Claussen, J. - Stephanus nach Apostel-Geschichte 6 und 7 - I. Sein Amt.

Claussen, J. - Stephanus nach Apostel-Geschichte 6 und 7 - I. Sein Amt.

Apostelgeschichte 6,1-7.

Es war die Zeit des ersten raschen Aufblühens der Gemeinde. Viele sammelten sich zu den Füßen der Apostel, nicht bloß aus Jerusalem selbst, sondern auch aus seiner Umgegend. Ihre Kranken brachten sie zu ihnen, und sie wurden geheilt. Sa manche legten bei dem großen Andrang ihre Kranken auf die Straßen, damit nur etwa der Schatten des Petrus, wenn er vorüberginge, auf sie fiele. Vom Hohenpriester und den Sadduzäern ward freilich den Jüngern verboten, im Namen Jesu zu lehren, ja sie mussten sogar deshalb im Gefängnis büßen, aber ein Engel befreit sie und vor dem hohen Rat verantwortet sich Petrus mit dem kühnen Wort: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Da gab der Pharisäer Gamaliel den Rat: „Lasst die Menschen fahren, ist der Rat oder das Wert auf den Menschen, so wird es untergehen, ist es aber aus Gott, so könnt ihr es nicht dämpfen.“ Darauf hin ließ man die Jünger los, nachdem man sie gestäupt und ihnen nochmals eingeschärft hatte, nichts im Namen Jesu zu reden.

Aber froh, um dieses Namens willen Schmach erlitten zu haben, predigten sie nun erst recht sowohl im Tempel, als auch in den Häusern das Evangelium. Da wuchs die Gemeinde zusehends und der Gläubigen wurden gar viele.

Aber die Kirche hienieden in ihrer Knechtsgestalt hat ihrem Herrn nach oben immer ihr Kreuz zu tragen, sie hat immer entweder ihre extensive oder ihre intensive Not, und während sie unter äußerlichem Druck sich innerlich am herrlichsten zu entfalten pflegt, entwickelt sich gerne bei äußerlichem Wachsen und Gedeihen ein innerlicher Schade. Dies musste sich schon jetzt zeigen. Die in Palästina geborenen Juden, die sogenannten Hebräer, und die unter den Heiden geborenen, die sogenannten Hellenisten, die jetzt durch das gemeinsame Band des neuen Glaubens mit einander verbunden waren, konnten auch als Christen ihre sonstige Eifersucht nicht vergessen, ein Umstand, den der Feind benutzte, um Unkraut in den Acker der jungen Kirche zu säen. Nirgends finden wir, außer Christo, auf Erden ein unbeflecktes Ideal. Schon in der Urgemeinde zeigen sich Apostel-Gesch. 5 und 6 ein Paar Flecken und Runzeln, dort heuchlerische Selbstsucht eines Ehepaares, hier Streit um Nationalität, Geld und Ehre. Nicht wahr, die Welt war verunreinigend schon hineingedrungen in die erste Kirche? und in beiden Fällen müssen wir es wahrnehmen, dass an der glänzendsten, reizendsten und köstlichsten Frucht am jungen Baum des Christentums, an der Gütergemeinschaft aus Liebe und Aufopferung, grade der Wurm nagte. So baut sich gerne der Teufel neben der Kirche eine Kapelle bin.

Äußerlich stand die Kirche jetzt, da sie sich noch streng an das Zeremonialgesetz hielt, bei dem Volk in solcher Achtung, dass der hohe Rat aus Furcht vor ihm keine Gewalt gegen die Jünger anzuwenden wagte, denn „sie hatten Gnade vor dein ganzen Volk“, Apostel-Gesch. 2,47, und „das Volk hielt groß von ihnen“, Apostel-Gesch. 5,13. Dabei erwies sich die Glaubenskraft der Apostel groß im Dulden und Evangelisieren. Aber bei dem raschen Wachsen der Gemeinde mochten sich manche unlautere Elemente eingeschlichen haben, namentlich drängten sich wohl wegen der in der Kirche Herrschenden Gütergemeinschaft manche Bedürftige mit hochgespannten eigennützigen Hoffnungen herein.

