Dammann, Julius - Der Feldmarschall Naeman oder Des Menschen Elend und seine Errettung - 1. Aber aussätzig.

Dammann, Julius - Der Feldmarschall Naeman oder Des Menschen Elend und seine Errettung - 1. Aber aussätzig.

V. 1. Und Naeman1), ein Heeresoberster des Königs von Syrien2), war ein trefflicher (bedeutender) Mann vor seinem Herrn und hochangesehen; denn durch ihn hatte Jehovah den Syrern Sieg gegeben; und der Mann war ein gewaltiger Held, aber aussätzig.

Die Geschichte Naemans kann nie ausgepredigt werden. Sie ist wie ein Baum, von dem man, so oft man auch kommt, Früchte abschütteln kann. Den Weg Naemans muss jeder Mensch gehen, wenn er Hilfe haben und selig werden will. Aber es gehen ihn nur wenige, darum bleiben so viele in ihrem Elend, leiblich und geistig, zeitlich und ewiglich. Des Murrens und Klagens ist kein Ende bei Armen und Reichen, Hohen und Niedrigen und in allen Ständen. Und doch könnte dir geholfen werden, mein Bruder, wenn du dir nur helfen lassen wolltest. Wie? Das können wir eben lernen aus der Geschichte Naemans. Es gibt Kranke, die wollen nichts davon wissen, dass sie krank sind, und schicken nicht zum Arzte. Es gibt Kranke, die lassen sich ein Rezept verschreiben, aber schicken es nicht in die Apotheke. Es gibt Kranke, die haben die Medizin vor ihrem Bette stehen, aber sie nehmen sie nicht. Die können alle nicht gesund werden, wenn und soweit Ärzte helfen können. Ist denn keine Salbe in Gilead? oder ist kein Arzt nicht da? Warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt? klagt und fragt der Prophet Jeremias. (8,22.) Ach, Salbe ist wohl da, der Arzt ist auch da, aber man geht nicht zum Arzt und will auch seine Salbe nicht. Die Welt ist wie Bethesdas Hallen. Joh. 5. Sie seufzen unter ihrem Elende, ihren Trübsalen, unter tausend Nöten und Kreuzen, die armen Menschenkinder. Sie seufzen unter geheimen und offenbaren Sünden und haben keinen Frieden. Sie seufzen unter der Furcht des Todes. Es gibt Familienkrankheiten, Gemeindekrankheiten, Volkskrankheiten, soziale Krankheiten, politische Krankheiten. Lasst es euch sagen, ihr Kranken in Stadt und Land, in Hütten und Palästen: Es heilt euch weder Kraut noch Pflaster, sondern Gottes Wort, das alles heilt. Weisheit 16,12.

Ich bin der Herr, dein Arzt! so ruft's aus dem Worte Gottes heraus. 2. Mos. 15,26. Und die Geschichte Naemans bestätigt es: Ja, der Herr ist ein Arzt, der helfen kann. So begib dich endlich in Seine Kur, und du wirst rein und heil werden. Was das für eine Kur ist, lernen wir aus der Geschichte Naemans.

