Kähler, Carl Nikolaus – Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Elfte Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus – Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Elfte Predigt.

Ew'ge Liebe, mein Gemüte
Wagt mit kindlichem Vertraun
In den Abgrund deiner Güte
Ehrfurchtsvoll hinabzuschaun;
Allen Kummer zu zerstreun;
Ihrer Größe mich zu freun;
Durch ihr Anschaun schon auf Erden
Herrlich und entzückt zu werden.

Als das jüdische Volk in tiefem Elend und Verderben darniederlag, ließ Gott durch den Propheten Ezechiel demselben die Erlösung verkündigen. Dem Propheten wurde diese Erlösung kund getan durch ein Gesicht. Gott führte ihn im Geiste auf ein weites Feld, das voller Totenbeine lag (Ezech. 37) und fragte: Du Menschenkind, meinest du auch, dass diese Beine wieder lebendig werden? Und siehe, es regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. Dann kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und richteten sich wieder auf. Und ihrer war ein sehr großes Heer. Was nun so der Prophet in einem Gesichte sah, ist das nicht geschehen an dem Menschengeschlecht? Die Menschen waren tot durch die Übertretungen und Sünden, so dass es heißen musste: „Unsere Beine sind verdorret, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns.“ Aber was geschah? Das lesen wir in unserem heutigen Texte.

Ephes. 2, V. 4-7: Aber Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht (denn aus Gnaden seid ihr selig geworden), und hat uns samt ihm auferweckt, und samt ihm in das himmlische Wesen versetzt, in Christo Jesu, auf dass er erzeugte in den zukünftigen Zeiten den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade, durch seine Güte über uns in Christo Jesu.

War es zuvor der Tod, den uns der Apostel zeigte, so ist es jetzt das Leben, worauf er hinweist; war es zuvor die Sünde, so ist es jetzt die Gnade; war es zuvor das Verderben, so ist es jetzt die Herrlichkeit. Folgen wir denn dem Apostel, und du hilf, lieber Gott, dass wir ihn fassen und verstehen. Unser Thema ist:

Die rettende Gottesliebe,

und zwar 1. nach dem Reichtum, der ihr inwohnt; 2. nach dem Leben, das sie schafft; und 3. nach der Herrlichkeit, die sie dadurch vorbereitet.

1.

Mit einem Lobe Gottes beginnt unser Text. Gott, spricht der Apostel, ist reich an Barmherzigkeit. Wäre er das nicht, so hätte er uns nicht lebendig gemacht, hätte uns nicht auferweckt, hätte uns nicht in den Himmel versetzt. Wonach sollen wir also den Reichtum seiner Barmherzigkeit messen? Wir müssen sie vor Allem an unsere Armut halten, wovon er uns erlöst hat. Wer die Finsternis nicht kennt, wie sollte der den Reichtum des Lichts zu schätzen wissen? und wer nie sein Brot mit Tränen aß, wie sollte der aus Herzensgrund die Liebe preisen, die das Korn wachsen lässt auf dem Felde? Daher nun sind so Viele, für die das Wort von der Barmherzigkeit Gottes verloren ist, weil sie ihr Herz und den Schaden ihres Herzens nicht kennen, sondern meinen, es stehe von Natur ganz gut um den Menschen, und er könne durch sich selbst zum wahrhaftigen Leben durchdringen. Aber traut mehr dem Urteil des gotterleuchteten Apostels als dem Urteil der verblendeten Welt. Wie schildert uns Paulus den natürlichen Menschen? Als tot durch die Sünde, als wandelnd nach dem Lauf der Welt und nach dem Fürsten der Finsternis; als einen Knecht des Fleisches, das ihn in tausend Verirrungen und Sünden zieht; endlich' als unterworfen und preisgegeben dem Zorne Gottes und dem Gericht für Zeit und Ewigkeit. Sage nicht: dies Urteil des Apostels sei zu hart. Nein, es ist, wie alles, was der Heilige Geist ihn sagen und schreiben lehrt, ganz der Wahrheit gemäß. Bitte nur Gott, dass er dich wolle dein eigen Herz kennen lehren, und wenn du dich dann in dasselbige vertiefst, so wirst du entdecken, dass es in Sünden tot und verloren ist. Und wenn nun Gott dich rettet von diesem inneren Tod und Verderben, dann hast auch du den Gott kennen gelernt, der reich ist an Barmherzigkeit, sonst lernst du ihn nimmer kennen.

