Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - I. Erste Predigt über das erste Gebot.

Huhn, August Ferdinand - Predigten über die Heiligen Zehn Gebote - I. Erste Predigt über das erste Gebot.

Der Herr, dein Gott und mein Gott, sei auch in diesem neuen Kirchenjahre mit dir, liebe Gemeinde, und mit mir! Amen.

Versammelte Christen! Wir treten heute in ein neues Kirchenjahr. Von neuem lässt der Herr seine Gnadensonne über uns aufgehen. Denn wahrlich, das ist doch die größte Gnade, dass wir eine Kirche haben, dass wir Christum, dass wir das Evangelium und die freie Predigt des Evangeliums haben. Also mit heute wird uns von neuem wieder der ganze Schatz der Gnade Gottes angeboten, von neuem ergeht an uns der Ruf und die Bitte: Lasst Euch mit Gott versöhnen! von neuem ladet der barmherzige Herr die Mühseligen und Beladenen zu sich, von neuem will Er Ströme seines Lichtes und Heiles fließen lassen. Mit himmlischen Gaben und Gütern, mit ewigem Segen will Er uns von neuem krönen. Lasst uns denn dem Herrn, unserm Gott und Heiland, danken, dass Er uns dies neue Kirchenjahr, in welchem jede Seele unter uns ihr ewiges Heil finden kann, hat erleben lassen. Lasst uns ihm danken, dass Er uns bis heute unsere Kirche regiert, geschützt und erhalten hat. Gebe Er nun selbst in Gnaden, dass auch in dieser neuen Zeit von der Kirche aus sein Reich kommen möge in alle Herzen und Häuser. Gebe Er, dass unsere Kirche in Wort und Tat, in Lehre und Leben gründen und fördern möge: Erkenntnis des allein wahren Gottes, und dessen den Er gesandt hat, Jesu Christi; denn das ist ja das ewige Leben, dass sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.

Ja, meine Freunde, an der rechten Erkenntnis Gottes, des Heilandes, daran fehlt es in unsern Tagen leider nur zu sehr in den meisten Herzen, in den meisten Häusern. Nur zu viele gibt es, die gar nicht wissen, was sie an ihrem Gott und Heilande, was sie an Kirche und Evangelium haben. Viele sind es, die noch nicht einmal in den Anfangsgründen der Gotteserkenntnis stehen; viele, die mit den Grundlehren des Wortes Gottes, mit den Hauptlehren unsers kirchlichen Katechismus noch nicht einmal bekannt sind. Daher diese Verwirrung der religiösen Begriffe in unsern Tagen, diese schiefen und verkehrten Ansichten über Kirche, Christentum und göttliche Dinge, diese Vorurteile, Befangenheit, ja Feindschaft gegen das Evangelium. Das ist ein trauriger Zustand, und umso trauriger, als so viele Seelen dadurch verloren gehen.

An der Kirche aber ist es, diese Unwissenheit, diesen Unglauben, diese geistige Finsternis durch das helle Licht des Wortes Gottes und durch die reine Lehre zu durchbrechen. An der Kirche ist es, die wahre Erkenntnis auf alle Weise zu fördern und den Seelen, aus der Unwissenheit und Finsternis heraus, zu einem wahren geistigen Verstande, zum rechten Christenglauben zu verhelfen. Und das will und wird denn unsere Kirche mit Gottes Hilfe auch in diesem neuen Jahre tun. Sie rechnet aber dabei auf willige Ohren und Herzen; sie rechnet auf Euer Aller Gebet und Fürbitte, damit das Werk Gottes, das sie an den Seelen treibt, wahrhaft gedeihe.

Hierin, meine Freunde, und in der ausdrücklichen Vorschrift unserer Kirchenordnung, findet Ihr den Grund, warum ich an den Sonntagen dieses neuen Kirchenjahres über unseren kirchlichen, lutherischen Katechismus predigen werde. Und zwar will ich heute gleich mit dem ersten Hauptstücke, welches das Gesetz Gottes, oder die zehn Gebote, enthält, den Anfang machen. Was das göttliche Gesetz bedeute, warum es Gott gegeben, wie aus dem Gesetz Erkenntnis der Sünde komme, in welchem Verhältnisse das Gesetz zum Evangelium stehe, wie es nur durch das Licht des Evangeliums erst recht verstanden werden könne, was es für einen Sinn und für eine Bedeutung für den wiedergeborenen, erlösten, gläubigen Christen habe, das sind Punkte, die uns freilich sehr nahe liegen und über die wir durchaus die rechte Erkenntnis haben müssen; aber eben diese rechte Erkenntnis darüber wird uns gewiss am sichersten zu Teil, wenn wir gleich an die Betrachtung der Gebote selbst gehen. Mit Gottes Hilfe werdet ihr unter der Betrachtung des Einzelnen zur rechten Erkenntnis des Ganzen kommen, so dass wir am Ende, wenn wir nur wollen, und im Suchen und Bitten und Aufmerken und Nachdenken nicht müde werden, gründlich verstehen werden, was wir eigentlich am ersten Hauptstück unseres Katechismus haben.

