Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Zweiundzwanzigste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Zweiundzwanzigste Predigt.

Sing', bet und geh' auf Gottes Wegen;
Verrichte treu, was er gebeut;
Und so erwarte seinen Segen
In kindlicher Zufriedenheit;
Denn wer zu seiner Zuversicht
Ihn wählet, den verlässt er nicht.

Kurz nachdem der Apostel Paulus zu den Philippern gesagt hat: Freut euch in dem Herrn, lässt er die Ermahnung folgen: Sorgt nichts (Phil. 4). Welchen größern Feind hätte auch die Freude, als eben die Sorge? Es gibt freilich eine Sorge, die der Freude nicht schadet, sondern nützt, sie nicht mindert, sondern mehrt, das ist die Sorge des treuen Haushalters, der durch Arbeit sich und den Seinigen das tägliche Brot erwirbt, wie auch die Schrift fordert (1 Thess. 4,11): Arbeitet mit euren Händen; das ist ferner die Sorge der Liebe, die nicht das Ihre sucht, sondern Zeit, Kraft, Gut und wohl gar Blut für den Bruder opfert, wie Paulus von dem Timotheus rühmt (Phil. 2,20): Ich habe keinen, der so herzlich für euch sorgt. Paulus selbst war ein Muster in dieser zwiefachen Sorge, denn Tags predigte er das Evangelium, und Abende, wenn er konnte, erwarb er sich seinen Zehrpfennig als Zeltfabrikant, und in der Sorge der Liebe tat er mehr als alle Übrigen. - Wenn er nun spricht: Sorgt Nichts, so ist eine andere Sorge gemeint, nämlich die Sorge, die uns um die Freude in dem Herrn bringt und uns in eine Traurigkeit hineinzieht, die das Angesicht bleich und düster macht, wo sie nicht gar zum Tod führt; die Sorge, welche vergisst, dass „der Herr nahe ist,“ und statt Hilfe bei ihm zu suchen, Menschenhand und Menschen-Verstand zur Vorsehung macht; die Sorge, die der vielen Wohltaten Gottes vergisst, über ihn klagt, als hätte er sich verwandelt in einen Grausamen, und uns hindert, in kindlichem Vertrauen „unsere Bitte vor ihnen kund werden zu lassen;“ die Sorge endlich, die den Frieden darin sucht, dass die äußerliche Not weiche, nichts aber von dem Frieden Gottes weiß, welcher höher ist denn alle Vernunft. - Davor werden wir gewarnt, wenn es heißt: Sorgt nichts. Die Worte des Apostels lauten so:

Phil. 4, V. 6 bis 7:
Sorgt nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott laut werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.

Die äußere Lage der Philipper war von der Art, dass der Apostel sich wohl veranlasst sehen konnte, sie vor der Sorge zu warnen. Schwerlich waren viele Reiche unter ihnen, sondern bei Weitem die meisten von ihnen waren, um leben zu können, auf Gott und auf ihre Hand angewiesen, wie denn überhaupt die Christen der ersten Zeit fast lauter Arme waren - „den Armen wird das Evangelium gepredigt“ (Matth. 11). Dazu kam nun noch die Drangsal, die sie von der Welt erlitten, dass sie nämlich beständigen Anfeindungen und Verfolgungen unterworfen und daher fast nie ihres Lebens sicher waren. Darum nun ermahnt sie der Apostel: „Macht euch über Nichts Sorge,“ weder über euer Brot, wie ihr das finden, noch über eure sonstige Not, wie ihr der ausweichen sollt; und zugleich weist er ihnen die Wege, die sie gehen sollen, um vor der Sorge bewahrt zu bleiben. Es sind besonders zwei Waffen wider die Sorge, die er uns ergreifen lehrt: die erste ist das Gebet, die zweite ist der Friede. Nun, Christen, lasst denn auch uns mit diesen evangelischen Waffen wider die ängstliche Sorge kämpfen, und du, treuer Gott, lehre uns beten, und gib und bewahre uns deinen Frieden, damit unser Herz fröhlich und getrost sei in aller Not.

1.

