Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Elftes und Zwölftes Kapitel

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Elftes und Zwölftes Kapitel

Das ist nun der letzte Hauptabschnitt des Buches, aus drei Theilen bestehend. Vorangehn, Kap. 11, 1-8, Mahnungen zur Wohlthätigkeit, zur Thätigkeit, zur Fröhlichkeit. Diese letzte Mahnung gestaltet sich dann II, 9-12, 8 zu einem selbstständigen Theil, in dem sie speciell an die Jugend ergeht. Dieser Theil ist berühmt durch seine großartige und anschauliche Schilderung des menschlichen Alters 12, 2-6. Von V. 9 bis 14 folgt dann der Schluß des ganzen Buches, der theils kundgeben soll, wer das Buch geschrieben hat, theils vor andern Büchern warnen will, theils die Hauptsumma dieses ganzen Buches zieht. Dieser Schluß des letzten Kapitels ist, so zu sagen, der Schlüssel zu dem ganzen Buche; er löst vieles Schwierige und Dunkle in dem Buche auf.

Kap. 11, V. 1. Laß dein Brot übers Wasser fahren, so wirst du es finden auf lange Zeit.

Mit einer Aufforderung zur weitherzigen Freigebigkeit beginnt der Prediger den letzten Abschnitt. Sei einem Kaufmanne gleich, das ist der Sinn, der Güter über das Meer sendet und scheinbar Verlust hat, indem er seine Güter einem zweifelhaften Elemente anvertraut, in Wahrheit aber unter Gottes Segen großen Vortheil davon hat. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Verschenktes Brot ist nicht verlornes Brot, sondern ein bei dem Allmächtigen angelegtes Kapital, das gute Zinsen bringt. Denn Almosen geben armet nicht, wie die Vernunft denkt, sondern macht reich. In unsern Tagen der Mission , erleidet dieser Vers auch treffliche Anwendung auf die Barmherzigkeit, die die Christenheit den Heiden schuldig ist. Die Missionsfreunde schicken ja im buchstäblichsten Sinne ihr Brot über Wasser und müssen sich deswegen oft genug von der Welt als thörichte Verschwender schelten lassen; aber sie handeln dem Willen Gottes gemäß, der da gesagt hat: „Du sollst die Fremdlinge lieben,“ und leihen dem Herrn, indem sie den Heiden geben; der Herr aber lasset kein Scherflein unbelohnt.

V. 2. Theile aus unter Sieben und unter Acht; denn du weißt nicht, was für Unglück aus Erden kommen wird.

Die beste Erklärung und Auslegung dieses Verses giebt das Gleichniß vom ungerechten Haushalter Ev. Luc. 16, sonderlich das Wort: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten“ und Psalm 41, 2. 3: „Wohl dem, der sich des Dürftigen annimmt, den wird der Herr erretten zur bösen Zeit. Der Herr wird ihn bewahren und beim Leben erhalten und ihm lassen wohlgehen auf Erden und nicht geben in seiner Feinde Willen.“ Es ist besser, den Armen geben und scheinbar verlieren, als nachher in unglücklichen Tagen einen ungnädigen Gott haben. Ein gottseliger Mann, dem seine weltlich gesinnten Freunde oft seine große Wohlthätigkeit als eine Thorheit vorgeworfen hatten, als mit welcher er sich noch so arm machen werde, daß er auf dem Stroh sterben müsse als ein Bettler, kam zum Sterben. Da sagte er zu diesen Freunden: „O wie ganz anders ist's doch nun gekommen, ihr lieben Freunde, als ihr's gesagt habt. Was ich behalten, das ist jetzt verloren; was ich verschenket, das hab' ich noch. Darum trag' ich Leid nur um das, was ich versagt habe. Vergeb' mir's Gott!“

V. 3. Wenn die Wolken voll sind, so geben sie Regen auf Erden; und wenn der Baum fällt, er falle gegen Mittag oder Mitternacht, auf welchen Ort er fällt, da wird er liegen.

