Quandt, Emil - Große Liebe im kleinen Leben - Erster Abschnitt. V. 1-3. Der Gruß Pauli an Philemon und seine Hausgenossen.

Quandt, Emil - Große Liebe im kleinen Leben - Erster Abschnitt. V. 1-3. Der Gruß Pauli an Philemon und seine Hausgenossen.

V. 1. Paulus, der Gebundene Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, Philemoni dem Lieben und unserm Gehilfen.
Paulus ist der Schreiber des Briefes; Apostelgesch. 13, 9. in der Erzählung von der Bekehrung des Landvogts Sergius Paulus begegnet uns der Name zum ersten Male; der früher Saulus hieß, ward Paulus genannt zum Andenken an die Bekehrung seines Erstlings. Paulus, mit diesem seinem geistlichen Namen führt der Apostel sich, wie in seinen andern Episteln, so auch in dieser ein als das auserwählte Rüstzeug zur Bekehrung der Heiden. Dass Paulus den Brief geschrieben, ist zwar einmal im christlichen Altertum und dann auch wieder in der allerneusten Zeit von Einzelnen angezweifelt worden, aber aus so nichtigen und bodenlosen Gründen, dass sie der Erwähnung nicht wert sind; die äußeren und die inneren Beweise für die Echtheit und Ursprünglichkeit des Briefes sind so stark, wie sie nur irgend sein können. Wenn Paulus zu Anfang der Epistel es bei seinem Namen bewenden lässt und nicht, wie er sonst tut, hinzusetzt „Apostel“ oder „Knecht Jesu Christi“, so ist das nicht auffällig; ein König schreibt anders in feierlichen Amtsschreiben und anders, wo er als Freund zum Freunde redet; auch die geistlichen Könige folgen dieser Weise. Der Apostel tritt in diesem Briefe als ein bittender Freund auf, daher zählt er nicht seine Titel auf. Und doch er legt sich auch in dieser vertraulichen Epistel einen Titel bei, einen gar schönen, herrlichen Titel. Er schreibt: Paulus, der Gebundene Christi Jesu, d. i. der für Christum Jesum und um seiner heiligen Sache willen in Banden liegende. Dass Saulus als Paulus auftrat, dass er sich nicht begnügte mit der Bekehrung seines Erstlings Sergius Paulus, dass er fort und fort darauf bedacht war allenthalben dem Herrn Seelen zu gewinnen, das hat ihn in die Bande gebracht, wie es ihm ja denn zuvor gesagt war, dass er als des Herrn Rüstzeug viel werde leiden müssen um des Namens Jesu willen. Er ist oft gebunden, gefangen gewesen um Christi willen; seine wichtigsten und langwierigsten Gefangenschaften waren die zu Cäsarea und die zu Rom; von der ersteren handelt Apostelgesch. 23, 33-26, 32., von der andern Apostelgesch. 28, 16-31. Alles spricht dafür, dass Paulus zur Zeit der Abfassung dieses Schreibens in Rom gebunden war, wo ihm nach Apostelgesch. 28, 16. „erlaubt war zu bleiben, wo er wollte, mit einem Kriegsknechte, der sein hütete“, wo er also nicht in der strengen Haft eines Staatsgefängnisses schmachtete, sondern sich in einer eignen Wohnung aufhalten, ungehindert Briefe schreiben und Besuche annehmen, auch wohl zuweilen sich ins Freie wagen durfte, allerdings immer zusammengekettet mit einem Soldaten, der ihn beständig bewachte. Diese römische Gefangenschaft Pauli, aus der er nach V. 22. unsers Briefes befreit zu werden hoffte und auch sicherlich befreit worden ist (freilich um dann bald nachher zum zweiten Mal in Rom gefangen und getötet zu werden), nahm ihren Anfang ums Jahr 60, und in dieses Jahr oder in das nächstfolgende haben wir wohl auch die Abfassungszeit dieser Epistel zu setzen, wenig später als die der Episteln an die Kolosser, Epheser und Philipper. Wollte man diesen Episteln einen gemeinschaftlichen modernen Namen geben, so würde man sie nennen können „Briefe eines Gefangenen“; und will man den ganzen vollen Geruch des Lebens zum Leben, der aus diesen Episteln haucht, auf sich wirken lassen, dann muss man bei jedem Verse derselben an Paulus den Märtyrer als den Schreiber derselben denken, Als Märtyrer, als ein für Jesu Christi heilige Sache gebundener Mann tritt Paulus in seinem Briefe vor Philemon hin. Es ist die Frage, weshalb Paulus sich in seiner Leidensgestalt dem Philemon vor die Augen führt. Das merken wir ja wohl sofort, Paulus schämt sich seiner Bande nicht; das Wort seines Mitapostels Petrus 1 Petri 4, 15. 