Heute wollen wir reden von des Menschen Elend. Davon wollen die Menschen nicht gern hören. Zwar das haben sie schon gern, wenn man mit ihnen von ihrem äußern Elend spricht. Zum Exempel von ihrer Armut, Krankheit, allerlei Not und Trübsal. Da können sie selbst stundenlang einem die Ohren voll klagen. Das alles ist auch ein Elend, davon wir reden wollen. Aber das Elend ist es nicht. Des Menschen Elend ist seine Sünde. Nicht seine Sünden, sondern dass er von Natur von der Sünde durchseucht und vergiftet ist. In Sünden empfangen und geboren und verloren, tot in Sünden. Das ist eine böse Diagnose. Weiß wohl, dass die Leute sehr böse werden, wenn man ihnen dieses sagt. Aber ich sage es nicht, sondern Gottes Wort sagt es. Wenn nun der Arzt zu seinem Patienten sagt: Mein Freund, deine Krankheit ist zum Tode, ich kann dir nicht helfen, wenn Gott nicht hilft, - so kann zweierlei geschehen. Entweder wird der Patient zuerst erschrecken, dann ruhig werden, dem Arzte glauben und sein Haus bestellen. Oder aber er wird sehr böse und unwillig und will von solchem Arzte nichts mehr wissen. Ähnliches geschieht, wenn den Leuten gepredigt wird: Ihr seid des Todes, wenn ihr nicht Buße tut und glaubt. Eure Sünde stürzt euch in die ewige Verdammnis. Etliche erschrecken, gehen in sich, nehmen es an, glauben es und fangen an mit Furcht und Zittern zu schaffen, dass sie selig werden. Die andern nun, das sind die meisten, werden sehr böse und unwillig über einen solchen groben, taktlosen, plumpen Prediger, der die Frechheit hat, ihnen, den achtbaren Leuten, so etwas zu sagen. Was tust du?

Schaff' deine Sünde fort, und all dein Elend wird weichen wie die Morgennebel, wenn die Sonne aufgeht.

Wir wollen heute betrachten:

Naeman, der Syrer, oder: Des Menschen Elend.

Nämlich:

  1. Ein trefflicher Mann und doch so sehr getroffen,
  2. so hoch gehalten - und doch so sehr erniedrigt
  3. so gewaltig - und doch so ohnmächtig.

1.

Und aussätzig, übersetzt Luther. Es trifft den Sinn unseres Textes besser, wenn wir übersetzen: aber aussätzig. Dreimal könnte dies: „aber aussätzig“ in unserm Texte stehen. Ein trefflicher Mann - aber aussätzig; hoch gehalten - aber aussätzig; ein gewaltiger Mann - aber aussätzig. Es stände sonst alles gut um unsern Naeman, wenn nicht die beiden Worte dabei ständen: aber aussätzig. Diese Worte machen einen dicken Strich durch die drei Worte: trefflich, hochgehalten, gewaltig. Sie ziehen wie ein schweres Bleigewicht die irdische Herrlichkeit in eine grausige Tiefe.

Aber aussätzig. Aber arm, aber krank, aber ein Krüppel, aber ein Fresser, aber ein Säufer, aber ein Hurer, aber ein Ehebrecher, aber ein Lügner, aber ein Betrüger, aber unzuverlässig, aber unversöhnlich, aber zornig, aber ungeduldig, aber stolz, aber selbstgerecht, aber putzsüchtig usw. eins von diesen kann. man hinter jeden Menschen sehen, so viel Gutes auch zuvor von ihm gesagt werden kann. Auch Gläubige, auch Gotteskinder haben ihre „aber“. Am schrecklichsten ist es, wenn von einem gesagt werden muss: aber ungläubig, aber nicht bekehrt, aber, wenn er so bleibt, auf dem Wege zur ewigen Verdammnis. Mein Bruder, meine Schwester, dein Geld, deine Gesundheit, dein Ruhm, deine Bildung, deine glückliche Ehe, dein hoher Stand, es wird alles verschlungen von dem einen: aber ungläubig, aber nicht bekehrt.

„Ein trefflicher Mann“ - soll heißen ein großer bedeutender Mann vor seinem Könige. Wenn er vor seinem Könige schon so groß dastand, wie viel mehr vor den Eingeborenen des Landes. Wenn ein Armer dich für reich hält, so bedeutet das noch nicht viel; wenn aber ein Millionär dich für einen reichen Mann erklärt, so kann man schon Respekt haben vor deinem Reichtum. Ein trefflicher Mann nach allen Seiten hin. Erstens als siegreicher Feldhauptmann in hohen Ehren bei Hofe und dem ganzen Volk. Ein guter und geliebter Haus- und Familienvater. Wie besorgt ist die israelitische Dirne um sein Leben. Wie vertraulich verkehren seine Diener mit ihm. Ein reicher Mann. Er führt einen ganzen Wagen voll Geld mit sich, um den Propheten Elisa für seine Heilung zu bezahlen. Ein trefflicher Mann. Groß im Glück, im Amt, im Hause.