Den Wolken, die sich durch Regen in nichts auflösen, sind die Reichen gleich, die ihr Geld nur für sich selbst verwenden und also keinen dauernden Gewinn davon haben. Wenn sie sterben, sind sie wie der gefällte Baum, der liegen bleibt und die Erde drückt, statt sie durch Schatten und Früchte zu erfreuen. Weh' dem' Becher, der zu Scherben geht und keinen Durst'gen getränkt hat, dem Menschen, der zu sterben geht und Keinem Liebe geschenkt hat. - Alles Nachdenkens werth ist aber auch eine ganz andere gläubige Auslegung dieses Verses, da man erklärt: Der Baum ist der Baum des persischen Reiches, dessen Tage gezählt waren nach dem: Wo das Aas ist, da sammeln sich die Adler. Die Wolken sind die Gerichte des Herrn; auf den Wolken des Himmels kommt der Herr; diese Wolken sammeln sich; so soll die Frage im Herzen lebendig werden: Wie soll ich dich empfangen und wie begegn' ich dir? Und da wird nun als Präservativ die Mildthätigkeit empfohlen. Im Angesichte großer Katastrophen am Mammon zu hängen, der ein solcher der Ungerechtigkeit ist, sobald man eine andre Stellung zu ihm einnimmt, als die eines Verwalters, ist eine gefährliche, beklagenswerthe Thorheit. Der ungewisse Reichthum ist da noch weit ungewisser, als in gewöhnlichen Zeiten.

V. 4. Wer auf den Wind achtet, der säet nicht, und wer auf die Wolken siehet der erntet nicht.

Mit der Freigebigkeit soll rastlose Thätigkeit Hand in Hand gehn, wie dazu in umgekehrter Ordnung der Apostel vermahnt Eph. 4, 28: Der Christ soll arbeiten und schaffen mit den Händen etwas Gutes, auf daß er habe zu geben den Dürftigen. Unter Israel war zu jenen Zeiten der Geiz mit verzweifelnder Untätigkeit verschwistert; kämpften die ersten drei Verse dieses Kapitels gegen den Geiz, so muß dieser Vers gegen die Unthätigteit kämpfen. Auf den Wind achten, auf die Wolken sehen ist so viel als mit solchen Dingen sich beschäftigen, die nicht in des Menschen Berechnung und Hand liegen. Statt sich solchen unfruchtbaren Grübeleien hinzugeben, soll der Mensch vielmehr mit Eifer den von Gott ihm gegebenen Beruf ausrichten.

V. 5. Gleichwie du nicht weißt den Weg des Windes und wie die Gebeine in Mutterleib bereitet werden, also kannst du auch Gottes Werk nicht wissen, das er thut überall.

Schilderung der Verwerflichkeit und Thorheit des Vornehmens derer, die mit Gewalt die geheimnißvollen Wege Gottes und der Dinge Ursinn ergründen wollen. Gott läßt den Wind aus heimlichen Oertern kommen Psalm 135, 7; so hört der Mensch sein Sausen wohl, aber er weiß nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt Ev. Joh. 3, 8. Gottes Hand war über dem Menschen im Mutterleibe und hat ihn wunderbarlich bereitet Psalm 139, 13. 14; wir können dem Herrn in seinen Werken nur „von hinten nachsehen“ 2 Mose 33. 23. Alles Werden in der Natur entzieht sich unserer Beobachtung und ebenso eigentlich auch alles Aufhören. Der Herr ist in seinem tiefsten Walten unerforschlich, und auch die tiefsinnigsten Denker können unerklärliche Dinge nicht erklären. Es gilt zu glauben und im Glauben zu handeln und zu arbeiten.

V. 6. Frühe säe deinen Samen und laß deine Hand des Abends nicht ab: denn du weißest nicht, ob dies oder das gerathen wird; und ob es beides geriethe, so wäre es desto besser.