„Macht euch über Nichts Sorge.“ Ist es auch mit uns nicht so, wie mit den Philippern, die um ihres Glaubens willen Verfolgung und Drangsal litten, so ist doch auch in unserer Mitte mancherlei Not, die zum Teil schwer zu überwinden ist. Wer ist der Glückliche, der von keiner Last wüsste, die er zu tragen, und von keiner Träne, die er zu weinen hätte? Viel hat der Mensch vom Menschen zu leiden, denn vielfach steht es so, dass, wie man sagt, ein Mensch des andern Teufel ist und dass sogar die, welche uns am nächsten sind, uns das größte Weh bereiten; denkt nur an das Wort „der Ehestand ein Wehestand;“ denkt an die Sorge vieler Eltern um ihre Kinder, für die es an Kleidern und Brot fehlt, wozu noch manches Sohnes, mancher Tochter Sünde kommt, die wie ein scharfes Messer in das Herz der Eltern schneidet; denkt an den Neid, an die Habsucht, an den Zorn, an die Rachsucht und wie die Sünden alle heißen mögen, womit der Eine Ach und Weh über den Andern bringt. Manche Trübsal fällt sogar wie Schnee und Hagel vom Himmel, denn Gott lässt sie, auch ohne eines Menschen Zutun, über uns kommen, weil wir Kinder des Verderbens wären, wenn Gott unser Leben wollte ein beständig heiteres Wetter sein lassen. Aber wie viel Trübsal auch von oben und von der Seite kommen möge, zu leugnen ist nicht, dass der Mensch sich selbst die meiste und größte Trübsal macht. Denn die Sünde, die uns anklebt, solange wir leben, macht aus unserm Herzen nur zu oft einen Amboss, worauf sie Trübsale für uns schmiedet. Wollt ihr über eure Trübsal weinen, so weint über euch selbst, denn eure Last wäre viel leichter, wenn ihr reines Herzens wäret. Besonders schwer aber wird die Trübsal, wenn zu ihr die Sorge kommt, die wie ein Bleigewicht ist, das an der Trübsal hängt. Trübsal kann sogar eine Freude werden und sie wird es, wenn sie das Kleid der Unschuld und des Glaubens trägt, wie Paulus spricht (Röm. 5): Wir, die wir gerecht geworden sind durch den Glauben, und Frieden haben mit Gott, rühmen uns auch der Trübsal. Manche meinen, Trübsal und Sorge seien nicht zu trennen; wären sie es aber nicht, wie könnte Paulus sprechen: Sorgt nichts? Wir nennen es im Deutschen mit Recht, „sich Sorgen machen“, denn die Sorge macht der Mensch selbst, und sie ist die eigentliche Not in der Not. Darum warnt uns Paulus vor ihr und will, dass wir in der Not unsere Herzen zu Gott erheben sollen.

