Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - 1. Das Sendschreiben an den Engel in Ephesus.

Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - 1. Das Sendschreiben an den Engel in Ephesus.

Offenb. Joh. 2, 1-7.

Und dem Engel der Gemeine zu Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: Ich weiß deine Werke und deine Arbeit und deine Geduld, und dass du die Bösen nicht tragen kannst; und hast versucht sie, so da sagen, sie seien Apostel, und sind es nicht, und hast sie Lügner erfunden; und verträgst, und hast Geduld, und um meines Namens willen arbeitest du, und bist nicht müde geworden. Aber Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tu Buße, und tu die ersten Werke. Wo aber nicht, werde Ich dir kommen bald, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust. Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hasst, welche Ich auch hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt: Wer überwindet, dem will Ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes ist. Amen.

Ephesus, jetzt nur noch ein Trümmerhaufen, war in der apostolischen Zeit eine Großstadt, die politische Hauptstadt des prokonsularischen Asiens, Mittelpunkt des Handels und des Dianadienstes für ganz Kleinasien. Es gab hier auch eine bedeutende Judenschaft, mit der der Apostel Paulus zunächst in flüchtigen Verkehr trat, als er auf seiner zweiten Missionsreise von Korinth über Ephesus und Cäsarea nach Jerusalem zurückkehrte (Apostelgesch. 18, 19-21) und unter welcher Apollo das Christentum predigte. Bald kam Paulus wieder, nahm zwei ganze Jahre hindurch Aufenthalt in Ephesus und sammelte aus Juden und Heiden eine Christengemeinde, von deren Ältesten er dann auf seiner dritten Missionsreise in Milet unter Tränen Abschied nahm (Apostelgesch. 19-20). Bei seinem Abgange ließ Paulus den Timotheus in Ephesus zurück, weswegen Manche in Timotheus den Engel der Gemeinde sahen. Nach dem Tode des Paulus führte Johannes, der einzige noch lebende Apostel, zu Ephesus, die geistliche Oberaufsicht nicht nur über die ephesinische Gemeinde, sondern auch über die andern kleinasiatischen Gemeinden, für die Ephesus der geistliche Mittelpunkt wurde.

