Heermann, Johannes - Heptalogus Christi - Das sechste Wort.

Joh. 19, 30.
Da nun JEsus den Essig genommen hatte, sprach Er: Es ist vollbracht.

Der königliche Prophet David, andächtige Herzen, spricht von unserm Heiland und rühmt unter Andern auch Seine Lieblichkeit im Reden und sagt: Holdselig sind Deine Lippen. Wohlredenheit ist eine sonderliche Gabe des Höchsten. Dem Aaron gab GOtt selber Zeugniß seiner Beredsamkeit. Salomo hat so wohl und zierlich reden können, daß auch die Königin aus Arabien sich nicht genug darüber verwundern konnte und deswegen seine Hofleute glücklich pries, daß sie täglich seine Weisheit hören konnten. Der Bischof Johannes von Constantinopel hat eine sehr liebliche Art zu reden gehabt, daß man ihn Chrysostomus d. h. Goldmund nannte. Ja er hatte es mit seiner lieblichen Rede so weit gebracht, daß seine Zuhörer sprichwörtlich sagten: Es wäre besser daß die Sonne nicht schiene, als daß Chrysostomus nicht lehrte. Aber CHristus JEsus redet viel lieblicher, kräftiger und tröstlicher. 1. Seine Worte sind süßer denn Honig und Honigseim. Er spricht selber: Der Geist des HErrn Herrn ist über mir; darum hat mich der HErr gesalbet. Er hat mich gesandt den Elenden zu predigen, die zerbrochnen Herzen zu verbinden, zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Oeffnung, zu predigen ein gnädiges Jahr des HErrn. Da Er in der Schule zu Nazareth aus Jesaia eine Predigt that, sahen aller Zuhörer Augen auf Ihn und sie wunderten sich der holdseligen Worte, die aus Seinem Munde gingen. Auch die Feinde gaben ihm Zeugniß und sprachen: Es hat noch nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch.

Ist aber irgend Seine Lieblichkeit zu spüren, - wie sie denn überall genugsam zu spüren ist -, so empfindet man dieselbe gewiß in den Worten, die der HErr am Kreuz kurz vor Seinem Tode geredet hat, in deren Erklärung wir bis ans sechste Wort gekommen sind. Damit wir nun dessen süße Lieblichkeit und liebliche Süßigkeit auch in unserm Herzen, im Leben und im Sterben empfinden und schmecken können, so wollen wir daraus vernehmen, was unser hochgelobter Heiland vollbracht habe und was Er mit diesem Worte meine. HErr JEsu, thue meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige. Amen.

Was ist denn vom HErrn JEsu am Kreuz vollbracht? Zuvörderst Alles was die Propheten von Seinem Leiden und Sterben geschrieben haben. Nachdem CHristus in Seinem kläglichen Durst einen Trunk empfangen hatte, nicht von frischem Wasser, nicht von köstlichem Wein, sondern von lauter Essig mit Ysop vermischt, all unsre Wollust und Ueberfluß damit zu büßen; siehe so richtet Er Sein Haupt wieder getrost auf, thut ein Triumphgeschrei und spricht: Es ist vollbracht.

Was ist anders vollbracht, sagt Augustin, als was die Propheten so lange Zeit zuvor geweissagt hatten? Und Theophilus spricht: Diese Weissagung ist samt den andern erfüllt und Nichts mehr übrig. Alles ist vollbracht.

Als der HErr JEsus mit Seinen Jüngern gen Jerusalem geht, sich allein willig zu Seinem Kreuzestode einzustellen, thut Er ihnen unterwegs eine schöne Predigt von Seinem Leiden und Sterben und sagt: Sehet wir gehen hinauf gen Jerusalem und es wird Alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Da redet Er vom zukünftigen Vollendetwerden; hier aber spricht Er: Es ist nun vollbracht und alles vollendet, was die Schrift von meinem schmerzlichen Leiden geweissagt hat.

