Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Dass wir die Lehre Jesu nur dann richtig verstehen, wenn wir sie ihrem Geist nach auffassen.

Predigt am Trinitatis-Feste.

Herr, dein Wort sei meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

So ihr bleiben werdet an meiner Rede, seid ihr meine wahren Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. So, geliebte Gemeinde, spricht Jesus zu seinen Jüngern und nennt ihnen damit die Bedingung, unter welcher sie in Wahrheit seine Jünger sein können, nämlich: wenn sie bleiben an seiner Rede. Diese Bedingung gilt auch jetzt noch für einen Jeden, der sich einen Jünger des Herrn nennen will, und das, Mitchristen, wollen wir doch wohl Alle! Darüber sind wir doch wohl einig, dass es für uns keinen schöneren Ehrennamen gibt, als den eines Jüngers Jesu, dass alle Benennungen und Titel, mit denen die Welt uns sonst bezeichnet, wohl in den Augen der Eitlen und irdisch Gesinnten einen höheren Wert haben mögen; aber mit Unrecht! Denn sie alle bezeichnen nicht das wahrhaft ehrende geistige Leben, das sittliche Streben, sie verleihen nicht die himmlische Berechtigung, welche der Name eines Jüngers Jesu zugleich ausspricht. Wie aber jeder Ehrenname den, der ihn führt, nicht ehrt, sondern schändet, wenn er ihn unwürdig führt, so gäbe es auch keinen größeren Vorwurf für uns, als wenn wir Christen hießen und weder dem Glauben, noch der Gesinnung, noch der Tat nach Christen waren. Der Christ darf kein heiligeres Bestreben kennen, als das, des Namens Christ würdig zu werden, und dazu gehört vor allen Dingen, dass wir bleiben an seiner Rede, d. h. glauben an seine Offenbarung und tun nach seinen Geboten. Dies Beides lässt sich aber von einander nicht trennen, und es ist ein großer Irrtum, wenn Viele meinen: der Glaube nach Jesu Wort sei etwas Gleichgültiges, wenn man nur nach seinen Geboten lebe. Denn das Tun nach Jesu Worte ist nichts Anderes, als die Bewährung des Glaubens an dasselbe; der christliche Glaube weckt die christliche Liebe. Das Ganze, was uns Jesus über Gott, über sein Verhältnis zu der Welt und zu uns insbesondere, über unsere Bestimmung und über unsere ewige Zukunft lehrt, begründet die eigentümliche Geistes- und Herzensrichtung, welche allein zu dem echt christlichen Leben und Streben hinführt, so dass es unmöglich ist, nach Christi Worte göttlich zu leben, wenn man den Glauben an ihn und sein Evangelium verloren hat; sondern, wie der Baum verdorrt, wenn man ihn von seiner Wurzel getrennt hat, so wird auch das Leben der Christen ein unfruchtbares und totes sein, das aus dem Glauben nicht die bewegende und heiligende Kraft erhält. Die christliche Kirche, deren Aufgabe es ist, die Menschen zu rechten Jüngern Jesu zu bilden, muss daher, und das ist ihre heiligste Pflicht, dieselben erhalten bei dem Wort Jesu, und so sie dieser Pflicht vergäße, würde sie aufhören eine christliche zu sein. Darum wird in ihr fort und fort das Evangelium gepredigt, und solche Predigt soll das rechte Verständnis der Offenbarung Jesu bei ihren Bekennern vermitteln, soll sie möglichst in das gleiche Verhältnis zu Gott, zu ihren Brüdern und zu der Ewigkeit stellen, in welchen Jesus zu ihnen stand. So muss daher das durch Christum verkündete Wort des Herrn für den Christen stets seines Fußes Leuchte, und ein Licht auf seinem Weg sein. Aber da hören wir oft die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Was ist des Herrn Wort? Denn wie verschiedenartig wird die heilige Schrift nicht erklärt und gedeutet, so dass das sich geradezu Widersprechende zu gleicher Zeit aus derselben hergeleitet, mit gleicher Heftigkeit, und wie es scheint, mit gleicher Kraft der Überzeugung, als das einzig und echt Christliche gelehrt und verteidigt wird? Rührt nicht aus solcher verschiedenen Auffassung der heiligen Schrift der ganze Zwiespalt zwischen den verschiedenen christlichen Kreisen her, und ist sie es nicht, welche wieder in diesen Spaltungen den Glauben hervorruft und nährt? Jeder von ihnen glaubt dem Befehl des Herrn zu folgen, zu bleiben an seiner Rede, dadurch die Erkenntnis der Wahrheit gewonnen zu haben, und deshalb berechtigt zu sein, die Anderen der Unwahrheit zu zeihen. Wie? ist denn das Wort der Offenbarung Jesu ein so sehr dunkles und vieldeutiges? Und wenn es dies ist, trifft es dann nicht der Vorwurf mit Recht, dass es ein Unvollkommenes sei? - Ach nein, meine Geliebten, denn es liegt in der Natur jedes Wortes, jeder Lehre, die in menschlichen Worten ausgedrückt wird, dass sie verschieden, entweder dem Buchstaben, oder dem Geist nach aufgefasst werden kann, und es kann dies nicht anders sein. Diese verschiedene Auffassung nun begründet jenen Zwiespalt, der nur dann gelöst werden wird, wenn die Menschen über die Frage einig sein werden: Ob das Evangelium dem Buchstaben oder dem Geist nach aufgefasst werden muss. Jeder Christ ist verpflichtet, sich auf diese Frage eine Antwort zu geben, vorzüglich ist es aber der Diener und Lehrer des Evangeliums. Die Antwort nun, die ich mir darüber gebe, ist es, welche ich heute Dir, teure Gemeinde, offen darlegen will.