Ich frage noch einmal: wonach sollen wir den Reichtum der göttlichen Barmherzigkeit messen? Nur der Christ, der selbst barmherzig ist, lernt nach diesem Strahl, der von Gott in ihn gefallen ist, die Sonne des göttlichen Erbarmens erkennen. Für die Unbarmherzigen gibt es keine göttliche Barmherzigkeit; ihnen fehlt das innere Auge für Gott und für das, was in Gott ist. Sie können hundert Unglückliche sehen, und ihr Herz wird nicht davon bewegt; sie können tausend in Sünde und Sündenelend versunkene Menschen um sich gewahren, ohne dass die Liebe in ihnen zu brennen anfängt und sie sich aufmachen, um unter Tränen und Schweiß zu retten, was verloren ist. Und wenn der eigene Sohn ein verlorener wäre: wie wird der Vater sich verhalten, so lange er nicht von Gott Barmherzigkeit gelernt hat? Er wird wohl diesen und den Versuch machen, den Sohn zurückzuführen; er wird ihn schelten, wird ihm drohen, wird ihn einsperren, wird vielleicht ein Opfer an Geld und Mühe bringen; aber tief im Herzen kocht der Zorn, und ist Mühe und Geld verloren, so sagt er sich bald von ihm los, schließt Herz, Hand und Tür vor ihm zu, schickt ihn nach Amerika und gibt ihm etwas Geld mit auf den Weg, wünschend, der Ungeratene möge ihm nie wieder unter die Augen kommen. So ist's mit der weltlichen Barmherzigkeit: ihr Ofen wird schnell kalt, ihr Opfer hat kein Blut. Aber wer selbst tot war und durch Gottes Gnade lebendig geworden ist; wer selbst in den Banden des Fleisches, der Welt und des Teufels lag und durch Gottes Liebe frei geworden ist; wer selbst das Feuer des göttlichen Zorns und der inneren Hölle empfunden hat, und durch Gottes Huld in den Himmel des Friedens versetzt worden ist, in Summa, wer selbst Barmherzigkeit gelernt hat in der Schule der göttlichen Barmherzigkeit: dessen Herz erkaltet nicht und dessen Opfer ist, wenn es sein muss, ein blutiges Opfer. Hat er einen verlorenen Sohn, so wird er allen Undank dieses Sohnes, alle Sünden und Übertretungen desselben aus den Augen setzen über der Liebesglut, die in seinem Herzen ist. Er wird kein Wort sparen, das irgend geeignet wäre, den Verlorenen zu retten; er wird in der allertiefsten Bewegung des Herzens immer das Bild des Unglücklichen vor Augen haben; er wird tausend Seufzer aus seiner Brust steigen lassen und tausend Tränen vergießen um den armen Sohn; er wird, ob's möglich ist, ihn zu retten, Ruhe und Reichtum für ihn opfern; er wird ihm nachgehen, wenn's sein müsste, bis in die Wüste Sahara, und mit kochendem Herzen, mit schweißbedeckter Stirn, mit blutenden Füßen ihn zu ereilen suchen, und wenn er ihn gefunden hat, vor ihm niedersinken, ihn umfassen mit seinen zitternden Vaterhänden, wird die ganze Fülle seiner Vaterliebe in sein Wort legen und in seinen Blick, und dann vielleicht matt und sterbend hinsinken vor dem Sohn, um mit seinem Leben des lieben Kindes Leben zu retten. Seht, Christen, das ist der Reichtum der Barmherzigkeit, wovon in unserem Texte die Rede ist. Und doch ist's nur ein Strahl der Liebe, womit Gott uns geliebt hat, die wir tot waren durch Übertretungen und Sünden. Was ich euch eben vor die Augen gemalt habe, das findet ihr im vollkommensten Maße bei dem lieben, treuen Vater im Himmel, den wir sehen, wie er ist, wenn wir Christum anblicken, der uns nachgegangen ist in die Wüste dieser Welt, das Herz voll Liebe, die Stirn voll Todesschweiß, und ist blutend für uns in das Grab gesunken. Das kannst du nur verstehen und schätzen, wenn du durch das Elend der Sünde hindurchgegangen bist und Erfahrung hast von der Barmherzigkeit, die Gott an dir bewiesen hat.