Aber aussätzig. Getroffen von einer schrecklichen, unbeschreiblich traurigen Krankheit. Es stand ja alles so gut, so gut um ihn; aber er war aussätzig. Der Aussatz überschattete das große Glück seines Lebens. Vor dem Aussatz erbleichte der Glanz seines Goldes, das Glück seines Hauses, die Ehren seines Lebens. So musste es auch Naeman erfahren: Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben. Sir. 40. Ja „des Lebens unvermischte Freude ward keinem Sterblichen zu teil.“

Liebe Brüder und Schwestern, ist denn einer hier, der kein böses „Aber“ hätte? Nein, kein einziger. Ist denn einer hier, der hier auf Erden das Paradies fände? Kein einziger. Ist denn einer hier, der ohne besondere Not, ohne besonderes Kreuz wäre? Kein einziger. Da ist einer, der schwimmt im Gold. Unter seinen Händen verwandelt sich alles zu Gold. Meint ihr, er hätte kein Aber? Da ist einer, der hat ein gutes Weib und wohlerzogene Kinder. Meint ihr, ihn drücke nichts? Geht, wohin ihr wollt, ihr findet hier blühende Gesundheit, dort viel Arbeit und reichlichen Lohn, hier große Ehren, dort ein schönes Familienleben, aber überall ein Kreuz und einen besonderen Kummer. Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual. Oft ist's offenbar, wie bei Naeman, Hiob, Tobias, Lazarus, oft heimlich und doch viel drückender. Torheit über Torheit, in den Dingen dieser Welt sein Leben, sein Glück, seine Seligkeit finden zu wollen. „Die Blumen, welche in der Erde Garten wachsen, welken in unserer Hand, während wir an ihnen riechen. Gesundheit flieht, Reichtum verfliegt, Ehre ist ein Hauch der Luft, Vergnügen ist eine Seifenblase. Liebe Seele, pflücke deine Jelängerjelieber im Garten des Herrn und suche deine Kaiserkrone nur im Paradiese droben.“

Wenn Kinder Schmetterlinge greifen, vergehen die bunten Flügel in ihren Fingern und es bleibt nichts als der hässliche Wurm. Ist es nicht so mit allen irdischen Bestrebungen? Wie laufen und wie rennen wir, und wenn wir's erlangt, wonach das Herze stand, gleich geht der Schmelz davon. Noch lieber der Schulknabe, welcher dem bunten Schmetterlinge nachrennt, als sein Vater, der sich müht und plagt um etwas noch Trügerischeres. Das Glück selbst trügerisch und fadenscheinig, und durchzogen von Kummer und Sorge, Jammer und Elend. Kein helles Licht ohne dunklen Schatten, keine reizende Rose ohne ritzende Stacheln. Hunderttausende weinend und seufzend unter den offenbaren Folgen ihrer Sünden, hier ein Dieb, dort ein Betrüger, hier ein Säufer, dort ein Unzüchtiger: so sieht es aus unter allen Ungläubigen hin und her in engen, dumpfen Kellerwohnungen und hinter großen Spiegelscheiben.

Und die Gläubigen? Die tragen die Malzeichen des gekreuzigten Herrn Jesu an ihrem Leibe, die kämpfen und leiden, werden verkannt und verachtet, verfolgt und geschmäht, müssen sich kreuzigen und selbst verleugnen, werden geprüft und geläutert im Schmelztiegel der Trübsal, ängsten und sehnen sich, warten auf ihres Leibes Erlösung und auf den großen Augenblick, wo Gott abwischen wird alle Tränen von ihren Augen und sie aus allen Trübsalen herausgekommen sind. Sie können keine höhere Stufe ihrer „Trefflichkeit“ und Heiligkeit erringen, ohne dass sie nicht von des Satans Engel mit Fäusten geschlagen werden, dass sie sich nur nicht überheben.