Während die Schrift das aus dem Unglauben kommende Jagen, Rennen und Häufen, das sich plagt, als ob kein Gott wäre, auf das Entschiedenste verwirft, so verwirft sie doch andrerseits such ebenso entschieden eine gewisse Afterart der Gläubigkeit, die die Hände in den Schooß legt und auf ihren Lorbeeren schläft. Die Schrift lehrt eine Gottesfurcht, die munter und unverdrossen die Dinge des irdischen Berufes treibt; der frömmste Christ ist auch, der fleißigste Arbeiter. Das Gerathen der Arbeit aber steht bei Gott; geräth es nicht, so hat der fromme Arbeiter sich unter Gottes gewaltige Hand zu beugen; geräths und geräth es unter Gottes Segen doppelt, so sei der gottselige Arbeiter gutes Muths und singe Psalmen. Es giebt eine abweichende, aber des Nachdenkens werthe Auslegung, die V. 4-6 nicht als Mahnung zur Thätigkeit, sondern als Fortsetzung der Mahnung zur Wohlthätigkeit auffaßt. Wie derjenige, so deutet man sich's dann, welcher allzu bedenklich ist im Säen des Samens, vor lauter ängstlicher Vorsicht die rechte Saatzeit versäumt und am Ende nichts erntet, so beraubt sich auch der, der allzubedenklich ist im Wohlthun, des Segens, welcher der Barmherzigkeit verheißen ist. Daher solle man unermüdet sein im Wohlthun frühe und spät, wie der unverdrossene und unverzagte Säemann des Morgens und des Abends säet. Geräth das Eine nicht, so doch das Andre; also je reichere Saat, desto reicherer Segen. Es ist das zum Theil der Gedanke, den ein neuerer Dichter also ausdrückt:

Mich reut kein Scherflein, das am Weg der Arme,
Im Bett' ein Kranker - ungeprüft - empfing,
Daß durch ein Antlitz, trüb und bleich von Harme,
Wie Sonnenblick ein flüchtig Lächeln ging;
Und warf ich manchmal auch mein Brot in's Wasser,
Gott selbst im Himmel füttert manchen Wicht;
Mich macht ein Schelm noch nicht zum Menschenhasser:
Es reut' mich nicht!

V. 7. Es ist das Licht süße, und den Augen lieblich die Sonne zu sehn.

Die aufgehende Sonne durchströmt Leib und Seele mit eigenthümlichen frohen Empfindungen; daher ist unter allen Völkern der Sonnenschein und das Licht das Bild des Glücks und des Wohlseins; und in der Schrift heißt deswegen der Herr, unser Gott, als die Quelle alles Wohls und Heils, selbst die Sonne, und wir singen: Sonne, Wonne, himmlisch Leben willst Du geben, wenn wir beten, zu' Dir kommen wir getreten. Der Verfasser beginnt mit diesem Verse seine Schlußermahnung zur gottseligen Fröhlichkeit. Das Leben unter der Sonne an und für sich hat trotz alles Elends und Mühsals so viel Freudenreiches, daß sich Jeder versündigt, der Kopfhängern und Sauersehen für die nothwendigen Äußerungen gottseliger Gesinnung ausgiebt. Es muß vielmehr wahre Gottseligkeit immer verbunden sein mit dankbarer Hinnahme des Sonnenscheins, den der Allbarmherzige auch über das ärmste Leben breitet. Galt das schon für die alttestamentliche Zeit, wie viel mehr haben Christen alle Ursach als die Traurigen allezeit fröhlich zu sein! Der Seelenbräutigam ist bei ihnen alle Tage bis an der Welt Ende, und wie können die Hochzeitsleute fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist?

V. 8. Wenn ein Mensch lange lebet und ist fröhlich in allen Dingen, so gedenket er doch nur der bösen Tage, daß ihrer so viel ist; denn Alles was ihm begegnet, ist eitel.