16. ist ihm aus der Seele gesprochen: „Niemand unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift; leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Fall;“ die Bande, die er sich im Dienste Christi zugezogen, sind ihm, was dem Krieger die Wunden sind, die er im Streit empfangen. Aber wie Paulus sich seiner Bande nicht schämt, so rühmt er sich ihrer auch nicht, sondern er nennt sich den Gebundenen, um seinem Freunde Philemon von vornherein ins innerste Herz zu greifen und für seinen Wunsch willfährig zu stimmen. Wenn ein leidender Freund uns bittet, hat die Bitte doppeltes Gewicht. Es gilt ja das im allerhöchsten Maße von dem, dessen Botschafter Paulus nur ist, von dem Herrn Jesu Christo; wenn Er, unser allerbester Freund, in seiner Leidensgestalt mit dem Haupt voll Blut und Wunden vor uns tritt, wallt uns das Herz im Leibe; wenn Er als der Gekreuzigte uns bittet: Kommt her zu mir und lasst euch von mir erquicken; wer, der aus der Wahrheit ist, könnte da widerstehen? es ist ja wahrhaftig wahr: Willst du unempfindlich sein, o so bist du mehr als Stein! Von der Anziehungskraft des leidenden Christus haben aber auch leidende Christen, zumal leidende Apostel, ihr Teil. Dennoch nicht nur um Philemon weich zu stimmen, berührt Paulus seine Bande, sondern auch um sein Gewissen anzuregen; Pauli Bande um Christi willen sollen und wollen dem Philemon ein zur Nachfolge reizendes Beispiel des Gehorsams und der Selbstverleugnung geben; der gebundene Paulus predigt noch eindringlicher, als der freie, Milde gegen jede Art der Gebundenen, auch gegen die durch das Sklaventum Gebundenen; hat Paulus sich um Christi willen freiwillig binden lassen, so soll Philemon um Christi willen einem durch die Gesetze an die Sklaverei Gebundenen, der seine Bande mutwillig zerschnitten, verzeihen und Böses mit Gutem vergelten können. Den Gebundenen Christi Jesu nennt sich der Apostel - und mit diesem Namen weist er auf andre Bande hin, die noch fester waren, als die eisernen, die er trug, auf die Bande des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, mit denen er an die gottmenschliche Person des Welterlösers geknüpft ist. Jesus der Christ, der Sohn Gottes und der Jungfrau, Er war es, dem Paulus seit dem Tage von Damaskus mit glühendem Eifer diente, dessen Kreuzesfahne er in zwei Weltteilen entfaltete, dessen Namen er trug vor den Heiden und vor den Königen und vor den Kindern von Israel. Christus Jesus - diese beiden Namen verhalten sich wie Verheißung und Erfüllung; ein Christus, ein Messias war von Gott verheißen, in Jesu erschien dieser Messias in der Fülle der Zeit; Paulus nennt den Herrn gern und oft mit beiden Namen zugleich, bald Christus Jesus wie hier, bald Jesus Christus; hinter der verschiedenen Stellung der Namen ist nicht eine besondere Bedeutung zu suchen; es ist gleich vom Herrn zu sagen Jesus Christus oder Christus Jesus, wie es gleich ist von einem Lande zu sagen, es reiche vom Meer zum Fels oder vom Fels zum Meer. Wohl dem, der an Jesus Christus gebunden ist, wie Paulus an ihn gebunden war; mit Christo verbunden sein heißt mit dem Himmel und der ewigen Seligkeit verbunden sein.

