Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Erste Predigt. Die aus ihrer Sorglosigkeit aufwachende Seele.

Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Erste Predigt. Die aus ihrer Sorglosigkeit aufwachende Seele.

Text: Luc. XV. 17.
Da schlug er in sich, und sprach: wie viele Taglöhner hat mein Vater, die Brods die Fülle haben, ich aber verderbe im Hunger.

Die Schrift sagt, daß wenige selig werden; und das Leben der Menschen in allen Ständen heißt uns das fürchten. Was mag aber wohl die Ursache davon seyn? Ist es Gott? So geneigt der Sünder ist, den Herrn mit Adam anzuklagen: so leichtfertig handelt er dabei. Sollte Er es seyn? der bei seinem eigenen Leben schwört, er verlange nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe (Ez. 33). Sollte es Gott seyn? der seines lieben Sohnes nicht verschont hat, der sein Leben für uns dahin gegeben? Sollte es Gott seyn? der seine Knechte aussendet, aufzuthun den Menschen ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsterniß zum Licht, und von der Gewalt des Satans zu Gott? Gott, der da anbietet Vergebung der Sünden, und das Erbe sammt denen, die geheiliget werden? Gott, der dieß alles umsonst schenkt, durch den Glauben an ihn? (Act. 26). Nein, Gott ist die Ursache nicht! wie sollte es der seyn, der so viel gearbeitet hat an dem Heil des Sünders, und der noch so viel daran arbeitet? Mein Heiland ist bereit zu helfen, zu erretten, er ist willig, selig zu machen, alle die, so durch Ihn zu Gott kommen. Wer ist denn die Ursache? Ist es der Satan? Ja freilich ist der Satan eine Ursache; dieser leidige Feind ist's, der den Menschen ihre Augen verblendet, daß sie den Weg, die Mittel ihrer Erlösung, nicht sehen (II. Corinth. 2). Er machts, daß sie das für lauter Thorheit halten, was sie doch weise machen könnte. Satanas ist's, der die armen Seelen immer mehr und mehr in ihrem Verderben zu verstricken sucht. Er ists, der das göttliche Wort von ihrem Herzen wegnimmt, auf daß sie nicht glauben und selig werden (Luc. 8). Aber ist's der Satan allein? Nein! die Welt ist seine Gehülfin; die Welt, jene Menschen, die mit Gott noch in Feindschaft stehen, die noch nicht mit ihm ausgesöhnt sind, die noch nicht neue Menschen worden sind. Die gottlose Welt ist ein Hinderniß zur Seligkeit. Sie hat, o Schande! den Teufel zu ihrem Gott (1. Corinth. 4,4); ihn verehrt sie, ihm dient sie, ihm gehorcht sie; was sollte sie anders thun können, als denen Hindernisse in den Weg legen, die gern selig würden? O da verführt eins das andere, durch gottlose Handlungen, durch böse Exempel, durch leichtfertige Reden. Aber ist's die allein? Ach nein! der Mensch ist selbsten die Ursache.

O! wenn eine Seele nur recht entrinnen wollte: alle Stricke und Ketten müßten zerrissen werden; da würde sie kein Hinderniß aufhalten; da würde sie durch alles durchbrechen; du würdest selig werden, trotz dem Widerstand des Satans! trotz dem Widerstand der Welt! du würdest selig werben. So sage denn, lieber Mensch! was ists, das dich abhält? Ist's die Anmuth des breiten Weges? Wohlan, betrachte ihn genauer. Es ist freilich ein Weg, der Fleisch und Blut gefällt; ein Weg, der beiden angenehm ist. Aber Seele! es ist ein Weg, der zwar mit Rosen bestreut ist, aber mit Rosen, worunter Schlangen und Ottern sind. Ein Weg, zu dessen beiden Seiten zwar schattige Gebüsche sind; aber der Satan lauert in denselbigen, als ein grimmiger Löwe. Ist es auch gleich ein ebener Weg, so ist's doch ein Weg der sich in einer entsetzlichen Gruft, in dem bodenlosen Abgrund des höllischen Pfuhls endigt. Ach, liebe Seelen! der breite Weg ist so vorteilhaft nicht, daß er euch an sich fesseln, daß er euch von euerer Seligkeit abhalten sollte.

