Brenz, Johannes - Sonntag Judica.

1538.

Joh. 8,46-59.
Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer von Gott ist, der hört Gottes Wort: darum hört ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott. Da antworteten die Juden, und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist, und hast den Teufel? Jesus antwortete: Ich habe keinen Teufel; sondern ich ehre meinen Vater, und ihr unehrt mich. Ich suche nicht meine Ehre; es ist aber einer, der sie sucht und richtet. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So Jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich. Da sprachen die Juden zu ihm: Nun erkennen wir, dass du den Teufel hast. Abraham ist gestorben, und die Propheten, und du sprichst: So Jemand mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich. Bist du mehr, denn unser Vater Abraham, welcher gestorben ist? und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: So ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, welchen ihr sprecht, er sei euer Gott; und kennt ihn nicht. Ich aber kenne ihn; und so ich würde sagen; Ich kenne ihn nicht; so würde ich ein Lügner, gleichwie ihr seid. Aber ich kenne ihn, und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sahe ihn, und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahr alt, und hast Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich. Da hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen. Aber Jesus verbarg sich, und ging zum Tempel hinaus, mitten durch sie hinstreichend.**

In diesem Evangelio wird ein so heftiger und harter Streit zwischen Christo und den Pharisäern beschrieben, dass man kaum etwas Ähnliches in der ganzen Schrift findet. Denn sie werden so sehr wider einander im Geiste erbittert, dass die Pharisäer Christum einen ruhmredigen Prahler, einen Samariter, einen Besessenen, einen Unsinnigen nennen und sogar Steine aufheben, um ihn zu steinigen. Seinerseits aber schont Christus ihrer auch nicht, sondern heißt sie Lügner, Mörder und Kinder des Satans. „Ihr seid (spricht er) von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Derselbige ist ein Mörder von Anfang, und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ein Vater derselbigen“ (Joh. 8,44). Solcher Streit aber entsteht aus der Veranlassung, dass Christus gesagt hatte: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8,12).

Lasst uns nun zuvörderst sehen, was wir von diesen schimpflichen Worten und Werken zu halten haben. An den Pharisäern freilich ist's nicht zu verwundern, dass sie Christum so bitter und schmählich schelten; wie aber geschieht es, dass sogar Christus selber in scheinbar so beschimpfende Reden ausbricht? Ist denn nicht von ihm geschrieben: „Er schalt nicht wieder, da er gescholten ward“ (1. Petri 2,23). Und das Gesetz hat er ausgelegt: „Segnet, die euch fluchen“ (Matth. 5,44). In dieser Sache jedoch müssen wir vor allen Dingen auf Christi Person hinblicken und danach erst seine Tat betrachten. Denn im Allgemeinen gebietet zwar das Gesetz, dass Niemand dem Nächsten fluche, bestimmten Personen indessen trägt es auch im Besonderen auf, die Sünden zu rügen und zu tadeln, so dass, was bei einem Mann ohne öffentliches Amt eine Schmähung wäre, bei dem besonders dazu Angestellten seine Pflicht ist. So gebeut auch das Gesetz, nicht zu töten, und dennoch ist's der rechtmäßigen Obrigkeit gestattet, die Schuldigen zu töten. Christus aber war von Gott dem Vater dazu berufen und verordnet, dass er das Evangelium predigte, und dass die Menschen durch Hinweis auf die Sünden und Laster zur Erkenntnis der Sünden geführt und zum Glauben bekehrt würden. Und darum sind seine Worte nicht schimpflich, sondern Gehorsam in seiner Berufung. Bei den Pharisäern aber stand die Sache anders. Diese hatten zwar auch öffentliche Befugnis, die Sünder anzuklagen, und durften hart wider die Sünden schelten; das jedoch stand ihnen nicht frei, eine Sünde da anzunehmen, wo keine Sünde war, und den Unschuldigen als ungerecht zu verdammen. Wenn Christus sie Lügner, Mörder und Kinder des Satans nennt, so beweist er dasselbe mit den stärksten Gründen; heißen sie ihn jedoch einen Samariter und Besessenen, und urteilen sie, er sei wert, gesteinigt zu werden, so können sie das nicht beweisen. Es genügt aber nicht, einen Menschen zu schelten und Schmähworte auf ihn zu häufen, so man nicht auch beweist, dass die Sache sich also verhält. Denn wenn es genug wäre, zu verklagen und zu schelten: wer würde, frag' ich, in aller Welt selbst unter den Heiligsten unschuldig erfunden werden? Joseph wird als Ehebrecher angeklagt; wäre die Anklage hinreichend, so müssen wir Joseph für einen Ehebrecher halten. Als David von Saul vertrieben wird, da heißt er ein Aufrührer, und nachher ein Bluthund und loser Mann (2. Sam. 16,7.8). Ist's genug, zu fluchen, dann hat allerdings Simei Recht behalten, der solche Schmähungen wider David ausstieß. Daniel wird als ein Verächter der königlichen Majestät angeklagt, und in die Löwengrube geworfen. Ist die Anklage genug, wer wird schuldiger sein als Daniel? Doch was erwähne ich Solches? Wir haben Christum, „welcher keine Sünde getan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden“ (1. Petri 2,22), und dennoch gilt er nun als ein Samariter, als ein Besessener und nachher als ein Aufrührer und Gotteslästerer. Wenn es ausreicht, anzuklagen, dann wird der Unschuldigste der Schuldigste sein. Was wäre aber ungerechter als das? Wie also Niemand ohne amtliche Befugnis dergleichen, wie es scheint, beschimpfende Worte nachahmen darf, so wollen wir Schmähreden nicht stracks Glauben schenken, sondern über einen Jeglichen recht urteilen und über Jeden, ob er auch noch so schmählich behandelt wäre, Gutes denken.