Die aramäisch redenden Hebräer bewahrten aus Gewohnheit und Erziehung das Jüdische reiner und strenger und hielten sich für den Kern des Volkes Gottes, und so wurden vielleicht auch wirklich die Hellenisten, in deren Mitte sich auch Proselyten aus den Heiden befinden konnten, welche wenigstens alle die griechische Sprache und mit ihr griechische Sitte und ausländisches Wesen angenommen hatten und überhaupt den beiden näher standen, bei der Verteilung von Geld und Speise übervorteilt. Es lässt sich erklären, das die Hellenistischen Witwen im Nachteil blieben, weil sie sich als Ausländerinnen mit ihrer griechischen Sprache nicht so vordrängen konnten, weil sie als weniger bekannte Fremdlinge auch weniger aufgesucht wurden, und doch ihre Bedürftigkeit deshalb größer sein mochte. Genug, die schon früher vorhandene nationale Eifersucht bricht hier hervor in einem anfangs leisen, dann immer lauter werdenden Murren der Hellenisten wider die Hebräer. Es war erst so kurz her, das die Pfingstgnade die durch Babels Sünde entstandene Sprachenverschiedenheit im heiligen Geist durch das Zungenreden gehoben hatte, und doch tritt hier schon wieder eine nationale Spannung ein.

Aber auch diese Unreinigkeit in der jungen Gemeinde, mit dem Verderben, welches sie mit sich zu bringen schien, musste in der Hand des gnädigen Gottes ein Mittel werden, sein Werk herrlich weiter zu führen, indem es sowohl dazu diente, die Gemeindeverhältnisse zu vervollkommnen, als auch das freiere universalistische Bewusstsein der Gemeinde zu fördern. Der Apostel Wissen und Weissagen war anfangs nur Stückwerk, namentlich war ihnen die Rechtfertigung durch den Glauben aus Gnaden allein, und darum das gleiche Recht aller Menschen vor Gott noch nicht klar, aber der Geist Gottes sollte sie in alle Wahrheit leiten, d. h. aus den Einzelheiten, dem Stückwerk, in das Ganze derselben, das Ganze in seiner Einheit, wodurch auch auf das jetzt in seinem Zusammenhang mit dem Ganzen verstandene Einzelne ein neues Licht fallen musste. Wenn nun sowohl hierzu, wie zu der festeren besseren Gestaltung der äußeren Gemeindeverhältnisse, die eingetretene Spaltung dienlich sein musste, so haben wir hier schon einen Beleg dafür, wie oft Anordnungen, löbliche Ordnungen und üble Sitten gute Gesetze und herrliche Fortschritte in der Hand Gottes veranlassen können.

Die Apostel hatten bisher unmittelbar die Armenpflege in ihrer Hand gehabt. Dies ging auch sehr wohl, so lange die Gemeinde noch so klein war; aber jetzt wurden die Verhältnisse dazu zu kompliziert, und die Apostel mochten noch so treu ihr Amt verwalten, sie konnten doch die üble Nachrede nicht verhüten. Die Armenpflege in der Gemeinde konnte bei dem Heranwachsen der letzteren ohne besondere soziale Formen nicht mehr genügend vollzogen werden. Man soll sich ja vor Vieltuerei hüten und vor allem seinen Beruf besorgen. Darum eilen die Apostel nicht bloß die Missstimmung, welche eine Spaltung drohte, zu heben, sondern auch durch Teilung der Arbeit sich von zeitraubenden Nebengeschäften zu befreien, um besser der Gemeinde zu genügen. Sie beschließen bei sich selbst erstlich, dass etwas geschehen solle, und dann auch was geschehen solle, darauf tun sie auch diesen Beschluss der Gemeinde kund, und endlich bestellen sie auch selbst die Männer nach ihrer Art und Zahl, welche die Armenpflege übernehmen sollen; die Wahl derselben aber überlassen sie der Gemeinde. Die 12 Apostel wollten keine 12 Päpste sein, verlangt doch Petrus (1. Petri 5,3) von den Ältesten, dass sie nicht über das Volk herrschen, darum hatten sie früher auch nicht eigenmächtig den Matthias berufen.