Aber die Rauheit des schmalen Pfades? schreckt euch die? Es ist wahr, er ist nicht ein Weg, wo man mit seinen fleischlichen Wollüsten fortkommen kann, er ist zu eng für Bösewichte; aber doch ein seliger Weg; ein Weg, worauf man manche Erquickung des Himmels schmeckt; ein Weg, wo mir Gott als meine Leuchte, als meine Sonne und Schild vorangeht; ein Weg, wo mich der Fels des Heils aufrichtet, wenn ich falle, wo mich der Gott alles Trostes tröstet, wenn ich verzagt bin, wo der Allmächtige meine müde Kniee stärket; ein Weg, den die Edelsten auf Erden wandeln, wo ich die Wunder der Gnade sehe; ein Weg endlich, der immer anmuthiger wird, je mehr man darauf wandelt, der zu den Freuden des Paradieses führt. Wie? meine Freunde, ist das ein so schlechter Weg? Kann der die Ursache seyn, warum die Menschen nicht selig werden? Nein, nein! weder die gerühmte Herrlichkeit des Höllenweges, noch die Beschwerlichkeit des engen Pfades, sollte vermögend seyn, die Sünder abzuhalten, ihrem Gott zu folgen. Aber das ist's, der Mensch lebt in der Sicherheit gleichgültig gegen die Güter der Gnade; unempfindlich gegen die Schrecken der Gerechtigkeit geht er dahin, und fragt nicht, was hernach kommen werde. Das ist die wahre Ursache, warum so viele Menschen verloren gehen! Die Sorglosigkeit, unter der die Menschen leben, die Sorglosigkeit in Dingen des Heils, die Sorglosigkeit wegen des Unsichtbaren, die Sorglosigkeit wegen des Zukünftigen.

O! daß euch diese möchte benommen werden; wie viele würden dann nicht zur Herrlichkeit eingehen, die jetzt noch zur Hölle eilen! Wir wollen heute darauf hinarbeiten; möchte uns doch der Herr diese seligen Früchte sehen lassen!

Vom verlornen Sohne sagt Jesus in unserm Texte: Da schlug er in sich und sprach: wie viele Taglöhner hat mein Vater, die Brods die Fülle haben, ich aber verderbe im Hunger.„

Daraus wollen wir betrachten: Die aus ihrer Sorglosigkeit aufwachende Seele,

  1. Sie schlägt in sich.
  2. Sie wird von ihrem Elende überzeugt.
  3. Sie stellt sich den Reichthum ihres Gottes vor.

I.

Da schlug er in sich; oder eigentlich, er kam wieder zu sich selbsten. Wie? so ist denn ein unbekehrter Mensch nicht bei Sinnen? Ja, mein Freund! wer in seinem natürlichen Zustande dahin lebt, der hat keinen Geist. Er mag so viel Einsichten in Dingen dieser Welt haben, als er will, er ist ein Thor; und wenn er Länder regieren, wenn er Himmel und Erde mit seiner Vernunft ausmessen könnte, ein Thor! der größte Thor von der Welt. Der Wahnwitzige, der in einem hitzigen Fieber liegt, Rasende, sind weise, gegen ein unbußfertiges Herz. Oder sagt, ihr Menschen! Jahr aus, Jahr ein für zeitliche, hinfällige Dinge sorgen und seine unsterbliche Seele vergessen, ist das Klugheit? Nur dahin sehen, daß man hier zu essen habe, und darauf nicht sehen, daß man ja nicht ewig darben müsse! heißt das Klugheit? Den schönen Himmel mit allen Schätzen desselben verlassen und verachten, und die Hölle, den Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt, diesen Abgrund von Unglückseligkeiten erwählen, heißt das klug seyn? Nein! das ist der größte Unsinn von der Welt, der sich nur denken läßt; und, ach wie viele unter euch machen sich desselben schuldig?

O daß es doch, indem ich dieses sage, vielen so werden möchte, wie dem verlornen Sohne! daß es von vielen heißen möchte: sie schlugen in sich. Drei Dinge gehen: da in einer Seele vor.

Man wird bekümmert um sein Heil. Man erlangt neue Begriffe von unsichtbaren Dingen. Man erforschet sein Leben und Wandel. Nichts liegt dem Weltmenschen weniger am Herzen, als seine Seligkeit. Unter tausend unnöthigen heidnischen Fragen: was werden, wir essen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? wird sich kaum einmal der Seufzer mengen: Wie werden wir selig werden? Aber, sobald der Sünder in sich schlägt, wird das zu seiner Hauptsache. Dieses geht allen seinen Geschäften vor, dieses mischet sich in alle, begleitet alle.