Es ist vielmehr zu übersetzen: Aber wenn ein Mensch lange Jahre lebet, so sei er fröhlich in ihnen allen und gedenke der Tage der Finsterniß, daß ihrer viel sein werden; denn Alles, was da kommt, ist eitel. Die Mahnung zum fröhlichen und dankbaren Genießen des gegenwärtigen Lebens erhält hier eine Begründung von ganz und gar alttestamentlicher Art, die für uns, die wir im Lichte des neuen Testamentes leben, hinfällig geworden ist. Wir wissen durch den Sohn Gottes und seine Apostel, daß die zukünftigen Tage, die Tage der andern Welt, für die Erlösten tausendmal köstlicher sind, als die Tage unter der Sonne, die Leiden dieser Zeit sind nicht werth der Herrlichkeit, die einst an uns soll geoffenbaret werden; die alttestamentlichen Frommen aber, denen noch nicht der Fürst des Lebens erschienen war, konnten sich wohl hin und wieder auf dem Grunde göttlicher Andeutungen zu den großartigsten Ahnungen von der Seligkeit nach dem Tode erheben, mußten aber im Ganzen und Großen eine trübe Grundanschauung von dem Reiche der Abgeschiedenen haben. Aus dieser trüben Anschauung heraus begründet hier der Verfasser seine Mahnung zur gottseligen Lebensfreude: Freue dich, gottesfürchtige Seele, des Sonnenscheins in diesem Leben; denn jenes Leben ist dunkel. - Vielmehr aber können gläubige Menschen des neuen Bundes sich des Fröhlichen in diesem Leben erfreuen, weil es ihnen ein Angeld ist auf die zukünftige Freude und Wonne der seligen Ewigkeit. Ach, denk' ich, bist du hier so schön und läßt es uns so wohl ergehn auf dieser armen Erden; was will's doch erst nach dieser Zeit dort in der sel'gen Ewigkeit und güld'nem Schlosse werden!

V. 9. So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und laß dein Herz guter Dinge sein in deiner Jugend. Thue, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, daß dich Gott um dieses Alles wird zu Gericht führen.

Unsre gewöhnlichen Bibelausgaben ziehen diesen und den folgenden Vers mit richtigem Takt schon zum folgenden Kapitel. Denn es beginnt mit diesem Verse trotz seines engen Zusammenhangs mit dem Vorhergehenden allerdings etwas Neues, das sich im letzten Kapitel fortsetzt: eine gewaltige ergreifende Mahnung für das junge, aufblühende Geschlecht, der Weisheit zur Gottseligkeit sich hinzugeben. Der Trübsinn, das Sauersehen, das Verzweifeln am Leben hatte unter dem langen Drucke der Heiden nicht blos das Alter, sondern selbst die Jugend, die Hoffnung der künftigen Zeiten, ergriffen. Darin sieht der Prediger mit Recht die allergrößte Gefahr für sein Volk und läßt daher seine Lehre und Warnung gipfeln in einer Predigt an die Jünglinge. Er fordert die Jünglinge auf, fröhlich zu sein. Es muß eine wunderbare, ganz schrecklich gedrückte Zeit gewesen sein, in der diese Aufforderung nöthig war. Heutzutage könnte eine solche Mahnung überflüssig erscheinen; denn die Jugend unsrer Tage ist nur mehr denn zu fröhlich. Allein diejenige Fröhlichkeit, die der Prediger meint, ist doch auch gar nicht so häufig in unsern Tagen. Ei meint ja nicht die weltliche Ausgelassenheit, die sich um Gott und das Gericht nicht kümmert, sondern er meint die echte Jünglingsfreude in der Furcht des Herrn. Freue dich, so sehr du kannst, nur gieb dabei Acht auf das Gericht des Herrn, so predigt der Prediger. Die Jünglinge sollen sich also freuen, aber so, daß ihre Freude eine Ehre Gottes ist. Sie sollen sich ergötzen, aber so, daß sie mitten aus ihrer Ergötzung sich vor Gottes Angesicht hindenken können. Sie sollen sich freuen, aber so, als ob sie mitten aus der Freude vor Gottes Gericht abgerufen würden. Solche Freude ist rar, auch dermalen. Um so mehr soll man unsrer Jugend den Prediger Salomo in die Hände geben, auf daß sie aus diesem köstlichen Buche Anleitung empfangen, sich von aller unerlaubten Freude, die den Jammer gebiert, zu bekehren zu der heiligen Fröhlichkeit im Herrn, die aus dem Leben erzeugt ist und Leben gebiert.

V. 10. Laß die Traurigkeit aus deinem Herzen und thue das Uebel von deinem Leibe, denn Kindheit und Jugend (wörtlich: Morgenröthe) ist eitel.