Kap. II, Vers 1. Dem Engel der Gemeinde zu Ephesus schreibe: das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern.
Mit einem feierlichen „das sagt“ eröffnet der Herr jedes der sieben Sendschreiben; der Ausdruck erinnert an das: „So spricht der Herr Zebaoth“ bei allen Propheten. Es sind nicht Menschensprüche, sondern Gottessprüche, die die Briefe enthalten. Die sieben Sterne, die der erhöhte Heiland in seiner Rechten hält, sind, wie Kap. 1, 20 lehrt, die Engel der sieben Gemeinden; und die sieben goldenen Leuchter, in deren Mitte der Herr wandelt, sind die sieben Gemeinden selbst. Die Vergleichung der Lehrer mit Sternen begegnet uns schon beim Propheten Daniel (12, 3): „Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so Viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ In der Epistel Judä (V. 13) werden die Irrlehrer irrige Sterne genannt. Christus hält die sieben Sterne in Seiner Hand wie herzstärkend ist das für die Träger des geistlichen Amtes! In aller Amtssorge und Mühe, in Verkennung und Schmach wissen sie sich getragen, gehalten, fest gehalten von der Hand ihres Herrn, aus der sie Niemand reißen kann. Aber wie ernst und beugend ist es auch! Hält der Herr die Sterne in seiner Hand, so schweben sie Ihm auch immer vor Augen; und jede, auch die kleinste pastorale Sorglosigkeit und Untreue ist ein Flecken, den Er sieht, ob er auch vor der Gemeinde oder vor der vorgesetzten Behörde verborgen bleibt. Der Herr hält mich in seiner Hand, das soll sich ein Geistlicher täglich vorhalten zur Stärkung und zur Mahnung. Die Gemeinden erscheinen als Leuchter, als Träger des Lichtes der evangelischen Wahrheit, das Allen leuchten soll, die mit der Gemeinde in Berührung kommen; Leuchter sind keine Lichter, die Leuchtkraft liegt nicht in den Gemeinden, sondern im Evangelium; aber ein Licht bedarf des Leuchters, wenn es leuchten soll; unter den Scheffel gestellt leuchtet es Niemand; darum sollen die apostolischen Gemeinden die Träger des Lichtes sein, die Städte auf den Bergen, die nicht verborgen bleiben. Welch eine ehrenvolle Aufgabe für die christlichen Gemeinden und welch eine verantwortungsvolle! Die besten Gemeinden sind diejenigen, die die besten Leuchter sind für das Licht des Evangeliums; die schlechtesten sind diejenigen, in denen das Licht der evangelischen Wahrheit am Erlöschen ist; und wo es erloschen ist, hat christliches Gemeindeleben aufgehört. Der Herr wandelt unter den sieben Leuchtern; Er ist mitten unter ihnen, und ob sie auch so klein wären, dass nur zwei oder drei in Christi Namen sich versammelten; jede christliche Gemeinde darf sagen: der Herr ist nun und nimmer nicht von Seinem Volk geschieden, Er bleibet ihre Zuversicht, ihr Segen, Heil und Frieden. Der Herr wandelt unter den sieben Leuchtern; Er ist und bleibt bei seiner Gesamtkirche mitten in der Mannigfaltigkeit ihrer Gestaltungen und Entwicklungen; die ganze Kirche darf sich der gnädigen Gegenwart ihres Herrn rühmen. Dass der Herr gerade dem Engel von Ephesus als der die sieben Sterne hält und mitten unter den sieben Leuchtern wandelt, als der Herr aller Pastoren und aller Gemeinden, gegenüber tritt, entspricht der Stellung, die die ephesinische Gemeinde einnimmt und um derentwillen auch gerade das erste von den sieben Sendschreiben an sie gerichtet ist, da sie die größte Gemeinde, die einzig apostolische Gemeinde und die Muttergemeinde Kleinasiens ist. Alle christlichen Gemeinden stehen unter der gleichen Obhut und Pflege des erhöhten Herrn, und sie sind alle Ihm gleich wert; aber das schließt nicht aus, dass eine Gemeinde vor andern einen äußerlichen Vorrang hat, dem der Herr Rechnung trägt, den Vorrang im Alter oder in der Größe oder in weltgeschichtlicher oder in zeitgeschichtlicher Bedeutung. Die Wittenberger Gemeinde ist auch eine solche Vorrangsgemeinde, weil in der erlauchten Reformationszeit der Herr durch sein Rüstzeug Dr. Luther zuerst sich an sie gewendet hat.