Die Apostel bewirken also hier eine Verbesserung in der Kirche durch ein mit der Gemeinde gemeinsames Bestreben, indem sie die Trennung der Gemüter beseitigen und eine unnötige Untersuchung über das Vergangene vermeiden, indem sie freilich die Ordnung, welche die Leitung der Gemeinde in ihre Hände gelegt hat, nicht aufhoben, sich nicht von der Sache zurückziehen, dieselbe träge anderen überlassend, sondern indem sie die Klage anhören und annehmen, und eine neue Ordnung der Dinge vorschlagen, in der nach der Weise, wie jetzt mit konstitutionellen Ministern verfahren wird, die Klagenden selbst zur Wirksamkeit gelangen können, und in unserem Fall auch wirklich gelangen.

Das Dienen am Tisch hinderte die Apostel beim Dienst am Wort, darum missbilligen sie es, den Dienst am Wort im Stich zu lassen. Ihre erste Pflicht war nämlich, Christi Zeugen zu sein (Apostelgesch. 1,8), darum die Seele sollten sie speisen, und nicht den Leib; ist doch das Wort allein das Hilfsmittel der Kirche Christi. Nicht in vielgeschäftigem Marthadienst sollen ihre Diener sich zerstreuen, daher suchen sich die Apostel freiere Muße und freiere Hände für den Dienst an diesem Wort, welches, geistbeseelt wie es ist, allein Heilskräfte und Segensfülle hat; war doch die apostolische Kirche vor allem eine Kirche des Worts, und sie entfernt sich um desto mehr von ihrem wahren Wesen, je mehr sie dasselbe von Zeremonien und Menschensatzungen überwuchern lässt. Also mit dem Dienen am Tisch wollten die Apostel aufhören, nicht als wenn das Dienen an sich ihnen missfällig gewesen wäre, war doch ihr ganzer Beruf nichts als ein Dienst. Auch hatten sie früher gern am Tisch gedient. Damals hatten sie das Recht und die Pflicht, das ihnen zu Füßen Gelegte den Armen auszuteilen. So lange das Apostelamt noch in der Gemeinde das einzige Amt war, mochten sie vielleicht bei der Armenpflege fremde Beihilfe gebraucht haben, jedenfalls aber geschah es ohne amtliche Gliederung. Nun aber trat ein neues Amt in der Kirche auf, das Diakonat.

Sieben Diakonen wurden bestellt, denn 7 ist die heilige Zahl der Harmonie und des Friedens; nicht kann man von der durch die Apostel beliebten Siebenzahl auf 7 Teilgemeinden in Jerusalem schließen, blieb doch diese Zahl auch noch in viel späteren Zeiten und in anderen Gemeinden die übliche. Die Apostel ließen nicht etwa nur durch einen Ausschuss aus der Gemeinde wählen, etwa nur den Grundstock der 120, sondern durch alle Mitglieder. Sie behandelten also die Gemeinde als vollkommen mündig, und ließen von ihr die Männer ihres Vertrauens hinstellen. Freilich scheint es, als wenn die Apostel sie wohl selbst hätten berufen können, in dem Bewusstsein, dass sie nicht das Ihre suchten, oder um die durch Neid und Leidenschaft verwirrten Gemüter aus dem Spiel zu lassen, oder im Gefühl der Verantwortlichkeit, die auf ihnen lag, als vom Herrn selbst berufenen; aber der evangelische Gesichtspunkt von dem allgemeinen Priestertum aller Christen musste hier vorwalten, sollte doch gerade das gleiche Recht aller Menschen der Heilsordnung des Christentums gegenüber durch das Diakonat zur Anerkennung kommen. Die Bedingung aber müssen die Apostel stellen, die zu wählenden Diakonen sollen ein gutes Gerücht haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sein.