In allen Dingen lasst durch das Gebet und die Bitte nebst Danksagung eure Verlangen, das heißt, was ihr zu bitten habt, kund werden vor Gott. Werden wir nicht auch von unserm Erlöser selbst zu Gott hingewiesen mit unserer Sorge? Ihr kennt ja das Wort (Matth. 6), wo er spricht: Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Dann lehrt er: Sorgt Gott für das Große, wie sollt er nicht auch für das Geringe sorgen? Er hat ja unsere Seelen erlöst mit seinem eigenen Blut: wie sollte er uns denn das Brot und die Kleider entziehen wollen! Und umgekehrt: Sorgt Gott für das Geringste: wie sollte er sich des Größten nicht annehmen? Er speist ja aber die Vögel unter dem Himmel und kleidet die Lilien auf dem Feld: sollte er denn den Menschen versäumen, der sein Sohn und Erbe ist? So weißt du ja nun, an wen du dich zu wenden hast. Wende dich an Gott. Es ist ein betrübt Ding, wenn der Mensch mit seinen mancherlei Nöten alleine steht; da hängt er den trüben Gedanken nach, verfällt jetzt auf diesen, jetzt auf jenen Anschlag, und wenn's ihm mit seinen Anschlägen nicht gelingen will, so grämt er sich, seufzt, klagt und weint. O lass doch die Sorge nicht wie einen Stein auf deinem Herzen liegen, sondern rufe den Engel, den Paulus uns nennt, herbei, dass er den Stein von deinem Herzen wälze. Dieser Engel heißt Gebet. Bringst du die Sorge im Gebet vor Gott, so nimmt er sie dir ab und dein Herz wird leicht, daher auch Petrus spricht (1 Petri 5,7): Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Darum, was es auch sei, das dich beschwert, bringe es Alles vor ihn, oder, wie es in unserm Text heißt: in allen Dingen rede mit Gott, es betreffe die Not des Leibes oder die Not der Seele, es sei etwas Großes oder etwas Geringes, da du ja weißt, dass nichts so klein und gering ist in der Welt, auf das Gott nicht seine Fürsorge richtete. Fällt doch ohne ihn kein Sperling vom Dach und kein Haar von deinem Haupt! Glaubst du das, so wirst du ja alle und jede Angelegenheit deines Herzens mit Gott besprechen, und nicht nur in bösen, sondern auch in guten Tagen mit ihm reden, gleich der Lerche, die bei heiterem wie bei trübem Wetter gen Himmel steigt und ihr Lied singt. In allen Dingen beten, heißt ein Herz haben, das an Gott hängt, wie die Traube am Weinstock, und das zu jeder Stunde, ja in jedem Augenblick mit ihm verkehrt und Umgang hat. Wie wir uns allezeit freuen sollen, so sollen wir auch ohne Aufhören und in allen Dingen beten; Freude und Gebet gehören zusammen; Gebet ist der Freude Frucht und ihr täglich Brot. Hörst du auf zu beten; so wirst du bald auch aufhören dich zu freuen, statt dass du durch Gebet auch die größte Traurigkeit in Freude verwandeln kannst. Nun so lass doch auch alles, wonach dich verlangt, kund werden vor Gott. Zwar weiß Gott, auch ohne dass wir's sagen, Alles, was wir bedürfen (Matth. 6), ja, er versteht unsere Gedanken von ferne, so dass ihm eigentlich nichts kundgetan werden kann. Aber wie die Eltern wohl der Kinder Angelegenheiten wissen und gleichwohl die Kinder kommen, sich an den Vater, an die Mutter hängen, und ihnen sagen und klagen, was sie auf dem Herzen haben - die Eltern aber hören's an, als wüssten sie es nicht, und schaffen Rat und Hilfe: also kennt zwar Gott uns, die wir seine Kinder sind, zehnmal besser, als wir uns selbst kennen, aber doch will er, dass wir ein solches Herz zu ihm haben und solches Vertrauen, dass wir Alles vor ihm kund und laut werden lassen.

Was ist nun das Gebet, worin wir unser Verlangen kund werden lassen? Gebet ist allgemein gesagt und bedeutet jegliches Gespräch des Herzens mit Gott. Dies Gespräch nun aber ist und soll sein teils Bitte, teils Danksagung. Bitte Gott um das, was dir fehlt. Es ist ja doch eine große Gnade, dass Gott dir Alles, was du bedarfst, auf deine Bitte geben will. Bei Menschen reichst du mit Bitten nicht immer aus, sondern wenn's auch nur ein Groschen ist, den du zum Tagelohn bekommst, so hängen oft hundert Schweißtropfen daran, die du um den Groschen hast vergießen müssen. Du aber, freundlicher Gott, gibst mir, was mir nottut, auf ein kindliches Abba, und oft schon ehe ich meine Bitte ausgesprochen habe, stehst du vor mir mit der Gabe in deiner milden Hand, - Das gehört zum Unterschied zwischen den Guten und Bösen, dass diese von Gott nehmen, ohne dass sie darum gebeten haben, statt dass jene zuvor ihre Bitte zu Gott aufsteigen lassen. O schäme dich, Mensch, dass du tausenderlei Gutes hast und genießt, um das du Gott nicht einmal gebeten hast. Wie viel schöner wären seine Gaben und Geschenke, wenn du ihm zuvor ein kindliches Herz entgegengebracht und all das Gute, das du hast, auf deine vertrauensvolle, kindliche Bitt empfangen hättest!