Nun verläßt man die Spötterbänke (Ps. 1). Das, was unserer Vernunft lächerlich war, wird uns nun ein Gegenstand der Bewunderung. Man sammelt seine Gedanken von den Eitelkeiten, in die sie bisher zerstreut waren. Man richtet sie auf seinen Seelenzustand. Man folget dem, Rath Jesu, und trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes. Und ob man gleich in seinem Beruf alle Treue beweiset, so vergißt man doch, was dahinten ist, und streckt sich nach dem was davornen ist. Man weiß von keinem andern Nachjagen, als nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, so uns die himmlische Berufung vorhält. Die Seele bekommt zweitens andere Einsichten.

Sehet den verlornen Sohn an. Ehedem dachte er, wenn ich nur weit von meinem Vater sein kann, dann kann es mir nicht mehr fehlen. Aber nun, da er in sich schlug, denkt er weit anders. Er sagt: ich verderbe.

Mein Gott! welche elende Begriffe machen sich die Menschen von Gott und von den Wahrheiten der Religion. Wie weiß nicht der Sünder die heiligsten Lehren so lang zu verfälschen, bis sie seinen unheiligen Begierden schmeicheln. Schlägt der Sünder in sich, so verliert sich diese Denkungsart. Er läßt die Schrift reden, und sie redet, und wenn sie sich auch ganz wider ihn erklärte. Fand er zuvor in der Liebe Gottes eine Entschuldigung für sein verkehrtes Herz; meinte er, sie schmeichle seinen Bosheiten, sie erlaube, sie mache es möglich, daß er in Sünden leben, in Sünden sterben, und doch selig werden könne; jetzt weiß er nichts, das ihn so kräftig zur Buße ruft, als eben die Liebe Gottes; nichts, das ihn so stark von den Sünden zu Gott zieht, als seine Liebe; nichts, das seine Verdammniß so gerecht, so gewiß macht, wenn er sich nicht bekehren würde, als eben die Liebe Gottes. Zitterte er sonst mehr vor dem Zorn eines Menschen, als vor den Drohungen der unendlichen Gerechtigkeit; nun lernt er erkennen, daß Gott ein Gott sey, der zu fürchten ist; ein Gott, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle; ein Gott, der das Uebel nicht ansehen kann. Jetzt ist ihm die göttliche Gerechtigkeit wie ein Donner, wovon die ganze Natur bebet, ein feuriger Odem, der die Gottlosen wie Stroh verzehret, ein zweischneidiges Schwert, das ob seinem Haupte hängt. Was denkt der Weltmensch vom Himmel? Er sei nicht so viel werth, als eine vergängliche Freude, weniger werth, als eine Handvoll Erde. Und der Sünder? der in sich schlägt-, wie denkt der? Aller Welt Freude sei nur Traurigkeit gegen das Frohlocken der Heiligen; aller Welt Reichthum und Schätze sei Armuth gegen die Güter des ewigen Lebens!

Wer in sich geht, erforschet drittens sein voriges Leben und Wandel. Und ach! was öffnet sich da vor seinen Augen! Ein Abgrund! der ihn schreckt. Und wiederum ein Abgrund! der ihn in Erstaunen setzt. Der Abgrund seiner Sünden, und im Gegentheil der Abgrund der göttlichen Langmuth. Jetzt denkt er an seine Jugend. Er sieht mit Erstaunen, wie ihn Gottes Treue von da an geleitet, und wird mit Beschämung gewahr, wie er Ihm. nichts als lauter Untreue bewiesen. Man sieht die Wunder der göttlichen Vorsehung über sich, und beklagt es, daß man den nicht gekannt, in dem wir leben, weben und sind. Auf einer Seite leuchten der Seele wunderbare Errettungen, gnadenvolle Führungen ihres Gottes in die Augen; auf der andern, erblickt sie Unempfindlichkeit gegen alles Gute und nichts als schnöden Undank, anstatt Liebe und Erkenntlichkeit. Sollte hierinnen eine aufgeweckte Seele selber reden, sie würde mit Seufzen sagen: Mein Gott schenkte mir wieder sein geoffenbartes Wort. Er entriß es viel Tausenden und aber Tausenden, und gab es mir in die Hände. Und durch seine Knechte legte er mir es in die Ohren. Aber ach, ich Schändliche, wie wenig habe ich es betrachtet? wie oft verachtet? Mein Gott ließ mich oft seine Ermahnungsstimme, oft seine Warnungen hören; aber ich folgte nicht und achtete ihrer nicht. Ich fühlte sein Anklopfen wohl. Er hat sich nicht unbezeugt an mir gelassen, aber ich gab nichts darauf. War Er es nicht, der in meinem Innersten rief: so wirst du nicht selig? Aber ach! ich schlug es leichtsinnig in den Wind, ich vergaß es unter dem Geräusche der Welt. Alles habe ich verachtet! nach meinen Lüsten habe ich gelebt! nach dem Laufe dieser Welt! fern von Gott! fern von seiner seligen Gemeinschaft! Ach, wehe mir! ich vergehe. Kin Wunder! wenn hier die Seelen verlegen werden, wenn sie nicht wissen, wo aus noch an; wenn sie entweder mit dem Zöllner in tiefster Traurigkeit versenkt staunen, nur halb gebrochene Worte vor dem Herrn reden, oder mit Magdalena und Petro anfangen bitterlich zu weinen. Ja, meine Freunde! bei solchen göttlich gerührten Herzen ist es eine ausgemachte Sache; sie glauben es, ohne einigen Zweifel, daß sie so gewiß werden verloren gehen, wenn sie auf ihren alten Wegen wandeln, als Satan verdammt worden.