Timotheus, der Bruder, wird von Paulus sofort im Anfang des Briefes mit genannt - nicht als Mitverfasser, dann müsste Paulus nachher fortwährend in der Mehrheit weiter reden, und nicht, wie er es doch tut, in der Einheit, wahrscheinlich auch nicht als der Schreiber, dem Paulus diese Zeilen in die Feder diktiert hätte; zum Mindesten hätte Timotheus dann nur bis V. 18. geschrieben, denn V. 19. sagt Paulus: Ich habe es geschrieben mit meiner eignen Hand; und man müsste dann, was etwas gezwungen ist, annehmen, Paulus habe von V. 19. an dem Timotheus den Griffel aus der Hand genommen. Vielmehr ist Timotheus mitgenannt als, der sich auch für Onesimus interessiere, von diesem Schreiben wisse und seinen Inhalt billige. Timotheus, der Sohn der gottesfürchtigen Eunika, war von Paulus auf seiner ersten Missionsreise in Lystra für das Evangelium gewonnen und auf seiner zweiten Missionsreise von ihm als Missionsgehilfe von Lystra nach Europa mitgenommen. Von da an finden wir ihn immer entweder in der Nähe des Apostels oder auf Missionssendungen im Auftrage des Apostels; dass er, als Paulus ein Gebundener in Rom war, wenigstens für eine Zeit lang bei ihm war, bezeugen auch die Episteln an die Philipper und Kolosser. Timotheus war für Paulus, was Jonathan für David war, ein herzlicher, inniger und sinniger Freund; Paulus sagt von ihm Philipp. 2, 20. 22. „Ich habe keinen, der so gar meines Sinnes sei; wie ein Kind dem Vater hat er mit mir gedient am Evangelio.“ Wenn nun der Apostel hier sich seinen jungen Mitarbeiter an die Seite stellt als „Bruder“, so will er ihn damit weniger hier als seinen Amtsbruder, als vielmehr als seinen Bruder im Glauben, in der Liebe und der Hoffnung bezeichnen; die ganze Verhandlung, der der Brief gilt, ist ja und soll sein eine brüderliche, christliche vertrauliche; dass zwei so erleuchtete Brüder in dem Herrn, wie Paulus und Timotheus waren, für den Onesimus als Bruder Fürsprache einlegten, ließ dem Philemon gleich die ganze Sache im besten Lichte erscheinen. Zwei sind besser, als Einer; Zweie beten besser, als Einer, bitten und vermahnen auch besser. Leider aber ist heutzutage ein Verhältnis, wie es Paulus und Timotheus hatten, eine seltene Erscheinung; und auch Amtsbrüder sind nicht immer Brüder im Geist. Der Vater im Himmel kann Herzen erkennen, wir dürfen uns Brüder ohn' Liebe nicht nennen!