Denke denn ein wenig nach, andächtiges Christenherz. Es ist vollbracht Alles, was von Christi Leiden prophezeit war in klaren Sprüchen. Da Adam und Eva das ernste Gebot GOttes übertreten und vom verbotnen Baum gegessen hatten, und solcher Sünde halber hätten ewig müssen verdammt und verloren sein; da hat sich die Heilige Dreifaltigkeit des ganzen menschlichen Geschlechts in Gnaden erbarmt und beschlossen, daß zu bestimmter Zeit demselben wieder geholfen werden sollte. Darauf brachte auch der hochgelobte Sohn GOttes alsbald die fröhliche Botschaft, zeigte Sein künftiges Leiden und Sterben an und sprach: Seid getrost ihr hochbetrübten Leute, jetzt hat es nicht mehr Noth, ihr seid wieder zu Gnaden gekommen, es ist ein Mittel erfunden: Des Weibes Same soll der Schlange den Kopf zertreten. Eben diese Passionspredigt ist nun in der That erfüllt. Jetzt hat CHristo, dem rechten Weibessamen, die Schlange in die Ferse gestochen; Er aber hat ihr den Kopf zertreten.

Dem großgläubigen Erzvater Abraham that GOtt die schöne Verheißung, daß der Messias aus seinem Geblüt sollte geboren werden und sprach: In deinem Samen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Das ist nun vollbracht, jetzt ist der Segen unter alle Völker, ja auch unter die Heiden gekommen.

Als der Patriarch Jacob auf seinem Todbette lag, hat er noch von dem Messias geweissagt und gesprochen: Er wird Sein Kleid in Wein waschen und Seinen Mantel in Weinbeerblut. Dies erklärt Theodorus also: Er wird Sein Kleid waschen, welches Er angezogen hat, d. h. die menschliche Natur, welche Er an sich genommen. Die wird Er waschen in Weinbeerblut: Sein ganzer Leib wird stehen voll geronnenen Bluts vom Scheitel bis zur Fußsohle wie einer, der im Herbst rothen Wein gekeltert hat. Dies ist nun vollbracht.

Siehe an den königlichen Propheten David. Weissagt er nicht hie und da von CHristo, wie Er werde eine kleine Zeit von GOtt verlassen sein: wie Er leiden müsse für die Heiligen auf Erden und die Herrlichen. Sonderlich spricht er in der Person Christi. Große Farren haben mich umgeben, fette Ochsen haben mich umringet. Ihren Rachen sperren sie auf wider mich, wie ein brüllender und reißender Löwe. Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennet, mein Herz ist in meinem Reibe wie zerschmolzen Wachs. Und abermal: Auch mein Freund, dem ich mich vertrauet, der mein Brot aß, tritt mich unter die Füße. Er wird trinken vom Bach auf dem Wege; darum wird Er das Haupt emporheben. Dies Alles ist vollbracht.

Beschaue ein wenig die Propheten. Wie klar hat Jesaias geweissagt, als wäre er selbst dabei gewesen und hätte Alles mit Augen gesehen: Fürwahr Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen; wir aber hielten Ihn für den, der geplaget und von GOtt geschlagen und gemartert wäre. Aber Er ist um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Frieden hätten und durch Seine Wunden sind wir geheilet. - Wer ist der, so von Edom kommt, mit röthlichen Kleidern von Bazra? Der so geschmücket ist in seinen Kleidern und einher tritt in seiner großen Kraft? Ich bins, der Gerechtigkeit lehret und ein Meister bin zu helfen. Warum ist Dein Gewand so rothfarben und Dein Kleid wie eines Keltertreters? Ich trete die Kelter allein und ist Niemand unter den Völkern mit mir. Hievon redete auch der Mann Gabriel zu Daniel und sprach: CHristus wird ausgerottet werden und nichts mehr sein; das ist, Er wird in Mose und weltlichem Regiment nicht sein, denn Er wird ein neu, geistlich, himmlisch Reich anfangen, und die Juden werden erfahren, daß kein Messias mehr kommen wird, weil sie diesen ausgerottet haben; wie es Luther erklärt. Sacharja hat geweissagt von CHristo, Er werde um ein schlechtes, geringes Geld, nämlich um 30 Silberlinge verkauft werden. Was in diesen und andern Orten vom Messias die Männer GOttes, vom heiligen Geist getrieben, geredet haben, das ist jetzt Alles vollbracht.