II.

Wer die Natur, die Beschaffenheit des wahren Christenthums noch nicht kennt; wer noch nie sein Herz durchsucht und erforschet hat; wer nach dem Lauf dieser gegenwärtigen Welt lebt, dem Satan, der Welt, seinen Lüsten die Herrschaft über sich läßt, der macht sich wohl auch manchen Trost aus dem Evangelio: Er meint in Gottes Barmherzigkeit und Christi Verdienst gesichert zu sein, ob er gleich weder wiedergeboren ist, noch wiedergeboren werden will; ob er gleich Christi Geist weder hat, noch haben will; ob er gleich weder geheiliget ist, noch geheiliget werden will.

Nicht so die treue Seele, von der wir reden. Sie sättiget sich nicht mehr mit Einbildungen, sie nähret sich nicht mehr mit Träumen, sie will ihres Glaubens und ihres Trostes Grund haben. Sie forschet in Gottes Testament nach, ob den Kindern der Finsterniß auch etwas vermacht sey? ob die, so vom breiten Weg, Zeit ihres Lebens, nie umkehren, ob sie auch was zu hoffen haben? Und siehe! ihr Name ist nicht geschrieben im Buche des Lebens. Es wird ihrer gedacht; aber nur mit solchen Worten: der Zorn Gottes bleibt über ihnen! Gottes Zorn vom Himmel wird über sie geoffenbaret werden. Sie sind die, denen Paulus zuruft: denn so wir freiwillig sündigen, nach dem wir die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben; so ist nun kein Opfer mehr für die Sünder übrig gelassen. Das glaubt der erweckte Sünder, und zittert für sein Heil. Bleib ich der, der ich bis jetzt gewesen, so geh' ich verloren. Und wenn ihm Freunde und Verwandte einreden, wenn ihn Alte und Junge, Geistliche, Weltliche, Engel und Menschen trösten würden, er hört nur Gottes Stimme. Er bleibt darauf: Ich ging verloren! verloren, bei aller Glückseligkeit der Welt! Ach! ein erleuchteter Geist fühlt es bald, daß ihn nichts Endliches befriedigen könne. Was die Welt Freude, Wohlleben, gute Tage, nennt er Trabern. Was der Welt Sättigung und Erquickung ist, das ist ihm Hunger und Mangel. Er verdirbt mitten im Ueberfluß, wie ein Hungriger bei einer mit Gold bedeckten Tafel. Stellt man sich eine Gefahr als weit, als entfernt vor; so wird man nie eilen, derselben zu entrinnen. Man schmeichelt sich entweder mit der Hoffnung, daß sie außen bleiben werde; oder man bildet sich ein, die Zeit werde einem etwa Mittel und Wege entdecken, derselben zu entrinnen. Dann schlummert der Sünder, sogar an der Pforte der Hölle, ganz sicher und ruhig, aber nur der harte, nicht der gerührte Sünder. Der umkehrende Sohn spricht: ich verderbe!