Dass die Lehre Jesu nur dann richtig verstanden werde, wenn wir sie ihrem Geist nach auffassen, will ich heute ausführen.

(Gesang. Gebet.)

Evang. Johannes 3,1-15

Liefert nicht schon der erste Blick auf dies Evangelium den schlagendsten Beweis, dass die Lehre Jesu nur dann richtig verstanden werden kann, wenn wir sie ihrem Geist nach auffassen? Nikodemus verstand den Herrn darin nicht, weil er seine Rede wörtlich nahm. Es sei denn, dass Jemand von Neuem geboren werde, so kann er nicht in das Himmelreich kommen, so sprach Jesus und Nikodemus antwortete: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Wir verstehen Jesum wohl und wissen, dass er nicht von einer leiblichen, sondern von einer geistigen Wiedergeburt sprach, mit welcher er die Umwandlung bezeichnet, welche in dem Menschen vorgeht, wenn er sich von dem Dienst der Sünde zum Trachten nach der Heiligung hinwendet, wodurch er allerdings ein Anderer, gleichsam neugeboren wird. Es gibt für diese gänzliche Umwandlung keine schönere Bezeichnung als das Wort: Wiedergeburt, und doch entsteht eine völlige Sinnlosigkeit daraus, wenn wir es mit Nikodemus dem Wortsinn nach verstehen wollen. Dasselbe könnten wir bei jedem einzelnen Satz unsers Textes nachweisen, und es kann nichts mehr geeignet sein, als dies Sonntagsevangelium, um darzutun, dass die Lehre Jesu nur dann richtig verstanden werden kann, wenn sie ihrem Geist nach aufgefasst wird.

1.