Und so sei denn, unter dem Beistande des lebendigen Gottes, die erste Predigt in diesem neuen Kirchenjahr eine Predigt über das erste Gebot.

2 Mos. 20, 2 und 3.
Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe. - Du sollst keine andere Götter haben neben mir.

Luthers Erklärung:
Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Wir bleiben für heute bei der Betrachtung der Worte Gottes im ersten Gebote stehen, die da heißen:

„Ich bin der Herr dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe. Du sollst keine andere Götter haben neben mir.“

I.

Könnten wir noch fragen, wer das ist, der da spricht: Ich bin der Herr dein Gott? Sollten wir, die wir ja doch zum Christenvolke, also zum auserwählten Geschlechte Gottes, zu seinem Eigentum und Erbe gehören wollen, sollten wir Ihn nicht kennen, der heute also zu uns redet: Wer hat dich geschaffen samt allen Kreaturen? wer hat dir Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben? wer nährt und erhält dich täglich? von wem kommt jeder Atemzug und Pulsschlag deines Herzens? und wer hat deine Seele vom Verderben gerettet? wer hat dir deine Sünden vergeben und dich gekrönt mit Gnade und Barmherzigkeit? wer erleuchtet, tröstet, bessert dich? Ich, ich der Herr dein Gott, nicht wahr, so antwortet es in uns, auf alle diese Fragen? Ja, Christen, dieses Sein Ich, mit unauslöschlicher Flammenschrift hat es der Herr in des Menschen Brust gegraben; dieses Sein Ich, mit unvertilgbaren Zügen hat Er es allen seinen Werken eingeprägt. Auf jedes Menschenantlitz hat Er es geschrieben. Er hat es getan, dass wir Ihn suchen sollen, ob wir Ihn doch fühlen und finden möchten, denn Er ist nicht fern von einem Jeglichen unter uns; ja, in Ihm leben, weben und sind wir. Seht, dieses Sein Ich, das Gott der Herr im Alten Bunde auf steinerne Tafeln, im Neuen Bunde aber in die fleischernen Tafeln das Herzens gegraben, dieses Ich, das ist des Menschen einziges, höchstes Gut, das ist seine einzige Ruhe und Freude, darin nur findet er sich und seine Seele, das ist seine Seligkeit. Lebt dieses Ich täglich und stündlich in seinem Herzen, geht dieses Ich ihm über alle Dinge, geht darauf all sein Sinnen und Trachten, gehorcht und dient und lebt er Ihm: dann steht es gut um den Menschen, dann lebt er ein wahrhaftiges Leben, das Leben, wozu der Herr, sein Gott, ihn erschuf. Aber da ist die List und Macht des Seelenfeindes, dass er dem Menschen dieses Ich, dass er ihm den Herrn, seinen Gott, aus dem Herzen gerissen, das ist das Grässliche, das Wesen der Sünde, dass sie Gott, den Herrn, vom Throne stößt, dass sie sein Dasein, seinen Namen, seine Herrschaft, seinen Befehl, seine Anbetung zu vernichten strebt. Feindschaft gegen das göttliche Ich ist alle Sünde; und nach nichts anderem strebt der abgefallene, sündige Mensch, als sein eigenes Ich auf den Thron zu setzen. Selbst klug sein, selbst sich regieren, selbst Gott sein wollen, das ist und tut Jeder, der Sünde tut. Auch wir, meine Freunde, sind in dieser unseligen Feindschaft gegen den Herrn, unsern Gott, begriffen, so lange die Sünde noch über uns herrscht, so lange das eigene Ich das Ziel unseres Sinnens und Trachtens ist. Ja, so lange wir noch nicht entschieden zu uns selbst gesprochen: Hebe dich weg, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten und Ihm allein dienen: so lange nicht der gehorsame, sanftmütige und demütige Christus in uns lebt, so lange sind wir eben so und noch schlimmer daran, wie die Heiden, welche abscheuliche Götzen anbeten, und wie Israel, das trotzige und halsstarrige Volk, von dem der Herr selbst sagen musste: Der Ochse kennt seinen Herrn und der Esel seine Krippe, aber Israel will nicht kennen den Herrn, seinen Gott. Seht, und darum tut es Not, dass in unseren Tagen, wo die Vergötterung des eigenen Ichs in der Welt so frech und schamlos hervortritt, wo die Feindschaft gegen Gott und seine Gesalbten sich so unverhohlen zeigt, wo so Viele nur nach den Gelüsten ihres Fleisches leben und dahin trachten, dass Alles, wo möglich, sich nach ihnen richten solle, wo man das Wort und die Befehle Gottes für eine Beschränkung seiner Freiheit hält, es tut Not, dass jetzt gerade lauter, als sonst, das Wort des Herrn gepredigt werde: Ich, ich bin der Herr, dein Gott! Ach, meine Lieben, lasst uns auf diese Stimme unseres Gottes hören. Prägt sie Euch tief in Eure Seelen, wiederholt Euch und euren Kindern täglich und stündlich dieses Gebot, wenn Ihr Friede haben, wenn Ihr leben und selig werden wollet. Was ist jede Unruhe und Furcht, mit der Ihr euch quält; was ist die Last der Sorgen, unter der Ihr seufzt; was ist die Angst vor der Zukunft, dieses trotzige und fleischliche Sichersein in den Tagen des Glückes, diese trostlose Verzagtheit im Unglück, dieses unstetige Hin- und Herschwanken ohne Halt, ohne Frieden, ohne zu wissen, was man ergreifen, wonach man eigentlich ringen soll, dieses heidnische Scharren und Sammeln für morgen und wie die unzähligen qualvollen Zustände noch heißen, unter denen das Herz des sündigen Menschen täglich und stündlich schmachtet, oft, ohne es selbst einmal zu wissen und zu fühlen, - was ist es anders: als dass der Mensch den Herrn, seinen Gott, nicht im Herzen hat, Ihn nicht hat, in dem allein Ruhe, Friede und Seligkeit ist?