Aber das Klagelied über des Menschen Elend hat drei Kapitel. Im ersten steht Not, im zweiten die Sünde, im dritten der Tod. Lasst uns hören von des Menschen Sünde. Die ist's, die ihn erniedrigt, demütigt, schlägt und plagt und dem leiblichen und ewigen Tode überantwortet.

2.

So hoch gehalten und doch so sehr erniedrigt. Naeman war hochgehalten, das heißt hochangesehen; denn durch ihn gab der Herr Sieg den Syrern. Seinem Mute und seiner Klugheit hatte der syrische König den Sieg über Israel zu verdanken. Die Tapferkeit der Soldaten wird wenig ausrichten, wenn nicht die rechten Männer an der Spitze stehen. Darum Ehre und Ruhm Männern wie Bismarck, Moltke, Roon, weil durch sie der Herr unserem Volk Siege über unsere Feinde gegeben hat. Der Name Naemans wird einen ähnlichen Klang damals bei dem König und Volk der Syrer gehabt haben.

So hoch gehalten und doch so sehr erniedrigt. Denn er war aussätzig. Der Aussatz war eines Menschen tiefste Erniedrigung.

Ein aussätziger Israelit war vom Heiligtum und von der Gemeinschaft des Bundesvolkes gänzlich ausgeschlossen. Der Aussätzige heißt im Hebräischen: ein von Gott geschlagener. Ausgestoßen war er aus der menschlichen Gesellschaft. Unrein wurde jeder, der in seine Nähe kam. Darum musste der Aussätzige durch seine Kleidung und den Ruf: Unrein, unrein! schon von ferne sich kenntlich machen. Diese grauenhafte Zerstörung des Körpers, dieses Sterben bei lebendigem Leibe war eine erschütternde Predigt von dem Verderben, das die Sünde über den Menschen gebracht hat. Armer Naeman, was nützen dir deine Lorbeeren? Jeder zieht sich von dir zurück. Man meidet dich wie die Pest. So hoch gehalten und doch wie sehr erniedrigt!

Liebe Brüder und Schwestern, hier muss es gesagt werden: die Sünde ist der Leute Verderben, der Leute größtes, tiefstes Verderben. Naeman ist ein Glied am Leibe der Menschheit. An diesem Leibe ist nichts gesundes von der Fußsohle bis aufs Haupt. Das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt. Jes. 1. In Sünden empfangen und geboren Ps. 51,3, das ist der göttliche Urteilspruch über jeden, jeden Menschen. Hier ist das ABC des Evangeliums. Wer diese Lektion nicht gelernt hat, versteht nichts von dem, was das Evangelium will. Der Leib wäre nicht aussätzig, wenn die Seele nicht aussätzig wäre. Die Menschheit seufzte nicht unter einem Heer von zahllosen Krankheiten, wenn die Seele nicht tot oder krank in Sünden wäre. Es gäbe keine Not in der Welt, wenn die Sündennot nicht da wäre. Wie murren, denn die Leute alle? Ein jeglicher murre über seine Sünde. Klagel. 3,39. Sünder sind wir, nicht weil wir diese oder jene Sünde tun, sondern weil die Seele von Natur ganz und gar durch die Sünde verderbt ist. Ich bin mir wohl nichts bewusst, sagt Paulus, will sagen, ich weiß von keiner vorsätzlichen Untreue, aber deswegen bin ich nicht gerechtfertigt vor Gott. 1. Kor. 4,4.