Vers 2. Ich weiß deine Werke und deine Arbeit und deine Geduld und dass du die Bösen nicht tragen kannst und hast versucht die, so da sagen, sie seien Apostel und sind's nicht, und hast sie Lügner erfunden.
Ein schönes Lob des ephesinischen Engels und seiner Gemeinde aus dem Munde dessen, der nur lobt, was wirklich tüchtig ist, wie Paulus sagt 2. Korinth. 10, 18: „Es ist einer darum nicht tüchtig, dass er sich selbst lobt, sondern dass ihn der Herr lobt.“ Der Ausdruck „Ich weiß deine Werke“ begegnet uns gleichmäßig in allen Sendschreiben. Die Werke bezeichnen den Gesamtzustand des Engels und seiner Gemeinde, wie er in Leben und Wandel sich kundgibt und wie der Herr ihn vermöge seiner Allwissenheit kennt; ob die Werke als religiös-sittliche Wohlbeschaffenheit oder Übelbeschaffenheit zu deuten sind, ist immer erst aus dem Folgenden zu ersehen; in diesem Sendschreiben lehrt das Folgende, dass sie als Wohlbeschaffenheit zu deuten sind. Denn es heißt weiter: Ich weiß deine Arbeit, eigentlich deine Mühe, und deine Geduld. Der Gegensatz der Bösen, die er nicht tragen kann, der falschen Apostel, die er als Lügner erfunden hat, führt darauf, dass der Engel von Ephesus gelobt wird wegen seiner Mühe, die er sich in der Predigt des Evangeliums und im Eifer um reine Lehre und reines Leben in der Gemeinde gegeben hat, und wegen seiner Ausdauer dabei trotz aller Anfechtungen und Leiden, die ihm sein Amtseifer einbrachte. Die Bösen kann er nicht tragen; es sind nicht bloß die falschen Apostel gemeint, sondern ganz allgemein die unchristlichen oder gar widerchristlichen Personen, die Menschen schlechten Lebens und schlechter Lehre, die unlauteren Elemente, die sich in die Gemeinde eingeschlichen haben oder in der Gemeinde aufgetaucht sind. Er kann sie nicht tragen. Viel zu viel legen diejenigen in den Ausdruck hinein, die hier an Exkommunikation, an Ausstoßung aus der Gemeinde denken; wir haben uns wohl vielmehr zu denken, dass der ephesinische Engel eifrig bemüht war, diese schlechten Elemente zu strafen, zu gewinnen und zu bekehren, zum mindesten die Bessergesinnten vor ihnen zu warnen und vor ihrem Einfluss zu behüten. Er hat ferner solche, die sich Apostel nennen, ohne es zu sein, versucht, geprüft, sei es durch aufmerksames Beobachten ihres Treibens, sei es durch Kolloquien, die er mit ihnen gehalten, sei es durch beides zugleich, und hat sie als Lügner, also als Nicht-Apostel, als Irrlehrer erfunden, erkannt und entlarvt. In diesen Irrlehrern, die mit falscher apostolischer Autorität in Ephesus auftraten, haben wir die gräulichen Wölfe und Männer verkehrter Lehre zu sehen, vor denen Paulus in seiner milesischen Rede die ephesinischen Ältesten im Voraus warnt. Der ephesinische Engel hat sich jene Warnung wohl zu Herzen genommen und die Unlauterkeit und das lügnerische Wesen des geistlichen Verderbens vor sich und der Gemeinde aufgedeckt. Worin die Irrlehre dieser sich fälschlicherweise Gesandte Christi nennenden Verderber bestanden, ist aus dem Zusammenhang nicht zu erkennen; doch haben wir wohl an judaistische Irrlehrer zu denken. Indem er wie den Bösen im allgemeinen, so den Irrlehrern besonders widersteht, steht der Engel von Ephesus vor unsern Augen da als ein pflichttreuer, glaubensvoller und amtseifriger Geistlicher, der eifersüchtig wie über Sittenreinheit, so über Glaubensreinheit seiner Gemeindeglieder wacht, ein Vorbild, das uns Geistliche anspornen soll, zum Lobe des Herrn und zum Wohlsein unserer Gemeinden in seinen Fußstapfen zu wandeln.