Wie richtig dies sei, ergibt sich im Allgemeinen schon aus der Unvollkommenheit und Eigentümlichkeit der menschlichen Sprache überhaupt. - Unsere Worte sind Bezeichnungen, sind Namen für Gegenstände oder Zustände. Mit ihrem Klang verbindet sich in unserer Seele der Begriff der Gegenstände oder Zustände, welche sie bezeichnen. So sind sie allerdings wohl dazu geeignet, dass sichtbare irdische Dinge durch sie unterschieden werden, aber ihr Wert und ihre Bedeutung beruht nur auf gegenseitiger Übereinkunft, nicht auf einer inneren Notwendigkeit, weshalb denn ja auch die verschiedenen Sprachen ganz verschiedene Benennungen für einen und denselben Gegenstand haben. Doch auch selbst für das sinnlich Erkennbare reicht ihre Bestimmtheit nicht einmal aus, denn die Gegenstände und Zustände sind einander oft so ähnlich, verwandt, gehen so in einander über, dass wohl keine Sprache alle diese Verhältnisse genügend ausdrückt und unterscheidet, und dass, selbst wenn dies wäre, wohl kein Mensch eine so vollkommene Einsicht in die Dinge hat, dass er in ihrer Bezeichnung nicht irren, Keiner eine so vollkommene Herrschaft über die Sprache, dass er in der Wahl des Wortes niemals fehlgreifen sollte. Diese Bezeichnungen der irdischen und sinnlichen Dinge und Zustände, die wir sehen, tragen wir nun auch über auf die himmlischen und übersinnlichen, die wir nicht sehen, nicht wissen, sondern nur glauben, für die wir daher auch eigene Benennungen nicht haben, und daraus ergibt sich schon, dass diese Übertragung nur in so weit eine richtige sein kann, als die jenseitigen Zustände den hiesigen gleichen. Da aber die jenseitige Welt doch gewiss, wenn auch nicht Alles, doch Vieles anders und vollkommener haben wird, als die hiesige, so müssen wir erkennen, dass die menschlichen Worte, die uns nur zu Gebote stehen, nur unvollkommene Bezeichnungen und Bilder der himmlischen Zustände sind, und dass, wenn wir nur an ihrem Wortlaut kleben, und nicht einen höheren Geist hinter ihnen suchen wollen, wir von dem Übersinnlichen und Unendlichen nur sehr sinnliche und unvollkommene Vorstellungen erhalten würden. - So spricht die heilige Schrift oft von dem Auge, von der Hand, von dem Mund, von dem Angesicht Gottes, von dem Himmel, der sein Thron, von der Erde, die seiner Füße Schemel sei, ohne dass wir diese menschlichen Glieder wirklich in ihm annehmen müssten, ja auch nur dürften! Wenn wir diese Worte aber geistig fassen, dann verstehen wir sie wohl, und gewinnen daraus die Vorstellungen von der göttlichen Erhabenheit, Allwissenheit, Allmacht, von seiner schaffenden und offenbarenden Kraft; ja wenn wir überhaupt nur von einem „Wort Gottes“ sprechen, so ist ja das schon eine menschliche Bezeichnung für eine göttliche Tat, die nur als Gleichnis ihre Wahrheit haben kann. -

Schon das Vorhandensein solcher Ausdrucksweise in der heiligen Schrift alten und neuen Testamentes ergibt unwiderleglich die Unmöglichkeit, dass wir bei starrem Halten an dem Buchstaben der Schrift ein richtiges Verständnis derselben gewinnen könnten. Wenn aber an so vielen Stellen der Wortverstand nicht die richtige Bedeutung des Schriftwortes angibt, sondern wir den Sinn und Geist der von ihr gebrauchten Bilder suchen müssen, so sind wir gewiss an allen Stellen berechtigt, die Prüfung anzustellen, ob wir sie geistig oder wirklich zu nehmen haben, und je nachdem diese Prüfung verschieden ausfällt, wird sich auch ein verschiedenes Ergebnis der Lehre herausstellen.

Nichts ist nun mehr geeignet unrichtige religiöse Vorstellungen hervorzubringen als jenes Schwanken in der Erklärung der heiligen Schrift, nach welchem man an der einen Stelle zur Annahme einer bildlichen Ausdrucksweise sich genötigt sieht, und bei der andern dennoch, um vorgefasster Meinungen willen, wider alle Vernunft und Erfahrung den Wortsinn aufrecht zu erhalten sich bemüht. - Das auffallendste Beispiel dafür geben uns die so einfach schönen und doch so verschieden gedeuteten Einsetzungsworte des heiligen Abendmahls. Wenn Jesus von sich spricht: Ich bin das Licht der Welt; wenn er zu seinen Jüngern sagt: ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben, so wird kein Mensch hier an eine wirkliche Bedeutung solcher Rede denken, sondern Jeder wird es zugeben, dass Jesus hier im Bild spricht, um die Welt erleuchtende Kraft seines Evangeliums zu bezeichnen, um den Jüngern zu zeigen, wie sie an ihm hängen, aus ihm ihre geistige Nahrung ziehen müssten, wie sie die Rebe durch den Weinstock erhält. - Wenn nun aber Jesus bei der Stiftung des Gedächtnismahles seines Opfertodes seinen Jüngern das Brot bricht und den gesegneten Kelch reicht mit den Worten: das ist mein Leib, das ist mein Blut: was ist natürlicher, als dass er damit auch nur Brot und Wein als Sinnbilder seines für uns dahingegebenen Leibes, seines für uns vergossenen Blutes geben wollte? Was ist aber unnatürlicher und folgewidriger als anzunehmen, dass das Hilfszeitwort: sein, das eine Mal bildlich, das andere Mal bei ganz gleicher Anwendung wirklich gebraucht worden sei? Welch' wahrhafter Grund ist denn hier vorhanden, wie an eine wunderbare Verwandlung des Brots in Fleisch, des Weines in Blut zu denken, und wie wenig sind aus den Worten der Schrift die vielhundertjährigen Streitigkeiten gerechtfertigt, die wegen dieser Worte die Christenheit zerspalten haben und teilweise noch zerspalten? Das kommt daher, weil man sich nicht in der Anerkennung verstehen will, dass das Wort Jesu nur dann richtig verstanden werden kann, wenn es geistig aufgefasst wird! - Es begegnet uns alle Augenblicke im gewöhnlichen Leben, dass Worte im uneigentlichen und bildlichen Sinn gebraucht werden, dass wir uns gar nicht darüber wundern dürfen, wenn Solches in den schriftlichen Urkunden unsers Glaubens sich ebenfalls vorfindet, wo es sich am wenigsten umgehen ließ, da wir ja von dem Unfehlbaren und Unendlichen stets nur in bildlichen Ausdrücken sprechen können; wir können es ja nur annäherungsweise und im Bild erkennen, da unser endlicher Geist das Unendliche nicht zu fassen vermag, so dass wir natürlich nur annähernde und bildliche, uneigentliche Bezeichnungen dafür haben können. Es mag dies eine Unvollkommenheit der menschlichen Sprache sein; aber es ist unmöglich diese zu überwinden, und man kann mit gutem Rechte behaupten, dass darin zugleich eine große Schönheit derselben liegt. -