„Wie man von einem Baum sagt, beim Hauch des Wassers wird er Knospen treiben“, so ist es mit unserer verderbten Natur. Bei der ersten Gelegenheit wird sie Sprossen treiben. Erfahrene Gläubige fühlen in der Tiefe ihres Herzens das Böse ihrer Natur. Sie wandeln deshalb demütig mit Gott und schreien zu Ihm, dass er sie vor dem Bösen bewahre. Der Fall Adams hat uns alle traurig zerschlagen und zerstoßen. Dass wir noch ferneren Schaden leiden durch eigenen persönlichen Fall, ist noch ein Überfluss an Bosheit. Wären wir heilig, dann würden wir selig sein. Aber unsere Unheiligkeit hat alle Türen und Fenster weit aufgemacht, durch welche nun zahllose Plagegeister hineinströmen. Wie wahr sagt der alte Lamech, als ihm sein Sohn Noah geboren, den er schon irriger Weise für den verheißenen Christus hielt: Der wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf Erden, die der Herr verflucht hat. 1. Mose 5,19. Das ist das Meisterstück des Satans, dass er des Menschen inneres Auge so verblendet und verfinstert, dass er die „Sündigkeit der Sünde“ nicht mehr sieht. Ein bisschen Schwachheit wie bei allen Menschen, aber doch kein Ehebrecher und kein Mörder, kein Dieb und kein Betrüger und von Zuchthaus und Gefängnis weit entfernt damit sind die allermeisten betreffs ihrer Sünde fix und fertig. Das ist die Welttheologie. Es ist aber das Meisterstück des Heilands, dass er dem Blindgeborenen die Augen öffnet und derselbe dann wie der Augustinermönch Luther in seiner Zelle an zu schreien fängt: Meine Sünde, meine Sünde, meine Sünde! Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen! Jes. 6,5. Nur darum wird Christus nicht erkannt von Tausenden sogenannter Christen, weil sie ihre Sünde nicht erkennen. Nur darum schmecken sie nichts von dem Honigseim des Evangeliums, weil sie noch nicht gekostet haben das Gallenbitter des Sündenkelches. Herr Pastor, sagte mir mal einer von den Gebildeten und Aufgeklärten, die ganze Woche quält man sich ab in seinem Geschäft und schlägt sich herum mit allerlei Sorgen, und am Sonntag soll man noch in der Kirche hören, dass man ein armer, elender Sünder ist. Das können Sie nicht verlangen. Traurig ist die Sünde, denn alle Traurigkeit der Welt hat sie verschuldet. Aber trauriger als die Sünde ist die Blindheit, welche die Sünde nicht sieht.

So hochangesehen, mein Bruder. So brav, so liebenswürdig, so fleißig, so strebsam, so redlich, so pflichttreu, so gutmütig, so hilfreich, so aufmerksam, so freundlich und wer weiß, was alles ich will es dir alles lassen. Aber vor Gott hast du keinen Ruhm. Das eine Wort: Verflucht, der nicht alle Worte des Gesetzes erfüllt, dass er danach tue, 5. Mos. 27,26, ist wie die Keule Kains, die den Abel zu Boden schlug. Es geht manch ein Kaufmann durch die Straßen so hoch angesehen. Aber in seinen Büchern stimmt es nicht. Der Konkurs ist vor der Tür und wird ihn sehr erniedrigen. So hoch angesehen bist du vielleicht vor dir selbst und vor der Welt. Mein Lieber, siehe, in Gottes doppelter Buchführung steht dein Bankrott verzeichnet. Das Gesetzbuch von Sinai und das Schuldbuch deines Lebens werden dich richten und vernichten. Siehe, das ist dein wirkliches Elend, und nicht deine Krankheit, nicht deine Armut, nicht dein Hauskreuz. Denn alles dieses kann dir morgen abgenommen werden. Aber die Sünde bleibt auf deiner Seele liegen und ist für dich der unschiebbare Riegel am Tore des Paradieses. Kennst du nur die Tränen über deines Leibes Krankheit, deiner Kinder Elend, deines Kastens Leere, deines Amtes Bürde, deines Nächsten Falschheit, deiner Lieben Sterben? Nur die Tränen? Und hast du von den Tränen noch keine geweint, davon im 6., im 32., im 38. Psalm die Rede ist? Dann kennst du dein Elend noch nicht. O dass der Herr sich über dich erbarmte und dir die Augen öffnete. Dass du erst mal Tränen weintest über deine Sünde. Dir könnte geholfen werden.