Philemoni, dem Lieben und unserm Gehilfen, gilt nun der Gruß des gebundenen Paulus und seines Freundes Timotheus. Wer und was Philemon gewesen, darüber haben wir keine andern Mitteilungen in der Bibel, als was in dieser Epistel steht. Aus derselben ersehen wir zunächst, dass er ein begüterter Mann war; er hatte ein Haus V. 2., er hatte Sklaven, er konnte viel an den Mitgläubigen tun V. 7., sein Haus eignete sich auch zur Herberge für den Apostel. Dass sein Haus zu Kolossä in Phrygien, einer bedeutenden und wohlhabenden Stadt nicht weit von Laodicea, gestanden, schließt man mit Recht aus dem Kolosserbriefe, wo 4, 17. Archippus, der hier V. 2. mit Philemon zusammen genannt wird, als ein Lehrer der kolossischen Gemeinde vorkommt und wo 4, 9. Onesimus als ein Kolosser bezeichnet wird. Wie die Kirchenväter melden, hat man auch noch im fünften Jahrhundert das Wohnhaus des Philemon zu Kolossä gezeigt. Dass Philemon von Laodicea aus nach Kolossä eingewandert sei, ist nur eine Sage. Aus unsrer Epistel ersehen wir weiter und das ist die Hauptsache, dass Philemon ein von Herzen an den Herrn Jesum gläubiger Mann war V. 5. 6., der seinen Glauben in der Liebe tätig sein ließ; aus V. 19. kann man schließen, dass Paulus es gewesen, der ihm zum ewigen Leben verholfen, vielleicht zu Ephesus, denn in Kolossä scheint der Apostel nie gewesen zu sein. Dass Philemon trotz seiner Gläubigkeit einen harten und zornmütigen Sinn gehabt habe, kann man aus dem Briefe nimmermehr schließen; wäre das der Fall gewesen, so hätte Paulus nicht schreiben können: Ich weiß, du wirst noch mehr tun, als ich sage. Vielmehr ist das Vorhandensein dieses Briefes im biblischen Kanon ein Tatbeweis für die edle und liebevolle Gesinnung Philemons; Philemon hat der Bitte des Apostels willig und gern gehorcht, darum hat er denn auch die Epistel E. nicht unterschlagen oder beseitigt, sondern sie als teures Kleinod für ewige Zeiten der Gemeinde Jesu Christi geschenkt, so dass wir in der Existenz der Epistel ein unvergängliches Denkmal des Gehorsams und der Liebe Philemons haben. Wir sehen aus der Epistel ferner, dass Philemon dem Apostel „ein Lieber“, also ein werter und hochgeschätzter Mann war, ja sogar dass er ein Mitarbeiter des Paulus und Timotheus war, denn es heißt: „Unser Gehilfe.“ Ob Paulus ihm diesen ehrenden Beinamen nur deswegen gibt, weil Philemon als ein treuer Pfleger seiner Hausgemeinde und als ein christlicher Armenfreund in seinem eignen Lebenskreise neben und in seiner eigentlichen Berufsarbeit für das Reich Gottes tätig war; oder deshalb weil er das Amt eines Gemeindeältesten in Kolossä bekleidete oder gar einmal mit Paulus und Timotheus zusammen missionierend gewirkt hatte das bleibt unentschieden. So viel ist gewiss, dass die Apostel auch solche in ihren engsten Lebenskreisen tätige Christen und Christinnen Mitarbeiter nennen, die nie ein Lehramt bekleidet haben, wie die Prisca und den Aquila Röm. 16, 3., wie Clemens Philipp. 4, 3.; man vergleiche namentlich 3. Joh. 8. Ach, was sollten auch wohl Prediger und Vorsteher der Gemeinde anfangen, wenn sie nicht in den Vätern und Müttern und namentlich auch in gottseligen Witwen und Jungfrauen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hätten! Die kirchliche Sage freilich nennt Philemon Bischof zu Kolossä und erzählt von ihm, dass er unter Nero den Tod eines Blutzeugen gestorben sei. Uns aber soll Philemon wert und lieb sein auch ohne bischöflichen Glanz als ein glaubensfester, geisteskräftiger Christ, der der Güter dieser Welt brauchte, als brauchte er ihrer nicht, der seines Hauspriesteramts in Treue waltete und in glänzender Probe bewies, dass seine Tugend keine gleisnerische Scheingerechtigkeit war, sondern eine Frucht des Heiligen Geistes, dem er sich in rechtschaffenem Glauben hingegeben.