Und nicht allein dies, sondern auch was von ihm angedeutet ist in Figuren und Vorbildern. Da GOtt dem Abraham befohlen hatte, er sollte seinen Sohn, den er lieb hatte, schlachten und opfern, da trug Isaac selbst das Holz auf seinem Rücken zum Brandopfer. Also hat auch CHristus, der gehorsame Sohn Seines himmlischen Vaters, das hölzerne Kreuz auf Seinem Rücken selbst tragen müssen und ist daran geschlachtet worden. Joseph ward von seinen eignen Brüdern den Ismaeliten verkauft um zwanzig gemeine Silberlinge, von denen jeder einen viertel Thaler galt, nach unsrer Münze fünf Thaler. Also ist CHristus von Seinem eignen Jünger den Juden verkauft um dreißig Kirchsilberlinge, deren einer einen halben Thaler galt, macht in Allem fünfzehn Thaler. Ei eine treffliche Summe, der er von ihnen werth geachtet ist.

Da die Kinder Israel ihrer Bosheit halber von den feurigen Schlangen heftig geplagt wurden, richtete endlich Moses auf des HErrn Befehl eine eherne Schlange auf. Wer diese aufgerichtete eherne Schlange ansah, der ward gesund und erhielt das Leben. - Gleich wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. - Simson ward gefangen, gebunden und den Philistern überantwortet. So ists auch deinem Heiland ergangen, andrer Vorbilder zu geschweigen.

Endlich ist auch vollbracht, was von CHristo angezeigt ist durch so viele Opfer im A. T. Das Opferlämmlein ward zu Jerusalem geschlachtet und am Feuer gebraten.

Hier ist das rechte Osterlamm,
Davon GOtt hat geboten.
Das ist an des Kreuzes Stamm
In heißer Lieb' gebraten.

Jetzt ist das Vorbild von der röthlichen Kuh erfüllt und der blutrünstige JEsus auf dem Hochaltar des heiligen Kreuzes Seinem himmlischen Vater zu einem süßen Geruch geopfert.

So siehst du nun, liebes Herz, daß freilich Alles vollbracht und erfüllt ist, was von CHristo im A. T. geweissagt und angedeutet worden. Dessen tröste dich in Noth und Tod; denn hier kannst du sehen, daß des HErrn Wort wahrhaftig ist und soll Nichts verloren sein von alle dem, was dir GOtt in Seinem Wort versprochen hat. Es soll und muß Alles vollbracht und erfüllt werden. - Wie sagt Gott selber? Ich will meine Wahrheit nicht fehlen lassen. Ich will nicht ändern was aus meinem Munde gegangen ist. - GOtt hat uns eine Handschrift gegeben Seiner Verheißungen, nicht aus Schuld, sondern aus gnädiger Zusage, spricht Augustin. Darum verlaß dich auf des HErrn Wort! Was Er dir versprochen hat, geschworen bei Seinem Namen, das hält und gibt Er dir gewiß und wahrhaftig, es stehe an kurz oder lang. Unmöglich ists, daß GOtt lüge. Himmel und Erde werden vergehen, aber Seine Worte vergehen nicht.

Zum Andern meint der HErr mit diesem Ausruf am Kreuz, daß vollbracht sei die Menge Seiner Leiden. Zwar halten Etliche, CHristus hätte nach Seinem Tode in der Höllenfahrt noch neue Angst und Schmerzen leiden müssen. Aber das ist falsch. Hier singt Er Sein freudiges Siegesliedlein und spricht:

Es ist vollbracht mein Leiden groß
Wohl hier zu dieser Stunde!

Nun hab ich alle Marter ausgestanden, mein Werk zu einem seligen Ende gebracht und das Feld behalten. Es ist vollbracht, spricht Er, wie Augustin sagt, weil Nichts zurückgeblieben war, was da noch geschehen müßte, ehe denn Er stürbe. Vollbracht ist der Sünder Bosheit, da die Menschen an GOtt selbst Hand anzulegen sich nicht scheuten. Und Cyrillus schreibt: Unser Heiland sagt, es sei nun vollbracht, weil der Juden Wuth und Gewaltthat wider ihn durch Seinen Tod ihre Endschaft erreicht. - Nun hat der HErr all Sein Kreuz, all Seine Marter und Schmerzen überwunden.