Zweitens ist zu betrachten die Lehre oder die Rede, darob so großer Streit entsteht. Christus hat nämlich von sich selber gelehrt: „Ich bin das Licht der Welt.“ Ferner: So Jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“ Das leugnen die Pharisäer und nennen es unmöglich, da er ein elender Mensch sei, da die Propheten gestorben seien usw. Christus aber beweist es und spricht: „Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen,“ d. i.: der Lüge? Niemand kann mich der Lüge beschuldigen; denn ich rede das nicht so bloß hin, sondern ich habe das Zeugnis meines Vaters. Die Zeugnisse des Vaters sind aber die Wunder, die Gott durch Christum gewirkt hat. Denn sag' ich, dass ich die Sünden vergebe, so bezeuge ich es durch die Heilung des Gichtbrüchigen. Sag' ich, dass ich das Licht der Welt bin, so bezeuge ich es dadurch, dass ich dem Blinden das Gesicht wiedergebe. Sag' ich: Wer mein Wort hört, der wird den Tod nicht sehen, so ist es das Wort: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wer an mich glaubt, der wird nicht wandeln in Finsternis.“ Finsternisse sind erstlich die Sünden, danach die menschlichen Nöte, dazu der leibliche Tod, endlich die Qualen der Hölle. Wer also an Jesum Christum glaubt, der hat Licht in diesen Finsternissen, in Sünden, in Nöten, im Tode und in der Hölle.

Schließlich ist auch hier zu beachten, dass Christus spricht: Abraham habe seinen Tag gesehen, und: „Ehe denn Abraham ward, bin ich.“ Es gibt nämlich Leute, welche glauben, ein Jeglicher, wenn er ehrbar lebe, müsse bei seiner Religion selig werden. Diese meinen, die Erzväter würden in ihrem Glauben, wir in dem unseren, die Türken in dem ihrigen, gleicherweise auch die Juden, die jetzt leben, in ihrer Religion gerechtfertigt und selig werden. Es gibt auch Solche, die dafür halten, die Religion sei in den äußerlichen Ordnungen der Kirche beschlossen; und sie sind der Ansicht, weil jetzt eine neue Religion gepredigt werde, müsse man später abermals eine neue verkündigen. Allein Christus lehrt hier deutlich, es gebe nur Eine Religion und Einen Glauben, dadurch sowohl die Erzväter als auch wir gerechtfertigt und selig werden. Das ist aber die Religion von Christo und der Glaube an Christum. So werden Adam, so Abraham, so die Propheten, so wir und die Nachkommen gerechtfertigt und selig. Denn haben gleich Abraham und die Propheten andere Sakramente gehabt als wir, so ist's doch der nämliche Glaube gewesen, dem die Sakramente dienen.

So müssen wir uns denn bemühen, fleißig diesen Glauben zu lernen und keinen neuen zu erwarten, sondern allein jenen alten zu bewahren, welchen alle Frommen von Anbeginn der Welt angefangen haben; das ist aber der Glaube an Jesum Christum, Gottes eingeborenen Sohn, welchem sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

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