Wie Paulus verlangt 1 Tim. 3,7, dass ein Bischof ein gutes Zeugnis habe auch bei denen, die draußen sind, wie auch Timotheus nach Apostel-Gesch. 16,2 ein gutes Gerücht bei den Brüdern hatte, so sollten also auch die Diakonen ein gutes Gerücht haben, verlangt doch Paulus von ihnen 1 Tim. 3,8-13, dass sie vorher geprüft werden sollen, denn sie sollen ehrbar, nicht zweizüngig sein, keine Weinsäufer, keine unehrliche Hantierung treiben, das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen haben. Sie sollen ein Weib haben, und ihrem eigenen Haus und Kindern wohl vorstehen. Die Weiber aber sollen nicht Lästerinnen, sondern nüchtern, ehrbar und treu sein. Davon steht uns ein Schluss frei vorwärts auf die jetzigen Verhältnisse hin. Unsere jenen Diakonen entsprechenden Gemeindevorsteher und Armenpfleger sollen auch ein gutes Zeugnis haben, sie müssen als redliche und treue Männer bekannt sein. Es ist darum ganz verkehrt, wenn man es in unseren Tagen für genug hält, wenn die zu Kirchenvorstehern gewählten Gemeindemitglieder bloß rechnen und schreiben können und einen guten Verstand haben. Bei den ersten Diakonen wird entschieden das rechte ethische Verhalten zur Grundbedingung gemacht und zwar wird von derselben aus in Beziehung auf andere, ein gutes Gerücht, in Beziehung auf Gott, Heiliger Geist, und in Beziehung auf sie selbst, Weisheit gefordert.

Geistliche Güter müssen eben geistlich verwaltet werden; Gott wird dereinst ihnen die Rechnung abfordern.

Die Diakonen sollen voll Heiligen Geistes und voll Weisheit sein, sie sollen stetig vom heiligen Geist erfüllt sein, nicht bloß momentan angeregt, nicht bloß voller Begeisterung, sondern voller Begeisterung und Geistesenergie, denn sie stehen ja im kirchlichen Dienst und verwalten kirchliche Güter, und darum sollen von ihnen auch die äußeren Geschäfte im Heiligen Sinn geschehen. Aber sie sollen ja auch nicht bloß die ökonomische, sondern auch die geistliche Pflege der Armen übernehmen, die Armenpflege ist von der Seelsorge ja nicht zu trennen, wie denn auch ihrerseits die Apostel sich nicht jeder Fürsorge für das Leibliche entschlagen wollen, wenn wir auch einräumen müssen, dass die Armenpfleger kein unmittelbar göttliches Amt verwalteten, wie die fünf 1. Korinth. 12,28 genannten: Apostel, Propheten, Lehrer, Evangelisten und Hirten. Auch der Weisheit bedurften die Armenpfleger, d. h. der rechten Ein-, Um- und Vorsicht, namentlich in jener Zeit, wo nicht bloß ungeregelte, sondern auch durch nationale Eifersucht verwirrte Verhältnisse geregelt werden sollten. Aber allenthalben gehört Weisheit zum Armenpflegeramt, übergibt die Kirche ihm doch ihre Armen, welche Laurentius in Rom die Reichtümer der Kirche nennt, sollen sie doch jene Muttersorge der Kirche übernehmen, wodurch dieselbe, welche das Jerusalem heißt, das droben ist, welches unser aller Mutter ist, Gal. 4,26, sich als die Anstalt dessen erweist, welcher spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Jes. 66,13, sollen sie doch die Mutterpflichten der Kirche erfüllen, welche beruhen auf der Not der Welt und ihr eigenes Erbarmen, das sie von ihrem Meister, dem großen Armenfreund gelernt hat, sollen sie doch der Kirche ihre Mutterfreude vermitteln, indem sie deren Herzensbedürfnis stillen dadurch, dass sie Menschen herausreißen aus leiblichem Schmutz und geistlichem Elend und dem Herrn wohltun im geringsten seiner Brüder. Ja es besteht ein geheiligter Bund zwischen Christentum und Armut, zum Segen für beide, zunächst für die Armen, denn Christus ist ja arm geworden, um sie reich zu machen, das Christentum erkennt das göttliche Recht der Armen an, und weckt den heiligen Geist echter Bruderliebe, aber auch zum Segen des Christentums, denn die Armut entfaltet dessen göttliche Kräfte, Liebe, Erbarmen, Geduld, Selbstverleugnung, Todesverachtung und Gottvertrauen, und weist so dasselbe der Welt gegenüber aus in seinem Recht auf Existenz, indem sie ihm Gelegenheit bietet, an ihr seine Kraft, die Welt zu erlösen, zu offenbaren.