O frommer HErr JEsu, wie groß ist Dein Leiden, wie schwer ist Dein Kreuz, wie vielfältig ist doch Deine Qual gewesen, die Du bis hieher ausgestanden, beides an Seel und Leib! An Deiner allerheiligsten Seele hast Du unaussprechliche Angst und Schrecken gefühlt. Wie kläglich redest Du selbst hievon im Oelgarten und sprichst in Deiner Traurigkeit: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Ja diese Angst drückt Dich zu Boden, Du fällst auf Dein Angesicht, zitterst und bebst wie Espenlaub, daß Dir der blutige Schweiß darüber ausbricht und ein Engel vom Himmel kommen und Dich trösten muß. Ja auch am Kreuz führest Du abermal vor lauter Seelenpein die herzbrechendste Wehklage und schreiest überlaut: Mein GOtt, mein Gott, warum hast Du mich verlassen! Und sehe ich an Deinen hochgebenebeiten Leib, o wie viele und große Qual hast Du an demselben empfunden! Zwar ist Dein ganzes Leben nichts anderes gewesen als Kreuz und Pein. Arm und elend bist Du geboren, dürftig und auf der Flucht wirst Du erzogen, der Lohn Deiner Predigten, Wunder und Wohlthaten ist Haß, Neid und Verfolgung. Aber doch findet sich Dein Schmerz erst recht mit Haufen in Deiner blutigen Passion. Bald im Anfang mußtest Du mit Deinen Augen sehen, wie die Jünger, Deine besten und liebsten Freunde, Dich zur Zeit der Noth verlassen, daß auch Dein eigner Schüler Judas Dich Deinen Feinden mit einem falschen Gruß und Kuß übergibt, welche mit gewappneter Hand Dich bei finsterer Nacht überfallen, binden und gefangen führen. Du mußtest vor Gericht hören die unbilligste Anklage und die lügenhaften Zeugen, welche wider Dich auftraten, ja das greuliche Zetergeschrei des Volks: kreuzige, kreuzige Ihn! sowie das falsche Urtheil des Pilatus. Du mußtest riechen das stinkende Anhauchen und den unfläthigen Speichel Deiner Feinde und sonderlich des vollen und tollen Hofgesindes Herodis, die mit Dir ihren Spott hatten. - Du mußtest fühlen Ketten und Bande, welche sie Dir an Deine heiligen Glieder gelegt; die Geißeln und Peitschen, womit sie Deinen Leib unbarmherzig zerschmissen und zerrissen; die von spitzigen Dornen geflochtene Marterkrone, welche sie Dir auf Dein Haupt gedrückt; die Nägel, damit sie Deine Hände und Füße durchbohrt und Dich ans Kreuz geheftet haben. Ja dies äußerliche Leiden ist so groß, daß Himmel und Erde darüber erblassen und erbeben, und ihr schuldiges Mitleid blicken lassen.

Aber nun hast Du, mein HErr JEsu, alles Leiden überwunden und ist jetzt Nichts mehr übrig. Darum sagst Du allhier mit Freuden: Es ist vollbracht. Was Deinen Tod anlangt, so ist derselbe sanft und ohne Weh. Du befiehlst und übergibst ohne Empfindung der Schmerzen freiwillig Deinen Geist Deinem himmlischen Vater. Ach sei gelobt in Ewigkeit, daß Du solche Schmerzen mir zu gut mit großer Geduld erlitten hast. Hilf und verleih, daß ja Dein vielfaches und vollbrachtes Leiden an mir nicht verloren sei.

Hier halt ein wenig stille, andächtige Seele. Wie ist es auf dieser Welt deinem HErrn JEsu ergangen? Ist nicht Sein ganzes Leben eitel Leiden gewesen? Gehts nicht eben also denen, die Ihn lieb und im Herzen haben? Ist nicht der Mensch zum Leiden geboren, wie die Vögel empor schweben zum Fliegen? Wie spricht der HErr dein Heiland? Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folget mir nach, der kann nicht mein Jünger sein. Ach ein jedes fromme Kind GOttes muß wie die Apostel in der Welt weinen und heulen und mit Assaph klagen: HErr GOtt Zebaoth, Du speisest uns mit Thränenbrot und tränkest uns mit großem Maß voll Thränen.