Bringen wir nun noch die Eigentümlichkeit der Morgenländer in Anschlag, welche auch jetzt noch vermöge ihrer feurigen Phantasie eine bilderreiche und blühende Sprache und Gleichnisse und uneigentliche Bezeichnungen lieben; bedenken wir, dass zur Zeit Jesu weder das jüdische Volk noch seine Sprache so weit gebildet war, wie wir es jetzt sind, so dass sie für Vieles Bilder suchen mussten, was wir jetzt eigentlich bezeichnen können, so wird uns das Gleiche in der Rede Jesu und in den Schriften seiner Jünger nicht auffallen können. Wir werden vielmehr zu der Erkenntnis kommen, dass sie unter der Voraussetzung geschrieben sind, geistig gefasst zu werden, und dass sie unter keiner andern Bedingung richtig verstanden werden können. -

Sind aber schon die einzelnen Worte einer verschiedenen Deutung je nach ihrem Buchstaben oder nach ihrem Geist fähig, um wie viel mehr sind es Zusammenstellungen von Worten, ganze Reden, weitere Ausführungen; wie so leicht ihre Erklärung von der Veranlassung, von den Umständen abhängig, unter denen sie gehalten sind? Wie oft haben bestimmte Redensarten und Kunstausdrücke eigentümliche Bedeutungen, welche von dem Wortsinn abweichen, welche aber auch in dem Lauf der Zeiten sich verändern? Welche Schwierigkeiten bietet es dar, Reden aus einer fremden Sprache, besonders aus entfernter Zeit, ganz sinngetreu in eine andere Sprache zu übersetzen, wie ja doch unsere heiligen Schriften aus fremder Sprache übersetzt in unserm Gebrauch sind; wie ganz unmöglich ist es aber, mit der Sinnestreue auch stets die Worttreue zu verbinden, weil nie zwei Sprachen sich vollständig decken! Durch dies Alles gewinnen wir immer nur Gründe für die Behauptung, dass der Grundsatz: die Schrift sei wörtlich auszulegen, nie zu einem richtigen Verständnis derselben führen kann, sondern dass eine geistige Auffassung derselben die einzig und allein richtige ist. -