Die Drohungen des gerechten Gottes blitzen und donnern in seine Seele. Er hört die Flüche über die Sünder, und sein Herz wird gedrungen, sie sich selbsten zuzueignen. Der Grimm des Allerhöchsten drücket ihn. Die Schrecken Gottes umgeben ihn, wie Wasser. Will er fliehen? sie umringen ihn allenthalben. Kein Weg bleibt ihm mehr offen! Schon oft hörte er von der Gefahr reden, in der er steckt; aber er hört es mit Gelächter, wie die zu Sodoma. Nun sieht er, wie sein Leben nahe zu der Grube komme, wie er unter den Todten liege, unter denen, die von Gott abgesondert sind. Da steht die Hölle vor seinen Augen, und sperret ihren Rachen auf, ihn zu verschlingen. Ihn umfangen schon die Bäche Belials. Jeden Augenblick sieht er sich in Gefahr, ein Raub des leidigen Satans zu werden. Das Schwerdt des Herrn, so sich an seinen Feinden rächet, das von ihrem Blute voll und trunken werden soll, ist schon über ihn aufgehoben; es schwebet furchtbar ob seinem Haupt. Der Bogen der erzürnten Majestät ist gespannt, der Erschreckliche zielet auf ihn mit tödtlichen Pfeilen. - Der gerechte Richter hat sich auf den Thron gesetzt. Er ist vor seinen Richterstuhl citirt, er ist vom Allwissenden verklagt, von der ganzen Natur, vom Gras an bis zu Sonne und Mond und allen Sternen verklagt, weil er sie nur gemißbraucht. Von den Engeln verklagt, und schon verdammt. Leugnen kann er nicht, rechtfertigen kann er sich nicht. Er ist in seinen Augen verloren. Er mag außer seinem Mittler denken an was er will; alles redet ihm die Sprache des verlornen Sohns: ich verderbe! Tod! Gericht! Ewigkeit! alles schlägt ihn darnieder, und heißt ihn sagen: ich verderbe. Hier müßte er verschmachten, unmöglich könnte der arme Sünder diesen Anblick ertragen, so schreckhafte Vorstellungen aushalten!

III.

Allein es geht ihm in seiner Nacht der Morgenstern auf, er erblickt seine Hülfe von ferne. Gottes Größe, und die Glückseligkeit seiner Heiligen stoßen ihm Muth ein. Wie viel Taglöhner hat mein Vater, die Brods die Fülle haben? Gott ist reich, Er hat Vermögen genug dem elendesten, dem ärmsten Sünder aus seiner Noth heraus zu helfen. Sein sind beide Himmel und Erden, das Gegenwärtige und das Zukünftige, Leben und Tod, das Sichtbare und Unsichtbare. Er ist vor allem, in allem, und über alles. Wenn er gebeut, so geschieht's, wenn er befiehlt, so steht's da. Er ist reich. Unzählige Geschöpfe sitzen an seinem Tisch, und werden gesättiget. Alles, vom Engel an bis zum Wurm, alles lebt von seinem Reichthum, und er wird doch nie arm. Aber was das Herz des Sünders aufrichtet, ist vornemlich das: Er ist reich von Gnade, reich von Erbarmung. Er hat Brods genug für gnadenhungrige Seelen, ganze Ströme lebendigen Wassers für schmachtende Herzen, Bluts genug zur Reinigung befleckter Gewissen, Kleider genug für bloße Sünder.

Mein Mangel, spricht hier die Seele zu sich selbst, ist zwar groß, mein Elend entsetzlich, meine Schuld unendlich. Doch nur so lange unendlich, so lange ich bei dem Vermögen der Menschen still stehe. Ich will sie nicht verkleinern, sie ist groß. Aber wenn sie auch bis zu den Sternen steigt; wenn ich sie so wenig überrechnen kann, als den Sand des Meeres; dennoch ist ja mein Heiland weit größer, dennoch kann sie, meine entsetzliche Schuld, von seiner Barmherzigkeit eben so gut versenkt, getilget werden, als ein Licht von einem Platzregen ausgelöscht, und ein Stäublein von einem Strome fortgeschwemmt wird. Blickt der Vater mich in Gnaden, nur in seinem Geliebten an; dann ist mir geholfen. Aber das ist es eben, wobei die Seele zweifelhaft ist. Glaubt sie schon, daß ihr Gott helfen könne, so weiß sie dennoch nicht, daß Er es wirklich thun werde. Sie schwebt zwischen Furcht und Hoffnung. Bei allem Reichthum Gottes würde sie verzagen, wenn sie nicht die Exempel anderer Begnadigten aufrichten würden. Wie viel Taglöhner hat mein Vater, die Brods die Fülle haben? Die Menge der Heiligen, die der Herzog der Seligkeit vollkommen gemacht, die große Anzahl armer Sünder, die so gnädig aufgenommen, und so herrlich bewirthet worden, sprechen der aufgeweckten Seele Trost zu. Alle Einwendungen von Fleisch und Blut, alle Zweifel, die der Satan macht, sind beantwortet; wenn man nur an jene Taglöhner denkt.

Dich sollte Gott nicht annehmen, wenn du schon wieder, um zu ihm umkehrest? Warum nahm Er denn jene an? Dich sollte Er nicht hören? Warum erhörte Er denn jene? Deiner sollte Er sich nicht erbarmen? Warum hat Er sich denn der andern erbarmet? Sie waren elend wie du, Missethäter wie du, Gottlose wie du, so tief in Sünden wie du. Nun haben sie Brods die Fülle. O Gedanke, der die Seele einnimmt! Der Sorglose hat kleine Begriffe von dem Zustand eines Christen. In seinen Augen hat er wenig Reizendes, wenig Einnehmendes; aber bei der aufgeweckten Seele heißt es der glückseligste Zustand, den man wünschen will, sie haben Brods die Fülle.