Was ist das Leben anders als eine immerwährende Reise? Gleich wie nun einem Wandersmann mancherlei Unglück zu Händen stößt, mancher saure Wind ihn anweht und manches trübe Wetter ihn überfällt; so gehts auch den Gläubigen auf der Pilgrimschaft dieses Lebens. Bald überfällt sie ein schwerer Kreuzregen, bald steigt auf ein trübes Ungewitter der Verfolgung, bald mußt du mit untreuen Brüdern und falschen Hunden zu schaffen haben. Da klagt man mit Jacob: Die Zeit meiner Wallfahrt ist wenig und böse. Wärst du gleich Mose GOtt der Liebste und Getreuste, so mußt du doch mit ihm auch sein der Geplagteste. Darum, meine Seele, denke stets an Chrysostomi Wort: dein HErr ist gekreuzigt und du willst eitel Fried' und Ruhe haben? wie schickt sich das! -

Was soll denn aber dein Trost sein, du vielgeplagter Kreuzträger? Ei hab ein wenig Geduld, du sollst bald mit deinem lieben Heiland das fröhliche Vollbracht singen. Du sollst nicht ewig gequält und mit der Kreuzeslast beschwert bleiben. Die Tage deines Leides sollen ein Ende haben. Ja gleich wie das Kreuz Christi genau abgemessen und den Feinden ein gewisses Ziel gesteckt war, darüber sie nicht gehen durften; so hat der fromme GOtt bereits deine Trübsal abgezirkelt und die Zeit bestimmt, wie lange du dich damit tragen und plagen sollst. Er pflegt doch auch hier in diesem Leben Seine Kinder zu erfreuen. Der Gerechte muß viel leiden, aber der HErr hilft ihm aus dem Allen. Nach der stockfinstern Nacht folgt das helle Tageslicht; auf den traurigen Winter der fröhliche Lenz und Sommer. Also muß dem Gerechten das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. Noah mußte zwar in der Arche eine Zeitlang verbleiben und auf dem Wasser umherschwimmen; aber zu rechter Zeit, da das Wasser verschossen und verflossen war, kam er wieder zu Rande und Lande und ward erfreuet. Jacob war zwei und zwanzig Jahr in Betrübniß um Joseph und meinte nicht anders, als ein wildes Thier hätte ihn zerrissen. Aber sein Leid ward in Freude verkehrt, da er seinen Sohn in fürstlichem Ehrenstande sah. Den Tobias belegte GOtt eine Zeitlang mit Blindheit und Armuth; aber zu rechter Zeit gab Er ihm das Gesicht wieder und erfreute ihn, daß er selber sagen mußte: Der HErr züchtigt und hilft uns wieder. Und wenn auch, liebe Seele, dein ganzes Leben eine stete Kreuzfahrt und Marterwoche sein sollte, so soll doch bald erfolgen das selige Stündlein, da du mit CHristo sagen wirst: Nun ist meine Noth vollbracht.

Mein Trübsal, Jammer und Elend
Ist kommen zu ein'm selgen End.

Der Frommen Tod - Endschaft aller Noth! sagt Cyprian. Da sollst du rechtschaffen von aller Klage und Plage errettet werden. Alsdann wirst du mit Freuden singen und sagen: Du HErr hast meine Seele aus dem Tode gerissen, meine Augen von den Thränen, meinen Fuß vom Gleiten. Ich will wandeln vor dem HErrn im Lande der Lebendigen. Da wird GOtt deine Plage verwandeln in einen Reigen. - Kein Uebels wird dir begegnen und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.

Deshalb halt deinem GOtt im Unglück stille, du betrübter Kreuzträger. Verrichte deinen Lauf mit Geduld, wie dein Heiland gethan. Bleib in aller Noth deinem frommen GOtt getreu bis in den Tod. Sprich mit Sirach: Wenn ich gleich lange lebe und leide, so lebe und leide ich hundert Jahr (was doch gar selten kommt). Wie nun ein Tröpflein Wassers gegen das Meer, und wie ein Körnlein gegen den Sand am Meer, so gering sind auch meine Jahre gegen die Ewigkeit. Sage mit St. Paulus: Ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden nicht werth sei der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden.