Fünf Namen nennt uns der erste Vers, zwei gehören unserm Heiland an und drei Jüngern des Heilandes. Christus Jesus das ist der Doppelname, außer dem kein andrer Name den Menschen gegeben ist, in dem sie könnten selig werden; das ist der Name, von dem wir singen und sagen: „In meines Herzens Grunde dein Nam', Herr Christ, allein funkelt all' Zeit und Stunde, drauf kann ich fröhlich sein.“ Christus Jesus, dieser Doppelname nennt uns die Sonne, um die sich die drei andern wie Planeten bewegen. Paulus, Timotheus, Philemon; der Mann von Tarsus, der Jüngling von Lystra, der Hausvater von Kolossä; der Gebundene und die Freien Alle mit einander verbunden in gemeinsamem Glauben an den Herrn Jesum Christum wer wollte nicht gerne dem nachdenken, was in so edler Gemeinschaft besprochen und verhandelt wird? Mit Gottes Freunden Freundschaft pflegen bringt Gnade, Kraft und tausend Segen. Wenn Menschen dieser Welt über Materien dieser Welt mit einander verhandeln, dann lohnt es sich nicht sehr zuzuhören, ja es kann oft nichts Trostloseres und Segensloseres geben, als briefliche oder mündliche Verhandlungen der Weltmenschen in Betreff des Mein und Dein. Aber wo ein Paulus in Gemeinschaft mit einem Timotheus zu einem Philemon auch nur über einen entlaufenen Sklaven redet, werden und müssen wir Dinge dabei hören, die nicht von dieser Welt sind. Verdoppeln wir denn unsre Aufmerksamkeit bei Betrachtung dieser Epistel, sie ist es wert.

V. 2. Und Appia, der Lieben, und Archippo, unserm Streitgenossen und der Gemeine in deinem Hause.
Der gottselige Kreis, in den wir durch den ersten Vers eingetreten sind, erweitert sich. Nicht dem Philemon allein gilt die grüßende Liebe des Apostels, sondern auch der Appia, die ebenso wie Philemon dem Herzen Pauli lieb und teuer ist. Es wird diese Appia sonst in der Bibel nicht erwähnt; aber es kann wohl nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass die Vermutung des Kirchenvaters Chrysostomus richtig ist, der sie Philemons Gattin nennt. Weil sie als Gattin und Hausfrau ihres Mannes Gehilfin war, so war es recht, dass sie nächst und neben ihrem Manne wegen Aufnahme des Onesimus von Paulus begrüßt und dass der Brief namentlich an sie mit gerichtet wurde; ein Frauenname, der dicht hinter dem Namen des Philemons steht und mit demselben das gleiche Beiwort „lieb, geliebt“ hat, kann kaum auf Jemand anders als auf die Gattin des Philemon gehen. Appia findet also eine ehrenvolle Stellung unter den gottseligen Gattinnen der Bibel; sie ist würdig zur Seite gestellt zu werden einer Sara, Hanna, Elisabeth, Maria; man muss sich nur wundern, dass der Name der Appia sich in der Christenheit nie recht als Frauenname eingebürgert hat.