Wer ist seliger, als ein Christ? Er steht nicht mehr unter der tyrannischen Herrschaft seiner Lüste (Röm. 8,1). Ist er schwach, Jehova ist seine Stärke. Ist er arm, Christus ist sein Reichthum. Ist er unrein, Jesus ist seine Reinigkeit. Die Welt mag ihn verachten; er bleibt doch geehrt. Er kommt vor die Pforte des Todes, deren bloßes Andenken den Unwiedergebornen Schrecken und Schauer verursacht; und er triumphirt, er hält seinen Feind verächtlich. Er spottet seiner: Tod! wo ist dein Stachel? Hölle! wo ist dein Sieg? Das Donnerwort der Ewigkeit, ist für ihn ein Freudenwort geworden, der Schrecken des Gerichts, vor dem die Helden zittern, und Monarchen beben werden, ist verwandelt in selige Hoffnung, und Erscheinung der Herrlichkeit unsers großen Gottes; in einen Tag der Hochzeit, wo sie ihr himmlischer Bräutigam öffentlich heimholen, und seiner Liebe versichern wird.

Nach der Ueberzeugung einer erweckten Seele, speiset sich die ganze Welt nur mit Träumen und Eitelkeit. Der Christ allein hat Brods die Fülle. Und kann man noch daran zweifeln, daß es Gläubige gut haben, wenn man einen David rühmen hört: Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grünen Auen. Er erquickt meine Seele (Ps. 23). Wo ist etwas in der ganzen Welt, bei dessen Besitz man so zufrieden seyn könnte, als die Gläubigen sind?

Reiche! Mächtige! Gewaltige! Auch ihr habt nichts, von dem ihr so rühmen könntet, wie ein Asaph von seinem Gott rühmt: wenn ich nur dich habe, dann frage ich nichts nach Himmel und Erden (Ps. 73).

Kann man noch zweifeln an der Glückseligkeit der Knechte Gottes? wenn man den großen Jehova in den Worten reden hört: Meine Knechte sollen essen, meine Knechte sollen trinken, meine Knechte sollen fröhlich seyn, und vor gutem Muth jauchzen (Es. 65,13.14). Kann man noch daran zweifeln, daß es Schaafe Jesu gut haben? da ihr göttlicher Heiland versichert, sie sollen eingehen, und ausgehen, und Weide finden (Joh. 10, 9); da sie von ihm rühmen können: seine Linke liegt unter meinem Haupt und mit seiner Rechten herzet er mich. Es bleibt wohl ewig dabei: sie haben Brods die Fülle.

Wie sieht's nun mit euch aus? Geliebte! wie steht's mit euren Herzen? Seid ihr bei Gott in Christo? oder seid ihr von ihm getrennt? Bist du ein gefundenes oder noch verlornes Kind, noch in der Irre, in der Entfernung von deinem guten Heilande?

Braucht es auch noch viel Untersuchung zu zeigen, daß der größte Haufe Gottes Gnadengemeinschaft ermangle? O wie viele sind nicht, die das Erbtheil, so ihnen vom himmlischen Vater zugefallen, in der Fremde verprassen? die ihre Leibes- und Seelenkräfte im Reiche des Teufels, verzehren? Womit beschäftiget sich dein Verstands Studirest du im Gesetz des Herrn? Gelüstets dich, einzusehen die Geheimnisse der ewigen Liebe? Ach ja! auf List und Ränke denkt mancher; wie er seinem Nächsten Schaden thun, wie er ihn hintergehen und betrügen möge? nur auf Mittel und Wege denkt man, reich zu werden, vor der Welt was Großes zu werden. Wo ist dein Herz und Wille? hängt es an Gott? Ist Er dein Gegenstand? Nein, nein! auf Ihn gehen gewiß der Meisten Begierden nicht. Man hängt sich an Dinge, die das Herz verwunden, das Gewissen bestecken, die Seele tödten. So lieht der Mensch von Natur aus. Und seid ihr nun in euch gegangen? Seid ihr aus euerm Traum erwacht? Ist der Trunkenbold erschrocken über seine Völlerei? Zittert der Lügner über seinem Freveln? Ist die sichern Sünder ein Schrecken angekommen? O wie klein mag wohl die Anzahl derer sein, die in sich schlagen! man spricht unverholen, wie es in einem Lied heißt: Nein! wir wollen bleiben wie wir sein.