Solches spricht Jesus selbst auch deutlich aus. Seine ganze herrliche Lehrweise deutete schon darauf hin, dass er nicht eine wörtliche, sondern eine geistige Auffassung seines Wortes bei seinen Zuhörern voraussetzte; denn er liebte es vorzugsweise in Gleichnissen seine Lehren vorzutragen; der Mangel höherer geistiger Bildung seiner Zuhörer machte diese Lehrweise besonders zweckmäßig, und nur seine Jünger hielt er für reif, und gewährt es ihnen gleichsam als Auszeichnung, den Sinn des Gleichnisses vom Säemann in gerader Rede zu vernehmen. Nackte Lehrsätze hätte das Volk entweder nicht gefasst, oder doch nicht behalten; sie wären jedenfalls ihm nicht so anschaulich geworden, dass sie auf sein Gemüt Eindruck gemacht und auf ihre Handlungsweise Einfluss geübt hätten. Das spricht Jesus in dem heutigen Text aus, wenn er zu Nikodemus sagt: Wir reden, das wir wissen und zeugen, das wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben; wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? Die bildliche Darstellung der Lehren im Gleichnisse sollte die ansprechende Form sein, welche die Wahrheit dem Geist anschaulich und dem Herzen eindringlich machen sollte; zu ihrem Verständnis leitete Jesus seine Jünger an, und unverständig nennt er sie, wenn sie an dem Wortsinn haften. So in der bilderreichen Rede im 6. Kapitel des Evangelium des Johannes, wo er sich das Brot des Lebens nennt und sich mit dem Manna vergleicht. Das war seinen Jüngern zu schwer; sie klagten: das ist eine harte Rede; wer kann sie fassen? Jesus aber erwidert: Seid ihr auch noch unverständig? der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist kein nütze! Die Worte, die ich zu euch rede, die sind Geist und sind Leben! Nicht also auf das Fleisch des Gedankens, auf das, worin er zur Erscheinung kommt, sondern auf seinen Inhalt, auf den Geist sind wir durch Jesum hingewiesen. - Ist nicht auch die Forderung der Wiedergeburt, als die Bedingung um in das Reich Gottes einzugehen, nur eine bildliche Bezeichnung der völligen geistigen und sittlichen Umwandlung, welche er in seinen Bekennern hervorbringen wollte? Und wenn er den Eingang zu dem Gottesreich, als eine neue Geburt aus dem Wasser und Geist bezeichnet, setzt er nicht darin ein geistiges Verständnis seiner Rede voraus, eben so wie bei dem Vergleiche von dem Wehen des Gottesgeistes in dem Menschen mit dem des Windes, das man wohl fühle, aber weder seinen Ursprung noch sein Ziel erkenne? Noch am Schluss unseres Textes vergleicht er sich mit der ehernen Schlange, welche Moses in der Wüste aufrichtete, als das Volk von giftigen Schlangen verfolgt wurde und Viele durch ihren Biss den Tod fanden? Die Verwundeten sollten sie anschauen und dadurch Genesung finden. So, spricht Jesus, muss auch des Menschen Sohn erhöht werden (am Kreuz), auf dass Alle, die auf ihn schauen, geheilt werden von der sie verderbenden Sünde; auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Bedarf diese Rede, bedarf unser ganzes Evangelium nicht der geistigen Auffassung, damit es verstanden, und der tiefe schöne Sinn erkannt werde, welcher darin liegt? Ja darauf weist uns Jesus hin. Das geistige Erfassen seiner Lehre sollte seine Jünger auszeichnen vor allen übrigen Menschen. Die Religion des Moses war ein Gesetz, welches wörtlich angenommen und befolgt werden musste. Jesus aber lehrt uns Gott nicht mit äußeren Werken und Gebräuchen dienen, sondern als ein Geist sollen wir ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten, und die Worte, in denen er uns von ihm, dem Ratschluss seiner Sendung, von den Forderungen an uns, und von unserer eigenen Bestimmung Offenbarungen gibt, diese Worte sind Geist und Leben; sie können nur dann richtig verstanden werden, wenn sie durchweg nicht nach ihrem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Geist aufgefasst und angenommen werden, denn das schwache menschliche Wort kann ihren hohen und göttlichen Inhalt weder vollständig, noch ganz entsprechend ausdrücken. -

Dadurch also nur bleiben wir an Jesu Rede und seine rechten Jünger; das Haften am Buchstaben seiner Rede trägt nur menschliche Irrtümer in die göttliche Wahrheit.