Ach HErr JEsu, hilf und verleih, daß ich auch meinen kummerhaften Lebenslauf in allem Elend geduldig vollbringe und an meinem letzten Ende mit Paulus sagen könne: Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der HErr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird; nicht mir aber allein, sondern allen, die Seine Erscheinung lieb haben.

Zum Dritten und Letzten meint CHristus mit diesem Triumphliedlein das Werk der Erlösung; als wollte Er sagen: Nun hab ich durch meinen vollkommnen Gehorsam der Welt Sünde und Schuld bezahlt. Nun ist die verriegelte Paradiespforte durch mein Blut und Opfer allen Gläubigen aufgethan. Nun hab ich Adams Ungehorsam gebüßt, bin meinem himmlischen Vater bis zum Tode am Kreuz gehorsam gewesen. Nun hab' ich das hohe Gnadenwerk menschlicher Erlösung vollbracht und Alles ausgerichtet, was zu ewiger Vergebung der Sünden in dieser Welt von Nöthen ist. Nun ist das Heil erworben. Hievon redet auch die Epistel an die Hebräer: Mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden. Chrysostomus sagt: das Opfer, welches CHristus am Kreuze gebracht, ist in GOttes Wohlgefallen so angenehm und von beständiger Kraft, daß es heut nicht minder in des Vaters Augen ein vollgültiges Opfer ist als an dem Tage, da Blut und Wasser aus Seiner verwundeten Seite floß. - Und Augustin spricht: CHristus hat durch Seinen Tod, als durch das Eine wahrhafte, für uns dargebrachte Opfer alle Sünde und Schuld, um deretwillen uns die höllischen Fürstenthümer von Rechtswegen zur Strafe gefangen hielten, abgewaschen, getilget und weggenommen.

O wie hat nach diesem Triumph- und Siegeswort die lieben Erzväter verlangt im alten Bunde! Wie herzlich gern hätten sie diese selige Zeit erlebt und diese Rede aus dem Munde Christi gehört! Wie haben sie geseufzt und gewünscht Tag und Nacht! Wie spricht David? Ach daß die Hülfe aus Zion über Israel käme und der HErr sein gefangen Volk erlösete! So würde Jacob fröhlich sein und Israel sich freuen. Wie freute sich Abraham, daß er diesen Tag sehen möchte! Jacob wünschte noch, als er schon auf dem Todbette lag, und sprach: HErr ich warte auf Dein Heil. Der Prophet Jesaias und mit ihm die ganze Kirche sang und seufzte immerdar: Ach HErr, daß Du den Himmel zerrissest und führest herab! Ja viele Könige und Propheten wollten gerne hören, was CHristus am Kreuz geredet hat. Du aber, meine Seele, hast durch GOttes Gnade diese selige Zeit erlebt, darin du hörest, daß CHristus Alles vollbracht hat, was zu deiner Seligkeit von Nöthen ist.

Hinweg denn mit all denen, die dir einen andern Weg und Steg zum Himmel zeigen wollen als das theure Verdienst deines HErrn JEsu. wie viele Mittel und Wege haben doch die Menschen jederzeit erdacht und gebraucht, Vergebung der Sünden und den Himmel zu erlangen! Berosus schreibt von etlichen Leuten nach der Sündfluth, daß sie ihre Wallfahrt in Armenien zum Gebirge Ararat gehalten und daselbst von der Arche Noahs (die dort stehen geblieben sein soll) Pech für Heiligthum geholt. Die Türken halten jährlich ihrem Mahomet zu Ehren gen Mekka in Arabien eine Wallfahrt, ihn damit zu ehren und zu versöhnen. Etliche haben alle Jahr einen lebendigen Menschen ins Wasser geworfen und ersäuft mit den Worten: „Sei du für uns Opfer, daß wir erlöst werden.“ Die Bäpstler meinen durch ihr Meßopfer, gute Werke, Wallfahrten und andre Gelübde den Himmel zu verdienen. Aber hat's JEsus CHristus vollbracht, so wirds sonst Nichts thun können. Zum Verdienst ist genug, sagt Bernhard, daß man wisse, unser Verdienst sei nicht genug. Und Thomas von Aquino meint, CHristus habe allein für die Erbsünde genug gethan, für die wirkliche und selbst begangne Sünde müßten die Messen und guten Werke genug thun. Aber es ist vollbracht durch CHristum und deine Sünde gebüßt. Durch Ihn hast du einen freien Zutritt zum Vater. Er ist für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in Ihm würden die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt.

