste Bischof unserer Landeskirche. Aber der Hirt und Bischof unserer Seelen ist Christus, welcher unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, auf dass wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch welches Wunden ihr seid heil geworden, schreibt 1. Petrus 2,24. Patriotismus und äußeres Kirchentum ist noch kein Christentum. Lasst uns unsern König ehren und für ihn beten. Lasst uns unsere Kirche lieben und heilig halten ihre Ordnungen. Aber suche deine Hilfe nicht an den Höfen der Könige, Denn sie sind Menschen und ihre Macht errettet nicht. Hoffe auch nichts von den toten Kirchenmauern. Hoffe auf Den, der darin gepredigt wird. Suche Jesum und Sein Licht, alles andere hilft dir nicht. Komm zu Ihm und erfahre, dass Hilfe da ist in allen deinen Nöten.

O Meister, Du kannst mich erretten,
Sprich nur ein Wort, so werd ich frei,
So zeigen die zerbrochenen Ketten,
Dass Deine Hilfe mächtig sei.
Es wird zu Deinem Preise dienen,
Wenn durch Dich das zu Boden fällt,
Was mich zu stürzen hat geschienen,
Wenn Deine Macht mich schützt und hält.

O Mittler, ich ergreif Dein Büßen,
Ich fasse Dich, so gut ich kann;
Dein Heilen kann den Schmerz versüßen,
Nimm Du Dich meiner gnädig an.
Die Mittel lass ich mir gefallen,
Die Du zum Retten dienlich findst.
Wenn Du mich nur in Deinem Wallen
Von neuem Dir zum Dienst verbindst.

Ja, komm zu Jesu!