Vers 3. Und verträgst und hast Geduld, und um meines Namens willen arbeitest du und bist nicht müde geworden.
Das Lob des vorigen Verses wird hier wiederholt und noch verstärkt. Der Wortlaut dieses Verses der lutherischen Übersetzung, den die Probebibel unverändert aufgenommen hat, muss nach den besten griechischen Handschriften geändert werden; es muss heißen: Und hast Geduld und hast getragen um meines Namens willen und bist nicht müde geworden. Dass der Herr die Geduld, die Ausdauer seines Knechtes in Ephesus mit doppelter Anerkennung belohnt, schärft uns ein, wie sehr dem Herrn der Kirche daran gelegen ist, dass seine Diener geduldige, ausharrende, nicht nur heute und morgen, sondern immer treue Leute sind. Wie leicht werden wir Pastoren ungeduldig, wenn der Erfolg unserer Arbeit in der Gemeinde nicht unsern Erwartungen entspricht; wenn wir, wo wir den Sieg der guten Sache uns so leicht vorstellen, mit tausend Widerwärtigkeiten, Hartnäckigkeiten, Missverständnissen zu kämpfen haben. Geduld ist uns not, und wenn besonders bei jugendlichen amtseifrigen Geistlichen eine gewisse ungeduldige Art ein bekannter Fehler ihrer Jugend und Tugend ist, so sollen sie bei der Lektüre des Sendschreibens an den Engel von Ephesus sich recht tief in die zweimal gelobte Geduld des ephesinischen Engels versenken und die Mahnung Pauli an den jugendlichen Timotheus (1. Tim. 6, 11) dabei recht fleißig erwägen: „Aber, du Gottesmensch, jage nach der Geduld!“ Du hast getragen um meines Namens willen, so lautet das Lob des Engels weiter. Die Bösen konnte er nicht tragen, und doch hat er getragen, nämlich das Böse, das sie ihm angetan haben, die Schmerzen und Sorgen, die sie ihm bereitet haben; er hat es sich nicht anfechten, nicht niederdrücken, nicht aus der rechten Stimmung bringen lassen; er hat es getragen um des Namens Christi willen, weil er ein Jünger und Bekenner Christi ist, weil es ihm nur auf die Verherrlichung Christi und die Ausbreitung seines Reiches in der Gemeinde ankommt, weil er ein Seelsorger mit lauterer Gesinnung, ohne alle Nebengedanken ist und weil es ihm auf tausend Meilen ferne liegt, Andern den Weg zum Himmel recht angenehm zu machen, um selbst einen angenehmen Weg auf Erden zu haben. Man muss als rechter Geistlicher um des Namens Christi willen manches tragen und vertragen lernen; das hat einmal sehr geistreich und herzerquicklich der große evangelische Theologe Johann Valentin Andreae (starb in Stuttgart am 27. Juni 1654) in einem bekannten, aber erst von Herder in seinen Briefen über das Studium der Theologie wieder auferweckten Gedichte geschildert, das die Überschrift trägt: „Das gute Leben eines rechtschaffenen Dieners Gottes.“ Du bist nicht müde geworden, so schließt das lange Lob, das der Herr dem Engel spendet. Das goldene, wilhelminische Kaiserwort: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein“, muss auch die Devise aller treuen Pastoren sein. Der Prediger Salomo hat doch nur gesagt: „Viel Predigen macht den Leib müde,“ von einer Ermüdung der Seele spricht er nicht. Der Heiland aber spricht: „Ich muss wirken, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“