2

Steht das fest, geliebte Mitchristen, so wird es nur noch nötig sein, dass wir den Geist näher bezeichnen, in welchem das Wort des Herrn gedeutet werden muss, und den Geist, in welchem geleitet wir an die Deutung der Schrift uns nur wagen können. - Es haben schon oft genug Menschen sich an die Lehre Jesu gewagt und, unter dem Vorgeben, ihren Geist erfassen zu wollen, sind sie dahin gelangt, nicht nur die wesentlichsten Grundlehren des Christentums, sondern wohl gar auch die geschichtliche Erscheinung des Herrn selbst hinfort räumen zu wollen. Das ist der Geist des Übermutes, der sich über Christum stellen, und, von eingebildeter Höhe auf ihn und seine Lehre herabsehend, nach seinem Ermessen über ihre Annahme und Verwerfung entscheiden zu können glaubt; der Geist der Willkür, der zu sagen erlaubt: Weil mir das so oder so nicht recht scheint, weil es nicht in meinen Plan, in meine Ansicht passt, darum darf es auch nicht sein, der also von vorgefasster Meinung ausgeht, und nun mit allen Mitteln des menschlichen Geistes seine Ansichten in dem biblischen Wort wieder zu finden sucht! Dazu aber steht Jesus und sein Evangelium zu hoch; sein göttlicher Ursprung und seine göttliche Kraft haben sich im Lauf des Jahrhunderts zu sehr bewährt, durch die Herrschaft, welche er über den größten Teil des Menschengeschlechtes gewonnen und durch die Früchte, die es ihm getragen hat, indem er sie in der geistigen Bildung, in der sittlichen Veredlung, in der bürgerlichen Ordnung weiter geführt und jedem Einzelnen seinen Reichtum der Kraft, der Liebe und des Trostes gewähret hat. Wer diesen seinen Segen fortleugnen wollte, müsste nichts weniger als die ganze Weltgeschichte forträumen, sein Beginnen wäre nicht minder töricht und vermessen, als wollte er versuchen die Sonne zu verlöschen. - Nein, aus Jesu eigenem Geist, aus dem uns von ihm vererbten heiligen Geist kann das richtige Verständnis der Schrift und der Lehre Jesu allein erfolgen. Dieser heilige Geist hat allein die Verheißung uns in alle Wahrheit zu leiten. Wir werden ja doch dem Herrn und seinen Jüngern dieselbe Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, wie jedem andern Menschen, und mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit demselben Ernst ihre Worte und Taten betrachten. Üben wir diese also gegen Andere dadurch, dass wir uns möglichst in die Lage und in den Geist der Redenden und Handelnden versetzen, um das rechte Verständnis ihrer Werke und Handlungen zu erlangen, so werden wir die Lehren und Tatsachen des Evangeliums auch nur dann richtig verstehen und auffassen, wenn wir uns in den Geist Jesu und seiner Jünger versetzen, wenn wir die Umstände, unter denen die Eigentümlichkeit des Volkes, für welches sie wirkten, lehrten und schrieben, gewissenhaft berücksichtigen. Zuvörderst die großen allgemeinen Ideen von Gott und seinem heiligen Walten, welche deutlich und unbestreitbar aus seinem Wort hervorleuchten, haben wir zu unserm geistigen Eigentume zu machen, von dem durch sie gewonnenen Standpunkt aus das einzelne Dunklere und Schwierigere zu durchforschen, durch sie geleitet an der Reinigung unsers Herzens und Wandels zu arbeiten, dann werden auch wir aus dem Geist wiedergeboren werden und seinen Geist erkennen; geboren, wie Petrus sagt, aus dem lebendigen Wort, das da ewig bleibt. Diese Wiedergeburt aus dem heiligen Geist will das Evangelium in uns hervorbringen, durch sie uns zum Eingang in das höhere Gottesreich vorbereiten, und je mehr sie sich in uns vollzieht, desto mehr lernen wir Jesum begreifen, desto mehr dringen wir in seinen Geist ein, desto mehr gewinnen wir die Kraft und Fähigkeit sein Wort seinem Geist nach aufzufassen, aus dem zeitlichen und irdischen Gewand der menschlichen Worte, die himmlische und ewige Wahrheit der göttlichen Verkündigungen und Forderungen zu erkennen. Es ist dann nicht bloß Wiedergeburt der Erkenntnis, Reichtum des Geistes gewonnen durch die Wissenschaft, sondern auch eine Wiedergeburt des Herzens durch Frömmigkeit, Glaube, Liebe und Hoffnung erforderlich. Wir müssen in Christo sein, dann sind wir die neue Kreatur, deren Blicke sein Wort dem Geist nach offensteht.