1)
Naeman sagt es seinem Herrn an. Es war eine wichtige Sache, um die es sich handelte. Sollte und durfte er, ein Heide, bei den Juden Hilfe suchen? Und obendrein er, der Sieger, bei den von ihm Besiegten? Das konnte großes Ärgernis erregen unter den Syrern. Darum die Beratung mit dem Könige. Wäre das Leben des Naeman seinem Könige nicht so überaus wert gewesen, hätte derselbe seine Zustimmung nicht gegeben. Aber es war sonst keine Hilfe mehr da. So sprach denn der König: Ziehe hin. Das war nicht die Sprache des Glaubens, sondern der bitteren Not. Wenn trotz aller Aufklärung und Bildung, Kunst und Wissenschaft, Industrie und Erfindungen die Zeiten böser werden, wenn das Latein der Welt zu Ende ist, wenn besondere Heimsuchungen und schwere Nöte über unser Volk hereinbrechen werden, wenn hier und da am Leibe die schauderhaften Geschwüre des Atheismus die Lehre, die einen lebendigen, persönlichen Gott leugnet aufbrechen, wenn man erschrocken fragen muss: Wo soll es noch hinaus, wenn es so weiter geht? dann wird auch von oben herunter, des sind wir gewiss. noch viel kräftiger dem Volke zugerufen werden: Zieht hin zu dem Propheten von Nazareth. Dann wird man in den Reichstagen und Parlamenten andere Reden hören. Dann wird wohl kein Professor in Berlin mehr reden von der „Frau als von einem weiblichen Muttertier.“ Die Sozialisten und Nihilisten haben auch ihr Gutes. Sie zeigen und beweisen, wohin die Menschheit kommt, wenn sie nicht mehr hört auf die Stimme des Propheten von Nazareth. Mit Gesetzen sind diese Umstürzler nicht tot zu machen. Nur das Evangelium kann dieser „Hölle der Menschheit eine Pestilenz sein.“ Hos. 13,14. Der Dichter Heinrich Heine sagt einmal: „Ich huldigte dieser Lehre, d. h. dem Atheismus, so lange sie in den Salons ausgesprochen wurde; als sie mir aber die Arbeiter mit ihren rohen Fäusten vordemonstrierten, ekelte mir davor.“ Warum ein Gefühl des Ekels nur vor ungläubigen, gottlosen Arbeitern?
2)
Zehn Talente und sechstausend Seckel Gold bedeuten nach unserm Gelde, wie die Schriftgelehrten ausgerechnet haben, gegen 225 000 Mark. Ein schönes Honorar, zugleich ein Beweis für den Reichtum des Naeman. Er will sich's etwas kosten lassen. Es ist nur gut, dass die 20-Markstücke bei Gott keinen Kurs haben. Gott verlangt mehr, viel mehr. Ein Herz, das zerschlagen ist, einen Geist, der geängstet ist.
3)
Der Brief wird nicht vollständig mitgeteilt; es wird nur die Hauptsache angegeben. Und die ist kurz und bündig ausgedrückt. Wir können auch etwas daraus lernen. Nämlich, dass wir auch vor Gott nicht so viele Worte machen und Ihm sagen, was wir wollen. Man hat oft das Gefühl, wenn man einen beten hört, als wenn man ihm zurufen müsste: so bitte doch etwas.
4)
Der König von Israel gerät um dieser Bitte willen in die größte Aufregung, in Angst und Bestürzung. Er soll helfen und kann nicht und fürchtet den Zorn des Königs von Syrien Es ist bemerkenswert, dass der König von Syrien in seinem Briefe kein Wort vom Propheten Elisa erwähnt. Die Götzendiener an seinem Hofe waren ohne Zweifel gefügige Werkzeuge seines Willens. So dachte er sich auch den Propheten Elisa. Wenn nur der König will, der Prophet wird schon müssen. Es ist sehr traurig, wenn Diener Gottes Menschenknechte sind. Und noch trauriger, wenn die Kirche selbst zur Staatsmagd wird und vom Staate Lohn und Brot und Befehle empfängt. Die Kirche soll wohl dem Staate dienen und ihm treue und gehorsame, gewissen hafte und pflichterfüllte Untertanen erziehen, aber sie darf keine sklavische Staatsdienerin werden. Dass aber auch der König von Israel nicht an den Propheten Elisa denkt, der in seiner Hauptstadt wohnt, ist noch viel bemerkenswerter und trauriger. So weit war es mit den Königen in Israel gekommen, dass sie die Propheten Gottes verkannten und missachteten. Wie viele haben die Kirche in der Nähe und das Wort Gottes auf dem Tisch und wissen doch nichts von der Kraft Gottes. Sie sind jahrelang unterrichtet, sie hören und lesen von christlichen Dingen und verstehen doch nichts von den einfachen Wahrheiten des Evangeliums. Den Weisen und Klugen dieser Welt ist's verborgen, den Unmündigen geoffenbart. Dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in Seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben.
5)
Die kleine Dirne sagt es ihrer Gebieterin: Ach, dass doch mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre! Dass es die Frau Naeman ihrem Manne sagt, wird als selbstverständlich nicht erwähnt. Denn unser Text fährt gleich fort: Da ging Naeman hin. Wer zwischen den Zeilen liest, mag hier herauslesen das herzliche, innige Verhältnis der beiden Eheleute zu einander. Mein Herz in mir teil ich mit dir! So war es bei Naemans. Wie viel mehr sollte es sein bei denen, die das Gebot kennen: Ihr Männer, liebt eure Weiber, gleichwie Christus auch geliebt hat die Gemeinde. Und die Weiber seien untertan ihren Männern als dem Herrn. Dass im Hause Naemans zwischen den Eheleuten vom Propheten zu Samaria geredet wurde. sollte alle christliche Eheleute ermutigen, von dem Propheten zu Nazareth zu reden. Aber es gibt der Christenhäuser nur zu viele, in denen der Name Jesus nie genannt wird. Mann und Frau schämen sich gegenseitig des Bekenntnisses zu dem, in dem nach der Schrift alles Heil beschlossen liegt. Das sind keine christlichen Ehen.
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