So ist denn das Diakonenamt, oder um es in unsere Verhältnisse zu übersetzen, das Vorsteheramt ein gar ehrwürdiges, nicht bloß weil es eine uralte Einrichtung der christlichen Kirche ist, die älteste nach dem Apostolat selber, und von den Aposteln selbst geordnet und geweiht, sondern auch weil es eine so hohe und segensreiche Aufgabe hat. Und dieses Amt gaben nun die Apostel vom Geist Gottes regiert aus ihren Händen, für sich selbst aber behielten sie das Gebet und das Amt am Wort. Das Gebet hat der Berichterstatter vorangestellt, denn es steht seiner Natur nach voran, es muss auch noch heute im Leben der Prediger voranstehen, denn das Gebet schöpft von oben aus Gott, und die Predigt teilt das von oben Geschöpfte nach unten hin aus. Der Predigt geht das Gebet voran, denn es öffnet dem Prediger Geist und Mund und dem Zuhörer Herz und Ohr. Seitdem nämlich den Aposteln die Armenpflege abgenommen war, konnten sie sich jetzt konzentrieren nicht bloß auf die allgemeine Predigt, sondern auch auf die Anwendung derselben auf die Einzelnen, die besondere Verkündigung oder spezielle Seelsorge, zu der ihnen früher wohl Zeit und Kraft gefehlt hatte, und wodurch doch ganz besonders das Reich Gottes gefördert wird. Schon Apostel-Gesch. 1,14 steht das Gebet voran, indem das als vorzüglichstes Tun der Jünger bezeichnet wird, dass sie einmütig mit Beten und Flehen bei einander waren.

Das Diakonenamt war von Christo selbst nicht eingerichtet, und doch wird Niemand ihm an seiner Stelle seine göttliche Berechtigung absprechen können. Wir sehen also, dass der Herr, die äußeren Einrichtungen zu treffen, seiner Gemeinde überlässt, und also nicht wie Kirkegaard will, ein starres Festhalten der ursprünglichen Gemeindeverhältnisse gebietet. Das wäre eine Überspannung des formalen Prinzips des Protestantismus, als wenn der Keim ein wahrhaft lebendiger Keim wäre, der ewig ein Keim bliebe und sich niemals zum Baum entfaltete, als wenn es seit den Tagen Christi keinen in der Kirche gegenwärtigen Christus und keinen heiligen Geist, als wenn es seitdem keine Vorsehung gegeben hätte und keine Weltgeschichte. Die Schrift ist ein gottmenschliches Wort. Das Göttliche bleibt ewig jung, aber das vergangene Menschliche lässt sich nicht repristinieren1). Die Kirche hat wie ihr Herr und Haupt vor dem Stand der Erhöhung einen Stand der Erniedrigung durchzumachen. Gleichwie nun Christus in demselben als wahrer Mensch zunahm an Alter, Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen, so ist auch die christliche Kirche eine wahrhaft menschliche Gemeinschaft, und muss als solche zunehmen nicht bloß an Alter und Anzahl, sondern auch in ihrer innerlichen und äußerlichen Gestaltung; von innen aus, vom pulsierenden Herzen des Glaubens aus, entwickelt sich ihre Gliederung. Christus hat nicht seine Kirche mit vollständig fertigem Apparat von Ämtern, Ordnungen und Verfassungen in die Welt gesetzt, so wenig als er selbst als ein Mann, sondern vielmehr als ein Kind geboren ist.