Welch ein schöner Trost ist das, meine Seele! Hat CHristus das Werk der Erlösung vollbracht, wie es denn klar und offenbar ist, ei so bist du aus des Satans Reich errettet. Laß dich demnach seine Anfechtungen nicht abschrecken. CHristus hat ausgezogen die Fürstenthümer und Gewaltigen und sie Schau getragen öffentlich und einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst. - Er hat durch Seinen Tod die Macht genommen dem, der des Todes Gewalt hatte, nämlich dem Teufel. Zeigt der Satan dir deine Sünde und will dich vor GOttes Gericht fordern, so gedenke an dies Vollbracht! CHristus ist um deiner Sünde willen gestorben und um deiner Gerechtigkeit willen auferwecket. An Ihm hast du die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Wende dich darauf zu deinem Heiland und sprich:

Mein' Sünd' sind schwer und übergroß
Und reuen mich von Herzen.
Derselben mach' mich quitt und los
Durch Deinen Tod und Schmerzen;
Und zeig' mich Deinem Vater an,
Daß Du hast g'nug für mich gethan;
So werd' ich quitt der Sündenlast.
HErr halt mir fest,
Weß Du Dich mir versprochen hast.

Schreckt sich der Tod? Sei getrost, CHristus hat Alles vollbracht und deswegen auch den ewigen Tod verschlungen in den Sieg; den zeitlichen aber in einen lieblichen, sanften Schlaf verwandelt. Er hat dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen wieder ans Licht gebracht. Wir leben oder sterben, so sind wir des HErrn. Weil CHrist vom Tod erstanden ist, wirst du im Tod nicht bleiben. Schreckt dich das Gesetz? Ei es ist vollbracht!

Das ganz Gesetz hat Er erfüllt,
Damit Sein's Vaters Zorn gestillt,
Der über uns ging alle.

CHristus hat uns erlöset vom Fluch des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns. - So sind wir demnach nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.

Schreckt sich die Hölle mit ihrem feurigen Rachen, sei getrost: Es ist vollbracht! Zwar die Hölle ist eine Grube, darin kein Tröpflein Wassers ist, damit Einer seine Zunge fühlen möchte; sie ist ein Pfuhl, der mit Pech und Schwefel brennt, davor sich auch die bösen Geister selbst fürchten, aber jetzt kann sie keinen Gläubigen halten. CHristus hat das Gefängniß gefangen und uns durch das Blut Seines Bundes aus solcher Angstgrube geführt, daß du fröhlich sagen kannst: Ich danke Dir, HErr mein GOtt, von ganzem Herzen und ehre Deinen Namen ewiglich; denn Deine Güte ist groß über mich und hast meine Seele errettet aus der tiefen Hölle.

Schreckt dich der Satan mit dem Zorn GOttes und sagt: siehe, der Höchste ist dein Feind und wird dich deiner Sünden halber nicht ungestraft lassen: - Ei halt ihm entgegen dies Vollbracht. CHristus ist worden die Versöhnung für aller Welt Sünde. Nachdem wir sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott, durch unsern HErrn JEsum CHrist.

O HErr JEsu, Du treuer Heiland, Lob und Dank sei Dir in Ewigkeit, daß Du das hohe Werk der Erlösung menschlichen Geschlechts vollbracht und ums wahrhaftig mit Deinem himmlischen Vater versöhnet hast. Ach laß ja Dein vollbrachtes Leiden und Sterben an mir nicht verloren sein. Und wenn ich meinen Lebenslauf werde vollendet haben, so wollest Du mich aufnehmen in Dein ewiges Freudenreich, das Du mir erworben hast; so will ich Dich alsdann für solch' Deine Wohlthat in alle Ewigkeit loben und lieben, ehren und preisen.

HErr CHrist, durch Deinen bittern Tod
Steh uns hie bei in aller Noth,
Und hilf uns zu der Engel Schar,
Daß wir Dich loben immerdar.

Amen.

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