Man träumet: man sei eben recht daran, wenn man auf Christum hin sündige; wenn man fluche, schwöre, Gottes Wort verachte, den Sabbath schände, diejenigen, so nicht nach der Welt leben wollen, verfolge, und ich weiß nicht was für Gräuel mehr im Verborgenen und öffentlich ausübe; und dabei mit frechem Mund und ungebrochenem Herzen sage: Christi Blut reiniget uns von allen Sünden, wir werden ohne Verdienst gerecht. O Gott! so muß der heilige Name dein, wohl ihrer Bosheit Deckel seyn!

O! der arme, blinde, verführte Mensch! statt zu sagen: ich verderbe auf diesen Sündenwegen, spricht er wohl gar, wo wollte man sonst Vergnügen haben, wenn man es nicht so machen dürfte? Er ist noch glücklich in seinen Augen. Der Zustand wahrer Kinder Gottes heißt bei ihm Schwermuth, und sein Jammer, so verfinstert ist er, Lust und Vergnügen. Statt zu sagen: wehe mir! preiset er sich und die Verächter glückselig. Er vernichtet alles neben ihm, redet übel davon und lästert hoch her, und spricht: was sollte Gott nach jenen fragen? was sollte der Höchste ihrer achten? Er weidet sich als auf einen Schlachttag. Da ist lauter Wohlleben. Ach! ihr mögt es glauben oder nicht, ihr verderbet so. Was die Albernen gelüstet, das tödtet sie. Fleischlich gesinnet sein ist der Tod. Wo ihr also leben werdet, so werdet ihr sterben. Ihr verderbet in euern Sünden.

O! euer armer unsterblicher Geist kommt so zu keiner Erquickung, zu keiner Ruhe, zu keinem wahren Frieden. Ihr trinket, und werdet nimmer satt. Ihr gewinnet und behaltet doch nichts. Ihr verderbet! denn Jesus Christus unser wahres Himmelsbrod, unsere einzige Nahrung und Sättigung kommt euch so je mehr und mehr aus den Augen. Ihr kommt je länger je weiter von ihm fort. Ihr verderbet! Ach, wer kann leben? wer kann vor dem Tode unbeschädigt bleiben? wo er nicht in der Gemeinschaft dessen steht, der die Auferstehung und das Leben ist. Ihr verderbet! Ach! ihr werdet es wohl einmal sehen, daß man in seinen Sünden nicht selig sterben könne. Ewig unglückselige Sünder! die ihr es darauf ankommen laßt, nicht eher in euch schlagt, als bis ihr vor dem erschrecklichen Gericht steht. O dann wird der arme Geist das Verderben sehen, und ihm nicht mehr entfliehen können, und zwar ein Verderben von dem Angesicht Gottes und seiner herrlichen Macht. Dann wird's aus vieler Mund und Herzen heißen: Ich ver. derbe! Herr hilf mir; aber vergebens. Da wird das Bitten keinen Platz mehr haben, und selbst der Entschluß: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, verworfen werden. Dann wird sie das Verderben überfallen, wie ein gewaffneter Mann, und wird kein Retten mehr da seyn.

O daß doch der sorglose Sünder noch jetzt in sich gehen möchte! O daß ihm die Augen aufgethan würden! möchte er doch bedenken, was zu seinem Frieden dienet! Du sagst zwar, o Sünder: Friede! Friede! Es hat keine Gefahr. Aber, bist du von deinen Sündenwegen umgekehrt? hast du mit Gott Frieden gemacht? Wann war's, daß dein Herz nach Jesu sich sehnte? wann war's, daß du von der Finsterniß an's Licht tratest? wann, ist dir der liebe Heiland in seiner Kreuzesgestalt vor dein Herz gemalt worden? wann ergriffest du seine Gerechtigkeit? wann sahest du dich in ihm versöhnt, gerecht gesprochen, begnadiget?

Ist nichts dergleichen in deiner Seele vorgegangen, so hast du weder von Buße noch Glauben etwas erfahren. Du bist auf dem breiten Weg und rennest, du seiest nun gleich tugendhaft nach deiner Meinung, oder lasterhaft, dem ewigen Verderben spornstreichs entgegen. Oder meinst du denn, daß es möglich sei, außer der von Gott vorgeschriebenen Ordnung, selig zu werden? Soll deinetwegen das Wort aufgehoben werden, das der Mund der Wahrheit geredet, und mit seinen Eiden versiegelt hatte? Ach, daß dir der heilige Geist die Wege des Verderbens aufdecken möchte, darauf du bis jetzt gewandelt! O daß dir dieses durch dein Herz gehen, und dein Innerstes verwunden möchte! Daß du doch mit Zittern und Beben auf dein Angesicht fallen und fragen möchtest: Was soll ich denn thun, um selig zu werden?