Die sieben gewählten Diakonen tragen alle griechische Namen. Könnte man daraus schliefen, dass es alle sieben Hellenisten gewesen wären, so wäre deren Murren schön durch nachgebende Liebe von der anderen Seite beseitigt. Indes jener Schluss ist nicht richtig, indem damals auch Hebräer oft griechische Namen zu führen pflegten. Einige wollen daher, das von diesen sieben drei aus den Hellenisten, drei aus den Hebräern und einer aus den ganz zum Judentum übergegangenen Heiden genommen seien. Wie dem aber auch sein mochte, der Name des Stephanus steht unter ihnen allen mit Recht obenan. Er bedeutet nicht bloß eine Krone, er selbst war auch die Krone von ihnen allen. Er war ein Stern erster Größe im Siebengestirn des Diakonats. Seine Bestimmung war es, die Gemeinde entschieden von den Schranken des äußerlich immer mehr verfallenden Judentums loszureißen, und das, was dem Petrus durch die himmlische Erscheinung zu Joppe einleuchtend geworden war, zur allgemeinen Anerkennung zu bringen, dass Heiden, wie jener Hauptmann Kornelius in Cäsarea auch ohne das Gesetz, durch den Glauben in das neue Israel eingehen. Der zweite: Philippus, ist jener Evangelist, der nach Stephanus Tod zwischen Gaza und Jerusalem den Kämmerer taufte, nachdem er in Samaria das Evangelium verkündigt hatte, und dessen 4 Töchter in Cäsarea wohnten. Der zuletzt genannte Nikolaus wird als ein Judengenosse aus Antiochien bezeichnet, d. h. er war ein geborener Heide, der zum Judentum übergetreten war. Die Judengenossen zerfielen in zwei Klassen. Sie waren entweder Proselyten des Tors (5. Mose 31,12), welche nur auf die sieben sogenannten noachitischen Gebote2) verpflichtet waren, wie der Hauptmann von Kapernaum, der Kämmerer aus dem Mohrenland, die Purpurkrämerin Lydia aus Thyatira und Kornelius, welche alle als Gottesfürchtige bezeichnet werden, unter denen viele, weil sie ohne die heuchlerische Werkheiligkeit der Pharisäer waren, fürs Evangelium sich empfänglich zeigten; oder sie waren Proselyten der Gerechtigkeit, d. h. sie waren völlig zum Judentum übergetreten und auch beschnitten. Der Proselyt Nikolaus soll später abgefallen und Stifter der Offenb. 2,6,15 genannten Sekte der Nikolaiten geworden sein. Nach Clemens Alexandrinus, Eusebius und Augustin wurde er von Petrus getadelt, weil er zu eifersüchtig auf seine schöne Frau war, deshalb habe er öffentlich erklärt, er lebe nun ganz getrennt von ihr, es möge sie freien, wer da wolle. Auch sein Sohn und seine zwei Töchter sollen im selbstgewählten Zölibat gestorben sein. Die vier übrigen Diakonen, Prochorus, Nikanor, Timon und Parmenas sind weniger bekannt, nur erzählen lateinische Kirchenväter von ihnen, dass sie nicht in der Gemeinde zu Jerusalem geblieben seien, indem Prochorus zu Antiochien, Nikanor auf Zypern, Timon zu Korinth und Parmenas zu Philippi des Märtyrertodes gestorben sein sollen.