2.

Aber was wirkt nun diese Barmherzigkeit in uns? Alles lässt sich zusammenfassen in Ein Wort, in das Wort: Leben. Lasst uns das nun fürs Zweite betrachten. Wollen wir dies Leben vergleichen mit einem Baum, so zeigt uns Paulus an diesem Baume die Wurzel, den Stamm und die Krone. Die Wurzel ist die Wiedergeburt, der Stamm mit den Zweigen und Früchten die Erneuerung, die Krone ist die Hoffnung. Gott hat uns, da wir tot waren in den Sünden, samt Christo lebendig gemacht. Das ist das Erste, was inwendig im Menschen vorgeht, wenn er von Neuem geboren wird. Das Alte hört auf, das Geschiedensein von Gott, das Gebundensein durch die Sünde, das Darniederliegen unter dem Zorn und Fluch Gottes. Ein Neues hebt an: die Versöhnung mit Gott, die Freiheit in der Kindschaft Gottes, der Friede und die Freude im heiligen Geist. Das Alles geht zunächst inwendig im Menschen vor, ohne dass ein menschliches Auge es sieht; die Wiedergeburt ist wie ein Weizenkorn, das zunächst im Schoß der Erde sich regt und Wurzel und Kerne gewinnt. Es kann nichts Neues entstehen, es sei denn, dass zuvor das Alte untergehe. So muss vor Allem im Menschen der alte Adam sterben mit seiner Gottesfeindschaft, mit seiner Luft zum Bösen, mit seiner Unlust am Guten, mit seinem Unfrieden, seinem Hader und Streit. Ein neuer Mensch muss werden, der geschmückt ist mit Gerechtigkeit und Frieden, mit Liebe und Lust zu allem Guten. Wovon geht das Alles aus? Von Christo, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, daher Paulus sagt: samt Christo hat er uns lebendig gemacht. Ja, Christus und das Wort von seinem Kreuze ist das göttliche Samenkorn des Lebens, das Gott in die Herzen der Menschen streut. Wo das ist, da regt und bewegt sich's im Menschen; er kommt nun zur Erkenntnis seiner selbst, wird nun ergriffen von der Gnade, die ihn neu macht nach Herz, Mut, Sinn und allen Kräften. Lange vielleicht geht er in innerlichem Kampfe, bevor es heißen kann: Das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden. Denn es gehört viel dazu, dass das Gewächs, welches der alte Adam gepflanzt hat, mit Stumpf und Stiel aus dem Herzen vertilgt werde. Ihr wisst ja, wie oft das Wort vom Kreuz, wie oft das Wort von der Buße und vom Glauben einen Angriff macht auf das Herz des Sünders, ohne dass es seines Herzens mächtig wird. Die Sünde, die im Menschen wohnt, stellt alle ihre Truppen ins Feld; sie kann und will ihre Burg nicht preisgeben, darin sie von der Wiege an so sicher gewohnt hat. Aber wird nun endlich das Wort Gottes Herr, dann schlägt der Sünder in sich, dann wird er traurig, dann tritt er vor Gott hin mit dem Bekenntnis: Ich armer Mensch, ich armer Sünder; dann gibt er die eigene Gerechtigkeit auf und nimmt die Gnade an, die ihm geschenkt wird ohne sein Vers dienst und seine Würdigkeit. Und was ist davon die Folge? Dies, dass die ganze alte Schuld nun erlassen ist; dies, dass Gott sein Vater wird, zu dem er kindliches Vertrauen gewinnt und seine tägliche Zuflucht nimmt; dies, dass er den von Herzen wieder liebt, der ihn zuerst geliebt hat. Das ist das neue Leben, wovon Paulus redet in unserem Text.