Das eigene Ich, der eigene, verkehrte Wille herrscht in Euch, und darum müsst Ihr unglücklich sein. Nicht den Herrn, Euren Gott, sondern Euer Ich seht Ihr nur in Eurem Leben, Euer Ich nur seht Ihr in Allem, was Euch begegnet; Ihr habt nichts anderes, Ihr wollt nichts anderes, als diese armselige sich selbst betrügende trotzige und verzagte Kreatur, Ihr wollt Euch selbst, darum habt Ihr nichts Rechtes, nichts Genügendes, nichts Wahres, und Bleibendes, nichts, woran Ihr Euch in der Tat und Wahrheit halten, erfreuen und erquicken könnt. Beantwortet Euch diese Frage einmal, meine Lieben: habt Ihr etwas, von dem Ihr mit voller Gewissheit sagen könnt: es wird mich nie verlassen, es wird mir ewig bleiben, mir immer helfen, es wird mich immer trösten, immer erfreuen, es wird mir immer Ruhe und Frieden geben? Macht das, was Ihr Euren Glauben nennt, Euch wirklich selig? Seid Ihr im Innersten eures Herzens selig?

Seht recht zu! Seid Ihr's? Ihr könnt es nur sein in dem Herrn, Eurem Gott. Seid Ihr's nicht, dann ist nur dies die Ursache, dass Ihr Gott nicht habt, dass nur Euer eignes Ich in euch regiert. In keinem Dinge außer Euch liegt die Schuld Eurer Unseligkeit. „In Euch selbst ist sie, die Quelle aller Unseligkeit.“ Übertretung und Verachtung des Gebotes, welches heißt: Ich bin der Herr, dein Gott! das ist die Quelle alles Elendes, das ist die Unseligkeit. So lasst uns denn, meine Freunde, recht oft bedenken, was in diesem Ich des ersten Gebotes liegt und wie an diesem Ich unsere Seligkeit hängt. Lasst uns oft zusehen, welches Ich in uns lebt, welches Ich wir suchen, welchem Ich wir dienen und leben. Es heißt: Du sollst keine andere Götter haben neben mir, neben dem göttlichen Ich. Die Erhebung und Vergötterung des eigenen Ichs, das ist der gräulichste Götzendienst; denn er seht nicht einen Götzen neben Gott, er setzt sich selbst, die sündige, elende Kreatur, an Gottes Stelle. O, meine Lieben, flieht vor dem Gräuel solches Götzendienstes.

II.