Aber nimm auch dies zu Herzen, was dir Paulus sagt, dass du nicht bloß bitten, sondern mit deiner Bitte allezeit den Dank verbinden sollst. Durch die Bitte nebst Danksagung sollst du dein Verlangen kund werden lassen. Wie? auch wenn ich in Nöten bin, soll ich danken? Ja, bitten soll ich um das, was mir fehlt, danken aber für das, was ich bereits empfangen habe. Lass deiner Bitte allezeit die Danksagung vorangehen oder doch ihr nachfolgen. David pflegte seine Psalmen, worin er Gott um Abwendung seiner Not anflehte, gemeiniglich mit einer Danksagung zu beschließen. Jakob schickte den Dank voran (1 Mos. 32). Ich bin, spricht er, zu geringe aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knecht getan hast. Und nachdem er nun die empfangenen Wohltaten namhaft gemacht, fügt er die Bitte hinzu: Errette mich von der Hand meines Bruders. Viele Menschen, wenn sie auch in ihrer Not Gott um Hilfe bitten, bitten doch so, als ob sie bisher ganz leer ausgegangen wären. Lieber, bedenke doch, dass, wie groß auch deine Not sei, du schon tausend Güter aus Gottes Hand empfangen hast, und zwar ohne dein Verdienst und deine Würdigkeit. Hast du nun ein demütiges und dankbares Herz, so sprich zuvor, ehe du bittest: Treuer Gott und Vater, das sei ferne von mir, dass irgend eine Not bei mir in Vergessenheit bringen sollte, wie viel Gutes du bisher an mir getan. Ich brauchte ja einen ganzen Tag, wollt ich alle Güte und Liebe namhaft machen, die du mir seither bewiesen hast. Wie viel hast du an meinem äußerlichen Menschen, wie viel mehr noch an meiner Seele getan! Ich wäre ja nicht wert, dein Kind zu heißen, wenn ich das nicht erkennen, und dir von Herzen dafür danken wollte. Darum, ob ich auch in meiner jetzigen Not keine Hilfe fände, sondern in ihr umkommen müsste, so wollt ich selbst sterbend mein letztes Wort sein lassen: Mein Vater, habe Dank für alle Barmherzigkeit und Treue, die du an mir getan. - Bete so und dann trage Gott deine Bitte vor, so wird der Dank zugleich eine Bitte, die dein himmlischer Vater nicht unerfüllt lassen kann, sondern die Antwort vom Himmel lautet: Da du ein demütiges, dankbares Herz mir zeigst, so will ich dir geben alles, worum du bittest. Denn Keinem hilft Gott lieber, als dem Dankbaren, der auch in der Not ihn preist für alle seine Vatertreue. Bei dir aber stärkt der Dank zugleich das Vertrauen, denn er macht die empfangenen Wohltaten zu einem Spiegel der Liebe Gottes, die dich bisher gesegnet hat und eben dadurch dich gewiss macht, dass sie dich auch ferner segnen werde.

2.