So ist das Evangelium des Herrn zu vergleichen mit dem lichten Sonnenstrahle, der in des Menschen Geist und Herz wie in einen Spiegel fällt. Je reiner und vollkommener dieser ist, desto vollkommener nimmt er das Licht auf, desto reiner strahlt er es zurück. Je unvollkommener und schlechter aber der Spiegel ist, desto mehr gibt er auch nur ein Zerrbild wieder. Das ist der Grund, warum so Viele, begabt mit scharfem Geist, ausgerüstet mit tiefer Gelehrsamkeit, dennoch den rechten Geist in Christi Worte nicht finden und wiedergeben konnten, denn es fehlte ihnen selbst der rechte Geist, es fehlte ihnen die Liebe zu Gott, der Glaube an sein erlösendes Walten, und die Demut, welche daraus folgt. Sie gingen mit falschen Voraussetzungen, mit Vorurteilen an die Deutung der heiligen Schrift, nicht um Jesum, sondern um sich selbst und ihre Wahrheit darin zu finden; nicht um den Geist zu erkennen, wie er sich uns geoffenbart hat; sondern um die Bestätigung eigener liebgewonnener Meinungen und der Festsetzungen gewisser kirchlicher Parteien darin zu finden, und solche Befangenheit trübte sofort ihren Blick, dass sie den natürlichen, naheliegenden Sinn nicht annahmen, sondern durch allerlei falsche Kunst einen entfernteren, ihnen mehr zusagenden suchten, und deshalb sich nicht scheuten, auch dem Wort Gewalt anzutun. So sehr wir aber die Notwendigkeit des christlichen Geistes zum richtigen Verständnis der Lehre Jesu anerkennen müssen, eben so sehr müssen wir auch die Berechtigung des Wortes anerkennen, nur in der Bedeutung genommen zu werden, die sprachlich und geschichtlich ihm zukommt, als die ihm eigentümliche sich nachweisen lässt. Dazu gehört allerdings mannigfache wissenschaftliche Vorbildung, und darum wird der christliche Lehrer, als berufen und berechtigt die heilige Schrift auszulegen, einer besonderen wissenschaftlichen Ausrüstung nimmer entbehren können. Ohne diese sind Einzelheiten gar nicht zu entwirren; aber wir behaupten auch mit guter Zuversicht, dass sie zum allgemeinen Verständnis der heiligen Schrift, besonders des neuen Testamentes, nicht unbedingt erforderlich ist. Wer aus dem Geist des Herrn wiedergeboren ist, hat einen inneren Sinn für das Verständnis der Schrift; dieses fehlt aber Jedem, der nicht eben so anspruchslos die Schrift annimmt, wie sie von ihren Verfassern uns gegeben ist.

Aber - so haben wir schon oft sagen gehört - wäre es denn nicht besser, dass wir das Wort der Schrift ganz aufgäben, und ihren Geist in eine andere, unserer heutigen Denk- und Sprechweise angemessenere Rede kleiden ließen? Nimmermehr! denn welchem Menschen möchten wir solches Ansehen zugestehen und ihm so vertrauen, dass er überall auch den christlichen Geist rein auffasste und richtig wiedergäbe? Wären wir nicht wegen der notwendigen Unvollkommenheit unserer Sprache zur Bezeichnung übersinnlicher Dinge immer wieder in derselben Lage, den Geist vom Wort zu scheiden? Wir verlören dann die ursprüngliche und alleinige geschichtliche Urkunde des Christentums, nach welcher allein alles christliche Wesen beurteilt werden muss; wir würden dann aufhören Jesu wahre Jünger zu sein, denn wir wären dann nicht geblieben an seiner Rede, uns würde dann die Nötigung fehlen, uns fortwährend in den Geist Jesu selbst zu versetzen, um sein Wort richtig zu verstehen, und damit ginge ein wesentliches Hilfsmittel zu unserer Heiligung und Seligkeit uns verloren. Ein solches ist die Schrift für uns und wird es für die Menschheit immer bleiben; nimmer wird sie durch menschliche Weisheit ersetzt werden können, schon weil sie das leuchtende Vorbild des Lebens Jesu uns allein darbietet; Himmel und Erde werden vergehen, aber seine Worte vergehen nicht.

So lasst uns denn von ganzem Herzen, mit unserm ganzen Geist und mit allen unseren Kräften ihm anzugehören, ihn suchen und annehmen, und dadurch stetig wachsen in aller Wahrheit und Vollkommenheit. Der Herr ist der Geist; wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Sie komme auch zu uns die Freiheit von dem Irrtum und von der Sünde, und sie wird kommen, wenn wir bleiben in seiner Rede, und uns regieren lassen von seinem Geist.

Ja, Herr, bleibe bei uns, regiere unsere Seelen, und führe sie einst zu deinem höheren Licht. Amen.

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