3.

So gewaltig und doch so ohnmächtig. Und er war ein gewaltiger Mann. Wörtlich: der Mann war ein gewaltiger Held. Das Wort Gottes übertreibt nicht. Ein Held sein ist schon viel, aber für Naeman noch zu wenig. Er war ein Mann von außergewöhnlichem Mute, von ganz besonderer Geistes- und Körperkraft. In Feldzügen und Schlachten hatte er Proben davon abgelegt, dass er sich vor keinem Feinde fürchtete und jedem Feinde gewachsen war.

Ein gewaltiger Held und doch so ohnmächtig. Denn er war aussätzig. Vor dem Aussatz musste er die Waffen strecken. Er sah den Tod vor Augen, der wie ein gewappneter Held über ihn kam. Er fühlte seine Leibeskraft dahin schwinden; und wer ihn sah, fühlte es auch: ein Kind des Todes - der gewaltige Held. Er, der sich vor keinem Feinde gefürchtet, ist ein Knecht in der Furcht des Todes. Naeman geht dem sicheren, schnellen Tode entgegen. Ist denn unser Los ein anderes? Ob ein wenig schneller, oder ein wenig langsamer, wir holen den Tod ein, oder er holt uns ein. Und mit dem Tode bricht die ganze sichtbare Welt vor dem brechenden Auge zusammen. Der Tod ist die Besiegelung des menschlichen Elends. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod, heißt es bei Jesus Sirach. Vor ihm erzittert der Weltmensch. Denn er verliert im Tode alles, was er hat. Auch der Gläubige wollte lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, auf dass das Sterbliche verschlungen würde von dem Leben. 2. Kor. 5,4. Der Tod hat ursprünglich nicht im Plan der Schöpfung gelegen. Gott sah an alles, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut. Als diese Worte in Kraft standen, kann der Tod noch nicht dagewesen sein. Denn der Tod ist nicht gut, er ist sehr böse.

Der Mensch mag die Sünde oft sehr süß finden. Die Frucht der Sünde, der Tod, ist immer sehr bitter. Was der Löwe ist für die Herden der Ebene, die Eichel für die Blumen der Wiese, ist der Tod für die Menschenkinder. Wie Schachfiguren alle zusammen in den Beutel geworfen werden, so ist im Grab kein Unterschied mehr. Schädel tragen keine Kränze und Leichen. tragen keine Ehrenzeichen. Der Läufer fällt in den Kasten mit den Bauern und der König und die Königin werden dazu gelegt. Wie kläglich, dass manche Menschen den Kopf so hoch über ihre Nebenmenschen den ganzen Tag tragen; denn sie werden nachts in demselben Bett von Erde schlafen müssen, wie die, welche sie verachten.

Du Menschenkind, so gewaltig! Vielleicht ein Fürst an Ehren und an Siegen reich, von Millionen geehrt und gepriesen; vielleicht ein Mann der Kunst und Wissenschaft mit großer Achtung und Bewunderung genannt; vielleicht ein sehr reicher und darum sehr mächtiger Mann; vielleicht strotzend von Kraft des Leibes in der Fülle der Jahre; vielleicht der Erste und Einflussreichste in der ganzen Gemeinde; vielleicht den ganzen Kopf voller Pläne, das ganze Herz voller Hoffnungen; vielleicht gewaltig in Wort oder in der Tat, gewaltig durch des Leibes oder des Geistes Stärke. Ja, wie gewaltig heute noch und morgen wie ohnmächtig unter den Händen des Todes. Ohnmächtig du selbst: denn Sinne und Gedanken vergehen wie ein Licht, das hin und her muss wanken, wenn's ihm am Öl gebricht. Ohnmächtig das ganze Heer der Ärzte um dein Bett herum, wenn sie keinen Rat mehr wissen, den fliehenden Geist zurück zu halten in der Leibeshülle. Nicht sterben wollen und sterben müssen, wer mag das Elend ausdenken! Wir verstehen den flehentlichen, stürmischen Ruf einer sterbenden, gebildeten, vornehmen Weltdame: Herr Doktor, ich will nicht sterben. Sie müssen doch ein Mittel haben, um mich zu retten! Wir verstehen, warum der Fürst Metternich (gest. 1859) allen seinen Hausgenossen verbot, in seiner Nähe jemals das Wort „Tod“ auszusprechen.