Nach der Appia wird Archippus genannt, derselbe, der Koloss. 4, 17. als ein zu Kolossä in einem geistlichen Amte stehender Mann geschildert wird, wir wissen nicht näher, was für ein Amt gerade er bekleidete. Das oberste geistliche Amt in Kolossä hat nicht er, sondern Epaphras bekleidet, den wir bei Erwägung des 23. Verses noch näher kennen lernen werden. Dass Paulus den Archippus als seinen und Timothei Streitgenossen bezeichnet, zeigt an, dass er für die Sache Christi im Sinn und Geiste Pauli und Timothei tapfer kämpfte; der Kolosserbrief sagt uns, dass es in Kolossä gar Vieles zu bekämpfen gab, namentlich die gefährliche Richtung verführerischer Geister, die unter dem Aushängeschilde des Christentums doch nach eigner Wahl einhergingen. Streitgenossen sind ja auch noch heute alle diejenigen, die der Fahne Immanuels folgen, Streiter gegen das eigne Fleisch, Streiter gegen die Welt, Streiter gegen den Fürsten der Finsternis, wie wir singen: Rüstet euch, ihr Christenleute, die Feinde suchen euch zur Beute, ja Satan selbst hat euer begehrt. Gott sei Dank, dass es ein Kampf ist, dem der Sieg zuvor verbürgt ist; unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Wehe, dass in unsern Tagen Viele, die Streitgenossen sein sollten gegen den gemeinschaftlichen Feind, den ins Riesige gewachsenen Unglauben, wider einander streiten, oft so bitter und böse streiten über die verschiedene Fassung, in welcher sie die Perle des Glaubens an Jesum Christum haben! Warum Archippus in dem Brief an Philemon mit gegrüßt wird, ob nur darum, weil er eben ein angesehener Lehrer der Gemeinde und als solcher von seelsorgerlichem Einfluss auf Philemon war, oder darum, weil er zugleich Haus- und Tischgenosse Philemons war, das lässt sich mit Sicherheit nicht ausmachen; Manche meinen, er sei Philemons und der Appia Sohn gewesen, eine Meinung, die doch nicht so ganz von der Hand zu weisen ist.

Endlich wird noch in den apostolischen Gruß eingeschlossen die Gemeinde in Philemons Hause. Man fasst diesen Ausdruck viel zu weit, wenn man darunter die ganze kolossische Gemeinde versteht, andrerseits aber auch viel zu eng, wenn man nur an den Vater, die Mutter, den Sohn und die Dienerschaft denkt. Es ist vielmehr derjenige Teil der kolossischen Gemeinde verstanden, der sich in Philemons Hause gottesdienstlich zu versammeln pflegte. Die ersten Christen hatten ja noch keine geräumigen Dome und Kathedralen, sie mussten sich für ihre gemeinsame Andacht mit Privathäusern behelfen; sobald eine Gemeinde anwuchs, so dass sie nicht mehr in Einem Hause Platz hatte, so teilten sich die Andächtigen und kamen an verschiedenen Orten zusammen; von solchen Teilversammlungen ist öfters im neuen Testament die Rede Röm. 16, 5.; Koloss. 4, 15.; 1. Corinth. 16, 19. Die Kirche Jesu Christi ist eben von Anfang an in sehr bescheidener Magdsgestalt auf Erden aufgetreten, zum Zeichen und Zeugnis, dass auch heutzutage Armut und Niedrigkeit keine Schande für die Kirche dessen ist, der selbst auf Erden nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte. Der Gemeinschaft nun, die sich im Hause Philemons versammelte, war der entlaufene Knecht Philemons kein Fremder; sie musste ein Interesse daran haben, was aus ihm geworden, und es musste ihr zum Jubel gereichen, dass er ein Christ geworden. Daher empfängt auch sie hier den Gruß Pauli und wird von ihm dadurch in die Sache des Onesimus gleichsam mit hineingezogen. Versetzen denn auch wir uns im Geiste in die Mitte der kleinen Gemeinde in Philemons Hause, dass auch wir lebendig in die Sache des Onesimus mit hineingezogen, dass auch wir mitbegrüßt werden von dem apostolischen Gruße. Diesen Gruß selbst bringt uns der dritte Vers.