Vers 4. Aber Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt.
Nach dem Lob des Engels kommt sein Tadel; das Wörtlein aber leitet ihn ein. Ich habe wider dich, mit diesen Worten drückt der Herr sein Missfallen aus, ganz ebenso in den Sendschreiben an die Engel von Pergamus und Thyatira. Du hast die erste Liebe, vollständiger nach den besten griechischen Handschriften, du hast deine erste Liebe verlassen, ruft der Herr dem Engel rügend zu. Nicht dass er gar keine Liebe habe tadelt der Herr; auch nicht dass er eine relative frühere Liebe nicht mehr habe, sondern dass er seine erste Liebe nicht mehr habe, die Liebe, mit der er einst in das ihm von Gott übertragene geistliche Amt, in den Dienst an der Gemeinde trat. Es gibt zarte Worte in der Bibel, die sich besser durch das Gefühl verstehen, als sich durch die Sprache deutlich machen lassen; zu diesen Worten gehört unser Vers und besonders der sonst in der ganzen Bibel nicht wiederkehrende Ausdruck: die erste Liebe. Aber es ist doch theologische Pflicht sich auch über diesen mit dem Reiz der Wehmut geschmückten Ausdruck gedankenmäßig und sprachlich klar zu werden. Es wird ausgelegt, dass die erste Liebe zu Christo gemeint sei und an Jeremias 2, 1, 2 erinnert: „Des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Gehe hin und predige öffentlich zu Jerusalem und sprich: So spricht der Herr: Ich gedenke, da du eine freundliche, junge Dirne und liebe Braut warst, da du mir folgtest in der Wüste, im Lande da man nichts sät.“ Über all' dem eifrigen Tun und Mühen für die Gemeinde, über all' dem Kampf mit den Bösen und Verführern ist das einst brautähnliche Verhältnis zum Herrn, das Pflegen der täglichen und stündlichen Gemeinschaft mit Ihm, das tägliche Gebet: „Ich bin dein, sprich du darauf dein Amen, treuster Jesu, du bist mein, drücke deinen süßen Jesusnamen brennend in mein Herz hinein,“ in Vergessenheit geraten; das Herz ist gegen den Herrn kälter geworden unter der rauen Alltäglichkeit der geistlichen Arbeit und Mühe. Irgendwelche Liebe zum Heiland ist ja noch immer vorhanden, das beweist die Arbeit um des Namens Christi willen; aber die erste Innigkeit des Liebesverkehrs mit dem Heilande ist dahin. Andre Ausleger verstehen die erste Liebe, die der Herr an dem Engel vermisst, von der Liebe zu den Brüdern; die Wärme des Herzens, mit der der Engel einst seine Gemeinde begrüßte, hat im Laufe der Zeit unter den trüben Erfahrungen mit den unlauteren Elementen einem kühlen, vorsichtigen, wenn nicht misstrauischem Behandeln der Brüder Platz gemacht. Aber es steht kaum etwas entgegen, dass wir die erste Liebe nicht als Liebe zum Herrn und zu den Brüdern in eins fassen dürfen; vielmehr hängt die Bruderliebe mit der Heilandsliebe so eng zusammen, dass sie bei einem Christen, zumal bei einem christlichen Prediger, gar nicht getrennt gedacht werden können. Es ist etwas Großes und Herrliches um die erste, volle, frische Liebe eines Geistlichen zu Gott und Christo, zu seinen Brüdern und Zuhörern; und wo sie einem im Leben begegnet, geht einem das Herz auf. Jungen Geistlichen, die sich in solche, erste Liebe versenken wollen, kann nicht lebhaft genug die Lektüre einiger klassischer Biographien von Geistlichen empfohlen werden; ich nenne nur die vortrefflichen Büchselschen Erinnerungen eines Landgeistlichen und das nicht minder vortreffliche Beyschlagsche Buch: Aus dem Leben eines Frühvollendeten. Auch das bekannte Kirchenlied: Fahre fort, fahre fort, Zion fahre fort im Licht! gibt eine bedeutsame Illustration der ersten Liebe und Bewahrung in ihr den Zeilen: „Lass die erste Liebe nicht, suche stets die Lebensquelle!“ Ist die erste Liebe zum Herrn und der Gemeinde beim Amtsantritt gar nicht vorhanden, wie bei den leidigen Brottheologen; ist die erste Liebe zwar vorhanden gewesen, als man in das Amt trat, aber im Laufe der Amtsjahre mehr oder minder schnell vermindert, verkrüppelt, verloren: so kann man zwar immer noch ein sehr amtseifriger Prediger, ein zündender Redner, ein bedeutender Vereinsmann, ein streitbarer Theologe sein, aber der Schmelz ist hin, der undefinierbare Duft des Lebens, der das geistliche Amt umhauchen muss, wenn es das schönste Amt auf Erden bleiben soll, der Duft ist hin; die Amtsführung bekommt etwas Mechanisches, Freudloses und auch schon bei jungen Jahren des Amtsträgers etwas Seniles. Es ist ein trauriges, aber leider nur zu häufiges Ding, das Lassen und Verlassen der ersten Liebe. Es ist nicht wahr, dass das Älterwerden daran Schuld ist; keinem Stande schadet das Älterwerden weniger, als dem geistlichen Stande; und es gibt Gott sei Dank Geistliche im weißen Haar, die ihren Heiland und ihre Gemeinde noch flammender lieben als einst im braunen Haar. Die Schuld beim Verlassen der ersten Liebe liegt an nichts Äußerlichem, sondern sie liegt tief innerlich am Menschen selbst; er hat über all dem Pflanzen, Säen, Begießen, Beschneiden in dem großen Garten, über den er gesetzt ist, unverantwortlicher Weise versäumt, für die schönste Blume seines Gartens Sorge zu tragen.