Siehst du nun wohl, welche Waffe wider die Sorge das Gebet ist, das demütige, das dankbare, das vertrauensvolle kindliche Gebet? Weißt du aber auch, was dies Gebet dir bringt und was es bei dir wirkt? Es bringt dir den Frieden, welcher eine zweite Waffe wider die Sorge ist. Lasst, spricht der Apostel, durch das Gebet eure Verlangen vor Gott kund werden: und so wird der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, eure Herzen und Sinne bewahren in Christo Jesu. Hier wird dir etwas genannt als Frucht des Gebets, das noch viel besser ist, als die Abwendung deiner Not. Gesetzt auch, die Hilfe, um die du bittest, würde dir nicht zu Teil, sondern die Not und Trübsal, die dich drückt, dauerte fort und hörte wohl gar erst mit deinem Sterben auf, so gewinnst du als christlicher Beter jedenfalls ein Gut, das seinem Wert nach ganz unschätzbar ist. Wie heißt dies Gut? Es heißt der Friede Gottes. Darunter ist hier zunächst nicht der Friede der Versöhnung zu verstehen, davon es heißt (Röm. 5,1): Wir haben Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Zwar, hättest du diesen Frieden nicht, so wäre auch an den andern Frieden nicht zu denken, den Paulus an unserer Stelle meint. Es wird vorausgesetzt, dass du durch den Glauben bereits Vergebung der Sünden erlangt hast und mit Gott dich hast versöhnen lassen. Lebst du noch im Unglauben und wüsstest nichts von der Vergebung und Kindschaft Gottes, so würdest du ja auch nicht also beten können, wie unser Text dich beten heißt. Aber wenn du nun als versöhntes Gotteskind betest und in allen Dingen deine Herzenswünsche laut werden lässt: siehe, so bringt dir das Gebet zu dem Frieden der Versöhnung noch einen andern Frieden, der darin besteht, dass Gottes Geist zu dir kommt, alle Sorge und Qual von deinem Herzen nimmt und mit seinem überschwänglichen Trost dich erfüllt. Als der Herr mit seinen Jüngern auf dem Meer war und die Wellen das Schifflein bedeckten, da stand er auf und bedrohte den Wind und das Meer, so dass es ganz still ward. Ein solches mit Wellen bedecktes Schiff ist dein Herz in der Not; denn da braust der Sturm der Trübsal, und es scheint oft, als solltest du unter den Wellen der Angst und Sorge begraben werden. Aber wenn du nun mit deinem Gebet zu Gott eilst und mit Dank und Bitte eindringst in sein Vaterherz, so geschieht's zuletzt, dass du ein sanftes, lindes Wehen des heiligen Geistes in deinem Herzen spürst, darüber du aller deiner Not vergisst und so vergnügt in dir wirst, als ob Gott dich in den Himmel erhoben hätte. Das ist eben der Friede, den Christus seinen Jüngern verhieß (Joh. 14): Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke und fürchte sich nicht. - Ist nun solcher Friede in deinem Herzen, wohnt und regiert dort (Kol. 3,15), so hast du ja an ihm ein unschätzbares Gut, darum auch Paulus sagt: diese über dich kommende, dein Herz beruhigende und mit Freude und Trost erfüllende Friedensmacht ist höher denn alle Vernunft oder übersteigt all unser Denken und Verstehen. Die Meinung ist: wie dieser Friede seiner Herkunft und Entstehung nach über die Welt und unser irdisches Verstehen hinausgeht, weil er wie die Liebe Christi, deren Sohn er ist, zu den göttlichen Dingen gehört, die wir wohl fühlen, aber nicht begreifen können, so finden wir auch nichts in der Welt, das ihm an Wert gleich käme. Wunderbar ist's, dass der Friedensgott im Himmel sich zu unserm Herzen gesellt und diesen Ort aller Unruhe und Qual so zu verwandeln weiß, dass ein kleines Paradies voll Seelenruhe und Seelenfreude daraus wird. Wunderbar! Muss nicht der Baum sich krümmen, müssen nicht die Wogen des Meeres brausen, wenn der Sturm darüber geht? Aber brause der Sturm der Trübsal über ein Kind Gottes, so wird es auch da nicht gebeugt, wo tausend Kinder der Welt in Verzweiflung geraten, sondern, ob auch Hunger und Schwert kämen: der Friedensmensch steht wie ein Fels im Meere, umschäumt, und doch versenkt in Ruhe, so voll Vertrauen, o Gott, als wäre nichts in der Welt als er und du. Da mag wohl Jemand staunen und fragen: wie kommts, dass ich schwacher Mensch, der ich vor Zeiten so mutlos war, dass ich klagte und zagte, wenn nur eine kleine Trübsalswolke heranzog, wie kommts, dass ich jetzt in meinem Gott mich freuen und frohlocken kann, selbst wenn der Himmel voll von schwarzen Wolken hängt? Und was mich am mehrsten wundert: nicht nur ist mein Herz ruhig, ungeachtet es stürmt, sondern es ist sogar ruhig, weil es stürmt, denn fürwahr, ich habe in guten Tagen nicht die Ruhe und Freude in meinem Herzen gehabt, die ich jetzt in den bösen Tagen habe. Also der Sturm bringt Ruhe, und das stille Wetter Unruhe in mein Herz? Das begreife ich nicht, und am wenigsten begreifen es die Kinder der Welt, die von keinem Frieden wissen, als wenn das Übel weicht. In der Armut sprechen sie: Gebt uns Brot, so sind wir zufrieden; in der Krankheit: Schafft uns Gesundheit, so sind wir vergnügt, und so in allen Dingen bringt bloß das Weichen des Übels ihnen Seelenruhe. Nichts ist der natürlichen Vernunft unbegreiflicher, als wie man im Leid sich freuen und wie man hoffen kann, wo nichts zu hoffen ist. Sie ist etwa ruhig, so lange sie noch irgend einen Weg zur Hilfe sieht; ist aber alle Aussicht und Hoffnung verloren, so platzt sie aus einander oder wird versteinert. Bei den Kindern Gottes dagegen bedarf es des Abtuns des Übels nicht, damit sie Frieden haben, sondern bei ihnen regiert der Friede den Sturm und nicht der Sturm den Frieden. Ist nun solch ein Friede von Gott nicht ein köstliches Gut? Ja, das köstlichste und unschätzbarste aller Güter. Haus und Hof lässt sich schätzen, Geld und Gut lässt sich zählen, und ist keines Menschen irdische Habe so groß, dass nicht eine andere größer wäre denn sie; aber nicht ein schätzbares, nicht ein zählbares Gut ist der Friede Gottes, sondern er geht weit über alle Güter der Welt, die etwa ein Dieb stehlen oder eine Feuersbrunst verzehren kann.