Doch Gott, der Herr, spricht in dem ersten Gebote weiter: Ich bin der Herr, dein Gott. Unser Gott ist kein toter Gott, unser Gott ist ein lebendiger Gott. Was Er von Ewigkeit her war, der Gnädige, Barmherzige, Freundliche, die Liebe selbst, aber auch der Allmächtige, der da tun kann, was Er will, der Heilige, der die Sünde hasst, der Gerechte, der alle Übertretung straft mit furchtbarem Gericht, ein verzehrend Feuer allen unbußfertigen Sündern: - das, das ist der Herr, unser Gott, noch jetzt. Keine Blume ist verblüht, der Herr des Todes hat sie geknickt, kein Menschen-Auge, gestern und heute, ist gebrochen, Er hat es gewollt und getan. Kein Sperling fällt vom Dache, kein Haar von unserem Haupte, Er heißt sie fallen. Ja, so wahr Ihr Leben und Odem in Euch fühlt, so wahr es sich in Euch regt, so wahr Ihr den Pulsschlag Eures Herzens vernehmt, - Gott, der lebendige Gott, ist da. Er ist nicht fern von einem Jeglichen unter uns: Er ist mitten unter uns. Und nun, mein Christ, glaubst Du es auch, dass er jetzt in dein Herz sieht, dass Er es weiß, warum Du hierhergekommen, dass Er es weiß, ob Du Ihn und nur Ihn allein von Herzen suchest? Glaubst Du es, dass so lebendig seine Liebe ist, mit der Er Dich bis heute verschont und getragen, dass so lebendig auch sein Zorn ist über die Seele, die in ihrer Sünde und Gottlosigkeit beharret? Glaubst Du es, dass sein allsehendes Auge, wie es jeden Gedanken Deines Herzens gesehen, jeden Schritt deines Lebens begleitet, dass es auch heute so von hinnen Dich nach Hause begleiten und heute und morgen unverwandt auf Dein Denken und Tun gerichtet sein wird? Wirst du nun das heidnische, gottlose Sorgen und Rennen und Verzagtsein lassen? Wird Dich, bei jedem Schritte, bei Allem, was Du tust, das Bewusstsein seiner Gegenwart begleiten? Wirst du bei Allem, was Du redest und tust, Dir sagen: Gott der lebendige Gott sieht mich, Er hört mich, im Augenblicke kann er mich verderben. Wirst du den Herrn, Deinen Gott, Deinen lebendigen Gott, fürchten über alle Dinge? Bes antwortet Euch doch einmal diese Fragen, meine Freunde Seht zurück, wie war es das letzte Mal, als Ihr von hinnen ginget? Ist es nicht so, dass gar Manche, sobald sie aus dem Gotteshause treten, des Herrn, ihres Gottes, vergessen? Hier fühlt man vielleicht noch etwas von dem, dass Er ist und lebt; aber wie bald ist das Bewusstsein davon abgeschüttelt, wie bald hat man sich des Gedankens an ihn entledigt! Ja, man ist froh, dass man, sobald man nur draußen ist, eben an Ihn nicht zu denken braucht. So geht es denn von einem Tage zum andern im eigenen Denken und Treiben fort, als ob kein Gott da wäre. Was nun kommt, was einem in der Welt und im Hause begegnet, das hat alles seine eigenen Gründe; aber es kommt einem nichts von dem lebendigen Gott. Man hat wohl so etwas im Kopfe von einem lebendigen Gotte; aber weder lebt einem der wahre Gott im Herzen, noch ist er bei der Arbeit und im Berufe und im Hause zu finden. Da ist Gott nicht, da ist er für einen tot. O Christen, seht doch einmal recht genau in Eure Verhältnisse, in Eure Häuser und auf Euer tägliches Tun und Treiben. Lebt der darin, der da spricht: Ich bin der Herr, Euer Gott? Wahrlich, es stände um die Gewissenhaftigkeit und Treue, es stände um Gottesfurcht und Frömmigkeit, es stände um die Kinderzucht und Hausandacht anders, wenn der Glaube an den lebendigen Gott in den Herzen und Häusern wohnte. Tot, tot ist der Glaube an Gott noch in den meisten Seelen! Statt den lebendigen Gott zu fürchten, liebt man einen toten Gott, einen Gott, der Nichts straft, der Allem nachsieht, der Alles gehen lässt, wie es gerade gebt. Seht, das ist die List und Macht des Seelenfeindes, dass, wenn er mit seinem Ich nicht ganz und gar das göttliche Ich aus dem Menschen verdrängen kann, dass er dann wenigstens doch den Glauben an den „lebendigen Gott aus des Menschen Brust reißt,“ und weil der Mensch einmal einen Gott haben muss, einen toten ihm an die Stelle setzt. Das ist das Grässliche, das Wesen der Sünde, dass sie sich jeden Gedanken an den lebendigen Gott aus dem Sinne schlägt, dass sie an einen solchen Gott nicht glauben will und mag. Mit hohlen Worten und Redensarten betrügt sie den Menschen, bringt ihn wohl auch dahin, dass er Gott mit seinen Lippen und mit ein paar Gedanken ehrt, „indes sie doch sein Herz fern von ihm hält. Meine Lieben, flieht vor solchem Götzendienste, denn auch er ist in unserer Zeit leider nur zu oft zu finden. Sagt, die Ihr zum Gotteshause kommt, um Gott, den Herrn, anzubeten, nehmt Ihr den lebendigen Gott, der hier in seinem Worte zu Euch redet, auch mit nach Hause und an Eure Arbeit? Lebt und redet Ihr mit Ihm? Seht Ihr seine Hände, sein Tun und sein Wirken in Allem was Euch begegnet? Vernehmt Ihr alle Tage und Stunden seine Stimme, seinen Willen, seine Befehle? Habt Ihr Ihn täglich zu loben, zu danken, zu preisen, oder Ihm doch zu klagen, Ihn doch zu bitten? ich bitte Euch, denkt nicht so leichtfertig über das erste Gebot! Glaubt ja nicht, das gehöre nur in die Kinderschule; denkt ja nicht, dass Ihr schon darüber hinaus seid. Ich sage Euch, wir haben unser ganzes Leben lang darin zu lernen nur an dem Einen: Ich bin der Herr Dein Gott! an dem Einen: Ach, dass unser Gott kein toter Gott, sondern ein lebendiger Gott ist. Hört, was unser Katechismus-Vater, Luther, sagt: „Schon Monate sitze ich mit meinem Weibe und meinen Kindern über dem ersten Gebote und kann es nimmer recht erfassen und kann es nimmer recht ergründen, was für Wunder der Wahrheit und Weisheit Gottes darin. Ja, ich sehe nur an diesem Einen Gebote, wenn ich es recht bedenke, was für ein gottloser und abscheulicher Sünder ich bin, und wo Gott mir nicht in seinem Sohne alle meine Sünde gegen dies Eine Gebot vergeben, wäre ich schier verloren und müsste zur Hölle fahren.“