Vers 5. Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke; wo aber nicht, werde Ich dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust.
Es ist dies insofern der Hauptvers des Sendschreibens, als der Herr darin ausspricht, was der in vielen Stücken zu lobende, aber in dem einen Hauptstück zu tadelnde ephesinische Engel zu tun hat. Er soll ein Dreifaches tun: 1) gedenken, wovon er herabgesunken ist; 2) seinen Sinn bereuend ändern; 3) die ersten Werke wieder tun. Er soll gedenken, wovon er herabgesunken ist; er soll das heute mit dem weiland vergleichen und des gewaltigen Abstandes zwischen beiden inne werden. Auch wo gefühlt und geahnt wird, dass es im Amtsleben nicht mehr so ist, wie es einst war und dass die Gegenwart der Vergangenheit nicht entspricht, kostet es doch einen energischen Entschluss, in dies von dem Herrn geforderte Gedenken, wovon man gefallen ist, einzutreten. Das Gewissen sagt einem wohl, dass man herabgesunken, innerlich heruntergekommen ist; aber man hat so viel für Andere zu tun, dass man gar nicht zu sich selber kommt; man hat eine Scheu vor unangenehmen Entdeckungen auf dem Gebiete des eignen Seelenlebens; es ist doch so lange ziemlich gegangen, es wird auch wohl noch so weiter gehen können; und im Übrigen baut man auf die allgemeine Gnade Gottes in Christo und tröstet sich mit einer grundfalschen, aber sehr beliebten Anwendung des paulinischen Bekenntnisses: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was vorne ist.“ Aber es gilt um der eignen Seele willen und um des Wohles der anvertrauten der Gemeinde willen solche persönliche Zärtlichkeit gegen sich selbst, solche Feigheit vor dem Einschneiden ins eigene Fleisch und in der Kraft des Geistes zu überwinden. Wir müssen, und ob die Wogen des Amtslebens noch so sehr rauschen, uns Stunden des Gedenkens reservieren, Stunden des Gedenkens an uns selbst, an unsere gnädige Lebensführung, an unsere Verschuldungen bei aller göttlichen Führung, an die Erbarmung, die uns in der Vergangenheit widerfuhr, an den erbarmungsvollen Mahnruf, der in der Gegenwart an unser Ohr und Herz erschallt. Wir müssen uns, wenn wir merken, dass der Herr uns zürnt und doch in Liebe uns zurückhaben will, abschließen und einschließen können, um still vor unserm Gott zu erkennen und zu bekennen in tieferem Sinne, als es der Dichter gemeint hat: „Ach wie liegt so weit, ach wie liegt so weit, was mein einst war.“

Wer die erste Liebe gelassen hat, soll zum zweiten Buße tun, reuevoll seinen Sinn ändern. Darüber lässt sich nicht und soll man nicht viel exegesieren1). Was Buße ist, weiß jeder Geistliche; wollte Gott, es käme jeder auch aus metanoetischer Meditation zur metanoetischen Praxis. Für nachdenkliche Geistliche sind bezüglich der persönlichen Buße sehr zur Lektüre zu empfehlen: Adolph Monods Abschiedsworte an seine Freunde und die Kirche, besonders in den ergreifenden Abschnitten über „Die Reue eines Sterbenden.“