Nun sagt uns der Apostel endlich noch, welchen Gewinn wir von diesem Frieden haben. Er wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christo Jesu. Er nennt uns das Herz, als die Quelle, woraus alles Böse, wie alles Gute, quillt. Die Sinne aber sind gleichsam die Arme, worin die Quelle sich teilt und nach verschiedenen Richtungen geht. Das Herz nun bedarf, zumal in der Not und Trübsal, eines Wächters, dass seine Sinne, das ist, sein Denken, Fühlen, Wollen nicht auf Abwege gerate. Die Sorge, wenn sie uns regiert, zieht das Herz mit seinen Sinnen von Christo ab; trennt sich aber das Herz von Christo, so gerät es auf mancherlei Abwege. Es wird zaghaft, fällt in Zweifel, wo nicht gar in Verzweiflung und in andere große Schande und Laster. Die Erfahrung aller Zeiten lehrt es ja, in welchen Abgrund des Unglaubens und der Sünde und des Verderbens die Not viele tausend Menschen stürzt. Die Not führt zur Sorge, die Sorge zur Sünde, die Sünde zum Verderben. Was kann, was wird euch bei Christo erhalten und euch schützen in der Not? Der Friede Gottes. Denn er ist ein so festes, inniges Band zwischen unserm Herzen und ihm, dass, wenn wir voll Friedens sind, keine Macht der Welt uns von dem Friedensfürsten losreißen kann. Wir würden lieber in's Feuer und in den Tod gehen, als die Gemeinschaft mit ihm aufgeben, aus der so viel Ruhe, Freude und Trost in unser Herz kommt. Siehe, so erhält uns der Friede bei ihm, und leben wir in der Gemeinschaft Jesu Christi, so sind wir geschützt gegen Alles, was uns von ihm abziehen will, sei es Anfechtung von innen oder Versuchung von außen. Je kräftiger der Friede unsere Herzen regiert, eine desto stärkere Waffe haben wir in ihm wider alle Feinde unserer Seele. Es können wohl schwache Stunden kommen, wo der Christ, der im Frieden mit seinem Erlöser lebt, sich zu Gedanken des Missmuts, der Sorge, des Zweifels hinreißen lässt; aber der Friede steht dann im Hintergrund des Herzens und bekommt bald wieder die Oberhand. Wie die Magnetnadel mitten unter Sturm und Wellen unverwandt nach Norden zeigt, so weist der Friede Gottes das Herz unter allen Anfechtungen und Versuchungen beständig auf Christum hin.

Trachtet denn danach, liebe Christen, dass dieser Friede euer Herz regiere. Er ist, sagt Paulus, die Frucht des Gebets. Bittet daher, dass euch Gott den Frieden gebe und erhalte. Ihr habt unter den Kämpfen und Sorgen der Welt keinen besseren Trost, als den Frieden Gottes. Wollte auch Gott alle Not von euch nehmen und euch Glück und gute Tage geben bis an euren Tod, so hälfe euch das nichts, wenn euch der Friede fehlte. Aber keine Not, selbst wenn sie wie Wellen über euer Haupt ginge, und dieser Wellengang kein Ende nehmen wollte, keine Not kann euch zu Grunde richten, wenn der Friede Gottes eure Herzen regiert.

Wie getrost und heiter,
Du, mein Licht und Leiter,
Machst du meinen Geist!
Der du, die dir trauen,
Führst auf grüne Auen,
Und so gern erfreust!
Niemals wird
Bei dir, o Hirt,
Freund und Tröster uns'rer Seelen,
Mir Erquickung fehlen.

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