Aber bleibt es als ein Geheimnis im Herzen verborgen? Nein, es tritt hervor und zeigt sich öffentlich, gleichwie der Keim des Weizenkorns hervorkommt aus der Erde und zu einer Saat heranreift, die lustig anzusehen ist. Gott hat uns samt Christo auferweckt. Das bedeutet hier den weiteren Fortgang des Lebens, das zunächst innerlich im Herzen seinen Anfang nimmt. Es ist die Erneuerung, die Heiligung, da ein Mensch in seinem Leben aufhört zu sein, was er war, und anfängt zu sein und immer mehr zu werden, was er nicht war. Stelle nur den erneuerten Menschen gegen ihn selbst, wie er war vor seiner Erneuerung, so bemerkst du einen großen Unterschied. Aus dem unbekehrten Saulus, der wider Christum und sein Evangelium kämpfte, ist ein Paulus geworden, der von seinem wiedergeborenen Herzen aus nun ganz anders redet, handelt und wandelt als zuvor. Ähnlich ist es mit jedem bekehrten Christen. Zuvor war sein Leben das umgekehrte Zehngebot. Keine Gottesfurcht fandest du bei ihm, keinen Eifer für Gott, sondern er lebte, als wäre kein Gott, und war trotzig in guten, verzagt in bösen Tagen, war voll Missmut, Zweifel und Hader wider Gott und wider die Welt. Seine Zunge missbrauchte den heiligen Gottesnamen, denn du hörtest ihn fluchen und lästern, hörtest ihn lügen und mit heiligen Dingen seinen Scherz und Spott treiben. Gottes Wort war ihm ein Ärgernis oder eine Torheit, er hörte es nicht, und wenn er es hörte, so verzog sich seine Miene zum Lächeln und er kämpfte dagegen mit seiner Zunge. Wie verhält er sich gegen die, welche Gott über ihn gesetzt? Ach, er war vielleicht des Vaters Sorge und der Mutter Gram; war trotzig und unfolgsam gegen seinen Herrn, verachtete und lästerte die Obrigkeit. Was war ihm sein Nächster? Nicht sein Nächster, sondern sein Fernster, wider den er gerüstet stand mit Zorn, Rache, Feindschaft, Hader und Neid; für den er kein Herz hatte, darum auch keine helfende Hand, denn sein Grundsatz war: Jeder ist sich selbst der Nächste. Schaue ferner sein Leben im Spiegel des sechsten Gebots: welche leichtsinnige, unflätige Reden hörtest du mitunter aus seinem Munde, die von der Unkeuschheit seines Herzens zeugten! Wie ging er so oft irre mit seinen Blicken, die er in fleischlicher Lust auf des Nächsten Weib oder Tochter heftete, wo er nicht gar in die Kammern der Unzucht ging und seine Glieder zu Hurengliedern machte! Lass das siebente Gebot über ihn urteilen: er war, lautet das Urteil, ein Mammonsdiener, der keinen andern Gott hatte als das Geld und zu dem Goldklumpen sprach: Du bist mein Trost! War er kein Betrüger und Dieb, so war er wenigstens eines jener Weltkinder, die ähnlich wie Tetzel denken und sprechen: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seel' aus allen Nöten springt; denn sie achten den geistlichen Segen an himmlischen Gütern für Nichts, wenn sie nur den leiblichen Schatz an irdischen Gütern gewinnen können. Auf solchen und ähnlichen Wegen findest du den Menschen, da er noch der alte war. Aber nun ist er samt Christo auferweckt: wie zeigt sich das? Darin, dass er nun in einem neuen Leben wandelt (Röm. 6, 4). Er ist nun nach seinem Wandel und Tun ganz das Umgekehrte von dem, was er früher war. Der Glaube an den Herrn Jesum Christum hat in ihm einen Sinn erzeugt, wonach er bei alle seinem Tun Gott vor Augen und im Herzen hat, und seine Gottesliebe und Gottesfurcht leuchten lässt in seinem ganzen Wandel. Er gehört jetzt zu denen, deren Kammer eine Betkammer ist, wo sie Gottes herrlichen Namen loben und preisen und alle ihre Angelegenheiten vor den himmlischen Vater bringen. Gottes Wort ist sein Stern geworden, von dem er sich den Weg zeigen lässt, und sein tägliches Brot, das er zur Stärkung seiner Seele isst, und die Waffe zu Schutz und Trutz, womit er kämpft wider Fleisch, Welt und alle Anfechtung. Du findest nun in ihm ein Kind, das seinen Eltern Ehre und Freude ist; einen Knecht, eine Magd, die Liebe säen und darum auch Liebe ernten von ihren Herren; einen stillen, gehorsamen Untertan, an dessen Wandel man die Worte liest: „Alle Obrigkeit ist von Gott“. Wie nahe ist ihm der Mensch gerückt! Nun ist er in Wahrheit sein Bruder, sein Nächster, gegen den er nicht mehr mit den Waffen des Fleisches, sondern für den er mit den Waffen des Geistes kämpft, welche sind Liebe, Sanftmut, Geduld, Barmherzigkeit und Wohltun. War er früher ein Übertreter des sechsten Gebots, so ist er jetzt keusch in Worten und Werfen, hasst alle Unreinigkeit in Gedanken, Wort und Tat, und alle Welt gewahrt an ihm den keuschen Josephs-Sinn. Er hat sich vom Mammon losgesagt; er arbeitet, lebt und wirkt für Weib, Kind und Hausgenossen, aber Geiz und alle Unehrlichkeit ist ihm ein Gräuel; er möchte lieber sterben als Unrecht tun; was er hat, das hat er, als hätte er es nicht; was er hat, das braucht er zum Gutestun und gibt es der Liebe auf Zins. In Summa, er ist auferstanden von den Toten, Gott hat ihn samt Christo auferweckt.