Hat der reuige Geistliche Buße getan, dann soll er auch die ersten Werke tun, die wiedergewonnene erste Liebe wieder betätigen in Wort und Wandel in jeder Weise; man mag hierzu die paulinische Ermahnung an Timotheus vergleichen (2. Tim. 1, 6): „Ich erinnere dich, dass du erweckst die Gabe Gottes, die in dir ist.“ Wenn der ephesinische Engel nicht gedenkt, wovon er gefallen ist, nicht Buße tut und nicht die ersten Werke tut, dann, so sagt der Herr, werde ich dir kommen bald. Es gibt einen seligen Advent des Herrn, wie ihn der Herr dem reuigen Engel von Laodicea in den Worten ankündigt: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an,“ aber auch einen richtenden, sichtenden und, wenn's sein muss, vernichtenden Advent des Herrn, und einen solchen kündigt der Herr dem Engel von Ephesus an für den Fall, dass er reuelos und unbußfertig bliebe; ich werde dir bald kommen, sagt der Herr, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte. Diese letzten Worte sind für die richtige Auffassung der sieben Sendschreiben, beziehungsweise ihres Zwecks und ihrer Adresse von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden, so legt die Apokalypse selber aus, Kap. 1, 20, und jede andre Auslegung muss also verstummen. Will aber der Herr äußersten Falls zur Strafe des Engels ihm seinen Leuchter, seine Gemeinde wegstoßen, so kann und darf man den Engel und die Gemeinde ebenso wenig identifizieren, als einen Stern (die sieben Sterne sind die Engel) und einen Leuchter. Es wäre doch weder Poesie noch Prophetie, noch auch gesunde Phantasie, wenn einem Gemeingeiste geschrieben würde: „Wenn du nicht Buße tust, werde ich deine Gemeinde umstoßen“; und noch unerträglicher wäre eine solche Anrede an einen der vor dem Throne Gottes versammelten Engel. Es ist nicht ein nur in der Idee existierender Gemeingeist von Ephesus; auch nicht ein nur im Himmel existierender seraphischer Genius von oder für Ephesus; sondern es ist der leiblich und wirklich auf Erden existierende Pastor der Gemeinde von Ephesus oder auch die Pastorenschaft, der und dem gesagt wird, dass bei einer pastoralen, eifrigen und in vielen Stücken anerkennenswerten Amtsführung ohne Buße und ohne Wiedergewinnung der ersten Liebe die Gemeinde zu Grunde gehen wird. Andererseits beweist die Drohung von dem Wegstoßen des Leuchters, dass der gottmenschliche Veranlasser der Sendschreiben immer Hirt und Herde zusammensieht und zusammenfasst und dass, was der Herr am Hirten. lobt oder tadelt, auch an der Herde gelobt und getadelt wird. Selbstverständlich wird eine Gemeinde nicht deswegen besonders gestraft, weil sich ihr Prediger an ihr versündigt, sondern weil sie sich selbst versündigt hat; aber wenn der Prediger sich selbst befleckt, befleckt er auch die Gemeinde, wie umgekehrt: wenn die Blume selbst sich schmückt, schmückt sie auch den Garten. Der in dem Sendschreiben verwarnte Engel ist so eng mit seiner Gemeinde verwachsen, dass er mit ihr steht und fällt und vom Falle wieder aufsteht. Da die Gemeinde zu Ephesus noch 600 Jahre bestanden hat, so müssen wir annehmen, dass ihr Engel samt ihr das Wart des Herrn zu Herzen genommen, Buße getan und zur ersten Liebe zurückgekehrt ist.

Vers 6. Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hasst, welche ich auch hasse.
Nach dem Tadel und der Bußmahnung noch eine neue Anerkennung und zwar dafür, dass der Engel, der die Liebe nicht mehr hat, die er haben soll, doch den Hass hat, den er haben soll; er hasst nämlich die Werke der Nikolaiten, nicht die Nikolaiten selbst - der Christ darf keinen Menschen hassen, und es ist mit Recht gesagt worden: Wer nur einen Menschen nicht liebt, liebt Christum nicht nicht die Nikolaiten, wohl aber ihre Werke hasst der Engel. Ihre Werke werden uns in dem Sendschreiben an den Engel von Pergamus näher beschrieben als Hurerei und Essen von Götzenopfern; die Nikolaiten missbrauchten also die christliche Freiheit und ließen dem Fleisch die Zügel schießen, wie die heutigen Anhänger der Emanzipation des Fleisches. Der Name Nikolaiten scheint nach der Parallele, die im pergamenischen Sendschreiben mit der Lehre Bileams, des Volksverderbers, gezogen wird, eine symbolische Bezeichnung für die verderbliche, fleischeslüsterne Partei zu sein; denn ein Parteihaupt Nikolaus, nach dem die Leute sich genannt hätten, kommt in der Bibel nicht vor; wenigstens ist ganz unbeweisbar, was Irenäus erzählt, dass der antiochenische Judengenosse Nikolaus, der letzte von den sieben Diakonen zu Jerusalem, ein Mann guten Gerüchtes und voll Heiligen Geistes und Weisheit (Apostelgesch. 6) später vom Glauben abgefallen und eine in fleischliche Verirrungen abweichende Sekte gestiftet habe. Zu unserer Zeit gehen ja in vielen Gemeinden manche grobe Werke des Fleisches im Schwange; da ist für jeden rechten Pastor sittliche Entrüstung und heiliger Hass am Orte, ein Hass, der die Liebe zu den Sündern nicht ausschließt, sondern vielmehr anspornen soll, alle Mittel in Bewegung zu setzen, um die Leute von ihrem verkehrten Wesen auf den rechten Weg zu bringen.