Sind welche unter euch, die nicht mehr so sorglos sind, als sie etwan ehedem waren; sehet ihr ein, wie die Wege der Laster, Wege der Hölle sind; findet ihr in euern eigenen Werken, bei euerm vermeinten Frommsein, weder Rast noch Ruhe: O Seelen! so säumet nun nicht länger, etwas Besseres zu suchen. Richtet eure Augen unverwandt auf den Gnadenstuhl! Schreiet! winselt und ächzet nach der Gerechtigkeit eures Jesu! O! bei ihm findet ihr das, was ihr sonst vergebens suchet. Die Schätze, die ihr bedürfet, sind in ihm verschlossen, oder vielmehr aufgedeckt. Laßt Juden und Türken ihr Leben in etwas Anderm vergeblich suchen; euch wird es in Jesu angeboten und geschenkt.

O wenn du ihn ergreifen möchtest! wenn du seiner theilhaftig werden möchtest! wie bald würde nicht dein Seufzen in Loben verwandelt werden; wie bald würde sich nicht deine Sprache ändern? Ja! statt mehr zu sagen: Ich verderbe! würde es alsdann heißen: Ich habe Brods die Fülle, Seligkeit die Fülle. Ich lebe, denn ich bin mit Gott versöhnt durch das Blut seines Sohnes. Ich lebe! denn ich bin in die Ordnung getreten, die mir der himmlische Vater vorgeschrieben, um selig zu werden. Ich glaube seinem Zeugnisse, so er von seinem Sohne gezeuget hat (i. Joh. 5, 9.12). Ich lebe, denn ich habe den, der da ist die Auferstehung und das Leben. Ich werde nicht verderben, obgleich sich die Pforten der Hölle wider mich aufmachen, denn hier ist Emanuel! Ich lebe! zwar hier noch im Verborgenen, noch unter mancherlei Schwachheit und Unvollkommenheit; wann aber Christus, mein Leben, wird geoffenbaret werden, alsdann werde auch ich mit ihm geoffenbaret werden in seiner Herrlichkeit.

Ja! sagt etwan eine Seele, wenn man Christum Jesum anziehen kann, wenn man an ihn glauben, sich an ihn halten kann, dann verwandelt sich die Traurigkeit in Freude, das Hungern in ein Essen und Trinken. Aber daran fehlt es mir. Ich sehe nichts als Verderben an mir. Je mehr ich mein Herz untersuche, je elender kömmt es mir vor. Es brauset hie eine Tiefe, da eine Tiefe. Will ich meine Hände nach Christo ausstrecken, so sinken sie bald wieder dahin. Meine Sehnsucht nach ihm ist zu klein, mein Glauben zu schwach. Ich fühle wohl oft nichts als Unglauben. Was kann ich anders sagen, als: Ich verderbe!

Genug! wo du das nur deinem Gott klagst. Sage es nur nicht blos bei dir selbst. Sage es deinem Erlöser. Er verlangt nicht, daß du rühmest: ich bin reich und habe gar satt. Er will daß du bekennest: ich bin elend, jämmerlich, arm, blind und blos. Er fordert nicht, daß du gesund seiest, sondern daß du dich gesund machen lassest. Lege dich nur als, eine Aussätzige vor ihm hin. Er will dich heilen. Komm als ein Kranker. Er macht dich gesund. Erschein als ein Todter; es wird eine Kraft von Ihm ausgehen, und dich lebendig machen.

O selige Veränderung, die ihr auf diese Art erfahret. Ihr werdet das Brod des Lebens essen und nicht mehr hungern. Da weicht euer Zagen und Klagen, da der trocknen eure Thränen; da müsset ihr im Guten zunehmen und fett werden. Begnadigte! nie, nie müsset ihr wieder nach Sodom umsehen. Wer vertauscht Gold. mit Asche? wer gibt Perlen um Koth? welcher König verwechselt seinen Purpur mit dem Bettlermantel? und ihr solltet das Brod der Kinder Gottes um den Hunger der Welt, das Leben, so ihr in Jesu genießt, um das Verderben der Gottlosen dahin geben? Nein, nein! ich bin dessen in guter Zuversicht, daß, der in euch das gute Werk angefangen, der werde es auch vollenden, bis auf den Tag Jesu Christi, welchem sei Ehre sammt dem Vater und heiligen Geist, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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