V. 3. Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo.
Es ist das der gewöhnliche apostolische Gruß, wie er uns so oft im neuen Testament begegnet, der dem Nächsten das Höchste, Beste, Köstlichste, was es im Himmel und auf Erden für ihn gibt, anwünscht. Die Gnade ist die Liebe des allerhöchsten Gottes, die sich im eingebornen Sohne in die Tiefen unseres sündlichen Jammers herablässt; der Friede ist der selige Zustand des Herzens und Lebens, der durch gläubige Entgegennahme der göttlichen Liebe in Jesu Christo durch den Heiligen Geist gewirkt wird, das Versöhntsein mit Gott, das kindliche Verhältnis zu ihm. Beides, Gnade und Friede, kommt von Gott dem Vater, weil Gott der Vater also die Welt geliebt hat, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Beides, Gnade und Friede, kommt von dem Herrn Jesu Christo, weil Jesus Christus um unsrer Sünden willen gestorben und zu unserer Gerechtigkeit auferweckt ist. Gnade und Friede waren ja dem Philemon, der Appia, dem Archippus, der ganzen Hausgemeinde nichts Neues, vielmehr war ihnen beides widerfahren; denn es waren ja eben Christen, das heißt aus Gnaden errettete und mit göttlichem Frieden erfüllte Leute. Dennoch weiß Paulus ihnen nichts Anderes und nichts Besseres zu wünschen, als Gnade und Friede, darum nicht,“ denn auf dem so schmalen Pfade uns ja gelingt kein Tritt, es gehe denn die Gnade bis an das Ende mit“; darum nicht, weil, wer die köstliche Krone des Friedens erlangt hat, nun auch halten muss, was er hat, dass ihm Niemand seine Krone nehme. Gnade und Friede, man kann Freunden und Feinden auch dermalen nichts Besseres wünschen; und doch wie selten vernimmt man diesen Gruß heutzutage aus der Christen Munde! Man hat im Großen und Ganzen den apostolischen Gruß aus dem alltäglichen Leben verbannt und ihn in die Kirchenmauern eingeschlossen. Andre Grüße hört man genug im gewöhnlichen Leben, Grüße des Hohnes und Spottes, Grüße der eitlen Gedankenlosigkeit, Grüße der fleischlichen Gutmütigkeit aber den apostolischen Gruß im Alltagsleben auf die Lippen zu nehmen, fürchten sich selbst ernster gesinnte Christen; sie meinen, das Umgangsleben könnte dadurch eine zu schrecklich pietistische Färbung erhalten. Und doch, Paulus, der größte Christ, stellt sein „Gnade und Friede sei mit euch!“ nicht nur an die Spitze seiner großen feierlichen Sendschreiben, die er in den höchsten Angelegenheiten des Reiches Gottes an die Gemeinden Jesu Christi schreibt, sondern er fängt damit auch diesen kleinen Brief an, der so ganz und gar dem Umgangsleben angehört, in welchem eine schlichte Privatsache behandelt wird, in welchem er einen so durch und durch gemütlichen, ja sogar heiteren Ton anschlägt! Wahrlich damit mahnt er uns aufs Stärkste, dass wir uns doch der elenden Furcht entschlagen mögen, als ob geistliche Redeweise mit unserm gewöhnlichen Verkehrsleben sich nicht vertrüge; damit belehrt er uns aufs Beste, dass auch unsre Wünsche und Grüße, die wir mit Freunden und Verwandten brieflich oder mündlich austauschen, allezeit mit göttlichem Salze gewürzt sein sollen. Es ist ja ganz schön, wenn wir unsern Nächsten einen guten Tag und eine gute Gesundheit wünschen, wenn wir's wahrhaftig und aus aufrichtigem Herzen tun; aber Gnade und Friede sind doch noch schöner, als ein guter Tag und eine gute Gesundheit, und warum wollten wir denn unserm Nächsten nicht das Schönste wünschen, was wir für ihn wissen? Wahrlich ein Tag wird erst dann recht gut, wenn die Gnade Gottes ihn durchweht, und dem Menschen wird dann erst wahrhaft wohl, wenn seine Brust erfüllt ist von dem Frieden Jesu Christi. Die Gnade und der Friede von dem Vater und dem Sohne sei mit uns! Amen.

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