Vers 7. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes ist.
Die Mahnung: Wer Ohren hat, wörtlich der ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt, steht zum Schlusse jedes der sieben Sendschreiben. Auch in den drei ersten Evangelien, namentlich im Evangelium Matthäi bedient sich der Herr wiederholt dieser Ausdrucksweise: Wer Ohren hat, der höre. Der Geist ist der Geist, der aus den sieben Sendschreiben selber spricht, der Geist Christi, der Heilige Geist. Der Geist sagt, was in jedem Sendschreiben steht, zwar in erster Linie dem Engel der bezüglichen Gemeinde und durch den Engel seiner Gemeinde; aber was er der einen Gemeinde sagt, sollen auch die andern hören und zu Herzen nehmen; die sieben Sendschreiben sind für alle Gemeinden und Geistlichen, für die ganze Kirche mit ihren Lehrern und Dienern bestimmt. Nach dieser Mahnung zum Aufhorchen auf die Stimme des Geistes, die in den Sendschreiben ertönt, folgt hier, wie in den beiden nächsten Sendschreiben eine Verheißung für den Überwinder; die letzten vier Sendschreiben bringen die Verheißung vor der Mahnung. Der Überwinder, der Sieger, ist der, welcher gehorsam den Weisungen des Geistes Christi recht ringt, wenn Gottes Gnade ihn zieht und bekehrt, und den guten Kampf gegen Satan, Welt und Fleisch bis zum glorreichen Ende durchkämpft. Ihm will der Herr zu essen geben vom Baume des Lebens im Paradiese seines Gottes. Der Heiland nennt hier ebenso wie Evang. Joh. 20, 17 Gott seinen Gott, weil er auch nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt Mensch geblieben ist. Das Paradies und der Baum des Lebens weisen zurück auf den seligen Urzustand der Menschen vor dem Sündenfall; für den Überwinder wird im jenseitigen Leben alle und jede Folge der Sünde aufgehoben sein und der Vollgenuss des seligen Lebens eintreten. Aus dieser Verheißung ist der schöne Knaksche Vers entsprungen: „Paradies, Paradies, wie ist deine Frucht so süß; unter deinen Lebensbäumen wird uns sein, als ob wir träumen, bring uns, Herr, ins Paradies!“

Das Charakterbild des ephesinischen Engels und seiner Gemeinde ist also folgendes. Die Gemeinde hat die reine Lehre des Evangeliums; ihr Pastor verkündet sie eifrig und treu.

Aber Irrlehrer stören den Frieden der Gemeinde; der Pastor bekämpft sie energisch und sucht auf jede Weise ihren Einfluss zu brechen. Auch sonst fehlt es nicht an unlauteren Elementen in der Gemeinde, ja es gibt eine Partei in der Gemeinde, die laxen Sitten und lockerem, fleischlichen Leben huldigt. Der Pastor ist wie ein Wächter der reinen Lehre, so auch ein Wächter des reinen Lebens und tut, was er kann, um beiden in der Gemeinde zum Siege zu verhelfen. Darüber erwächst ihm mancher Angriff, manche Mühe, manche Schmach. Aber er bleibt geduldig und lässt sich weder müde, noch mürbe machen. Allein die heilige Liebesinbrunst, mit der er einst in sein Amt eintrat, ist ihm nach und nach abhandengekommen, nicht die Liebe zum Herrn und zu den Brüdern überhaupt, aber doch die erste, glühende, sich in das Meer der göttlichen Liebe versenkende Liebe. Und auch bei dem sonst so vortrefflichen Kern der Gemeinde steht es ebenso. Mit Anwendung von modernen Schlagworten könnte man sagen: Die Orthodoxie des Lehrers und des Stammes der Gemeinde in Ephesus ist musterhaft, aber der nötige Pietismus, im edlen Sinne des Wortes, hat Schaden gelitten. Dass der warme Hauch der ersten Liebe wiederkehre, dazu ermuntert das Sendschreiben; dass er wiedergekehrt ist, dürfen wir annehmen. Wir dürfen den Engel von Ephesus und alle seine Gemeindeglieder, die mit ihm ihren Lauf im siegreichen Glauben vollendet haben, jetzt im Paradiese Gottes sehen, sich sättigend an den Früchten vom Baume des Lebens.

1)
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