Nicht sterben wollen und täglich sterben können. Welch klägliches Leben, täglich Anleihen bei der Hoffnung zu machen, von der der Dichter singt: Der Jüngling hofft des Mannes Ziel, der Mann der Jahre noch recht viel, der Greis zu vielen noch ein Jahr.

Wenn auseinander gerissen wird, was sich so innig liebte; wenn die Augen brechen, die des Mannes freundliche Sterne waren; wenn die Hände kalt werden, die Weib und Kind ernähren müssten; wenn das Kind weint: „mein Vater und meine Mutter verlassen mich“; wenn David über seinen Jonathan die Totenklage anstimmen muss; wenn der Myrtenkranz der Braut im Sarg aufs Haupt gelegt wird; wenn des Hauses Lieblinge verstummen und ihre Plätze am Tische leer werden; wenn die Witwe zu Nain hinter dem Sarge ihres einzigen Sohnes wanken muss welches Elend! Wie gewaltig ist der Mensch, wenn es gilt, sich die Erde untertan zu machen, und zu herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht. Staunenswertes ist geleistet im Reiche der Kunst und Wissenschaft. Großartig sind die Erfolge der Industrie, wenn sie neuentdeckte Naturkräfte und Naturgesetze in ihre Dienste stellt. Wo man geht und steht, überall findet man Spuren und Beweise. von dem, was der Mensch geleistet durch die Kraft seines Geistes, durch die Energie seines Willens. Und doch wie ohnmächtig ist er dem Grauen und dem Schrecken des Todes gegenüber! Vor der Gewalt des Todes muss Kunst und Wissenschaft, muss die Industrie samt allen Erfindungen die Segel streichen. Und ohnmächtig ist die Welt, Trauernde zu trösten mit dem Troste, der trösten kann.

Ja, der Tod ist für die Welt der unbesiegbare Feind, der König der Schrecken. Er tut eines Feindes Werke an uns, ehe er uns zu Boden schlägt. „Er kommt in unsern Garten und tritt unsere Lilien darnieder und streut unsere Rosen auf den Weg.“ Und wenn wir lange leben, ist's nur, um seine Verheerungen desto empfindlicher kennen zu lernen. „Tausend Brüder, ganze Heere von Bekannten schlafen schon, und ich schiffe noch im Meere, wo verborgene Klippen droh'n.“ Das Tier stirbt, wenn es stirbt. Es kennt den Tod nicht, der es vernichtet. Es weiß nicht, was das Sterben bedeutet, wenn es zur Schlachtbank geführt wird und tut seinen Mund nicht auf. Der Mensch stirbt nicht allein, wenn er stirbt, sondern auch ehe er stirbt und wenn er gestorben ist, wird seines Todes Bitterkeit empfunden von denen, die ihn betrauern. Die Macht des Todes wirft ihren Schatten auf das ganze Leben vor dem Tode und lange dunkle Schatten folgen nach dem Tode. „Nacht und Tod umfängt uns hier.“ Kunst und Wissenschaft, Aufklärung und Bildung, Vergnügungen und Zerstreuungen nichts kann Licht in diese Nacht bringen.. Vielleicht etwas Dämmerung, aber kein Licht, das die Finsternis besiegt. Des Menschen Elend wir haben ein wenig davon. geredet im Hinblick auf den aussätzigen Naeman. Wer kann es ausreden das Elend auf dieser Erde, die im Argen liegt und die der Herr verflucht hat? Es ist eine „Welt mit tausend Klagen, mit großer Jammerlast, die kein Mund kann aussagen“, wie Paul Gerhard singt. Des Lebens Not, der Seele Sünde, des Leibes Tod - das bleibt trotz aller langen Reden in den Parlamenten, trotz Unfall- und Altersversorgungsgesetzen. Das bleibt und wenn kein Kanonenschuss Europa mehr aus dem Frieden schreckte. Das bleibt und wenn die Ingenieure eine Eisenbahn über den Ozean bauen könnten.