So dachte Luther beim ersten Gebote. Und was denkt Ihr?? - Doch lasst uns weiter sehen, ob wir nicht eben so werden denken müssen.

III.

Ich bin der Herr, so heißt es in dem ersten Gebote weiter. Das ist also unser Gott, der einige Herr des Himmels und der Erde, der König der Könige, der Herr aller Herren, der Schöpfer und Gebieter aller Kreaturen. Ihm allein soll Alles gehorchen; Ihm soll Alles dienen; vor Ihm allein soll Alles sich beugen; Ihn soll Alles anbeten, was im Himmel und auf Erden ist, so will Er es, so befiehlt er es in dem ersten Gebote. Und sein Wille und Befehl ist aller Kreaturen Seligkeit. Nur in seinem Reiche, nur unter seiner Herrschaft findest Du, Mensch, Dein Glück, Deine Ruhe, Deinen Frieden und Deine wahre Freiheit. Wie? Und doch sprichst Du von Deinen irdischen Gütern und Gaben: sie sind mein; von Deinen Kräften und Fähigkeiten: sie sind mein; von deinen Kindern: sie sind mein, mir muss das Alles dienen und gehorchen, ich habe darüber zu befehlen und zu verfügen. Von diesem und jenem, was Du ausgerichtet, sagst Du: das ist mein Werk, mein Verdienst; Du sprichst von Deinem Einfluss und von Deiner Macht; Du denkst in Deinem Herzen: ach, diese Sorge liegt auf mir, von mir allein hängt jenes Alles ab, mir ist es auf die Schulter geladen; dies und das, den und jenen fürchtest Du, als ob der und jener, oder dies und das, Dein einiger Herr wäre. Auf eine armselige Kreatur siehst Du, vor ihr beugest Du Dich, von ihrem Einflusse hoffst oder fürchtest Du, als ob Du von ihr abhingest. Du buhlst um Menschengunst, Du fürchtest Dich, der Welt zu missfallen, Du lobst ihre Torheiten, von ihren verkehrten Meinungen, von ihren Vorurteilen machst Du Dich abhängig, oder Du frönst und dienst dem Gelüste Deines Herzens, der Sünde gehorchst Du wie ein Sklave, und kommt der Sohn Gottes und will Dich frei machen davon, so sprichst Du wohl gar: Ich bin mein eigener Herr, es hat mir Niemand zu befehlen, so will ich nun einmal glauben, so will ich leben, ich will nichts vom Evangelium, nichts vom heiligen Geiste. Christen, kennt Ihr diese Sprache? Sie ist die Sprache des gottlosen, unbekehrten Menschenherzens, - die Sprache unseres Zeitgeistes, der sich so großer Aufklärung und Fortschritte in der Gotteserkenntnis rühmt. Armselige Aufklärung, welche die Elemente der Gotteserkenntnis nicht einmal begreifen kann! Doch es ist mehr als Nichtbegreifenkönnen, es ist ein Nichtwollen.