Wer seine Jugend vertrauert, versündigt sich ebenso an seinem Gotte, als wer seine Jugend in Lüsten verschwendet. Gott hat uns die Maienzeit, auch die Maienzeit des Lebens, nicht dazu gegeben, daß wir sie hinter verschlossenen Fensterladen verschlafen und verträumen. Je eilender das Morgenroth des Lebens dahineilt, desto sorgsamer sollen wir seine Strahlen sammeln. Wir sollen unser Gott nicht betrüben durch thörichte Mißachtung seiner Gaben, Der Prediger mahnt daher die junge Welt, den ihr bestimmten Theil am Lebensglück in frommer Dankbarkeit hinzunehmen.

Kapitel 12

Kap. 12, V. 1. Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die Jahre hinzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht.

Des Schöpfers gedenken, das ist nicht der Gegensatz, sondern die nothwendige Grundlage aller wahren jugendlichen, aller wahren menschlichen Freude. Das Gedenken an Gott, wenn es gleich zunächst für die sündige Seele Unruhe mit sich bringt, ist doch immer im letzten Ende Seligkeit, die Seligkeit, ohne die auch die gerühmteste Freude ohne Lack und Schmack ist. Es ist bemerkenswerth, daß es nach dem Hebräischen eigentlich heißt: Gedenke an deine Schöpfer! In der Einheit des Schöpfers ist eine Mehrheit angedeutet; das neue Testament erst macht diese und ähnliche Andeutungen des alten Testamentes durch die Lehre klar, daß der Name Schöpfergott ebensowohl dem Sohn und Geist, als dem Vater zukommt. Die Jahre, die uns nicht gefallen, sind nach dem Folgenden die Jahre des gebrechlichen Alters.

V. 2. Ehe denn die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden, und Wolken wiederkommen nach dem liegen.

Es folgt nun bis V. 6 hin eine Zeichnung der Gebrechlichkeit des Alters mit lebendigen Farben, offenbar um der Mahnung: „Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend“ rechten Nachdruck zu verleihen. Der frischen Jugendzeit gegenüber ist das Alter die trübe Zeit in der sich die zerstörende Arbeit des Todes vorbereitet. Die Augen werden dunkel vor Alter, daß ihnen die Lichter des Himmels nicht mehr helle leuchten; die Stimmung, der Himmel des inneren Lebens, wird düster, daß die Wolken auch nach dem Regen, daß auch nach dem Erguß des Schmerzes die Traurigkeit wiederkehrt - es gilt das in gewissem Sinne nicht blos von dem glaubenslosen, sondern selbst von dem gläubigen Alter; denn je näher die Heimath, desto steiler die Berge. Es ist zu vergleichen das Wort des Herrn an Petrus Ev. Joh. 21. 18: Da du jünger warest, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wo du hin wolltest, wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein Andrer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.

V. 3. Zur Zeit, wenn die Hüter im Hause zittern und sich krümmen die Starken und müßig stehen die Müller, daß ihrer so wenig geworden ist und finster werden die Gesichter durch die Fenster.

Das Haus ist der Leib. Die Hüter sind die Arme, die den Leib gegen Angriffe von außen sichern, sie zittern vor Altersschwäche; wenn der Mensch im Vollgefühl der jugendlichen Kraft zuversichtlich gegen das stürmende Leben ankämpfen kann, so muß er, wenn die Leibeshütte zusammenbricht, die Waffen strecken und den Kampf einstellen. Die Starken sind die Füße, welche den Leib tragen, sie krümmen sich und der Mensch muß zum Stabe greifen, um die schwach gewordnen „Starken“ zu unterstützen. Die Müller sind die Zähne, und diese sind müßig, sie feiern, weil die Alten Vieles nicht mehr beißen können und überhaupt wenig essen. Die Gesichter sind die Augen, die Fenstern sind die Wimpern: die Augen schauen trübe. „Aus den trüb gewordnen Fenstern schauen finster gleich Gespenster die Gesichter in die Welt, die zerbröckelt und zerfällt.“

V. 4. And die Thüren auf der Gasse geschlossen werden, daß die Stimme der Müllerin (muß heißen: der Mühle) leise wird und erwachet (oder: und er sich erhebt), wenn der Vogel singet, und sich bücken alle Töchter des Gesanges.

Die Thüren sind die Lippen, sie bleiben verschlossen; denn die Stimme der Mühle d. i. des Mundes senkt sich bis zum Ton eines kleines Vogels; die Tochter des Gesanges sind die Lieder, sie bücken sich, sie tönen nur noch leise; der nicht genießende Mund ist auch ein schweigsamer Mund geworden. Andre legen also aus: Die Thüren sind die Ohren, welche die Eindrücke aus der Außenwelt empfangen, die Mühle der Mund; die Alten können schlechter vernehmen und sich schlechter vernehmlich machen. Sie stehen zwar auf, wenn der Vogel singt, d. h. früh - das Alter hat wenig Schlaf -, aber die Stimme des Vogels findet in ihnen selbst keinen Wiederhall; die Töchter des Gesanges d. i. die singenden Qualitäten sind in ihnen erstorben.

V. 5. Daß sich auch die Hohen fürchten und scheuen auf dem Wege (Auch vor dem Hohen fürchten sie sich, und Schrecken sind auf dem Wege, heißt es wörtlich), wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke beladen wird und alle Lust vergehet; denn der Mensch fahret hin, da er ewig bleibet, und die Kläger gehn umher auf der Gasse.

Das Alter fürchtet sich vor dem Hohen, das ist, das Steigen ist ihm beschwerlich, durch Schwerfälligkeit der Bewegung bleibt der Greis auf den nächsten, engen Raum beschränkt. Schrecken sind auf dem Wege, die Alten sind im Bewußtsein ihrer Schwäche zaghaft, und, sehen selbst da Gefahren, wo keine sind. Es blüht der Mandelbaum, unter allen Bildern dieser Verse ist dies das vieldeutigste und am verschiedensten gedeutete. Der Mandelbaum ist nach dem Hebräischen „der Wachebaum,“ er blüht unter den Bäumen des Morgenlandes zuerst, wacht zuerst aus dem Winterschlafe auf. Man meint nun, er stehe hier als Bild des im Alter weiß werdenden Haares oder als Bild des frühen Aufwachens, der mit dem Alter verbundenen Schlaflosigkeit. Eine andre doch fast zu nüchterne Erklärung dieses räthselhaften Bildes ist: Das Alter, verschmäht selbst eine der köstlichsten Früchte, die Mandel. Man verwirft aber auch gänzlich das Wort „blühen“ und übersetzt: „wenn der Mandelbaum verachtet wird,“ das heißt dann: wenn die rosige Jugendzeit in's verachtete Alter getreten ist: Die Heuschrecke ist beladen, das ist wohl: der Rücken krümmt sich oder auch: die Glieder, mit denen der Mensch sich emporhebt, versagen ihren Dienst. Andrej übersetzen: „Die Heuschrecke wird lästig“ und deuten die belästigende Heuschrecke auf die dem Leben feindlichen Mächte, die das Alter aufreiben. Alle Luft vergehet heißt entweder: das Begehren ist dahin oder: die Kapperbeere springt auf. Der Kappernstrauch ist ein Zierstrauch der wärmeren Länder und hat eichelförmige, sehr gewürzhafte Früchte, die im Reifezustand aufspringen und dann wegen Ueberreifheit nicht mehr zu genießen sind. So ergiebt sich hier der Sinn: Die Kapperbeeren, die sonst den Appetit reizen, haben ihre Wirkung für das Greisenalter verloren: der Appetit ist dahin. Oder aber die Kapper steht als Bild für den Leib, der überreifen, platzenden Kapper gleicht der untaugliche, abgelebte Leib. Alles kündigt im hohen Alter den nahen Tod an, und es nahen sich schon die auf der Gasse umhergehenden Kläger, die den Todten beweinen.

V. 6. Ehe der silberne Strick wegkomme und die goldene Quelle verlaufe und der Eimer zerlechze am Born und das Rad zerbreche am Born.

Der silberne Strick, der abreißt, ist entweder der Lebensfaden oder das Nervengeflecht oder der Athem. Die goldene Quelle, wörtlicher der goldene Oelhalter, aus welchem das Oel in die Lampen des Leuchters hinabfließt, ist das Herz als der Quellpunkt der Lebensthätigkeiten. Der Strick ist von Silber, der Oelbehälter von Gold. Das Leben ist eine edle, werthvolle Gabe Gottes. Der Eimer am Born, der zerlechzt d. i. zerbrochen wird, ist die Herzkammer mit den Adern; das Rad am Bronnen, das zerbricht, bedeutet den aufhörenden Blutumlauf. Von andern Deutungen dieses Verses hat diejenige noch am meisten für sich, nach der durch alle vier Bilder das Athemholen mit einem Ziehbrunnen verglichen wird, der in seinen sämmtlichen Theilen unbrauchbar geworden ist. - Ais dahin geht des Predigers ergreifende, bilderreiche Schilderung des mühseligen Alters. So kümmerlich und kummervoll ist das Alter. Und doch, war nur das Leben von Jugend auf in Gott gegründet, dann ist auch das späte Alter noch gut und köstlich, denn die Entwickelung des inwendigen Lebens geht vorwärts, aufwärts, wenn auch der äußerliche Mensch darüber verweset. Wohl dem, der im Morgenroth seines Lebens seinen Gott gefunden hat und darum im Abendroth beten kann:

Des Alters eigne Plagen,
Wie drücken sie auf mich!
Ich will nicht sündlich klagen,
Sie fesseln mich an Dich,
Vor Dir, Herr, sink' ich nieder,
An den mein Herze glaubt;
Du stärkst die müden Glieder,
Erhebst das graue Haupt.

V. 7. 8. Wenn der Staub muß wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.

Diese Verse fügen der vorigen Schilderung die Beschreibung, des Zustandes nach dem Tode hinzu. Die Hütte des Leibes, aus irdischen Stoffen bereitet, muß zuletzt den Widerstand gegen die Angriffe des Todes ganz aufgeben und fällt dem Staube anheim. In den stillen, dunklen Tiefen der Erde ruht das müde gewordene Gebein und schläft sich aus bis zum großen Tage der Auferstehung. Der Geist aber kehrt aus der zusammengebrochenen Leibeshütte zurück zu Gott, dem Herrn der Geister alles Fleisches, um von ihm - siehe Kap. II, 9 - gerichtet zu werden und zu empfangen, darnach er gehandelt hat, es sei gut oder böse. Denn eitel, vergänglich, flüchtig, hinfällig ist dieses Leben, seitdem seit Adams Fall der Wurm der Sünde es zernagt - und doch so wichtig, so ernst, so unaussprechlich werthvoll, denn was der Mensch hier säet, das wird er dort ernten. Darum soll in der Jugend schon der Mensch des Alters und des Endes gedenken, auf daß er klug werde.

Mein Gott, ich weiß wohl, daß ich sterbe;
Ich bin ein Mensch, der bald vergeht,
Und finde hier kein solches Erbe,
Das ewig in der Welt besteht,
Drum zeige mir in Gnaden an,
Wie ich recht selig sterben kann.

V. 9. Derselbige Prediger war nicht allein weise, sondern lehrete auch das Volk gute Lehre und merkte und forschete und stellete viele Sprüche.

Mit diesem Verse kündigt sich der Schluß des ganzen Buches an. Der Prediger, der dies Buch geschrieben, war weise, ein Weiser, er war Einer aus dem Collegium der Weisen, welches wahrscheinlich noch von Salomo gestiftet war, wenigstens in Salomo's Geiste zu wirken suchte. Aus herzlicher Liebe zu seinem gedrückten Volke hat er diese gute Lehre in mancherlei Sprüchen niedergeschrieben, um seinem Volke wieder ein Herz zu seinem Gotte zu machen. Die „Sprüche“ sind mit Nichten „die Sprüche Salomonis,“ nicht das Buch, das in der Bibel unserm Buche vorangeht, sondern eben die Sprüche dieses Buchs, des Predigers.

V. 10. Er suchte, daß er fände angenehme Worte und schrieb recht die Worte der Wahrheit (wörtlich: und Worte der Wahrheit richtig aufzuschreiben).

Es kommt nicht blos darauf an, daß man die Wahrheit sagt; es gilt auch, sie so angenehm als möglich zu sagen, damit sie eben angenommen wird. Was der Prediger anstrebte, ist ihm durch Eingebung und Kraft Gottes wohl gelungen; sein ganzes Buch ist dafür ein einiges Zeugniß.

V. 11. Diese Worte der Weisen sind Spieße und Nägel, geschrieben durch die Meister der Versammlungen und von Einem Hirten gegeben.

Wörtlich: Die Worte des Weisen sind wie Stacheln und eingeschlagene Nägel, in Sammlungen gebracht, von Einem Hirten gegeben. Spieße dringen scharf ein, Nagel halten fest, die Worte der Weisen werden mit ihnen verglichen, weil sie scharf zugespitzte, tief sich einprägende Worte sind. Der Prediger hat sich bemüht, solche Worte in diesem Buch zusammenzustellen, wie es scheint also, nicht blos eigne, sondern auch fremde; Ein Hirte aber hat die Zusammenstellung behütet, die Worte sind sammt und sonders aus Einem und demselben Geiste, dem Geiste göttlicher Eingebung, entsprungen.

V. 12. Hüte dich, mein Sohn, vor andern mehr; denn viel Büchermachens ist kein Ende, und viel Predigen macht den Leib müde.

Wörtlich: Uebrigens vor dem, was außer jenen ist, laß mein Sohn, dich warnen; viel Büchermachens ist kein Ende, und viel Studiren macht das Fleisch matt. Das Andere, was außer den Sprüchen der Weisen vorhanden ist, sind die neuen Lehren und heidnischen Meinungen, die gegen den Willen der rechtmäßigen Versammlung der Weisen durch den Verkehr mit heidnischen Nationen damals aufkamen. Der Prediger warnt vor ihnen, als welche, auch bei angestrengtestem Studium, kein anderes Resultat ergäben, als das, das Fleisch müde zu machen. Eine Warnung, die auch heutzutage an ihrem Platze ist. Wie viele kostbare Zeit wird doch heutzutage durch Bücherleserei verloren, und wie hinderlich ist dem Seelenleben so Vieler in unsern Tagen ihre Lectüre im Großen und Ganzen! Besser als alle Bücher ist das Buch der Bücher, die heilige Schrift; selig ist, wer sie lieset.

V. 13. 14. Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gehöret allen Menschen zu. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, das verborgen ist, es sei gut oder böse.

Nachdem in unserm Buche oft die Stimme des Glaubens von der Stimme des Verstandes durchkreuzt war, behält nun zum Schluß der Glaube die siegende Stimme. Unmißverständlich und sonnenklar sagt in diesen Schlußworten der Prediger aus, was er mit seinem ganzen Buch bezweckt; nämlich die Hebung der Gottesfurcht in seinem Volke, die Förderung des Haltens der heiligen Gebote des Herrn, die Schürfung des Blicks auf den ewigen Gott und das ewige Gericht. Eitelkeit der Eitelkeiten, Alles ist eitel, so begann das Buch; fürchte Gott und halte seine Gebote, so schließt das Buch. Es beschäftigt sich mit der großen Frage: Was frommt dem Menschen mitten in der Eitelkeit der Dinge, daß er etwas vom Leben behalte, wenn das Leben zerronnen ist? und er giebt die Antwort: Die Furcht des Herrn heilt von dem Schmerze der Eitelkeit und verwerthet dies eitle Leben für das ewige Leben.

Wir sind am Ende mit unsrer andächtigen Betrachtung des Prediger Salomo. Sein Inhalt, mit neutestamentlichem Auge gelesen, läßt sich nicht besser zusammenfassen, als in die Spittaschen Verse:

Alles stirbt, das Ird'sche findet
In dem Irdischen sein Grab,
Alle Lust der Welt verschwindet,
Und das Herz stirbt selbst ihr ab.
Ird'sches Wesen muß verwesen,
Ird'sche Flamme muß verglüh'n;
Ird'sche Fessel muß sich lösen,
Ird'sche Blüthe muß verblüh'n.

Doch der Herr steht über'm Staube
Alles Irdischen und spricht:
Stütze dich auf mich und glaube,
Hoffe, lieb' und fürchte nicht!
Darum bleibt bei dem, der bleibet,
Und der geben kann, was bleibt,
Der, wenn ihr euch ihm verschreibet,
Euch in's Buch des Lebens schreibt.

Amen.

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