Mich jammert herzlich, dass mein Volk so verderbt ist; ich gräme mich und gehabe mich übel. Ist denn keine Salbe in Gilead? Oder ist kein Arzt nicht da? Warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt?

Ja, es wär zum Weinen,
Wenn kein Heiland wär;
Aber sein Erscheinen
Bracht' den Himmel her.

Es kam ein Heiland, ein Befreier,
Ein Menschensohn, voll Lieb und Macht,
Und hat ein allbelebend Feuer
In unsern Herzen angefacht.

Nun sah'n wir erst den Himmel offen
Als unser altes Vaterland,
Wir konnten glauben, lieben, hoffen
Und fühlten uns mit Gott verwandt.

1)
Naeman das ist verdolmetscht der Huldvolle oder Angenehme. Der Name des Mannes entspricht seinem Wesen, wie das sehr häufig in der heiligen Schrift der Fall ist. Die Art und Weise, wie der große Mann mit seinen Hausgenossen verkehrt, ist huldvoll und herablassend. Darum auch die teilnehmende herzliche Liebe seiner Hausgenossen gegen ihn. Dieses heidnische Haus ist ein beschämendes Exempel für sehr viele Christenhäuser. O diese vielen Klagen der Herrschaften über die Dienstboten und umgekehrt sind ein Beweis, dass es an herablassender, teilnehmender, dienstwilliger Liebe fehlt. Angenehm war Naeman seinem Könige, denn er war sein tapferer, ruhmgekrönter Feldmarschall, darum lag ihm so viel daran, dass Naeman von seinem Aussatz geheilt wurde. Aber das allerköstlichste war, dass Naeman Huld und Gnade bei Gott gefunden. Hier trifft wieder das Wort zu, „gnädig bin ich, dem ich gnädig bin, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich.“ 2. Mos. 33, 19. Und viele Aussätzige waren in Israel zu des Propheten Elisä Zeiten, sagt Jesus (Luk. 4,23.), und derer keiner ward gereinigt, als allein Naeman aus Syrien. Auch Naeman musste schließlich bekennen: Mir ist Erbarmung widerfahren. Alle gläubige Christen sind Naemans; denn „sie sind angenehm geworden in dem Geliebten“, Eph. 1,6., und wissen weiter nichts zu rühmen, als die Huld und Gnade Gottes.
2)
Naeman war der Feldhauptmann des Benhadad, eines Königs von Syrien, und lebte in Damaskus, der Hauptstadt des Landes. Das Reich Syrien lag nördlich von Palästina. Zu derselben Zeit war Joram König von Israel, etwa um 880 vor Christi Geburt. Wie es um diesen König stand, geht daraus hervor, dass er gar nicht einmal wusste, dass ein Prophet in Israel sei, der helfen könne. V. 7 und 8. Das Reich Israel war um diese Zeit bereits wie eine Kugel auf der schiefen Ebene. Selbst Propheten wie Elias und Elisa konnten das Verderben nicht mehr aufhalten. 253 Jahre lang hatte Israel, seit es sich vom Hause Davids losgerissen, dem Herrn widerstrebt. Unter seinen 19 Königen war auch nicht ein einziger, vom dem hätte gesagt werden können: er tat, was dem Herrn wohlgefiel. Endlich war das Maß der Sünde voll und Gottes Langmut erschöpft. Im Jahre 722 v. Chr. Geburt wurde durch Salmanassar das Reich Israel erobert. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber fein. Gottes Barmherzigkeit ist sehr groß, aber sie hat doch auch ein Ende. Naemans Geschichte ist wie ein Sternlein in dunkler Nacht.
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