Seht auch hier die List und Macht des Seelenfeindes, den grässlichen Betrug der Sünde. Das Gefühl des Geschöpfes, das Gefühl der unbedingten Abhängigkeit von Gott, den Gehorsam, die Beugung und Erniedrigung vor Ihm, das reißt sie dem Menschen aus seiner Brust. In seinem Abfall und in seiner Sünde empört sich der Mensch gegen Gottes Majestät, raubt Ihm die Ehre und macht sich selbst zum Herrn, zum Herrn über sich, zum Herrn Alles dessen, was ihm in die Nähe kommt. Ein grässlicher Wahn! Nichts, nichts in der weiten Welt gehört Dir, armer, elender Sünder, nicht einmal die Handvoll Erde, die dich bedecken wird. Kein Atemzug, kein Pulsschlag ist Dein, und doch taumelst Du im Wahn eines Besitzes und trunken von Herrscherlust dahin! Einen Wahnsinnigen, der sich für einen König hielte und mit papierner Krone und allerlei Flitterwerke behängte, den würden wir bedauern, ja beweinen, nicht wahr, meine Freunde? Nun, weint nicht allein über ihn, weint über Euch selbst, so lange noch etwas von jenem Wahnwitz der Welt in Euch ist. Ja, meine Lieben, flieht vor solchem Götzendienste. Gott hat ihn fürchterlich schon hier auf Erden und auch in unseren Zeiten bestraft. Ich bin der Herr und gebe meine Ehre keinem anderen, noch meinen Ruhm den Götzen. So spricht unser Gott, und was Er spricht, das weiß Er durchzuführen. „Willst Du nicht mit Freuden und willig Ihn als Deinen alleinigen Herrn anerkennen, so musst Du es einst mit Heulen und Zähneklappern!“

Doch, das will der Herr nach seinem innersten Herzen nicht, Er will keine zitternden und gedungenen Knechte, Er will von einem Volk des Eigentumes, von Kindern will Er angebetet sein, froh und frei. Er will, dass wir seine Herrschaft als eine beseligende anerkennen, dass wir in der Abhängigkeit von Ihm nur Friede und Freude, dass wir mehr haben sollen, als wir bitten und begreifen können. Seht, darum sagt er in seinem Gebote nicht allein,

IV.

Ich bin der Herr, sondern auch: Ich bin der Herr, dein Gott. Hast Du es schon bedacht, o Seele, was in diesem Worte liegt: der Herr des Himmels und der Erde, der Ewige und Allmächtige, Er ist mein Gott, Er ist unser Gott? Gott, das ist so viel, als das höchste Gut. Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz gekommen, das ist Gott, das hat Gott. Und das will er Dir geben, Er will sich selbst Dir zum Eigentume geben, denn er sagt: Ich bin der Herr, dein Gott. Zwar liegt auch ein fürchterlicher Ernst in diesem Worte: Mir, mir gehörst du lebend und tot, in meine Hände musst du fallen, nirgends kannst du hinfliehen vor meinem Angesichte, denn ich bin der Herr, dein, dein Gott. - Aber hat der Herr nicht auch sein ganzes liebendes und erbarmendes Vaterherz in dieses Wort gehaucht? Ich bin dein Gott, heißt das nicht auch: Siebe, ich will dich nicht behandeln wie einen armen Knecht, den sein Herr kaum eines Blickes würdigt? Ich will mich um dich kümmern, ich will für dich sorgen, ich will dich tragen, wie eine Mutter ihr Kind in ihren Armen trägt; und kann auch die Mutter vergessen ihres Säuglings, dass sie sich nicht über den Sohn ihres Leibes erbarme? vergäße sie sein, ich will dein nicht vergessen, denn ich bin dein Gott. Zu mir kannst du kommen jede Stunde; mit mir kannst du reden zu jeder Zeit; was dich drückt, was dich quält, alles kannst du mir sagen, um Alles kannst du mich fragen, Alles kannst du bitten. Alles, was ich habe, ist dein. In jedem Augenblicke kannst du von mir nehmen Gnade, Leben und Seligkeit.