Diese sieben Erwählten wurden vor die Apostel gestellt; diese beten zuerst für sie um die Gnade Christi, denn ihm sollen sie ja an den Armen dienen, darauf weihen sie dieselben unter Handauflegung für ihr Amt. So weihte auch Mose den Josua öffentlich vor dem Priester Eleasar und der ganzen Gemeinde durch Handauflegung zu seinem Nachfolger, und legte seine Herrlichkeit, d. h. sein Amt auf ihn, das ihm gehorche die ganze Gemeinde (4. Mose 27,18-23). Diese Handauflegung bezeichnet nicht bloß die Einweihung ins Amt, sondern auch eine Mitteilung der Geistesgaben an die Empfänglichen und Bedürftigen, wie etwa Elia dem Elisa nicht bloß seinen Mantel, sondern mit demselben auch seinen Geist zwiefaltig hinterließ. In ähnlicher Weise wurden geweiht Paulus und Barnabas zu ihrer ersten Missionsreise Apostel-Gesch. 13,3, die Ältesten 1. Tim. 4,14, Timotheus durch den Paulus 2. Tim. 1,6. Es wird dazu ermahnt, diese Weihe nicht voreilig zu vollziehen 1. Tim. 5,22. Um so weniger dürfen wir uns wohl auf unseren vorliegenden Fall, wie geschehen ist gegen Hagenbach, für die Ordination der Missionsgehilfen berufen. Grade weil hier solche geweiht wurden, die nicht im exklusiven Sinn dem geistlichen Amt gehören sollten, war ihre Weihe auch keine Ordination in unserem Sinn. Pflegen doch auch bei uns die Armenvorsteher in mehr oder minder feierlicher Weise zu ihrem Amt geweiht zu werden, und mögen wir deshalb eher hierfür einen Beleg in unserer Stelle finden.

Durch die Einrichtung des Diakonats war so nun an den besseren Geist in der Gemeinde appelliert, neue Kräfte waren in den Dienst des Evangeliums gezogen und die Einigkeit im Geist wurde durch das Band des Friedens gehalten. Und diese neue Ordnung wurde auch sichtbarlich durch den Gott der Ordnung gesegnet. Gott ließ vermittelst dieser neuen Ordnung sein Wort zunehmen und die Zahl der Jünger sehr groß werden zu Jerusalem. Ja selbst Priester lernten jetzt dem Heilswillen Gottes in Christo gehorchen, sie, bei denen besonders eine starke Entscheidung dazu gehörte, dass sie einsahen: Gott will es so, und dann diesem Willen gehorchten. Nur müssen wir hier bemerken, da diese Priester vielleicht nicht zum priesterlichen Stand im engeren Sinne gehört haben mögen, ja noch heute bei den Juden die Nachkommen Levis Kohanim oder Priester heißen, auch wenn es nur gemeine Handwerker sind. Dennoch müssen wir hier eine Erfüllung der Weissagung Jes. 53,12, finden, denn wie dem Herrn schon am Pfingstfest und jetzt wieder die große Menge zur Beute gegeben wird, so erhält er jetzt auch in den Priestern die Starken zum Raub. Sonst sind übrigens nach 1. Kor. 1,26 nicht viel Weise nach dem Fleisch berufen, sondern was töricht ist vor der Welt, hat Gott erwählt. Aber ein Mittel ist das Diakonat gewesen in Gottes Händen, sein Wort wachsen zu machen in dieser Drangsalszeit, wie die Saat im Ungewitter, wie eine Rose unter Dornen.

1)
etwas Früheres wiederherstellen, wieder aufleben lassen, wieder beleben
2)
Diese noachitischen Gebote waren: 1) Verbot des Götzendienstes. 2) Gebot der Heiligung des Namens Gottes. 3) Verbot des Mordes. 4) Verbot des Raubes. 5) Verbot der Hurerei. 6) Gebot die Obrigkeit zu ehren. 7) Verbot etwas Lebendiges von einem Tier zu essen
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