So lebt er denn nun auch in einer ganz andern Welt als zuvor, wie Paulus sagt: Gott hat ihn samt Christo in den Himmel versetzt. Wie kann das anders sein? Wo das Haupt ist, müssen da nicht auch die Glieder sein? Sind wir Christen, so haben wir Teil an der ganzen Herrlichkeit unseres Erlösers. Nun wisst ihr ja aber, dass Christus von Gott aufgenommen ist in die Herrlichkeit: sollten wir denn nicht auch in dieselbe aufgenommen sein? Ja, zeige deinen christlichen Bürgerbrief vor: darin glänzt dein Name wie der Name Christi, der über alle Namen ist. Es ist dir verheißen und es steht deutlich genug geschrieben, dass du dein Bürgerrecht im Himmel hast. Du sollst nicht sterben, und ob du stürbest, sollst du dennoch leben, wie Christus lebt, dein Haupt und Herr, der dich schützen wird gegen Tod und Grab und dir das ewige Leben geben wird an der Stätte, die er dir bereitet hat. Mit der Kindschaft hat er dir auch das Erbe gegeben und bewahrt es für dich als eine teure Beilage, die dir zu Teil wird, wenn du durch die Tür des Todes zu ihm eingehst in den Himmel. Welche Herrlichkeit ist dir bestimmt! Eine große, über alle Maßen wichtige Herrlichkeit; eine Krone, die nicht verwelken und verblühen wird, sagt die Schrift. Das weißt du, und hast diese Verheißung aufgenommen in dein Herz, in dein Bewusstsein, in deine Hoffnung, darum bist du jetzt schon im Himmel, obgleich du noch auf der Erde lebst. Denn es ist der Hoffnung eigen, dass sie uns aus der Gegenwart in die Zukunft, aus dem Leiden in die Freude, von der Erde in den Himmel versetzt. Wo sie wohnt, da ist der Mensch seiner Sache gewiss, er zweifelt nicht, er freut sich seiner nahen Erlösung und spricht: Über ein Kleines, so werd' ich bei Christo sein; über ein Kleines, so werd' ich mich freuen mit unaussprechlicher Freude; über ein Kleines, so hab' ich ausgekämpft, so hat mein Leid ein Ende, so trocknet Gott alle Tränen aus meinen Augen. Bringt diese Hoffnung nicht Leben in dein Herz hinein? Ja, Leben ist Freude, und wie froh bist du im Vorgefühl deiner künftigen Herrlichkeit! Leben ist Trost, und wie getrost bist du unter allen deinen Kämpfen und Leiden, wenn du mit den Augen der Hoffnung in die Zukunft schaust! Leben ist Liebe, und wie lieb hast du doch deinen Heiland, der dich aus Not, Tod, Hölle und Verdammnis zum ewigen Leben errettet hat! Leben ist Bewegung, und wie bewegst du dich munter auf deiner Christenbahn, einem Paulus gleich, welcher spricht: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, das vorne ist! Sieh da, mein Christ, wir leben noch in der Welt, und sind doch schon mit Christo in den Himmel versetzt. Nimm nun Alles zusammen, was du an Trost, Frieden, Freude in deinem Glauben, in deiner Liebe und in deiner Hoffnung hast, so ist's mit Einem Worte das Leben, welches die rettende Gottesliebe in dir und in allen Christen geschaffen hat.

3.

Nun aber führt uns schließlich der Apostel Paulus noch in die Zukunft hinaus, und zeigt uns die Herrlichkeit, die dadurch vorbereitet wird. Das Alles, heißt es, hat die rettende Liebe Gottes getan, hat uns samt Christo lebendig gemacht, hat uns samt ihm auferweckt, hat uns samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt, auf dass er erzeugte in den zukünftigen Zeiten den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade in Gütigkeit gegen uns in Christo Jesu. Wie? erzeugt uns denn Gott diese Gütigkeit seiner Gnade nicht schon jetzt in vollem Maße? Leben wir denn nicht schon jetzt? Sind wir nicht jetzt schon lebendig gemacht und in den Himmel versetzt? Ohne Zweifel! Aber fürs Erste bedenkt, liebe Christen, dass wir noch nicht sind, was wir sein werden. Wir leben, aber unser Leben ist wie der aufgegangene Morgenstern, dem eine Sonne nachfolgen wird. Haben wir nicht jetzt noch vielfach zu kämpfen? Ja, wir stehen noch auf dem Schlachtfelde, wo Fleisch, Welt, Teufel wider uns gewaffnet sind. Da gibt es harte Kämpfe, die wir zu bestehen hoben. Unser Glaube ist wohl der Sieg, der die Welt überwindet, aber leichten Kampfes siegt der Glaube nicht. Er hat es mit unserem Herzen zu tun, wo das Fleisch nach jeder Niederlage, die es erleidet, wieder neue Kräfte sammelt, und dann von Neuem wider ihn streitet. Er hat es zu tun mit einer Welt, die, wenn's möglich wäre, allen Glauben an Christum aus unserem Herzen reißen möchte, denn das Heer der Feinde Christi ist groß, und stehen oft zehn Ungläubige wider Einen Gläubigen. Unsere Liebe hat auch ihre harten Kämpfe. Was dem Glauben widerfährt, das widerfährt auch ihr. Träfe sie immer auf Liebe, so würde sie allezeit blühen, wie die Lilie im Garten, aber sie stößt tausendmal auf Lieblosigkeit, Kälte, Hass, Feindschaft, Neid und andere Untugenden. Da wird sie denn leicht bitter und zornig, kühlt und nimmt ab wie der Mond, der im letzten Viertel steht. Ach, was hat ein Christ zu kämpfen, dass nicht das Herz kalt und lau werde und sich der Welt wieder gleichstelle wie zuvor! Wollte Gott nicht die zarte Pflanze unserer Liebe täglich tränken mit dem Tau seiner Geduld und Langmütigkeit, so würde sie bald das Haupt hängen und gänzlich ersterben. Es kommen Stunden genug, wo der Christ unlustig ist zum Guten, und in Gefahr steht, von der Welt bald in diese, bald in jene Sünde gezogen zu werden. Auch unser Hoffnungshimmel, in den wir versetzt worden sind, ist nicht immer heiter, sondern oft mit schwarzen Wolken bedeckt. Die Welt tut das Mögliche, um unser Herz, unsern Blick, unsere Hoffnung aus der Höhe herabzuziehen in die Tiefe. Wie Viele gibt es, die kaum mehr an ein künftiges Leben und an die Verheißung des Evangeliums glauben! Die Alles für Wahn halten oder für Lug und Trug! Diese Schiffbrüchigen sähen nichts lieber, als dass auch alle Übrigen Schiffbruch litten an ihrem Glauben und an ihrer Hoffnung, damit, wo möglich, das Evangelium ganz aus der Welt verschwände. Sie richten all ihr Geschütz wider unsere Schiffe, die noch in Bewegung sind, und möchten sie in Grund schießen, ehe die Sonne untergeht. Dazu hat unsere Hoffnung zu kämpfen, bald mit dem Glück, unter dessen Strahlen sie so leicht ermattet, bald mit dem Unglück, wo es ihr manchmal ist, als ob Gott den Arm seiner Allmacht und Liebe von ihr zurückgezogen hätte. Seht das ist es, was ich sage, wir sind noch nicht, was wir sein werden, sondern es geht hier Alles in großer Schwachheit und unter schwerer Bürde bis an den Tod. -

Sodann bedenkt, dass unser Leben, wie herrlich es auch sein mag, doch verborgen ist und keine Gestalt und Schönheit hat vor der Welt. Wir tragen den Schatz in uns: wer sieht ihn? Der beste Teil von uns ist Christus, der in uns lebt, den aber die Welt nicht sieht und sehen will. Äußerlich sind wir gestaltet wie andere Menschen, nur dass wir uns ihnen nicht gleichstellen im Bösestun. Die Gemeinde, in der wir zusammenleben, ist nicht wie die erste Gemeinde zu Jerusalem, wo Alle Ein Herz und Eine Seele waren, sondern ist wie ein Fischernetz mit etlichen guten und mit vielen schlechten Fischen. Sind doch manche Gemeinden anzusehen, als wären sie schon gänzlich ausgestorben. So ist's im Kleinen, und wenn wir die Christenheit im Großen und Ganzen ansehen, so finden wir hier den Kampf des Christentums mit dem Heidentum, finden den Kampf innerhalb der Kirche selbst zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Bekenntnis und Bekenntnis. Wie unser Heiland keine Gestalt noch Schönheit hatte, da er auf Erden wandelte, sondern alle seine göttliche Herrlichkeit unter irdischer Armut und Niedrigkeit verborgen war, daher sich Viele an ihm ärgerten und fragten: ist das der Verheißene, der die Welt erlösen soll? so hat auch seine Christenheit in ihrem Äußern keine Herrlichkeit, und Viele halten sie für einen schwachen Greis, der seinem Grabe nahe stehe. Aber so gewiss Christus aufgenommen ist in die Herrlichkeit und, keine irdische Schmach mehr an ihm gefunden wird: so gewiss wird auch für seine Kirche eine Zeit kommen, wo ihr jetzt verborgenes Leben mit ihm offenbar wird in Herrlichkeit. Ärgert euch nicht an der Knechtsgestalt der Kirche; sie gleicht dem Baum im Winter, wo er, der Kälte und den Stürmen preisgegeben, ohne Blätter und Blüten ist. Aber das Leben ist in ihm verborgen, und wenn der Frühling kommt, so steht der Baum auch äußerlich in voller Pracht. Dann freut man sich über den Baum und freut sich über die Frühlingssonne, die in ihrer Freundlichkeit Allen leuchtet. Solche Zeiten, sagt Paulus, werden auch für uns kommen. Christus, von Gott erhöht in die Herrlichkeit, wird auch die Seinigen erhöhen. Freuen wir uns nun jetzt schon über die Gnade Gottes: wie viel herrlicher noch wird sie dann erscheinen in ihrer überschwänglichen, all unser Denken und Begreifen übersteigenden Größe und Fülle! Der Sieg ist dann errungen; Sünde, Welt, Tod, Teufel alle Feinde sind überwunden; die Erlösten samt allen Engeln preisen mit Einer Stimme den Herrn und rufen ihr Halleluja, Ehre sei Gott in der Höh! Das vergesst nicht und tröstet euch damit unter euren jetzigen Leiden und Kämpfen in der Welt.

Wie herrlich ist die neue Welt,
Die Gott den Frommen vorbehält!
Wer konnte sie erwerben!
Du, Jesu, der du sie erwarbst,
Als du für deine Menschen starbst,
Ach, hilf mir sie ererben!
Einen Strahl nur ihrer Sonne,
Ihrer Wonne
Gib mir Schwachen,
Kampf und Tod mir leicht zu machen!

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