Christen, wenn ein weltlicher Monarch so spräche, wie viele würden sich alle Tage finden, die kämen und zugriffen. Und doch was kann ein weltlicher Monarch geben, was ist sein? Nun aber spricht der Herr des Himmels und der Erde, dem Alles gehört: Ich bin dein Gott, wie viele sind da, die kommen und nehmen? wie viele sind's, die nach dem höchsten Gute greifen? Ach, das ist der Fluch der Sünde, dass sie nach dem höchsten Gute nicht verlangt, das ist die List und Macht des Seelenfeindes, dass er das höchste Gut der Seele zu dem Geringsten verkehrt, und das Geringste, die Scheingüter der Welt, zu dem Höchsten. „Tröstet doch einmal einen Armen mit Gott, er mag es nicht hören, - ein Stück Geld ist ihm mehr wert.“ Seht doch einmal in die Herzen der meisten Wohlhabenden, ob sie von ihrem Erdengute und ihrer Weltlust lieber lassen, als von dem höchsten Gute. Das goldene Kalb der Augenlust und Fleischeslust und Hoffart, das, das ist ihr Gott. Ja das ist das Sinnen und Trachten des sündigen Menschen, dass er sein Herz an alles andere lieber hängt, als an Gott, dass er alles andere lieber mein“ nennt, als das höchste Gut. Das ist das Tun des sündigen Menschen, dass er den fürchterlichen Ernst des Wortes: Ich bin dein Gott, sich aus dem Sinne schlägt, sich nicht kümmert um Ihn, nach Ihm nicht fragt. Das ist der unselige Zustand des verderbten Menschenherzens, dass es Gott Gott sein lässt und nicht mit Ihm redet, nicht bittet, nichts von Ihm nimmt. Und möchte es auch kommen und nehmen, da kann es wieder nicht glauben, dass Gott sein Gott ist. Was sollte der Herr des Himmels und der Erde sich wohl um mich kümmern? Er hat einmal Alles nach Gesetzen geordnet, so muss es gehen. Er wird doch mit mir keine Ausnahme machen; er wird doch an mir kein Wunder tun. Dafür hat er dem Menschen ja Verstand und Vernunft gegeben. Schwärmerei ist alles Bitten. So denkt und redet das verderbte Menschenherz. Oder geht Einem das Wasser bis zur Kehle, dann heißt es: Ja, wenn ich würdiger, wenn ich besser wäre, dann könnte Gott wohl mein Gott sein und ich könnte ihn bitten, - aber so kann ich es ja gar nicht glauben.

Seht, das ist das gewöhnliche und tägliche Denken und Sprechen des Menschenherzens. Und es kann nicht anders sein, denn so spricht der Herr selbst: Eure Sünde und Untugend ist es, die Euch von mir trennt. Ja die Sünde, das ist die Scheidewand, die uns trennt von dem Herrn, unserem Gott. Dem unversöhnten Herzen ist das selige Gebot: Ich bin der Herr, dein Gott! nur ein Schrecken, ein Ekel ist es ihm, oder nur ein totes Wort, ein leerer Schall. Es kann und darf der sündige Mensch aus sich selbst nicht sagen: Mein Gott! und dabei frohlocken. Er kann es nicht glauben, er kann nicht darnach tun; und wähnet er es dennoch, so betrügt er sich selbst; einen toten Götzen nennt er seinen Gott, aber nicht das höchste Gut. Siehe, das ist es, warum Du Dein Herz an alles andere lieber hängst; das ist es, warum Du vielleicht heute in einer Stunde schon den lebendigen Gott vergessen; das ist es, warum Du weder heute Abend noch morgen früh mit dem Herrn reden, Ihn suchen, Ihn fragen und aus Ihm nehmen wirst; das ist es, warum Du nichts von der Seligkeit in Ihm schmeckst; das ist es, Du kannst nicht von ganzem Herzen sagen: Mein Herr und mein Gott! Denn Du bist ein Sünder, Du bist getrennt von Ihm, dem höchsten Gute.

V.

Seht, meine Freunde, so steht es mit uns Allen von Natur; so stehen wir Alle, wie wir aus uns selbst sind, zu Gott, dem Herrn. Und wir wären verloren in Ewigkeit, wenn der Herr nur befohlen hätte: „Ich bin der Herr, dein Gott!“ und uns dabei gelassen. Nein, schon zu Israel sagt der Herr nicht umsonst: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus dem Diensthause geführt habe. Versteht Ihr das? merkt Ihr etwas vom süßen Kerne des Evangeliums gleich beim ersten Worte des Gesetzes? An der Erlösung aus dem Diensthause Ägyptens, daran sollte Israel den Herrn, seinen Gott, erkennen, alle Tage, bis zu dem Tage, wo des Menschen Sohn die Seelen aller Menschen aus einem anderen Diensthause, aus der Gewalt der Sünde, des Todes und des Teufels erretten würde. Und wer war dieser Menschen-Sohn? wer war unser Heiland, Erlöser und Erretter? Er war es, der da spricht: Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andere Götter haben neben mir. Er war es, der wahrhaftige, dreieinige Gott selbst. Wo darum das erste Gebot im Christenvolke den erlösten Seelen gepredigt wird, da sollen sie an keinen anderen Gott denken, als an den Gott, der in Christo unser Fleisch an sich genommen und uns erlöst hat von der Sünde, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blute, auf dass wir in seinem Reiche leben und Ihm dienen. Das ist die evangelische, die christliche, die lutherische Gotteserkenntnis, dadurch unterscheiden wir uns von den Juden und Muhamedanern; das ist die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit; das heißt: Ihr sollt keine andere Götter haben neben mir. Fühlest Du das, erkennest Du das, mein Christ? Erkennest Du das wirklich, wahrlich! dann musst Du frohlockend sagen: Ja, du bist mein Herr und mein Gott!!

Siehe, du hättest z. B. einen Freund der Dich von ganzem Herzen liebte, der Dich alle Tage in seiner Seele trüge, der immer für Dich bäte, Du wüsstest aber gar nicht, dass er Dich wirklich so lieb habe, Du suchtest ihn auch wohl gar nicht, im Gegenteil, Du ließest Dich durch schlechte Freunde von diesem guten Freunde zurückhalten; Du verkenntest, missverständest ihn, ja zuletzt würde Dein Herz ganz gleichgültig, kalt und feindlich gegen ihn; da mit einem Male bist du in Lebensgefahr, Niemand kann und will dir helfen. Da stürzt jener Bekannte sich dir nach, errettet Dich und verliert sein eigenes Leben. Sage, wirst du nun hingehen und diesen Freund vergessen? wirst du vor der Welt verschweigen, was er an Dir getan? wirst Du Dir jeden Gedanken an ihn aus dem Sinne schlagen? Nein, das kannst Du nicht, wenn Du noch ein Herz, wenn Du noch einen Funken Menschengefühl hast. Das, das ist der rechte Freund gewesen, nur der hat mich geliebt! Nicht wahr, so wirst du sagen? Nun, soll ich euch Christen dieses Gleichnis noch deuten! Wehe dem, der den lebendigen Gott nicht als solchen Freund und Retter seiner Seele erkennt! wehe dem, der ihn nicht als seinen Heiland täglich in der Kammer seines Herzens und öffentlich in der Gemeinde lobet und preist! Er hat keinen Gott, er dient dem toten Götzen.

Ja, meine Freunde, malt Euch alle Eigenschaften und Vollkommenheiten Gottes noch so geistreich aus, sprecht noch so viel über die Größe Gottes in der Natur und in den Schicksalen der Menschen, macht Euch noch so viel schöne Bilder von seiner Weisheit und Liebe, von seiner Vorsehung und Vatersorge, es ist Alles hohle Redensart und leerer Schall; es ist mit aller dieser Gotteserkenntnis nichts, wenn Ihr Ihn, den lebendigen Gott, nicht in dem gekreuzigten Jesus Christus erkennt und anbetet. Wahrlich, ich sage Euch, nicht eher werdet Ihr Gott über alle Dinge fürchten, nicht eher lieben und vertrauen lernen, nicht eher versteht Ihr das erste Gebot, als bis ihr den wahrhaftigen Gott und den wahrhaftigen Menschen am Kreuze erkannt. Nur den Gott wird Eure Seele nicht vergessen, vor dem nur werdet Ihr Euch mit Freuden, als vor eurem Herrn beugen; zu dem nur werdet Ihr mit seligem Entzücken und unter Tränen des Dankes und der Freude täglich sprechen: Mein Herr und mein Gott!

Versteht Ihr nun, meine Lieben, was das erste Gebot für den Christen für eine Bedeutung hat? versteht Ihr nun, was das heißt, wenn Gott zu seinem Christenvolke spricht: Ich bin der Herr dein Gott, Du sollst keine andere Götter haben neben mir? O, dass der barmherzige Herr und Gott doch in Euch Allen diesen Verstand und diese Erkenntnis wecken möge! Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/huhn_august/huhn_dekalog/huhn-dekalog-1_predigt_1_gebot.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain